Inhalt

VG München, Urteil v. 04.10.2023 – M 9 K 22.3433
Titel:

Erfolglose Klage der Nachbarn gegen isolierte Befreiung für Sichtschutzzaun

Normenketten:
BauGB § 9 Abs. 4, § 31 Abs. 2
BayBO Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 3, Art. 81 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei einer Befreiung, die eine Festsetzung zum Gegenstand hat, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit dient, richtet sich der Nachbarschutz lediglich nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Örtliche Bauvorschriften, die gem. Art. 81 Abs. 2 S. 1 BayBO iVm § 9 Abs. 4 BauGB auch in einem Bebauungsplan geregelt werden können, dienen grundsätzlich nur dem öffentlichen Interesse – insbesondere der Durchsetzung gestalterischer Ziele der Gemeinde – und räumen den Nachbarn regelmäßig keine subjektiv-öffentlichen Abwehrrechte ein. Nachbarschutz vermag eine örtliche Bauvorschrift nur ausnahmsweise zu vermitteln, wenn die Gemeinde der Festsetzung erkennbar eine entsprechende Wirkung geben wollte. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Festsetzung einer maximalen Einfriedungshöhe im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO erfolgt regelmäßig aus ortsgestalterischen Gründen und soll insbesondere eine gewisse optische Durchlässigkeit eines potentiell dicht bebauten Gebietes erhalten. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Entspricht ein Bauvorhaben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO), ist für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr. Nur in Ausnahmefällen kann eine bauliche Anlage dennoch eine unzumutbare, einmauernde oder erdrückende Wirkung entfalten. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
§ 31 Abs. 2 BauGB, Isolierte Befreiung, Sichtschutzzaun, Nachbarschutz, Bebauungsplan, Örtliche Bauvorschriften, Einfriedungshöhe, Gebot der Rücksichtnahme, Abstandsfläche
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30468

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte isolierte Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans betreffend die Höhe eines Sichtschutzzaunes.
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Die Kläger sind Miteigentümer des unmittelbar südlich an das Vorhabengrundstück Fl.-Nr. ..., Gemarkung …, angrenzenden Grundstücks Fl.-Nr. ..., Gemarkung … Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. ... A „Westlich …“ der Beklagten (i.F. Bebauungsplan).
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Die Beigeladene beantragte unter dem 11. April 2022 eine isolierte Befreiung für einen Sichtschutzzaun auf ihrem Grundstück, dem Vorhabengrundstück. Dieser soll sich nach den eingereichten und in der Folge auch mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen an der südlichen Grundstückgrenze, also der Grenze zum klägerischen Grundstück, über die volle Grundstücklänge (20 m) erstrecken sowie an der westlichen Grundstückgrenze ausgehend von der südwestlichen Grundstücksecke auf einer Länge von 9 m. Die isolierte Befreiung wurde für die Höhe des geplanten blickdichten Sichtschutzzaunes von 2 m beantragt.
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Die entsprechende Festsetzung Nr. 18 des Bebauungsplans lautet:
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„Einfriedungen sind bis zu einer Höhe von 1,30 m zulässig. Mit Geh- und Fahrtrechten belegte Flächen dürfen nicht eingefriedet werden.“
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Mit Bescheid vom 9. Juni 2022 erteilte die Beklagte die beantragte isolierte Befreiung. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Errichtung sei verfahrensfrei nach Art. 57 Abs. 1 BayBO, was jedoch nicht von der Pflicht zur Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften, also auch der Festsetzung des Bebauungsplans zur maximalen Einfriedungshöhe, entbinde. Rechtsgrundlage für die erteilte Befreiung sei § 31 Abs. 2 BauGB. Grundzüge der Planung seien nicht berührt. Der Sichtschutzzaun sei vom öffentlichen Verkehrsraum aus kaum einsehbar und trete städtebaulich nicht in Erscheinung. Es gebe Bezugsfälle in der unmittelbaren Umgebung. Weiterhin wahre der Sichtschutzzaun die Maximalhöhe nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO, sodass die Besonnung und die Belüftung der angrenzenden Nachbargrundstücke gewahrt blieben. Im Übrigen wird auf den Bescheid Bezug genommen.
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Hiergegen ließen die Kläger durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 8. Juli 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen,
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Der durch die Beklagte am 09.06.2022, zum dortigen Aktenzeichen …- …, zu Gunsten der Frau … … erlassene Bescheid, der als Anlage K 1 beigefügt ist, wird aufgehoben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Abstand des klägerischen Hauses zur geplanten Einfriedung betrage nur 3 m. Dort befinde sich auf dem klägerischen Grundstück ein Freisitz. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans fänden sich lediglich zwei Grundstücke, für die Befreiungen bzgl. Einfriedungshöhe erteilt worden seien. Zum einen bestehe für das Grundstück Fl.-Nr. ..., Gemarkung …, eine isolierte Befreiung aus dem Jahr 2008. Allerdings sei der Nachbar (Grundstück Fl.-Nr...., Gemarkung ….) einverstanden gewesen. Es grenzten nur eine Garage und andere Nebengebäude an. Zum anderen handele es sich um das Grundstück Fl.-Nr. ..., Gemarkung … Hier sei eine Abweichung für eine Einfriedung mit einer Höhe von 1,80 m erteilt worden. Es handele sich jedoch nicht um einen durchgehenden Sichtschutz. Die vorliegend erteilte Befreiung sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Es fehle schon eine dem Art. 39 BayVwVfG entsprechende Begründung, da im Wesentlichen nur der Gesetzeswortlaut wiedergegeben werde. Obwohl Festsetzungen örtlicher Bauvorschriften grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion hätten, dienten solche, die Einfriedungen auch im seitlichen und hinterliegenden Bereich beträfen, regelmäßig auch dem Nachbarschutz. So liege der Fall hier. Dies folge zudem auch aus der zweiten Festsetzung der Ziffer 18, wonach Bereiche, für die ein Geh- und Fahrrecht existiere, nicht mit Einfriedungen versehen werden dürften. Es fehle überdies an der städtebaulichen Vertretbarkeit der Befreiung. Es fehle an einer erforderlichen Atypik. Schließlich sei das Gebot der Rücksichtnahme durch die geplante Errichtung eines vollständig blickdichten, 2,00 m hohen Sichtschutzes verletzt, da unter Berücksichtigung des Abstandes von 3 m zwischen der Grenze und dem Wohnhaus auf den Nachbargrundstück in dem als Freisitz genutzten Bereich ein Einmauerungseffekt vorliege. Auf die Schriftsätze der Klagepartei wird im Übrigen Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, eine Rechtsverletzung der Kläger sei nicht gegeben. Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung wie hier bzgl. der Einfriedungshöhe entfalteten grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung. Die Festsetzung der Einfriedungshöhe diene hier ausschließlich städtebaulichen Belangen und nicht dem Ausgleich privater Interessen. Ein auf Letzteres gerichteter planerischer Wille ergebe sich weder aus dem Bebauungsplan selbst noch aus dessen Begründung. Er folge auch nicht über die Festsetzung bzgl. Bereiche mit Geh- und Fahrtrecht, da diese schon privatrechtlich nicht eingefriedet werden dürften; der Passus habe daher rein deklaratorische Bedeutung. Bei einer Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen habe der Nachbar über das Rücksichtnahmegebot und die dieses Gebot konkretisierende Würdigung nachbarlicher Interessen hinaus keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung oder gar die Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen. Die nachbarlichen Interessen seien hier im Sinne des Rücksichtnahmegebots hinreichend berücksichtigt worden. Eine unzumutbare Belastung der Kläger sei nicht ersichtlich. Belichtung und Besonnung des klägerischen Grundstücks seien gesichert. Es seien die Vorgaben des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO gewahrt, die unabhängig von der Materialität der Sichtschutze gälten. Anhaltspunkte für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots trotz eingehaltenen Abstandsflächenrechts seien nicht ersichtlich. Eine unzumutbare Verschattung scheide schon wegen der Situierung an der nördlichen Grundstückgrenze der Kläger aus. Auch eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung sei nicht gegeben, da diese in der Rechtsprechung nur im Ausnahmefall bei übergroßen Baukörpern mit geringem Abstand zum Nachbargrundstück bejaht würde. Diese Anlagen seien jedoch keinesfalls mit einer abstandsflächenneutralen Einfriedung vergleichbar. Angesichts der Einfriedungshöhe von 2,00 m und einer Länge von 20,00 m werde die genehmigte Anlage mit Sicherheit den optischen Eindruck vom Grundstück der Kläger aus beeinflussen. Es sei allerdings unter Zugrundelegung des Gesetzeszwecks und aller Einzelfallumstände (Größe des Grundstücks, Einfriedung zur nördlichen Seite des Klägergrundstücks, Verfügbarkeit von ausreichend Freiflächen) nicht von einer herrschenden bzw. übermächtigen Wirkung auf das klägerische Grundstück auszugehen. Soweit sich die Kläger darauf beriefen, dass die Einfriedung die Nutzung ihres Freisitzes beeinträchtige, werde darauf hingewiesen, dass die Beigeladene in zulässiger Weise sogar ein 9,00 m langes Nebengebäude mit einer mittleren Wandhöhe von 3,00 m auf Höhe des Freisitzes errichten könnte, was von den Klägern aufgrund der Privilegierung solcher Gebäude i.S.d. Art. 6 Abs. 7 BayBO ebenfalls hinzunehmen wäre. Weiterhin seien bereits zahlreiche Bezugsfälle vorhanden (Verweis auf Bl. 11-15 der Behördenakte). Es sei korrekt, dass lediglich zwei dieser Bezugsfälle genehmigt seien, allerdings sei ein Einschreiten nicht beabsichtigt, da die festgesetzte Einfriedungshöhe von 1,30 m nicht mehr zeitgemäß sei. Eine weitergehende Begründung des Bescheids sei wegen Art. 68 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht notwendig gewesen. Im Übrigen wird auf die Klageerwiderung Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 17. August 2023 ist der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen worden.
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Das Gericht hat am 4. Oktober 2023 Beweis erhoben über die örtlichen und baulichen Verhältnisse durch Einnahme eines Augenscheins. Wegen der bei dem Augenschein getroffenen Feststellungen wird auf das Protokoll Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. Oktober 2023, die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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A. Die Klage hat keinen Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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I. Formelle Fehler der isolierten Befreiung, die die Kläger in ihren Rechten verletzen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere genügt die Begründung des Bescheids den gesetzlichen Anforderungen. Insbesondere erfolgte hier keine Befreiung von einer nachbarschützenden Vorschrift (näher dazu unten; vgl. für Baugenehmigungen Art. 68 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 BayBO, der hier jedenfalls entsprechend anzuwenden ist, i.V.m. Art. 39 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG).
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II. Auch materielle Fehler der isolierten Befreiung, die die Kläger in ihren Rechten verletzen könnten, liegen nicht vor.
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1. Der Umfang des Rechtsschutzes eines Nachbarn bei (isolierten) Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB (ggf. i.V.m. Art. 63 BayBO; näher dazu BayVGH, U.v. 14.2.2012 – 15 B 11.801 – juris Rn. 23 m.w.N.) hängt davon ab, ob die jeweiligen Festsetzungen dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Soweit dagegen eine Befreiung eine Festsetzung zum Gegenstand hat, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit dient, richtet sich der Nachbarschutz lediglich nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 9.4.2021 – 9 CS 21.553 – juris Rn. 20 m.w.N.; B.v. 11.11.2021 – 9 ZB 21.2434 – juris Rn. 5).
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2. Gemessen an diesem Maßstab sind die Kläger durch die der Beigeladenen erteilte und hier streitgegenständliche isolierte Befreiung nicht in ihren Rechten verletzt.
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a) Bei der streitgegenständlichen Festsetzung Nr. 18 Satz 1 des Bebauungsplanes (Art. 81 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. § 9 Abs. 4 BauGB), von der befreit wurde, handelt es sich nicht um eine nachbarschützende Norm. Denn eine Auslegung der Festsetzung ergibt im Rahmen einer Gesamtschau – unter Einbeziehung des objektiven Gehalts, des Wortlauts, der Materialien sowie der Systematik –, dass diese ausschließlich städtebauliche Gründe hat bzw. der Gestaltung des Ortsbildes dient und damit nicht drittschützend ist.
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aa) Festsetzungen in Bebauungsplänen können sowohl drittschützend auch rein objektiv-rechtlicher Natur sein. So sind Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung grundsätzlich generell und unabhängig davon, ob der Nachbar durch die gebietswidrige Nutzung unzumutbar oder auch nur tatsächlich spür- und nachweisbar beeinträchtigt wird, schon kraft bundesrechtlicher Vorgabe als drittschützend anzusehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – ZfBR 2013, 783 = juris Rn. 3 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – juris Rn. 56). Bei sonstigen Festsetzungen darf der Plangeber regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden, ob er diese auch zum Schutze des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – juris Rn. 56 m.w.N.). Ob sie nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurden oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollen, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst (etwa kraft ausdrücklicher Regelung von Drittschutz), aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben kann (BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – NVwZ-RR 2020, 961 = juris Rn. 23). Entsprechendes gilt bei Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften, die gemäß Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. § 9 Abs. 4 BauGB auch in einem Bebauungsplan geregelt werden können. Sie dienen grundsätzlich nur dem öffentlichen Interesse – insbesondere der Durchsetzung gestalterischer Ziele der Gemeinde – und räumen den Nachbarn regelmäßig keine subjektiv-öffentlichen Abwehrrechte ein. Nachbarschutz vermag eine örtliche Bauvorschrift nur ausnahmsweise zu vermitteln, wenn die Gemeinde der Festsetzung erkennbar eine entsprechende Wirkung geben wollte (vgl. VGH BW, B.v. 1.8.2018 – 5 S 272/18 – BauR 2018, 1997 = juris Rn. 41). Die entsprechende Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB ergibt sich aus Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – a.a.O. Rn 57 m.w.N.).
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bb) Auf dieser Grundlage ist nicht ersichtlich, dass die streitgegenständliche Festsetzung einer Maximalhöhe von Einfriedungen von 1,30 m drittschützend ist (mit dem selben Ergebnis für vergleichbare Festsetzungen beispielsweise BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – juris Rn. 58 ff.; B.v. 27.7.2022 – 9 ZB 22.376 – juris Rn. 7 ff.). Es trifft zwar zu, dass – wie der Klägerbevollmächtigte vorträgt – Vorschriften über die Gestaltung von Einfriedungen insoweit dem Nachbarschutz entfalten können, als sie nicht nur für Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen, sondern auch für solche an den übrigen, insbesondere den rückwärtigen, Grundstücksgrenzen gelten (vgl. BayVGH, U.v. 11.8.1988 – 2 B 87.02300 – juris Rn. 13; a.A. wohl BayVGH, U.v. 22.2.2000 – 2 B 94.2587 – juris Rn. 38; dagegen beispielsweise auch Decker in Busse/Kraus, BayBO, 150. EL Februar 2023, Art. 81 Rn. 316). Es bleibt jedoch dabei, dass die Frage, ob eine Festsetzung in einem Bebauungsplan oder eine örtliche Bauvorschrift (auch) dem Nachbarschutz dienen soll, nicht pauschal, sondern im jeweiligen Einzelfall – hier also konkret für die Festsetzung Nr. 18 Satz 1 des gegenständlichen Bebauungsplans – zu ermitteln ist.
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Vorliegend ergibt sich aus einer Auslegung der Festsetzung anhand einer Gesamtschau – unter Einbeziehung des objektiven Gehalts, des Wortlauts, der Materialien sowie der Systematik –, dass diese ausschließlich städtebauliche Gründe hat bzw. der Gestaltung des Ortsbildes dient und damit keinen Drittschutz entfaltet. Zunächst ergeben sich weder aus dem Wortlaut der Festsetzung Nr. 18 Satz 1 des gegenständlichen Bebauungsplans selbst noch aus der – durchaus umfangreichen – Begründung ein Hinweis darauf, dass die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers zumindest auch den Nachbarn schützen soll. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus sonstigen Anhaltspunkten oder beachtlichen Umständen; solche sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Ein entsprechender Wille des Plangebers und damit korrespondierend ein entsprechender Schutzzweck der Festsetzung lässt sich entgegen dem klägerischen Vortrag insbesondere weder aus Satz 2 der Festsetzung noch aus dem Festsetzungszusammenhang insgesamt ableiten. Satz 2 der Festsetzung Nr. 18 regelt, dass mit Geh- und Fahrtrechten belegte Flächen nicht eingefriedet werden dürfen. Unabhängig davon, ob dies – wie die Beklagte meint – schon aus dem Zivilrecht folgt oder nicht, lässt sich hieraus kein Drittschutz der Einfriedungsfestsetzung insgesamt ableiten. Denn zum einen ist schon nicht erkennbar, dass die Festsetzung in Satz 2 selbst zwingend drittschützenden Charakter haben muss. Vielmehr entfalten (gesetzliche) Erschließungserfordernisse regelmäßig keinen Nachbarschutz, sondern dienen dem öffentlichen Interesse an einer gesicherten Erschließung. Satz 2 der Festsetzung ist insoweit mit den (gesetzlichen) Erschließungserfordernissen vergleichbar, da auch Geh- und Fahrtrechte zwar nicht immer, aber oft der Erschließung dienen. Jedenfalls ist nicht erkennbar, warum ein – unterstellter – Drittschutz durch Satz 2 der Festsetzung Nr. 18 auch deren Satz 1 umfassen soll. Zwar regeln beide Sätze Einfriedungen, allerdings befassen sie sich mit ganz unterschiedlichen Aspekten von Einfriedungen, nämlich deren Maximalhöhe einerseits und die Frage des „Ob“ einer Einfriedung für bestimmte Flächen andererseits. Insgesamt ist nicht erkennbar, wie aus Satz 2 der Festsetzung ein Drittschutz aus ihrem Satz 1 hergeleitet werden soll.
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Weiterhin ergibt sich eine nachbarschützende Funktion der Festsetzung entgegen dem klägerischen Vortrag in der mündlichen Verhandlung auch nicht mit Blick auf dem Festsetzungszusammenhang insgesamt. Zwar trifft es zu, dass der Satzungsgeber in dem Bebauungsplan unter anderem Baufenster festlegt und ihm jedenfalls auch die – damaligen – Grundstückszuschnitte bekannt waren. Daraus lässt sich jedoch nicht – wie die Klagepartei meint – schlussfolgern, dass die gegenständliche Festsetzung nachbarschützend ist. Festgesetzte Baugrenzen und Baulinien selbst können im Einzelfall ausnahmsweise Nachbarschutz entfalten. Der Gesamtzusammenhang der hier vorwiegend festgesetzten Baugrenzen (und einiger Baulinien) lässt jedoch nicht erkennen, dass etwa so eng bemessene Baufenster auf den einzelnen Grundstücken festgesetzt werden, dass diese typischerweise vollständig ausgefüllt werden und deshalb die davon unabhängige Festsetzung einer maximalen Einfriedungshöhe zum Schutz der Nachbarn vor Abschottung der verbleibenden Gartenflächen erfolgen muss und soll. Ein solcher, klägerseits vermuteter planerischer Wille findet keinen Anhaltspunkt in den Festsetzungen, der Begründung oder sonstigen relevanten Umständen und kann dem Plangeber daher nicht unterstellt werden. Es bleibt vielmehr dabei, dass die Festsetzung einer maximalen Einfriedungshöhe – wie regelmäßig im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO (vgl. BayVGH, B.v 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – juris Rn. 59 m.w.N.) – aus ortsgestalterischen Gründen erfolgt und insbesondere eine gewisse optische Durchlässigkeit des potentiell dicht bebauten Gebietes erhalten soll. Der im Rahmen des Augenscheins gewonnene Eindruck des Gerichts hat ebenfalls ergeben, dass auch die nicht straßenseitigen Einfriedungen der Grundstücke jedenfalls teilweise von der Straße aus sichtbar sind. Dies stützt das Ergebnis, dass auch die Festsetzung einer maximalen Einfriedungshöhe an der straßenabgewandten Seite dem Zweck der optischen Durchlässigkeit verfolgen kann und hier verfolgt. Es fehlen damit auch unter Berücksichtigung des Festsetzungszusammenhangs insgesamt Anhaltspunkte für einen vom Plangeber gewollten Drittschutz der gegenständlichen Festsetzung.
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cc) Schließlich ergibt sich ein entsprechender Drittschutz auch nicht aus dem Aspekt eines Austauschverhältnisses und einer „Schicksalsgemeinschaft“, wie sie in Bezug auf die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung anzunehmen ist. Im Unterschied dazu lassen Befreiungen oder Abweichungen bzgl. Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung, ebenso wie bzgl. örtlicher Bauvorschriften, in aller Regel den Gebietscharakter unberührt und haben nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung reicht daher zum Schutz der Nachbarn das drittschützende Rücksichtnahmegebot des § 31 Abs. 2 BauGB grundsätzlich aus, das eine Abwägung der nachbarlichen Interessen ermöglicht und den Nachbarn vor unzumutbaren Beeinträchtigungen schützt (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52.95 – juris Rn. 3 f.; BayVGH, B.v. 14.1.2021 – 9 ZB 19.2168 – juris Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – a.a.O. Rn. 21; OVG Hamburg, B.v. 25.6.2019 – 2 Bs 100/19 – juris Rn. 30). Bei einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller relevanter Gesichtspunkte ist ein derartiges Austauschverhältnis vorliegend im Ergebnis zu verneinen. Die streitgegenständliche Festsetzung hat ausschließlich städtebauliche Gründe bzw. dient der Gestaltung des Ortsbildes, was wie dargelegt gerade auch der Typik örtlicher Bauvorschiften über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen entspricht (vgl. BayVGH, B.v 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – a.a.O. Rn. 59 m.w.N.).
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Mangels einer isolierten Befreiung von drittschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans kommt es auf deren Rechtsmäßigkeit daher vorliegend nicht an. Es kann daher dahinstehen, ob die Grundzüge der Planung berührt werden, ob Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern, ob die Abweichung städtebaulich vertretbar ist und ob die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde.
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b) Das damit allein zur Prüfung verbleibende Gebot der Rücksichtnahme (§ 31 Abs. 2 BauGB) ist mit Blick auf die Kläger nicht verletzt.
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aa) Die Anforderungen, die das Rücksichtnahmegebot im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 9 CS 17.2099 – juris Rn. 19 m.w.N.). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommen soll, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, U. v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris; B.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris).
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bb) Von der streitgegenständlichen Einfriedung gehen unter Würdigung der Gesamtumstände und insbesondere auch des Eindrucks, den das Gericht im Rahmen des Augenscheins gewinnen konnte, keine unzumutbaren Störungen und Belästigungen für die Kläger aus, die zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen würden. Entspricht ein Bauvorhaben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO), ist für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – NVwZ-RR 1997, 516; BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 22). Nur in Ausnahmefällen kann eine bauliche Anlage dennoch eine unzumutbare, einmauernde oder erdrückende Wirkung entfalten (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; B.v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 – juris; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris). Kriterien hierfür sind unter anderem die Höhe und die Länge des Bauvorhabens sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris). Rücksichtslosigkeit kann danach etwa bei nach Höhe, Breite und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden angenommen werden (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85). Entscheidend ist die konkrete Situation im Einzelfall.
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Die streitgegenständliche Einfriedung ist abstandsflächenrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO auch als geschlossene Einfriedung mit einer Höhe bis zu 2 m in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig, sodass sie aus abstandflächenrechtlicher Sicht an den betroffenen Grundstücksgrenzen errichtet werden kann.
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Diese gesetzgeberische Wertung aus dem Abstandsflächenrecht strahlt wie dargelegt auch auf die Beurteilung des Gebots der Rücksichtnahme aus und ist daher im Rahmen der Gesamtschau im Einzelfall mit zu berücksichtigen. Diese ergibt vorliegend, dass die abstandsflächenneutrale streitgegenständliche Einfriedung die Kläger nicht im Rechtssinne unzumutbar belastet. Ohne Zweifel handelt es sich bei der streitgegenständlichen blickdichten Einfriedung schon wegen ihrer Länge insbesondere entlang der Grenze zum klägerischen Grundstück (20 m) um eine nicht unerhebliche Anlage. Unter Berücksichtigung des Eindrucks, den das Gericht im Rahmen des Augenscheins vor Ort gewinnen konnte, ist auch davon auszugehen, dass der Sichtschutzzaun nicht unerheblich auf das klägerische Grundstück einwirken kann. Allerdings ist in einer Gesamtschau aller Umstände und unter Einbeziehung der gesetzgeberischen Wertung des Abstandsflächenrechts nicht erkennbar, dass es zu einer unzumutbaren Belastung kommt. Der streitgegenständliche Sichtschutzzaun hat insbesondere keine erdrückende oder einmauernde Wirkung. Dass die Kläger subjektiv die Veränderung der baulichen Verhältnisse als unzumutbar empfinden, weil sie eine Beeinträchtigung etwa ihres Freisitzes und ein „Eingemauertsein“ befürchtet, ist im Rahmen des Rücksichtnahmegebots unbeachtlich. Eine Rechtsverletzung der Kläger wegen erdrückender Wirkung des Sichtschutzzaunes wäre erst gegeben, wenn nach der Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls von dem Vorhaben tatsächlich eine unzumutbare Beeinträchtigung im Sinne einer „abriegelnden“ oder „erdrückenden“ Wirkung ausgeht, die vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommt (BayVGH, B.v. 8.7.2021 – 9 ZB 20.1567 – juris Rn. 11 m.w.N.). Das ist angesichts der konkreten Grundstückssituation, der relativ geringen Höhe der Einfriedung – auch im Vergleich zu der Höhe der umliegenden Wohnhäuser, die eine Geschossigkeit von E + I aufweisen –, der tatsächlichen Abstände sowie der Bebauung auf dem Grundstück der Kläger ersichtlich nicht der Fall. Insbesondere ist die Wirkung einer 2 m hohen blickdichten Einfriedung nicht mit der eines übergroßen Baukörpers zu vergleichen. Auch ist die Einfriedung wie dargestellt trotz ihrer Länge, Höhe und Blickdichtigkeit abstandsflächenrechtlich zulässig; Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, der den Sichtschutzzaun entgegen der gesetzgeberischen Wertung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO als rücksichtlos erschienen ließen, bestehen nicht und konnten insbesondere auch im Rahmen des gerichtlichen Augenscheins vor Ort nichts ausgemacht werden.
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Nach alledem wird die Klage abgewiesen.
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B. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Sachantrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. VwGO.