Titel:
Anfechtung, Arglistige Täuschung, Scheingeschäft, Stellplatzablösevertrag
Normenketten:
BayVwVfG Art. 54 ff.
BGB § 117
BGB § 123
Schlagworte:
Anfechtung, Arglistige Täuschung, Scheingeschäft, Stellplatzablösevertrag
Fundstelle:
BeckRS 2023, 40737
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 285.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 20. Juni 2017 zu zahlen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über eine Forderung aus einem Stellplatzablösevertrag.
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Die Beklagte betreibt auf dem Gebiet der Klägerin, den Grundstücken FlNrn. ..., ... Gem. … …, ein …haus.
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Unter dem 10. Februar 2009 erließ die Klägerin eine Satzung über die Ermittlung und den Nachweis von notwendigen Stellplätzen für Kraftfahrzeuge (Stellplatzsatzung). Gem. § 2 Abs. 1 der Satzung bemisst sich die Zahl der notwendigen Stellplätze nach Anlage 1 der Satzung. Gem. § 2 Abs. 2 der Satzung ist der Stellplatzbedarf bei gewerblichen Anlagen nach der Hauptnutzfläche zu berechnen. Ergibt sich dabei ein offensichtliches Missverhältnis zum tatsächlichen Bedarf, so kann die Zahl der Beschäftigten zugrunde gelegt werden (mind. 1 Stellplatz je 3 Beschäftigte). Nach Abs. 3 ist der Stellplatzbedarf bei baulichen Anlagen, die unterschiedliche Nutzungsarten enthalten, für jede Nutzungsart und Nutzungseinheit getrennt zu ermitteln. Steht die sich errechnende Summe in einem offensichtlichen Missverhältnis zum tatsächlich zu erwartenden Bedarf, ist die Zahl der notwendigen Stellplätze dem zu erwartenden Zu- und Abfahrtsverkehr entsprechend zu erhöhen oder zu verringern. Eine gegenseitige Anrechnung ist bei zeitlich ständig getrennten Nutzungen möglich. In § 5 Abs. 1 der Satzung ist die Möglichkeit der Ablöse geregelt, der Ablösebetrag beträgt nach § 6 Abs. 1 in Zone I – in welcher die Vorhabengrundstücke liegen – 7.500 EUR je Stellplatz. Gem. § 7 der Satzung bleibt Art. 63 BayBO unberührt.
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Mit Bauantrag vom 28. August 2015, bei der Klägerin eingegangen am 9. September 2015, beantragte die Beklagte die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau und die Erweiterung des bestehenden …hauses mit fünf Geschossen und Tiefgarage auf den Grundstücken FlNrn. ... und ... Gem. … … (drei Geschosse Verkaufsfläche, 4. und 5. OG Wohnfläche). Ferner stellte sie einen Antrag auf Abweichung von der Stellplatzsatzung.
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In der Folge plante die Beklagte um und stellte am 27. Januar 2016 einen Tekturantrag. Auf die Tiefgarage sollte verzichtet werden, die Anzahl der Wohneinheiten wurde auf vier reduziert. Die Beklagte stellte erneut einen Antrag auf Abweichung von der Stellplatzsatzung.
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Unter dem 1. Juni 2016 schlossen die Parteien einen Stellplatzablösevertrag (Vertrag). In § 3 Abs. 1 des Vertrags verpflichtete sich die Beklagte für die Herstellung von 38 Stellplätzen einen Betrag von 7.500 EUR je Stellplatz, mithin 285.000 EUR, an die Klägerin zu zahlen. Nach § 4 Abs. 1 des Vertrags wird der Betrag mit der Nutzungsaufnahme der Erweiterung des …hauses fällig, und es sind Verzugszinsen in Höhe von 4% zu zahlen, wenn die Beklagte mit der Zahlung in Verzug kommt. Dem Vertrag als Anlagen beigefügt sind eine Stellplatzzuordnung und eine Stellplatzberechnung.
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Unter dem 14. Juni 2016 erteilte die Klägerin der Beklagten sodann die unter dem 27. Juni 2016 beantragte Baugenehmigung.
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Mit Schreiben vom ... März 2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Stellplatzberechnung im Ablösevertrag zu modifizieren sei, weil unter dem 27. Februar 2017 neue Pläne eingereicht worden seien und es eine neue Verkaufsflächenberechnung gebe. Die Verkaufsnutzfläche betrage nun 1.002 m², sodass sich ausweislich der Anlage 1 (1 Stellplatz je 35 m²) ein Bedarf von (abgerundet) 28 Stellplätzen ergebe. Hinzuzurechnen seien für Wohnnutzung und für Besuche weitere sieben Stellplätze, sodass von 35 Stellplätzen auszugehen sei. Die Vertragsgrundlagen hätten sich geändert, sodass der Ablösevertrag abgeändert werden müsse. Im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Abweichungsantrag müsse berücksichtigt werden, dass in Absprache mit der Klägerin von der Errichtung der Tiefgarage, in welcher die für die Wohnnutzung notwendigen Stellplätze hätten untergebracht werden sollen, abgesehen worden sei, weil es Wunsch der Klägerin gewesen sei, die vorhandene Stadtmauer in das Bauvorhaben zu integrieren. Der Erhalt der Stadtmauer bedeute für die Beklagte einen erheblichen Mehraufwand an Konstruktion und den Verlust von Verkaufsfläche mit erheblichen Kosten.
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Mit Schreiben vom 20. März 2017 erwiderte die Klägerin. Es sei nicht möglich, der beantragten Abweichung zuzustimmen. Eine Vertragsanpassung sei ebenfalls nicht erforderlich, weil sich die Vertragsgrundlagen nicht geändert hätten. Für die Modifizierung der Stellplatzberechnung sehe man keinen Raum. Die in den Plänen vom 27. Februar 2017 dargestellten Änderungen seien bei der Klägerin nicht beantragt worden und damit nicht für die Stellplatzberechnung heranzuziehen. Insbesondere sei kein angepasster Stellplatznachweis eingegangen. Sofern diese Änderung Berücksichtigung finden soll, müsse ein Tekturantrag gestellt werden. Überdies sei die Anwendbarkeit von § 2 Abs. 2 und 3 der Satzung ausgeschlossen, weil der errechnete Stellplatzbedarf nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum tatsächlichen Bedarf stehe. Es sei ein Bedarf von insgesamt 39 Stellplätzen ermittelt worden. Für die neuen Wohneinheiten fielen sieben Stellplätze an, die auf dem Vorhabengrundstück FlNr. ... vorgesehen seien. Dort seien im Rahmen eines Vorhabens im Jahr 1970 sechs Stellplätze geschaffen und für das damalige Gewerbe gesichert worden. Die Beklagte „tausche“ sechs dieser gewerblich gesicherten Stellplätze mit sechs Stellplätzen für die neue Wohnnutzung und schaffe dort einen weiteren Stellplatz. Sie schaffe somit alle sieben erforderlichen Stellplätze auf der FlNr. ... Die damals gesicherten sechs Stellplätze seien durch den vorgenommenen Tausch ebenfalls abzulösen. Die gewerbliche Fläche löse einen Bedarf von 32 Stellplätzen aus, insgesamt seien entsprechend des Ablösevertrags somit 38 Stellplätze abzulösen. Nach dem der Baugenehmigung zugrundeliegenden Stellplatznachweis für die Verkaufsfläche vom 31. Mai 2016 sei gemessen an der Verkaufsfläche von 1121 m² kein offensichtliches Missverhältnis zum tatsächlichen Bedarf im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 der Satzung gegeben. Eine Korrektur nach § 2 Abs. 3 der Satzung könne aus diesen Gründen ebenfalls nicht vorgenommen werden. Der ursprünglich geplante Bau einer Tiefgarage könne eine Abweichung nicht begründen. Von dieser sei vor allem aufgrund der besonderen Begebenheit des Vorhabengrundstücks abgesehen worden. Die Beklagte habe in ihrem Tekturantrag selbst ausgeführt, dass auf die Tiefgarage auch wegen der aufwändigen Unterfangung der nicht unterkellerten Nachbargebäude verzichtet werde.
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Mit Beschluss vom 9. Mai 2017 fasste der Stadtrat der Klägerin einen Beschluss dahingehend, dass „der Stadtrat billigend zur Kenntnis nimmt, dass eine rechtmäßige Möglichkeit für eine Abweichung von der Stellplatzsatzung nach umfangreicher juristischer Prüfung rechtlich gesichert nicht gefunden werden konnte“.
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Mit Schreiben vom 15. Mai 2017 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung auf.
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Mit Schreiben vom 1. Juni 2017 zeigte die Beklagte die Nutzungsaufnahme zum 19. Juni 2017 an.
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Gleichzeitig erklärte die Beklagte mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 1. Juni 2017 die Anfechtung und vorsorgliche Kündigung des Stellplatzablösevertrags gegenüber der Klägerin. Des Weiteren stellte sie einen Antrag auf Anpassung des Vertrags. Der Beklagten sei immer wieder signalisiert worden, dass man ihr, soweit es gehe, entgegenkomme. Dies sei ursächlich dafür gewesen, dass die Beklagte den Vertrag unterschrieben habe. Sie sei zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass sie für die Stellplatzablöse die in einem Schreiben vom 31. März 2015 an die Beklagte errechneten 292.500 EUR zahlen müsse. Das Bauamt habe sich keine drei Monate später dahingehend geäußert, dass mit einem ungefähren Betrag von 75.000 EUR zu rechnen sei. Rein vorsorglich werde zudem die Aufrechnung mit „etwaigen Ansprüchen aus der Bauverzögerung“ erklärt.
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Im Rahmen der Sitzung des Stadtrats der Klägerin vom 18. Juli 2017 wurde das Schreiben vom 1. Juni 2017 behandelt und sodann beschlossen, dass die Stadtverwaltung mit der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung auf dem Klageweg beauftragt wird.
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Mit Schreiben vom … Juli 2017 begründete der Beklagtenbevollmächtigte gegenüber der Klägerin die erklärte Anfechtung „gem. § 123 Abs. 1 BGB“. In einem Schreiben der Klägerin vom 2. Juni 2015 habe diese sich gegenüber der Beklagten dahingehend geäußert, dass die Grenze für ein maximales Entgegenkommen bei der Stellplatzablöse bei 50% liege. Der Geschäftsführer der Beklagten sei deshalb davon ausgegangen, dass sich der Stellplatzablösebetrag – unabhängig von der genauen Höhe – um 50% reduziere. Aus dem Schreiben habe sich dann weiter ergeben, dass die Stellplatzablöse vorbehaltlich einer Zustimmung der Gremien, der konkreten Eingabepläne und der weiteren Berechnung bei ca. 75.000 EUR liegen würde. Nachdem in der Folge die Tiefgarage nicht habe realisiert werden können, sei von der Klägerin eine Neuberechnung angestellt worden und ein Betrag in Höhe von 120.000 EUR herausgekommen. Die Nachberechnung liege der Beklagten bis heute nicht vor. Die Beklagte sei deshalb von einer Kostenbelastung zwischen 75.000 EUR und 120.000 EUR ausgegangen, keinesfalls von ca. 300.000 EUR. Die Beklagte habe sodann unter erheblichem zeitlichem und finanziellen Druck gestanden, weil sowohl die finanzierende Bank als auch die Baufirma auf die Baugenehmigung gedrängt habe. Es sei dann zu einer weiteren Besprechung mit der Klägerin gekommen, im Zuge derer der Beklagten von der Klägerin mitgeteilt worden sei, dass die Beklagte die Baugenehmigung nur dann erhalte, wenn zuvor der Stellplatzablösevertrag unterzeichnet werde. Die Klägerin habe an diesem Termin erklärt, dass zunächst die Ablöse von 292.500 EUR akzeptiert werden müsse, es jedoch einen Auftrag vom Oberbürgermeister der Klägerin gebe, diesen Betrag deutlich zu reduzieren. Mit Blick auf die Finanzierung des Vorhabens, den zwischenzeitlich durchgeführten Abriss der bestehenden Gebäude, dem drohenden Abzug der Baufirma und erheblichem Druck habe der Geschäftsführer der Beklagten den Stellplatzablösevertrag mit einer Kostenbelastung von nahezu 300.000 EUR im Glauben unterzeichnet, dass dieser Betrag niemals bezahlt werden müsse, sondern schlimmstenfalls 120.000 EUR. Dieser Vertrag sei daher entweder als Scheingeschäft nichtig oder infolge Anfechtung nichtig geworden. Es sei in unzulässiger Weise Druck ausgeübt worden, damit der Geschäftsführer der Beklagten den Vertrag in Kenntnis der finanziell schwierigen und angespannten Situation und in Kenntnis dessen, dass die finanzierende Bank ohne Baugenehmigung keine Gelder freigebe, abschließe.
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Mit am 12. September 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt zuletzt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 285.000 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 20. Juni 2017 zu zahlen.
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Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ergebe sich aus dem Stellplatzablösevertrag vom 1. Juni 2016. Für eine seitens der Beklagten ausgesprochene Anfechtung fehle es an jedem in Betracht kommenden Grund. Die Beklagte habe mit kaufmännischem Wissen einen Vertrag abgeschlossen, zu dessen Einhaltung sie nun verpflichtet sei. Etwaige Unkenntnis oder Ausgehen von falschen Tatsachen könne ihr nicht zugutekommen, weil ihr zu jedem Zeitpunkt seitens der Klägerin erläutert worden sei, dass ein Entgegenkommen hinsichtlich der anzurechnenden Stellplätze nicht garantiert werden könne, sondern von einer noch offenen Prüfung abhänge. Der Zinsanspruch beruhe auf § 4 Abs. 1 des Vertrags.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Oktober 2017 wurde der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht München verwiesen (M 1 K 17.5071).
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Mit Schriftsatz vom … November 2017 beantragt die Beklagte,
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und wiederholt zunächst ihre Ausführungen. Der Stellplatzablösevertrag sei durch arglistige Täuschung zustande gekommen. Die Klägerin habe die Drucksituation der Beklagten in Kenntnis dessen, dass die Stellplatzablöse gar nicht reduziert werden könne, ausgenutzt, um den Geschäftsführer dazu zu bewegen, den Vertrag zu unterzeichnen. Unabhängig von der Anfechtung sei der Vertrag wirksam gekündigt worden, verbunden mit einem Antrag auf Anpassung des Vertrags gem. Art. 60 Abs. 1 BayVwVfG. Über diesen Antrag sei bislang nicht entschieden worden, genauso wie über den mit dem Bauantrag verbundenen Antrag auf Abweichung von der Stellplatzsatzung.
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Unter dem 17. Januar 2018 erwiderte die Klägerin. Der Beklagten sei zu keinem Zeitpunkt zugesichert worden, dass keine Stellplatzablöse zu zahlen sei. Sofern die Beklagte sich darauf berufe, dass sie das Vorhaben nicht realisiert hätte, wenn sie von der Stellplatzablöse Kenntnis gehabt hätte, sei entgegenzuhalten, dass bereits vor Einreichung des Bauantrags eine rechtssichere Prüfung lediglich für eine mögliche Abweichung zugesichert worden sei. Die Klägerin habe im weiteren Verlauf sogar die Beschlussvorlage für die erstmalige Vorstellung des Projekts in der Stadtratssitzung am 14. April 2015 mit der Beklagten abgestimmt. Änderungswünsche diesbezüglich habe es nicht gegeben. Auch dort sei zunächst auf eine rechtliche Prüfung verwiesen worden. Es seien zu keinem Zeitpunkt Zusagen getätigt worden. Es sei immer nur unter Vorbehalt eine günstige Prüfung in Aussicht gestellt worden. Die Beklagte sei sich bewusst gewesen, dass die Zahlung einer Stellplatzablöse nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass über den Abweichungsantrag im Rahmen der Baugenehmigung nicht mehr entschieden habe werden müssen, weil mit Abschluss des Ablösevertrags kein Sachbescheidungsinteresse diesbezüglich mehr gegeben gewesen sei. Der Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung liege nicht vor. Der Beklagten sei zu keinem Zeitpunkt zugesichert worden, die Stellplatzablöse nicht begleichen zu müssen. Der Geschäftsführer der Beklagten sei nachweislich auf die vorbehaltliche rechtliche Prüfung hingewiesen worden. Es liege auch kein Scheingeschäft i.S.d. § 117 BGB vor. Selbst wenn die Beklagte davon ausgegangen sei, den Vertrag nur zum Schein abzuschließen, habe die Klägerin zu keinem Zeitpunkt Kenntnis davon gehabt und sich damit auch niemals einverstanden erklärt.
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Mit Schreiben vom ... Mai 2018 erwiderte die Beklagte. Sie habe bereits bei Bauantragstellung immer wieder klargemacht, dass sie nicht bereit und wirtschaftlich nicht in der Lage sei, eine etwaig geforderte Stellplatzablöse zu übernehmen. Die Klägerin habe sich zwar zunächst nicht festgelegt, aber stets eine wohlwollende Prüfung zugesagt. Als es um den Abschluss des Ablösevertrags gegangen sei, habe der Stadtbaumeister gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten mitgeteilt, dass der Vertrag nur „pro forma“ abgeschlossen werde. Wenn der Ablösevertrag nicht unterzeichnet werde, könne die Baugenehmigung nicht erteilt werden. Diese Aussage sei falsch gewesen und lasse darauf schließen, dass bewusst getäuscht worden sei, um den Vertrag abzuschließen und den Antrag auf Abweichung nicht verbescheiden zu müssen. Die Beklagte sei vielmehr davon ausgegangen, dass eine erneute rechtliche Prüfung nach Abschluss des Vertrags stattfinde. Aus diesem Grund habe es dann nach Vertragsabschluss ein Gespräch mit der Klägerin gegeben. Der Stadtbaumeister der Klägerin habe ausgerechnet, dass die Möglichkeit bestehe, die Ablöse auf 120.000 EUR zu reduzieren.
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Unter dem 4. Juni 2018 erwiderte die Klägerin. Obgleich die Beklagte mehrmals signalisiert habe, die Stellplatzablöse nicht in voller Höhe zahlen zu wollen, habe sie das Verfahren weiterlaufen lassen. Dies, obwohl die Klägerin sich nicht festgelegt habe, d.h. ein Entgegenkommen gerade nicht zugesichert habe, sondern lediglich eine wohlwollende Prüfung. Ausdrücklich zurückgewiesen werde die Behauptung, der Stadtbaumeister habe mitgeteilt, dass der Ablösevertrag nur „pro forma“ abgeschlossen werde bzw. die Baugenehmigung nicht erteilt werden könne, wenn der Ablösevertrag nicht unterzeichnet werden würde. Möglicherweise handle es sich hier um ein Missverständnis dahingehend, dass mehrfach rechtlich einwandfrei betont worden sei, der Vertrag müsse aus formalen Gründen zum gleichen Zeitpunkt der Baugenehmigung bereits bestehen bzw. zuvor abgeschlossen werden. Gleichermaßen werde eine Zusage dahingehend bestritten, dass eine Reduzierung auf 120.000 EUR möglich sei.
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Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom … Juni 2018. Selbstverständlich habe die Klägerin der Beklagten ein Entgegenkommen zugesichert. Unklar sei lediglich gewesen, wie hoch dieses Entgegenkommen sei. Es habe jedoch bei einer Höchstforderung von 120.000 EUR gelegen.
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Am 26. Februar 2019 wurde im Verfahren M 1 K 17.5071 mündlich verhandelt. Nach entsprechen Anträgen der Beteiligten ordnete das Gericht das Ruhen des Verfahrens an, weil die Klägerin beabsichtigte, förmlich über den Abweichungsantrag zu entscheiden.
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Mit Schreiben vom 10. September 2019 beantragte die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens (nunmehr M 1 K 19.4970), weil sie zu der Auffassung gelangt sei, dass eine Verbescheidung des Antrags auf Abweichung nicht vorgenommen werden könne. Die Klägerin sei in der Baugenehmigung vom 14. Juni 2016 auf die zu prüfende Stellplatzfrage sowohl unter dem Punkt Auflagen als auch in der Begründung ausführlich eingegangen. Nach Auffassung der Klägerin habe die Beklagte bereits im Rahmen der Baugenehmigung eine Entscheidung hinsichtlich ihres Abweichungsantrags erhalten. Da die Baugenehmigung bestandskräftig sei, könne davon ausgegangen werden, dass die Baugenehmigung inklusive der Auflagen auch aus Sicht der Beklagten nicht fehlerhaft gewesen sei. Eine weitere bzw. ergänzende Verbescheidung sei nicht erforderlich und nicht möglich.
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Am 19. Dezember 2023 fand erneut mündliche Verhandlung statt. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift vom 19. Dezember 2023, wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
31
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig. Der Klägerin fehlt es insbesondere nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis, obwohl sich die S. (Bank) unter dem 3. Juni 2016 der Klägerin gegenüber selbstschuldnerisch bis zum Höchstbetrag von 285.000 EUR für ihre Ansprüche aus dem Stellplatzablösevertrag verbürgt hat. Die Bürgschaft der Bank enthält den Verzicht auf die Einrede der Vorausklage gem. § 771 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und der Anfechtbarkeit gem. § 770 Abs. 1 BGB. Weitere Einreden der Beklagten als Hauptschuldnerin – u.a. die Einreden der Nichtigkeit aufgrund Scheingeschäfts, der Kündigung oder der Vertragsanpassung – kann die Bank der Klägerin gegenüber gem. § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB auch weiterhin geltend machen, sodass die Klägerin das Klageziel nicht schneller und einfacher durch Inanspruchnahme der Bank ohne gerichtliche Hilfe erreichen kann. Der Klägerin ist deshalb nicht das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen, weil es unbillig wäre, ihr die Möglichkeit der endgültigen (gerichtlichen) Überprüfung des Bestehens der Zahlungsverpflichtung gegenüber der Hauptschuldnerin zu versagen.
32
Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.
33
1. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 285.000 EUR aus § 3 Abs. 1 des Vertrags. Die von der Beklagtenpartei vorgebrachten Gründe gegen die Wirksamkeit der Zahlungsverpflichtung greifen nicht durch. Das Geschäft ist nicht als Scheingeschäft nichtig (a)). Es wurde auch nicht wirksam angefochten (b)) oder gekündigt (c)). Eine Aufrechnung scheidet ebenfalls aus (d)) genauso wie eine Modifizierung des Geschäfts (e)).
34
a) Das Rechtsgeschäft ist nicht als Scheingeschäft nichtig.
35
Für den als öffentlich-rechtlichen Vertrag gem. Art. 54 ff. BayVwVfG abgeschlossenen Stellplatzablösevertrag gilt gem. Art. 59 Abs. 1 BayVwVfG, dass ein solcher Vertrag nichtig ist, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergibt.
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Gem. § 117 Abs. 1 BGB ist eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, nichtig, wenn sie mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben wird. Erforderlich ist, dass die Beteiligten einvernehmlich nur den äußeren Schein des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, dagegen die mit dem betreffenden Rechtsgeschäft verbundene Rechtswirksamkeit nicht eintreten lassen wollen (Wendtland in BeckOK BGB, Hau/Poseck, 68. Edition 2023, § 117 Rn. 7 m.w.N.).
37
Dass die Parteien nach diesen Grundsätzen einvernehmlich nur den äußeren Schein des Stellplatzablösevertrags hervorrufen wollten, ist aus den beigezogenen Behördenakten als maßgebliche Entscheidungsgrundlage nicht ersichtlich. Die Klägerin hat der Beklagten im Vorfeld des Vertragsschlusses wiederholt deutlich gemacht, dass der Stellplatznachweis vor Erteilung der Baugenehmigung erfüllt sein muss und dies zur Bedingung für die Baugenehmigung gemacht. Ausweislich einer internen E-Mail vom 1. März 2016 (Bl. 82 d. BA) äußerte der Stadtbaumeister dem Geschäftsführer der Beklagten gegenüber telefonisch, dass die Stellplatzfrage eine wesentliche Frage der Baugenehmigung darstelle und diese nicht zurückgestellt werden könne. Im Rahmen einer Besprechung am 6. April 2016, bei welcher auch der Geschäftsführer der Beklagten anwesend war, machte die Klägerin der Beklagten deutlich, dass die vom Geschäftsführer der Beklagten gewünschte zeitnahe Baugenehmigung nur dann möglich sei, wenn die volle Erhebung der Stellplatzablöse machbar sei, weil dies die einzige sicher darstellbare Lösung für die Verwaltung sei (Bl. 89 d. BA). In einer weiteren E-Mail vom 12. April 2016 äußerte der Stadtbaumeister der Klägerin gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten, dass die Baugenehmigung erst nach der endgültigen Klärung der Stellplatzfrage erteilt werden könne und bereits absehbar sei, dass auf den vollen Erlass der Ausgleichszahlung nicht verzichtet werden könne (Bl. 95 d. BA). Ausweislich der Beschlussvorlage des Bau- und Umweltausschusses der Klägerin vom 25. April 2016 stellte dieser erneut fest, dass eine Baugenehmigung ohne den Nachweis der notwendigen Stellplätze nicht erteilt werden könne. 39 Stellplätze müssten zunächst abgelöst werden; wenn sich eine Möglichkeit zur Abweichung von der Stellplatzsatzung ergebe, müsse eine erneute Entscheidung getroffen werden (Bl. 107 d. BA).
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Angesichts dieser dargestellten Tatsachenlage kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin nur den äußeren Schein des Stellplatzablösevertrags hervorrufen und die Rechtswirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht eintreten lassen wollte. Letztlich dürfte es auch dem Willen der Beklagten entsprochen haben, den Stellplatzablösevertrag nicht bloß zum Schein abzuschließen. Mit Schreiben vom 31. Mai 2016 legte sie eine von ihrem Architekten erstellten, angepasste Stellplatzberechnung mitsamt Stellplatznachweis vor (Bl. 145 f. d. BA). Nach dem Stellplatznachweis können auf dem Baugrundstück keine Stellplätze nachgewiesen werden, 38 Stellplätze sollen abgelöst werden. Dieser Stellplatznachweis ist zum Gegenstand des Stellplatzablösevertrags gemacht worden; er ist dem Vertrag als Anlage 2 beigefügt. Der Stellplatzablösevertrag wurde mitsamt zugehörigem Stellplatznachweis zudem zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht. Diese hat die Beklagte nicht angefochten, sie ist somit mitsamt der Ablöseverpflichtung bestandskräftig.
39
Dass es sich bei der auf Vereinbarung der Stellplatzablöse gerichteten Willenserklärung der Beklagten um eine ernstlich gemeinte handeln musste, ist schließlich auch daran ersichtlich, dass sie sich kurz vor Erteilung der Baugenehmigung an ihre Bank wandte, um die von der Klägerin geforderte Bankbürgschaft beizubringen (Bl. 132 d. BA). Mit der Forderung der Klägerin nach der Bankbürgschaft war bzw. musste der Beklagten klar sein, dass der Eintritt der Zahlungsverpflichtung realistisch ist. Damit hat mithin auch die Beklagte deutlich gemacht, dass sie die Rechtswirksamkeit des Stellplatzablösevertrags brauchte und nicht nur dessen Scheinwirksamkeit eintreten lassen wollte.
40
Dass die Klägerin die Erfüllung der Stellplatzpflicht zur Voraussetzung für die Erteilung der Baugenehmigung gemacht hat, ist überdies nicht nur unbedenklich, sondern für die Rechtmäßigkeit zwingend erforderlich. Im einschlägigen Baugenehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 60 S. 1 Nr. 2 BayBO u.a. die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Anforderungen nach den Vorschriften, die aufgrund der Bayerischen Bauordnung erlassen wurden. Um solche Vorschriften handelt es sich bei den Regelungen in der Stellplatzsatzung der Klägerin, die ihre Ermächtigungsgrundlage in Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayBO findet.
41
Angesichts dessen bleibt auch kein Raum für eine Nichtigkeit gem. Art. 59 Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. § 118 BGB, wonach eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, nichtig ist.
42
b) Die Beklagte hat ihre auf Abschluss des Stellplatzablösevertrags gerichtete Willenserklärung zudem nicht wirksam angefochten, sodass das Rechtsgeschäft auch unter diesem Gesichtspunkt nicht nichtig ist, Art. 59 Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. § 142 Abs. 1 BGB.
43
Die Voraussetzungen für eine Anfechtung gem. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB liegen nicht vor. Die Klägerin hat die Beklagte nicht durch arglistige Täuschung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt.
44
Täuschung ist bewusstes, d.h. vorsätzliches Erregen- oder Aufrechterhaltenwollen eines Irrtums durch Vorspiegeln falscher oder Unterdrücken wahrer Tatsachen, um den Getäuschten vorsätzlich zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung zu veranlassen (Mansel in Jauernig, BGB, 19. Aufl. 2023, § 123 Rn. 3). Das Merkmal der Arglist meint (bedingten) Vorsatz und ist bereits vom Täuschungsbegriff umfasst (Mansel, a.a.O. Rn. 7).
45
Die Beklagtenpartei begründet die erklärte Anfechtung im Wesentlichen damit, dass ihr in Aussicht gestellt worden sei, dass eine Abweichung von der Stellplatzsatzung – für den gesamten Stellplatzbedarf oder nur einen Teil davon – erteilt werden würde und die maximale Kostenbelastung (wenn überhaupt) zwischen 75.000 EUR und 120.000 EUR liege. Die Klägerin habe der Beklagtenpartei gegenüber geäußert, dass zunächst die volle Ablöse akzeptiert werden müsse, es im Nachgang jedoch zu einer deutlichen Reduzierung der Zahl der notwendigen Stellplätze und der damit verbundenen Ablösesumme kommen werde.
46
Eine aus diesem Vorbringen zu begründende arglistige Täuschung durch die Klägerin kann den beigezogenen Behördenakten nicht entnommen werden. Zwar zeigt der Akteninhalt und zugehörige Schriftverkehr zwischen den Parteien, dass die Klägerin der Beklagten stets eine wohlwollende Prüfung der Stellplatzfrage in Aussicht stellte. Der Beklagten wurde jedoch nie unwahr vorgespiegelt, dass eine Abweichung in jedem Fall erteilt wird.
47
Bereits zu Beginn der Planungen des Vorhabens, noch vor Stellung des Bauantrags, fand eine Besprechung zwischen dem Planungsbüro der Beklagten und der Klägerin statt, bei welcher auch der Geschäftsführer der Beklagten anwesend war. Im Nachgang zu der Besprechung bat der Stadtbaumeister der Klägerin um Korrektur des Besprechungsprotokolls und verlangte die Aufnahme der Feststellung, dass eine Abweichung von der für ein Vorhaben erforderlichen Stellplatzanzahl nach der Stellplatzsatzung grundsätzlich möglich sei, dies jedoch eine Ermessensentscheidung darstelle, die ggf. vom Stadtrat beschlossen werden müsse (Bl. 17 d. BA). Dies zeigt, dass es der Klägerin von Beginn an darauf ankam festzuhalten, dass die Erteilung einer Abweichung nicht von vornherein in Aussicht gestellt werden kann. In der Folge wurde dies vom Stadtrat der Klägerin in der Sitzung vom 14. April 2015 in der gebotenen und der Beklagten gegenüber kommunizierten Zurückhaltung beschlossen. Nach Ziffer 2. des Beschlussvorschlags wurde eine Abweichung vom Stellplatzbedarf nur in Aussicht gestellt, sofern dies ausreichend begründet wird und rechtlich gesichert dargestellt werden kann, wobei über die Art der städtebaulichen Kompensation im Zuge des notwendigen weiteren Verfahrens zu entscheiden sei (Bl. 36 f. d. BA). Ausweislich der textlichen Begründung zur Beschlussvorlage werde die Möglichkeit, eine Abweichung zuzulassen, in Betracht gezogen. Eine juristische Prüfung dies Vorgangs stehe im Hinblick auf die Schaffung eines Präzedenzfalls jedoch noch aus. Diese Beschlussvorlage war vorab mit dem Geschäftsführer der Beklagten abgestimmt worden, er hatte ihr ausdrücklich zugestimmt (Bl. 33 d. BA). Dass die Klägerin stets damit rechnen musste, dass es u.U. zu einer Ablöseverpflichtung kommen würde, zeigen auch die in den Akten befindlichen Vermerke über Gespräche bzw. E-Mail-Kommunikation zwischen den Parteien am 6. April 2016, am 12. April 2016 sowie am 19. April 2016. Dort wurde dem Geschäftsführer der Beklagten erneut deutlich gemacht, dass eine von ihm gewünschte zeitnahe Ausstellung der Baugenehmigung nur möglich sei, wenn die derzeit einzig rechtssicher darstellbare Lösung für die Klägerin, die volle Erhebung der Ablösekosten für alle baurechtlich erforderlichen Stellplätze, machbar sei. Sofern eine Abweichung vorgenommen werden solle, müsse darüber ein Gremium befinden (Bl. 89 d. BA). Absehbar sei, dass auf den vollen Erlass der Ausgleichszahlung nicht verzichtet werden könne (Bl. 95 d. BA). Schließlich sei eine „Ausnahme von der Ablösezahlung“ rechtssicher nicht vertretbar (Bl. 98 d. BA).
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Die Erwartung der Beklagten, dass lediglich ein Betrag zwischen 75.000 EUR und 120.000 EUR zu zahlen sein müsse, fußt wohl auf einer E-Mail des Stadtbaumeisters der Klägerin vom 2. Juni 2015 an den Geschäftsführer der Beklagten. Darin werden mögliche Gründe für eine Abweichung von der Stellplatzsatzung genannt, die die Klägerin erarbeitet habe und als Arbeitsgrundlage dienen solle, warum und in welcher Form auf die Herstellung und Ablöse eines Teils der Stellplätze verzichtet werden könne. Ausweislich des Schreibens liege die Grenze für das maximale Entgegenkommen der Klägerin bei 50%, sodass die Stellplatzablöse nach der zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Stellplatzberechnung bei 75.000 EUR liege (Bl. 61 f. d. BA). Nach weiteren Gesprächen und Schriftverkehr zwischen den Parteien schlug die Klägerin angesichts der Umplanung durch die Beklagte (Wegfall der Tiefgarage) sodann vor, 23 der zunächst notwendigen 39 Stellplätze durch den Bau einer E-Bike-Station zu kompensieren, sodass eine Ablöse von 16 verbleibenden Stellplätzen, mithin ein Betrag i.H.v. 120.000 EUR, notwendig sei (Bl. 85 d. BA). Auch aus diesen Akteninhalten ergibt sich jedoch keinesfalls, dass die Klägerin sich gegenüber der Beklagten dergestalt binden wollte, dass nur ein solcher Betrag zu zahlen wäre. Insoweit handelt es sich allenfalls um die Darstellung rechtlicher Erwägungen anstelle der Stellplatzablöseverpflichtung, die stets einer ausdrücklichen Entscheidung des Stadtrats der Klägerin bedurft hätten.
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Nach Gesamtschau der dargestellten Akteninhalte kann eine arglistige Täuschung der Klägerin über die Abweichungserteilung und den sich daraus ergebenden Ablösebetrag nicht angenommen werden. Die Klägerin hat stets offen gegenüber der Beklagten kommuniziert, dass eine Abweichung zwar grundsätzlich möglich sei, aber nicht zugesichert werden könne. Dies steht auch im Einklang mit der gesetzlichen Grundlage für eine Abweichung. Gem. Art. 63 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO steht die Abweichungsentscheidung im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Eine Zusicherung der Klägerin an die Beklagte, dass eine Abweichung von der Stellplatzsatzung erteilt werde, gibt es nicht. Gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG bedarf eine solche Zusicherung zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Das Vorhandensein einer konkreten schriftlichen Zusicherung ist weder aktenkundig noch von Beklagtenpartei behauptet worden.
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Soweit die Beklagtenpartei mehrfach betont, dass die Klägerin bis zum jetzigen Zeitpunkt über den gleichzeitig gestellten Abweichungsantrag noch nicht entschieden habe, folgt das Gericht dem nicht. Die Baugenehmigung vom 14. Juni 2016 zählt unter „II. Abweichungen“ sämtliche bauordnungsrechtliche Bestimmungen auf, von welchen Abweichungen gem. Art. 63 Abs. 1 BayBO zugelassen werden. Eine Abweichung von der Stellplatzsatzung findet sich dort nicht. Im Umkehrschluss ist deshalb davon auszugehen, dass eine Abweichung insoweit nicht erteilt wurde. Die kurz vor Erteilung der Baugenehmigung mit Schreiben vom 31. Mai 2016 vorgelegte, angepasste Stellplatzberechnung mit Stellplatznachweis (Bl. 145 f. d. BA) sieht vor, dass 38 Stellplätze abgelöst werden sollen, weil auf dem Baugrundstück keine Stellplätze nachgewiesen werden können. Durch diesen dem Vertrag als Anlage 2 beigefügten und auch zum Gegenstand der Baugenehmigung erklärten Stellplatznachweis ist deutlich, dass eine Abweichung weder beantragt noch erteilt wurde. Bezugnehmend darauf wurde unter „VI. Auflagen“, dort Ziff. 21, festgesetzt, dass sämtliche Stellplätze, die nicht hergestellt werden können, abgelöst werden müssen. Auf den Stellplatzablösevertrag vom 1. Juni 2016 wird verwiesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste für die Beklagte deutlich gewesen sein, dass die Stellplatzablöse zu zahlen sein wird. Der Beklagten wäre es offen gestanden, die Baugenehmigung mitsamt zugrundeliegender (abschlägiger) Abweichungsentscheidung anzufechten oder – da sie von der fehlenden Entscheidung über die Abweichung ausging – die Erteilung einer Abweichung vorab gerichtlich einzuklagen, etwa im Wege der Untätigkeitsklage gem. 75 VwGO. All dies hat sie nicht getan, die Baugenehmigung ist bestandskräftig geworden.
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Im Übrigen setzt sich die Beklagte auch in Widerspruch zu ihrem eigenen Vorbringen, wenn sie einerseits die Nichtigkeit des Vertrags aufgrund Scheingeschäfts behauptet, andererseits die Anfechtung einer zunächst wirksamen Willenserklärung erklärt.
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c) Der Beklagten steht auch nicht das Recht zu, den Vertrag anzupassen oder zu kündigen.
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Gem. Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann eine Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhalts an geänderte Verhältnisse verlangen, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrags so wesentlich geändert haben, dass ihr das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist. Sofern eine Anpassung nicht möglich oder der Vertragspartei nicht zuzumuten ist, kann sie den Vertrag kündigen.
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Die Beklagte begründet die geforderte Anpassung bzw. Kündigung damit, dass sich die Anzahl der notwendigen Stellplätze aufgrund neuer Verkaufsflächenberechnungen geändert habe. Die Verkaufsnutzfläche betrage nunmehr 1.002 m², woraus sich ein Stellplatzbedarf von 28 gewerblichen Stellplätzen und sieben Stellplätzen für Wohnnutzung, mithin insgesamt von 35 Stellplätzen, ergebe. Dem zugrundeliegenden Schreiben vom 8. März 2017 ist die neue Verkaufsflächenberechnung (Pläne vom 27. Februar 2017) zwar als Anlage beigefügt. Einen erneuten Tekturantrag stellte die Beklagte jedoch nicht. Die geänderte Verkaufsflächenberechnung hat deshalb schon keinen förmlichen Eingang in das Baugenehmigungsverfahren gefunden und wurde demgemäß folgerichtig von der Klägerin nicht berücksichtigt. Ob es sich bei einer Verringerung des Stellplatzbedarfs von zunächst 38 auf nunmehr 35, mithin drei Stellplätzen, um eine nach o.g. Vorschrift notwendige wesentliche Änderung der Vertragsverhältnisse handelt, die der Beklagten das Recht eröffnen würde, den Vertrag anzupassen oder gar zu kündigen, ist nicht entscheidungserheblich.
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d) Eine Aufrechnung gem. § 387 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es fehlt schon an der Darlegung konkreter, aufrechenbarer Gegenansprüche der Beklagten. Die Ausführungen ihres Bevollmächtigten dazu beschränken sich auf die pauschale Erklärung der Aufrechnung mit „etwaigen Ansprüchen aus der Bauverzögerung“. Nähere Ausführungen folgten nicht.
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e) Soweit die Beklagte die Modifizierung des Stellplatzbedarfs auf Grundlage der Stellplatzsatzung und daraus folgend eine Korrektur der Ablöseverpflichtung begehrt, dringt sie damit ebenfalls nicht durch.
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Gemäß § 2 Abs. 2 der Stellplatzsatzung ist der Stellplatzbedarf bei gewerblichen Anlagen nach der Hauptnutzfläche zu berechnen. Ergibt sich dabei ein offensichtliches Missverhältnis zum tatsächlichen Bedarf, kann die Zahl der Beschäftigten zugrunde gelegt werden (mind. 1 Stellplatz je 3 Beschäftigte).
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Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 ist der Stellplatzbedarf bei baulichen Anlagen, die unterschiedliche Nutzungsarten enthalten, für jede Nutzungsart und Nutzungseinheit getrennt zu ermitteln. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 der Stellplatzsatzung der Klägerin ist die nach Satz 1 berechnete Zahl der notwendigen Stellplätze dem zu erwartenden Zu- und Abfahrtsverkehr entsprechend zu erhöhen oder zu verringern, wenn die berechnete Zahl in einem offensichtlichen Missverhältnis zum tatsächlich zu erwartenden Bedarf steht.
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Die Beklagte führt insoweit an, dass § 2 Abs. 2 der Stellplatzsatzung anzuwenden sei. Ein offensichtliches Missverhältnis sei gegeben, weil 1970 bereits 60 Stellplätze abgelöst worden seien und ausweislich der Berechnung des Planungsbüros im Innenhof elf neue Stellplätze vorgesehen seien; die Beklagte weise somit eine Gesamtzahl von 71 Stellplätzen auf. Wende man den Stellplatzschlüssel aus § 2 Abs. 2 an, ergebe dies eine Beschäftigtenzahl von 213. Die Beklagte beschäftige allerdings nur ca. 50 Personen. Im Umkreis von ca. 200 m befänden sich zudem vier öffentliche Parkplatzanlagen.
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Die Beurteilung des Bedarfs richtet sich hier jedoch nicht nach § 2 Abs. 2 der Satzung, sondern nach § 2 Abs. 3, weil es sich um eine bauliche Anlage handelt, die unterschiedliche Nutzungsarten enthält (Gewerbe und Wohnen). § 2 Abs. 3 stellt die speziellere Regelung dar, sodass § 2 Abs. 2 schon deshalb nicht anwendbar ist. Ob ein offensichtliches Missverhältnis nach der Vorschrift vorliegt, kann hier zudem dahinstehen, weil die Parteien sich auf die Ablöse von 38 Stellplätzen im Rahmen des Stellplatzablösevertrags geeinigt haben. Originäre Fragen zum tatsächlichen Bedarf nach § 2 der Stellplatzsatzung wären im Vorhinein zu klären gewesen. Für eine Modifizierung nach der Vorschrift bleibt nach der Einigung auf die Ablöse von 38 Stellplätzen kein Raum. Soweit die Beklagte eine nachträgliche „Modifizierung“ der Zahl der notwendigen Stellplätze fordert, ist dies nur über eine Anpassung nach Art. 60 BayVwVfG möglich. Ein solches Recht steht ihr jedoch nicht zu (s.o.).
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2. Die Zahlungsverpflichtung ist auch fällig geworden. Gem. § 4 Abs. 1 des Vertrags wird der Betrag von 285.000 EUR mit der Nutzungsaufnahme des Vorhabens fällig. Die Beklagte hat mit Formblatt vom 1. Juni 2017 die Aufnahme der Nutzung zum 19. Juni 2017 gegenüber der Klägerin angezeigt (Bl. 572 f. d. BA). Fälligkeit ist somit eingetreten.
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3. Vertragliche Zinsansprüche bestehen nicht, weil es den in § 4 des Vertrags vereinbarten Zins schon lange nicht mehr gibt (vgl. § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetztes vom 27. Juni 2000 – DÜG) und die Vereinbarung damit unbestimmt ist. Denn auch das DÜG ist seit April 2002 außer Kraft, und der dort geregelte Basiszinssatz ist nicht mit dem Basiszinssatz des § 247 BGB identisch. Der tenorierte Zinsanspruch in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beruht indes auf Art. 62 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Beklagte ist mit der Zahlung in Verzug gekommen, ohne dass es einer Mahnung bedurfte, sodass die Klägerin Anspruch auf Verzinsung hat. Eine darüber hinausgehende Zinshöhe, § 288 Abs. 2 BGB, war der Klägerin nicht zuzusprechen, weil eine solche nicht beantragt worden ist (§ 88 VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.