Titel:
Enge Auslegung des „berechtigten Interesse“ für die Ausstellung eines Zweitpasses
Normenketten:
PassG § 1 Abs. 3
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Ein Zweitpass kann nur ausgestellt werden, wenn das berechtigte Interesse gem. § 1 Abs. 3 PassG nachgewiesen wird. Es liegt etwa vor, wenn aus der Vielzahl, der aus beruflichen Gründen geplanten Reisen und den beabsichtigten Reisezielen und -daten ersichtlich wird, dass sich die Beantragung der benötigten Visa und die Durchführung der beabsichtigten Reisen konkret ausschlössen oder substantiell verzögern würden (OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2020, 6931). (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren ist abzulehnen, wenn der Antragstellerin zumutbar war, sich eher um die Klärung der Rechtsfrage zu bemühen oder nicht ausreichend dargelegt wird, dass die Reise nicht verschoben werden kann. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausstellung eines Zweitpasses, Vorwegnahme der Hauptsache, berechtigtes Interesse, Zweitpass
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 13.09.2023 – M 7 E 23.4287
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37975
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr vorläufig einen Zweitpass auszustellen.
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Ihr bei der Behörde erstmals am 11. Juli 2023 geäußertes Begehr begründete sie damit, im Rahmen ihrer selbständigen Tätigkeit als Verhaltensbiologin ab dem 10. September 2023 verschiedene Länder im westlichen, zentralen und östlichen Afrika besuchen zu wollen. Viele dieser Länder seien visumspflichtig, sodass der zweite Reisepass benötigt werde, um reisen zu können, während der andere Reisepass sich ggf. bei einer Botschaft zur Visumerteilung befinde. Die Antragsgegnerin kam dem Antrag nicht nach.
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Mit Beschluss vom 23. September 2023 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 29. August 2023 ab, der auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Ausstellung eines Zweitpasses gerichtet war. Die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache käme nur in Betracht, wenn das Abwarten bis zur Hauptsacheentscheidung für die Antragstellerin schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte und der Erfolg der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich sei, die Sache also bei Anlegung eines strengen Maßstabs an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben werde. Unter Berücksichtigung dieses erhöhten Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Beschwerde der Antragstellerin.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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Die im Beschwerdeverfahren innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben keine Veranlassung, die angegriffene Entscheidung zu ändern.
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1. Das Verwaltungsgerichts ging unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung und Literatur (EBA Rn. 13 ff.) davon aus, der Begriff des berechtigten Interesses im Sinne des § 1 Abs. 3 PassG sei wegen des Ausnahmecharakters der Ausstellung von Zweitpässen eng auszulegen. Ein berechtigtes Interesse an der Ausstellung eines Zweitpasses gem. § 1 Abs. 3 PassG könne sich (u.a.) daraus ergeben, dass eine Person aus beruflichen Gründen so viel reise, dass ein Pass ständig bei einer Auslandsvertretung zur Visumsbeantragung abgegeben werden müsse, zeitgleich aber der Pass für Reisen in andere Länder benötigt werde. Die Antragstellerin habe jedoch nicht konkret genug dargelegt, warum es bei den geplanten Reisen zu Überscheidungen bei der Visa-Beantragung kommen könne. Ein berechtigtes Interesse sei in diesen Fällen nur anzunehmen, wenn aus den beabsichtigten Reisezielen und -daten ersichtlich sei, dass sich die Beantragung der benötigten Visa und die Durchführung der beabsichtigten Reisen im konkreten Fall ausschlössen. Mangels Angabe konkreter Reisedaten und Reiseziele sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin ihre berufliche Tätigkeit den äußeren Reisegegebenheiten anpassen könne.
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Dem hält die Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung entgegen, dass sie wegen der Art und Weise der Reise (mit einem Expeditionsfahrzeug ohne Hotelübernachtungen) sowie bei einer fast einjährigen geplanten Reisedauer im Voraus keine weiteren Konkretisierungen der geplanten Reiseroute bzw. Reisedaten angeben könne. In der Sache rügt sie damit lediglich eine zu strenge Auslegung des Begriffs des berechtigten Interesses, das ihrer Ansicht nach schon dann gegeben ist, wenn die Ausstellung eines zweiten Reisepasses geeignet ist, Risiken beruflich veranlasster Reisen zu minimieren und die Beantragung daher nicht willkürlich erscheine. Ein derartiger Maßstab lässt sich mit der Gesetzesformulierung nicht in Einklang bringen („Niemand darf mehrere Pässe der Bundesrepublik Deutschland besitzen, sofern […] “), die ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis zum Ausdruck bringt. Ein berechtigtes Interesse an weiteren Reisepässen muss nach dem Gesetzwortlaut außerdem nicht nur geltend gemacht, sondern nachgewiesen werden. Rechtsprechung und Literatur folgern daraus, dass die Gefahr der Einreiseverweigerung (oder substantieller Reiseverzögerungen) hinreichend konkret sein müsse (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 3.4.2020 – OVG 5 N 59.16 – juris Rn. 9; Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, WD 3 – 3000 – 067/17, 13. März 2017, S. 3). Eine hinreichend konkrete Gefahr kann sich dabei etwa aus Sichtvermerken eines Durchreisestaates oder zeitlichen Umständen ergeben, die – wie im Falle von Flugpersonal – die Berufsausübung ohne Zweitpass objektiv unmöglich machen können. Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Antragstellerin eine derartige konkrete Gefahr nicht nachgewiesen hat.
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2. Der Beschwerdebegründung lässt sich schließlich auch nicht entnehmen, warum das Abwarten bis zur Hauptsacheentscheidung für die Antragstellerin unzumutbare Nachteile zur Folge hätte. Es wäre der Antragstellerin nach Ansicht des Senats umgekehrt zumutbar gewesen, sich bei der Vorbereitung einer einjährigen Auslandsexpedition auch frühzeitig um die Beantragung eines zweiten Reisepasses und Abklärung der damit verbundenen Rechtsfragen zu bemühen. Ihre diesbezügliche Obliegenheitsverletzung kann es nicht rechtfertigen, zu Ihren Gunsten eine Vorwegnahme der Hauptsache herbeizuführen, zumal auch nicht dargetan wurde, warum die Reise nicht hätte verschoben werden können.
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3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Nr. 30.1 und Nr. 1.5).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).