Titel:
Erfolgloser Antrag im einstweiligen Rechtsschutz: Kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot bei Einhalten der Abstandsflächen und Befreiung von Baugrenzen
Normenketten:
VwGO § 80a Abs. 3 S. 2
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
Leitsätze:
1. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, von Veränderungen auf Nachbargrundstücken, jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung oder Einsichtsmöglichkeiten in sein Grundstück verschont zu bleiben. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots und konkret eine erdrückende Wirkung durch das Bauvorhaben scheidet in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Prüfungsmaßstab betreffend die konkrete Nachbarbeeinträchtigung (hier: im Hinblick auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots) bleibt unabhängig von der Zuordnung des Vorhabengrundstücks zu einem Planbereich oder zum unbeplanten Innenbereich und damit unabhängig von der Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans unverändert. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Maß der baulichen Nutzung (§ 16 BauNVO) und Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) entfalten grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung, sodass eine Befreiung von diesen mithin nicht per se durch den Nachbarn gerügt werden kann. Derartige Festsetzungen vermitteln Drittschutz nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Planbereich, Rücksichtnahmegebot, Abstandsfläche, Baugrenze, Befreiung, Drittschutz, einstweiliger Rechtsschutz, Maß baulicher Nutzung, nachbarschützende Wirkung, erdrückende Wirkung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.03.2024 – 1 CS 24.4
Fundstelle:
BeckRS 2023, 42017
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2 zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag auf Eilrechtsschutz gegen eine den Beigeladenen zu 1 und 2 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage.
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Die Baugenehmigung bezieht sich auf das Grundstück FlNr. .../7, Gemarkung … (i.F. Vorhabengrundstück). Der Antragsteller ist Eigentümer des unbebauten Grundstücks FlNr. .../8, Gemarkung …, welches südöstlich an das Vorhabengrundstück angrenzt, sowie des Grundstücks FlNr. .../9, Gemarkung …, welches, wiederum südöstlich angrenzend, mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. ... „… Strasse“ in …, 2. Änderung.
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Mit Bescheid vom 9. März 2023 erteilte der Antragsgegner den Beigeladenen zu 1 und 2 nach Erteilung des Einvernehmens durch die Gemeinde die streitgegenständliche Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage. Mit Bescheid vom 17. November 2023 wurde zudem eine Tekturgenehmigung mit Blick auf einen zusätzlichen Kellerraum und einen Lichtschacht erteilt. Auf die genehmigten Bauvorlagen wird Bezug genommen.
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Der Antragsteller hat durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 15. Mai 2023 Klage gegen die Baugenehmigung vom 9. März 2023 erhoben (M 9 K 23.2428) und beantragt mit weiterem Schriftsatz vom 11. August 2023:
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Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 15.05.2023 gegen die Baugenehmigung des Landratsamtes P. vom 09.03.2023, Az. … wird wiederhergestellt [gemeint ist: angeordnet].
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Baugenehmigung rechtswidrig und der Antragsteller in seinen Rechten verletzt sei, da gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen werde. Dem Antragsteller und seinen Nachbarn sei von der Gemeinde aufgegeben worden, die Grundstücke auf das Niveau der Straße (bzw. auf ein Niveau von einer Stufe über Straße) abzutragen. Dem seien der Antragsteller und die Nachbarn nachgekommen. Die im Klageverfahren beigeladene Gemeinde habe den Bebauungsplan für den gegenständlichen Bereich mehrmals geändert. In dem Ursprungsplan sowie in der ersten Änderung sei zu der Höhenlage bzw. den Höhen festgesetzt worden: „4.1: Die Oberkante des EG-Rohfußbodens darf max. 0,30 cm über der Oberkante Straße bzw. max. 0,20 m über dem natürlichen Gelände an der Hangseite liegen“. Die Grundstücke des Antragstellers seien im nordöstlichen Bereich, also zur Straße hin, zunächst relativ eben auf dem Niveau der Höhe der Straße und stiegen mit einem Abstand von etwa 5 m von der Straße nach Südwesten stark an. Da der relativ ebene Bereich zur Straße auch aufgrund der festgesetzten Baugrenzen für eine Bebauung zu klein gewesen sei, habe der Kläger das Gelände auf Straßenniveau bis max. 30 cm über diesem Niveau abgraben müssen. Nachdem der Antragsteller gebaut habe, sei der Bebauungsplan geändert worden. Festgesetzt sei nunmehr: „4.2: die OK EG RFB darf straßenseitig max. 0,30 m über der Oberkante Straße, bezogen auf das dem Hauseingang am nächsten gelegene Straßenniveau liegen bzw. darf die OK EG RFB bergseitig (westseitig) max. 0,20 m über dem höchsten Punkt des natürlichen Geländes liegen“. Die Änderungen seien nichtig, da die Belange der benachbarten Grundstückseigentümer, die bereits massive Geländeveränderungen durchgeführt hätten und deren Grundstücke nun von dem deutlich höher gelegenen Anwesen des Beigeladenen „überdroht“ würden, nicht in die Abwägung einstellt worden seien. Die Grundstücke müssten nun nicht mehr abgetragen werden. Die Bebauung liege daher nun schon deshalb höher als zuvor. Hinzu komme, dass die Oberkante Rohfussboden im EG auf der Westseite max. 0,20 m über dem höchsten Punkt des natürlichen Geländes am Gebäude liegen dürfe. Damit werde die Situation zulasten derjenigen, die bereits abgetragen hätten, verschärft. Das Grundstück des Antragstellers liege nunmehr tiefer als das Vorhabengrundstück und sei dadurch Einsichtsmöglichkeiten ausgesetzt, die das übliche Maß weit überschreiten würden. Dies werde durch die Überschreitung der Baugrenzen mit Wohngebäude, Pool und Terrasse sowie der Überschreitung der GRZ II noch erheblich verstärkt. Die sich auf Terrasse und am Pool aufhaltenden Personen könnten unmittelbar in den Garten des Antragstellers und den Terrassen- und Poolbereich hineinsehen. Das deutlich höherstehende, massive Gebäude der Beigeladenen throne mindestens vier Meter über den Nachbargrundstücken, es füge sich nicht in die Umgebungsbebauung ein und verringere ihren Wert. Der Bürgermeister der Beigeladenen zu 3 im Klageverfahren habe eine Orteinsicht vorgenommen und sich mit Blick auf die Höhenentwicklung „entsetzt gezeigt“. Ein Baustopp sei gewünscht, bis eine Einigung der Beteiligten erfolgt sei. Zudem werde beantragt, einen Augenschein durchzuführen, da die Dominanz des Bauvorhabens in Natur zu erfassen und zu berücksichtigen sei. Auf die Schriftsätze vom 11. August 2023, 9. November 2023 sowie 22. November 2023 wird im Übrigen Bezug genommen.
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Der Antragsgegner beantragt
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass der Antrag unbegründet sei, da die Baugenehmigung den Antragsteller nicht in eigenen Rechten verletze. Es sei schon nicht ersichtlich, weshalb aufgrund des Geländeabtrags auf dem Grundstück des Antragstellers und den angrenzenden Grundstücken in Bezug auf das streitgegenständliche Grundstück ebenfalls eine Abgrabung erforderlich sein solle. Der Bebauungsplan enthalte hierzu keinerlei Verpflichtung. Aus dem angeführten Umstand und auch der Tatsache, dass der Geländeabtrag mit erheblichen finanziellem Aufwand verbunden gewesen sei, ergebe sich keine Rücksichtslosigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens. Das Vorhaben entspreche der Höhenfestsetzung des Bebauungsplans. Das Gebäude habe überwiegend die Geschossentwicklung von E+D und sei damit nicht außergewöhnlich massiv. Zudem handle es sich bereits jetzt um ein zum Grundstück des Antragstellers abfallendes Gelände. Das natürliche Gelände werde zum Grundstück des Antragstellers auch nicht verändert. Lediglich die Terrasse und der Pool würden um bis zu ca. 1,10 m vom bestehenden Gelände auf 445,24 m erhöht, aber mit einigem Abstand zur Grundstücksgrenze errichtet. Das Gelände des Nachbargrundstücks sei auf Höhe des Pools und der Terrasse mit einer Höhe von 444,87 m und 443,06m angegeben. Der Höhenunterschied bedeute somit keine Wirkung vergleichbar mit einer hohen Mauer. Auch sei die Einsichtnahmemöglichkeit in das Grundstück des Antragstellers vergleichbar mit anderen Grundstücken, die entlang eines Hangs bebaut würden. Die Abstandsflächen würden im Übrigen eingehalten. Das streitgegenständliche Vorhaben verstoße nicht gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot. Die Befreiung bzw. Zulassung zur Überschreitung der Baugrenze durch Wohngebäude, Pool und Terrasse sowie die Befreiung bezüglich der GRZ II sei ebenfalls weder nachbarschützend noch rücksichtslos. Die Festsetzung einer Baugrenze und der GRZ II seien aus städtebaulichen Gründen entstanden. Im Übrigen sei sehr fraglich, ob die Festsetzung noch Geltung beanspruchen könne, da bereits zahlreiche vergleichbare Befreiungen erteilt worden seien. Auf den Schriftsatz vom 23. Oktober 2023 sowie vom 4. Dezember 2023 wird Bezug genommen.
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Die Beigeladenen beantragen
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Verletzung von drittschützenden Normen nicht ersichtlich sei. Auch sei ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot nicht gegeben. Die vorgetragene Größe sowie die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans führten nicht zum Erfolg des Antrags, da insofern schon keine drittschützenden Festsetzungen betroffen seien. Die Festsetzungen, von denen befreit worden sei, dienten nicht den Interessen des Antragstellers, sondern Allgemeinwohlbelangen (Ortsbild etc.). Im Übrigen habe vermutlich auch der Antragsteller derartige Befreiungen erhalten, da auch er über einen Pool verfüge, der zur Notwendigkeit der Befreiung von diesen Festsetzungen führe. Die behaupteten Einblicksmöglichkeiten durch das streitgegenständliche Vorhaben auf das Grundstück des Antragstellers seien ebenfalls nicht geeignet, einen Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot zu begründen. Dies entspreche bereits der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Im Übrigen seien die Abstandsflächen eingehalten, was ein Indiz dafür sei, dass das Rücksichtnahmegebot gewahrt werde. Im Übrigen entstünden die seitens des Antragstellers behaupteten unzumutbaren Einsichtmöglichkeiten auch schon deshalb nicht, weil das Gelände im gesamten Bebauungsplangebiet hängig sei, sodass Einblickmöglichkeiten von höher gelegenen Grundstücken in andere Grundstücke unvermeidbar und daher ortsüblich seien. Das nördliche Grundstück des Antragstellers sei ohnehin unbebaut und es befände sich im Bereich der nördlichen Grundstücksgrenze dichter Bewuchs. Auch die angeführte Wertminderung führe zu keinem anderen Ergebnis. Ergänzend werde noch darauf hingewiesen, dass eine für den Erfolg des Antrags allein relevante Nachbarrechtsverletzung auch im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans – wie nicht – vorliegend nicht gegeben sei. Zwischenzeitlich sei im Übrigen eine Tekturgenehmigung für einen Kellerraum erteilt worden. Auf die Schriftsätze vom 1. September 2023 sowie 30. November 2023 wird im Übrigen Bezug genommen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakte in diesem und im Verfahren M 9 K 23.2428 Bezug genommen.
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Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.
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1. Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse des Bauherrn oder das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
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Die Drittanfechtungsklage wird voraussichtlich erfolglos bleiben. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt den Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris).
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Gemessen hieran hat der Antrag keinen Erfolg. Die Verletzung von drittschützenden Vorschriften sieht das Gericht nicht. Insbesondere ist eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch das Bauvorhaben unter dem Gesichtspunkt der vorgetragenen erdrückenden Wirkung (a.), der Einsehbarkeit auf dem Grundstück des Antragstellers (b.) sowie der vorgetragenen Wertminderung (c.) nicht erkennbar. Auch durch die mit Bescheid vom 15. Mai 2023 erteilten Befreiungen werden Nachbarrechte nicht verletzt (d.).
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a. Soweit der Antragsteller vorträgt, das Gebot der Rücksichtnahme sei durch das streitgegenständliche Bauvorhaben und dessen Höhenentwicklung verletzt, ist dies schon deshalb nicht erkennbar, weil das Bauvorhaben ausweislich der vorgelegten Planunterlagen die Abstandsflächen einhält. Überdies ist das Bauvorhaben mit großzügigen Abständen zu dem südöstlich gelegenen Antragstellergrundstück FlNr. .../8, Gemarkung … situiert (im Osten des Vorhabengrundstücks sind es an der schmalsten Stelle 5 Meter bis zur gemeinsamen Grundstücksgrenze und nach Westen verlaufend ein zunehmender Grenzabstand bis zu max. ca. 16 Metern im Westen des Vorhabengrundstücks).
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Es ist für das Gericht durchaus nachvollziehbar, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben mit fortschreitender Realisierung und unter Berücksichtigung der sich auch aus den Plänen und den Höhendarstellungen ergebenden Hanglage subjektiv als störend empfunden wird. Dies insbesondere auch im Vergleich zu der Situation vor Realisierung des streitgegenständlichen Bauvorhabens. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn jedoch zum einen nicht das Recht, von Veränderungen auf Nachbargrundstücken, jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung oder Einsichtsmöglichkeiten in sein Grundstück verschont zu bleiben. Zum anderen genügt die örtliche Situation unter Berücksichtigung der vorgelegten Pläne und konkreten Umstände nach summarischer Prüfung des Gerichts nicht dem rechtlichen Maßstab, der anzusetzen ist, um eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots bejahen zu können. Denn eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn die Beeinträchtigung unzumutbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9 – juris Rn. 30) und nicht schon dann, wenn ein Umstand eintritt, der subjektiv nicht wünschenswert ist und eine Verschlechterung im Vergleich zu der Situation vor Umsetzung des Bauvorhabens darstellt. Dem Rücksichtnahmegebot kommt insofern drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BverwGE 148, 290 ff = juris, Rn. 21 m.w.N.). Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Genehmigungsbehörde in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten hat. Die Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und was dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Begünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).
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Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots und konkret eine erdrückende Wirkung durch das Bauvorhaben scheidet in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen – wie hier – eingehalten werden (vgl. Plan „Dachaufsicht mit Abstandsflächen Lageplan“). In diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die diesbezüglichen nachbarlichen Belange und damit das diesbezügliche Konfliktpotenzial in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (vgl. statt aller BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris, Rn. 29 m.w.N.). Darüber hinaus ist unter Berücksichtigung der im Eilverfahren gebotenen aber auch ausreichenden Prüfung nichts ersichtlich, was diese Indizwirkung entkräften könnte. Denn eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu (sehr viel niedrigeren) benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.1981 – 4 C 1.78 – juris, Rn. 33f.: Hochhaus mit zwölf Geschossen im Abstand von 15 m zu einem Wohnhaus mit zweieinhalb Geschossen; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris, Rn. 15: mehrere Siloanlagen mit einer Höhe von 11,50 m im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohngebäude; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 2 CS 14.2456 – juris Rn. 33: keine erdrückende Wirkung eines ca. 160 m langen Baukörpers mit einer Höhe von 6,36 m bis 10,50 m und einem Abstand von 13 – 16 m zum Gebäude des Nachbarn). Hiervon ausgehend ist eine erdrückende Wirkung durch das Vorhaben gegenüber dem Antragsteller nicht erkennbar. Die seitens der Antragstellerseite dargestellte sowie sich aus den Planunterlagen ergebenden Höhenunterschiede reichen hierfür nach summarischer Prüfung nicht aus. Aus den seitens der Rechtsprechung entwickelten und oben angeführten Grundsätzen zur erdrückenden Wirkung und den angeführten Beispielsfällen wird deutlich, dass es für die Rüge einer erdrückenden Wirkung auf ein krasses Missverhältnis zwischen Höhe und Nähe der jeweils betroffenen Gebäude ankommt. Für eine solche Annahme ist vorliegend schon aufgrund der Abstände zur gemeinsamen Grundstücksgrenze nicht ansatzweise etwas ersichtlich. Zwar ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, dass das Nachbargrundstück des Antragstellers derzeit noch unbebaut ist. Zuzustimmen ist der Antragstellerseite auch insofern, als dass das Bauvorhaben mit einer Firsthöhe von ca. 11 Metern und einer durchgehenden, dem Grundstück des Antragstellers zugewandten Seite von ca. 16 Metern einen gewissen Umfang aufweist. Das Gericht lässt im Rahmen seiner Betrachtung auch nicht außer Acht, dass unter Berücksichtigung der vorgelegten Pläne vor Ort eine Hanglage von Ost nach West ansteigend und von Nord nach Süd abfallend besteht, welche die Wirkung des Gebäudes gegenüber dem Antragsteller und seinen Grundstücken verstärkt. Gleichwohl reichen die vorgetragenen Umstände und speziell der Höhenunterschied für die Annahme einer das Rücksichtnahmegebot verletzenden erdrückenden Wirkung nicht aus. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die gesetzlich geforderten Abstandsflächen mehr als ausreichend eingehalten sind. Der Unterschied des Geländeniveaus wird abstandsflächenrechtlich durch eine Projektion der Wandhöhe auf eine fiktive Waagrechte bereits berücksichtigt. Diese Projektion führt hangabwärts gemessen zu einem vergrößerten Mindestabstand (BayVGH, B.v. 9.10. 2012 – 15 CS 12.1852 – Rn. 10, juris; zur Abstandsflächenbestimmung in Hanglage Kraus in: Busse/Kraus, BayBO, Werkstand: 151. EL August 2023, Art. 6 BayBO Rn. 162). Vor diesem Hintergrund fällt vorliegend zudem ins Gewicht, dass ausweislich der vorgelegten Planunterlagen das natürliche Gelände auf dem Vorhabengrundstück zum Grundstück des Antragstellers hin nicht verändert und schon gar nicht erhöht wird. Lediglich die Terrasse und der Pool werden um bis zu ca. 1,10 m vom bestehenden Gelände auf 445,24 m erhöht, aber mit einigem Abstand zur Grundstücksgrenze (ca. 10-16 Meter) errichtet. Hinzu kommt, dass auch unabhängig von den einzuhaltenden Abstandsflächen der Abstand des geplanten Bauvorhabens zur gemeinsamen Grundstücksgrenze ausreichend ist. Das Bauvorhaben rückt nicht in einer Weise an die gemeinsame Grundstücksgrenze heran, welche aufgrund einer bedrängenden Wirkung eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zur Folgen haben könnte. An der schmalsten Stelle weist das Gebäude immer noch einen Abstand von über 5 Metern zur Grundstücksgrenze im Südosten auf. Bei einem unterstellten Mindestabstand von 3 Metern, welcher im Falle einer Bebauung auf FlNr. .../8, Gemarkung … einzuhalten wäre, wäre von Gebäude zu Gebäude immer noch ein Abstand von über 8 Metern vorhanden. Insofern ändert auch die seitens der Antragstellerseite vorgetragene Hanglage nichts. Ausweislich der vorgelegten Planunterlagen besteht zwischen den dargestellten Höhenverhältnissen auf FlNr. .../8, Gemarkung … und dem Standort des Hauptbaukörpers des Bauvorhabens ein grenznaher maximaler Höhenunterschied von etwas über einem Meter (442,99 m auf FlNr. .../8, Gemarkung … und 444,10 m auf FlNr. .../7, Gemarkung …). Gemessen von dem zuletzt genannten Punkt auf dem Vorhabengrundstück (444,10 m) beträgt der Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze bei Einhaltung der Abstandsflächen sogar über 11 Meter. Lediglich im Bereich des Pools bzw. der Terrasse ist die Höhendifferenz größer (diese liegen auf 445,24m). Das Gericht stellt nicht in Abrede, dass diese Situation in Anbetracht der Hanglage und unter Berücksichtigung der Situation vor Realisierung des Bauvorhabens für den Antragsteller subjektiv nicht wünschenswert ist. Auch wenn das Bauvorhaben über den südöstlich gelegenen Grundstücken – wie der Antragsteller vorträgt – gewissermaßen thront, wird angesichts der Abstände und der sich doch moderat nach Süden entwickelnden Höhenverhältnisse die Zumutbarkeitsschwelle mit Blick auf das Rücksichtnahmegebot nach summarischer Prüfung nicht überschritten.
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Insofern führt auch der Vortrag der Antragstellerbevollmächtigten, die 2. Änderung des hier maßgeblichen Bebauungsplans sei unwirksam und die Lage habe sich infolge der Bebauungsplanänderung zulasten des Antragstellers mit Blick auf die Hängigkeit des Geländes verschärft, zu keinem anderen Ergebnis. Denn zu prüfen ist, wie dargestellt, das Gebot der Rücksichtnahme unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse vor Ort zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Das Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich im Plangebiet aus § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BauNVO, oder im Falle der unterstellten Unwirksamkeit des Bebauungsplans aus § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BauNVO bzw. aus dem Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB. Der Prüfungsmaßstab betreffend die konkrete Nachbarbeeinträchtigung bleibt insofern unabhängig von der Zuordnung des Vorhabengrundstücks zu einem Planbereich oder zum unbeplanten Innenbereich und damit unabhängig von der Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans unverändert.
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Nach alledem ist für das Gericht unter Berücksichtigung der vorgelegten Planunterlagen und der sich daraus ergebenden örtlichen Situation nicht ersichtlich, dass das Vorhaben der Beigeladenen dem Anwesen bzw. Grundstück des benachbarten Antragstellers förmlich „die Luft nimmt“, weil es derartig übermächtig wäre, dass das Wohngebäude bzw. potenzielle Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück nur noch oder überwiegend wie von einem „herrschenden“ Gebäude dominiert und ohne eigene Charakteristik wahrgenommen würde (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 23 f. m.w.N.).
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Lediglich der Vollständigkeit halber und ungeachtet der Frage der baurechtlichen Nachbareigenschaft, kommt eine erdrückende Wirkung unter Berücksichtigung der soeben dargestellten Maßstäbe angesichts der tatsächlichen Abstände zwischen dem Bauvorhaben und dem bestehenden Gebäude auf FlNr. .../9, Gemarkung … von über 30 Metern ebenfalls erkennbar nicht in Betracht.
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b. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergibt sich auch nicht aus der vorgetragenen Einsehbarkeit in den Garten des Antragstellers sowie dessen Terrassen- und Poolbereich. Weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im speziellen vermitteln einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch im Falle einer neu geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 9 ZB 18.912 – juris Rn. 8). Trifft eine Wohnnutzung auf eine vorhandene Wohnnutzung, dann kommt unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsart ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht (vgl. BayVGH, B. v. 12.09.2005 – 1 ZB 05.42 – juris Rn. 19). Im vorliegenden Einzelfall ist eine Unzumutbarkeit der entstehenden Einsichtsmöglichkeiten durch das Vorhaben unter Berücksichtigung der Abstände zur Grundstücksgrenze und der Einhaltung der Abstandsflächen (s.o.) nicht erkennbar. Dies auch vor dem Hintergrund, dass gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten im dicht bebauten Bereich ohnehin unvermeidlich sind und die Zumutbarkeitsschwelle hoch ist. Die Betroffenen können sich generell durch das Anbringen von Jalousien, Vorhängen oder verspiegelten Fenstern sowie Bepflanzungen behelfen (vgl. hierzu auch ausführlich OVG Münster, U.v. 8.4.2020 – 10 A 352/19 – BeckRS 2020, 10287, Rn. 28 ff.). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem Einblickmöglichkeiten in das Nachbargrundstück, die durch ein neues Bauvorhaben geschaffen werden, unter besonders gravierenden Umständen als Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angesehen werden, sind hier nicht ersichtlich (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris Rn. 26). Die gilt auch mit Blick darauf, dass der Antragsteller speziell den Poolbereich betreffend unzumutbare Einblicksmöglichkeiten befürchtet und es sich vorliegend um eine Bebauung in Hanglage handelt. Denn das Vorhabengrundstück war schon bisher entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans bebaubar. Aufgrund der Hanglage war zwangsläufig mit Einsichtnahmemöglichkeiten zu rechnen (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1999 – 4 C 14.87 – juris Rn. 18; BayVGH, B. v. 13.10. 021 – 9 CS 21.2211 – juris Rn. 35). Der Antragsteller muss die infolge des Geländeniveaus erhöhte Möglichkeit der Einsichtnahme als bereits durch die natürlichen Gegebenheiten bedingt grundsätzlich hinnehmen (BayVGH, B.v. 9.10. 2012 – 15 CS 12.1852 – juris Rn. 11). Insofern ist auch von Relevanz, dass das bereits vorhandene Gebäude des Antragstellers in einem Abstand von ca. 30 Metern zu dem geplanten Bauvorhaben situiert ist. Bei einem derart großen Abstand ist schon nicht ansatzweise ersichtlich, inwiefern eine unzumutbare Einsichtsmöglichkeit unter Berücksichtigung des oben angeführten Maßstabs gegeben sein sollte. Aber auch mit Blick auf eine potenzielle Bebauung auf FlNr. .../8, Gemarkung … kann unter Berücksichtigung der oben dargestellten Maßstäbe nichts Anderes gelten. Die Abstände sind ausreichend, die Lage der Grundstücke im innergemeindlichen Bereich und die Hanglage aufgrund der natürlichen Gegebenheiten bereits vorhanden und bekannt. Umstände, die vorliegend eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots unter Berücksichtigung der Einsehbarkeit auf den Grundstücken des Antragstellers im Übrigen begründen könnten, sind darüber hinaus weder ausreichend dargetan noch sonst für das Gericht ersichtlich. Nicht dargetan ist insbesondere auch, dass dem Antragsteller infolge der Ausgestaltung der streitgegenständlichen Bebauung keine Rückzugsmöglichkeit auf seinem Grundstück mehr verbliebe.
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c. Der Antragsteller kann sich im Übrigen auch nicht mit Erfolg auf die geltend gemachte Wertminderung seines Anwesens berufen. Auswirkungen eines Vorhabens auf den Verkehrswert eines Nachbargrundstücks sind grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BayVGH, U.v. 29.7.2011 – 15 N 08.2086 – juris Rn. 20; BVerwG, B.v. 9.2.1995 – 4 NB 17.94 – NVwZ 1995, 352 – juris Rn. 14). Es besteht für den Nachbarn kein Anspruch, von jeglicher Wertminderung verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.1997 – 4 B 195.97 – juris Rn. 6). Die Abhängigkeit, in der Grundstücke zu der sie umgebenden städtebaulichen Situation stehen, schließt ein, dass die Grundstückswerte von dieser Situation beeinflusst werden und dass deshalb auch ungünstige Einflüsse, die auf Änderungen der Umgebung beruhen, grundsätzlich hingenommen werden müssen. Auf die objektiv-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens kommt es daher nicht an. (BayVGH, B.v. 14.6.2013 – 15 ZB 13.612 – juris Rn. 6). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller einen über die situationsbedingte Wertminderung hinausgehenden, schlechthin unzumutbaren Wertverlust seiner Immobilie hinnehmen müsste, sind werder vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2012 – 15 ZB 12.507 – juris RdNr. 6).
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d. Auch die mit Bescheid vom 9. März 2023 erteilten Befreiungen von den durch Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen sowie der festgelegten Grundflächenzahl können – die Wirksamkeit des Bebauungsplans unterstellt – eine Verletzung von Nachbarrechten nicht begründen. Bei Festsetzungen des Bebauungsplanes zum Maß der baulichen Nutzung und erteilten Befreiungen hiervon hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Wird von einer nachbarschützenden Festsetzung befreit, führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung. Wird von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung befreit, richtet sich der Nachbarschutz lediglich nach den Grundsätzen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme, welches aufgrund der gemäß § 31 Abs. 2 BauGB gebotenen „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung findet (statt vieler BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – NVwZ-RR 2020, 961 Rn. 21 m.w.N.).
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Gemessen hieran gilt hier Folgendes: Im vorliegenden Fall richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung nach § 30 Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB, da das Bauvorhaben der Beigeladenen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 17 … … … Strasse“ 2. Änderung liegt, der für das konkrete Vorhabengrundstück u.a. ein Baufenster sowie eine Grundflächenzahl festsetzt. Durch die erteilten Befreiungen mit Blick auf das festgesetzte Baufenster (Überschreitung der Baugrenze mit Wohngebäude westlich mit ca. 10 m 2 und mit dem Lichtschacht südlich mit ca. 0,80 m2, somit insgesamt um ca. 10,8 m2 sowie Überschreitung der Baugrenze mit Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO sowie bauliche Anlage im Sinne des § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO um insgesamt ca. 99,0 m2 - Pool mit ca. 39,70 m2 sowie Terrasse mit ca. 59,39 m2) ist der Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt. In nachbarrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat der Beklagte in dem Baugenehmigungsbescheid vom 9. März 2023 Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans wegen Überschreitung der Baugrenzen (s.o.) erteilt. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Maß der baulichen Nutzung (§ 16 BauNVO) sowie Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) grundsätzlich schon keine nachbarschützende Wirkung entfalten, eine Befreiung von diesen mithin nicht per se durch den Nachbarn gerügt werden kann. Derartige Festsetzungen vermitteln Drittschutz nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. Maßgeblich dafür ist die Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall, wobei sich ein entsprechender Wille nicht nur aus dem Bebauungsplan selbst, sondern auch seiner Begründung oder sonstigen Vorgängen in Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann (BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris). Gleiches gilt auch mit Blick auf die Befreiung von Maßfestsetzungen betreffend die Grundflächenzahl (GRZ). Auf die im streitgegenständlichen Bescheid insoweit enthaltenen Befreiungen wird Bezug genommen.
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Gemessen an diesen Grundsätzen entfaltet die Festsetzung von Baugrenzen vorliegend keine nachbarschützende Wirkung mit der Folge, dass eine Nachbarrechtsverletzung insofern nicht vorliegt. Der Antragsteller hat insofern schon nicht substantiiert vorgetragen, woraus sich eine drittschützende Wirkung der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen ergeben könnte. Etwas Anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen. Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung von nicht nachbarschützenden Vorschriften die Rechte des Nachbarn verletzt, ist sodann nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 1 CS 17.693 – juris). Ein Verstoß gegen das Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme (§ 15 BauNVO) ist vorliegend – wie dargestellt – jedoch nicht erkennbar (s.o.). Auch mit Blick auf die übrigen im Bescheid vom 9. März 2023 enthaltenen Befreiungen ist eine Nachbarrechtsverletzung weder substantiiert vorgetragen noch sonst für das Gericht ersichtlich.
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Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass sich auch kein anderes Ergebnis unter Berücksichtigung der erteilten Tekturgenehmigung vom 17. November 2023 für einen zusätzlichen Kellerraum sowie einen Lichtschacht ergibt. Nachbarrechtsrelevante Umstände sind insoweit nicht berührt und eine Verletzung von Drittrechten nicht ersichtlich.
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Nach alledem wird der Antrag abgelehnt.
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Abschließend wird darauf hingewiesen, dass eine Inaugenscheinnahme vorliegend entgegen der Anregungen der Antragstellerbevollmächtigten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung des Maßstabes der Sachaufklärung einerseits und der Eilbedürftigkeit andererseits nicht geboten war. Im Eilverfahren erfolgt eine nur summarische Überprüfung. Eine Beweisaufnahme etwa durch Einnahme eines Augenscheins ist daher regelmäßig nicht erforderlich. Es entspricht dem Charakter des summarischen Verfahrens, dass eine ins Einzelne gehende Prüfung der Verhältnisse vor Ort nicht möglich, sondern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist. Verbleibende Unsicherheiten können (und müssen) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend aufgelöst werden. Das bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten und erfordert dann ggf. dort die Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins (vgl. dazu auch BayVGH, B.v.11.09.2007 – 6 CS 06.3423 – juris Rn. 14; B.v. 21.09.2009 – 6 CS 09.1754 – juris Rn. 13; B.v. 20.10.2022 – 6 CS 22.1804 – juris Rn. 24 m.w.N.). Die durch eine summarische Prüfung zu bewertenden Umstände, ob eine Nachbarrechtsverletzung vorliegt, ergeben sich im vorliegenden Fall mit Blick auf den dargelegten Maßstab ausreichend aus den vorgelegten Akten und Planunterlagen. Zu berücksichtigen ist auch, dass, wie die Antragstellerbevollmächtigte im Schriftsatz vom 9. November 2023 explizit ausführt, mit dem Bauvorhaben bereits begonnen wurde und der Bau sehr zügig voranschreitet. Auch mit Blick auf die insofern begründete Eilbedürftigkeit ist von einem Augenschein im vorläufigen Rechtsschutzverfahren abzusehen. Eine abschließende Beurteilung und Aufklärung, soweit nötig, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3 Hs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladenen haben beantragt, den Antrag abzulehnen und sich damit in ein Kostenrisiko begeben. Es entspricht der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung fußt auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.