Titel:
Durchsuchung des Haftraums – Anwesenheit des Gefangenen
Normenketten:
BayStVollzG Art. 91 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 1
Leitsatz:
Auch bei einer Haftanstalt mit hohen Sicherheitsanforderungen hat der Strafgefangene zwar kein Anwesenheitsrecht bei der Kontrolle seines Haftraums, er hat jedoch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen gestellten Antrag auf seine Anwesenheit bei der Durchsuchung. (Rn. 12)
Schlagworte:
Haftraum, Durchsuchung, Anwesenheit
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 24.08.2023 – SR StVK 671/23
Fundstellen:
StV 2024, 174
LSK 2023, 34984
BeckRS 2023, 34984
NStZ 2024, 249
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt S. gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 24.08.2023 wird unter Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 500,00 € als unbegründet verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Rechtsbeschwerdeverfahren.
Gründe
1
Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing hat mit Beschluss vom 24.08.2023 auf Antrag des Strafgefangenen vom 01.06.2023 hin festgestellt, dass die Durchsuchung seines Haftraumes vom 31.05.2023 ohne dessen Anwesenheit rechtswidrig gewesen sei und diesen in seinen Rechten verletzt habe.
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Die Strafvollstreckungskammer ging von einem Feststellungsinteresse in Form konkreter Wiederholungsgefahr aus. Es fänden auch in Zukunft regelmäßig Haftraumkontrollen statt, bei denen sich die Frage der Anwesenheit des Antragstellers wieder stelle.
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In der Sache führte die Strafvollstreckungskammer aus, dass der Antragsteller zwar kein Recht auf Anwesenheit bei der Kontrolle seines Haftraumes habe, allerdings habe er ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Anwesenheit gehabt, was in Art. 91 Abs. 1 BayStVollzG oder in Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG begründet sei. Die Justizvollzugsanstalt hätte im Einzelfall entscheiden müssen, ob dem Antragsteller die Anwesenheit zu gestatten gewesen wäre oder ob dies aus Gründen der Anstaltssicherheit zu unterbleiben hatte. Nachdem die Antragsgegnerin davon ausgegangen sei, dass der Antragsteller generell kein Anwesenheitsrecht habe, habe die Ermessensprüfung im Einzelfall nicht stattgefunden, so dass es zu einem Ermessensausfall gekommen sei.
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Gegen den ihr am 29.08.2023 zugestellten Beschluss legte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12.09.2023, eingegangen am 14.09.2023, Rechtsbeschwerde ein. Sie erhob die Sachrüge und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Deren Überprüfung sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.
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In der Sache diene die Durchführung der Haftraumkontrollen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt mit dem Ziel, dass die Strafgefangenen keine Gegenstände besitzen, von denen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ausgeht, wie beispielsweise nicht verordnete Medikamente, Betäubungsmittel, angeschliffene Messer, waffenähnliche Gegenstände, USB-Sticks und Mobiltelefone. Die entsprechenden Kontrollen seien jederzeit zulässig und in einer Justizvollzugsanstalt wie der Antragsgegnerin mit einem hohen Sicherheitsgrad generell ohne den Strafgefangenen durchzuführen. Die Strafvollstreckungskammer überspanne die Anforderungen, indem sie eine Prüfung im Einzelfall über die Anwesenheit bei der Haftraumkontrolle verlange, bei der auch die Ergebnisse vorangegangener Durchsuchungen zu berücksichtigen seien. Zum einen dürften die Strafgefangenen generell keinen Einblick in die Methodik der Haftraumdurchsuchung in Anstalten einer hohen Sicherheitsstufe erhalten, da es ihnen bei der durch Anwesenheit bei den Kontrollen erlangten Kenntnis der Vorgehensweisen möglich wäre, verbotene Gegenstände noch besser zu verstecken. Zum anderen bestünde bei einer Abstufung nach der Auffälligkeit bei zurückliegenden Durchsuchungen die Gefahr, dass gefährlichere Strafgefangene, deren Hafträume stets in Abwesenheit durchsucht würden, Druck auf weniger überwachte Mitgefangene ausüben könnten, um Methoden der Durchsuchung zu offenbaren, welche sie bei der Anwesenheit bei Durchsuchungen erkennen konnten. Sodann macht die Antragsgegnerin geltend, dass der bei einer Haftraumkontrolle anwesende Strafgefangene die durchsuchenden Beamten stören oder ablenken könnte.
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Die Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Argumentation der Rechtsbeschwerdeführerin an und beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung in deren Ziffern 1. und 2 und die Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller in seinen Schreiben vom 28.09.2023 und vom 17.10.2023. Die Rechtsbeschwerde sei bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Die Strafvollstreckungskammer habe zu Recht einen Ermessensausfall festgestellt. Die Rechtsprechung, nach welcher stets das Ermessen auszuüben sei, zitiere selbst die Antragsgegnerin. Auch die Sicherheitsstufe der Anstalt rechtfertige nicht den Entfall dieser Ermessensprüfung. Auf die weiteren Ausführungen des Antragstellers wird Bezug genommen.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG sind ebenfalls gegeben, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Rechtsfortbildung (vgl. Arloth in: Arloth/Krä StVollzG, 5. Aufl., § 116 Rn. 3 m.w.N.; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 12. Kapitel, Abschnitt J Rechtsbeschwerde, § 116 Rn. 4 m.w.N.) erforderlich ist.
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2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin keinen Erfolg.
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Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht festgestellt, dass die Durchsuchung des Haftraums des Antragstellers vom 31.05.2023 ohne seine Anwesenheit rechtswidrig war und ihn in seinen Rechten verletzte. Die Strafvollstreckungskammer ist hierbei zutreffend von einem Ermessensausfall ausgegangen, nachdem die Antragsgegnerin keine Entscheidung im Einzelfall getroffen hat, sondern davon ausgegangen ist, dass der Antragsteller generell kein Anwesenheitsrecht bei der Haftraumkontrolle habe. Auch bei einer Haftanstalt mit hohen Sicherheitsanforderungen hat der Strafgefangene zwar kein Anwesenheitsrecht bei der Kontrolle seines Haftraums, er hat jedoch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen gestellten Antrag auf seine Anwesenheit bei der Durchsuchung.
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a) Nachdem es sich beim Haftraum nicht um die Wohnung des Strafgefangenen i.S.v. Art. 13 GG handelt, kann sich dieser nicht auf den verfassungsrechtlich verbürgten Schutz des Art. 13 GG berufen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 30.05.1996, 2 BvR 727/94, juris, Rn. 13; OLG Celle, Beschluss vom 23.10.2017, 3 Ws 483/17 (MVollzG), juris, Rn. 15; KG Berlin, Beschluss vom 23.05.2003, 5 Ws 99/03 Vollz, juris, Rn. 9). Vielmehr darf ein Strafgefangener seinen Haftraum, den der Gefangene als einen persönlichen, vom allgemeinen Anstaltsbereich abgegrenzten Lebensbereich zur Verfügung erhalten hat (BVerfG, a.a.O.), lediglich im Rahmen der Weisungen des Anstaltsleiters nutzen. Aus dessen fortbestehendem Hausrecht folgt die grundsätzliche Befugnis der Anstaltsbediensteten, den Haftraum jederzeit und ohne Einverständnis des Gefangenen zu betreten und zu durchsuchen (BVerfG, a.a.O.). Der die Durchsuchung anordnende Bedienstete ist allerdings an das Willkürverbot und an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, die ein schonendes Vorgehen gebieten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.12.2020, 2 BvR 2194/19, juris, Rn. 16). Eines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG (gleichlautend mit § 4 Abs. 2 S. 2 StVollzG; vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30.05.1996, 2 BvR 727/94, juris, Rn. 13 a.E.) bedarf es hierbei nicht. Der die Durchsuchung durchführende Bedienstete hat im Blick auf das Willkürverbot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, ob, wann und wie oft sowie auf welche Weise die Durchsuchung des Haftraums eines Gefangenen erforderlich ist. Die zu treffende Ermessensentscheidung muss dabei die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt zum Ziel haben, der Gefangene hat lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch der Anstaltsbediensteten (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23.10.2017, 3 Ws 483/17 (MVollzG), juris, Rn. 15; KG Berlin, Beschluss vom 23.05.2003, 5 Ws 99/03 Vollz, juris, Rn. 9 und 12; OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.10.1996, Ws 753/96, juris, Rn. 16).
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b) Teil dieser Ermessensentscheidung ist die Frage der Anwesenheit des Strafgefangenen während der Durchsuchung seines Haftraumes. Hierzu ist nahezu einhellige Meinung, dass der Strafgefangene kein Recht darauf hat, während der Durchsuchung seines Haftraumes anwesend zu sein (OLG Celle, Beschluss vom 23.10.2017, 3 Ws 483/17 (MVollzG), juris, Rn. 15; KG Berlin, Beschluss vom 23.05.2003, 5 Ws 99/03 Vollz, juris, Rn. 9 und 12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.06.1979, 3 Ws 390/79 = MDR 1980, 80; Arloth in: Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., BayStVollzG Art. 91 Rn. 1 i.V.m. § 84 StVollzG Rn. 3; Brockhaus in: BeckOK, Strafvollzug Bund, 24. Ed. 01.08.2023, § 84 Rn. 29; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Teil M, Rn. 42; Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 11. Kapitel, Abschnitt D Rn. 6). Art. 91 Abs. 1 BayStVollzG sieht dies nicht vor, die §§ 106, 107 StPO finden auf die Durchsuchung des Haftraums keine Anwendung (OLG Celle, Beschluss vom 08.02.1990, 1 Ws 423/89 (StrVollz), juris, Rn. 11 m.w.N.; Brockhaus in: BeckOK, Strafvollzug Bund, 24. Ed. 01.08.2023, StVollzG § 84 Rn. 29). Der Strafgefangene hat allerdings – im Anschluss an die obigen Ausführungen unter a) – einen auf dem Grundsatz des Willkürverbots und der Verhältnismäßigkeit beruhenden Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen von ihm gestellten Antrag auf Anwesenheit (OLG Celle, Beschluss vom 23.10.2017, 3 Ws 483/17 (MVollzG), juris, Rn. 15; KG Berlin, Beschluss vom 23.05.2003, 5 Ws 99/03 Vollz, juris, Rn. 12). Bei der erforderlichen Einzelfallabwägung sind einerseits die Interessen des Strafgefangenen an der Wahrung seines persönlichen Lebensbereiches und andererseits das Sicherheitsinteresse der Anstalt zu berücksichtigen, wobei die Justizvollzugsanstalt möglichst schonend vorzugehen hat (Brockhaus in: BeckOK, Strafvollzug Bund, 24. Ed. 01.08.2023, StVollzG § 84 Rn. 30).
13
c) Bei zukünftigen Entscheidungen über die Anwesenheit des Antragstellers bei der Kontrolle seines Haftraums werden daher auch die Vorwürfe des Strafgefangenen zu berücksichtigen sein, dass bei zurückliegenden Durchsuchungen, welchen er nicht beiwohnen durfte, ein Dokument nicht mehr auffindbar gewesen sei und es zu einer Schädigung gekommen sei. Bezüglich der relevanten Sicherheitsinteressen der Anstalt wird in die Abwägung deren Befürchtung einzustellen sein, dass ein bei der Durchsuchung anwesender Strafgefangener Durchsuchungsmethoden erkennen und dieses Wissen für sich nutzen oder an andere Strafgefangene weitergeben könnte oder dass er die Durchsuchung stören könnte. Sodann wird trotz der seitens der Antragsgegnerin geäußerten Argumentation, auch unauffällige Strafgefangene könnten von anderen Strafgefangenen unter Druck gesetzt werden, um für diese Durchsuchungsmethoden auszuspionieren, bei der Abwägung auch zu berücksichtigen sein, ob der Strafgefangene in der Vergangenheit mit verbotenen Gegenständen im Haftraum bereits einschlägig auffällig wurde oder nicht. Ein zentrales Abwägungsargument wird ferner der konkrete Sicherheitsstandard der jeweiligen Haftanstalt sein, welcher bei der Antragsgegnerin angesichts des Gefährdungspotentials der dort inhaftierten Personen mit langjährigen zeitigen und mit lebenslangen Haftstrafen sehr hoch ist. Dennoch führt das hohe Sicherheitsniveau entgegen der Einschätzung der Antragsgegnerin nicht dazu, dass generell keine Anwesenheit des Strafgefangenen bei seiner Haftraumdurchsuchung in Betracht kommt und eine Ermessensentscheidung hierüber entbehrlich ist. Vielmehr gelten die oben dargelegten Grundsätze auch für Haftanstalten mit hohem Sicherheitsstandard mit der Folge, dass die Antragsgegnerin über den Antrag des Strafgefangenen auf Anwesenheit bei der Durchsuchung vom 31.05.2023 eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen. Nachdem diese Ermessensentscheidung unterblieben ist, hat die Strafvollstreckungskammer zu Recht einen Ermessensausfall festgestellt.
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1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 StVollzG und aus § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. entsprechender Anwendung von § 467 StPO.
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2. Die Festsetzung der Gegenstandswerte für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 65 GKG.