Inhalt

VG München, Urteil v. 16.02.2023 – M 15 K 21.6262
Titel:

Adoptionsvermittlungsverfahren mit Rumänien, Länderspezifische Eignungsprüfung, Beurteilungsspielraum der Behörde, Sachfremde Erwägungen

Normenketten:
AdVermiG § 2c
AdVermiG § 7c
Schlagworte:
Adoptionsvermittlungsverfahren mit Rumänien, Länderspezifische Eignungsprüfung, Beurteilungsspielraum der Behörde, Sachfremde Erwägungen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31280

Tenor

I. Der Bescheid vom ... wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Tatbestand

1
Die Klägerin, die sowohl die rumänische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, begehrt die Fortführung ihres Adoptionsvermittlungsverfahrens ohne erneute Eignungsüberprüfung.
2
Sie beantragte am ... die Übernahme eines internationalen Adoptionsverfahrens mit ihrem Heimatland Rumänien, da sie in diesem Fall am besten mit dem sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Hintergrund vertraut sei.
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Mit Schreiben vom ... teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die Adoptivkinder aus Rumänien bereits über zwei Jahre alt seien und aufgrund ihrer bisherigen Lebensgeschichte häufig Defizite und Entwicklungsverzögerungen hätten.
4
Am ... ging beim Beklagten eine Stellungnahme zur Adoptionseignung der Klägerin vom Stadtjugendamt … ein, wonach diese ein möglichst gesundes Kind ohne schwerwiegende körperliche oder geistige Behinderungen aufnehmen wolle.
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Am ... ergänzte der Beklagte die Stellungnahme nach einem Gespräch mit der Klägerin im Wesentlichen dahingehend, dass sie eine nicht behebbare körperliche, geistige oder Mehrfachbehinderung, eine ausgeprägte Seh-/Hör-/Sprachbehinderung, eine lebensverkürzende Erkrankung oder eine diagnostizierte vererbbare Erkrankung des Kindes für sich ausschließe. Mögliche kleinere Entwicklungseinschränkungen/-verzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten des Kindes seien durchaus denkbar, sie sollten jedoch behandel- und heilbar sein.
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Mit E-Mail vom ... wurde dem Beklagten von der rumänischen Adoptionsbehörde ein Vorschlag für ein am ... geborenes Kind unterbreitet.
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Am ... lehnte die Klägerin die Adoption ab. Die Zusatzinformationen aus Rumänien und der unterdurchschnittliche IQ-Wert des Kindes hätten maßgeblich zu ihrer Entscheidung beigetragen.
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Am ... ging ein zweiter Vorschlag für ein am ... geborenes Kind beim Beklagten ein. Nach einem beigefügten Bericht spreche das Kind nicht in Sätzen. Es habe ein chronologisches Alter von drei Jahren und elf Monaten, jedoch im sprachlichen Bereich ein Alter von zwei Jahren und neun Monaten sowie im kognitiven Bereich ein Alter von zwei Jahren und elf Monaten. Es habe Schwierigkeiten in der Ausdruckssprache und benötige ein strukturiertes Arbeitsprogramm mit Schwerpunkt auf Sprache und Kognition.
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Die Klägerin reiste vom ... nach Rumänien, um das Kind kennenzulernen. Am ... teilte sie der rumänischen Adoptionsbehörde mit, das Matching-Verfahren einzustellen. Sie sei eine alleinstehende Person und glaube nicht, dass sie dem Kind helfen könne, sich zeitnah normal zu entwickeln, sodass es die Schule in deutscher Sprache besuchen könne.
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Am ... teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass beim Verfahren in Rumänien hauptsächlich die Faktoren berücksichtigt würden, welche im Sozialbericht zum Ankreuzen angefordert würden. Sie habe bei Entwicklungsverzögerungen „ja“ angegeben, unter Berücksichtigung der im Text genannten Angaben. Da dies nicht möglich sei, wolle sie ihr Kinderprofil ändern und Entwicklungsverzögerungen ausschließen. Die Sprachfähigkeit des Kindes sei deutlich schlechter gewesen als im Bericht beschrieben. Er habe nicht sprechen können und sei mit fünf Jahren zum ersten Mal beim Logopäden vorgestellt worden. Sie habe „fürchterliche Angst“ gehabt, dass der Wechsel in eine andere Sprache für ihn belastend sei und er nur die Chance auf eine Förderschule habe, was sie sich nicht zutraue.
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Mit Schreiben vom ... führte der Beklagte nach einem Gespräch mit dem Stadtjugendamt … insbesondere aus, grundsätzliches Ziel der Adoption sei es, für ein adoptionsbedürftiges Kind eine neue Familie zu finden, nicht für Bewerber oder Bewerberinnen ein passendes Kind zu suchen. Kinder, die für eine Adoptionsvermittlung im Ausland in Frage kämen, hätten in den allermeisten Fällen eine Vorgeschichte von Traumatisierungen, Deprivation, Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensauffälligkeiten oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen und somit besondere emotionale und/oder gesundheitliche Bedürfnisse. Sie stellten daher in der Regel sehr hohe Anforderungen an ihre Adoptiveltern, die entsprechend über ein sehr hohes Maß an erzieherischen Kompetenzen, Einfühlungsvermögen, Flexibilität, zeitliche und materielle Ressourcen sowie Risikobereitschaft verfügen müssten. Mit dem neuen Adoptionshilfegesetz seien zum ... verschiedene Neuregelungen in Kraft getreten. Die Eignungsprüfung der Adoptionsbewerberinnen und -bewerber bestehe nun aus zwei Teilen, einerseits der allgemeinen und andererseits der länderspezifischen Eignungsprüfung. Der Beklagte behalte es sich zudem vor, eine erneute Eignungsprüfung als Bedingung für die Fortsetzung des Adoptionsverfahrens zu machen, nachdem die Bewerberinnen und Bewerber einen Kindervorschlag abgelehnt hätten. Sollte die Klägerin ihre Bewerbung aufrechterhalten wollen, müssten sich die zuständigen Fachkräfte der Adoptionsvermittlungsstelle am Stadtjugendamt … erneut davon überzeugen, ob ihre Adoptionseignung derzeit noch gegeben sei. Wenn dies nicht mehr der Fall sein sollte, sei damit die Grundvoraussetzung für die Weiterführung des internationalen Adoptionsvermittlungsverfahrens mit Rumänien nicht erfüllt.
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Die Klägerin führte daraufhin im Wesentlichen aus, ihre Haltung, Einstellung und reflektiertes Selbstkonzept hätten sich gegenüber der Eignungsprüfung und dem daraus hervorgegangenen Sozialbericht vom ... nicht geändert. Es sei zu zwei jeweils einstündigen Treffen mit dem Kind gekommen. Sie habe Frau *. unverzüglich mitgeteilt, dass das Kind eine schwere Sprachentwicklungsstörung habe, die nicht aus den Unterlagen hervorgehe. Es sei ihm nicht möglich gewesen, vollständige Worte in seiner Muttersprache zu bilden. Ihre Einschätzung sei gewesen und die Rücksprache mit Ärzten und Kinderpsychologen habe ergeben, dass dies eine Eingewöhnung und Erlernen einer völlig fremden Sprache bis zu einer Einschulung als unrealistisch habe erscheinen lassen. Das neue Adoptionshilfegesetz dürfte auf ihr Verfahren keine Bedeutung entfalten, da ihr Antrag vom ... stamme. Es bestehe kein Anlass, Bedarf bzw. [keine] Grundlage für eine neue Prüfung der Adoptionseignung.
13
Mit Schreiben vom ... legte die rumänische Adoptionsbehörde drei Berichte, u.a. über die beiden Treffen der Klägerin mit dem Kind, vor. Demnach sei eine „didaktische“ Art und Weise des Umgangs mit dem Kind bemerkt worden.
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Der Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom ... mit, die Eignung zur Adoption eines Kindes aus dem Ausland sei zurzeit nicht gegeben. Anhand des Antwortschreibens und der Schilderungen der rumänischen Behörden zum Kontaktanbahnungsprozess mit dem Kind könne nicht im ausreichenden Maße erkannt werden, dass die Klägerin in der Lage sei, feinfühlig und empathisch die Perspektive des Kindes einzunehmen sowie die Bereitschaft, die eigene Lebenssituation im erforderlichen Maß auf die Bedürfnisse des anzunehmenden Kindes einzustellen. Aus dem Bericht der rumänischen Behörde sei deutlich erkennbar, dass die Klägerin dem Kind mit einer gewissen Erwartungshaltung (Selbstständigkeit, Lernbereitschaft, Vorhandensein bestimmter vorschulischer Kenntnisse) begegnet sei. Die Überprüfung seiner kognitiven Fähigkeiten sei vorrangig gegenüber dessen Bedürfnissen gewesen. Es wurde der Klägerin Gelegenheit gegeben, zur Einstellung des internationalen Adoptionsvermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.
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Am ... erhob die Klägerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht … Klage und beantragte,
das Auslandsadoptionsvermittlungsverfahren Rumänien ohne eine erneute Eignungsprüfung weiterzuführen und unter den gesetzlichen Voraussetzungen Versäumnisurteil zu erlassen.
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Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, durch das Jugendamt und den Beklagten belehrt worden zu sein, die eigenen Grenzen realistisch einzuschätzen und im Wohle des Kindes auch eine Ablehnung in Betracht zu ziehen. Dass eine begründete und in Übereinstimmung mit den Angaben des Sozialberichts gemachte Ablehnung Anlass zum Zweifel an der Eignung der Klägerin gäbe, sei nicht erklärt worden. Des Weiteren habe sie keine Einsicht in den Bericht der rumänischen Behörde erhalten und nicht dazu Stellung beziehen können. Entgegen der Darstellung des Beklagten sei das Kind während der beiden Treffen keinem kognitiven Test unterzogen worden.
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Der Beklagte erwiderte, dass lediglich das Anhörungsschreiben vom ... an die Klägerin gesandt worden sei. Ein Bescheid zur Beendigung des internationalen Adoptionsvermittlungsverfahrens sei bisher nicht erlassen worden.
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Mit Bescheid vom ..., als Einschreiben zur Post gegeben am selben Tag, wurde das internationale Adoptionsvermittlungsverfahren im Verhältnis zu Rumänien beendet. Die Entscheidung beruhe auf § 2c Abs. 1 i.V.m. § 7c Abs. 2 Nr. 3 Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG). Die Voraussetzungen der länderspezifischen Adoptionseignung nach § 7c AdVermiG seien im vorliegenden Fall nicht mehr gegeben. Das Kindeswohl sei oberster Grundsatz der Adoptionsvermittlung. Die Eignung für die Annahme eines Kindes müsse während des kompletten Adoptionsverfahrens und perspektivisch auch nach Abschluss des Adoptionsverfahrens (Adoptionsbeschluss) weiterbestehen. Die Notwendigkeit der fortwährenden Eignung der Bewerber habe auch schon vor der am ... in Kraft getretenen Aktualisierung des Adoptionsrechts gegolten. In den langen Zeiträumen zwischen erster Eignungsprüfung, Erhalt eines Kindervorschlags (hier zwei Jahre) und Abschluss der Adoption könnten sich die Lebensverhältnisse und Einstellungen von Adoptionsbewerbern ändern. Wie dargelegt bestünden nach zwei abgelehnten Kindervorschlägen, den Berichten der rumänischen Adoptionsstellen und den eigenen Beobachtungen nunmehr Zweifel an der Adoptionseignung der Klägerin. Die Ablehnung der Fortführung des internationalen Adoptionsverfahrens ergebe sich zudem aus der nicht mehr erkennbaren besonderen Adoptionseignung für die Aufnahme eines Kindes aus dem Ausland. Der Begriff des Kindeswohls als ausschlaggebendes Kriterium für eine positiv festzustellende Adoptionseignung von Bewerbern könne hierbei nicht als Momentaufnahme betrachtet werden. Auf zwei gerichtliche Entscheidungen (VG Sigmaringen, U.v. 25.9.2008 – 8 K 159/07 – juris Rn. 34 und VG Hamburg, U.v. 1.12.2005 – 13 K 3059/05 – juris Rn. 19) sowie die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter (BAGLJÄ) wurde hingewiesen. Einen offensichtlichen und nicht unbeachtlichen Faktor stelle die Tatsache dar, dass eine Auslandsadoption durch den damit verbundenen Wechsel des Kultur- und Sprachraums besondere Herausforderungen in sich berge und diese sich ihrerseits im späteren Alltag von Adoptivfamilien in einer deutlich erhöhten Belastung und Anforderung an die Eltern niederschlügen. Kinder hätten durch die Adoption bereits einen erheblichen Bruch im Leben erleben müssen. Um dem Ziel der dauerhaften Sicherung des Kindeswohls durch eine Adoption entsprechen zu können, müsse angesichts solcher Lebenswege mit besonderer, nochmals erhöhter Dringlichkeit vermieden werden, dass die erfolgte Adoption scheitere. Die bei einer Auslandsadoption erhöhten Anforderungen an alle Eignungskriterien verstärkten sich nochmals, wenn es um die Adoption von älteren ausländischen Kindern aus beispielsweise einem Kinderheim/einer Pflegefamilie gehe. Anhand folgender Aspekte lasse sich die nicht mehr gegebene Adoptionseignung belegen: Die Adoptiveltern müssten zum einen bereit und in der Lage sein, mit anderen Personen oder Institutionen zu kooperieren, damit die Unterbringung des Kindes in ihrer Familie erfolgreich verlaufen könne. Die Klägerin habe die Empfehlung der Fachbehörde als nicht notwendig erachtet und eine erneute Eignungsprüfung abgelehnt (mangelnde Kooperationsfähigkeit mit der Auslandsadoptionsvermittlungsstelle). Wie alle Kinder bräuchten Adoptivkinder Bezugspersonen, die in der Lage seien, ihre Gefühle wahrzunehmen und angemessen zum Ausdruck zu bringen. Dem Bericht der rumänischen Adoptionsstelle vom ... sei zu entnehmen, dass die Klägerin mit dem Kind meist in einer „reservierten“, „kontrollierten“, wenig emotionalen und „didaktischen“ Haltung in Kontakt getreten sei (mangelnde emotionale Ausdrucksfähigkeit). Zudem gehe aus dem Bericht nicht hervor, dass die Klägerin sich in die Bedürfnisse des vierjährigen Kindes beim Kennenlernen einer für ihn fremden Person habe hineinversetzen können (mangelndes Einfühlungsvermögen). Im Rahmen der beiden kleinen Kontakte sei auch nicht erkennbar gewesen, dass sie mit dem Kind adäquat in Kontakt treten und sich auf seine Lebenswelt und Bedürfnisse habe einlassen können. Vorrangig scheine für die Klägerin das Testen kognitiver Fähigkeiten und das Erkennen von eventuellen Entwicklungsverzögerungen gewesen zu sein (mangelnde Fähigkeit zum Aufbau einer Beziehung zum Adoptivkind). Die Klägerin habe den rumänischen Behörden bereits am Tag des zweiten Kontaktes mit dem Kind (* …*) schriftlich mitgeteilt, das Matching-Verfahren beenden zu wollen, ohne den Fachkräften vor Ort ihre Zweifel mitgeteilt oder das Gespräch gesucht zu haben. Diese Art der Problemlösestrategie wirke sehr impulsiv und lasse auf ein geringes Maß an Ambiguitätstoleranz schließen. Zudem sei auch hier wenig Kooperationsbereitschaft mit pädagogischen Fachstellen zu erkennen (mangelnde Problemlösekompetenz). Trotz der der Klägerin im Vorfeld bekannten Entwicklungsverzögerung des Kindes sei eine Erwartungshaltung an ein „Funktionieren“ des Kindes im Alltag erkennbar (unrealistische Erwartungshaltung). Für den Beklagten sei eine wenig reflektierte, verantwortungsbewusste, offene Auseinandersetzung bei der Klägerin mit den beiden gescheiterten Adoptionsvermittlungsversuchen erkennbar gewesen (fragliche Selbstreflektionsfähigkeit und mangelndes Verantwortungsbewusstsein).
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Mit Schreiben vom ... teilte die Klägerin dem Gericht mit, ihren Antrag aufrechterhalten zu wollen.
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Der Beklagte verwies auf die Gründe im Bescheid vom ... und führte ergänzend im Wesentlichen aus, für die Feststellung der Eignung von Adoptionsbewerbern im Sinne der §§ 7b und 7c AdVermiG sei grundsätzlich vor dem Hintergrund der Voraussetzungen des § 1741 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu prüfen, ob die Annahme dem Wohl des Kindes diene und zu erwarten sei, dass zwischen den Annehmenden und dem Kind eine Eltern-Kind-Beziehung entstehe. Sich ändernde Lebensumstände und sonstige Entwicklungen bei Adoptionsbewerbern verlangten eine periodische Überprüfung der Adoptionseignung. Wenn über die Adoptionseignung keine Klarheit bestehe, könne ein internationales Adoptionsvermittlungsverfahren nicht weitergeführt werden. Für den Fall der Verletzung der Mitwirkungspflichten des § 7e AdVermiG könne zudem eine Eignungsprüfung nicht erfolgen. Die Klägerin lehne diese weiterhin ab.
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Die Klägerin beantragte in der mündlichen Verhandlung die Aufhebung des Bescheids vom ...
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am ... Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Entscheidungsgründe

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Das bei Klageerhebung örtlich unzuständige Gericht ist durch den Umzug der Klägerin nach M* …, welchen sie mit Schreiben vom ... angezeigt hat, nachträglich zuständig geworden (vgl. u.a. Ehlers in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 43. EL August 2022, § 17 GVG Rn. 5 u. 7 m.w.N.).
24
Die Klage ist zulässig (Nr. 1) und begründet (Nr. 2).
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1. Die Einbeziehung des erst nach Klageerhebung ergangenen streitgegenständlichen Bescheids mit Schreiben der Klägerin vom ... stellt eine zulässige Klageänderung i.S.d. § 91 Abs. 1 VwGO dar.
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Nach dieser Vorschrift ist eine Klageänderung zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Die Klageänderung ist vorliegend sachdienlich, da sie der endgültigen Ausräumung des sachlichen Streits zwischen den Parteien im laufenden Verfahren dient (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 91 Rn. 31).
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2. Die Klage ist auch begründet, da der Bescheid vom ... rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn der Beklagte hat in die Prüfung der länderspezifischen Adoptionseignung der Klägerin für das Land Rumänien nach § 2c Abs. 1 i.V.m. § 7c Abs. 2 Satz 1 AdVermiG sachfremde Erwägungen einfließen lassen.
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2.1 Vorliegend ist – wie vom Beklagten zutreffend erkannt – das Adoptionsvermittlungsgesetz in seiner Fassung vom 1. April 2021 anzuwenden, da auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung – hier: ... – und nicht, wie von der Klägerin vorgetragen, auf den Zeitpunkt der Eignungsprüfung im Jahr … abzustellen ist (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022 § 113 Rn. 56).
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2.2 Bei der internationalen Adoptionsvermittlung hat die Adoptionsvermittlungsstelle – hier das Stadtjugendamt …, vgl. § 9b AdVermiG – die allgemeine Eignung der Adoptionsbewerber nach den §§ 7 und 7b AdVermiG und die Adoptionsvermittlungsstelle – hier die zentrale Adoptionsstelle des Bayerischen Landesjugendamts, vgl. § 2a Abs. 4 Nr. 1 AdVermiG – die länderspezifische Eignung der Adoptionsbewerber nach § 7c AdVermiG zu prüfen (vgl. § 2c Abs. 1 AdVermiG). Ist das Ergebnis der allgemeinen Eignung der Adoptionsbewerber (Eignungsprüfung) nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AdVermiG positiv festgestellt, prüft die von den Adoptionsbewerbern benannte Adoptionsvermittlungsstelle die länderspezifische Eignung der Adoptionsbewerber (vgl. § 7c Abs. 1 AdVermiG). Die länderspezifische Eignungsprüfung umfasst nach § 7c Abs. 2 Satz 1 AdVermiG insbesondere das Wissen und die Auseinandersetzung der Adoptionsbewerber mit der Kultur und der sozialen Situation im Heimatstaat des Kindes (Nr. 1), die Bereitschaft des Adoptionsbewerbers, die Herkunft des Kindes in das zukünftige Familienleben zu integrieren (Nr. 2) sowie die Bereitschaft der Adoptionsbewerber, sich auf die besonderen Bedürfnisse des Kindes auf Grund seiner Herkunft und auf Grund des Wechsels des Kulturkreises einzulassen (Nr. 3). Hält die Adoptionsvermittlungsstelle die länderspezifische Eignung der Adoptionsbewerber für gegeben, so ergänzt sie den Bericht zur Eignungsprüfung um das Ergebnis ihrer länderspezifischen Eignungsprüfung (§ 7c Abs. 2 Satz 2 AdVermiG).
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Wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt, ist die Auflistung in § 7c Abs. 2 AdVermiG nicht abschließend. Daher wird auch stets die bei grenzüberschreitenden Verfahren im Vergleich zu innerdeutschen Adoptionen zwingend erforderliche erhöhte Risikobereitschaft der Adoptionsbewerber zu überprüfen sein. Diese muss insbesondere bei Vermittlungen aus Staaten erwartet werden, aus denen im Vorfeld der Adoption nur wenige oder unscharfe Informationen über die psychische, medizinische und soziale Situation des Kindes, seine Herkunft, die Umstände der Schwangerschaft und deren Verlauf sowie andere spezielle Bedürfnisse und Förderbedarfe zu erhalten sind. Gleiches gilt für die Risiken von nur schwer diagnostizierbaren Defiziten, Entwicklungsverzögerungen oder Auffälligkeiten. Zudem sind erhöhte Anforderungen an die Belastbarkeit und Flexibilität der Bewerber zu stellen, da bei Auslandsadoptionen – nicht zuletzt wegen sprachlicher, sozialer und kultureller Barrieren – besondere Eingewöhnungsschwierigkeiten auftreten können. Erschwert wird die Situation auch dadurch, dass das Kind meist aus seinem Heimatland nach Deutschland gebracht werden kann, ohne dass zuvor eine angemessene Zeit für die Kontaktanbahnung zur Verfügung stand. Darüber hinaus wird die Motivation für die Annahme eines Kindes aus dem Ausland in das Ergebnis der auslandsspezifischen Prüfung einzubeziehen sein (vgl. zu alldem Reinhardt in Reinhardt/Kemper/Grünenwald, Adoptionsrecht, 4. Aufl. 2021, § 7c Rn. 3 ff.). Im Einzelfall sind andere Umstände zu prüfen, um sicherzugehen, dass die Adoptionsbewerber über die besonders hohen Anforderungen umfänglich beraten und darauf vorbereitet worden sind (Kukielka in Wiesner/Wapler, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 6. Aufl. 2022, § 7c AdVermiG Rn. 3).
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Die Entscheidung der Vermittlungsstelle hinsichtlich der Eignung ist wegen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums nur eingeschränkt der gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Das Gericht kann und darf lediglich überprüfen, ob die Entscheidung des Beklagten fachlich vertretbar und nachvollziehbar ist. Gleichwohl muss die Beurteilung auf einem ausreichend ermittelten Sachverhalt und damit einer geeigneten und tragfähigen fachlichen Grundlage basieren (vgl. z.B. VG Sigmaringen, U.v. 25.9.2008 – 8 K 159/07 – juris; VG München, U.v. 27.4.2005 -
M 18 K 04.3915 – juris; VG Freiburg, U.v. 8.12.2003 – 8 K 1625/02 – juris; VG Hamburg, U.v. 18.12.2001 – 13 VG 2780/2001 – juris). Die Überprüfung muss sich dabei darauf beschränken, ob im Rahmen der Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Adressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (vgl. Reinhardt in Reinhardt/Kemper/Grünenwald, Adoptionsrecht, 4. Aufl. 2021, § 7 Rn. 20 m.w.N.).
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2.3 Ausgehend von den genannten Anforderungen und unter Berücksichtigung des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs, der auch auf die länderspezifische Eignungsprüfung des Beklagten zu übertragen ist, ist vorliegend nicht davon auszugehen, dass die Entscheidung, das internationale Adoptionsverfahren aufgrund der fehlenden Eignung der Klägerin einzustellen, fachlich vertretbar und nachvollziehbar ist. Denn der Beklagte hat auch sachfremde Erwägungen in seine Prüfung einfließen lassen:
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a. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Beklagte die Beendigung des Adoptionsvermittlungsverfahrens im streitgegenständlichen Bescheid nicht allein auf die fehlende länderspezifische Eignung der Klägerin, sondern auch auf die Weigerung der Klägerin zur Durchführung einer erneuten Eignungsprüfung und somit auf zwei verschiedene Rechtsgrundlagen stützt. Die Begründung des Bescheids ist insofern widersprüchlich, als der Entscheidung einerseits zunächst explizit § 7c Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AdVermiG, für dessen Prüfung die zentrale Adoptionsstelle des Bayerischen Landesjugendamtes auch primär zuständig ist, zugrunde gelegt, andererseits aber inhaltlich auch auf die fehlende Mitwirkung der Klägerin an der allgemeinen Eignungsprüfung abgestellt wird (vgl. § 7e AdVermiG). Die Beklagtenvertreterin hat in der mündlichen Verhandlung zudem erklärt, dass die Entscheidung wesentlich auf der fehlenden Mitwirkung der Klägerin beruhte.
34
Ein Austausch der Rechtsgrundlage durch das Gericht ist hier nicht möglich, da bereits keine vergleichbaren Normen vorliegen (vgl. zu den Voraussetzungen u.a. Schneider in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 3. EL August 2022, § 45 VwVfG Rn. 86 m.w.N.). Bei der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) handelt es sich um eine Ermessensvorschrift, während mit den §§ 7, 7c AdVermiG Normen geschaffen wurden, die der Behörde einen eigenen und nur der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Beurteilungsspielraum eröffnen (s.o. Rn. 31; vgl. dazu Aschke in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 58. Ed. Stand: 1.1.2023, § 40 Rn. 27). Ohnehin dürften die Voraussetzungen einer Ablehnung unter Verweis auf die fehlende Mitwirkung an der allgemeinen Eignungsprüfung jedoch nicht gegeben sein, da eine solche eine vorherige Beteiligung des zuständigen Jugendamts voraussetzen würde.
35
Der Beklagte hat somit durch die Ausführungen zur Weigerung der Klägerin zur Durchführung einer erneuten Eignungsprüfung sachfremde Erwägungen in die Entscheidung aufgenommen.
36
b. Des Weiteren lassen die im Bescheid dargestellten Aspekte zur fehlenden länderspezifischen Eignung der Klägerin überwiegend keinen Bezug zum Adoptionsland Rumänien, sondern vielmehr lediglich zur allgemeinen Adoptionseignung i.S.d.
§ 7 AdVermiG erkennen.
37
Eine mangelnde Kooperationsbereitschaft mit der Auslandsadoptionsvermittlungsstelle lässt sich – abgesehen davon, dass es um das Verhalten der Klägerin gegenüber der dafür zuständigen Stelle geht – nicht mit der Prüfung der länderspezifischen Eignung in Zusammenhang bringen, sodass es sich hierbei um eine sachfremde Erwägung handelt. Soweit der Beklagte ausführt, die Klägerin habe die Empfehlung der Fachbehörde, sich erneut mit ihrem Adoptionswunsch auseinanderzusetzen und ihre Eignung vom Stadtjugendamt … feststellen zu lassen, als nicht notwendig erachtet, handelt es sich um Aspekte, die zur Frage der Mitwirkung an der allgemeinen Eignungsprüfung gehören.
38
Hinsichtlich der genannten mangelnden emotionalen Ausdrucksfähigkeit und des mangelnden Einfühlungsvermögens der Klägerin ist ebenfalls kein Bezug zur länderspezifischen Eignungsprüfung nach § 7c AdVermiG zu erkennen. Vielmehr hat der Beklagte diese Erwägungen auf den Bericht der rumänischen Adoptionsstelle vom ... über den Kontaktanbahnungsprozess der Klägerin mit dem zweiten vorgeschlagenen Kind bezogen und ausgeführt, sie sei mit dem Kind in einer „reservierten“, „kontrollierten“, „wenig emotionalen“ und „didaktischen“ Haltung in Kontakt getreten. Es sei dem Bericht nicht zu entnehmen, dass sie sich in die Bedürfnisse des Kindes beim Kennenlernen einer für ihn fremden Person habe hineinversetzen können. Dabei handelt es sich jedoch um Verhaltensweisen bzw. Charakterzüge der Klägerin, die sich generell auf den Kontakt zu einem fremden Kind beziehen, nicht jedoch einen spezifischen Bezug zu einem Kind aus dem Land Rumänien aufweisen und damit gegen die allgemeine Eignung sprechen dürften. Es wurde insbesondere auch nicht geltend gemacht, dass die Klägerin die erhöhten Anforderungen an ihre emotionale Kompetenz im Hinblick auf die Besonderheiten der Auslandsadoption nicht erfüllt, auf die zuvor noch im Schreiben vom ... hingewiesen worden war. Die vom Beklagten getroffenen Feststellungen betreffen die allgemeine charakterliche Eignung der Klägerin und sind somit sachfremd. Im Übrigen hätten sie auch weiterer Ermittlungen bedurft, was jedoch Gegenstand der allgemeinen Eignungsprüfung wäre (vgl. dazu Bl. 16 ff. d. Behördenakte – BA).
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Soweit der Beklagte auf eine mangelnde Problemlösekompetenz, fragliche Selbstreflektionsfähigkeit und mangelndes Verantwortungsbewusstsein hinsichtlich der beiden gescheiterten Adoptionsvermittlungsversuche abgestellt hat, sind die Ausführungen sehr allgemein gehalten und lassen – abgesehen davon, dass sie sich auf das Verhalten der Klägerin im Rahmen des Matching-Verfahrens in Rumänien beziehen, was jedoch nicht genügen kann – ebenfalls keinen Zusammenhang mit der länderspezifischen Eignung erkennen.
40
Im Ergebnis hat der Beklagte daher, mit Ausnahme des Aspekts der unrealistischen Erwartungshaltung an ein Adoptivkind speziell aus Rumänien und der mangelnden Fähigkeit zum Aufbau einer Beziehung zum Adoptivkind, sachfremde Erwägungen in seine Entscheidung einfließen lassen, da sich diese sämtlich auf die allgemeine Eignung der Klägerin beziehen, die jedoch dem jeweils zuständigen Jugendamt obliegt, womit der Bescheid im Ergebnis weder fachlich vertretbar noch nachvollziehbar ist.
41
Nach alledem war daher der Bescheid des Beklagten vom ... aufzuheben und der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
42
Gerichtskosten werden vorliegend nicht erhoben (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 21/10 – juris; OVG MV, B.v. 19.3.2020 – 1 M 251/18 OVG – juris; VG München, U.v. 21.10.2015 – M 18 K 14.5346 – juris).
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).