Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 13.12.2023 – 21 O 661/22 Öff
Titel:

Keine Verletzung einer gemeindlichen Verkehrssicherungspflicht bei einem Unfall auf einem freizugänglichen Wiesengelände

Normenkette:
BayStrWG Art. 6
Leitsätze:
1. Die Klägerin hat den ihr obliegenden Nachweis einer Widmung im Sinne des BayStrWG nicht erbracht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei O.St.M. um eine freie Geodatenbank handelt, bei der jeder registrierte Benutzer Eintragungen vornehmen kann, die nicht zwingend den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen müssen.  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es würde die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht überspannen, wenn der Gemeinde mit Rücksicht auf eine diesbezügliche Unfallgefahr auferlegt würde, Fußgänger vom Betreten eines ansonsten frei zugänglichen Wiesengeländes vom öffentlichen Weg aus abzuhalten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ebenso kann von der Gemeinde nicht erwartet werden, dass sie Kontrollen durchführt und geeignete Maßnahmen ergreift, um jederzeit zu verhindern, dass Fußgänger in einem vom öffentlichen Weg aus frei zugänglichen Wiesengelände wegen Gefahrenstellen wie Erdlöchern oder Unebenheiten zu Schaden kommen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrssicherungspflicht, Erdloch, Gemeinde, Sportplatz, Geodatenbank, Widmung, Wiese, Fußweg, Verbindungsweg, Gefahrenquelle
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50523

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf eingangs 6.700,00 € und ab 08.09.2023 auf 5.924,11 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen einer Verletzung, die sie sich am 25.02.2022 als Fußgängerin auf dem Gebiet der beklagten Gemeinde zugezogen hat.
2
Am Nachmittag des 25.02.2022 war die Klägerin im Zusammenhang mit einer Kindergeburtstagsfeier zu Fuß im Gemeindegebiet der Beklagten unterwegs. Sie bog in … vom …-Weg aus in einen kurzen gepflasterten Weg ab, der zum Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr (…-Weg X) führt (vgl. erstes Lichtbild aus der Anlage K3), lief an der linken Seite des Feuerwehrgebäudes und an dem sich anschließenden Stromhäuschen vorbei – im dortigen Bereich endet die Pflasterung und beginnt unbefestigtes Wiesengelände –, und gelangte so zu ihrem Ziel, nämlich dem hinter dem Feuerwehrgebäude gelegenen Sportplatz, der in Gras- oder Wiesengelände besteht (vgl. zweites Lichtbild aus der Anlage K3). Dieser steht im Eigentum der Gemeinde und ist an den Sportverein verpachtet.
3
Auf Karten des Anbieters O.St.M. ist ein vom …-Weg am Feuerwehrgebäude vorbeiführender Fußweg (gestrichelte Linie) eingezeichnet, der sich in nordöstliche Richtung am Sportplatz entlang zur gegenüberliegenden Seite des Sportplatzes, wo sich ein geschotterter Weg befindet, fortsetzt (Anlage K2). Die Beklagte bindet derartige Karten in ihren offiziellen Internetauftritt ein (vgl. die bei den Klägeranlagen befindlichen beiden Screenshots).
4
Die Klägerin behauptet, sie habe gegen 16:30 Uhr das Sportgelände verlassen und dieselbe Strecke zurücklaufen wollen. Dabei sei sie kurz vor dem Erreichen des gepflasterten Bereichs am Stromhäuschen, also noch im Bereich des Wiesengeländes, mit dem rechten Fuß in ein dort vorhandenes Erdloch von ca. 40 cm Breite und ca. 20 cm Tiefe getreten und gestürzt. Das Erdloch sei ihr auf dem Hinweg nicht aufgefallen; es sei für sie wegen Grasbewuchs und herumliegender dürrer Blätter nicht erkennbar gewesen. Sie habe sich bei dem Sturz erhebliche Verletzungen zugezogen (Sprunggelenksdistorsion mit gerissenem Außenband sowie Schädigung / Störung der Gelenkfunktion einschließlich des zugehörigen Kapsel-Band-Apparates und der umgreifenden Muskulatur). Sie sei vom 25.02.2022 bis 15.04.2022 erkrankt gewesen. Auch aktuell bestünden noch Beeinträchtigungen und regelmäßige Schmerzen; voraussichtlich müsse eine Operation zur Abschabung von Heilungsnarben an den Bändern durchgeführt werden.
5
Der Bereich, auf dem die Klägerin gestürzt sei, sei als Fußweg gewidmet, der vom Feuerwehrgelände (…-Weg X) zum gemeindlichen Kindergarten führe und überdies als Verbindungsweg vom Unterdorf ins Oberdorf diene. Dies ergebe sich bereits aus dem in die offizielle Internetseite der Beklagten eingebundenen Kartenmaterial. Es handle sich um einen Teil der Baumaßnahme „Barrierefreie Gestaltung des …-Weges“ (Mitteilungsblatt, Anlage K5). Zudem gebe es dort öffentliche Aushangkästen, Sitzmöglichkeiten und einen Brunnen. Mit dem nicht erkennbaren Erdloch als Gefahrenquelle habe die Klägerin an der Unfallstelle nicht rechnen müssen.
6
Die Klägerin meint, es liege eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten vor. Es habe sich um keine ortsübliche Unebenheit gehandelt, sondern um ein massives Loch, das nicht erkennbar gewesen sei. Es sei Aufgabe der Gemeinde, derartige Gefahrenquellen durch geeignete Maßnahmen zu verhindern. Bei der Gemeinde seien Schäden im dortigen Bereich ausweislich Mitteilungsblatt vom 01.06.2019 bekannt gewesen. Dies ergebe sich aus dem Mitteilungsblatt (vgl. Anlage K6 Ziff. 10. g)).
7
Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € für angemessen. Darüber hinaus begehrt sie Schadensersatz in Höhe von zuletzt 924,11 € (Schriftsatz vom 07.09.2022, Bl. 12 d.A.).
8
Die Klägerin beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu bezahlen.
II.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aus Anlass des Unfalls vom 25.07.2022 Schadenersatz in Höhe von 924,11 € zu bezahlen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, vorgerichtliche Anwaltskosten aus einem Streitwert von 6.700,00 € in Höhe von 713,76 € zu bezahlen.
9
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
10
Die Unfallstelle liege abseits jeglichen öffentlichen Wegs. Es handle sich, soweit auf Höhe des Stromhäuschens Pflastersteine verlegt sind, lediglich um eine Zugangsmöglichkeit zum Stromhäuschen für die Mitarbeiter des Bayernwerks. Dieser schmale Bereich sei erkennbar nicht der Öffentlichkeit gewidmet. Auch handle es sich um keinen offiziellen Zugang zum Sportplatz. Auf die Eintragung von Fußwegen in „O.St.M.“, die jedermann vornehmen könne, habe die Beklagte keinen Einfluss. Die von der Klägerin gewählte Route sei auch kein Teil der örtlichen Wanderwege. Die Klägerin sei nach alledem abseits offizieller Wege unterwegs gewesen und hätte jederzeit mit Gefahrenstellen rechnen müssen.
11
Selbst wenn es sich um einen der Öffentlichkeit gewidmeten Weg handeln würde, liege keine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten vor, weil sich die angebliche Unfallstelle im unbefestigten Wiesengelände befinde, wo jederzeit Unebenheiten vorkommen könnten und die Benutzer daher angehalten seien, verstärkt auf den Untergrund zu achten.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
13
Es ist Beweis erhoben worden durch Einnahme eines Augenscheins in … am …-Weg auf Höhe Feuerwehrgebäude und im Bereich des dahinter befindlichen Sportgeländes. Die Klägerin und der erste Bürgermeister der Beklagten wurden informatorisch angehört. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Eine vorwerfbare Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten liegt nicht vor.
15
Das Gericht hat keinen Zweifel, dass die Klägerin am 25.02.2022 auf dem Gemeindegebiet der Beklagten wegen eines Erdlochs im Gelände unmittelbar hinter dem Anwesen der Freiwilligen Feuer … (…-Weg X) gestürzt ist und sich erhebliche Verletzungen am Fuß zugezogen hat. Die Klägerin hat den Hergang des Vorfalls im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung glaubhaft und nachvollziehbar geschildert.
16
Die Klägerin hat jedoch den ihr obliegenden Nachweis, dass es sich bei der betreffenden Stelle bzw. bei der Route, die von der Klägerin seinerzeit als Fußgängerin begangen wurde – vom …-Weg am Anwesen der Freiwilligen Feuerwehr und an dem sich unmittelbar anschließenden Stromhäuschen vorbei und weiter zum Sportgelände, bzw. zurück – um einen öffentlichen Weg der beklagten Gemeinde handelt, nicht erbracht.
17
Dies kann insbesondere nicht aus einer diesbezüglichen Widmung (Art. 6 BayStrWG) hergeleitet werden.
18
Die Beklagte hat eine entsprechende Widmung substantiiert bestritten.
19
Die Klägerin hat den ihr obliegenden Nachweis einer Widmung im Sinne des BayStrWG nicht erbracht.
20
Eine entsprechende Widmung lässt sich insbesondere nicht der von der Klägerin vorgelegten Anlage K5 – Amtliches Mitteilungsblatt der Beklagten vom 01.05.2018 mit Bekanntmachung der Baumaßnahme „Barrierefreie Gestaltung des …-Wegs“ – entnehmen. Ausweislich der im Mitteilungsblatt veröffentlichten Planzeichnung betraf diese Baumaßnahme ausschließlich die Neupflasterung des …-Wegs und seiner Abzweigungen zu den Anwesen der Freiwilligen Feuerwehr und des Kindergartens. Auch in der im Mitteilungsblatt enthaltenen Erläuterung der Maßnahme wird dies ausdrücklich ausgeführt. Der Unfall ereignete sich aber weder auf dem …-Weg, noch auf der gepflasterten Abzweigung zum Feuerwehrhaus, sondern dahinter auf dem naturgemäß ungepflasterten Wiesengelände, das zum Sportplatz gehört oder in diesen übergeht, und zu dem die Veröffentlichung keine Aussage trifft.
21
Nach dem Ergebnis des Augenscheins vom 16.11.2023 kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Unfallstelle in einem Bereich befindet, der Teil eines etwa von der Beklagten geduldeten, faktisch frequentierten Verbindungswegs wäre.
22
Im Rahmen des Augenscheins wurde festgestellt, dass aufgrund der örtlichen Verhältnisse zwar die Möglichkeit besteht, vom …-Weg aus über den gepflasterten Abzweig zum Feuerwehrhaus und an diesem und dem sich anschließenden Stromhäuschen vorbei durch eine verhältnismäßig schmale, nicht abgesperrte Lücke ungehindert auf unbefestigtes Wiesengelände und zum hiervon nicht durchgängig klar abgegrenzten Sportplatz zu gelangen, beziehungsweise über den an die Stirnseite des Sportplatzes zwischen Absperrgeländern und Ballfangzaun sich unmittelbar anschließenden Wiesenstreifen weiter zu dem entlang der gegenüberliegenden Längsseite des Sportplatzes verlaufenden gepflasterten bzw. geschotterten Weg zu gehen. Indessen stellt ein begehbarer Wiesenstreifen keinen Weg dar, wenn es, wie hier, an Indizien, die auf das Vorhandensein eines Wegs hindeuten könnten, gänzlich fehlt. Im Rahmen des Augenscheins konnte in dem seitlichen Wiesenstreifen kein Trampelpfad festgestellt werden, geschweige denn ein ausgetretener, bewuchsfreier Pfad, wie er sich bei häufiger Fußgängerfrequenz in Wiesen zu bilden pflegt. Auch sonstige Anzeichen, die auf das Vorhandensein eines Wegs im dortigen Bereich hindeuten könnten – etwa entsprechende Ausschilderung oder aufgestellte gemeindliche Sitzbänke – waren nicht vorhanden. Auch konnten dort weder Aushangkästen, noch ein von der Gemeinde aufgestellter Brunnen festgestellt werden. Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Unfallstelle im Bereich eines faktisch frequentierten Wegs der beklagten Gemeinde befindet.
23
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in dem von der Klägerin als Anlage K2 vorgelegten Auszug aus dem öffentlichen Internet-Dienst O.St.M. im Bereich des seitlichen Wiesenstreifens im Sinn einer gedachten Verlängerung des gepflasterten Abzweigs zum Feuerwehranwesen und am Stromhäuschen vorbei ein Fußweg (gestrichelte Linie) eingezeichnet ist, der zur gegenüberliegenden Seite des Sportplatzes führt. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei O.St.M. um eine freie Geodatenbank handelt, bei der jeder registrierte Benutzer Eintragungen vornehmen kann, die nicht zwingend den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen müssen. Beim Augenschein konnte, wie oben ausgeführt, in der Natur gerade kein Wegverlauf festgestellt werden.
24
Die Beklagte haftet schließlich auch nicht etwa unter dem von den Parteien nicht erörterten, aber nach Sachlage gleichwohl zu bedenkendem Gesichtspunkt, dass am Ende der Pflasterung des Abzweigs zum Feuerwehrhaus auf Höhe des Stromhäuschens keine Absperrung angebracht ist, die Fußgänger davon abhalten würde, durch den dortigen schmalen Durchgang weiter zum Sportplatz zu laufen. Wie im Rahmen des Augenscheins festgestellt wurde, ist das durchgängig aus Wiese bestehende Sportgelände, das sich hinter dem …-Weg befindet, von allen Seiten frei zugänglich. Unebenheiten und Gefahrenstellen wie etwa auch Erdlöcher, die durch Wühlmäuse, Maulwürfe o.ä. und im Siedlungsbereich mitunter auch durch spielende Kinder oder grabende Hunde verursacht werden, treten – was allgemein bekannt ist – in Wiesengelände nicht gänzlich selten auf. Es würde die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht überspannen, wenn der Gemeinde mit Rücksicht auf eine diesbezügliche Unfallgefahr auferlegt würde, Fußgänger vom Betreten eines ansonsten frei zugänglichen Wiesengeländes vom öffentlichen Weg aus abzuhalten.
25
Ebenso kann von der Gemeinde nicht erwartet werden, dass sie Kontrollen durchführt und geeignete Maßnahmen ergreift, um jederzeit zu verhindern, dass Fußgänger in einem vom öffentlichen Weg aus frei zugänglichen Wiesengelände wegen Gefahrenstellen wie Erdlöchern oder Unebenheiten zu Schaden kommen.
26
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Erdloch für die Klägerin wegen Grasbewuchs und herumliegenden dürren Blättern nicht oder nur schwer erkennbar war. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass selbst im Fall einer Öffnung für den Verkehr in der Regel keine Vorkehrungen getroffen werden müssen, um schwer oder gar nicht erkennbare Erdlöcher in Wiesengelände aufzuspüren und zu beseitigen, wenn, wie hier, in der Natur kein erkennbarer Wegverlauf vorhanden ist.
27
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, ausweislich Mitteilungsblatt der Beklagten vom 01.06.2019 (Anlage K6, dort Ziff. 10. g)) seien Gefahrenstellen im dortigen Bereich bekannt gewesen, ist darauf zu verweisen, dass im Mitteilungsblatt lediglich ein Hinweis der Gemeinderätin … auf erste Schäden am neugestalteten …-Weg wiedergegeben wird. Der Unfall der Klägerin hat sich jedoch nicht auf dem …-Weg und auch nicht auf einem gepflasterten Abzweig desselben ereignet, sondern auf dem hinter dem …-Weg gelegenen Wiesengelände.
28
Der bedauerliche Unfall der Klägerin begründet nach alledem keine Haftung der Beklagten.
29
Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO. Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO festgesetzt.