Titel:
Masernimpflicht, zuständige Behörde, Zuständigkeit vorliegend verneint, Nachweis ausreichender Masernschutz
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
§ 20 Abs. 9 lfSG
§ 20 Abs. 12 lfSG
VwZVG Art. 21a
ZustV § 65 S. 1
ZustV § 65 S. 4
GDG Art. 1 Abs. 1 Nr. 4
GDG Art. 1 Abs. 2
Schlagworte:
Masernimpflicht, zuständige Behörde, Zuständigkeit vorliegend verneint, Nachweis ausreichender Masernschutz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 3751
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 23. Januar 2023 gegen den Bescheid der Stadt A … vom 27. Dezember 2022 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die mit einer Zwangsgeldandrohung verbundenen behördlichen Aufforderung zur Vorlage eines Nachweises über einen ausreichenden Masernschutz für ihre minderjährige Tochter.
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1. Am 4. August 2022 übermittelte die …-Schule dem Landratsamt A …, Gesundheitsamt, eine ärztliche Bescheinigung mit Angabe einer dauerhaften Kontraindikation gegen eine Masernschutzimpfung der elfjährigen Tochter der Antragstellerin. Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2022 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass nach Mitteilung des Gesundheitsamtes die Atteste des ausstellenden Arztes nicht akzeptiert werden können und für ihre Tochter ein vollständiger Masernimpfschutz bzw. die medizinische Kontraindikation für eine solche Impfung nachzuweisen ist. Der Antragstellerin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20. Dezember 2022 gegeben.
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Mit Bescheid vom 27. Dezember 2022 ordnete die Antragsgegnerin an, dass die Antragstellerin dem Gesundheitsamt für ihre Tochter J … S …, geb. … … …, bis zum 15. März 2023 einen Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz gemäß § 20 Absatz 9 IfSG vorzulegen hat (Nr. 1). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 1 des Bescheids werde ein Zwangsgeld von 250,00 EUR fällig (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Anordnungen Nr. 1 – 2 wurde angeordnet (Nr. 3). Die Kosten des Bescheids betragen 124, 11 EUR. Es wurde eine Gebühr in Höhe von 120,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betragen 4,11 EUR (Nr. 4). In den Gründen ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin zum Erlass des Bescheides ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz (GDVG), § 65 Satz 1 der Zuständigkeitsverordnung (ZustV), Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG. Auch wenn sie sich mangels eigenen Gesundheitsamtes des Gesundheitsamtes des Landratsamtes bediene, bleibe die Zuständigkeit für den Vollzug für das IfSG bei der Stadt als Kreisverwaltungsbehörde. Die als Beleg für eine vollständige Masernschutzimpfung der Tochter der Antragstellerin vorgelegten Nachweise könnten nicht akzeptiert werden. Nach Stellungnahme des Gesundheitsamtes liege eine medizinische Kontraindikation, nach der die Tochter der Antragstellerin nicht geimpft werden könnte, nicht vor. Die Anordnung der Zwangsgelder entspreche pflichtgemäßem Ermessen und stehe nicht in einem unangemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck.
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2. Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2023, eingegangen bei Gericht am 23. Januar 2023, erhob die Antragstellerin im Verfahren W 8 K 23.89 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Sofortverfahren:
die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO.
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Zur Antragsbegründung führte die Antragstellerin im Wesentlichen aus: Es gebe ein laufendes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 20 IfSG im Hinblick auf die Schulkinder. Es sei falsch, dass im Attest fehlende medizinische Sachzusammenhänge dargestellt würden. Sie sei ihrer Nachweispflicht ausreichend nachgekommen, indem sie ein ärztliches Attest vorgelegt und somit die medizinische Kontraindikation nachgewiesen habe.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 10. Februar 2023 machte die Antragstellerin ergänzende Ausführungen.
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3. Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2023 beantragte die Antragsgegnerin:
1. Die Anträge der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im einstweiligen Rechtsschutz werden abgewiesen.
2. Der Antrag auf Aufhebung des Bescheids vom 27. Dezember 2022 wird abgelehnt.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 27. Dezember 2022 finde sich in § 20 Abs. 13 IfSG. Nach den Ausführungen des Gesundheitsamts könne das auf den 17. Oktober 2022 datierte Attest nicht akzeptiert werden, da aufgrund der langjährigen Erfahrung als Kinderärztin und dem daraus resultierenden Wissen der Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes über Impfnebenwirkungen die im Attest genannten Erkrankungen kausal nicht mit einer Impfung in Verbindung gebracht werden könnten. Da die Nachweise nach § 20 Abs. 9 IfSG nicht erbracht worden seien, habe die Vorlage des Nachweises per Bescheid gefordert werden können.
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Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2023 teilte die Antragsgegnerin auf Nachfrage des Gerichts zu ihrer Zuständigkeit hin im Wesentlichen mit: Zwar sei in § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG geregelt, dass die im streitgegenständlichen Bescheid geforderten Nachweise gegenüber dem Gesundheitsamt vorzulegen seien, als Fachbehörde habe das Gesundheitsamt aber keine Vollzugsaufgaben. Dies ergebe sich auch aus den Art. 7 ff. GDG. Die Zuständigkeit der Stadt A … – Ordnungs- und Straßenverkehrsamt – ergebe sich sachlich aus § 65 Satz 1 und Satz 4 ZustV.
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Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2023 führte der Vertreter des öffentlichen Interesses, Regierung von ..., im Wesentlichen aus: Eine in § 65 Satz 1 ZustV vorbehaltene anderweitige Bestimmung sei in § 65 ZustV enthalten, wonach die unteren Gesundheitsbehörden im Sinn des Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 Gesundheitsdienstgesetz (GDG) zuständig seien, soweit im Infektionsschutzgesetz Aufgaben den Gesundheitsämtern zugewiesen würden. Das sei vorliegend mit der Regelung des § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG der Fall. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG seien neben den Landratsämtern die nach Art. 1 Abs. 2 GDG bestimmten Behörden untere Gesundheitsbehörden (Gesundheitsämter). Im Fall der Antragsgegnerin komme Art. 1 Abs. 2 Nr. 3 GDG zum Tragen.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 27. Februar 2023 teilte die Antragsgegnerin im Wesentlichen mit, dass eine Abhilfe durch die Antragsgegnerin als nicht zuständige Behörde nicht erfolgen könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
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Statthaft ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der im Hauptsacheverfahren W 8 K 23.89 erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO. Die mit Bescheid vom 27. Dezember 2022 angeordnete Nachweispflicht findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 und Abs. 13 IfSG. Gemäß § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG hat die Anfechtungsklage gegen eine nach § 20 Abs. 12 Satz 1 oder Satz 2 IfSG erlassene Anordnung keine aufschiebende Wirkung. Die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Zwangsgeldandrohung ist ebenfalls kraft Gesetzes sofort vollziehbar, § 80 Abs. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Art. 21a VwZVG. Die von der Antragstellerin am 23. Januar 2023 im Verfahren W 8 K 23.89 erhobene Klage entfaltet damit gemäß § 80 Abs. 3 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
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Der zulässige Antrag ist begründet.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Abwägungsentscheidung. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
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Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geboten, aber auch ausreichend ist, ergibt, dass die Klage der Antragstellerin Erfolg haben wird. Die getroffenen Regelungen sind voraussichtlich rechtswidrig und verletzen die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Bescheid vom 27. Dezember 2022 ist bereits formell rechtswidrig. Die Antragsgegnerin war für den Erlass des Bescheides nicht sachlich zuständig.
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Gem. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG haben näher bestimmte Personen dem Gesundheitsamt auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Soweit im Infektionsschutzgesetz Aufgaben den Gesundheitsämtern zugewiesen werden, sind gem. § 65 Satz 4 ZustV die unteren Gesundheitsbehörden im Sinn des Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG zuständig. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 GDG sind neben den Landratsämtern die nach Art. 1 Abs. 2 GDG bestimmten Behörden untere Gesundheitsbehörden (Gesundheitsämter). Art. 1 Abs. 2 GDG enthält die Bestimmung der für kreisfreie Städte zuständigen Gesundheitsämter. Obwohl die Antragsgegnerin eine kreisfreie Stadt ist, kommt ihr nach Art. 1 Abs. 2 GDG nicht die Aufgabe als untere Gesundheitsbehörde zu. Da sie unter Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 GDG fällt, ist das Landratsamt, dessen Gebiet die Antragsgegnerin vollständig umschließt oder den gleichen Namen wie diese trägt, die untere Gesundheitsbehörde.
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Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen ist eine sachliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht gegeben. Aus dem Umstand, dass ein Verstoß gegen § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG eine Ordnungswidrigkeit darstellt (vgl. § 73 Abs. 1a Nr. 7 d IfSG), ergibt sich nichts Abweichendes. Allgemeine Befugnisse als Sicherheitsbehörde sind gegenüber den spezialgesetzlichen Regelungen des IfSG nachrangig.
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Es kann vorliegend dahinstehen, ob die unzuständige Antragsgegnerin befugt wäre, den eigenen Bescheid aufzuheben.
22
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 27. Dezember 2022, die kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a VwZVG), ist die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit ebenfalls anzuordnen. Es fehlt neben der Zuständigkeit jedenfalls (nunmehr) ebenfalls an der sofortigen Vollziehbarkeit der in Nr. 1 getroffenen Anordnung, auf die sich die Zwangsgeldandrohung bezieht (vgl. Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG).
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Nach alledem hat der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.
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Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. In Ermangelung anderweitiger Angaben war vom Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,00 EUR auszugehen. Dieser Streitwert war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war.