Inhalt

VGH München, Urteil v. 23.02.2023 – 20 B 21.1676
Titel:

Abwassergebühren für den Betrieb einer Autobahn-Raststätte

Normenketten:
GG Art. 20 Abs. 3
VwGO § 113 Abs. 1 S. 2, Abs. 4
BayKAG Art. 8 Abs. 6, Abs. 7, Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Nr. 5 lit. b bb, lit. b dd
AO § 236, § 238
Leitsätze:
1. Bei dem rückwirkenden Erlass einer Abwassergebührensatzung ist grundsätzlich eine Kalkulation der Benutzungsgebühren erforderlich, die sich entsprechend Art. 8 Abs. 6 KAG an den tatsächlichen Kosten der vergangenen Kalkulationsperioden orientiert. Fehlt eine entsprechende Kalkulation, führt dies zur Unwirksamkeit der Rückwirkungsanordnung. (Rn. 50)
2. Eine Altfallregelung, nach der bestandskräftige Gebührenveranlagungen als abgeschlossen behandelt werden, erfordert eine Ermessensentscheidung des Gemeinderates. Die ordnungsgemäße Ausübung des Satzungsermessens im Hinblick auf die Altfallregelung setzt das Vorhandensein einer ordnungsgemäßen Gebührenkalkulation als Entscheidungsgrundlage voraus. Bei seiner Entscheidung hat das Kollegialorgan vor allem den Gleichbehandlungsgrundsatz zu berücksichtigen. (Rn. 51)
3. Ein Gebührenvorauszahlungsbescheid (Art. 8 Abs. 7 KAG) wird durch den Erlass des endgültigen Gebührenbescheids abgelöst und hat danach keine Steuerungswirkung mehr. (Rn. 61)
4. Der abgabenrechtliche Erstattungsanspruch nach dem Bayrischen Kommunalabgabenrecht ist grundsätzlich durch einen Abrechnungsbescheid der Abgabebehörde festzusetzen. Gerichtlich ist er durch Verpflichtungsklage geltend zu machen.  (Rn. 68)
5. Auch in den Fällen der klageweisen Geltendmachung eines abgabenrechtlichen Erstattungsanspruchs werden Prozesszinsen von Amts wegen durch eigenständigen Bescheid festgesetzt. Gerichtlich werden sie durch Verpflichtungsklage geltend gemacht. (Rn. 69)
6. Verpflichtungsklagen auf Erstattung und Zahlung von Prozesszinsen können mit der Anfechtungsklage gegen den Abgabefestsetzungsbescheid nach § 113 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 VwGO verbunden werden. Ein Vorverfahren (§ 68 VwGO) ist hierfür nicht erforderlich.  (Rn. 65)
Schlagworte:
Entwässerung, Einleitungsgebühren, Rückwirkender Erlass, Fehlerhafte bzw. fehlende Kalkulation, Altfallregelung und Satzungsermessen, Unzulässige echte Rückwirkung, Erstattungsanspruch, Folgenbeseitigung, Abrechnungsbescheid, Prozesszinsen, Autobahn-Raststätte, Tankstelle, Satzung, Rückwirkung, Kalkulation, Prognose, tatsächliche Kosten, Altfallregelung, Satzungsermessen, statthafte Klageart
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 14.11.2019 – AN 1 K 19.221
Rechtsmittelinstanzen:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 24.08.2023 – 9 B 13.23
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 11.06.2024 – 9 C 5.23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6040

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. November 2019 wird geändert. Die Klage auf Aufhebung des Abschlagsbescheids vom 27. Juni 2012 in der Fassung des Widerspruchbescheids des Landratsamtes Erlangen-Höchstadt vom 14. März 2013 und die Klage auf Zahlung von 82.185,85 EUR nebst Zinsen werden abgewiesen. Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

1
Die Klägerin unterhält im Gemeindegebiet des Beklagten an der Bundesautobahn A 3 eine Tankstelle und eine Raststätte (Nordseite) sowie eine Tankstelle, eine Raststätte und ein Hotel (Südseite) als Nebenbetriebe im Sinne des Bundesfernstraßengesetzes. Den Betrieb der Anlagen lässt die Klägerin von Dritten ausführen. Die Klägerin ist Eigentümerin der Betriebsgrundstücke der Rastanlagen. Der Beklagte betreibt in seinem Gemeindegebiet eine Entwässerungsanlage als öffentliche Einrichtung.
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Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Juni 2012 erhob der Beklagte von der Klägerin für die Autobahn-Raststätte aufgrund der Einführung eines Gebührenzuschlags für Großeinleiter/Starkverschmutzer (§ 11 BGS-EWS) für das Abrechnungsjahr 2012 einen Abschlag auf die Abwassergebühren in Höhe von 85.401,00 EUR. Der bisherige Abschlag (Bescheid vom 11.1.2012) belief sich auf 31.119,00 EUR, der sich hieraus ergebende Differenzbetrag wurde auf 54.282,00 EUR ermittelt, der unter Anrechnung bisher geleisteter Abschlagszahlungen noch zu entrichtende Abschlag auf 75.028,00 EUR festgesetzt.
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Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 24. Juli 2012 legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit streitgegenständlichem Abrechnungsbescheid „Wasser- und Kanalgebühren“ vom 10. Januar 2013 (Abrechnungszeitraum vom 1.1.2012 bis 31.12.2012) setzte der Beklagte die von der Klägerin zu entrichtenden Wassergebühren auf 264,29 EUR und die Kanalgebühren auf 115.397,96 EUR fest. Dabei setzte er einen Gebührensatz von 2,10 EUR/m³ Abwasser fest. Abzüglich der bisherigen Vorauszahlungen in Höhe von 85.401,00 EUR ergäbe sich ein Abrechnungsbetrag in Höhe von 29.996,96 EUR. Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 7. Februar 2013 legte die Klägerin auch gegen den Bescheid vom 10. Januar 2013 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2013, den Bevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis zugestellt am 18. März 2013, wies das Landratsamt die Widersprüche der Klägerin vom 24. Juli 2012 und 7. Februar 2013 zurück.
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Die Klägerin erhob mit einem am 16. April 2013 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom selben Tage Klage mit dem Antrag, den Abschlagsbescheid des Beklagten vom 27. Juni 2012 über die Erhebung von Abwassergebühren in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts vom 14. März 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2013 über die Erhebung von Wasser- und Kanalgebühren für den Abrechnungszeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts vom 14. März 2013 aufzuheben.
5
Am 23. März 2015 erließ der Beklagte eine Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung sowie hernach eine Änderungssatzung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Beklagten vom 17. Juli 2015. Nach § 16 trat die Satzung vom 23. März 2015 rückwirkend zum 8. Oktober 2012 in Kraft. Mit Urteil vom 27. September 2018 – 20 N 16.1422 und 20 N 18.1975 – stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof fest, dass die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Beklagten vom 23. März 2015 im Gebührenteil nichtig ist. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die 1. Änderungssatzung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Beklagten vom 17. Juli 2015 ebenfalls nichtig ist.
6
Mit Schriftsatz vom 28. Mai 2019 wiederholten die Bevollmächtigten der Klägerin die Klageanträge aus dem Schriftsatz vom 16. April 2013 und beantragten zusätzlich, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 82.185,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von 0,5% monatlich
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aus 10.350,00 EUR seit 1. September 2012,
8
aus 27.100,00 EUR seit 1. Oktober 2012,
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aus 37.500,00 EUR seit 1. Dezember 2012,
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aus 6.850,00 EUR seit 1. Mai 2013 und aus 250,00 EUR seit 1. Mai 2013 zu zahlen.
11
Mit Urteil vom 14. November 2019 hob das Verwaltungsgericht den Abschlagsbescheid des Beklagten vom 27. Juni 2012 über die Erhebung von Abwassergebühren, den Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2013 über die Erhebung von Wasser- und Kanalgebühren für den Abrechnungszeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012 sowie den Widerspruchsbescheid des Landratsamts vom 14. März 2013 auf. Weiter wurde der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 82.185,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich
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aus 10.350,00 EUR seit 1. September 2012,
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aus 27.100,00 EUR seit 1. Oktober 2012,
14
aus 37.500,00 EUR seit 1. Dezember 2012,
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aus 6.850,00 EUR seit 1. Mai 2013 und aus 250,00 EUR seit 1. Mai 2013 zu zahlen.
16
Die Klage sei, auch soweit sie die Aufhebung des Abschlagsbescheides über Abwassergebühren vom 27. Juni 2012 betreffe, zulässig. Zwar sei am 10. Januar 2013 der endgültige Bescheid über die Abrechnung der Abwassergebühren für den Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2012 erlassen worden, der ebenfalls Gegenstand der erhobenen Anfechtungsklage sei. Der Erlass des endgültigen Abrechnungsbescheides führe jedoch nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für die Anfechtung des Vorausleistungsbescheides vom 27. Juni 2012. Denn im Falle einer Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2012 habe die Klägerin jedenfalls bis zum Erlass des endgültigen Gebührenbescheides einen Verzinsungsanspruch nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 b) bb) KAG in Verbindung mit § 236 AO. Von der Festsetzung der Vorauszahlungen gehe somit bis zum Erlass des endgültigen Gebührenbescheides noch eine Steuerungswirkung aus. Die Klägerin sei durch den Bescheid vom 27. Juni 2012 nach wie vor beschwert, weil der von ihr geltend gemachte Verzinsungsanspruch nach § 236 AO die Kassation des genannten Bescheides voraussetze.
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Keine rechtlichen Bedenken bestünden auch hinsichtlich der Zulässigkeit der erstmals mit Schriftsatz vom 28. Mai 2019 erfolgten Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 b) KAG i.V.m. § 37 Abs. 2 AO. Zwar setze die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs im Sinne des § 37 Abs. 2 AO grundsätzlich voraus, dass darüber durch einen vorherigen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 2 AO entschieden worden sei. Allerdings sei die Abgabenordnung vorliegend nur über Art. 13 Abs. 1 KAG als Landesrecht anwendbar. Demgegenüber habe die bundesrechtliche Vorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO Vorrang. Danach sei es zulässig, einen Folgenbeseitigungsanspruch zusammen mit der Anfechtungsklage zu kombinieren, ohne dass insoweit ein Verwaltungsverfahren stattgefunden haben müsse. Es handele sich um einen bundesrechtlich geregelten Fall der Stufenklage, die leerlaufen würde, wenn die Rückerstattung von zu Unrecht gezahlten Benutzungsgebühren von einem vorherigen Verwaltungsverfahren abhängig gemacht würde. Hierfür sprächen auch Gründe der Prozessökonomie. Aus dem gleichen Grund könne die Klägerin auch Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 b) bb) KAG i.V.m. § 236 AO unmittelbar gerichtlich geltend machen, ohne dass es der vorherigen Festsetzung durch einen Abgabenbescheid nach § 239 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 155 und 157 AO bedürfte.
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Die Klage sei überwiegend begründet. Soweit es die Festsetzung von Entwässerungsgebühren betreffe, fänden die streitgegenständlichen Gebührenbescheide des Beklagten in Art. 8 Abs. 1 KAG in Verbindung mit den Bestimmungen der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) des Beklagten vom 13. Dezember 2018 keine Rechtsgrundlage, da diese gemäß § 17 BGS-EWS rückwirkend erst am 24. März 2015, also nach dem hier streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum (vom 1.1.2012 bis 31.12.2012), in Kraft getreten sei. Anders als bei Beiträgen setze die Heilung eines ohne gültige Gebührensatzung erlassenen Gebührenbescheids den rückwirkenden Erlass einer Gebührensatzung für den Abrechnungszeitraum voraus. Der rückwirkende Erlass sei erforderlich, um den durch eine nichtige Satzung entstandenen, rechtsleeren Raum zu überbrücken. Die streitgegenständlichen Gebührenbescheide könnten auch nicht auf frühere Beitrags- und Gebührensatzungen zur Entwässerungssatzung des Beklagten gestützt werden. Die BGS-EWS vom 23. März 2015 sei im Gebührenteil nichtig, da infolge eines Kostenanteils für die Oberflächenentwässerung von ca. 29% zwingend eine gesonderte Niederschlagswassergebühr hätte eingeführt werden müssen. Dies betreffe ebenso die Beitrags- und Gebührensatzungen zur Entwässerungssatzung vom 27. März 2012 und vom 12. September 2008, da hier der Anteil der Kosten für die Oberflächenentwässerung ebenfalls über 12% gelegen habe.
19
Der Beklagte sei auch nicht befugt gewesen, die Klägerin für die im Jahr 2012 erfolgte Lieferung von 190 m³ Wasser als Gebührenschuldner zu veranlagen. Es sei zwischen den Beteiligten unstreitig, dass das benötigte Frischwasser nicht von dem Beklagten, sondern von der Stadt H. bezogen werde. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestehe insoweit kein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis in Form eines Anschluss- und Benutzungszwangs für die Klägerin gemäß § 5 ihrer Satzung für die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung (WAS) vom 1. Februar 1991, das Grundlage für die Heranziehung der Klägerin als Grundstückseigentümerin durch einen Gebührenbescheid nach § 12 Abs. 1 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS/WAS) vom 1. Februar 2012 sein könnte. Es habe sich vielmehr um einen – von der Klägerin selbst nicht in Auftrag gegebenen – vorübergehenden Wasserbezug auf Grundlage des § 17 WAS gehandelt. Im Vollzug des § 17 WAS könne der Beklagte eine Wasserabnahme weder erzwingen noch habe die jeweilige Antragstellerin einen satzungsrechtlichen Anspruch auf eine Wasserlieferung.
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Der Klägerin stehe ein Erstattungsanspruch nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 b) KAG i.V.m. § 37 Abs. 2 AO zu. Die Klägerin habe diesen Anspruch betragsmäßig beschränkt, da sie die öffentliche Entwässerungseinrichtung des Beklagten im Abrechnungszeitraum tatsächlich in Anspruch genommen habe. Der von der Klägerin geltend gemachte und auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 b) bb) KAG i.V.m. § 236 Abs. 1 AO gestützte Anspruch auf Erstattungszinsen bestehe jedoch nicht in voller Höhe. Nach § 236 Abs. 1 AO sei der zu erstattende oder zu vergütende Betrag vorbehaltlich des Absatzes 3 vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt werde. Allerdings ergebe sich die Zinshöhe der geltend gemachten Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge nicht aus Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 b) dd) KAG in der bis zum 31. März 2014 gültigen Fassung, wonach § 238 Abs. 1 AO Anwendung fand. Danach hätten die Zinsen für jeden Monat eineinhalb Prozent betragen. Die Zinshöhe nach § 247 BGB sei eine dynamische Größe und ergebe sich bei der erst nach Eintritt der Rechtskraft vorzunehmenden Berechnung der Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge aus der von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten jeweiligen Höhe des Basiszinssatzes. Die Klage sei deshalb abzuweisen, soweit Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge in einer Höhe geltend gemacht wurden, die die durch § 247 BGB bestimmte, jeweils maßgebliche Zinshöhe überstiegen.
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Mit seiner vom Senat wegen ernstlicher Zweifel zugelassenen Berufung beantragt der Beklagte,
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die Klage wird unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. November 2019 abgewiesen.
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Der Marktgemeinderat des Beklagten habe in seiner Sitzung vom 14. November 2019 den Neuerlass der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung beschlossen. In § 17 der BGS-EWS vom 14. November 2019 (im Folgenden BGS-EWS 2019) sei geregelt, dass diese Satzung rückwirkend zum 1. Februar 2012 in Kraft trete.
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Die Klage gegen den Abschlagsbescheid vom 27. Juni 2012 sei unzulässig. Gegenstand der Anfechtungsklage sei der Abschlagsbescheid vom 27. Juni 2012, der sich jedoch durch die Festsetzung der endgültigen Abwassergebühren im Bescheid vom 10. Januar 2013 erledigt habe mit der Folge, dass – soweit die Gebührenfestsetzung betroffen sei – der Abrechnungsbescheid den Abschlagsbescheid abgelöst habe und damit keine fortwirkenden belastenden Regelungen mehr enthalte, so dass für die beantragte Aufhebung des Vorauszahlungsbescheides kein Rechtschutzinteresse mehr bestehen könne.
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Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 27. Juni 2012 und 10. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landratsamtes Erlangen-Höchstadt vom 14. März 2013 seien rechtmäßig. Die angefochtenen Bescheide fänden nunmehr ihre Rechtsgrundlage in Art. 8 Abs. 1 KAG i.V.m. § 9 BGS-EWS des Beklagten in Gestalt der Satzung vom 14. November 2019. Der Beklagte stütze die angefochtenen Abwassergebührenbescheide nunmehr auf die BGS-EWS 2019, die aufgrund ihrer Rückwirkung zum 1. Januar 2012 die Satzung vom 13. Oktober 2018 ersetzt habe.
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Die Klage sei auch in Bezug auf die festgesetzte Gebühr für den Bezug von Wasser mit Bescheid vom 10. Januar 2013 unbegründet. Das Verwaltungsgericht verkenne insoweit, dass jedenfalls in der tatsächlichen Inanspruchnahme der Notwasserversorgung das öffentlich-rechtliche Benutzungsverhältnis – wenn auch nur im Zeitraum des Bestandes der Notwasserversorgung – begründet werde. Die Notwasserversorgung sei ausweislich der vorgelegten Stellungnahme der Firma K. vom 11. November 2019 vom gemeindlichen Hydranten zu einem der auf der Rastanlage befindlichen Hydranten verbunden und in Betrieb genommen worden. Dies habe zur Sicherstellung des Betriebes der Raststätte gedient. Den entsprechenden Antrag der Firma müsse sich die Klägerin zurechnen lassen, selbst wenn man davon ausgehe, dass sich aus § 17 keine Befugnis herleiten lasse, den Grundstückseigentümer nach § 12 Abs. 1 BGS-WAS als Gebührenschuldner in Anspruch zu nehmen. Zumindest gegenüber der Klägerin bestehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, nachdem – wohl unstreitig – Wasser in einem Umfang von 190 m³ geliefert worden sei, um den Betrieb der Raststätte aufrechtzuerhalten. Aufgrund der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gebührenbescheide sei auch der weiter geltend gemachte Erstattungsanspruch und der Anspruch auf Prozesszinsen unbegründet.
27
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 13. September 2021 erhob die Klägerin Anschlussberufung und beantragte,
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1. Die Berufung des Beklagten im Hinblick auf die Kanalgebühren im Gebührenbescheid des Beklagten vom 10. Januar 2013 zu verwerfen und im Übrigen zurückzuweisen,
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2. Im Wege der Anschlussberufung den Beklagten unter teilweiser Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. November 2019 (Aktenzeichen AN 1 K 19.00221) zu verurteilen, an die Klägerin Zinsen
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in Höhe von insgesamt 0,5 Prozent monatlich
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aus 10.350,00 EUR vom 1.9.2012 bis zum 31.12.2018,
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aus 27.100,00 EUR vom 1.10.2012 bis zum 31.12.2018,
33
aus 37.500,00 EUR vom 1.12.2012 bis zum 31.12.2018,
34
aus 6.850,00 EUR vom 1.5.2013 bis zum 31.12.2018,
35
aus 250,00 EUR vom 1.5.2013 bis zum 31.12.2018 und
36
in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich aus 82.050,00 EUR seit dem 1.1.2019
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zu zahlen.
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Die BGS-EWS 2019 schaffe trotz der in § 17 BGS-EWS 2019 formal auf den 1. Januar 2012 angeordneten Rückwirkung keine Rechtsgrundlage für den Kanalgebührenteil des Gebührenbescheids des Beklagten vom 10. Januar 2013. Die BGS-EWS 2019 sei bereits nach ihrem Wortlaut auf den Gebührenbescheid des Beklagten vom 10. Januar 2013 nicht anwendbar. Die Übergangsregelung in § 16 Abs. 3 BGS-EWS 2019 bestimme, dass nicht bestandskräftige Fälle erst nach einer Flächenerhebung durch die Gemeinde neu abgerechnet würden. Dass diese Flächenerhebung erfolgt wäre, behaupte der Beklagte in seiner Berufungsbegründung nicht. Tatsächlich sei das auch nicht der Fall. Bei einem rückwirkenden Ersetzen einer nichtigen Satzung sei der gemeindliche Normgeber daher auf eine rückwirkende Fehlerbeseitigung beschränkt und dürfe keine materiell neuen Regelungen treffen. Nach diesem Maßstab verstoße beispielsweise § 10 Abs. 1 Satz 2 BGS-EWS 2019 gegen das Rückwirkungsverbot. Mit dieser Bestimmung habe der Beklagte im Jahr 2019 rückwirkend geregelt, dass seit dem 1. Januar 2012 die Schmutzwassergebühr 2,30 EUR/m³ Abwasser betragen solle. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BGS-EWS vom 28. September 2010 habe der Gebührensatz indessen bei (nur) 1,70 EUR/m³ Abwasser, nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BGS-EWS vom 27. März 2012 bei (nur) 2,10 EUR/m³ Abwasser und auch nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BGS-EWS vom 23. Mai 2015 bei (nur) 2,10 EUR/m² Abwasser gelegen. Wegen dieser inhaltlichen Änderungen sei die BGS-EWS 2019 nicht allein in die durch die Nichtigkeit der BGS-EWS 2010, 2012 und 2015 entstandene Lücke getreten, sondern stelle eine neue, über eine bloße Fehlerbehebung hinausgehende materielle Regelung dar. Deren rückwirkende Inkraftsetzung sei mit dem Rückwirkungsverbot nicht vereinbar.
39
Die BGS-EWS 2019 sei auch in ihrer Gebührenregelung nichtig, weil sie in ihrem § 11 rechtswidrige Gebührenzuschläge festsetze, mit denen der Beklagte eine Kostenzuordnung nach dem Verursacherprinzip zu realisieren versuche (wird ausgeführt).
40
Eine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Wassergebühren fehle ebenfalls. Ein Anspruch des Beklagten auf Entrichtung von Frischwassergebühren könne sich nur aus einem gesetzlichen oder vertraglichen Schuldverhältnis ergeben. An beidem fehle es. Es bestehe kein gesetzliches Schuldverhältnis nach § 4 der Wasserabgabesatzung (WAS) des Beklagten, das Grundlage für die Heranziehung der Klägerin als Grundstückseigentümerin durch einen Gebührenbescheid nach § 12 Abs. 1 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS-WAS) habe sein können. Ein gesetzliches Schuldverhältnis bestehe nur für „solche Grundstücke, die durch eine Versorgungsleitung erschlossen werden“ (§ 4 Abs. 2 Satz 1 WAS). Versorgungsleitungen seien gemäß § 3 WAS die Wasserleitungen im Wasserversorgungsgebiet, von denen die Grundstücksanschlüsse abzweigten. Eine solche Wasserversorgungsleitung des Beklagten zu den Nebenbetriebsgrundstücken auf den Rastanlagen Steigerwald gebe es aber nicht, weil die Nebenbetriebe auf den Rastanlagen Steigerwald nicht von dem Beklagten, sondern von der Stadt H. mit Frischwasser versorgt würden. Auch eine Notleitung begründe kein Benutzungsverhältnis. Ein vertragliches Schuldverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten habe ebenfalls nicht bestanden. Nach § 8 WAS könne Frischwasser zwar grundsätzlich auf der Grundlage einer Sondervereinbarung geliefert und bezogen werden. Eine Sondervereinbarung nach § 8 WAS bedürfe aber gemäß Art. 57 BayVwVfG der Schriftform. Daran fehle es hier.
41
Da der Beklagte von der Klägerin weder Kanal- noch Wassergebühren verlangen könne, bestehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten. Anders als der Beklagte meine, stehe der Geltendmachung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs auch nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen. Die Klägerin müsse auch gegen den Abschlagsbescheid vom 27. Juni 2012 Klage erheben. Der Erlass des endgültigen Abrechnungsbescheids am 10. Januar 2013 führe nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für die Anfechtung des Abschlagsbescheids vom 27. Juni 2012. Die Klägerin sei durch den Abschlagsbescheid nach wie vor beschwert, weil der von der Klägerin geltend gemachte Verzinsungsanspruch aus Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG i.V.m. § 236 AO die Kassation des genannten Bescheids voraussetze.
42
Mit der Anschlussberufung verfolge die Klägerin ihren Zinsanspruch weiter. Die Klägerin habe nicht lediglich Anspruch auf Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB, sondern auf Zinsen in Höhe von 0,5% pro Monat. Für den Zeitraum seit dem 1. Januar 2019 werde das erstinstanzliche Urteil vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) nicht zur Überprüfung des Senats gestellt. Der geltend gemachte Zinsanspruch erstrecke sich über einen Zeitraum, in dem der Gesetzgeber die Höhe des Zinssatzes geändert habe (Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 11.3.2014, GVBl. Seite 70). Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b) Doppelbuchst. dd) KAG in seiner bis zum 31. März 2014 geltenden Fassung seien die §§ 238 bis 240 AO entsprechend anzuwenden. Der Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO betrage 0,5% monatlich. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b) Doppelbuchst. dd) KAG in seiner ab dem 1. April 2014 geltenden Fassung betrage der Zinssatz abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich. Der Zinslauf für die mit der Klage zurückgeforderten Gebühren beginne am Tag der Zahlung (Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG i.V.m. § 236 Abs. 1 AO), der vor dem 1. April 2014 liege. Die Höhe des Zinssatzes ergebe sich deshalb aus Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. dd KAG in seiner bis zum 31. März 2014 geltenden Fassung i.V.m. § 238 Abs. 1 AO (0,5% monatlich).
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Der alte Zinssatz gelte auch für den Zinslauf ab dem 1. April 2014. Die Begründung zum Änderungsgesetz vom 11. März 2014 verhalte sich nicht zu der Frage des intertemporalen Rechts, ausgenommen zu Zinsbescheiden für Stundungszinsen (LT-Drs. 17/370, Seite 10). Daher kämen die allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts zur Anwendung. Es entspreche ständiger Rechtsprechung in allen Gerichtsbarkeiten, dass bei Abwesenheit einer ausdrücklichen Übergangsregelung ein Rechtsverhältnis allein dem Recht unterstehe, das zum Zeitpunkt seiner Entstehung gegolten habe. Als Grundnorm des intertemporalen Rechts bestimme Art. 170 EGBGB, dass für ein Schuldverhältnis, das vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs entstanden sei, die vorherigen Gesetze maßgebend bleiben. Die heutige Bedeutung der Vorschrift bestehe darin, dass sie den oben genannten Grundsatz des intertemporalen Rechts kodifiziere. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 11. März 2014, mit dem der Gesetzgeber die Höhe des Zinssatzes geändert habe, enthalte keine Übergangsregelung für den anzuwendenden Zinssatz. Es bleibe damit bei dem Grundsatz, dass ein Rechtsverhältnis dem zum Zeitpunkt seiner Entstehung geltenden Recht unterliege. Die Klägerin habe alle Zahlungen vor dem 1. April 2014 geleistet. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch aus Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG i.V.m. § 37 Abs. 2 AO sei damit vor dem 1. April 2014 entstanden. Anzuwenden sei daher Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. dd KAG in seiner bis zum 31. März 2014 geltenden Fassung i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. In der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 11. März 2014 heiße es folgerichtig, dass die Veränderung des Zinsniveaus Auswirkungen nur auf neu zu erlassene Zinsbescheide (für Stundungszinsen nach § 234 AO) habe (LT-Drs. 17/370, Seite 10).
44
Auf ein Schreiben des Senats vom 22. Dezember 2022 führte die Klägerin im Wesentlichen noch aus, entgegen der vom Senat vertretenen Auffassung könne ein Folgenbeseitigungsanspruch und der Zinsanspruch ohne weiteres Verwaltungsverfahren nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend gemacht werden. Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts habe entschieden, dass Ansprüche auf Rückzahlung kommunaler Abgaben, die auf der Grundlage einer unwirksamen kommunalen Satzung entrichtet worden seien, auf § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestützt und in demselben Verfahren wie der Anspruch auf Aufhebung des Abgabenbescheids geltend gemacht werden könnten. In dem gerichtlichen Schreiben vom 22. Dezember 2022 werde weiter ausgeführt, dass der Abschlagsbescheid vom 27. Juni 2012 nicht gesondert angegriffen werden könne. Das gerichtliche Schreiben vom 22. Dezember 2022 stehe nicht mit der Rechtsprechung des Senats im Einklang (20 B 11.1723). Demnach sei die Klägerin durch den Abschlagsbescheid vom 27. Juni 2012 nach wie vor beschwert und es bedürfe seiner Aufhebung, um den Zinsanspruch geltend zu machen. Die Rechtsprechung des Senats entspreche auch der Rechtsprechung des früheren 23. Senats, die das Bundesverwaltungsgericht bestätigt habe.
45
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung des Beklagten hat nur zum Teil Erfolg. Die Klage der Klägerin ist zum Teil unzulässig, insoweit war der Berufung des Beklagten stattzugeben. Soweit sie zulässig ist, ist die Klage begründet und die Berufung zurückzuweisen. Die Anschlussberufung der Klägerin hat dagegen keinen Erfolg, weil ihre Klage insoweit bereits unzulässig ist.
47
1. Die Anfechtungsklage der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2013 über die Erhebung von Wasser- und Kanalgebühren für den Abrechnungszeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts vom 14. März 2013 ist zulässig und begründet.
48
a) Die dem streitgegenständlichen Gebührenbescheid nunmehr zugrundeliegende (Abwasser-)Gebührensatzung vom 14. November 2019 (im Folgenden BGS-EWS) ist nicht geeignet, dem Bescheid über Abwassergebühren eine tragfähige Rechtsgrundlage zu verleihen, weil die in § 17 der BGS-EWS enthaltene Rückwirkungsanordnung zum 1. Februar 2012 unwirksam ist und damit der zeitliche Geltungsbereich der Gebührensatzung nicht in den abgerechneten Gebührenzeitraum hineinreicht (BayVGH, U.v. 6.7.2010 – 20 B 10.124 – juris). Die rückwirkende Erhöhung des Gebührensatzes auf 2,30 EUR/m³ Abwasser ist rechtswidrig, weil ihr keine nach Art. 8 Abs. 6 KAG erforderliche Kalkulation zugrunde liegt (aa). Zudem verstößt die Rückwirkungsanordnung gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot (bb).
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aa) Dem im § 17 BGS-EWS rückwirkend zum 1. Januar 2012 angeordneten Inkrafttreten der Gebührenregelung des § 10 BGS-EWS liegt keine nach Art. 8 Abs. 6 KAG erforderliche Gebührenkalkulation zugrunde. Dies führt zur Unwirksamkeit der Rückwirkungsanordnung.
50
Wird eine rechtswidrige Gebührensatzung rückwirkend durch eine neue Satzung ersetzt, so kommt für die Berechnung der Gebührensätze keine Vorauskalkulation mehr in Betracht, wenn der Kalkulationszeitraum bereits vergangen ist. Vielmehr ist für den rückwirkend festgesetzten Gebührensatz in vollem Umfang von den nunmehr für diese Abrechnungsperiode bekannten tatsächlich entstandenen Kosten auszugehen (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Anm. 735c und 895). Diese Voraussetzungen sind im hier zu entscheidenden Fall jedoch offensichtlich nicht erfüllt. Dem rückwirkenden Inkrafttreten lag eine „Vorkalkulation“ für die Jahre 2018 und 2019 zu Grunde, welche keinerlei Bezug hat zu den hier maßgeblichen Kosten des Jahres 2012.
51
Die Kalkulation und Festsetzung der Abgabensätze fällt in die Kompetenz des jeweiligen Vertretungsorgans. Ein Gebührensatz in einer Gemeinde kann nur wirksam sein, wenn der Gemeinderat eine ihm von der Gemeindeverwaltung vorgelegte Gebührenkalkulation mit den darin enthaltenen Ermessensentscheidungen gebilligt und sich dadurch zu eigen gemacht hat; eine solche Billigung ist – sofern dem Rat die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung gestanden haben – in der Regel mit der Beschlussfassung über die Satzung einschließlich der Festsetzung des Abgabensatzes verbunden. Die Frage, ob Kalkulationsfehler stets zur Ungültigkeit der gesamten Gebührenregelung führen oder nur dann, wenn sie sich auf die Gebührenhöhe auswirken und durch sie eine rechtliche Gebührenhöchstgrenze im Ergebnis überschritten wird, hat das Bundesverwaltungsgericht im letzteren Sinne beantwortet (BVerwG, U.v. 17.4.2002 – 9 CN 1.01 – juris) und sich damit der sog. Ergebnisrechtsprechung angeschlossen (vgl. Driehaus, Abgabesatzungen, 2. Aufl. 2017, § 8 Rn 45). Dies entsprach und entspricht auch der ständigen Rechtsprechung der für das kommunale Gebührenrecht zuständigen Senate des BayVGH (vgl. hierzu Kraheberger in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn 734; BayVGH, U.v. 10.12.1982 – 23 N 81 A.1479 – juris, B.v. 17.3.2022 – 4 ZB 20.199 – juris; offenbar a.A. mit unzutreffendem Verständnis des Satzungsermessens: BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 12 N 18.9 – juris Rn. 76).
52
Der Umstand, dass das Fehlen einer Kalkulation für einen bestimmten Leistungszeitraum im Zeitpunkt des Satzungserlasses nicht ohne Weiteres zur Ungültigkeit des Gebührensatzes führt, bedeutet allerdings nicht, dass sie auch im Falle einer Überprüfung des Satzes stets entbehrlich wäre. Fehlt es ganz oder jedenfalls an einer stimmigen Gebührenkalkulation, geht das zu Lasten des Einrichtungsträgers. Dieser muss spätestens im Gerichtsverfahren eine prüffähige Kalkulation vorlegen, die grundsätzlich den Gebührensatz nach den im Kalkulationszeitraum anfallenden Kosten objektiv rechtfertigt. Es ist nicht Sache des Gerichts, eine „Ersatzkalkulation“ aufzustellen (vgl. hierzu VG Cottbus, B.v. 17.12.2010 – VG 6 L 55/10 – BeckRS 2011, 51010). Gerade im Falle der Nichtigkeit einer Gebührenregelung der Vorgängersatzung, weil diese wegen des Fehlens einer Niederschlagswassergebühr strukturelle Defizite aufwies, ist es unabdingbar, dass bei einem beabsichtigten rückwirkenden Inkrafttreten der Gebührenregelung der Marktgemeinderat eine prüffähige Kalkulation als Grundlage seiner Satzungsentscheidung zur Verfügung hat. Ist dies, wie vorliegend, nicht der Fall, führt dieser Umstand alleine bereits zur Nichtigkeit der Rückwirkungsanordnung (§ 17 BGS-EWS).
53
Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die Übergangsregelung für Altfälle des § 17 BGS-EWS, nach der bestandskräftige Gebührenveranlagungen als abgeschlossen behandelt werden, ohne nachvollziehbare Gebührenkalkulation nicht getroffen werden kann. Denn ohne diese besteht keine sachliche Grundlage für unterschiedliche hohe Gebührensätze im selben Veranlagungszeitraum für bereits bestandskräftig veranlagte Gebührenschuldner und nicht bestandskräftig veranlagte, so dass die Übergangsregelung zudem gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt und das Satzungsermessen damit nicht ordnungsgemäß ausgeübt wurde.
54
bb) Die Rückwirkungsanordnung in § 17 BGS-EWS verstößt zudem gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitete Rückwirkungsverbot.
55
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist ein rückwirkendes Inkrafttreten immer dann zulässig, wenn die neue Satzung dazu dient, eine nichtige Satzung zu ersetzen und damit den dadurch entstandenen rechtsleeren Raum zu überbrücken (BayVGH, U.v. 6.7.2010 – 20 B 10.121 – juris Rn. 24 m.w.N.). Eine Heilung unwirksamer kommunaler Abgabesatzungen kann mit Wirkung für vergangene Zeiträume ohne Verletzung des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes grundsätzlich erfolgen, wenn der mit Rückwirkung versehenen Neuregelung in der Vergangenheit gleichartige Regelungsversuche vorausgegangen sind. Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, von einer solchen Abgabe verschont zu werden, kann dann nicht entstehen. Hat eine Gemeinde ihre Absicht, eine bestimmte Abgabe zu erheben, durch den förmlichen Erlass einer entsprechenden Satzung kundgetan, kann der Bürger, auch wenn er sie für rechtswidrig hält, dementsprechend bekämpft und möglicherweise in einigen Punkten erhebliche Mängel der Abgabesatzung aufzuzeigen vermag, je nach Art und Behebbarkeit dieser Mängel kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, auf Dauer von dieser Abgabe verschont zu bleiben. Sofern diese Gründe für die Rechtswidrigkeit der Satzung in einer Weise behoben werden können, die den Charakter und die wesentliche Struktur der von Anfang an beabsichtigten Abgabe unberührt lässt, steht das durch Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen des Bürgers der rückwirkenden „Reparatur” einer solchen Satzung nicht entgegen. Handelt es sich um eine Beitrags- oder Gebührensatzung, so liegt das Fehlen eines schutzwürdigen Vertrauens auf der Hand, da der Bürger hier Sondervorteile entgegengenommen hat, deren Unentgeltlichkeit er grundsätzlich nicht erwarten kann, und deshalb auf jeden Fall mit einer entsprechenden Vorteilsabschöpfung rechnen muss (BVerfG, B.v. 3.9.2009 – 1 BvR 2384/08 – NVwZ 2010, 313).
56
Darüber hinaus lässt sich kein Rechtssatz herleiten, der in Abgabensachen eine rückwirkende Schlechterstellung einer durch Bescheid zu einer Abgabe herangezogenen Person verbietet, wenn die Nichtigkeit der Ausgangssatzung auf Mängeln der für die Beitragshöhe maßgeblichen Bestimmungen beruhte und das Entstehen einer höheren Beitragspflicht eine unmittelbare Konsequenz der rückwirkenden Beseitigung gerade dieses Fehlers ist. Insoweit muss die Nichtigkeit allerdings positiv festgestellt werden und genügen bloße Zweifel an der Wirksamkeit der Regelung nicht. Auch muss die Beitragserhöhung Folge der rückwirkenden Fehlerbeseitigung sein; sie darf hingegen nicht darauf beruhen, dass die Gemeinde eine Fehlerbeseitigung zum Anlass genommen hat, die bisherige Verteilungsregelung zusätzlich durch den Austausch einer rechtlich unbedenklichen Maßstabskomponente (rückwirkend) zu ändern (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2015 – 9 B 51.14 – juris Rn 10 m.w.N.).
57
Ob diese zum Beitragsrecht ergangene Rechtsprechung vollständig auf das kommunale Gebührenrecht übertragbar ist, kann hier dahinstehen. Denn die Voraussetzungen für eine rückwirkende Abgabeerhöhung sind im hier zu entscheidenden Fall bereits nicht erfüllt. Der maßgebliche Grund für die Nichtigkeit der bis zum Erlass der BGS-EWS vom 13. Dezember 2018 erlassenen Gebührensatzungen war, dass der Beklagte zu Unrecht von der Erhebung einer Einleitungsgebühr für Niederschlagswasser abgesehen hatte (BayVGH, U.v. 27.9.2018 – 20 N 16.1422, 20 N 18.1975 – juris). Das Äquivalenzprinzip und der Gleichheitssatz fordern, dass die Benutzungsgebühr nach dem Umfang der Benutzung bemessen wird, also nicht in einem groben Missverhältnis zu der Leistung der Verwaltung steht. Die Gebühren für die Beseitigung des Niederschlagswassers im Wesentlichen können nur dann wie die Schmutzwassergebühren nach dem Wasserverbrauch bemessen werden, wenn der Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung an den gesamten Entwässerungskosten geringfügig ist, d.h. nicht mehr als 12% beträgt (BVerwG, NVwZ 1985, 496 = Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 53, S. 39; Beschluss vom 2.4.2013 – 9 BN 4.12 – BeckRS 2013, 50106 Rn. 2; Beschluss vom 28.7.2015 – 9 B 17.15 – BeckRS 2015, 50214). Diese Voraussetzungen waren bei der BGS-EWS 2015 und wohl auch bei den vorausgehenden Gebührensatzungen des Beklagten nicht erfüllt, da der Kostenanteil für die Oberflächenentwässerung ca. 29% der Gesamtkosten betrug. Damit kann die Gebührenerhöhung bereits denknotwendig nicht Ursache der Fehlerbeseitigung gewesen sein, ist doch der Kostenanteil für die Oberflächenentwässerung aus den Kosten für die Schmutzwassergebühr herauszurechnen. Etwas Anderes hat der Beklagte auch nicht vorgetragen.
58
b. Soweit der Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2013 eine Wassergebühr in Höhe von 264,29 EUR festgesetzt hat, bleibt die Berufung ebenso erfolglos, weil der Bescheid insoweit rechtswidrig ist. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, erfordert die Erhebung von Benutzungsgebühren grundsätzlich ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis. Nach § 8 der Beitrags- und Gebührensatzung des Beklagten vom 1. Februar 2010 (BGS-WAS) erhebt die Gemeinde für die Benutzung der Wasserversorgungseinrichtung Grundgebühren (§ 9) und Verbrauchsgebühren (§ 10). Ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis besteht nach den §§ 4 und 5 der Wasserabgabesatzung des Beklagten vom 1. Februar 1991 (WAS) zwischen den Grundstückseigentümern als Benutzern und dem Beklagten als Träger der öffentlichen Einrichtung (§ 1 WAS). Ein solches Benutzungsverhältnis besteht unstreitig zwischen den Beteiligten nicht, weil das Grundstück der Klägerin nicht durch die Wasserversorgungsanlage des Beklagten erschlossen ist. Aus § 17 WAS folgt nichts Anderes. Danach legt der Beklagte die weiteren Bedingungen für den Wasserbezug zu sonstigen vorübergehenden Zwecken fest. Eine solche Festlegung, ggf. durch Verwaltungsakt oder öffentlich-rechtlichen Vertrag, ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfolgt, jedenfalls ist hierfür weder etwas vorgetragen noch sonst wie ersichtlich. Damit scheidet eine Gebührenerhebung für den Wasserbezug durch Gebührenbescheid aus.
59
2. Die Anfechtungsklage gegen den Abschlagsbescheid über Abwassergebühren vom 27. Juni 2012 ist dagegen unzulässig. Insoweit ist die Berufung begründet. Die Klägerin ist durch den Abschlagsbescheid nicht mehr beschwert, weil von diesem keine Rechtswirkungen mehr ausgehen.
60
Rechtsgrundlage für die Erhebung von Gebührenvorauszahlungen ist Art. 8 Abs. 7 KAG. Danach können auf die Gebührenschuld aus einem Dauerbenutzungsverhältnis vom Beginn des Erhebungszeitraums an angemessene Vorauszahlungen verlangt werden. Es trifft zwar zu, dass sich nach der Rechtsprechung des Senats zum Beitragsrecht ein Vorauszahlungsbescheid (Art. 5 Abs. 5 KAG) durch den Erlass des endgültigen, nicht bestandskräftigen Herstellungsbeitragsbescheids, wenn die Vorauszahlung entrichtet wurde, nicht erledigt (BayVGH, U.v. 1.3.2012 – 20 B 11.1723 – juris; vgl. dagegen B.v. 15.9.2008 – 20 ZB 08.1701 – juris). Dem lag jedoch eine Fallgruppe zugrunde, in der der endgültige Beitragsbescheid im Gegensatz zum Vorausleistungsbescheid kein Leistungsgebot enthielt, sondern sich auf die Festsetzung der endgültigen Beitragsschuld beschränkte. Diese kasuistische Rechtsprechung aus dem Beitragsrecht ist auf Vorauszahlungen auf Gebührenschulden nicht übertragbar.
61
Ein Gebührenvorauszahlungsbescheid wird durch den Erlass des endgültigen Gebührenbescheids abgelöst. Ihm kommt danach keine Steuerungswirkung mehr zu. Denn der nur vorläufige Charakter der in einem Vorauszahlungsbescheid prognostisch bestimmten Höhe der Gebührenschuld rechtfertigt vielmehr den Schluss, dass ein solcher Bescheid in seinem festsetzenden Teil durch den endgültigen Heranziehungsbescheid bereits mit dem wirksamen Erlass dieses Bescheids abgelöst wird (Albrecht in: Driehaus, Kommunales Abgabenrecht, § 6 Anm. 624b unter Hinweis auf VGH BW, B.v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09 – NVwZ-RR 2011, 210). Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier in § 12 Abs. 1 der BGS-EWS – bestimmt ist, dass die Einleitungsgebühr mit jeder Einleitung von Abwasser in die Entwässerungsanlage entsteht. Anders als im Beitragsrecht wird also die Vorauszahlung auf eine bereits entstandene Abgabe entrichtet.
62
3. Die von der Klägerin erhobene allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf die Erstattung der von ihr geleisteten Abwassergebühren, ist unzulässig. Trotz Hinweises des Senats hat die Klägerin eine Umstellung ihres Klageantrags auf eine Verpflichtungsklage abgelehnt und weiterhin mit ihrem Klageantrag auf einer allgemeinen Leistungsklage beharrt.
63
Richtig ist zwar, dass es nach § 113 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 VwGO zulässig ist, neben der Anfechtungsklage die Klage auf Erstattung des Geleisteten im Wege der Stufenklage zu verbinden (BVerwG, U.v. 27.11.2019 – 9 C 4.19 – juris; vgl. auch zu § 100 Abs. 4 FGO: BFH, U.v. 13.7.1989 – IV B 44/88 – juris). Diese Vorschriften regeln allerdings nicht die Statthaftigkeit einer allgemeinen Leistungsklage im Wege einer Stufenklage, sondern die mögliche Verbindung der Anfechtungsklage mit einer allgemeinen Leistungsklage oder einer Verpflichtungsklage; je nachdem welche der Leistungsklagen statthaft ist. Sinn des § 113 Abs. 4 VwGO ist, den Anfechtungsrechtsstreit und den davon abhängigen Streit über den Leistungsanspruch in einem Verfahren zusammenzufassen und dadurch die Gerichte und die Beteiligten zu entlasten. Dieses Ziel ist nur zu erreichen, wenn die Leistungsklage – auch soweit sie auf eine Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsakts geht – vor Rechtskraft der Entscheidung über das Grundverhältnis und ohne Durchführung eines eigenen Vorverfahrens zugelassen wird (BVerwG, U.v. 17.2.2000 – 3 C 11.99 – juris Rn. 12).
64
Weiter ist zu beachten, dass § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO keinen Folgenbeseitigungsanspruch begründet, sondern diesen voraussetzt (BVerwG, B.v. 2.12.2015 – 6 B 33.15 – juris; Schübel-Pfister in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 33,). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, U.v. 7.2.2002 – VII R 33/01 – BFHE 197, 569, BStBl II 2002, 447) kommt ein Erstattungsanspruch in Abgabeangelegenheiten aber nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 AO erfüllt sind (BFH, B. v. 3.9.1992 – XI B 43/92 – juris). Über den Erstattungsanspruch entscheidet die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 2 AO. Ein Anspruch aus § 812 BGB analog bzw. der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch kommt daneben nicht in Betracht, weil der Erstattungsanspruch in Abgabenangelegenheiten durch besondere Vorschriften des öffentlichen Rechts abschließend geregelt ist (vgl. BFH, U.v. 25.7.1995 – VII R 71/94 – juris).
65
Durch die Übernahme dieser Bestimmungen des Steuerschuldrechts durch Art. 13 KAG in das bayerische Kommunalabgabenrecht setzt auch der Erstattungsanspruch nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2. b), Nr. 5. a) KAG grundsätzlich voraus, dass der Erstattungsanspruch durch Abrechnungsbescheid festgesetzt wird (BayVGH, B.v. 25.08.2016 – 20 CS 16.1469 – juris; U.v. 5.12.2014 – 4 B 14.435 – BeckRS 2014, 59718 Rn. 19). Soweit hiergegen angeführt wird, dass die Abgabenordnung vorliegend nur über Art. 13 Abs. 1 KAG als Landesrecht anwendbar sei und demgegenüber die bundesrechtliche Vorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO Vorrang habe (vgl. OVG M-V, U.v. 15.12.2009 – 1 L 167/08 – juris Rn. 30), verkennt diese Auffassung, dass eine prozessuale Bundesnorm keine Regelung des Abgabeschuldrechts modifizieren kann. Ein Vorverfahren ist in Bayern zudem aufgrund der fakultativen Regelung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGVwGO nicht erforderlich. Damit handelt es sich bei den genannten Vorschriften nicht um kollidierende Normen im Sinne des Art. 31 GG, denn sie haben jeweils eigenständige, abgegrenzte Regelungsbereiche.
66
Entgegen der Auffassung der Klägerin steht dem nicht die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2019 (Az.: 9 C 4.19 – BVerwGE 167, 137-147) entgegen. Es trifft zwar zu, dass das Bundesverwaltungsgericht in diesem Verfahren die zuständige Steuerbehörde unmittelbar zur Erstattung der erhobenen Zweitwohnungssteuer verurteilt hat. Der Entscheidung lag jedoch ein Fall aus Schleswig-Holstein zugrunde. Im Kommunalabgabengesetz des Landes Schleswig-Holstein (KAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 2005 ist in § 11 Abs. 1 lediglich geregelt, dass auf die Festsetzung und Erhebung von kommunalen Abgaben das Landesverwaltungsgesetz Anwendung findet. Im Übrigen ist die Abgabenordnung sinngemäß anzuwenden. Insoweit ist die Rechtslage in Bayern und in Schleswig-Holstein nicht vergleichbar.
67
Letztlich bestehen aus prozessökonomischer Sicht auch grundsätzliche Bedenken, eine allgemeine Leistungsklage auf Erstattung ohne vorherige Festsetzung durch einen Abrechnungsbescheid zuzulassen. Gerade im kommunalen Abgabenrecht ist es der Abgabebehörde möglich, auch nach einem verlorenen Anfechtungsprozess Satzungsfehler zu berichtigen und vor Ablauf der Festsetzungsfrist einen neuen Bescheid zu erlassen. In einem solchen Fall widerspräche es der Prozessökonomie, unmittelbar zur Erstattung zu verurteilen, wenn die Abgabe hernach erneut entrichtet werden müsste.
68
Damit setzt der Erstattungsanspruch grundsätzlich eine Entscheidung durch Abrechnungsbescheid voraus, die im Wege der Verpflichtungsklage herbeigeführt werden kann (vgl. hierzu auch BFH, U.v. 12.6.1986 – VII R 103/83 – NVwZ 1987, 87; B.v. 3.7.1992 – XI B 43/92 – juris). Die von der Klägerin erhobene allgemeine Leistungsklage ist gegenüber der Verpflichtungsklage subsidiär und folglich nicht statthaft.
69
4. Für die von der Klägerin erhobene und fortgeführte allgemeine Leistungsklage auf Zahlung von Prozesszinsen gilt nichts Anderes. Auch sie ist unzulässig, weil die Prozesszinsen hier durch die Abgabebehörde von Amts wegen festgesetzt werden (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 b) dd), 4 b) aa) KAG, § 239 Abs. 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1AO). Die statthafte Klageart ist damit die Verpflichtungsklage (BFH, U.v. 29.6.1971 – VII K 31/67 – BeckRS 1971, 22001104) mit dem Ziel, den Beklagten zu verpflichten, bis zum Tag der Erstattung Prozesszinsen festzusetzen (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2019 – 9 C 4.19 – BVerwGE 167, 137). Damit scheidet eine allgemeine Leistungsklage auf Zahlung von Prozesszinsen auch aus prozesspraktischen Gründen aus, denn das Gericht ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage, den konkreten Zinsbetrag bis zum Tag der Auszahlung durch die Abgabebehörde zu beziffern.
70
Die Klage ist aber auch insoweit unbegründet. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Erstattungszinsen beruht auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 b) bb) KAG i.V.m. § 236 Abs. 1 AO. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 b) dd) KAG wurde jedoch durch § 1 Nr. 9 b) bb) bbb) des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 11. März 2014, GVBl. S. 69, dahingehend geändert, dass die Höhe der Zinsen abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich beträgt. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge nach § 236 Abs. 1 AO (i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 b) bb) KAG) erst mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bzw. des Widerspruchsbescheides, die den zu verzinsenden Erstattungsanspruch begründen, entstehen (BVerwG, U.v. 23.03.2017 – 9 C 1.16 – juris Rn. 15). Nachdem der Gesetzgeber mit Art. 19 KAG Übergangsregelungen für Gesetzesänderungen getroffen hat, jedoch dort keine Bestimmung für die genannte Änderung vorgesehen ist, wird das so gefundene Ergebnis bestätigt.
71
5. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO. Der Streitwert ergibt sich aus §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Klage auf Erstattung war im Rahmen der Kostenentscheidung nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, weil sie neben der Anfechtungsklage keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung hat (§ 39 Abs. 1GKG). Prozesszinsen sind als Nebenforderungen nach § 43 Abs. 1 GKG nicht zu berücksichtigen.
72
6. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Revisionsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).