Titel:
zum Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie bei einer inlandsbezogenen Ausweisung
Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 1, § 53 Abs. 1, Abs. 3 lit. a, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 60 Abs. 5
Rückführungs-RL Art. 11 Abs. 1 lit. a
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Die Rückführungsrichtlinie ist nach ihrem Art. 2 Abs. 1 auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige anzuwenden, nachdem der Bundesgesetzgeber von der durch Art. 2 Abs. 2 lit. b Rückführungs-RL eingeräumten Möglichkeit, eine Bereichsausnahme zu regeln, keinen Gebrauch gemacht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Ausweisung unter den hohen Anforderungen des § 53 Abs. 3 lit. a AufenthG unterfällt dem Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie, sodass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht ohne Rückkehrentscheidung ergehen kann, die im deutschen Recht nicht in der Ausweisung, sondern erst in der Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG zu sehen ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Syrien, Inlandsbezogene Ausweisung, Flüchtling, anerkannter Flüchtling, inlandsbezogene Ausweisung, Einreise- und Aufenthaltsverbot, RL 2008/115/EG, Betäubungsmitteldelikte
Fundstelle:
BeckRS 2023, 29394
Tenor
I. Der Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 27. Juli 2022, Az. …, in der mit Schriftsatz vom 21. Juli 2023 geänderten Fassung, wird in Ziffer 2, Satz 1 aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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I. Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.
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1. Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger und wurde am … … 1995 geboren. Er reiste am 27. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 16. März 2016 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 7. April 2016 (Gz. … * …*) wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Daraufhin erhielt er am 20. April 2016 eine Aufenthaltserlaubnis, befristet bis zum 19. April 2019. Am 18. April 2019 wurde ihm während der Prüfung der Verlängerung seines Aufenthaltstitels eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG erteilt, die danach mehrfach, zuletzt bis zum 14. August 2022 verlängert wurde. Anschließend wurde ihm eine Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG erteilt, die zuletzt bis zum 29. März 2024 verlängert wurde. Am 18. Januar 2022 teilte das BAMF schriftlich mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme des Flüchtlingsstatus nicht vorliegen.
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Der Kläger ist mit Urteil des Landgerichts S* … vom … … 2021 (Az. * … * … …*), rechtskräftig seit … … 2022, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Der Kläger hatte in sechs Fällen mindestens 500 Gramm Marihuana bezogen und einen Großteil davon gewinnbringend weiterverkauft. Die höchste verwirklichte Einzelstrafe belief sich auf zwei Jahre und vier Monate.
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In diesem Urteil wurde die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Grund hierfür war seine Betäubungsmittelabhängigkeit, die dem Gericht zufolge auch in Zukunft erhebliche Betäubungsmittelstraftaten befürchten ließ. Insbesondere konsumierte der Kläger seit 2016 regelmäßig große Mengen von Alkohol und Marihuana. Seit 23. September 2021 befindet er sich daher im Krankenhaus für P* …, P* … und P* … M* … S* … W* … Vor der Verurteilung waren mehrere staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen den Kläger nach § 153a StGB eingestellt worden, unter anderem vier Verfahren wegen einfacher und gefährlicher Körperverletzung und ein Verfahren wegen Verstößen gegen das BtMG.
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Vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Januar 2019 und – nach Versuchen einer eigenen Unternehmensgründung – erneut ab dem 1. August 2019 war der Kläger als Hausmeister tätig. Ab dem 6. Juni 2023 war er in Vollzeit als Fahrzeugaufbereiter beschäftigt. Seit 1. August 2023 geht er einer Beschäftigung als Staplerfahrer bei einer Spedition nach. Seit 2019 ist der Kläger mit einer türkischen Staatsangehörigen liiert, die sich mit einer Niederlassungserlaubnis in Deutschland aufhält. Mit seiner Partnerin telefonierte er seit seiner Unterbringung in W* … fast täglich, mit einem in Deutschland wohnhaften Bruder wöchentlich. Die Aufenthaltsbedingungen des Klägers wurden im Verlauf der Therapie allmählich gelockert. Zunächst bekam er regelmäßigen Besuch seiner Partnerin und deren beider Töchter, später besuchte er seine Partnerin im Rahmen von Tagesbeurlaubungen. Am … … 2023 sind der Kläger und seine Partnerin Eltern eines in S… geborenen Kindes geworden. Der Kläger hat die Vaterschaft anerkannt. Am … … 2023 haben die Eltern Sorgeerklärungen nach § 1626a BGB abgegeben.
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Das Krankenhaus S… W… bewertet den Therapieverlauf positiv. Der Kläger sei disziplinarisch nicht aufgefallen und habe motiviert und engagiert an der angebotenen multiprofessionalen Therapie teilgenommen. Die Therapie umfasse psychotherapeutische Einzel- und Gruppengespräche, Pflegegespräche, ergotherapeutische Maßnahmen sowie kontinuierliche Alkohol- und Drogenkontrollen. Am 10. Juli 2023 wurde der Kläger im Krankenhaus S… W… einstimmig der Lockerungsstufe D zugeordnet, die Übernachtungsbeurlaubungen sowie Probewohnen vorsieht. Diese Lockerung muss noch strafvollstreckungsrechtlich genehmigt werden. Ziel ist es, nach erfolgreicher Erprobung den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Klägers nach S… zu seiner Partnerin und seinem Kind zu verlagern. Auch wenn das Krankenhaus vor einer weiteren Erprobung des Klägers unter den gelockerten Bedingungen des Probewohnens noch keine abschließende Prognose treffen kann, wird angesichts des bisherigen Therapieverlaufs ein geringes Rückfall- und Delinquenzrisiko prognostiziert.
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Dem Kläger wurde mit Schreiben des Beklagten vom 24. Januar 2022, zugestellt am 31. Januar 2022, Gelegenheit zur Äußerung bzgl. der beabsichtigten Ausweisung und dem Einreise- und Aufenthaltsverbot gegeben. Er wies auf eine wesentliche Veränderung seines Suchtverhaltens nach der strafrechtlichen Verurteilung hin, weshalb eine Wiederholungsgefahr nicht mehr bestehe. Außerdem plane er, seine Lebensgefährtin zu heiraten, für deren beide Kinder er bereits zur Vaterfigur geworden sei.
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2. Mit Bescheid der ZAB vom 27. Juli 2022, dem Kläger am 3. August 2022 übergeben, wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1). Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt seiner Ausreise bzw. Abschiebung verhängt (Ziffer 2).
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In den Gründen wurde ausgeführt, Rechtsgrundlage der Ausweisung sei § 53 Abs. 1 AufenthG. Der Aufenthalt des Klägers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung, was die zahlreichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren belegten. Zudem liege das schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, indem der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden sei. Auch § 54 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2 Nr. 1, 2, 9 AufenthG seien verwirklicht. Es bestehe Wiederholungsgefahr, denn der Kläger sei von verschiedenen Substanzen abhängig. Dem Ausweisungsinteresse stehe zwar der besondere Schutz des § 53 Abs. 3a AufenthG gegenüber, nachdem der Kläger den Flüchtlingsstatus aufweise. Durch das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln habe der Kläger jedoch eine schwere Straftat begangen. Die demnach vorzunehmende Abwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Nachdem das eigene Kind des Klägers zum Erlasszeitpunkt noch nicht geboren war, ging die Beklagte davon aus, dass Bleibeinteressen nach § 55 AufenthG fehlten, sodass angesichts der bloß allgemeinen Bleibeinteressen das Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses indiziert sei. Die Ausweisung stelle auch keinen unzulässigen Eingriff in die Rechte des Klägers aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK dar. Dieser habe im Bundesgebiet keine familiären Bindungen wie Kinder oder eigene Familie. Insbesondere lebe er nicht mit seiner Partnerin zusammen. Zudem sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen, dass eine Abschiebung nicht angedroht werde, eine Aufenthaltsbeendigung also nicht drohe. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot stütze sich auf § 11 AufenthG und sei infolge der Ausweisung zu verhängen. Die fünfjährige Frist sei in Anbetracht der Schwere der begangenen Straftaten verhältnismäßig. Auf die weitere Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
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Am 21. Juli 2023 ergänzte die Beklagte den Bescheid vom 27. Juli 2022 in Ziffer 2 um einen zweiten Satz, der lautet: „Die Inlandswirkung der Ausweisungsverfügung wird ebenfalls auf 5 Jahre befristet.“ Zur Begründung wurde angeführt, auf diese Weise sei es dem Kläger möglich, nach Ablauf von fünf Jahren einen Aufenthaltstitel zu erlangen, sollte er bis dahin nicht abgeschoben worden sein und sich nicht weiter strafbar gemacht haben. Eine solche Befristung sei auf Grundlage des Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG möglich. Ein anerkannter Flüchtling habe einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen einer Ausweisung.
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II. Gegen den Bescheid vom 27. Juli 2022 ließ der Kläger mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 26. August 2022, bei Gericht eingegangen als elektronisches Dokument am selben Tag, Klage erheben und zuletzt sinngemäß beantragen,
den Bescheid vom 27. Juli 2022 in der Fassung vom 21. Juli 2023 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung wurde insbesondere vorgetragen, die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3a AufenthG lägen nicht vor. Diese besondere Schutzbestimmung sei aufgrund des Flüchtlingsstatus des Klägers anwendbar. Der Maßstab der erforderlichen schwerwiegenden Ausweisungsgründe sei in Orientierung an § 60 Abs. 8 AufenthG zu bestimmen, dessen Voraussetzungen bereits vom BAMF im Rahmen des Widerrufsverfahrens abgelehnt worden seien. Denn die dort verankerte Mindeststrafe von drei Jahren beziehe sich nicht auf Gesamtfreiheitsstrafen, sondern auf die höchste verwirklichte Einzelstrafe. Außerdem liege eine Wiederholungsgefahr aufgrund des geänderten Suchtverhaltens des Klägers infolge seiner Therapie nicht mehr vor. Ebenso habe der Kläger keine besonders schwere Straftat i. S. d. Art. 21 Abs. 3 i.V. m. Abs. 2 RL 2011/95/EU begangen, was Voraussetzung für die Ausweisung eines Flüchtlings sei.
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Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2023 wurde außerdem zu tatsächlichen und rechtlichen Änderungen seit Klageerhebung vorgetragen, die der Entscheidung zugrunde zu legen seien: Zum einen müsse die Entscheidung entsprechend der Gesetzesänderung des § 53 Abs. 3a AufenthG zum 31. Dezember 2022 erfolgen. Demnach dürfe ein anerkannter Flüchtling nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden, die hier nicht vorlägen. Zum anderen begründeten die Geburt des Kindes des Klägers und das mit der Mutter gemeinsam ausgeübte Sorgerecht nunmehr ein schwerwiegendes Bleibeinteresse i. S. d. § 55 AufenthG.
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Der Beklagte beantragte,
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Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, der Kläger habe Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen. Es sei unerheblich, dass er hierfür teilweise nicht verurteilt worden sei. Zudem müsse beachtet werden, dass es sich um eine inlandsbezogene Ausweisung handele. Der Entzug des Aufenthaltstitels solle eine rechtliche Verfestigung des Aufenthalts im Bundesgebiet verhindern, führe aber für sich genommen nicht zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber dem anerkannten Flüchtling. Auf einen solchen Fall sei Art. 24 Abs. 1 RL 2011/95/EU anzuwenden, nicht Art. 21 Abs. 3 i.V. m. Abs. 2 RL 2011/95/EU. Dessen Umsetzung diene § 53 Abs. 3a Var. 3 AufenthG, nicht § 60 Abs. 8 AufenthG. Dass das BAMF bezogen auf § 60 Abs. 8 AufenthG auf die Einzelstrafe abstelle, binde die Beklagte nicht bei der Auslegung von § 53 Abs. 3a AufenthG. Von einer Wiederholungsgefahr sei außerdem weiterhin und so lange auszugehen, wie sich der Kläger nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt habe.
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Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2023 äußerte sich die Beklagte zu den Entwicklungen nach Klageerhebung. Demnach begründe die strafrechtliche Verurteilung des Klägers auch zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung i. S. d. geänderten § 53 Abs. 3a AufenthG. Eine formale Vaterschaftsanerkennung und Sorgerechtserklärung vor der Geburt des Kindes genügten außerdem nicht, um Bleibeinteressen zu begründen. Dafür sei eine gelebte Vater-Kind-Beziehung erforderlich, die nicht nachgewiesen worden sei. Eine solche Beziehung sei außerdem nicht gefährdet, solange eine Abschiebung nicht im Raum stehe. Bei der inlandsbezogenen Ausweisung gebe es keine Bleibeinteressen im engeren Sinne, sondern nur das Interesse an der Vermeidung der Folgewirkungen der Ausweisung. Möglicherweise handele es sich außerdem um eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft nach § 85a AufenthG.
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In der mündlichen Verhandlung am 25. September 2023 erschien der Kläger in Begleitung seiner Bevollmächtigten. Die Beklagtenseite war ebenfalls vertreten. Die Sach- und Rechtslage wurde mit den erschienenen Beteiligten erörtert. Der Kläger erklärte, er sei auch aktuell noch in W* … stationär untergebracht. Die Klägerbevollmächtigte übergab eine Abschrift des Beschlusses des Landgerichtes S* … vom … … 2023, aus dem sich eine Fortdauer der Unterbringung bis zum nächsten Prüfungstermin am 19. März 2024 ergibt. Das Landgericht wolle die Entwicklung im Rahmen einer Dauerbeurlaubung weiter beobachten, die aktuell an Auflagen der Ausländerbehörde scheitere. Bezüglich des weiteren Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
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Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
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1. Die Klage ist insgesamt zulässig. Die Anfechtungsklage auf Aufhebung des Bescheids vom 27. Juli 2022 ist insbesondere statthaft und wurde fristgerecht erhoben. Die Klägerbevollmächtigte hat auch die Änderung im Schriftsatz vom 21. Juli 2023, mit der die Inlandswirkung der Ausweisungsverfügung auf fünf Jahre befristet wurde, durch konkludente Klageänderung gemäß § 91 Abs. 1 VwGO im Rahmen der Antragstellung zum Streitgegenstand gemacht. Diese Änderung war aufgrund des untrennbar zusammenhängenden Prozessstoffs auch sachdienlich. Eine zusätzliche Klagefrist war diesbezüglich nicht zu wahren. Denn der Änderung im Schriftsatz vom 21. Juli 2023 fehlt es an einer Rechtsbehelfsbelehrung, sodass nur die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO in Betracht kommt, die nicht verstrichen ist.
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2. Die Klage ist begründet, soweit sie sich gegen Ziffer 2, Satz 1 des Bescheids in seiner geänderten Fassung vom 21. Juli 2023 richtet. Das dort verhängte, auf die Dauer von fünf Jahren befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Maßnahme stützt sich auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen, und zwar gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Falle der Ausweisung gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung.
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Das gegen den Kläger erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot kann sich allerdings nicht auf eine gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, ABl. L 348, 98) erforderliche Rückkehrentscheidung i. S. d. Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie stützen (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 53 ff.; EuGH, U.v. 3.6.2021 – BZ, C-546/19 – juris Rn. 53 ff.). Damit liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des unionsrechtskonform ausgelegten § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht vor.
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Der Bescheid des Beklagten bewegt sich im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie. Diese ist nach Art. 2 Abs. 1 auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige anzuwenden. Der Bundesgesetzgeber hat von der durch Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Rückführungsrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Bereichsausnahme zu regeln, keinen Gebrauch gemacht (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – BZ, C-546/19 – juris Rn. 42 ff., insb. Rn. 45, 48). Der illegale Aufenthalt wird in Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie sodann als die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats definiert, wenn diese nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex [= Art. 6 der aktuellen Fassung] oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen. Ein nach § 53 Abs. 3a AufenthG ausgewiesener anerkannter Flüchtling unterfällt dem derart definierten Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie, indem er entgegen Art. 6 Abs. 1 Buchst. e des Schengener Grenzkodex eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt und damit die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt. Der Schengener Grenzkodex sieht in diesem Zusammenhang eine niedrige Gefahrenschwelle vor, die bereits der Verdacht der Begehung einer Straftat überschreitet (EuGH, U.v. 12.12.2019 – E.P., C-380/18 – juris Rn. 46). Eine Ausweisung unter den hohen Anforderungen des § 53 Abs. 3a AufenthG unterfällt daher erst recht dem Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie, sodass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht ohne Rückkehrentscheidung ergehen kann.
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Die Rückkehrentscheidung ist im deutschen Recht nicht in der Ausweisung, sondern erst in der Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1
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AufenthG zu sehen (BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 22.17 – juris Rn. 35). Eine solche ist bei der hier vorliegenden rein inlandsbezogenen Ausweisung nicht ergangen, sodass es in richtlinienkonformer Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an einer Tatbestandsvoraussetzung für den Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots fehlt (vgl. OVG NW, U.v. 22.8.2023 – 18 A 1174/22 – juris Rn. 183 ff.; VGH BW, U.v. 2.1.2023 – 12 S 1841/22 – juris Rn. 155).
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Ziffer 2, Satz 1 des Bescheids erweist sich daher mangels Rechtsgrundlage als rechtswidrig und war aufzuheben.
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3. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Denn der Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 27. Juli 2022, in der Fassung vom 21. Juli 2023, ist abgesehen von Ziffer 2, Satz 1 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Zur Begründung wird zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bescheides verwiesen, denen sich das Gericht aufgrund der nachfolgenden Erwägungen anschließt:
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1. Die in Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheides verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
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Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise (sog. Ausweisungsinteressen) mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet (sog. Bleibeinteressen) ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei steht der Behörde weder hinsichtlich der Gefahrenprognose noch hinsichtlich der Abwägung ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu. Ob sie diese Tatbestandsvoraussetzungen zu Recht angenommen hat, muss das Gericht vielmehr anhand einer eigenständigen Gefahrenprognose sowie einer Abwägung der Ausweisungs- und der Bleibeinteressen im Einzelfall, bezogen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung, überprüfen (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8). Liegen danach die gesetzlichen Voraussetzungen vor, so ergibt sich die Ausweisung als gebundene Rechtsfolge.
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Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht. Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 13; U.v. 25.7.2017 – 1 C 12.16 – juris Rn. 15; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 20 ff.).
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a) Die Ausweisung ist zunächst nicht schon deshalb rechtswidrig, weil es sich um eine rein inlandsbezogene Ausweisung handelt.
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Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist die Abschiebung nach Syrien derzeit unzulässig. Es ist auch kein anderer Staat ersichtlich, der bereit oder verpflichtet wäre, den Kläger aufzunehmen. Dass der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet infolge der Ausweisung nicht beendet werden wird, ist aber auch in Anbetracht der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – BZ, C-546/19 – juris) weiterhin zulässig.
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Denn auch wenn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG aufgrund der neueren EuGH-Rechtsprechung nicht mehr ergeht, verliert die inlandsbezogene Ausweisung nicht jegliche Rechtswirkung (VG Würzburg, U.v. 11.7.2022 – W 7 K 21.1632; offen gelassen von BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 42). So hat die Ausweisung Präjudizwirkung für andere Entscheidungen der Ausländerbehörden wie beispielsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ferner könnte die Ausweisung für die Entscheidung relevant sein, ob dem geduldeten Ausländer die Ausübung einer Beschäftigung nach § 4a Abs. 5 Satz 2 und Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV erlaubt wird (vgl. Breidenbach in: Kluth/Hornung/Koch, Zuwanderungsrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 666). Weiterhin eröffnet sie die Möglichkeit von Überwachungsmaßnahmen nach § 56 AufenthG (VGH BW, U.v. 2.1.2023 – 12 S 1841/22 – juris Rn. 92). Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass die Ausweisung auch andere Ausländer im Sinne generalpräventiver Erwägungen von weiterer Straftatenbegehung abschrecken kann (BVerwG, B.v. 18.8.1995 – 1 B 55.95 – juris Rn. 9, U.v. 31.8.2004 – 1 C 25.03 – juris Rn. 15; vgl. auch BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 42).
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Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 3.6.2021 – BZ, C-546/19 – juris Rn. 56 f.), wonach die Rückführungsrichtlinie keinen Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen vorsehe, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht, steht der inlandsbezogenen Ausweisung im vorliegenden Fall nicht entgegen (VG München, U.v. 23.8.2022 – M 4 K 21.4317 – juris Rn. 49 ff.; VG Würzburg, U.v. 11.7.2022, W 7 K 21.1632; implizit BayVGH, B.v. 09.01.2023 – 19 ZB 21.429 – juris Rn. 46). Denn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs verhält sich explizit nur zur Frage der Aufrechterhaltung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Aufhebung der Rückkehrentscheidung. Ein generelles Verbot der inlandsbezogenen Ausweisung kann ihr nicht entnommen werden (vgl. zu den Unklarheiten nach dem EuGH-Urteil vom 3. Juni 2021 Katzer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.7.2023, § 53 AufenthG Rn. 49a; BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 42). Den begrenzten Anwendungsbereich des Urteils vom 3. Juni 2021 betont auch der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof de la Tour (vgl. Schlussantrag v. 16.2.2023 – C-663/21 – juris Rn. 126). Jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem die Ausweisung von vornherein rein inlandsbezogen ist, steht das Urteil vom 3. Juni 2021 einer inlandsbezogenen Ausweisung daher nicht entgegen.
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b) Der Beklagte hat zu Recht angenommen, dass von dem persönlichen Verhalten des Klägers eine konkrete Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Begehung weiterer Straftaten und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG ausgeht, die zugleich die erhöhte Schutzschwelle des § 53 Abs. 3a AufenthG überschreitet.
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aa) Der Maßstab der Gefahrenprognose ist dabei § 53 Abs. 3a AufenthG in der seit 31. Dezember 2022 geltenden Fassung zu entnehmen. Der Kläger genießt dessen erhöhten Ausweisungsschutz. Denn er ist als Flüchtling anerkannt. Das BAMF hat am 18. Januar 2022 mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme des Flüchtlingsstatus nicht vorliegen.
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Die Ausweisung des Klägers darf nach § 53 Abs. 3a AufenthG daher nur erfolgen, wenn zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dies gebieten. Diese Neufassung des Abs. 3a ist der Entscheidung zugrunde zu legen. Insofern ist auch die zwischen den Parteien umstrittene Frage nach dem richtigen Bezugspunkt einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 53 Abs. 3a AufenthG a.F. dahingehend beantwortet, dass der neue Abs. 3a klar mit Art. 24 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011, ABl. L 337 S. 9, korrespondiert (vgl. BT-Drs. 20/3717 S. 42).
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Für die Konkretisierung des Begriffs der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung kann auf die Auslegung der Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. Art. 27 und 28 RL 2004/38/EG zurückgegriffen werden (EuGH, U.v. 24.6.2015 – T, C-373/13 – juris Rn. 77).
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Der Begriff der Sicherheit des Mitgliedstaats erfasst sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit (BVerwG, U.v. 30.3.1999 – 9 C 31.98 – BVerwGE 109, 1 (6)). Sie kann daher berührt werden durch die Beeinträchtigung des Bestands und der Funktions- und Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen und wichtigen öffentlichen Dienste, durch die Gefährdung des Überlebens (von Teilen) der Bevölkerung, durch die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder durch eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland (EuGH, U.v. 24.6.2015 – T, C-373/13 – juris Rn. 78; U.v. 23.11.2010 – Tsakouridis, C-145/09 – juris Rn. 43 f. m.w.N.; VG Würzburg, U.v. 26.07.2021 – W 7 K 20.612 – juris Rn. 47 ff.). Auch die Begehung von Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV bezeichneten Delikte können als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen sein, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar bedrohen und damit dem Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit unterfallen, sofern die Art und Weise der Begehung dieser Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (EuGH, U.v. 22.5.2012 – I., C-348/09 – juris Rn. 28).
42
Die „öffentliche Ordnung“ i.S.d. Art. 24 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2011/95/EU ist im Falle einer sozialen Störung, mithin durch einen Gesetzesverstoß tangiert, der eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr bewirkt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Hierunter sind Fälle mittlerer und schwerer Kriminalität zu subsumieren (BT-Drs. 20/3717, S. 42).
43
Die zwingenden Gründe erfordern dann, dass die Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung einen besonders hohen Schweregrad aufweist (EuGH, U.v. 24.6.2015 – T, C-373/13 – juris Rn. 78; BVerwG, U.v. 30.3.1999 – 9 C 31.98 – BVerwGE 109, 1 (6 f.)).
44
bb) Dies vorangestellt, wird die Ausweisung des Klägers den gesteigerten rechtlichen Anforderungen gerecht. Nach dem persönlichen Verhalten des Klägers ist zum für die Überprüfung der Ausweisungsverfügung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BayVGH, B.v. 12.6.2023 – 19 CS 23.708 – juris Rn. 11) weiter vom Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung auszugehen.
45
Maßgebend für diesen Schluss ist die Verurteilung des Klägers zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, durch das Landgericht S* … am … … 2021. Damit hat der Kläger ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. § 54 AufenthG ist dabei auch bei der Prüfung von Fällen mit erhöhtem Schutzstatus gemäß Abs. 3a heranzuziehen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 19 ff. u.a.).
46
Der maßgebliche Bezugspunkt bei der Bestimmung des von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten Strafmaßes von mindestens zwei Jahren ist dabei die Gesamtstrafe, die sich hier auf vier Jahre beläuft (Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2023, § 54 AufenthG Rn. 16). Anders als die Klägerbevollmächtigte vorbringt, kommt es nicht wie bei § 60 Abs. 8 AufenthG auf die höchste Einzelstrafe an. Nur hilfsweise sei außerdem festgehalten, dass sich hier auch die höchste Einzelstrafe mit zwei Jahren und vier Monaten jenseits der Zwei-Jahres-Schwelle bewegt. Das derart typisierte Ausweisungsinteresse wird durch die weiteren Tatbestände des § 54 AufenthG, die die angesprochene strafrechtliche Verurteilung ebenfalls verwirklicht, nicht weiter verstärkt (Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 53 AufenthG Rn. 20).
47
cc) Die der Verurteilung zugrunde liegende Tat lässt die Ausweisung auch aus zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung gemäß § 53 Abs. 3a AufenthG geboten erscheinen.
48
Der illegale Drogenhandel zählt zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität, wie sie in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV aufgelistet werden. Wenn die Art und Weise der Begehung einer solchen Straftat besonders schwerwiegende Merkmale aufweist, kann sie sogar als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit eingestuft werden (EuGH, U.v. 22.5.2012 – I., C-348/09 – juris Rn. 28). Der Handel mit mindestens drei Kilogramm Marihuana – verteilt auf sechs Einzeltaten – zeugt davon, dass der Kläger so nachhaltig und in derart großem Umfang im Bereich der Drogenkriminalität aktiv war, dass sein Handeln als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit eingeordnet werden kann.
49
Jedenfalls handelt es sich bei der Tat um einen Fall der mittleren oder schweren Kriminalität, der unter den Begriff der öffentlichen Ordnung gemäß § 53 Abs. 3a AufenthG subsumiert werden kann. Damit ist auch in Anbetracht des besonderen Schutzstatus ein Schweregrad erreicht, der die Ausweisung prinzipiell gestattet. Der besonders hohe Schweregrad der zwingenden Gründe wird durch die große Menge gehandelten Marihuanas erreicht.
50
dd) Die für die Ausweisung des Klägers aus spezialpräventiven Gründen erforderliche Wiederholungsgefahr dauert fort.
51
Die Ausweisung dient der Vorbeuge gegen Gefahren, die nach Würdigung seines bisherigen Verhaltens und seiner Gesamtpersönlichkeit von ihm selbst in Zukunft für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Die Feststellung, dass gerade das Verhalten des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, bedarf einer personenbezogenen Prognose zur Wiederholungsgefahr. Die Gefährdung bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen (BVerwG, U.v. 22.02.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 23). Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, B.v. 17.4.2023 – 19 CS 23.123 – juris Rn. 11 m.w.N.).
52
Was die Prognose der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Hinblick auf Drogenstraftaten angeht, ist zudem festzuhalten, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (st. Rspr. BayVGH, B.v. 27.10.2022 – 19 ZB 22.1969 – juris Rn. 12 m.w.N.). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach klargestellt, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldelikts in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten entschlossen durchgreifen (U.v. 30.11.1999 – Nr. 3437-97 „Baghli“ NVwZ 2000, 1401, 1402; U.v. 17.4.2013 – Nr. 52853/99 „Yilmaz“ – NJW 2004, 2147, 2148 m.w.N.). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, die in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, die ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 8).
53
Angesichts des großen potentiellen Schadens ist von einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr auszugehen. Diese Gefahr ist zur Überzeugung des Gerichts auch nicht durch nach Erlass des Strafurteils eingetretene Umstände nachträglich gemindert worden. Beim Kläger fehlt es an einer nachhaltigen Bewährung außerhalb des Strafvollzugs (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12). Bei Straftaten, die ihre Ursache in einer Suchterkrankung haben, kann von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange eine entsprechende Therapie nicht (vollständig) erfolgreich abgeschlossen ist und sich der Betreffende nach Therapieende hinreichend in Freiheit bewährt hat. Eine angetretene Therapie im Rahmen des Maßregelvollzugs findet unter dessen schützenden Bedingungen und Kontrollen statt, sodass ein Wohlverhalten dort wenig Aussagekraft für ein künftiges Verhalten in Freiheit hat (BayVGH, B.v. 27.10.2022 – 19 ZB 22.1969 – juris Rn. 13).
54
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend ist, von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr zu schließen. Vielmehr ist der konkrete, der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt ebenso zu berücksichtigen wie das Nachtatverhalten und der Verlauf von Haft und Therapie (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19).
55
Der Kläger befindet sich seit 2021 im Rahmen des Maßregelvollzugs in Therapie. Grund für die Anordnung war seine Betäubungsmittelabhängigkeit. Insbesondere konsumierte der Kläger seit 2016 regelmäßig große Mengen von Alkohol und Marihuana. Der Therapieverlauf wird vom Krankenhaus S… W… durchgehend positiv bewertet. Die Therapie ist allerdings weiterhin nicht abgeschlossen, der Kläger konnte sich auch noch nicht unter den gelockerten Bedingungen der Dauerbeurlaubung bewähren. Grund für den fehlenden Abschluss der Therapie ist es, dass das Landgericht S…, wie sich aus dem Beschluss vom … … 2023 ergibt, die Entwicklung im Rahmen einer Dauerbeurlaubung beobachten möchte, bevor es abschließend über die Fortdauer der Unterbringung befindet. Die Dauerbeurlaubung scheitert derzeit an einer fehlenden Zustimmung der Ausländerbehörde. Die anzustellende Wahrscheinlichkeitsprognose muss sich dennoch auf die aktuelle faktische Lage stützen – unabhängig davon, wie diese verursacht wurde. Der Kläger befindet sich derzeit weiterhin in Therapie. Auch wenn er dort keine Suchtmittel mehr konsumierte, ist vollkommen offen, wie sich seine Betäubungsmittelabhängigkeit in Freiheit entwickeln wird.
56
Die Wiederholungsgefahr ist auch nicht durch die Geburt der Tochter des Klägers am … … 2023 ausgeschlossen. Zwar ist die Geburt eines Kindes prinzipiell geeignet, eine Zäsurwirkung zu entfalten, durch die die Gefahr wiederholter Straftaten gebannt wird (BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 23). Dagegen spricht hier aber, dass das Kind während des Maßregelvollzugs geboren ist, der Umgang des Klägers mit seiner Tochter also von den besonderen Bedingungen der Unterbringung geprägt ist. Wie sich das Kind außerhalb des Maßregelvollzugs auf die Lebensführung des Klägers auswirken wird, ist derzeit offen. Eine Zäsurwirkung kann die Geburt vor diesem Hintergrund nicht entfalten.
57
Auch daraus, dass sich die Delikte ausschließlich auf Marihuana und damit auf eine „weiche Droge“ beziehen, ergibt sich nichts anderes. Zwar ist die „Härte“ der betroffenen Droge ein Kriterium, mit dem sich die Prognose der Wiederholungsgefahr regelmäßig befassen muss (BayVGH, B.v. 9.5.2023 – 19 ZB 22.852 – juris Rn. 23; B.v. 23.2.2023 – 19 ZB 21.1371 – juris Rn. 25). Entscheidend an dieser Stelle ist allerdings die enorm große Menge von Marihuana, auf die sich die Verurteilung bezieht. Die Grenze zur nicht geringen Menge von 7,5 Gramm THC nach dem BtMG hat der Kläger bei Begehung der abgeurteilten Taten unter Zugrundelegung des vom Landgericht S* … angenommenen Wirkstoffgehalts von mindestens 7% Tetrahydrocannabinol um circa das 28-fache überschritten. Angesichts dieses Umfangs ist trotz des ausschließlichen Bezugs auf Marihuana von einer schwerwiegenden Straftat auszugehen, die das Gericht zur Annahme einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr leitet.
58
In Anbetracht der Schwere des verwirklichten Drogendelikts, der früheren Suchterkrankung des Klägers und der nicht abgeschlossenen Therapie ist daher von einer fortbestehenden Wiederholungsgefahr auszugehen.
59
c) Dem festgestellten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse bei fortbestehender Wiederholungsgefahr stehen keine Bleibeinteressen im engeren Sinne gegenüber. Bei der inlandsbezogenen Ausweisung gibt es Bleibeinteressen im engeren Wortsinn für die Abwägung nicht, sondern nur das Interesse, die bereits oben geschilderten Folgewirkungen der Ausweisung zu vermeiden (Dörig in Dörig/Hoppe, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 46; vgl. auch VGH BW, U.v. 15.4.2021 – 12 S 2505/20 – juris Rn. 130; BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – juris Rn. 28). Demnach haben die Bleibeinteressen in der vorliegenden Konstellation eine geringere Bedeutung, die sich auf die Möglichkeit eines legalen, auf einen Aufenthaltstitel gestützten Aufenthalts beschränkt (OVG RhPf, U.v. 5.4.2018 – 7 A 11529/17 – juris Rn. 64). Auch bzgl. des Rechts auf Privatleben (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie des Anspruchs auf Achtung der familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass eine Aufenthaltsbeendigung, die diese Rechte tangieren könnte, mit der inlandsbezogenen Ausweisung nicht bezweckt wird.
60
Dennoch ist im Rahmen der Abwägungsentscheidung einzustellen, dass am … … 2023 die Tochter des Klägers geboren ist, mit der dieser regelmäßigen Umgang pflegt. Dies ist auch aus dem Maßregelvollzug hinaus möglich, auf ein familiäres Zusammenleben kommt es insofern nicht an (Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 55 AufenthG Rn. 13). Damit ist der Tatbestand des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG verwirklicht. Denn nach § 4 Abs. 3 StAG hat das Kind, dessen Mutter sich seit langem mit einer Niederlassungserlaubnis in Deutschland aufhält, die deutsche Staatsangehörigkeit. Weiterhin zugunsten des Klägers sprechen sein bereits seit dem 27. November 2015 andauernder Aufenthalt in Deutschland, die seit 2019 andauernde Beziehung zu seiner Partnerin, mit deren beide Kinder aus einer früheren Beziehung er regelmäßigen Umgang pflegt und die jahrelange Berufstätigkeit in Deutschland, derzeit seit 1. August 2023 als Staplerfahrer. Auch der Kontakt mit seinem Bruder, der ebenfalls im Bundesgebiet lebt, ist in die Abwägung einzustellen, wenn auch im geringerem Gewicht, nachdem dieser Kontakt in erster Linie telefonisch stattfindet.
61
d) Bei der gem. § 53 Abs. 1 AufenthG gebotenen Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem entgegenstehenden Bleibeinteresse des Klägers überwiegt das Ausweisungsinteresse auch unter Berücksichtigung sämtlicher den Einzelfall prägenden Umstände deutlich. Bei der Abwägungsentscheidung ist der reine Inlandsbezug der Ausweisung zu berücksichtigen. Es geht mithin nicht um eine Trennung von der Familie, sondern um das (Bleibe-)Interesse des Familienvaters an einem gesicherten Aufenthaltsstatus.
62
Die Ausweisung ist, wie oben ausführlich geschildert, trotz ihres reinen Inlandsbezugs zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und angemessen und somit verhältnismäßig.
63
Wegen der bestehenden beachtlichen Gefahr weiterer Straftaten und dem damit verbundenen konkreten öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung können insbesondere die familiären Bindungen des Klägers und der sehr positive Therapieverlauf zu keiner anderen Entscheidung führen, sodass die Abwägung zulasten des Klägers ausfallen muss. Die familiären Bindungen werden durch die inlandsbezogene Ausweisung auch nicht gelöst.
64
Die zur Überzeugung des Gerichts entscheidenden Aspekte, die zu einer Klageabweisung bzgl. der Ausweisungsverfügung führen, sind der Umfang des abgeurteilten BtMG-Verstoßes und die nicht abschließend austherapierte Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers.
65
Nach diesen Grundsätzen ist auch kein milderes Mittel ersichtlich, das im Vergleich zur Ausweisung gleich effektiv wäre. Insbesondere gilt dies für eine ausländerrechtliche Verwarnung oder eine Bewährungsduldung. Im Hinblick auf die vom Kläger ausgehende erhebliche Wiederholungsgefahr würden diese nicht im gleichen Maß die Gewähr dafür bieten, dass der Kläger keine Straftaten im Inland mehr begeht. Weder der Vortrag des Klägers noch die sonstigen Umstände des Falls bieten einen Anhalt dafür, dass eine bloße Verwarnung oder Bewährungsduldung ausreichend wäre, um beim Kläger einen gefestigten Einstellungswandel und eine dauerhafte Verhaltensänderung zu bewirken.
66
Insgesamt ist deshalb von einem deutlichen Überwiegen der Ausweisungsinteressen auszugehen. Die Ausweisung erscheint auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verhältnismäßig.
67
2. Die mit Schriftsatz vom 21. Juli 2023 angeordnete Befristung der Inlandswirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
68
Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 36 Rn. 111). Der Kläger ist anerkannter Flüchtling, sodass nach § 60 Abs. 1 AufenthG ein Abschiebungsverbot besteht. Bliebe das Abschiebungsverbot des Klägers auf Dauer bestehen, so wäre eine unbefristete Inlandswirkung der Ausweisung nicht mit dem Grundsatz vereinbar, dass der betroffene Ausländer einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen einer Ausweisung hat (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 52).
69
Zwar hat der Beklagte nicht ausdrücklich geregelt, wann die Befristung der Inlandswirkung zu laufen beginnt. Unter Berücksichtigung der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt lassen, ergibt sich nach Auffassung des Gerichts, dass für den Fristbeginn der Inlandswirkung der Ausweisung auf die Bekanntgabe des Ausweisungsbescheids abzustellen ist (VG Würzburg, U.v. 11.7.2022 – W 7 K 21.1632). Denn ab diesem Moment wirkt die Ausweisung unabhängig von eingelegten Rechtsmitteln (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG).
70
Was die Dauer der Befristung der Inlandswirkung betrifft, so ist diese im Vergleich mit einer hypothetischen Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht zu beanstanden. Die Länge dieser Frist ist in das Ermessen der Behörde gestellt (§ 11 Abs. 2 Satz 5, Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Ermessensfehler sind hinsichtlich der Bemessung der Frist insoweit nicht ersichtlich. Die Frist von fünf Jahren liegt in der Mitte des hier anwendbaren, von § 11 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 AufenthG vorgegebenen Rahmens von maximal zehn Jahren. Der Beklagte hat in seiner Ermessensentscheidung die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Belange des Klägers ordnungsgemäß abgewogen, insbesondere die Geburt der Tochter des Klägers nachträglich in seine Überlegungen einbezogen. Auch in Anbetracht dessen, dass bei der Befristung der Inlandswirkung der Ausweisung den Bleibeinteressen des Klägers ein geringeres Gewicht beigemessen werden muss als bei der Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, erscheint die Fristlänge verhältnismäßig.
71
3. Aus diesen Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO im geschilderten Umfang abzuweisen. Das aufgehobene Einreise- und Aufenthaltsverbot hat sich gegenüber der nicht beanstandeten Ausweisung nicht streitwerterhöhend ausgewirkt und daher keine zusätzlichen Kosten verursacht. Das Unterliegen des Beklagten ist daher als ein solches zu einem nur geringen Teil einzuordnen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.