Titel:
Gesundheitliche Eignung für die Einstellung als Beamter auf Widerruf
Normenketten:
BeamtStG § 9
LlbG Art. 25, Art. 26 Abs. 1 S. 1
GG Art. 12 Abs. 1 S. 1, Art. 33 Abs. 2
ZAPO-J § 17
Leitsätze:
1. Einem Beamtenbewerber fehlt die gesundheitliche Eignung für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gesundheitliche Eignung fehlt auch, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die maßgebliche Prognoseentscheidung ist unabhängig von der Art des angestrebten Beamtenverhältnisses auf eine spätere Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit abzustellen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Beamtenbewerber ist mit dem Risiko der Nichterweislichkeit der gesundheitlichen Eignung belastet. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gesundheitliche Eignung, Zulassung zum Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte, Übernahme in Beamtenverhältnis auf Widerruf, Beamter auf Widerruf, Vorbereitungsdienst, Zulassung, Auswahlentscheidung, Leistungsgrundsatz, gesundheitliche Eignung, vorzeitige Dienstunfähigkeit, krankheitsbedingter Ausfall, Prognose, Gutachten, materielle Beweislast
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30467
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die 1992 geborene Klägerin begehrt die Zulassung zum Vorbereitungsdienst in der zweiten Qualifikationsebene des Justizfachwirtedienstes (Justizsekretäranwärterin) im Beamtenverhältnis auf Widerruf bei dem Beklagten.
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Die Klägerin nahm an einem besonderen Auswahlverfahren des Bayerischen Landespersonalausschusses für die zweite Qualifikationsebene für die Ausbildungsberufe in der öffentlichen Verwaltung und der Justiz zum Einstellungsjahr 2021 teil, wobei sie die Note 2,0 erzielte und die Platzziffer 1.324 erreichte. Daraufhin bewarb sich die Klägerin am ... Oktober 2020 für die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte. Am … Oktober 2020 fand beim Oberlandesgericht … ein Vorstellungsgespräch statt.
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Die Klägerin wurde am … November 2020 durch Dr. med. K., Fachärztin für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie vom Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) der Antragsgegnerin amtsärztlich untersucht. In deren Gesundheitszeugnis vom … Dezember 2020 ist festgehalten, dass die gesundheitliche Eignung für die vorgesehene Tätigkeit, als auch für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe und Lebenszeit nicht bestätigt werden könne. Der Grund hierfür sei, dass bei der Klägerin eine Gesundheitsstörung vorliege, wegen der sie sich bereits über einen längeren Zeitraum in Behandlung befunden habe. Weiter heißt es wörtlich: „Bei dieser Gesundheitsstörung kann es plötzlich und unangekündigt zu Phasen kommen, bei denen das Steuerungsvermögen reduziert ist. Eine Prognose über den weiteren Verlauf kann nicht abgegeben werden.“
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Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom … Dezember 2020 mit, dass sie für die Zulassung zur Ausbildung für den Justizfachwirtedienst nicht berücksichtigt werden könne, da ihr die gesundheitliche Eignung fehle.
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Gegen dieses Schreiben legte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom … Januar 2021 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom … Mai 2021, zugestellt am … Mai 2021, zurückwies.
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Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 22. Juni 2021 Klage erhoben. Zur Begründung wird vorgetragen, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsstörung vorliege. Vielmehr habe sich die Klägerin in den Jahren 2012 bis 2015 wegen einer depressiven Symptomatik in ambulanter Behandlung und einmalig in stationärer Behandlung befunden. Die Erkrankung liege sechs Jahre zurück und sei inzwischen vollständig ausgeheilt.
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Die Klagepartei hat beantragt,
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den Beklagten (richtig statt: die Beklagte) unter Aufhebung des Bescheids vom … Dezember 2020 in Form des Widerspruchsbescheids vom … Mai 2021 zu verpflichten, die Klägerin zur Ausbildung für den Justizfachwirtedienst, zweite Qualifikationsebene der Fachlaufbahn Justiz als Justizsekretäranwärterin zuzulassen,
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hilfsweise den Beklagten (richtig statt: die Beklagte) unter Aufhebung des Bescheids vom … Dezember 2020 in Form des Widerspruchsbescheids vom … Mai 2021 zu verpflichten, den Bewerbungsantrag der Klägerin vom *. Oktober 2020 neu zu verbescheiden.
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Der Beklagte hat beantragt,
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Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für eine Einstellung als Justizsekretäranwärterin in gesundheitlicher Hinsicht nicht. Die gesundheitliche Eignung der Klägerin habe mit Gesundheitszeugnis vom … Dezember 2020 nicht bestätigt werden können. Die Gutachterin habe festgestellt, dass bei der Klägerin eine Gesundheitsstörung vorliege, bei der plötzlich und unangekündigt Phasen mit reduziertem Steuerungsvermögen eintreten könnten.
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Nach Übersendung einer Schweigepflichtentbindungserklärung erläuterte die Gutachtern Dr. med. K. das Gesundheitszeugnis in einer Stellungnahme vom … Oktober 2021. Das Gesundheitszeugnis sei maßgeblich auf die Ergebnisse der Untersuchung vom … November 2020 und auf den Arztbrief des Klinikums über den stationär-psychiatrischen Aufenthalt vom … April 2012 bis *. Juli 2012 gestützt. Die Klägerin habe sich wegen Gesundheitsstörungen schwergradigen Ausmaßes, die mit selbstschädigendem Verhalten und phasenweise verminderter Steuerungsfähigkeit verbunden gewesen seien, in vollstationärer Behandlung befunden. Auch nach der Entlassung habe sich die Klägerin mehrere Jahre in ambulanter psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befunden. Die depressive Symptomatik sei nur eine der diagnostizierten Gesundheitsstörungen. Die Symptome der 2012 diagnostizierten Gesundheitsstörung würden regelhaft auch noch nach vielen Jahren, beispielsweise unter erhöhter Belastung, unter anderem bei Tätigkeiten mit konflikthaftem Publikums- oder Massenpublikumsverkehr auftreten. Es könne somit unter Belastung jederzeit zu plötzlichem und unangekündigtem Auftreten von Phasen kommen, in denen das Steuerungsvermögen reduziert sei.
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Unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme führte die Beklagte aus, dass bei der Klägerin dauerhaft eine vielschichtige Gesundheitsstörung vorliege. Es müsse damit gerechnet werden, dass die Symptome der psychischen Störung wieder, auch nach vielen Jahren auftreten werden. Der Umgang mit einem Massengeschäft sowie mit schwierigen Persönlichkeiten gehöre zu den Kernaufgaben einer Justizfachwirtin im Rahmen der angestrebten Laufbahn. Es sei unabdingbar für eine solche Tätigkeit, dauerhaft auch in fordernden, stressigen und teilweise sehr belastenden Situationen besonnen zu reagieren und dem Druck standhalten zu können.
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Die Klägerseite erwiderte, die Stellungnahme der Gutachterin entbehre jeglicher Aussagekraft. Die Gutachterin habe sich nicht mit der aktuellen gesundheitlichen Situation der Klägerin auseinandergesetzt. Es könne nicht nachvollzogen werden, wie die Gutachterin ein regelhaftes Auftreten der Gesundheitsstörung annehmen könne, ohne ein solches Auftreten in den letzten zehn Jahren festgestellt zu haben. Es bleibe unklar, auf welche medizinischen Annahmen und Erkenntnisse die Begutachtung diese Beurteilung stütze. Die Klägerin sei seit dem Jahre 2008 bei einer Supermarktkette beschäftigt und habe als stellvertretende Filialleiterin eines Supermarktes permanenten Mitarbeiter- und Kundenkontakt. Die Beklagte habe keine eigene Ermessensentscheidung getroffen, sondern sich auf ein nicht nachvollziehbares Gutachten der Amtsärztin gestützt.
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Die Beklagte gab an, dass anlässlich der Erstellung des Gesundheitszeugnisses vom … Dezember 2020 im Rahmen einer 40-minütigen Untersuchung eine ausführliche psychiatrische Exploration (Krankheitsanamnese, Behandlungsdiagnosen, Behandlungsverlauf) durchgeführt und unter Heranziehung aller verfügbaren Behandlungsunterlagen ein psychopathologischer Befund erstellt worden sei. Auf Grundlage der schlüssigen Feststellungen im Gutachten sei entschieden worden, dass die Klägerin die für die Laufbahn der Justizfachwirtin erforderliche dauerhafte psychische Stabilität nicht besitze.
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Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 4. Oktober 2023 Beweis erhoben zu den gesundheitlichen Umständen der Dienstfähigkeit der Klägerin, insbesondere deren Einschränkungen in gesundheitlicher Hinsicht sowie zur Erläuterung des Gesundheitszeugnisses vom … Dezember 2020 durch Einvernahme von Dr. med. K., Fachärztin für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie als sachverständige Zeugin.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie insbesondere hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Niederschrift vom 4. Oktober 2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte und der damit verbundenen Ernennung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf (unter 1.) bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber (unter 2.). Die Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts … vom … Dezember 2020 in Form des Widerspruchsbescheids vom … Mai 2021, die Klägerin auf Grundlage des Gesundheitszeugnisses vom … Dezember 2020 mangels gesundheitlicher Eignung nicht zum Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte als Justizsekretäranwärterin zuzulassen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte. Die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte ist untrennbar mit einer Ernennung zur Justizsekretäranwärterin im Wege der Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf verbunden. Denn nach Art. 26 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen – Leistungslaufbahngesetz/LlbG erfolgt die Einstellung in den Vorbereitungsdienst als Beamter oder als Beamtin auf Widerruf. Zulassung, Ausbildung und Prüfung des Justizfachwirtedienstes sind in der Zulassungs-, Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den Justizwachtmeister-, Justizfachwirte-, Gerichtsvollzieher- und Rechtspflegerdienst v. 16. Juni 2016 (GVBl. 2016, 123) / Ausbildungsordnung Justiz / ZAPO-J festgelegt. Nach dessen § 17 kann in den Vorbereitungsdienst aufgenommen werden, wer die erforderliche Vorbildung nachweist und am besonderen Auswahlverfahren teilgenommen hat. Die Auswahl wird nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 LlbG nach dem Bedarf und dem Gesamtergebnis der Einstellungsprüfung oder des besonderen Auswahlverfahrens vorgenommen, soweit der Vorbereitungsdienst nicht allgemeine Ausbildungsstätte nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland – Grundgesetz/GG ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme in den Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte. Denn es besteht grundsätzlich kein Rechtsanspruch auf Übernahme in den Vorbereitungsdienst (Art. 25 LlbG). Vielmehr steht eine beamtenrechtliche Ernennung im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Der Dienstherr hat dabei den in Art. 33 Abs. 2 GG statuierten Leistungsgrundsatz zu beachten und seine Auswahlentscheidung nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der Bewerber zu treffen. Bewerber auf einen Beamtendienstposten haben allerdings einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr zu einer am Grundsatz der Bestenauslese orientierten ermessensfehlerfreien Entscheidung kommt. Ein Ernennungsanspruch ist nur dann denkbar, wenn – ausnahmsweise – eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt oder die Ernennung dem Bewerber rechtswirksam zugesichert worden ist (vgl. Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 10. Aufl. 2020, § 3 Einstellung, Beförderung, Rn. 31), was für die Klägerin nicht zutrifft.
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2. Der Beklagte hat auch nicht erneut über das Zulassungsbegehren zu entscheiden, da Ermessensfehler nicht ersichtlich sind. Insbesondere hat der Präsident des Oberlandesgerichts … in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Entscheidung, die Klägerin nicht zum Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte zuzulassen, auf die fehlende gesundheitliche Eignung der Klägerin gestützt.
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a. Da mit der Zulassung zum Vorbereitungsdienst eine Ernennung zur Beamtin auf Widerruf verbunden ist, sind die Vorgaben von Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) einzuhalten. Nach letzterer Vorschrift sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder ethnischer Herkunft, Behinderung, Religion, Weltanschauung, politische Anschauungen, Herkunft, Beziehungen oder sexuelle Identität vorzunehmen. Die von der Klägerin begehrte Einstellung setzt daher unter anderem die Eignung voraus, wozu auch die gesundheitliche Eignung als Unterfall der persönlichen Eignung gehört.
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Die Voraussetzungen, denen ein Bewerber in gesundheitlicher Hinsicht genügen muss, ergeben sich aus den körperlichen Anforderungen, die der Beamte erfüllen muss, um die Ämter seiner Laufbahn wahrnehmen zu können. Der Dienstherr legt diese Anforderungen in Ausübung seiner Organisationsgewalt fest. Dabei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu, bei dessen Wahrnehmung er sich am typischen Aufgabenbereich der jeweiligen Dienstposten zu orientieren hat. Subjektive Rechte der Beamten werden hierdurch grundsätzlich nicht berührt. Diese Vorgaben bilden den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu messen ist. Kein Beurteilungsspielraum ist dem Dienstherrn hingegen hinsichtlich der anschließenden Frage eröffnet, ob der einzelne Bewerber den laufbahnbezogen festgelegten Voraussetzungen in gesundheitlicher Hinsicht genügt. Darüber haben letztverantwortlich die Verwaltungsgerichte zu entscheiden, ohne an tatsächliche oder rechtliche Bewertungen des Dienstherrn gebunden zu sein (zum Ganzen: BverwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204, juris Rn. 18 f.; BayVGH, B.v. 18.8.2016 – 6 ZB 15.1933 – juris Rn. 7 f.; B.v. 12.12.2016 – 6 CE 16.2250 – juris Rn. 13 f.).
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Einem Beamtenbewerber fehlt die gesundheitliche Eignung für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die gesundheitliche Eignung fehlt auch, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird (BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204, juris Rn. 26).
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Dass eine Einstellung der Klägerin zunächst nur im Beamtenverhältnis auf Widerruf erfolgt, ändert an der zu fordernden Beurteilung des Gesundheitszustands nichts. Für die maßgebliche Prognoseentscheidung ist unabhängig von der Art des angestrebten Beamtenverhältnisses auf eine spätere Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit abzustellen und damit auf den allgemeinen Prognosemaßstab, der mit Wahrscheinlichkeit den Ausschluss vorzeitiger Dienstunfähigkeit erfordert (Baßlsperger in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: März 2023, § 9 BeamtStG, Rn. 30).
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Zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung müssen die körperlichen und psychischen Veranlagungen des Bewerbers festgestellt und deren Auswirkungen auf sein Leistungsvermögen bestimmt werden (BVerwG, U.v. 21.6.2007 – 2 A 6/06 – DokBer 2007, 312, juris Rn. 22). Dabei ist bei Verneinung der gesundheitlichen Eignung die auf eine hinreichend fundierte Tatsachenbasis im Einzelfall gestützte Prognose der künftigen gesundheitlichen Entwicklung erforderlich (BayVGH, B.v. 12.4.2022 – 6 CE 22.438 – juris Rn. 15). Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt (BVerwG, U.v. 21.6.2007 – 2 A 6/06 – DokBer 2007, 312, juris Rn. 23).Tatsächliche Anhaltspunkte für die Prognose, dass der Bewerber den Anforderungen des angestrebten Amtes in gesundheitlicher Hinsicht nicht genügen wird, können sich etwa aus (amts-)ärztlichen Gutachten ergeben (OVG NW, B.v. 23.10.2019 – 6 B 720/19 – NVwZ-RR 2020, 407, juris Rn. 19).
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Die medizinische Diagnose muss Anknüpfungs- und Befundtatsachen darstellen, die Untersuchungsmethoden erläutern und ihre Hypothesen sowie deren Grundlage offenlegen. Auf dieser Basis können sich die Verwaltungsgerichte im gleichen Maße ein eigenverantwortliches Urteil über die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung des Beamtenbewerbers und über die Erfüllung der dienstlichen Anforderungen bilden wie die zuständige Behörde (BVerwG, U.v. 25.7.2013 – 2 C 12/11 – BVerwGE 147, 244, juris Rn. 12 ff. [Beamtenbewerber]; U.v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204, juris Rn. 20 [Beamter auf Probe]). Im Falle eines Beamtenbewerbers ist dieser mit dem Risiko der Nichterweislichkeit der gesundheitlichen Eignung belastet (BVerwG, B.v. 11.4.2017 – 2 VR 2/17 – Buchholz 232.0 § 9 BBG 2009 Nr. 7, juris Rn. 13).
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b. Nach diesen Grundsätzen begegnet die Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts …, die Klägerin auf Grundlage des Gesundheitszeugnisses vom … Dezember 2020 mangels gesundheitlicher Eignung nicht zum Vorbereitungsdienst für Justizfachwirte zuzulassen, keinen Bedenken.
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Der Beklagte hat – wie bereits aus der Arbeitsplatzbeschreibung eines Justizfachwirtes/einer Justizfachwirtin hervorgeht – für diese Tätigkeit besondere Anforderungen an die gesundheitliche Eignung festgelegt und hierbei den dem Dienstherrn im Rahmen der Organisationsgewalt zustehenden Einschätzungsspielraum nicht überschritten. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Dienstherr für die Tätigkeit als Justizfachwirt/Justizfachwirtin vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des Parteiverkehrs, der den Umgang mit schwierigen Persönlichkeiten umfasst, und des hohen Arbeitsanfalls eine hohe – auch psychische – Belastbarkeit der Bewerber fordert.
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Die Prognose, dass die Klägerin den Anforderungen der Tätigkeit als Justizfachwirtin in gesundheitlicher Hinsicht nicht genügen wird, ist zudem auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützt. Die als sachverständige Zeugin vernommene Fachärztin, die die Klägerin untersucht und (auch) auf dieser Grundlage das Gesundheitszeugnis vom … Dezember 2020 erstellt hat, hat plausibel und nachvollziehbar geschildert, dass die Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird.
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So bestehe bei der Klägerin eine Posttraumatische Belastungsstörung sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ. Diese Diagnose beruhe auf der Untersuchung der Klägerin vom … November 2020, den Berichten der behandelnden Ärzte und dem Arztbrief des Klinikums G. über den stationär-psychiatrischen Aufenthalt der Klägerin vom … April 2012 bis … Juli 2012. Im Arztbrief zum stationär-psychiatrischen Klinikaufenthalt der Klägerin ist vermerkt, dass sich die Klägerin wegen Gesundheitsstörungen schwergradigen Ausmaßes, die mit selbstschädigendem, teils suizidalem Verhalten und phasenweise verminderter Steuerungsfähigkeit verbunden gewesen seien, in vollstationärer Behandlung befunden habe. Dem Arztbrief könne entnommen werden, dass bereits im Juli 2012 eine Posttraumatische Belastungsstörung, eine schwere depressive Episode sowie der Verdacht auf das Vorliegen einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ diagnostiziert worden sei. Auch nach der Entlassung habe sich die Klägerin mehrere Jahre in ambulanter psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befunden.
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Die sachverständige Zeugin hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die typischen Tätigkeiten einer Justizfachwirtin vor dem Hintergrund der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und zu regelmäßigen krankheitsbedingten gesundheitlichen Ausfällen der Klägerin führen würden. Die Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ beinhalte typischerweise emotionale Ausbrüche und Einbrüche. Zwischenzeitlich träte eine hohe Anspannung und Leere auf, die sich von den Betroffenen nur im Wege der Selbstverletzung lösen lasse. Eine solche Persönlichkeitsstörung führe nicht zur generellen Arbeitsunfähigkeit; allerdings könnten gewisse Tätigkeiten, insbesondere solche mit erschwertem Publikumsverkehr wie die einer Justizfachwirtin, nicht ausgeübt werden, ohne dass sich der Gesundheitszustand erheblich verschlechtern würde. Ein erschwerter Publikumsverkehr umfasse die Konfrontation mit schweren Schicksalen. Bei Kontakt mit erschwertem Publikumsverkehr müsse man sich als Mensch völlig zurücknehmen und die eigenen Befindlichkeiten ausblenden können. Dies könne die Klägerin nicht leisten. Vielmehr sei zu befürchten, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin bei einem Einsatz in einem solchen Tätigkeitsbereich mit erschwertem Publikumsverkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit verschlechtern würde. Denn es stehe zu befürchten, dass eine Arbeit mit erschwertem Publikumsverkehr sogenannte „Trigger“-Situationen hervorrufen würde, die bei der Klägerin ein ungesteuertes Verhalten auslösen würden. Je nach Schweregrad der Persönlichkeitsstörung könnte bereits die Erwähnung eines Wortes, das an die traumatisierende Situation des sexuellen Missbrauchs erinnere, oder aber das Schildern und Besprechen einer Situation zu einem sog. Dissoziationsereignis, d.h. zu einem „Wegtreten“ und in der Folge zu einer Retraumatisierung führen. Dies hätte eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit entsprechenden Krankheitszeiten und einer Behandlungsbedürftigkeit zur Folge.
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Auch wenn es in letzter Zeit nicht zu krankheitsbedingten Auffälligkeiten und Ausfällen gekommen sein mag, hat die sachverständige Zeugin schlüssig und nachvollziehbar – bereits in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom … Oktober 2021 wie auch in der mündlichen Verhandlung – dargelegt, dass die Symptome der Gesundheitsstörung vom Borderline-Typ regelhaft auch noch nach vielen Jahren, beispielsweise unter erhöhter Belastung, unter anderem bei Tätigkeiten mit konflikthaftem Publikums- oder Massenpublikumsverkehr aufträten. Eine solche Persönlichkeitsstörung sei medikamentös nicht behandelbar. Ihre Auswirkungen seien durch Psychotherapie nicht vollständig einzudämmen, sondern könnten lediglich abgeschwächt werden. So könnten Personen mit einer solchen Persönlichkeitsstörung lernen, mit „Trigger“-Situationen umzugehen, wenn Techniken wie das Umfassen eines Igelballs, das Schnalzen mit einem Gummiband oder das Verlassen der Situation erlernt würden und die Gesundheitsstörung als solche angenommen werde. Inwieweit die Klägerin, die ihre Erkrankungen nach den Beobachtungen der Gutachterin in der Untersuchung heruntergespielt und sich seit dem Jahre 2015 nicht mehr in psychotherapeutischer Behandlung befunden hat, diese Techniken tatsächlich erlernt hat, kann letztlich dahinstehen. Denn nach der Einschätzung der sachverständigen Zeugin ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Symptome der Gesundheitsstörung in Form von plötzlichen und unangekündigt auftretenden Anfällen, die sich durch ungesteuertes Verhalten äußern, in belastenden Situationen – wenn auch in abgeschwächter Form – wieder auftreten werden.
35
Soweit die sachverständige Zeugin im Gesundheitszeugnis vom … Dezember 2020 vermerkt hat, dass eine Prognose über den weiteren Verlauf der Gesundheitsstörung nicht abgegeben werden könne, steht dies der negativen Eignungsprognose des Beklagten nicht entgegen. Denn die Gutachterin hat dargelegt, dass dies mit dem Wesen der Gesundheitsstörung zusammenhängt. Bei einer solchen Gesundheitsstörung könne typischerweise weder eine Langzeit- noch eine Kurzzeitprognose abgegeben werden. Im Übrigen trägt die Klägerin das Risiko der Nichterweislichkeit der gesundheitlichen Eignung (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.2017 – 2 VR 2/17 – juris Rn. 13). Diese hat den Nachweis der gesundheitlichen Eignung nicht geführt.
36
Der Vortrag, dass die Klägerin bis vor kurzem ohne besondere Auffälligkeiten die Tätigkeit als stellvertretende Leiterin eines Supermarktes ausgeübt haben soll, bedingt nichts anderes. Diesbezüglich hat die sachverständige Zeugin plausibel begründet, dass die Tätigkeit als stellvertretende Leiterin eines Supermarktes nicht in gleicher Weise wie die Tätigkeit als Justizfachwirtin den Umgang mit erschwertem Publikumsverkehr beinhaltet, der bei der Klägerin ungesteuertes Verhalten auslösen könne. Die Gutachterin begründete dies damit, dass sich aus dem Umgang mit erschwertem Publikumsverkehr, der für den Beruf der Justizfachwirtin typisch sei, eine hohe Verantwortungslage ergebe. Justizfachwirte würden häufig mit Personen konfrontiert, die schwere Schicksale erlitten hätten. Stellvertretende Leiter eines Supermarktes hätten nicht in gleichem Maße mit erschwertem Publikumsverkehr zu tun. Dies ist nachvollziehbar.
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Soweit die Klägerseite schließlich vorträgt, der Beklagte habe keine eigene Ermessensentscheidung getroffen, sondern die gesundheitliche Eignung auf nicht nachvollziehbare Ausführungen im Gesundheitszeugnis gestützt, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr sind die Feststellungen im Gesundheitszeugnis vom … Dezember 2020 schlüssig. Da die Klägerin gesundheitlich nicht geeignet war, hat eine Einstellung in das Beamtenverhältnis und dementsprechend auch eine Zulassung zum Vorbereitungsdienst nicht erfolgen dürfen (vgl. § 9 BeamtStG).
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3. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.