Titel:
			Widerspruchsbescheid, Anspruch auf Krankengeld, Elektronischer Rechtsverkehr, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Medizinische Rehabilitation, Gerichtsbescheid, Sozialgerichte, Ärztliches Gutachten, Unterbliebene Anhörung, Krankengeldanspruch, Verwaltungsakt, Sozialgerichtsgesetz, Kostenentscheidung, Berufungsschrift, Rechtswidrigkeit, Maßgeblicher Zeitpunkt, Rechtsmittelbelehrung, Mitwirkung ehrenamtlicher Richter, Elektronisches Dokument, Ermessensfehler
			Schlagworte:
			Anfechtungsklage, Rechtmäßigkeit des Bescheids, Heilung von Verfahrensfehlern, Erwerbsfähigkeitsgefährdung, Sozialmedizinisches Gutachten, Ermessensausübung, Krankengeldanspruch
			Rechtsmittelinstanz:
			LSG München, Urteil vom 19.05.2025 – L 20 KR 186/23
			Fundstelle:
			BeckRS 2023, 56697
		 
		 
		Tenor
		
			
			I.Die Klage wird abgewiesen.
		 
		
			
			II.Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.  
		 
		Tatbestand
		
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			Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Krankengeld über den 17.11.2022 hinaus.
		 
		
			2
			Die 198x geborene Klägerin ist wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld bei der Beklagten pflichtversichertes Mitglied. Bei ihr bestand ab 25.02.2022 Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome. Die Beklagte zahlte nach Ablauf der Leistungsfortzahlung ab dem ab 08.04.2022 Krankengeld in Höhe von 39,62 € täglich.
		 
		
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			C vom MD stellte im Rahmen eines sozialmedizinischen Kurzgutachtens nach Aktenlage vom 01.09.2022 fest, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei als erheblich gefährdet anzusehen. Die medizinischen Voraussetzungen zur Anwendung des § 51 Abs. 1 SGB V seien erfüllt.
		 
		
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			Die Beklagte schränkte mit Bescheid vom 05.09.2022 das Dispositionsrecht der Klägerin ein und forderte sie auf, einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bis zum 17.11.2022 zu stellen. Nach Abwägung aller Umstände sei sie zu dem Ergebnis gekommen, medizinische Gesundheitsmaßnahmen einzuleiten. Aufgrund gesetzlicher Vorschriften ruhe der Krankengeldanspruch, wenn die Klägerin innerhalb der Frist von zehn Wochen keinen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation stellen oder den Antrag ohne Zustimmung zurücknehme oder ändere sowie eine Rehabilitationsmaßnahme nicht antrete, verschiebe oder eigenmächtig abbreche.
		 
		
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			Deswegen erhob die Klägerin Widerspruch (Schreiben vom 30.09.2022).
		 
		
			6
			Mit Schreiben vom 09.10.2022 bestätigte die Beklagte den Eingang des Widerspruchs und teilte mit, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen werde, erhalte sie Gelegenheit sich zur der Aufforderung zu einem Antrag auf Rehabilitationsleistungen zu äußern.
		 
		
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			Die Klägerin widerrief eventuell erteilte Einwilligungen und untersagte der Beklagten die Weitergabe von Daten (Schreiben vom 08.11.2022). Zu der Aufforderung der Beklagten äußerte sie sich nicht.
		 
		
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			Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2022 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin habe trotz Hinweis auf die Folgen keinen formellen Rehabilitationsantrag gestellt. Nach übereinstimmender Einschätzung des MD und des behandelnden Nervenarztes sei ihre Erwerbsfähigkeit als erheblich gefährdet anzusehen.
		 
		
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			Mit der hiergegen zum Sozialgericht Würzburg erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Entscheidung der Beklagten sei nichtig: Die Schreiben der Beklagten seien nicht unterschrieben. Die Beklagte sei in einem internationalen Firmenregister gelistet und sei umsatzsteuerpflichtig.
		 
		
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			Im Rahmen der Klageerwiderung hat die Klägerin mit Schreiben vom 15.02.2023 mitgeteilt, über den 17.01.2023 hinaus werde trotz der Anfechtungsklage kein Krankengeld mehr ausgezahlt.
		 
		
			11
			Am 01.03.2023 hat die Klägerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht gestellt mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, Krankengeld vorläufig weiter zu zahlen. Das Sozialgericht Würzburg hat den Antrag mit Beschluss vom 20.03.2023 abgelehnt, da die Klägerin eine Eilbedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht habe (Az. S 11 KR 69/23 ER).
		 
		
			12
			Die Beklagte hat am 02.03.2023 ihrerseits die sofortige Vollziehung ihres Bescheids bis zur Entscheidung in der Hauptsache beantragt. Den Antrag hat das Sozialgericht Würzburg mit Beschluss vom 20.03.2023 ebenfalls abgelehnt (Az. S 11 KR 74/23 ER).
		 
		
			13
			Die Klägerin beantragt,
		 
		
			
			den Bescheid vom 05.09.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2022 aufzuheben.
		 
		
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			Die Beklagte beantragt,
		 
		
		
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			Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
		 
		
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			Mit Schreiben vom 08.03.2023 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und hat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
		 
		
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			Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Prozessakte Bezug genommen.
		 
		Entscheidungsgründe
		
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			Die reine Anfechtungsklage, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist unbegründet. Der Bescheid vom 05.09.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
		 
		
			19
			Das Gericht konnte hierüber gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten angehört wurden.
		 
		
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			1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 05.09.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2022, mit dem die Beklagte die Klägerin aufgefordert hat, innerhalb von zehn Wochen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 51 Abs. 1 SGB V zu stellen.
		 
		
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			a. Die Aufforderung ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat die Beklagte die zunächst unterbliebene Anhörung mit Schreiben vom 09.10.2022 nachgeholt. Mithin ist der Fehler nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt. Ferner ergibt sich die Rechtswidrigkeit nicht aus der fehlenden Unterschrift, da bei einem Verwaltungsakt, der – wie hier – mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen können (vgl. § 33 Abs. 5 SGB X).
		 
		
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			b. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
		 
		
			23
			aa. Rechtsgrundlage für die Aufforderung ist § 51 Abs. 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift kann die Krankenkasse Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen haben (§ 51 Abs. 1 SGB V). Stellen Versicherte innerhalb der Frist den Antrag nicht, entfällt nach § 51 Abs. 3 Satz 1 SGB V der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist. Wird der Antrag später gestellt, lebt der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tag der Antragstellung wieder auf (§ 51 Abs. 3 Satz 2 SGB V).
		 
		
			24
			Die Berechtigung der Krankenkasse, Versicherte zur Stellung eines Reha-Antrages aufzufordern, dient dazu, mittels Leistungen der medizinischen Rehabilitation die Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beseitigen. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, wonach die Leistungen zur Teilhabe Vorrang haben vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind (BSG, U.v. 16.12.2014 – B 1 KR 31/13 R – BSGE 118, 40).
		 
		
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			bb. Diese Voraussetzungen sind erfüllt:
		 
		
			26
			Denn zur Überzeugung der Kammer ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin erheblich gefährdet. Dies ergibt sich aus dem schlüssigen Gutachten des MD vom 01.09.2022. Auch der behandelnde Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie D bestätigt die Einschätzung.
		 
		
			27
			Das sozialmedizinische Gutachten vom 01.09.2022 genügt den formellen Anforderungen an ein ärztliches Gutachten im Sinne von § 51 SGB V.
		 
		
			28
			Die Beklagte hat der Klägerin eine Frist von zehn Wochen (nämlich bis zum 17.11.2022) zur Antragstellung eingeräumt und sie über die Rechtsfolgen nach Abs. 3 ordnungsgemäß belehrt. Das ihr insoweit eingeräumte Ermessen hat sie erkannt. Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage für die gerichtliche Entscheidung ist dabei der Erlass des Widerspruchsbescheids (vgl. MKLS/Keller, 13. Aufl. 2020, SGG § 54 Rn. 33). Aus diesem Grund kann der Beklagten ein Ermessenfehler nicht vorgeworfen werden, wenn die Klägerin erstmals im Gerichtsverfahren – ohne Nachweise – vorträgt, ein Antigen-Test sowie das Tragen einer Maske stelle für sie einen unzumutbaren schmerzhaften Eingriff dar, der auch Panik zur Folge hätte.
		 
		
			29
			Nach § 51 Abs. 3 Satz 1 SGB V entfällt der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf des 17.11.2022, da die Klägerin der Aufforderung der Beklagten nicht rechtzeitig nachgekommen ist. Sofern die Klägerin den Antrag auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation stellt, lebt der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tag der Antragstellung wieder auf (§ 51 Abs. 3 Satz 2 SGB V).
		 
		
			30
			Sofern die Klägerin darauf abstellt, die Beklagte sei in einem internationalen Firmenverzeichnis gelistet und sei umsatzsteuerpflichtig, sind diese Umstände offensichtlich keine Gründe, um die Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Beklagten zu begründen.
		 
		
			31
			2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.