Titel:
Dublin-Verfahren (Italien)
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a
Dublin III-VO Art. 3, Art. 7 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 19 Abs. 3
Leitsatz:
Wird der Asylsuchende nach Zustimmung zu einem Wiederaufnahmeersuchen nicht innerhalb der Überstellungsfrist in den für die Prüfung seines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat überstellt, geht die Zuständigkeit für die Prüfung des neuerlichen Asylantrags nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wieder auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Afghanistan, Dublin-Verfahren, Wechsel der Zuständigkeit bei fehlender Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat innerhalb der Überstellungsfrist, Durchgehender Aufenthalt im Schengen-Raum, Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags, Zuständigkeitsübergang, Wiederaufnahmeersuchen, Überstellungsfrist
Fundstelle:
BeckRS 2023, 39367
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden ist.
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1. Der unter Vorlage von Ausweispapieren in das Bundesgebiet eingereiste Kläger ist 1993 geboren und afghanischer Staatsangehöriger.
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Nach der Einreise auf dem Landweg im Jahr 2015 beantragte er am 13. Oktober 2016 beim Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigter.
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Mit Bescheid vom 28. Dezember 2016 wurde der Asylantrag in vollem Umfang abgelehnt, dem Kläger wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Klage blieb erfolglos (VG München, U.v. 17.6.2019 – M 15 K 17.30664; BayVGH, B.v. 8.4.2020 – 13a ZB 19.32800).
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Nach seinen eigenen Angaben und den Erkenntnissen des Bundesamts aufgrund der EURODAC-Treffer hat der Kläger Ende 2020 die Bundesrepublik Deutschland in Richtung Frankreich verlassen und dort einen Asylantrag gestellt. Im Februar 2021 ist er nach Italien weitergereist, wo er ebenfalls einen Asylantrag gestellt hat. Über letzteren wurde erkennbar bisher nicht entschieden. Nach seinen Angaben hat der Kläger Italien bis zu seiner erneuten Einreise in das Bundesgebiet nicht verlassen.
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Im März 2023 reiste der Kläger von Italien kommend erneut in das Bundesgebiet ein und beantragte beim Bundesamt erneut die Anerkennung als Asylberechtigten.
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Wegen der Asylantragstellung in Italien hat das Bundesamt am 10. März 2023 bei den italienischen Behörden Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers nach Art. 18 Abs. 1 lit b Dublin III-VO gestellt, der von dort am 22. März 2023 mit einer Rückübernahmezusage beantwortet worden ist.
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Mit Bescheid vom 19. April 2023, zugestellt am 24. April 2023, wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Abschiebung nach Italien wurde angeordnet (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
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In den Gründen ist ausgeführt, der Asylantrag sei unzulässig, da wegen der dortigen Asylantragstellung Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Abschiebungsverbote lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien würden nicht zu der Annahme führen, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege.
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2. Am 28. April 2023 ließ der Kläger Klage erheben.
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Zur Begründung wurde im Klageschriftsatz im Wesentlichen ausgeführt, dass die Bundesrepublik Deutschland weiter für die Durchführung des erneuten Asylverfahrens zuständig sei. Das Stellen von Asylanträgen in Frankreich und Italien hätten keine Zuständigkeit dieser Länder nach Art. 18 Dublin III-VO für die Durchführung eines Asylverfahrens begründet. Insbesondere habe der Kläger das Gebiet der Mitgliedsstaaten seit der Ersteinreise nicht verlassen, so dass nach Art. 19 Abs. 3 Dublin III-VO die aus dem Asylerstverfahren bestehende Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht untergegangen sei.
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Der Kläger lässt durch seinen Bevollmächtigten beantragen,
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den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19.4.2023 aufzuheben.
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Das Bundesamt beantragt,
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Die ursprüngliche Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens sei zwischenzeitlich auf Italien übergegangen. Die italienischen Behörden hätten nach der Einreise des Klägers im April 2021 die Bundesrepublik Deutschland zur Wiederaufnahme des Klägers aufgefordert. Die Rückübernahme habe das Bundesamt am 11. April 2021 zugesichert, innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist habe Italien aber den Kläger nicht an die Bundesrepublik Deutschland rücküberstellt. Damit sei die Zuständigkeit für das Asylverfahren nach dem Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Dublin III-VO auf Italien übergegangen. Eine Anwendung des Art. 19 Dublin III-VO scheide vorliegend aus, da ein Verlassen des Gebiets der Mitgliedsstaaten nach dem eigenen Vortrag des Klägers und den Erkenntnissen des Bundesamts gerade nicht vorliege.
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Ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb erfolglos (VG Augsburg, B.v. 11.7.2023 – Au 8 S 23.50179).
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Mit Schriftsatz vom 3. November 2023 hat das Bundesamt mitgeteilt, dass der Kläger seit Anfang Juni 2023 untergetaucht ist. Gegenüber den italienischen Behörden wurde rechtzeitig die Überstellungsfrist bis zum 25. Januar 2025 verlängert.
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Mit Beschluss vom 10. November 2023 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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In der Sache wurde am 8. Dezember 2023 mündlich vor Gericht verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird im Einzelnen Bezug genommen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Au 8 S 23.50179, sowie der beigezogenen Behördenakte des Bundesamts.
Entscheidungsgründe
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In der Sache konnte das Gericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2023 entscheiden, ohne dass ein Verfahrensbeteiligter zum Termin erschienen ist. Die Beteiligten wurden auf diese Möglichkeit nach § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hingewiesen.
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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
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1. Gegenstand der Klage ist der Bescheid des Bundesamts vom 19. April 2023, mit welchem der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wurde.
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Die Klage ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Das Bundesamt hat zutreffend den Asylantrag des Klägers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) als unzulässig abgelehnt, da Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Auf die Ausführungen hierzu im angefochtenen Bescheid kann gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen werden. Das Gericht schließt sich im vollem Umfang den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Bescheids an.
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Nur ergänzend wird ausgeführt:
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Entgegen der in der Klagebegründung vertretenen Auffassung ist mit der Asylantragstellung des Klägers zuletzt in Italien die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf Italien übergegangen ist. Eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland besteht nicht (mehr).
28
Die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes bemisst sich nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 ff. Dublin III-VO. Da der Kläger 2016 in der Bundesrepublik Deutschland einen Asyl(Erst-)-Antrag gestellt hat, ist Deutschland dem Grunde nach verpflichtet, die weiteren Asylanträge des Klägers ebenfalls als zuständiger Mitgliedsstaat zu prüfen (vgl. Art. 3 i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO). Nach Art. 18 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 23 Dublin III-VO ist die Bundesrepublik Deutschland damit auch verpflichtet, den Kläger, der in zuletzt Italien einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, auf Ersuchen Italiens wiederaufzunehmen. Diesem Ersuchen Italiens hat die Bundesrepublik Deutschland am 11. April 2021 zugestimmt. In der Folge hat Italien den Kläger jedoch nicht innerhalb der Überstellungsfrist (vgl. Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) an die Bundesrepublik Deutschland rücküberstellt. Mit dem Ablauf der Überstellungsfrist ist die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, die Zuständigkeit ist auf Italien übergegangen.
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Gemäß dieser Sachlage ist Italien (weiter) für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig, im angefochtenen Bescheid wurde damit zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG die Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet.
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Soweit in der Klagebegründung weiter auf die Regelung des Art. 19 Abs. 3 Dublin III-VO verwiesen wird, gehen diese Ausführungen ins Leere. Eine Zuständigkeitsbestimmung nach dem Verlassen der Mitgliedsstaaten ist vorliegend aufgrund des ständigen Aufenthalts des Klägers in Deutschland, Frankreich und Italien seit der Ersteinreise im Jahr 2015 gerade nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.
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b) Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG hat das Bundesamt ebenfalls zu Recht verneint. Auch insoweit kann auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen werden. Der Kläger hat weder beim Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren etwas Sachdienliches vorgetragen, was die Annahme eines Abschiebungsverbots begründen könnte.
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c) Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruht auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll. Die Abschiebung ist weiterhin möglich, die Überstellungsfrist wurde nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 a.E. Dublin III-VO wirksam auf 18 Monate verlängert und ist noch nicht abgelaufen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger trägt als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens.