Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 18.10.2023 – Vf. 18-VIII-19 , Vf. 19-VII-19
Titel:

Rechtsmißbrauch, verfassungsrechtliche Zulässigkeit, Artenschutzrechtliche Regelungen, Verfassungsrechtliche Anforderungen, Dynamische Verweisung, bundesgesetzliche Regelung, Koppelungsverbot, Naturschutzrecht, Immissionsschutzrecht, Unbestimmter Rechtsbegriff, Gentechnikrecht, Gewinnerzielungsabsicht, Abweichungsgesetzgebung, Organstreitverfahren, Ausnahmen vom Verbot, Gesetzgebungsbefugnis, Gesetzgebungstechnik, Geschützte Landschaftsbestandteile, Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz, Bestimmtheitsgrundsatz

Leitsätze:
1. Eine Meinungsverschiedenheit nach Art. 75 Abs. 3 BV, Art. 49 Abs. 1 VfGHG darüber, ob durch ein Gesetz die Verfassung verletzt wird, muss bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens hinsichtlich der beanstandeten gesetzlichen Vorschrift(en) und der als verletzt erachteten Verfassungsnorm(en) erkennbar geworden sein. Dafür genügen weder eine ablehnende Abstimmung im Bayerischen Landtag für sich allein noch die bloße Bezeichnung eines Grundrechts oder eine Bezugnahme auf die Grundrechte ohne konkrete Zuordnung zur angegriffenen Regelung.
2. Der Erlass der beanstandeten Gesetze hat nicht gegen Art. 74 Abs. 3 bis 5 BV verstoßen. Der Parlamentsgesetzgeber hat mit dem „Rettet die Bienen!“-Gesetz den Volksbegehrensentwurf unverändert übernommen, sodass die Pflicht zur Durchführung eines Volksentscheids entfallen ist. Dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes auch die ergänzenden Regelungen im Versöhnungsgesetz in Kraft getreten sind, hält sich noch im Rahmen der Abänderungs- und Aufhebungsbefugnis des Landtags bei einer durch Volksbegehren initiierten Gesetzgebung.
a) Volks- und Parlamentsgesetzgebung stehen nach der Bayerischen Verfassung gleichwertig nebeneinander. Ein vom Volk beschlossenes Gesetz kann in verfassungsrechtlich zulässiger Weise durch ein Parlamentsgesetz wieder geändert oder aufgehoben werden. Eine Sperrwirkung des Volksbegehrens ist in 3.der Verfassung nicht geregelt und kann aufgrund dieses Gleichrangs auch nicht im Wege der Auslegung angenommen werden.
b) Mit den Ergänzungen, die das auf dem Volksbegehrensentwurf beruhende Bayerische Naturschutzgesetz i. d. F. des „Rettet die Bienen!“-Gesetzes durch das Versöhnungsgesetz erfahren hat, ist der Parlamentsgesetzgeber nicht leichtfertig über den Willen der Unterzeichner des Volksbegehrens hinweggegangen. Ratio der Volksgesetzgebung ist die materielle Gesetzesänderung, nicht das Formulierungsdetail oder die Schaffung einer bestimmten Gesetzessystematik. Vor diesem Hintergrund ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber mit dem Versöhnungsgesetz teilweise über das Anliegen des Volksbegehrens hinausgegangen ist sowie teilweise Ergänzungen vorgenommen hat, die lediglich der Präzisierung dienen oder die Bestimmtheit und Vollziehbarkeit der Regelungen erhöhen.
3. Die von den Antragstellern der Popularklage zulässig und mit substanziierten Grundrechtsrügen angegriffenen Vorschriften der Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 und 7, Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG und Art. 9 Abs. 2 BayImSchG (bis 31.12.2019 Art. 15 Abs. 2 BayImSchG a. F.) sind mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Die Bestimmungen sind verfassungsgemäß zustande gekommen, wahren die bundesstaatliche Kompetenzordnung und verstoßen insoweit nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV; inhaltlich verletzen sie weder den Bestimmtheitsgrundsatz noch Grundrechte der Bayerischen Verfassung (Art. 101, 103 und 118 BV).
Schlagworte:
verfassungsänderndes Gesetz, Volksentscheid
Fundstellen:
BayVBl 2024, 154
BeckRS 2023, 28484
LSK 2023, 28484

Tenor

Die Anträge werden abgewiesen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen verfassungsgerichtlichen Verfahren, Meinungsverschiedenheit und Popularklage, betreffen die Frage, ob das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern („Rettet die Bienen!“) vom 24. Juli 2019 (GVBl S. 405, BayRS 791-1-U) und/oder das Zweite Gesetz zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern (Gesamtgesellschaftliches Artenschutzgesetz – Versöhnungsgesetz) vom 24. Juli 2019 (GVBl S. 408) sowie Art. 57 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 des Bayerischen Naturschutzgesetzes (BayNatSchG) vom 23. Februar 2011 (GVBl S. 82, BayRS 791-1-U), das zuletzt durch das Gesetz vom 23. Dezember 2022 (GVBl S. 723) geändert worden ist, gegen die Bayerische Verfassung verstoßen.
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1. Am 5. Oktober 2018 wurde beim Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration ein Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern – Rettet die Bienen!“ eingereicht. Das Volksbegehren wurde am 13. November 2018 bekannt gemacht und im Bayerischen Staatsanzeiger vom 16. November 2018 veröffentlicht. Der Landeswahlausschuss stellte am 14. März 2019 fest, dass zur Unterstützung des Volksbegehrens 1.741.017 gültige Eintragungen ermittelt worden seien. Dies entspreche 18,3% der Stimmberechtigten. Die zur Rechtsgültigkeit des Volksbegehrens erforderliche Anzahl von 949.333 Unterschriften sei um 791.684 Eintragungen überschritten.
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Der Bayerische Ministerpräsident leitete den Gesetzentwurf zum „Rettet die Bienen!“-Gesetz dem Landtag am 18. April 2019 mit einer Stellungnahme der Staatsregierung zur weiteren Behandlung gemäß Art. 73 LWG zu (LT-Drs. 18/1736). In der Stellungnahme der Staatsregierung zum Volksbegehren umschrieb diese ihre Position mit dem Dreischritt „Annehmen – Verbessern – Versöhnen“. Dazu legte die Staatsregierung in der Anlage ein Konzept vor, das nach ihrem Bekunden einen gesamtgesellschaftlichen Impuls aufgreife. Die dort genannten Umsetzungsvorschläge könnten im parlamentarischen Verfahren um weitere Maßnahmen insbesondere aus einem „Runden Tisch“ ergänzt werden. An diesem nahmen unter der Moderation des früheren Landtagspräsidenten unter anderem die Initiatoren des Volksbegehrens, Vertreter der Landwirtschaft und solche der parlamentarischen Opposition teil.
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2. Der Gesetzentwurf zum Versöhnungsgesetz wurde von Abgeordneten der Fraktionen von CSU und FREIEN WÄHLERN am 2. Mai 2019 eingebracht (LT-Drs. 18/1816).
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3. Beide Gesetzentwürfe wurden in erster Lesung am 8. Mai 2019 im Landtag behandelt (Plenarprotokoll 18/16 S. 1381 bis 1409).
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Mit Schreiben vom 19. Juni 2019 vertrat der Parlamentarische Geschäftsführer der antragstellenden Fraktion im Verfahren Vf. 18-VIII-19 gegenüber der Landtagspräsidentin die Auffassung, dass die beabsichtigte nochmalige Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes durch das Versöhnungsgesetz der Annahme Raum lasse, dass dem Volksbegehren doch nicht vollständig und unverändert zugestimmt werde. Dieses weitergehende Änderungsgesetz impliziere eine Ablehnung des Gesetzentwurfs des Volksbegehrens. Rechtliche Folge sei gemäß Art. 74 Abs. 4 BV, dass der Landtag dem Volk einen eigenen Gesetzentwurf zur Entscheidung vorlegen müsste. Die Einbeziehung weiterer Regelungen stelle eine Alternative zum ursprünglichen Gesetzentwurf des Volksbegehrens dar. Die drei Optionen, die der Landtag bei einem formal erfolgreichen Volksbegehren habe, seien im Kommentar von Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 74 Rn. 14 dargestellt. Eine vierte Option, die hier praktiziert werden solle, sei danach ausgeschlossen. Die verwendeten Schlagworte „verbessern“ und „versöhnen“ deuteten darauf hin, dass unter Einbeziehung weiterer Akteure wie des ehemaligen Landtagspräsidenten „Vergleichsverhandlungen“ im Rahmen eines „Runden Tisches“ durchgeführt worden seien, die unzulässig seien. Die Vorgehensweise könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass ein durch Volksbegehren angestoßenes oder gar durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz durch ein nachfolgendes Parlamentsgesetz geändert werden könne. Zwar gebe es keine förmliche Sperrwirkung, es gelte jedoch der Grundsatz der Organtreue und das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme.
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Die Landtagspräsidentin verwies den Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragstellerin mit Schreiben vom 1. Juli 2019 an den Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration. Dort wurde die Angelegenheit am 11. Juli 2019 behandelt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Antragstellerin im Verfahren Vf. 18-VIII-19 vertrat dort den oben geschilderten Standpunkt.
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In der zweiten Lesung der Gesetze am 17. Juli 2019 (Plenarprotokoll 18/25 S. 2914 bis 2948) wiederholte die Antragstellerin ihre verfassungsrechtlichen Einwände. Die Gesetze wurden in namentlicher Abstimmung gegen die Stimmen der Abgeordneten der antragstellenden Fraktion verabschiedet (vgl. Plenarprotokoll a. a. O., Anlage 1 S. 3058 zum “Rettet die Bienen!“-Gesetz, Anlage 2 S. 3061 zum Versöhnungsgesetz und Anlage 3 S. 3064 zu TOP 11).
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4. Im Einzelnen haben die angegriffenen Regelungen des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern („Rettet die Bienen!“) folgenden Wortlaut:
§ 1
Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes
Das Bayerisches Naturschutzgesetz (BayNatSchG) vom 23. Februar 2011 (GVBl. S. 82, BayRS 791-1-U), das zuletzt durch § 2 des Gesetzes vom 24. Juli 2018 (GVBl. S. 604) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Nach Art. 1 werden folgende Art. 1 a und 1 b eingefügt:
„Art. 1 a Artenvielfalt
1Über § 1 Abs. 2 BNatSchG hinaus verpflichtet sich der Freistaat Bayern, zur dauerhaften Sicherung und Entwicklung der Artenvielfalt in Flora und Fauna darauf hinzuwirken, deren Lebensräume zu erhalten und zu verbessern, um einen weiteren Verlust von Biodiversität zu verhindern. 2Ziel ist, die landwirtschaftlich genutzten Flächen des Landes nach und nach, bis 2025 mindestens 20% und bis 2030 mindestens 30%, gemäß den Grundsätzen des ökologischen Landbaus gemäß der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 und des Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus (Öko-Landbaugesetz – ÖLG) in der jeweils geltenden Fassung zu bewirtschaften. 3Staatliche Flächen sind bereits ab 2020 gemäß diesen Vorgaben zu bewirtschaften.
Art. 1 b Naturschutz als Aufgabe für Erziehung (zu § 2 Abs. 6 BNatSchG)
1Die Ziele und Aufgaben des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden bei der pädagogischen Aus- und Fortbildung, in den Lehr- und Bildungsplänen und bei den Lehr- und Lernmitteln berücksichtigt. 2Insbesondere sind die Folgen des Stickstoffeintrages, die Auswirkungen von Schlaggrößen, die Bedeutung der Fruchtfolge-Entscheidungen und die Auswirkungen des Pestizideinsatzes und weiterer produktionsintegrierter Maßnahmen auf den Artenreichtum und das Bodenleben darzustellen.“
2. Art. 3 wird wie folgt geändert:
a) Abs. 2 Satz 2 wird wie folgt gefasst:
2Die Forstwirtschaft hat die Vorschriften des Waldgesetzes für Bayern und die sonstigen für sie geltenden Regelungen zu beachten, wobei im Staatswald das vorrangige Ziel zu verfolgen ist, die biologische Vielfalt des Waldes zu erhalten oder zu erreichen.“
b) Folgende Abs. 4 und 5 werden angefügt:
„(4) 1Bei der landwirtschaftlichen Nutzung ist es verboten
1. Dauergrünland und Dauergrünlandbrachen umzuwandeln,
2.
den Grundwasserstand in Nass- und Feuchtgrünland sowie -brachen abzusenken, davon unberührt bleiben bestehende Absenkungs- und Drainagemaßnahmen,
3.
Feldgehölze, Hecken, Säume, Baumreihen, Lesesteinhaufen, Natursteinmauern, natürliche Totholzansammlungen, Feldraine und Kleingewässer als naturbetonte Strukturelemente der Feldflur zu beeinträchtigen; eine solche Beeinträchtigung ist jede Schädigung oder Minderung der Substanz dieser Elemente, insbesondere das Unterpflügen oder Verfüllen; unberührt von diesem Verbot bleiben gewerbliche Anpflanzungen im Rahmen des Gartenbaus,
4.
Dauergrünlandpflegemaßnahmen durch umbrechende Verfahren wie Pflügen oder umbruchlose Verfahren wie Drill-, Schlitz- oder Übersaat auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, die als gesetzliche Biotope nach § 30 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG sowie nach Art. 23 Abs. 1 eingestuft sind, durchzuführen,
5.
bei der Mahd auf Grünlandflächen ab 1 Hektar von außen nach innen zu mähen, davon unberührt bleibt stark hängiges Gelände,
6.
ab dem Jahr 2020 auf 10% der Grünlandflächen der Landesfläche Bayerns die erste Mahd vor dem 15. Juni durchzuführen,
7.
ab dem Jahr 2020 Grünlandflächen nach dem 15. März zu walzen und
8.
ab dem 1. Januar 2022 auf Dauergrünlandflächen flächenhaft Pflanzenschutzmittel einzusetzen.
2Dauergrünland im Sinne dieses Gesetzes sind alle auf natürliche Weise entstandenen Grünlandflächen sowie angelegte und dauerhaft als Wiese, Mähweide oder Weide genutzte Grünlandflächen und deren Brachen. 3Nicht auf Dauer angelegte Ackerfutterflächen sind kein Dauergrünland im Sinne dieses Gesetzes.
(5) 1Von dem Verbot des Abs. 4 Nr. 1 sind auf Antrag Ausnahmen zuzulassen, wenn die Beeinträchtigungen ausgeglichen werden. 2Von den Verboten des Abs. 4 Nrn. 2 bis 4 können auf Antrag Ausnahmen zugelassen werden, wenn die Beeinträchtigungen ausgeglichen oder ersetzt werden. 3Für die punktuelle Beseitigung giftiger, invasiver oder bei vermehrtem Auftreten für die Grünlandnutzung problematischen Pflanzenarten können von dem Verbot des Abs. 4 Nr. 8 auf Antrag Ausnahmen zugelassen werden.“
3. Nach Art. 3 wird folgender Art. 3 a eingefügt:
„Art. 3 a Bericht zur Lage der Natur (zu § 6 BNatSchG)
1Die oberste Naturschutzbehörde ist verpflichtet, dem Landtag und der Öffentlichkeit in jeder Legislaturperiode auf der Basis ausgewählter Indikatoren über den Status und die Entwicklung der biologischen Vielfalt in Bayern zu berichten (Bericht zur Lage der Natur). 2Einmal jährlich ist dem Landtag und der Öffentlichkeit ein Statusbericht zu den ökologisch genutzten Landwirtschaftsflächen im Sinne des Art. 1 a vorzulegen.“
4. Art. 7 wird wie folgt geändert:
a) Die Überschrift wird wie folgt gefasst:
„Art. 7
Ausgleichsmaßnahmen, Ersatzzahlungen“
b) Dem Wortlaut wird folgender Satz 1 vorangestellt:
1Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des § 15 BNatSchG sollen im Sinne der Artenvielfalt festgelegt werden, wobei insbesondere auch auf die Förderung alter Kultursorten geachtet werden soll.“
c) Die bisherigen Sätze 1 und 2 werden Sätze 2 und 3.
5. Nach Art. 11 wird folgender Art. 11 a eingefügt:
„Art. 11 a Himmelstrahler und Beleuchtungsanlagen
1Eingriffe in die Insektenfauna durch künstliche Beleuchtung im Außenbereich sind zu vermeiden. 2Himmelstrahler und Einrichtungen mit ähnlicher Wirkung sind unzulässig. 3Beim Aufstellen von Beleuchtungsanlagen im Außenbereich müssen die Auswirkungen auf die Insektenfauna, insbesondere deren Beeinträchtigung und Schädigung, überprüft und die Ziele des Artenschutzes berücksichtigt werden. 4Beleuchtungen in unmittelbarer Nähe von geschützten Landschaftsbestandteilen und Biotopen sind nur in Ausnahmefällen von der zuständigen Behörde oder mit deren Einvernehmen zu genehmigen.“
6. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt geändert:
a) In Nr. 2 wird der Punkt am Ende durch ein Komma ersetzt.
b) Folgende Nrn. 3 bis 5 werden angefügt:
„3. entlang natürlicher oder naturnaher Bereiche fließender oder stehender Gewässer, ausgenommen künstliche Gewässer im Sinne von § 3 Nr. 4 des Wasserhaushaltsgesetzes und Be- und Entwässerungsgräben im Sinne von Art. 1 des Bayerischen Wassergesetzes, in einer Breite von mindestens 5 m von der Uferlinie diese garten- oder ackerbaulich zu nutzen (Gewässerrandstreifen),
4.
Bodensenken im Außenbereich im Sinne des § 35 des Baugesetzbuches zu verfüllen,
5.
Alleen an öffentlichen oder privaten Verkehrsflächen und Wirtschaftswegen zu beseitigen, beschädigen oder auf sonstige Weise erheblich zu beeinträchtigen.“
7.
Art. 19 wird wie folgt geändert:
a) Die Überschrift wird wie folgt gefasst:
„Art. 19
Biotopverbund, Biotopvernetzung, Arten- und Biotopschutzprogramm“
b) Dem Wortlaut wird folgender Abs. 1 vorangestellt:
„(1) Der Freistaat Bayern schafft ein Netz räumlich oder funktional verbundener Biotope (Biotopverbund), das bis zum Jahr 2023 mindestens 10% Offenland und bis zum Jahr 2027 mindestens 13% Offenland der Landesfläche umfasst.“
c) Der bisherige Wortlaut wird Abs. 2. d) Folgender Abs. 3 wird angefügt:
„(3) Die oberste Naturschutzbehörde soll dem Landtag und der Öffentlichkeit jährlich einen Statusbericht über den Biotopverbund vorlegen.“
8. Art. 23 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
a) In Nr. 5 wird der Punkt am Ende durch ein Komma ersetzt.
b) Folgende Nrn. 6 und 7 werden angefügt:
„6. extensiv genutzte Obstbaumwiesen oder -weiden aus hochstämmigen Obstbäumen mit einer Fläche ab 2.500 Quadratmetern (Streuobstbestände) mit Ausnahme von Bäumen, die weniger als 50 Meter vom nächstgelegenen Wohngebäude oder Hofgebäude entfernt sind und
7. arten- und strukturreiches Dauergrünland.“
9. Nach Art. 23 wird folgender Art. 23 a eingefügt:
„Art. 23 a Verbot von Pestiziden
1Die Anwendung von Pestiziden (Pflanzenschutzmittel und Biozide) gemäß Art. 3 Nr. 10 der RL 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (ABl. L 309 vom 24. November 2009, S. 71) in der jeweils geltenden Fassung ist in Naturschutzgebieten, in gesetzlich geschützten Landschaftsbestandteilen und in gesetzlich geschützten Biotopen außerhalb von intensiv genutzten land- und fischereiwirtschaftlichen Flächen verboten. 2Die Naturschutzbehörde kann die Verwendung dieser Mittel zulassen, soweit eine Gefährdung des Schutzzwecks der in Satz 1 genannten Schutzgebiete oder geschützten Gegenstände nicht zu befürchten ist. 3Weitergehende Vorschriften bleiben unberührt.“
§ 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am 1. August 2019 in Kraft.
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5. Die angegriffenen Vorschriften des Zweiten Gesetzes zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern (Gesamtgesellschaftliches Artenschutzgesetz – Versöhnungsgesetz) haben folgenden Wortlaut:
§ 1
Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes
Das Bayerische Naturschutzgesetz (BayNatSchG) vom 23. Februar 2011 (GVBl. S. 82, BayRS 791-1-U), das zuletzt durch Gesetz vom 24. Juli 2019 (GVBl. S. 405) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In Art. 1 b werden nach Satz 2 die folgenden Sätze 3 und 4 angefügt:
3Im Sinne eines umfassenden Bildungsauftrags werden die Aufgaben und die Leistungen der Landwirtschaft für die Kulturlandschaft und die Gemeinwohlleistungen für die Vielfalt in der Natur vermittelt. 4Das ist zu integrieren in einen allgemeinen Bildungsauftrag, in dem Zusammenhänge und Wechselwirkungen in der Natur und die Bedeutung der Biodiversität vermittelt werden.“
2. Art. 3 wird wie folgt geändert:
a) Dem Abs. 2 wird folgender Satz 3 angefügt:
3Dabei sollen die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen der Wälder erhalten bleiben.“
b) Abs. 4 wird wie folgt geändert:
aa) In Satz 1 Nr. 2 werden nach den Wörtern „sowie -brachen“ die Wörter „und auf Moor- und Anmoorstandorten“ eingefügt.
bb) Folgender Satz 4 wird angefügt:
4Das in Satz 1 Nr. 6 für den Grünlandanteil der Landesfläche Bayerns insgesamt geregelte Schutzziel soll nach Maßgabe der verfügbaren Haushaltsmittel im Rahmen von vertraglichen Vereinbarungen oder der Teilnahme an Förderprogrammen auf Flächen einzelner Betriebe in allen Landesteilen umgesetzt werden.“
c) Folgende Abs. 6 und 7 werden angefügt:
„(6) 1Soweit auf Grund der örtlichen Witterungsverhältnisse voraussichtlich in einer erheblichen Zahl von Fällen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG gegeben wären, kann die Staatsregierung durch Rechtsverordnung gebietsbezogen gestatten, durch Allgemeinverfügung einen späteren als den in Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 genannten Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem Grünflächen nicht mehr gewalzt werden dürfen. 2Zuständig für den Erlass der Allgemeinverfügung sind die Regierungen. 3Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs gilt Satz 1 entsprechend.
(7) Die Beseitigung von Unwetter-, Wild- und Weideschäden bleibt von den Verboten des Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 7 unberührt.“
3. Art. 5 wird wie folgt geändert:
a) Abs. 2 wird wie folgt geändert:
aa) Satz 2 wird aufgehoben.
bb) Satz 3 wird Satz 2 und das Wort „unteren“ wird gestrichen.
cc) Die Sätze 4 und 5 werden die Sätze 3 und 4. b) Nach Abs. 2 wird folgender Abs. 3 eingefügt:
„(3) 1Die Vorbereitung, Betreuung und Ausführung der Maßnahmen nach Abs. 1 kann auch Vereinen übertragen werden, in denen möglichst flächendeckend kommunale Gebietskörperschaften, Landwirte und anerkannte Naturschutzverbände sich gleichberechtigt und für den Naturschutz und die Landschaftspflege einsetzen (Landschaftspflegeverbände). 2Der Staat unterstützt die Träger von Naturparken und die Landschaftspflegeverbände im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel in ihren Tätigkeiten und gegenseitigen Abstimmung.
3Abs. 2 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.“
c) Der bisherige Abs. 3 wird Abs. 4.
4. Nach Art. 5 werden die folgenden Art. 5 a bis 5 c eingefügt:
„Art. 5 a Landschaftspflegeprogramm
Zugunsten von Naturschutz und Landschaftspflege können im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel insbesondere folgende Maßnahmen gefördert werden:
1. Erhaltung, Pflege, Entwicklung und Neuschaffung ökologisch wertvoller Lebensräume,
2.
Erhaltung der Artenvielfalt einschließlich kommunaler Maßnahmen,
3.
Naturschutzprojekte sowie Projekte zur Renaturierung von Mooren,
4.
Umsetzung der Landschaftspläne,
5.
Aufbau und Pflege des Biotopverbunds gemäß Art. 19 Abs. 1 und 6. naturschutzbezogene Information und Beratung.
Art. 5 b Bayerisches Vertragsnaturschutzprogramm Zur kooperativen Umsetzung natur- und artenschutzfachlicher Ziele kann im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel die natur- und artenschutzverträgliche Bewirtschaftung und Pflege von
1. Natura 2000-Gebieten, Naturschutzgebieten, Nationalparken, Biosphärenreservaten, gesetzlich geschützten Biotopen, Streuobstbeständen und Wiesenbrütergebieten,
2.
nationalen Naturmonumenten, Naturdenkmälern und geschützten Landschaftsbestandteilen,
3.
Flächen mit Vorkommen geschützter oder gefährdeter Arten,
4.
Flächen zum Aufbau des Biotopverbunds nach Art. 19 Abs. 1 und 5. Gewässerrandstreifen, oder eine besonders naturverträgliche Weidetierhaltung gefördert werden.
Art. 5 c Bayerisches Vertragsnaturschutzprogramm Wald Zur kooperativen Umsetzung natur- und artenschutzschutzfachlicher Ziele im Privat- und Körperschaftswald können im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel insbesondere in den in Art. 5 b genannten Teilen der Natur und Landschaft ökologisch besonders wertvolle Nutzungsformen des Waldes und der Erhalt ökologisch besonders wertvoller Strukturen und Standorte gefördert werden.“
5. Nach Art. 5 c wird folgender Art. 5 d eingefügt:
„Art. 5 d Biodiversitätsberatung
1An den unteren Naturschutzbehörden werden im Rahmen der zur Verfügung stehenden Stellen Biodiversitätsberater eingesetzt. 2Sie sollen helfen, in Zusammenarbeit mit den Eigentümern und Landbewirtschaftern, Kommunen, Erholungssuchenden, Verbänden und sonstigen Betroffenen in ökologisch wertvollen Teilen der Natur und Landschaft gemäß Art. 5 b die natur- und artenschutzfachlichen Ziele und Maßnahmen umzusetzen, und den Aufbau des Biotopverbunds nach Art. 19 Abs. 1 begleiten.“
6. Nach Art. 11 a werden die folgenden Art. 11 b und 11 c eingefügt:
„Art. 11 b Gentechnikanbauverbot
Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ist in Bayern verboten.
Art. 11 c Klimaneutrale Verwaltung
1Die Behörden und Einrichtungen der unmittelbaren Staatsverwaltung des Freistaates Bayern nehmen Vorbildfunktion beim Klimaschutz wahr, insbesondere bei der Energieeinsparung, der effizienten Bereitstellung, Umwandlung, Nutzung und Speicherung von Energie, der Nutzung erneuerbarer Energien und ihren Beschaffungen mit dem Ziel, bis zum Jahr 2030 eine klimaneutrale Verwaltung zu erreichen. 2Den kommunalen Gebietskörperschaften wird empfohlen, entsprechend Satz 1 zu verfahren.“
7. Art. 19 wird wie folgt geändert:
a) Abs. 1 wird wie folgt geändert:
aa) Der Wortlaut wird Satz 1. bb) Folgender Satz 2 wird angefügt:
2Ziel ist, dass der Biotopverbund bis zum Jahr 2030 mindestens 15% Offenland der Landesfläche umfasst.“
b) Abs. 2 wird wie folgt geändert:
aa) Nach Satz 2 werden die folgenden Sätze 3 bis 5 eingefügt:
3Für die Auswahl von Flächen hat der funktionale Zusammenhang innerhalb des Biotopverbunds besonderes Gewicht. 4Zur Umsetzung sollen unter anderem entlang von Gewässern, Waldrändern und Verkehrswegen Vernetzungskorridore geschaffen werden. 5Die Umsetzung erfolgt im Wege kooperativer Maßnahmen.“
bb) Die bisherigen Sätze 3 und 4 werden die Sätze 6 und 7. c) Folgender Abs. 4 wird angefügt:
„(4) Zur Renaturierung von Mooren sowie für eine moorverträgliche land- und forstwirtschaftliche Nutzung erstellt die oberste Naturschutzbehörde im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einen Fachplan Moore und schreibt diesen bei Bedarf fort.“
8. Art. 23 wird wie folgt geändert:
a) Abs. 1 wird wie folgt geändert:
aa) Der Wortlaut wird Satz 1. bb) Folgender Satz 2 wird angefügt:
2Die Staatsregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung Einzelheiten zur fachlichen Abgrenzung der in Satz 1 Nr. 6 und 7 genannten Biotope zu bestimmen.“
b) Abs. 2 Satz 2 wird wie folgt gefasst:
2Die Verbote nach § 30 Abs. 2 BNatSchG gelten außerdem nicht für regelmäßig erforderliche Maßnahmen zur Unterhaltung
1. der künstlichen, zum Zweck der Fischereiwirtschaft angelegten geschlossenen Gewässer im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG oder
2. der Obstbaumwiesen oder -weiden im Sinn des Abs. 1 Nr. 6.“
c) In Abs. 5 wird nach dem Wort „-weiden“ das Wort „(Wiesenbrütergebiete)“ eingefügt.
9. Dem Art. 42 Abs. 1 wird folgender Satz 3 angefügt:
3Eigentümer oder Nutzungsberechtigte erhalten im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel eine Förderung, soweit sie durch naturschonende Bewirtschaftung den ökologischen Wert von Streuobstwiesen bewahren.“
10. Art. 44 Abs. 2 Satz 2 wird wie folgt gefasst:
2Abweichend von Satz 1 sind zuständig für den Vollzug
1. des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 die unteren Forstbehörden,
2.
des Art. 11 a die Immissionsschutzbehörden,
3.
des Art. 11 b die Behörden, die für den Vollzug des Gentechnikgesetzes zuständig sind,
4.
des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 die Wasserbehörden nach Art. 63 Abs. 1 des Bayerischen Wassergesetzes,
5.
der nach Art. 51 Abs. 1 Nr. 5 erlassenen Gemeindeverordnungen die Gemeinden.“
11.
Dem Art. 55 wird folgender Abs. 3 angefügt:
„(3) Bewirtschaftungspläne nach § 32 Abs. 5 BNatSchG werden flurstücksbezogen oder nach Koordinaten in geeigneter Weise veröffentlicht.“
12. In Art. 57 Abs. 1 wird nach Nr. 1 folgende Nr. 1 a eingefügt:
„1 a. entgegen Art. 11 b eine gentechnisch veränderte Pflanze anbaut,“.
§ 2
Änderung des Bayerischen Immissionsschutzgesetzes
Das Bayerische Immissionsschutzgesetz (BayImSchG) in der in der Bayerischen Rechtssammlung (BayRS 2129-1-1-U) veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2018 (GVBl. S. 608) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Die Überschrift des zweitens Teils wird wie folgt gefasst:
„Zweiter Teil Lärm und Licht“.
2. Es wird folgender Art. 15 eingefügt:
„Art. 15
Vermeidbare Lichtemissionen
(1) Nach 23 Uhr und bis zur Morgendämmerung ist es verboten, die Fassaden baulicher Anlagen der öffentlichen Hand zu beleuchten, soweit das nicht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich oder durch oder auf Grund Rechtsvorschrift vorgeschrieben ist.
(2) 1Im Außenbereich nach § 35 des Baugesetzbuchs sind beleuchtete oder lichtemittierende Werbeanlagen verboten. 2Die Gemeinde kann bis längstens 23 Uhr Ausnahmen von Satz 1 zulassen für
1. Gaststätten und
2. zulässigerweise errichtete Gewerbebetriebe an der Stätte der Leistung, soweit dafür in Abwägung mit dem Gebot der Emissionsvermeidung ein erhebliches Bedürfnis besteht.“
3. Art. 18 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
a) In Nr. 3 wird das Wort „oder“ gestrichen.
b) In Nr. 4 wird der Punkt am Ende durch das Wort „oder“ ersetzt.
c) Folgende Nr. 5 wird angefügt:
„5. den Verboten nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 zuwiderhandelt.“
§ 3
Änderung der Bayerischen Bauordnung
Die Bayerische Bauordnung (BayBO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007 (GVBl. S. 588, BayRS 2132-1-B), die zuletzt durch § 1 Abs. 156 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Art. 7 wird wie folgt geändert:
a) Die Überschrift wird wie folgt gefasst:
„Art. 7
Begrünung, Kinderspielplätze“.
b) Nach Abs. 1 wird folgender Abs. 2 eingefügt:
„(2) 1Im Eigentum des Freistaates Bayern stehende Gebäude und ihre zugehörigen Freiflächen sollen über Abs. 1 hinaus vorbehaltlich der bestehenden baurechtlichen, satzungsrechtlichen, denkmalschützenden oder sonstigen rechtlichen Festlegungen angemessen begrünt oder bepflanzt werden. 2Den kommunalen Gebietskörperschaften wird empfohlen, hinsichtlich ihrer Gebäude und zugehörigen Freiflächen entsprechend Satz 1 zu verfahren.“
c) Der bisherige Abs. 2 wird Abs. 3.
2. In Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. c und Art. 81 Abs. 1 Nr. 3 wird jeweils die Angabe „Abs. 2“ durch die Angabe „Abs. 3“ ersetzt.
§ 4
Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen Das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), das zuletzt durch § 1 Abs. 206 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In Art. 1 Abs. 1 Satz 3 werden die Wörter „für Natur und Umwelt“ durch die Wörter „für Natur, Umwelt, Artenschutz und Artenvielfalt“ ersetzt.
2. In Art. 2 Abs. 1 werden nach dem Wort „Umwelt“ die Wörter „und Verständnis für die Zusammenhänge nachhaltiger Entwicklung, gesunder Ernährung und verantwortungsvoller landwirtschaftlicher Erzeugung“
eingefügt.
§ 5
Änderung des Bayerischen Wassergesetzes
Das Bayerische Wassergesetz (BayWG) vom 25. Februar 2010 (GVBl. S. 66, 130, BayRS 753-1-U), das zuletzt durch § 1 Abs. 324 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Art. 21 wird wie folgt gefasst:
„Art. 21
Gewässerrandstreifen (Zu § 38 WHG, abweichend von § 38 Abs. 3 bis 5 WHG)
(1) 1Der Gewässerrandstreifen ist an Gewässern erster und zweiter Ordnung auf Grundstücken des Freistaates Bayern 10 Meter breit. 2Auf Gewässerrandstreifen nach Satz 1 sind
1. die ackerbauliche und gartenbauliche Nutzung sowie der Einsatz und die Lagerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, ausgenommen Wundverschlussmittel zur Baumpflege und Wildbissschutzmittel, verboten und
2. Bäume und Sträucher zu erhalten, soweit die Beseitigung nicht für den Ausbau oder die Unterhaltung der Gewässer, zur Pflege des Bestandes, aus besonderen Artenschutzgründen oder zur Gefahrenabwehr erforderlich ist oder im Rahmen ordnungsgemäßer Forstwirtschaft erfolgt.
3§ 38 Abs. 5 WHG gilt entsprechend. 4Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Bayerischen Naturschutzgesetzes bleibt unberührt.
(2) Über Abs. 1 hinaus können im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel die Zwecke des Gewässerrandstreifens an allen Gewässern durch Einbeziehung der Grundstücke oder der Flächen in eine Fördermaßnahme erreicht werden, die auch dem Schutz des jeweiligen Gewässers dient.
(3) Für die mit Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Bayerischen Naturschutzgesetzes einhergehenden Einschränkungen bisher zulässiger und tatsächlich ausgeübter Nutzungen wird nach Maßgabe der verfügbaren Haushaltsmittel ein angemessener Geldausgleich gewährt.“
2. Dem Art. 63 Abs. 2 wird folgender Satz 3 angefügt:
3Bewilligungsbehörden für den Geldausgleich nach Art. 21 Abs. 3 sind die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.“
§ 6
Änderung des Land- und forstwirtschaftlichen Zuständigkeits- und Vollzugsgesetzes Dem Art. 5 des Land- und forstwirtschaftlichen Zuständigkeits- und Vollzugsgesetzes (ZuVLFG) vom 24. Juli 2003 (GVBl. S. 470, BayRS 7801-1-L), das zuletzt durch § 5 des Gesetzes vom 12. Juni 2018 (GVBl. S. 387) geändert worden ist, wird folgender Abs. 4 angefügt:
„(4) 1Auf den vom Freistaat Bayern bewirtschafteten Flächen ist der Einsatz von Totalherbiziden verboten, soweit das nicht für Zwecke der Forschung und Lehre zwingend erforderlich ist oder von der zuständigen Behörde nach § 12 Abs. 2 Satz 3 PflSchG genehmigt wurde. 2Für den Vollzug des Verbots nach Satz 1 ist die die jeweilige Fläche bewirtschaftende oder betreuende Behörde zuständig.“
§ 7
Änderung des Bayerischen Agrarwirtschaftsgesetzes
Das Bayerische Agrarwirtschaftsgesetz (BayAgrarWiG) vom 8. Dezember 2006 (GVBl. S. 938, BayRS 787-1-L), das zuletzt durch § 1 Nr. 335 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt geändert:
a) In Nr. 17 wird der Punkt am Ende durch ein Komma ersetzt.
b) Die folgenden Nrn. 18 und 19 werden angefügt:
„18. Digitalisierung,
19.
Unterstützung von Junglandwirten.“
2.
Dem Art. 9 wird folgender Abs. 4 angefügt:
„(4) 1Zur Verbesserung der Lebensräume von Arten in der Kulturlandschaft werden im Rahmen der zur Verfügung stehenden Stellen an den Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Wildlebensraumberater eingesetzt. 2Die Wildlebensraumberatung strebt eine bestmögliche Vernetzung von Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität in der Kulturlandschaft an, mit dem Ziel, Biotopverbünde aufzubauen und die Wirkung von Einzelmaßnahmen zu fördern.“
§ 8
Änderung des Waldgesetzes für Bayern
Das Waldgesetz für Bayern (BayWaldG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Juli 2005 (GVBl. S. 313, BayRS 7902-1-L), das zuletzt durch § 1 Abs. 337 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Die Überschrift wird wie folgt gefasst:
„Bayerisches Waldgesetz (BayWaldG)“.
2. Art. 12 a wird wie folgt geändert:
a) Der Überschrift werden die Wörter „und Naturwaldflächen“ angefügt.
b) Der Wortlaut wird Abs. 1. c) Folgender Abs. 2 wird angefügt:
„(2) 1Bis zum Jahr 2023 wird im Staatswald ein grünes Netzwerk eingerichtet, das 10 Prozent des Staatswaldes umfasst und aus naturnahen Wäldern mit besonderer Bedeutung für die Biodiversität besteht (Naturwaldflächen). 2Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.“
3. Art. 16 wird wie folgt geändert:
a) In Abs. 2 werden die Wörter „Plänen im Sinn des Art. 3 BayNatSchG“ durch die Wörter „Landschaftsplanungen im Sinn des Art. 4 des BayNatSchG“ ersetzt.
b) Abs. 2 a wird aufgehoben.
c) In Abs. 3 werden die Wörter „Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch“ durch die Wörter „Gesetzes zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs“ ersetzt.
4. Art. 20 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 1 werden die Wörter „Gesetz zur Förderung der bayerischen Landwirtschaft (LwFöG)“ durch die Wörter „Bayerischen Agrarwirtschaftsgesetz“ ersetzt.
b) Satz 3 wird aufgehoben.
5. In Art. 21 Abs. 1 Satz 1 werden die Wörter „zu Maßnahmen nach Art. 21 LwFöG“ gestrichen.
§ 9
Änderung des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes Das Bayerische Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) in der in der Bayerischen Rechtssammlung (BayRS 91-1-I) veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch § 1 Abs. 364 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Art. 9 wird wie folgt geändert:
a) In Abs. 1 Satz 4 werden die Wörter „und der Naturhaushalt und das Landschaftsbild zu schonen“ gestrichen.
b) Abs. 2 wird wie folgt geändert:
aa) Der Wortlaut wird Satz 1. bb) Der folgende Satz 2 wird angefügt:
2Dabei ist mit Grund und Boden sparsam umzugehen und die Flächeninanspruchnahme in Abwägung insbesondere mit den Notwendigkeiten der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie der Schonung von Naturhaushalt und Landschaftsbild so weit wie möglich zu begrenzen.“
2. Art. 30 wird wie folgt geändert:
a) Die Überschrift wird wie folgt gefasst:
„Art. 30
Bepflanzungen, Straßenbegleitflächen“
b) Der Wortlaut wird Abs. 1. c) Folgender Abs. 2 wird angefügt:
„(2) 1Begrünte Teile der Trenn-, Seiten-, Rand- und Sicherheitsstreifen, Böschungen und sonstige straßenbegleitende Grundstücksteile (Straßenbegleitflächen) sind bei Staatsstraßen mit dem Ziel zu bewirtschaften, die Luftreinhaltung, die Artenvielfalt und den Biotopverbund zu fördern. 2Im Rahmen der Wirtschaftlichkeit und vorbehaltlich der Verkehrssicherheit sollen bei Staatsstraßen die Straßenbegleitflächen als Magergrünland bewirtschaftet und Lärmschutzanlagen begrünt werden. 3Den Landkreisen und Gemeinden wird empfohlen, bei Kreis- und Gemeindestraßen entsprechend zu verfahren.“
§ 10
Änderung der Schulordnung für die staatlichen Landwirtschaftsschulen
§ 2 Abs. 1 der Schulordnung für die staatlichen Landwirtschaftsschulen (LwSO) vom 2. März 2007 (GVBl. S. 223, BayRS 7803-1-L), die zuletzt durch Verordnung vom 12. August 2018 (GVBl. S. 697) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Nach Satz 2 wird folgender Satz 3 eingefügt:
3Die Studierenden sollen sich der Bedeutung ihrer Rolle als Erzeuger regionaler und hochwertiger Lebensmittel sowie ihrer Verantwortung bewusst werden, Leistungen für Natur und Umwelt zu erbringen.“
2. Der bisherige Satz 3 wird Satz 4.
§ 11
Inkrafttreten
1Dieses Gesetz tritt am 1. August 2019 in Kraft. 2Abweichend von Satz 1 treten § 1 Nr. 5 und § 7 Nr. 2 am 1. Januar 2020 in Kraft.
11
6. Im weiteren Gang des Verfahrens haben die Antragsteller der Popularklage auch die in Art. 57 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 des Bayerischen Naturschutzgesetzes enthaltene Bußgeldbewehrung zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Diese Vorschriften haben folgenden Wortlaut:
Art. 23
Gesetzlich geschützte Biotope (Art. 23 Abs. 2 abweichend von § 30 Abs. 2, 3 und 5 BNatSchG, Art. 23 Abs. 3 abweichend von §§ 30 Abs. 3, 67 Abs. 1 BNatSchG, Art. 23 Abs. 4 abweichend von §§ 30 Abs. 3, 67 Abs. 1 BNatSchG)
(1) 1Gesetzlich geschützte Biotope im Sinn des § 30 Abs. 2 Satz 2
BNatSchG sind auch
1.
Landröhrichte, Pfeifengraswiesen,
2.
Moorwälder,
3.
wärmeliebende Säume,
4.
Magerrasen, Felsheiden,
5.
alpine Hochstaudenfluren, …
Art. 57
Ordnungswidrigkeiten
(1) Mit Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro kann belegt werden, wer vorsätzlich oder fahrlässig …
5. entgegen § 30 Abs. 2 BNatSchG ein in Art. 23 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 aufgeführtes Biotop zerstört oder erheblich beeinträchtigt, …
12
7. Durch die nach Antragserhebung erfolgte Neufassung des Bayerischen Immissionsschutzgesetzes (BayImSchG) vom 10. Dezember 2019 (GVBl S. 686, BayRS 2129-1-1-U) wurde der bisherige Art. 15 in der Neufassung zu Art. 9 BayImSchG.
13
Ebenso erfolgte nach Antragserhebung eine Neufassung des Gesetzes über Zuständigkeiten und den Vollzug von Rechtsvorschriften im Bereich der Land- und Forstwirtschaft (Land- und forstwirtschaftliches Zuständigkeits- und Vollzugsgesetz – ZuVLFG) vom 23. Dezember 2022 (GVBl S. 695, BayRS 7801-1-L). Durch die Neufassung wurde der bisherige Art. 5 Abs. 4 zu Art. 8 ZuVLFG.
II.
14
1. Verfahren Vf. 18-VIII-19 (Meinungsverschiedenheit)
15
Die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag (Antragstellerin) macht mit ihrem am 14. November 2019 eingegangenen Antrag gegenüber den Antragsgegnern geltend, dass sowohl das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern als auch das Versöhnungsgesetz gegen die Bayerische Verfassung verstoßen.
16
In der Begründung der Meinungsverschiedenheit führt der Bevollmächtigte für die Antragstellerin zunächst aus, eine Überprüfung des Volksbegehrens auf seine (verfassungs-)rechtliche Zulässigkeit durch das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration habe nicht stattgefunden; bemerkenswert sei auch, dass § 2 des Volksbegehrenstextes das Datum des Inkrafttretens offengelassen habe. Für den Zeitpunkt, der von der Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration festgelegt worden sei, hätten die Unterstützer ihre Unterstützung nicht erteilt. Das Volksbegehrensgesetz sei nur scheinbar vollständig im Sinn von Art. 73 Abs. 3 LWG übernommen worden. Wegen angeblich unbeabsichtigter Härten für die betroffenen Landwirte sei gleichzeitig das Versöhnungsgesetz verabschiedet worden. Die Behauptung der Staatsregierung, das Volksbegehren würde ohne Abstriche in Gesetzeskraft erwachsen, sei wegen der Inhalte des Volksbegehrens, die durch das Versöhnungsgesetz abgeändert worden seien, ersichtlich unrichtig. Die Abänderungen bezögen sich auf das Walzverbot, den Mahdzeitpunkt für Grünlandflächen, die Schaffung eines Biotopverbunds und die Einordnung von Streuobstwiesen als gesetzlich geschützte Biotope.
17
Zur Zulässigkeitsvoraussetzung, dass die Meinungsverschiedenheit bereits im Gesetzgebungsverfahren erkennbar geworden sein müsse, trägt die Antragstellerin vor, ihre Rügen seien ausreichend gewesen. Es sei nicht notwendig, sämtliche Einzelrügen im Detail während des Gesetzgebungsverfahrens geltend zu machen. Letzteres ließe bereits die knappe Redezeit der Abgeordneten, und zwar sowohl im Plenum als auch in den Ausschüssen, gar nicht zu. Es sei abwegig anzunehmen, es sei der Wille der Verfassung oder des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof zu verlangen, dass die vielen Einzelrügen im Detail hätten vorgetragen werden müssen. Zahlreiche verfassungsrechtliche Angriffspunkte (z. B. die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Bayern für viele Regelungen, die Unverhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe, die Verstöße gegen Art. 83 Abs. 3 und 7 BV) hingen unmittelbar und untrennbar mit der Frage zusammen, ob eine „echte“ vollständige Annahme im Sinn von Art. 73 Abs. 3 LWG vorliege oder nur eine „Schein-Annahme“. Es könne ihr nicht verwehrt werden, ihre angesprochenen Bedenken zu vertiefen und auf weitere verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu stützen. Wegen des untrennbaren politischen, verfassungsrechtlichen und gesetzestechnischen Zusammenhangs zwischen den beiden Gesetzen gälten ihre Einwände zwangsläufig auch für das Versöhnungsgesetz.
18
Alle bezeichneten Antragsgegner seien statthafte Antragsgegner. Die Bayerische Staatsregierung werde in Art. 49 Abs. 2 VfGHG ausdrücklich genannt, ebenso der Bayerische Landtag als Antragsteller, sodass er auch Antragsgegner sein könne.
Das Staatministerium des Innern, für Sport und Integration sei im Verfahren auf Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten wegen des Ressortprinzips parteifähig (Art. 49, 51 BV). Dem Bayerischen Ministerpräsidenten würden u. a. in Art. 47 Abs. 1 und 2 sowie Art. 76 Abs. 1 BV eigene Kompetenzen zugewiesen, sodass er statthafter Antragsgegner sei. Gleiches gelte für die Bayerische Staatskanzlei, der im Rahmen ihrer Koordinierungsfunktion umfangreiche Rechte und Einflussmöglichkeiten zukämen und die im Organstreitverfahren Antragsgegner sein könne. Die Beauftragte des Volksbegehrens sei im Organstreitverfahren nach unstreitiger Literaturauffassung beteiligtenfähig. Die Landtagsfraktionen der CSU und der FREIEN WÄHLER kämen als Fraktionen als Antragsgegner in Betracht. Die Präsidentin des Bayerischen Landtags sei beteiligtenfähig, auch wenn die ihr in Art. 21 BV zugeschriebenen Kompetenzen hier keine Rolle spielten.
19
Der im Verfahren der Meinungsverschiedenheit gestellte Antrag gegen das „Rettet die Bienen!“-Gesetz sei begründet. Dieses Gesetz sei formell verfassungswidrig zustande gekommen, weil nicht ersichtlich sei, dass – wie Art. 63 Abs. 2 Satz 3 LWG vorschreibe – im Zulassungsantrag des Volksbegehrens drei weitere Stellvertreter für den Fall des Ausscheidens der Beauftragten oder ihres Stellvertreters benannt worden seien. Vieles spreche dafür, dass dieser Verstoß für den Fall, dass er vorliege, nicht heilbar sei. Bedenklich sei auch, dass in den Eintragungslisten die Beauftragten des Volksbegehrens nicht genannt worden seien.
20
Gegen Art. 74 Abs. 5 BV sei verstoßen worden, weil über ein rechtsgültiges Volksbegehren ein Volksentscheid durchzuführen sei, es sei denn, der Landtag übernehme den Gesetzentwurf des Volksbegehrens nach Art. 73 Abs. 3 LWG unverändert. Die Staatsregierung scheine der Ansicht zu sein, dass es genüge, wenn der Landtag den konkreten und gesamten Inhalt eines Volksbegehrens nur für eine juristische Sekunde vollständig übernehme, im gleichen Atemzug aber ein den Inhalt des Volksbegehrens modifizierendes, über den Inhalt des Volksbegehrens hinausgehendes Gesetz beschließe und beide Gesetze sogar (zumindest weitgehend und im hier relevanten Umfang) am gleichen Tag in Kraft träten. Dagegen spreche jedoch der Sinn und Zweck des Art. 73 Abs. 3 LWG. Die Vorschrift diene dazu, einen kostenträchtigen Volksentscheid deshalb zu vermeiden, weil sich das Anliegen der Unterzeichner des Volksbegehrens durch unveränderte Übernahme des Volksbegehrens durch den Landtag erledigt habe. Wenn nun aber der Inhalt des Volksbegehrens am gleichen Tag in Kraft trete wie ein Parlamentsgesetz, das den Inhalt des Volksbegehrens abändere, so sei das der Sache nach gerade keine unveränderte Annahme. Allenfalls könne man von einer Schein-Annahme sprechen. Es sei auch schwer vorstellbar, dass die Unterzeichner des Volksbegehrens unter diesen Umständen behaupten würden, dass sich ihr Antrag auf Durchführung eines Volksentscheids der Sache nach erledigt habe. Eine vollständige Übernahme im Sinn von Art. 73 Abs. 3 LWG setze eine vollständige inhaltliche Kongruenz zwischen dem Inhalt des Volksbegehrens und dem Willen der Parlamentsmehrheit voraus. Davon könne aber keine Rede sein, wenn die Landtagsmehrheit den Inhalt des Volksbegehrens gleich in vier Punkten, von denen bereits jeder Einzelne erkennbar nicht unwichtig sei, „verbessern“ wolle.
Durch das gleichzeitige Inkrafttreten der Gesetze am 1. August 2019 seien die Teile des Volksbegehrens, die das Versöhnungsgesetz abgeändert habe, keine einzige Minute in der behördlichen Praxis gültig gewesen und auch angewendet worden. Letztlich seien diese vier Punkte gar nicht wirklich in Kraft getreten, weil zeitgleich sofort die Änderungen in Kraft getreten seien. Der Wille der Unterzeichner des Volksbegehrens habe sich aber auch auf diese vier Punkte bezogen, die nach der Begründung des Volksbegehrens zumindest in zwei Punkten seinen Kern ausgemacht hätten. Ein etwaiges Einverständnis der Unterzeichner des Volksbegehrens mit einer „modifizierten parlamentarischen Annahme“ wäre rechtlich irrelevant und ungültig. Da keine unveränderte Annahme im Sinn des Art. 73 Abs. 3 LWG vorliege, hätte ein Volksentscheid stattfinden müssen. Da dieser nicht stattgefunden habe, sei das Gesetz formell verfassungswidrig.
21
Des Weiteren verstoße das Volksbegehrensgesetz gegen Art. 83 Abs. 3 BV, der auch für die Volksgesetzgebung gelte; die Volksbegehrensersteller hätten noch nicht einmal im Ansatz irgendeine Kostenschätzung oder Kostenausgleichsmaßnahmen zugunsten der betroffenen Kommunen getroffen oder den parlamentarischen Gesetzgeber zu einer Ausgleichsregelung verpflichtet. Ob auch ein Verstoß gegen Art. 83 Abs. 7 Satz 1 BV vorliege, sei im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens zu klären. Die völlig unzureichende Begründung des Volksbegehrens hinsichtlich der entstehenden Kosten verstoße gegen Art. 74 Abs. 2 BV i. V. m.
Art. 73 BV, weil die finanziellen Auswirkungen des Volksbegehrens völlig verschwiegen worden seien. In der Begründung des Volksbegehrens sei zudem der bundesgesetzliche Regelungsrahmen komplett ausgespart worden. Das Fehlen dieser Hinweise verletze die Abstimmungsfreiheit und das Verfassungsgebot aus Art. 74 Abs. 2 BV auf eine im Hinblick auf die bestehenden Vor- und Nachteile vollständige und vollständig abschätzbare Entwurfsbegründung. Insoweit thematisiert die Antragstellerin in zehn Gliederungspunkten die zu den Bestimmungen des Volksbegehrensentwurfs bestehende Rechtslage nach dem Bundesnaturschutzgesetz und Fragen der Abweichungsgesetzgebung. Es sei nicht näher begründet worden, weshalb dem Freistaat trotz des klaren Wortlauts des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG die Kompetenz zustehen solle, Regelungen zum Recht des Artenschutzes zu erlassen. Ebenso wenig sei dargelegt worden, weshalb die vielen Regelungen des Entwurfs keine Grundzüge des Naturschutzrechts tangieren sollten. An vielen Stellen sei nicht ansatzweise dargestellt worden, dass überhaupt von bestehendem Bundesrecht abgewichen werde; soweit nur unpräzise „zu § … BNatSchG“ angeführt worden sei, sei dies ebenfalls verfassungsrechtlich nicht ausreichend. Auch dass die neuen Biotope gemäß Art. 23 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 BayNatSchG gleichheitswidrig nicht ordnungswidrigkeitenrechtlich geschützt seien, verstoße wegen objektiver Irreführung der Stimmberechtigten gegen deren Abstimmungsfreiheit. Dass Verstöße gegen Art. 16 Abs. 1 BayNatSchG eine Ordnungswidrigkeit darstellten, sei ebenfalls nicht im Volksbegehren angegeben worden. Des Weiteren sei im Volksbegehrensentwurf der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes offengelassen worden. Damit ergebe sich eine Inkongruenz zwischen der Willensäußerung der Unterzeichner des Volksbegehrens und dem Parlamentswillen, das Gesetz am 1. August 2019 in Kraft treten zu lassen.
22
Materiell verstoße das „Rettet die Bienen!“-Gesetz gegen das Koppelungsverbot des Art. 74 BV. Das Programmziel des Artenschutzes reiche nicht, um die Vielzahl der mindestens elf unterschiedlichen Einzelpunkte als einheitliche, eng zusammenhängende Materie erscheinen zu lassen. Es genüge nicht, dass formal nur das Bayerische Naturschutzgesetz geändert werde. Für einen Verstoß gegen das Koppelungsverbot spreche vor allem, dass das Gesetz sich an eine Vielzahl von Adressaten und Berufsgruppen richte (konventionelle Landwirte, Schüler und Lehrer, Kultusministerium, Landtag, Freistaat und Gemeinden). Ein enger inhaltlicher Zusammenhang zwischen allen einzelnen Änderungen sei nicht feststellbar.
23
Art. 1 a BayNatSchG verstoße gegen die Wesentlichkeitstheorie, weil er nur Zielvorgaben, aber kein einziges Detail der Umsetzung regle, gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 BV) sowie gegen das Verbot sog. dynamischer Verweisungen. Letztere seien im Volksgesetzgebungsverfahren per se unzulässig, da sich die Gesetze, auf die dynamisch verwiesen werde, bereits während des Volksgesetzgebungsverfahrens ändern könnten. Von dem Verbot sog. dynamischer Verweisungen seien auch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3, 4, Art. 23 a und Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BayNatSchG betroffen.
24
Das gesamte Bayerische Naturschutzgesetz verstoße gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG, gegen § 5 Abs. 2 Nr. 6, § 6 BNatSchG, § 4 BArtSchVO, §§ 15, 16 DirektZahlDurchfG, §§ 2 a, 19 bis 23 DirektZahlDurchfV und §§ 25, 25 a, 25 b InVeKoSV.
25
Die einfachgesetzliche Verabsolutierung eines vorrangigen Ziels der Erhaltung oder der Erreichung der biologischen Vielfalt im Staatswald (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 BayNatSchG) verstoße gegen Art. 141 Abs. 1 Satz 4 BV, weil dieser einen schonenden Ausgleich kollidierender Verfassungsbelange anstrebe. Das grundsätzliche Recht der Kommunen und Landkreise, sich nach umfassender Abwägung im Einzelfall auch gegen das Rechtsgut der biologischen Vielfalt des Waldes zu entscheiden und einem anderen Rechtsgut von Verfassungsrang den Vorzug zu geben, werde durch die neue Gesetzesnorm in Abrede gestellt. Dies sei mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht vereinbar.
26
Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 5 bis 7 BayNatSchG schränkten das Recht auf Eigentumsfreiheit unverhältnismäßig ein. Die Beseitigung von Unwetter-, Wild- und Weideschäden werde durch die darin enthaltenen Radikalverbote unmöglich. Dass der letztgenannte Aspekt zumindest scheinbar durch das ebenfalls verfassungswidrige Versöhnungsgesetz behoben worden sei, sei für das Volksbegehrensgesetz irrelevant.
27
Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 und Abs. 5 Sätze 1, 2 BayNatSchG verstießen ebenfalls gegen die Eigentumsgarantie sowie gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und die Wesentlichkeitstheorie. Zu Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 wird vorgetragen, dass in den wenigen Fällen, in denen EU- und Bundesrecht die Umwandlung von Dauergrünland und Dauergrünlandbrachen gestatte, ein Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliege, weil dieses andere Ausnahmevoraussetzungen vorsehe. Des Weiteren wird die Ungleichbehandlung bei den Ausnahmevorschriften gerügt, für die kein sachlicher Grund ersichtlich sei. In Bezug auf Absatz 4 Satz 1 Nr. 2 wird bei der Differenzierung der Grundwasserabsenkung auf Moor- und Anmoorstandorten eine Heilung durch das Versöhnungsgesetz in Abrede gestellt. Ab wann eine bereits bestehende Absenkungs- oder Drainagemaßnahme vorliegen solle, sei völlig unbestimmt. Absatz 4 Satz 1 Nr. 3 sei willkürlich, weil es wenig plausibel sei, nur gewerbliche Anpflanzungen im Rahmen des Gartenbaus auszunehmen, während private Anpflanzungen nicht ausgenommen seien. Absatz 4 Satz 1 Nr. 4 verstoße ebenfalls gegen Art. 118 Abs. 1 BV und schränke das Eigentumsgrundrecht unverhältnismäßig ein. Denn die Norm verbiete Dauergrünlandpflegemaßnahmen nur auf Flächen, die unter § 30 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG fielen, obwohl doch alle Biotopformen von § 30 Abs. 2 BNatSchG und Art. 23 Abs. 1 BayNatSchG als gleichermaßen schutzwürdig erachtet würden. Letztgenannte Norm sei per se grundgesetzwidrig, da Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG jede Abweichung von Bundesrecht in Sachen Artenschutz und betreffend die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes verbiete, worunter die Definition, was als schützenswertes Biotop gelte, unzweifelhaft falle. Daran ändere auch eine Öffnungsklausel zugunsten der Länder nichts. Auch die Beschränkung des Eigentumsrechts durch Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BayNatSchG sei unverhältnismäßig, weil die dort aufgeführte Begrenzung („ab einem Hektar“) nicht nachvollziehbar sei. Zudem werde nicht ausgeführt, wie das zehnprozentige Gefälle gemessen werden solle. Während das Bundesrecht Befreiungen erlaube, erlaube das Landesrecht weder Ausnahme noch Befreiung. Aus letzterem Grund sei auch Nummer 6 unverhältnismäßig, weil Art. 3 Abs. 6 BayNatSchG belege, dass zum Zweck des Tier- und Artenschutzes in Bezug auf Eigentum und Berufsfreiheit der Landwirte mildere, aber gleich effektive Möglichkeiten bestanden hätten. Zudem liege ein Verstoß gegen die Wesentlichkeitstheorie vor, weil der Bürger nicht erkennen könne, ob sein Grundstück unter diese Norm falle. Eine Abweichung von Bundesrecht (§ 67 Abs. 1 i. V. m. § 39 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 BNatSchG) sei den Ländern nicht gestattet. Auch Nummer 7 schränke die Eigentums- und Berufsfreiheit der Grundstückseigentümer, vor allem der Landwirte, unverhältnismäßig ein. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob das bayernweit pauschale, ausnahmslose Stichtagsdatum des 15. Juni wissenschaftlich haltbar sei. Sogar die Beseitigung von Unwetter-, Wild- und Weideschäden falle unter das Totalverbot.
28
Art. 3 a BayNatSchG verweise auf die verfassungswidrige Norm des Art. 1 a BayNatSchG. Die oberste Naturschutzbehörde dürfe dem Landtag keinen Bericht über die Umsetzung einer verfassungswidrigen Norm vorlegen. Der Eingriff in das freie Mandat der Abgeordneten (Art. 13 Abs. 2 BV), der mit dem Durchlesen und der Kenntnisnahme dieses Berichts zwangsläufig verbunden sei, sei somit unverhältnismäßig.
29
In Bezug auf den Verstoß von Art. 7 BayNatSchG gegen Art. 3 Abs. 1 BV i. V. m. § 15 BNatSchG könne auf die Kommentierung von Ge. verwiesen werden. Die Gesetzgebungskompetenz fehle auch für Art. 11 a BayNatSchG, der mit § 4 Abs. 1 Nrn. 4 und 5, Abs. 3 BArtSchV unvereinbar sei. Auch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 BayNatSchG verstoße gegen höherrangiges Bundesrecht. Art. 19 Abs. 1 und 3 BayNatSchG verstoße gegen den Grundsatz der Wesentlichkeitstheorie, weil für den Bürger nicht erkennbar sei, ob sein Grundstück Teil der Offenlandfläche sein solle, und unklar sei, anhand welcher Kriterien welche Behörde ein konkretes Grundstück in diesen Biotopverbund mit einbeziehe. Insoweit könne der Verfassungsverstoß des Volksgesetzgebers nicht durch parlamentarische Gesetzgebung beseitigt werden. Es sei nicht geklärt, was kooperative Maßnahmen seien und wie all diese Ziele überhaupt erreicht werden sollten, wenn diejenigen, die mit wem auch immer kooperieren sollten, dies nicht tun wollten. In Bezug auf Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 BayNatSchG sei es eklatant gleichheitswidrig, dass die Zerstörung oder Beeinträchtigung der neu geschaffenen Biotopformen nicht ebenfalls als Ordnungswidrigkeit eingestuft worden seien. Der Gleichheitssatz in Gestalt der Rechtsetzungsgleichheit binde auch den Gesetzgeber, und zwar auch im Bereich des Strafrechts. Eine strenge verfassungsrechtliche Prüfung sei veranlasst, wenn sich eine Ungleichbehandlung auf die Wahrnehmung von Freiheitsgrundrechten auswirke. Zumindest hätte in der Entwurfsbegründung des Volksbegehrens nach Art. 74 Abs. 2 BV ein Hinweis auf die rechtspolitisch völlig verfehlte Ungleichbehandlung erfolgen müssen. Die Bezugnahme in Nummer 6 auf Wohn- oder Hofgebäude leuchte nicht ansatzweise ein. Ab wann eine Dauergrünlandfläche ein arten- und strukturreiches Dauergrünland sei, sei nicht hinreichend bestimmt.
30
Art. 19 Abs. 1 BayNatSchG und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 BayNatSchG schränkten im Bereich des Biotopverbundes bzw. der neu geschaffenen Biotopformen die nicht nur ganz kurzzeitige Aufenthaltsbegründung, die dauerhafte Wohnsitznahme und die Möglichkeit, Scheunen oder Hofgebäude zu errichten, ein; darin liege ein Eingriff in Art. 11 GG. Beide Vorschriften schränkten auch die Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG ein. Die Versammlungsbehörden würden wegen der Vorschriften Versammlungen auf Dauergrünlandflächen, in Streuobstbeständen im Biotopverbund allenfalls noch unter sehr strikten Auflagen zulassen, Großveranstaltungen seien kaum mehr realistisch. Die Eingriffe seien nicht gerechtfertigt, weil das Zitiergebot nicht beachtet worden sei.
31
Für Art. 23 a BayNatSchG fehle es dem Freistaat an der Gesetzgebungskompetenz. Der Bestimmtheitsgrundsatz sei verletzt, weil nicht festgelegt sei, ab wann und durch wen festgestellt werde, dass das eigene Grundstück eine intensiv genutzte land- und fischereiwirtschaftliche Fläche sein solle. Europarechtswidrig sei es, dass sogar die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln mit geringem Risiko im Sinn der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 ausgeschlossen sei. Dieser Verstoß werde auch nicht durch die halbherzige Ausnahmemöglichkeit nach Satz 2 geheilt. Das gesamte Volksbegehren sei mit Art. 73 BV unvereinbar. Durch das scheinvollständig vom Parlament übernommene Volksbegehren entstünden massive Kosten. Der Aufwand u. a. für die Einstufung der Flächen könne nur als extrem überdurchschnittlich eingestuft werden.
32
Die formelle Verfassungswidrigkeit des Versöhnungsgesetzes folge bereits aus der formellen und materiellen Verfassungswidrigkeit des Volksbegehrens. Grund hierfür sei der juristische, redaktionelle und politisch enge, untrennbare Zusammenhang zwischen beiden Gesetzen. Kaum eine Vorschrift des Versöhnungsgesetzes mache noch Sinn, wenn das Volksbegehrensgesetz wegfalle. Ohne dieses sei das Versöhnungsgesetz nicht hinreichend bestimmt und auch nicht vollzugsfähig, wie die zahlreichen Verweise des Versöhnungsgesetzes zeigten.
33
Auch dieses habe noch nicht einmal ansatzweise Leitlinien für den nach Art. 83 Abs. 3 BV notwendigen Kostenersatz definiert. Ob Art. 83 Abs. 7 BV vollständig eingehalten worden sei, könne erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens beurteilt werden, insoweit sollten die Antragsgegner den Nachweis erbringen. Auch das Versöhnungsgesetz verstoße gegen den Grundsatz der Organtreue zwischen parlamentarischer und Volksgesetzgebung. Als materieller Gegenentwurf im Sinn von Art. 74 Abs. 4 BV sei es schon deshalb verfassungswidrig, weil auch hierüber bis heute kein Volksentscheid stattgefunden habe. Der Begriff des Gegenentwurfs sei dabei nicht nach den Verlautbarungen des Gesetzgebers, sondern ausschließlich anhand materieller Kriterien zu beurteilen. Danach sei ein Gegenentwurf ein parlamentarisches Gesetz, das die gleiche Materie wie ein Volksbegehren regle und objektiv geeignet sei, bei einem Volksentscheid bisherige und künftige Unterstützer des Volksbegehrens dazu zu bewegen, nunmehr den Gegenentwurf zu unterstützen. Das liege beim Versöhnungsgesetz erkennbar vor. Ob ein Volksentscheid stattfinden müsse, sei objektiv zu bestimmen. Die objektive Sichtweise dominiere auch sonst das gesamte Volksgesetzgebungsverfahren (ausreichende Begründung; Teilnichtigkeit; Koppelungsverbot). Insoweit werde ebenfalls nicht auf formale, subjektive Erklärungen der Beauftragten eines Volksbegehrens abgestellt.
34
Das Versöhnungsgesetz verstoße gegen den Grundsatz der Rücksichtnahme und Organtreue zwischen parlamentarischem und Volksgesetzgeber. Entgegen Br. (in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 74 Rn. 20) könne ein diesbezüglicher Verstoß nicht nur bei schweren und evidenten Verstößen und auch nicht nur im Organstreitverfahren festgestellt werden. Unter Wiederholung des oben geschilderten Vortrags wird die verfassungswidrige „Verunmöglichung“ des Volksentscheids als gravierende und evidente Pflichtverletzung des Landtags bezeichnet. Dieser Verfassungsverstoß bewirke, dass nicht nur die im Versöhnungsgesetz enthaltenen „Verbesserungen“ (Mahdzeitpunkt Grünlandflächen, Walzverbot Grünlandflächen, Biotopverbund Offenland und Streuobstwiesen als Biotop) ungültig seien, sondern das gesamte Versöhnungsgesetz. Denn eine Vereitelung der Ziele eines Volksbegehrens sei auch dadurch möglich, dass das rechtliche und tatsächliche Umfeld der Anliegen des Volksbegehrens geändert werde. Insoweit werde auf § 5 Nr. 1 Versöhnungsgesetz (= Art. 21 Abs. 1 bis 3 BayWG; Einführung einer Entschädigungsmöglichkeit bei Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG) und § 2 Nr. 2 Versöhnungsgesetz (= Art. 15 BayImSchG a. F., der mittlerweile Art. 9 BayImSchG i. d. F. des Gesetzes vom 10.12.2019 GVBl S. 686 entspricht; Modifizierung des Art. 23 a BayNatSchG) hingewiesen. Im Einzelnen verstoße Art. 5 Abs. 3 BayNatSchG gegen Art. 3 Abs. 1 BV i. V. m. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG und § 3 Abs. 4 BNatSchG, weil letztere Vorschrift als abweichungsfest einzustufen sei. Gleiches gelte für Art. 5 a, 5 b und 5 c BayNatSchG. Der Schutz von Flächen mit Vorkommen geschützter oder gefährdeter Arten sei in §§ 44 ff. BNatSchG, Maßnahmen zur Erhaltung, Pflege, Entwicklung und Neuschaffung ökologisch wertvoller Lebensräume seien in §§ 19, 26 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 sowie § 6 Abs. 3 Nrn. 2 und 5 BNatSchG abschließend und abweichungsfest geregelt. Auch die bundesrechtlichen Regelungen (§§ 31 ff. BNatSchG) zur natur- und artenschutzverträglichen Bewirtschaftung und Pflege u. a. von Natura 2000- Gebieten und Naturschutzgebieten seien abweichungsfest.
35
Für Art. 11 b BayNatSchG fehle dem Freistaat Bayern ersichtlich die Gesetzgebungskompetenz. Ein Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen stelle einen allgemeinen Grundsatz des Naturschutzrechts dar. Gentechnik im Sinn von Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG sei weit zu verstehen und umfasse die Veränderung des pflanzlichen Erbguts. Da insoweit die Voraussetzungen zur Wahrung der Rechtseinheit vorlägen (Art. 72 Abs. 2 GG), bleibe für die Landesgesetzgebung kein Spielraum mehr. Der Bund habe in § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2, § 3 Nr. 5, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 sowie § 16 a GenTG erkennbar abschließende Regelungen getroffen. Spielraum für die Länder, noch dazu für die Einführung eines Totalverbots, bestehe nicht. Letzteres würde § 14 Abs. 4 GenTG ad absurdum führen und auch § 16 a Abs. 1 GenTG wäre sinnlos, wenn jedes Bundesland nach freiem Belieben die Meldepflicht bei der Bundesbehörde gemäß § 16 a Abs. 2 GenTG umgehen könnte. Die Nichtigkeit der Norm erfasse auch Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 a BayNatSchG.
36
Art. 11 c BayNatSchG (klimaneutrale Verwaltung) verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und die Wesentlichkeitstheorie.
37
Die Regelungen zum Biotopverbund seien ohnehin verfassungswidrig, sodass Ausführungen zu Art. 19 BayNatSchG dem Grund nach entbehrlich seien; die der Wesentlichkeitstheorie und dem Bestimmtheitsgrundsatz widersprechende Regelung sei durch den „Versöhnungsgesetzgeber“ nochmals „verschlimmbessert“ worden. Im Übrigen werde in die informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, wenn Landwirte kontaktiert und aufgefordert würden, ihr Grundstück im Wege kooperativer Maßnahmen für den Biotopverbund zur Verfügung zu stellen.
38
Der Inhalt des Art. 42 Abs. 1 Satz 3 BayNatSchG sei durch den Verweis auf den verfassungswidrigen Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BayNatSchG nicht bestimmbar; die Norm sei deshalb auch nicht vollziehbar. Gleiches gelte für Art. 44 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 BayNatSchG.
39
Art. 15 Abs. 1 BayImSchG (entspricht mittlerweile Art. 9 Abs. 1 BayImSchG i. d. F. des Gesetzes vom 10.12.2019 GVBl S. 686) verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, weil die Morgendämmerung als Ende der „Verbotsfrist“ nicht präzise bestimmbar sei, was wegen der Bußgeldbewehrung indes erforderlich sei.
40
Absatz 2 der Vorschrift sei grundgesetzwidrig, weil das Verbot von Werbeanlagen im Außenbereich durch die §§ 29, 35 BauGB bundesrechtlich abschließend geregelt sei. Auch die Privilegierung der Gaststättenbetreiber gegenüber Gewerbebetrieben und beider gegenüber anderen Betrieben wie Vergnügungsstätten oder kulturellen Einrichtungen leuchte nicht ein und verstoße gegen die Berufsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit.
41
Willkürlich sei auch Art. 7 Abs. 2 BayBO, soweit Flächen nicht erfasst würden, die teilweise im Eigentum des Freistaates stünden. Dies gelte auch für Art. 21 Abs. 1 bis 3, Art. 63 Abs. 2 BayWG. Da die Regelung dem Artenschutz diene, fehle dem Freistaat die Gesetzgebungskompetenz. Insoweit räume § 38 Abs. 3 Satz 2 WHG den Ländern zwar einen Spielraum ein, der ihnen aber von Verfassungs wegen nicht zustehe. Im Hinblick auf Art. 21 BayWG sei wegen einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG auch das Zitiergebot verletzt.
42
Der Einwand fehlender Gesetzgebungskompetenz werde auch gegen Art. 5 Abs. 4 ZuVLFG (entspricht mittlerweile Art. 8 ZuVLFG i. d. F. des Gesetzes vom 23.12.2022 GVBl S. 695) erhoben, der im Übrigen durch die davon ausgelösten Umsatzeinbußen die Berufsfreiheit der Hersteller von Totalherbiziden verletze.
Auch die rechtsstaatliche Mindestvoraussetzung, die Abweichung von § 5 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG als solche zu kennzeichnen, sei nicht erfüllt worden. Jedenfalls liege eine Abweichung von § 12 Abs. 2 PflSchG vor, der teilweise andere und vor allem weitergehende Ausnahmen zulasse.
43
Verfassungsrechtlichen Bedenken unterlägen auch Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 18 und 19 und Art. 9 Abs. 4 BayAgrarWiG, Art. 12 a BayWaldG und der Verweis auf den verfassungswidrigen Biotopverbund in Art. 30 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG. Ein Verstoß gegen das Zitiergebot liege auch im Hinblick auf die Einschränkung von Art. 8 und 11 GG durch Art. 12 a BayWaldG und Art. 30 Abs. 2 BayStrWG vor.
44
Halte man das Versöhnungsgesetz nicht bereits in Gänze für formell verfassungswidrig, könnten verbleibende materiell verfassungskonforme Regelungen nicht bestehen bleiben, weil sie wegen des einheitlichen Regelungsprojekts ansonsten nicht so erlassen worden wären.
45
2. Verfahren Vf. 19-VII-19 (Popularklage)
46
Zur Zulässigkeit der ebenfalls am 14. November 2019 erhobenen Popularklage, die mit Schriftsätzen vom 19. Januar 2021, 21. Dezember 2021, 10. Juni 2022 und 28. September 2022 weiter vertieft worden ist, führen die von demselben Bevollmächtigten wie die Antragstellerin der Meinungsverschiedenheit vertretenen Antragsteller aus, sie seien als Landwirte von den meisten der in beiden Antragsgegenständen enthaltenen Regelungen auch persönlich betroffen.
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Nach Art. 55 Abs. 2 VfGHG seien die im Verfahren der Meinungsverschiedenheit als Antragsgegner Benannten auch im Popularklageverfahren zu beteiligen. Zu den übrigen Beteiligten im Sinn der Vorschrift zählen die Popularkläger insoweit das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration unter Bezugnahme auf Art. 55 Nr. 2 BV, den Ministerpräsidenten wegen seiner Prüfungspflicht beim Ausfertigen von Gesetzen und die Staatskanzlei, weil sie auch bei der Meinungsverschiedenheit zu hören sei. Gleiches gelte für die Landtagsfraktionen der CSU und der FREIEN WÄHLER und die Landtagspräsidentin.
48
In Bezug auf die Darlegung einer Grundrechtsverletzung trägt der Bevollmächtigte für die Antragsteller vor, dass sich die Popularklage zwar im Grundsatz gegen einzelne Normen wenden müsse, nicht gegen ein mehrere Vorschriften umfassendes Gesetz im Ganzen. Eine anerkannte Ausnahme gelte jedoch dann, wenn ein Gesetz insgesamt mit der Rüge angegriffen werde, es verletze das Grundrecht der Handlungsfreiheit (Art. 101 BV), weil es nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sei und deshalb nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehöre. Denn die Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren seien insoweit vor die Klammer gezogen. Auch im Hinblick auf andere Freiheitsrechte wie namentlich das Eigentumsrecht aus Art. 103 BV oder das Grundrecht aus Art. 7 Abs. 2 BV könne im Ergebnis nichts anderes gelten.
49
Die formelle Verfassungswidrigkeit des „Rettet die Bienen!“-Gesetzes wird mit entsprechendem Sachvortrag wie im Verfahren der Meinungsverschiedenheit gerügt. Die dargelegten formalen Verstöße gegen Art. 83 Abs. 3 und 7 BV, die zugleich einen Verstoß gegen Art. 73 BV darstellten, verletzen nach Auffassung der Antragsteller (i. V. m. Art. 74 Abs. 2 BV) die Grundrechte der Bürger aus Art. 7 Abs. 2 BV sowie die Finanzhoheit der Kommunen als Teil der kommunalen Selbstverwaltung, das Anhörungsrecht der kommunalen Spitzenverbände sowie das Budgetrecht des Parlaments. Dieses dürfe nicht an die Exekutive und auch nicht an das Volk „outgesourced“ werden. Wo dies geschehe, werde das Wahlrecht des Bürgers zur Volksvertretung in seinem substanziellen Bestimmungsgehalt verletzt. Somit sei das Zustandekommen des Gesetzes durch eine zumindest mögliche Verletzung einer Vielzahl an Grundrechten gekennzeichnet. Die Eingriffe in die Freiheiten der Bürger aus Art. 103 Abs. 1 BV und Art. 101 BV seien somit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Im Rahmen der Ausführungen zur Zulässigkeit der Popularklage wird abschließend erneut gerügt, dass der Verfassungsausschuss des Landtags nach Abschluss des Eintragungs- und Zulassungsverfahrens des Volksbegehrens das Inkrafttretensdatum des 1. August 2019 eingefügt habe. Dieses hätte vom Volksbegehrensgesetzentwurf nicht offengelassen werden dürfen, da die Bürger, namentlich die von Grundrechtseingriffen betroffenen Landwirte, über diese Thematik hätten informiert werden müssen. Insoweit liege ein Verstoß gegen Art. 66 Abs. 1 LWG vor. Im Rahmen der Volksgesetzgebung müsse auf allen drei Stufen (Zulassungsverfahren, Eintragungsverfahren und Volksentscheid bzw. vollständige Übernahme durch das Parlament) eine vollständige inhaltliche Kongruenz vorliegen. Insoweit werden auch Grundrechtseingriffe in Bezug auf Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 BV geltend gemacht.
50
Zur Zulässigkeit der Popularklage gegen das Versöhnungsgesetz beziehen sich die Antragsteller auf den Vortrag zum „Rettet die Bienen!“-Gesetz. Das Versöhnungsgesetz greife in die allgemeine Handlungs- und Berufsfreiheit der Bürger (Art. 101 BV), in das Grundrecht auf Eigentum (Art. 103 BV) und zumindest in Teilen auch in das Grundrecht aus Art. 118 Abs. 1 BV (allgemeiner Gleichheitsgrundsatz) ein. Diese Grundrechtseingriffe seien bereits deshalb verfassungswidrig, weil aus der formellen und materiellen Verfassungswidrigkeit des Volksbegehrens(gesetzes) jedenfalls die formelle Verfassungswidrigkeit des Versöhnungsgesetzes folge. Der Grund hierfür liege in dem juristischen, redaktionellen und auch politisch engen, untrennbaren Zusammenhang zwischen den beiden Gesetzen. Der Vortrag zur etwaigen formellen Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 83 Abs. 3 und 7 BV und zur Frage, ob das Versöhnungsgesetz als materieller Gegenentwurf im Sinn von Art. 74 Abs. 4 BV zu verstehen sei, sowie die Rechtsbehauptung, das Versöhnungsgesetz verstoße gegen den Grundsatz der Rücksichtnahme und Organtreue zwischen parlamentarischem und Volksgesetzgeber, werden in diesem Zusammenhang wiederholt.
51
Zur Begründetheit der Popularklage in Bezug auf beide angefochtenen Gesetze erneuern die Antragsteller über ihren Bevollmächtigten den Sachvortrag aus dem Verfahren der Meinungsverschiedenheit. Die Popularklage wurde dahingehend erweitert, dass die Unvereinbarkeit des Art. 57 Abs. 1 Nr. 5 BayNatSchG mit Art. 118 Abs. 1 BV festgestellt werden soll. Es sei nicht gerechtfertigt, die Biotope i. S. d. Art. 23 Abs. 1 BayNatSchG in Bezug auf die ordnungswidrigkeitenrechtliche Bewehrung ihrer Zerstörung oder wesentlichen Beeinträchtigung unterschiedlich zu behandeln.
III.
52
1. Der Bayerische Landtag hält die Meinungsverschiedenheit für unzulässig, soweit seine Präsidentin als Antragsgegnerin bezeichnet wurde. Eigene Rechte erkenne die Bayerische Verfassung ihr im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht zu, insbesondere nicht im Zusammenhang mit der Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen, die gemäß Art. 76 Abs. 2 BV dem Ministerpräsidenten obliege.
53
Auch der Landtag als solcher sei kein zulässiger Antragsgegner, weil der Streit nicht „mit“ dem, sondern „im“ Landtag ausgetragen worden sei. Die Beauftragten des Volksbegehrens seien keine am parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe. Als zulässige Antragsgegner verblieben allein die Staatsregierung sowie die beiden Regierungsfraktionen, nicht auch der Ministerpräsident, die Staatskanzlei und das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration.
54
Weiter erweise sich die Meinungsverschiedenheit als unzulässig, soweit sie sich auf Gesichtspunkte beziehe, die im vorausgegangenen parlamentarischen Verfahren von der antragstellenden Fraktion nicht thematisiert worden seien. Dies betreffe sämtliche Fragen der materiellen Verfassungsmäßigkeit der beiden Gesetze, die nunmehr erstmalig vorgetragen würden. Ob eine Landtagsfraktion im Verfahren der Meinungsverschiedenheit geltend machen könne, die Verfassung sei verletzt, weil ein Volksentscheid hätte durchgeführt werden müssen, sei fraglich, weil sie keinen Anspruch auf Durchführung eines Volksentscheids habe. Im Rahmen des Art. 75 Abs. 3 BV könne nur beantragt werden zu prüfen, ob ein Gesetz die Verfassung verletzt, nicht aber, ob im Rahmen eines Volksgesetzgebungsverfahrens ein Volksentscheid hätte durchgeführt werden müssen. Der Landtag könne jederzeit Gesetze beschließen. Sie würden nicht verfassungswidrig, weil zu Unrecht kein Volksentscheid durchgeführt worden sei.
55
Die Popularklage sei mangels Substanziierung der behaupteten Einschränkung von Grundrechten unzulässig. Sie sei aber auch unbegründet, weil die beiden angegriffenen Gesetze formell ordnungsgemäß zustande gekommen und auch inhaltlich verfassungsgemäß seien. Entgegen der Ansicht der Antragsteller seien die beiden Änderungsgesetze und die dort enthaltenen Bestimmungen nicht jeweils isoliert zu betrachten. Sie seien nicht kompetenzwidrig, da das Land zur Abweichungsgesetzgebung befugt gewesen sei, weil allgemeine Grundsätze des Naturschutzrechts und das Recht des Artenschutzes vorliegend nicht berührt seien und Widersprüche zum Bundesrecht nicht bestünden. Ein Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip liege nicht vor. Die kommunalen Spitzenverbände seien zum Entwurf des Versöhnungsgesetzes im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren angehört worden, im Volksgesetzgebungsverfahren bestehe keine Verpflichtung zur Anhörung. Die angegriffenen Regelungen seien inhaltlich hinreichend bestimmt und auch vollziehbar. Wie die jeweiligen Zielvorgaben erreicht werden könnten, müsse nicht zwingend gesetzlich geregelt werden. Die Normierung eines vorrangigen Ziels zur Erhaltung oder Erreichung der biologischen Vielfalt sei im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens möglich und zulässig. Unverhältnismäßige Eingriffe in das Eigentumsgrundrecht lägen nicht vor. Das Gesetz sehe ausdrücklich Ausnahme- und Ausgleichsmöglichkeiten hinsichtlich der normierten Verbotstatbestände vor. Daneben verbleibe die Möglichkeit, Befreiungen nach § 67 BNatSchG zu erteilen. Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz seien ebenfalls nicht erkennbar. Die im Gesetz vorgenommenen Differenzierungen erwiesen sich als sachgerecht.
56
2. Die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag beantragt die Abweisung der Anträge. Die angegriffenen Bestimmungen des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern und das Versöhnungsgesetz verletzten keine Bestimmungen der Bayerischen Verfassung. Als Antragsgegner kämen nur die Bayerische Staatsregierung und die beiden Regierungsfraktionen in Betracht. Soweit Rügen nicht bereits im parlamentarischen Verfahren vorgetragen worden seien, sei die Antragstellerin präkludiert.
57
3. Die Landtagsfraktion der FREIEN WÄHLER hält die Anträge bereits für unzulässig. Der Wortlaut des Art. 75 Abs. 3 BV lege nahe, dass im Rahmen einer Meinungsverschiedenheit nur eine inhaltliche Abweichung von der Verfassung geltend gemacht werden könne. Die Frage, ob ein Gesetz formell ordnungsgemäß zustande gekommen sei, sei demnach nicht zulässiger Gegenstand einer Meinungsverschiedenheit. Wenn die Antragstellerin verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf die Verfahrensweise vorbringe, weil aus ihrer Sicht ein Volksentscheid hätte durchgeführt werden müssen, da der Volksbegehrensentwurf angeblich nicht unverändert angenommen worden sei, erschließe sich auch keine Meinungsverschiedenheit zur Landtagsfraktion der FREIEN WÄHLER, weil diese zu diesem Vorwurf im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht explizit Stellung genommen habe. Zwischenrufe eines Mitglieds der Fraktion reichten insoweit nicht aus. Auch sonstige Wortbeiträge oder Handlungen der Fraktion führten zu keiner anderen Bewertung. Da sechs Angehörige der Fraktion der FREIEN WÄHLER den Volksbegehrensgesetzentwurf in namentlicher Abstimmung abgelehnt hätten und ein Fraktionsmitglied auch das Versöhnungsgesetz abgelehnt habe, habe die Fraktion auch nicht durch ihr Abstimmungsverhalten eine Meinungsverschiedenheit konkretisiert zum Ausdruck gebracht.
58
Die Anträge seien zudem unbegründet. Ein Verstoß des Versöhnungsgesetzes gegen den Grundsatz der Rücksichtnahme und Organtreue liege nicht vor.
59
4. Die Beauftragte und der stellvertretende Beauftragte des Volksbegehrens vertreten über ihren Bevollmächtigten die Auffassung, dass sie zu Unrecht als Antragsgegner qualifiziert würden. Die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs in der Entscheidung zur Abschaffung des Bayerischen Senats (vom 17.9.1999 VerfGHE 52, 104/121 f.) ließen sich nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen. Ein Interessenkonflikt zwischen den Beauftragten des Volksbegehrens und den den Gesetzentwurf befürwortenden Gesetzgebungsorganen, aus dem sich Rechtsschutzdefizite zum Nachteil der Beauftragten herleiten ließen, bestehe nicht. Das Versöhnungsgesetz sei ein Akt der Parlamentsgesetzgebung, nicht der Volksgesetzgebung; auch insoweit dürften die Beauftragten des Volksbegehrens nicht in das Verfahren der Meinungsverschiedenheit involviert werden.
60
Soweit die Antragsschrift einen angeblichen Verstoß gegen Art. 63 Abs. 2 Satz 1 und 3 LWG moniere, sei die Rüge zurückzuweisen, weil die Eintragungslisten des Volksbegehrens nach § 78 Abs. 1 LWO entsprechend dem Muster der Anlage 20 erstellt worden seien. Der Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens habe § 72 Abs. 1 Satz 1 LWO i. V. m. Anlage 18 entsprochen und die Beauftragte des Volksbegehrens und ihre Stellvertreter genannt.
61
Im Verfahren der Popularklage sei zweifelhaft, ob eine Anhörung der Beauftragten des Volksbegehrens nach Art. 55 Abs. 2 VfGHG i. V. m. Art. 82 LWG in Betracht komme. Letztgenannte Vorschrift betreffe nur die Konstellation, in der ein Volksbegehren durch Volksentscheid angenommen werde.
62
5. Die Bayerische Staatsregierung und die Antragsgegner zu 2, 4 und 5 halten, vertreten durch ihren gemeinsamen Bevollmächtigten, die Meinungsverschiedenheit nur insoweit für zulässig, als sie sich gegen die Bayerische Staatsregierung und die beiden Regierungsfraktionen richtet, und auch dies nur, soweit die Meinungsverschiedenheit bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden ist. Dies sei ausschließlich im Hinblick auf die das Gesetzgebungsverfahren betreffenden Vorschriften über dessen Fortgang nach Unterbreitung des rechtsgültigen Volksbegehrens der Fall. Im Übrigen seien die Anträge im Verfahren der Meinungsverschiedenheit als unzulässig abzuweisen.
63
Die Anträge im Popularklageverfahren sind nach Auffassung der Staatsregierung nur teilweise zulässig, weil die dortigen Antragsteller ihrer Pflicht, in substanziierter Weise die Verletzung von Grundrechten der Bayerischen Verfassung durch die beiden angegriffenen Gesetze darzulegen, nur zu einem kleinen Teil entsprochen hätten. Im Hinblick auf diejenigen angegriffenen Vorschriften der beiden Gesetze, bezüglich derer keine Grundrechtsverstöße gerügt worden seien, sei keine Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof möglich. Eine Ausnahme gelte lediglich für die Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren nach Art. 71 bis 74 BV (nicht aber im Hinblick auf Art. 83 Abs. 7 Satz 1 BV), weil diese gleichsam „vor die Klammer gezogen“ seien. Zu einzelnen Vorschriften wird insoweit ausgeführt:
64
Die Behauptung, der Gesetzgeber habe in Bezug auf Art. 1 a BayNatSchG keine sachgerechte Abwägung im Hinblick auf das Eigentumsgrundrecht vorgenommen, sei als Grundrechtsrüge unsubstanziiert, weil durch keinen der drei Sätze der Vorschrift Pflichten von Landwirten, d. h. Grundrechtsträgern, begründet würden. Zu Art. 3 Abs. 2 Satz 2 BayNatSchG, der nach dem eindeutigen Wortlaut nur den „Staatswald“ erfasse, fehle ebenfalls eine substanziierte Grundrechtsrüge, da der allgemeine Gleichheitssatz nur in der Überschrift genannt werde und mithin weder dargetan sei, worin ein Gleichheitsverstoß bestehen solle bzw. warum er nicht gerechtfertigt werden könne. Art. 141 Abs. 1 BV sei nach Wortlaut und Systematik Bestandteil des „objektiven Verfassungsrechts“, kein Grundrecht. In Bezug auf Art. 19 Abs. 1, 2 Sätze 3 bis 5 und Abs. 4 BayNatSchG werde weder beschrieben, worin hier Grundrechtseingriffe liegen sollten, noch aus welchem Grund diese unverhältnismäßig sein sollten. In sämtlichen (zuletzt) genannten Vorschriften würden weder Verpflichtungen noch Ziele der Grundstückseigentümer normiert. Die Rüge der Antragsteller, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 BayNatSchG verstoße im Hinblick auf die hierdurch bewirkte Einbeziehung von Streuobstwiesen und arten- und strukturreichem Dauergrünland in den Biotopschutz gegen das Gleichheitsgrundrecht und die nulla poena sine lege-Regel, sei ebenso wenig berechtigt wie der Vorwurf, die Abstandsregel des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BayNatSchG sei zu unbestimmt.
65
Zur Begründetheit der Anträge sei (überwiegend hilfsweise) festzustellen, dass alle angegriffenen Bestimmungen mit der Bayerischen Verfassung vereinbar seien.
IV.
66
Die Anträge in beiden Verfahren sind jeweils nur zum Teil zulässig.
67
1. Verfahren Vf. 18-VIII-19 (Meinungsverschiedenheit)
68
Nach Art. 75 Abs. 3 BV entscheidet der Verfassungsgerichtshof Meinungsverschiedenheiten darüber, ob durch ein Gesetz die Verfassung geändert wird oder ob ein Antrag auf unzulässige Verfassungsänderung vorliegt. Diese Voraussetzungen sind gemäß Art. 49 Abs. 1 VfGHG auch erfüllt, wenn die Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob durch ein Gesetz die Verfassung verletzt wird. Die Meinungsverschiedenheit muss zwischen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen oder Teilen derselben entstanden sein; ihnen stehen Fraktionen gleich, die sich mit gegenteiligen Auffassungen gegenüberstehen. Die Meinungsverschiedenheit muss bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden sein. Zwischen der Meinungsverschiedenheit, wie sie den Gegenstand der Verfassungsstreitigkeit bildet, und den während der Gesetzesberatungen im Landtag erhobenen Rügen muss grundsätzlich Identität hinsichtlich der gesetzlichen Vorschriften und der als verletzt erachteten Verfassungsnormen bestehen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 27.7.1972 VerfGHE 25, 97/108 ff.; vom 19.10.1994 VerfGHE 47, 241/252; vom 9.5.2016 VerfGHE 69, 125 Rn. 107 und 109; vom 26.8.2021 BayVBl 2021, 808 Rn. 44; vom 26.8.2021 BayVBl 2022, 9, vgl. Rn. 51 bei juris – in BayVBl insoweit nicht abgedruckt).
69
a) Vorliegend hat die Antragstellerin, die AfD-Fraktion, die als Teil des Landtags nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 VfGHG antragsberechtigt ist, am Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt und die streitgegenständlichen Gesetze abgelehnt. Als Antragsgegner hat sie zutreffend die beiden Koalitionsfraktionen der CSU und der FREIEN WÄHLER im Landtag (Antragsgegner zu 7 und 8) benannt (vgl. VerfGHE 25, 97/108; VerfGH vom 21.11.2016 VerfGHE 69, 290 Rn. 60; vom 30.7.2018 BayVBl 2019, 158 Rn. 42; vom 3.12.2019 – Vf. 6-VIII-17 u. a. – juris Rn. 88; vom 28.8.2020 BayVBl 2020, 803 Rn. 38), mit deren Stimmen die angefochtenen Gesetze verabschiedet worden sind. Fraktionen sind schon dann verfahrensbeteiligt, wenn sie in sich die Mehrheit der sich mit gegenteiligen Auffassungen gegenüberstehenden Abgeordneten vereinigen (VerfGHE 47, 241/252). Es kommt demnach weder darauf an, dass nicht alle Fraktionsmitglieder der FREIEN WÄHLER den Gesetzen zugestimmt haben, noch muss die die Gesetze verabschiedende Fraktion den verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragsteller ausdrücklich widersprochen haben.
70
Der Landtag ist zwar Beteiligter des Verfahrens, aber nicht Streitteil; er kommt deshalb als Antragsgegner hier nicht in Betracht (vgl. VerfGHE 25, 97/107 f.; VerfGH vom 27.6.2023 – Vf. 12-VIII-22 u. a. – juris Rn. 50). Ob die Staatsregierung (Antragsgegnerin zu 1) auch dann richtiger Antragsgegner ist, wenn sie Gesetzentwürfe nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hat, sondern lediglich mit deren Vorlage ihr Konzept vorgelegt hat, kann offenbleiben, da die Meinungsverschiedenheit, soweit sie zulässig erhoben worden ist, unbegründet ist.
71
Die weiteren bezeichneten Antragsgegner können von der Antragstellerin nicht in Anspruch genommen werden. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (Antragsgegner zu 2) war während des Parlamentsgesetzgebungsverfahrens nicht als ein mit eigenen Rechten ausgestattetes Organ beteiligt. Der Ministerpräsident (Antragsgegner zu 4) ist nur namens der Staatsregierung aufgetreten. Die von ihm vorgenommene Ausfertigung der Gesetze liegt nach Abschluss des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens. Der Bayerischen Staatskanzlei kommt in diesem Verfahren ebenso wenig eine Beteiligtenstellung zu wie der Landtagspräsidentin, der die Bayerische Verfassung keine auf den Inhalt von Gesetzentwürfen bezogenen Rechte oder Kompetenzen einräumt und deren die Sitzungsleitung betreffenden Rechte und Pflichten (Art. 21 BV) nicht inmitten stehen. Auch die Beauftragten des Volksbegehrens waren am parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren nicht beteiligt und sind damit kein Streitteil. Ob sie ohne ihre Inanspruchnahme durch die Antragstellerin am Verfahren zu beteiligen wären, kann dahinstehen, die Voraussetzungen des Art. 82 LWG liegen jedenfalls nicht vor.
72
b) Jedoch ist die geltend gemachte Meinungsverschiedenheit zwischen der Antragstellerin und den zulässig in Anspruch genommenen Antragsgegnern über die Verfassungsmäßigkeit der streitgegenständlichen Gesetze nur in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 74 Abs. 3 bis 5 BV im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden. Im Übrigen genügt die erfolgte ablehnende Abstimmung für sich allein genommen nicht, vielmehr muss die Meinungsverschiedenheit konkretisiert zum Ausdruck gebracht worden sein (VerfGHE 25, 97/109; VerfGHE 47, 241/ 252 f.; VerfGH BayVBl 2020, 803 Rn. 40).
73
In Bezug auf das Konnexitätsprinzip nach Art. 83 Abs. 3 BV ist eine Meinungsverschiedenheit im Gesetzgebungsverfahren nicht hervorgetreten. Obwohl Abgeordnete der Antragstellerin – trotz gegebenenfalls knapper Redezeit – allgemeine Ausführungen zu den angefochtenen Gesetzen gemacht haben, sind sie darauf bis zur Schlussabstimmung nicht eingegangen (vgl. VerfGH BayVBl 2022, 9 Rn. 55). Dass ein Abgeordneter der Antragstellerin im Verfassungsausschuss am 11. Juli 2019 in einem Redebeitrag geäußert hat, dass die Antragstellerin die berechtigten Anliegen der bayerischen Landwirte vertrete und es hier zu einer Enteignung unter dem Deckmantel eines Gesetzes zugunsten der Artenvielfalt komme, genügt ebenfalls nicht. Die Meinungsverschiedenheit muss hinsichtlich der angegriffenen Gesetzesbestimmung(en) und der als verletzt erachteten Verfassungsnorm(en) mit der während der Beratungen zutage getretenen Rüge identisch sein (VerfGHE 25, 97/109). Dieses Erfordernis ist schon mangels Bezeichnung der von diesem Abgeordneten im Einzelnen mit dem Vorwurf der Enteignung gemeinten Vorschriften, die nicht einmal schlagwortartig nach ihrem Regelungsgegenstand benannt werden, nicht erfüllt. Denn durch das Wort „Meinungsverschiedenheiten“ ist klargestellt, dass der Verfassungsgerichtshof nicht von sich aus die betreffenden Fragen aufgreifen kann (Schweiger in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 75 Rn. 7 unter Verweis auf Prot. I S. 192). Darauf liefe es jedoch hinaus, wenn die bloße, hier zudem lediglich pauschale Bezeichnung eines Grundrechts oder eine Bezugnahme auf die Grundrechte ohne konkrete Zuordnung genügen würde.
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2. Verfahren Vf. 19-VII-19 (Popularklage)
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a) Nach Art. 98 Satz 4 BV, Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts. Dazu gehören die angegriffenen Bestimmungen.
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b) Zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage gehört ferner, dass der Antragsteller substanziiert darlegen muss, inwiefern die angefochtenen Rechtsvorschriften nach seiner Meinung zu einer Grundrechtsnorm der Bayerischen Verfassung in Widerspruch stehen (Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG). Unzulässig ist die Popularklage, wenn und soweit eine als verletzt bezeichnete Norm der Verfassung kein Grundrecht gewährt. Sie ist weiter unzulässig, wenn zwar ein Grundrecht als verletzt gerügt wird, eine Verletzung der entsprechenden Norm nach Sachlage aber von vornherein nicht möglich ist, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird. Eine ausreichende Grundrechtsrüge liegt nicht schon dann vor, wenn ein Antragsteller lediglich behauptet, dass die angegriffene Rechtsvorschrift nach seiner Auffassung gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Antragsteller muss seinen Vortrag vielmehr so präzisieren, dass der Verfassungsgerichtshof beurteilen kann, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnorm berührt ist und ob eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint. Die zur Überprüfung gestellten Tatsachen und Vorgänge müssen dies zumindest als möglich erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 26.6.2012 VerfGHE 65, 118/122 f.; vom 28.6.2022 BayVBl 2022, 625 Rn. 39, jeweils m. w. N.).
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Greift der Antragsteller mehrere Rechtsvorschriften an, so muss dies grundsätzlich für jede von ihnen ersichtlich sein (VerfGH vom 27.8.2018 VerfGHE 71, 235 Rn. 19). Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn ein Gesetz insgesamt oder eine sonstige Normengesamtheit mit der Rüge angegriffen wird, das Grundrecht der Handlungsfreiheit sei verletzt, weil die Normen nicht ordnungsgemäß zustande gekommen seien und deshalb nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörten (VerfGH vom 4.3.2009 VerfGHE 62, 30/35 m. w. N.). Dieser Vorwurf betrifft bei einem mehrere Normen umfassenden Gesetz jede einzelne Norm gleichermaßen, weil die Regelungen über das Normgebungsverfahren insoweit vor die Klammer gezogen sind (VerfGH vom 17.11.2005 VerfGHE 58, 253/260).
78
Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, anstelle des Antragstellers zu formulieren, in welcher Hinsicht die angegriffene Norm in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreifen und eine etwaige Rechtfertigung des Eingriffs fehlerhaft sein könnte (vgl. VerfGH vom 29.3.2022 – Vf. 48-VII-21 – juris Rn. 10, 20). Nach der Rechtsprechung kommt es für die Verhältnismäßigkeit einer Vorschrift, die ein Verhalten verbietet, entscheidend darauf an, ob Härtefällen ausreichend durch Ausnahmevorschriften Rechnung getragen wird (vgl. VerfGH vom 28.6.2013 VerfGHE 66, 101/123; vom 9.2.2021 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 92, 111). Sieht die angegriffene Vorschrift derartige Ausnahmen vor, ist es Sache des Antragstellers, der sich auf die Unverhältnismäßigkeit einer Vorschrift beruft, darzulegen, weshalb die angegriffene Vorschrift dennoch unverhältnismäßig ist (ähnlich im Rahmen der Rechtssatzverfassungsbeschwerde BVerfG vom 30.12.2012 – 1 BvR 502/09 – juris Rn. 8). Weiter genügt es bei Verbotsgesetzen, die sich an Grundrechtsträger richten, nicht, lediglich das korrespondierende Freiheitsrecht zu benennen, wenn von dieser Freiheit aus Rechtsgründen kein Gebrauch gemacht werden kann.
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c) Nach diesem Maßstab gilt für die Popularklage Folgendes:
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aa) In Bezug auf die geltend gemachte Verpflichtung, einen Volksentscheid abzuhalten, ist eine Grundrechtsverletzung nach Sachlage schlechthin ausgeschlossen, soweit die Antragsteller sich auf das Grundrecht auf Teilhabe an der Staatsgewalt berufen (Art. 7 Abs. 2 BV). Denn die angefochtenen Gesetze wurden im Wege der Parlamentsgesetzgebung beschlossen. Insoweit ist dieses als Teilhabegrundrecht ausgestaltete Grundrecht, das die rechtliche Gleichbehandlung aller Wahlberechtigten garantiert, nicht betroffen. Dass der Verfassungsgerichtshof Art. 7 Abs. 2 BV spezifische verfahrensrechtliche Grundrechtsansprüche, wie etwa das Gebot der Abstimmungsfreiheit oder das Koppelungsverbot entnommen hat (Br. in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 7 Rn. 6), ändert daran nichts.
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bb) Der Verfassungsgerichtshof nimmt im Rahmen von Popularklagen einzelner Bürger grundsätzlich auch dann keine Prüfung anhand des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts (Art. 11 Abs. 2 BV) vor, wenn die Popularklage mit einer anderen Rüge in zulässiger Weise erhoben worden ist. Das Konnexitätsprinzip des Art. 83 Abs. 3 BV, das eine besondere Ausprägung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts darstellt, scheidet daher ebenso wie das Anhörungsrecht der kommunalen Spitzenverbände (Art. 83 Abs. 7 BV) im vorliegenden Verfahren als Prüfungsmaßstab aus (vgl. VerfGH vom 19.4.2007 VerfGHE 60, 80/87 m. w. N.) und ist damit zur Begründung der Zulässigkeit ungeeignet. Die genannten Bestimmungen gehören nicht zu den vor die Klammer gezogenen Regelungen über das Normgebungsverfahren.
82
cc) Soweit sich die Popularklage gegen Art. 11 c BayNatSchG (Klimaneutrale Verwaltung) richtet, ist sie jedenfalls unzulässig geworden, weil der Gesetzgeber diese Bestimmung mit Wirkung vom 1. Januar 2021 durch Gesetz vom 23. November 2020 (GVBl S. 598) aufgehoben hat.
83
Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift verfassungswidrig ist, seiner Beurteilung grundsätzlich den Rechtszustand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann – ausnahmsweise –, wenn noch ein objektives Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren (ständige Rechtsprechung; vgl. zum Ganzen VerfGHE 69, 125 Rn. 103 m. w. N.; vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 juris Rn. 51). Eine Fortführung des Verfahrens scheidet bei Art. 11 c BayNatSchG bereits deshalb aus, weil Grundrechtsverstöße insoweit schon anfänglich nicht benannt wurden, die Vorschrift also nicht in zulässiger Weise angegriffen wurde. Eine Relevanz der Vorschrift gegenüber grundrechtlich geschützten Dritten ist nicht erkennbar. Die Erreichung der formulierten Ziele bzw. die Übernahme der ausgesprochenen Empfehlung steht vollständig in der Eigenverantwortung der jeweiligen Adressaten.
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dd) Ebenfalls unzulässig geworden ist die Popularklage in Bezug auf die Regelung des Art. 11 a BayNatSchG (Himmelstrahler und Beleuchtungsanlagen). Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts, die aufgrund der kompetenzrechtlichen Sperrwirkung eines später erlassenen Bundesgesetzes nachträglich unwirksam geworden sind, sind grundsätzlich kein zulässiger Prüfungsgegenstand einer Popularklage (VerfGH vom 16.12.2010 VerfGHE 63, 220/224 f.; vom 28.9.2021 BayVBl 2021, 843 Rn. 35). Dabei macht nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht im Sinn des Art. 72 Abs. 1 GG grundsätzlich bereits dann Gebrauch, wenn er eine gesetzliche Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen für eine bestimmte Materie schafft (VerfGH vom 27.3.1990 VerfGHE 43, 35/57 f.; vgl. zum Streitstand Wollenschläger in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 72 GG Rn. 207 ff.). So verhält es sich hier. Die Gesetzgebungskompetenz des Freistaates ist jedenfalls mit den am 1. März 2022 in Kraft getretenen § 54 Abs. 6 a und 6 b BNatSchG weggefallen. Diese Verordnungsermächtigungen sind Teil des Gesetzes zum Schutz der Insektenvielfalt in Deutschland und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 18. August 2021 (BGBl I S. 3908). Wie dem Titel des Gesetzes und der zugehörigen Bundestagsdrucksache 19/28182 (S. 12, 26) entnommen werden kann, ist die Regelung dem allgemeinen Artenschutz zugeordnet. Bei Insektenfallen ist dies selbsterklärend, bei den Himmelstrahlern wird auf die erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die Avifauna hingewiesen. Dem Artenschutzrecht geht es dabei um die Bewahrung der gesamten Breite des Spektrums wildlebender Tier- und Pflanzenarten, nicht bloß um einen selektiven Schutz einzelner oder besonders bedrohter Arten (BT-Drs. 16/12374 S. 66; Ge. in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 37 BNatSchG Rn. 3), sodass es insoweit der Auslegung der Bundesartenschutzverordnung nicht bedarf. Mit der bundesgesetzlichen Zuordnung zum Bereich des Artenschutzes ist dem Freistaat die Abweichungsgesetzgebung auf der Grundlage des Naturschutzrechts versperrt (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG). Für das Artenschutzrecht besteht Einigkeit dahingehend, dass, soweit der Bundesgesetzgeber in einem Bereich des Artenschutzrechts von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, landesrechtliche Regelungen nur noch insoweit zulässig sind, als sie ihre Grundlage in entsprechenden Ermächtigungen oder Öffnungsklauseln des Bundesrechts finden (Ge. in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Vorbemerkung vor §§ 37 – 55 BNatSchG Rn. 34; Kratsch in Schuhmacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, Kap. 5 Rn. 17; zu Erwägungen, Art. 11 a BayNatSchG als Lückenfüllung im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung zu verstehen, vgl. Egner in Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Art. 11 a BayNatSchG Rn. 9, ebenso Lohse, BayVBl 2020, 181/188). Denn diese legen den Umkehrschluss nahe, dass für weitergehende landesrechtliche Regelungen kein Raum verbleiben soll (Broemel in v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 72 Rn. 20 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Fn. 96). Dementsprechend ist eine in Bezug auf den Insektenschutz ursprünglich bestehende Regelungslücke inzwischen weggefallen. Mangels einer Öffnungsklausel in Bezug auf Himmelstrahler und Projektionsscheinwerfer und wegen der im Übrigen abschließenden bundesrechtlichen Regelung ist jedenfalls nun ein abweichendes Tätigwerden des Landesgesetzgebers ausgeschlossen.
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Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des Art. 11 a BayNatSchG im Hinblick auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der Verordnungsermächtigungen des § 54 Abs. 6 a und 6 b BNatSchG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Wie dargelegt, unterliegen außer Kraft getretene Rechtsvorschriften der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann – ausnahmsweise –, wenn noch ein objektives Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren.
Hierfür sind keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich.
86
ee) Soweit zahlreiche Bestimmungen der streitgegenständlichen Gesetze mit der Begründung angegriffen werden, sie seien nicht bestimmt genug, entsprächen nicht der Wesentlichkeitstheorie und seien mit der Kompetenzordnung nicht vereinbar, setzen diese Rügen zunächst eine substanziiert erhobene Grundrechtsrüge hinsichtlich einer bestimmten Vorschrift der angegriffenen Gesetze voraus. Dabei ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs zu überprüfen, wie die angegriffenen Rechtsnormen in der Praxis vollzogen werden (VerfGH vom 17.6.2006 VerfGHE 59, 63/68; BayVBl 2022, 625 Rn. 36; vom 10.4.2023 – Vf. 4-VII-22 – juris Rn. 28). Ebenso wenig ist es Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, vor oder mit Beginn des Verwaltungsvollzugs eines Gesetzes für eine einfachrechtlich verbindliche Auslegung der neu erlassenen Vorschriften zu sorgen (vgl. VerfGHE 63, 220/228). Eine substanziierte Grundrechtsrüge fehlt in Bezug auf folgende Vorschriften:
87
(1) Soweit die Antragsteller zu Art. 1 a BayNatSchG eine „sachgerechte Abwägung“ im Hinblick auf das den Landwirten zustehende Eigentumsgrundrecht des Art. 103 BV vermissen, wird nicht dargetan, dass sich bereits aus dieser Selbstverpflichtung des Freistaates Bayern zur Sicherung und Entwicklung der Artenvielfalt eine Beeinträchtigung privater Eigentümerrechte ergeben kann. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem systematischen Standort lässt sich folgern, dass mit der Vorschrift individuelle Rechtspflichten begründet würden. Die ohne weiteren Nachweis aufgestellte Behauptung, der Staat lasse für immer mehr Flächen nur noch die Grundsätze des ökologischen Landbaus zu, genügt nicht, um eine auf Art. 1 a BayNatSchG beruhende mögliche Grundrechtsbetroffenheit Einzelner zu belegen.
88
(2) In Bezug auf Art. 1 b Sätze 1 und 2 BayNatSchG (Naturschutz als Aufgabe für die Erziehung) ist eine Grundrechtsverletzung nicht dadurch dargelegt, dass lediglich behauptet wird, es gebe ein Grundrecht der Schüler aus Art. 101 BV, von Lehrinhalten verschont zu bleiben.
89
(3) Dass Art. 3 Abs. 2 Satz 2 BayNatSchG, der die Forstwirtschaft „im Staatswald“ verpflichtet, eine Grundrechtsverletzung beinhalten soll, erschließt sich nicht. Weder genügt die ursprüngliche Nennung des allgemeinen Gleichheitssatzes in der diesbezüglichen Überschrift ohne Darlegung im Einzelnen noch der Hinweis auf Art. 141 Abs. 1 BV, der nach Wortlaut und Systematik Bestandteil des objektiven Verfassungsrechts ist (Müller in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 141 Rn. 1). Auch mit der Behauptung, der private Wald werde ohne hinreichenden Sachgrund von der schwierigen, teuren und folgenreichen Verpflichtung, als vorrangiges Ziel die biologische Vielfalt des Waldes zu erhalten oder zu erreichen, in Gänze befreit, wird eine Grundrechtsverletzung nicht substanziiert dargelegt.
90
(4) Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 BayNatSchG (Verbot der ersten Mahd vor dem 15. Juni auf zehn Prozent der Grünlandflächen der Landesfläche Bayerns) lässt sich wegen seiner Beschränkung auf einen prozentualen Anteil an der Landesfläche nicht als Verpflichtung jedes einzelnen Landwirts verstehen; eine individuelle Grundrechtsbetroffenheit ist daher nicht ersichtlich. Art. 3 Abs. 4 Satz 4 BayNatSchG formuliert in Form einer Soll-Vorschrift den Handlungsauftrag an die Verwaltung, das bayernweite Ziel durch freiwillige Maßnahmen, namentlich vertragliche Vereinbarungen oder die Teilnahme an Förderprogrammen, auf Flächen einzelner Betriebe in allen Landesteilen herunterzubrechen (LT-Drs. 18/1736 S. 8, 18/1816 S. 11; Fischer-Hüftle in Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Art. 3 BayNatSchG Rn. 44). Mithin ist auch hier eine Grundrechtsverletzung von vornherein ausgeschlossen.
91
(5) In Bezug auf Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 BayNatSchG ist die Darlegung eines Grundrechtsverstoßes gänzlich unterblieben.
92
(6) Eine Grundrechtsverletzung ist auch betreffend der in Art. 3 a BayNatSchG vorgesehenen Pflicht der obersten Naturschutzbehörde zur Vorlage eines Berichts zur Lage der Natur ausgeschlossen. Die Abgeordneten sind weder zur Kenntnisnahme noch zur Lektüre des Berichts verpflichtet. Wenn die Antragsteller in der Pflicht zur Berichtserstellung eine Einschränkung der „Berufsfreiheit der Beamten und Angestellten der Obersten Naturschutzbehörde, die die derart umfangreichen und komplexen Berichte erstellen müssen“, sehen und annehmen, Art. 101 BV bleibe auch bei Beamten anwendbar, verkennen sie, dass der jeweilige Beamte bzw. Angestellte insoweit nur als Amtswalter, also als Organ öffentlicher Verwaltung betroffen ist, nicht indes in seiner persönlichen Rechtsstellung (vgl. Battis, BBG, 6. Aufl. 2022, § 4 Rn. 29).
93
(7) In Bezug auf Art. 5 Abs. 3 BayNatSchG ist die Darlegung eines Grundrechtsverstoßes gänzlich unterblieben.
94
(8) Bezüglich Art. 5 a, 5 b, 5 c BayNatSchG fehlt es ebenfalls an einer substanziierten Grundrechtsrüge. Zu letztgenannter Vorschrift wird wiederum von einer unangemessenen Privilegierung der privaten Wälder und Körperschaftswälder gesprochen. Inwiefern das Bayerische Vertragsnaturschutzprogramm Wald mit seinen Fördermöglichkeiten in Grundrechte eingreifen soll, wird nicht dargelegt.
95
(9) Wenn zu Art. 7 Satz 1 BayNatSchG vorgetragen wird, das Landesrecht verenge damit die allgemeine Handlungsfreiheit derjenigen Personen, die zu Ausgleichsmaßnahmen verpflichtet seien, geht dies am Kern der Regelung vorbei. Die Verpflichtung zu Ausgleichsmaßnahmen ergibt sich bereits aus § 15 Abs. 2 BNatSchG. Die Entscheidung, in welcher Weise die Folgen eines Eingriffs für Natur und Landschaft zu bewältigen sind, obliegt der Behörde (Ge. in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 15 BNatSchG Rn. 29); sie ist nicht von der Handlungsfreiheit des Eingreifenden umfasst. Die Festlegung von bestimmten Modalitäten für die Kompensation in Art. 7 Satz 1 BayNatSchG greift damit auch nicht in die Handlungsfreiheit ein.
96
(10) Zu Art. 11 b BayNatSchG (Gentechnikanbauverbot) wird zwar von den Antragstellern auf die Berufsfreiheit der Landwirte und die Handlungsfreiheit der Konsumenten und damit auf Grundrechte der Bayerischen Verfassung abgestellt. Es ist indes schon nicht ersichtlich, dass von diesen Freiheiten bei Aufhebung der Vorschrift des Art. 11 b BayNatSchG Gebrauch gemacht werden könnte.
97
Der Regelungsbereich der Agrogentechnik ist auf EU-Ebene durch eine Vielzahl von Richtlinien, Verordnungen und Beschlüssen geprägt, zu denen die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte und der Vollzug durch die EU-Institutionen, insbesondere der EU-Kommission hinzukommen (vgl. Mechel in Koch/Hofmann/ Reese, Umweltrecht, 5. Aufl. 2018, § 11 Gentechnikrecht Rn. 39 ff.). Mit der Richtlinie (EU) 2015/412 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 (ABl L 68 vom 13.3.2015 S. 1) wurde die RL 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 (Abl L 106 vom 17.4.2001 S. 1) erheblich geändert mit dem Ziel, zu einer größeren Flexibilisierung der Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten beizutragen, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen zu beschränken. Demgemäß räumt sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, den Anbau genetisch veränderter Pflanzen in ihrem Hoheitsgebiet aus zwingenden Gründen zu untersagen (sog. Opt-Out). Dieser ist zwar in Bezug auf Anbauverbote der Phase 2 (mitgliedstaatliches Opt-Out außerhalb des Zulassungsverfahrens) nicht in Bundesrecht umgesetzt worden, weil entsprechende Gesetzentwürfe des Bundesrats und der Bundesregierung (BT-Drs. 18/6664 einerseits, BT-Drs. 18/10459 und 18/10982 andererseits) der Diskontinuität anheimgefallen sind. Es ist aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass oder inwieweit derzeit überhaupt Zulassungen für das Inverkehrbringen von gentechnisch verändertem Saatgut in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland vorliegen würden. Der Anbau der einzigen derzeit in der EU zugelassenen genetisch veränderten Pflanze MON 810 ist in Deutschland durch den Durchführungsbeschluss (EU) 2016/321 der Kommission vom 3. März 2016 (ABl L 60 vom 5.3.2016 S. 90 bis 92) untersagt (Streinz/Lamers in Streinz/Kraus, Lebensmittelrechts-Handbuch, Rn. 578; Opt-Out im Zulassungsverfahren, Phase 1).
98
Des Weiteren sind die Antragsteller auf die Befreiungsmöglichkeit des § 67 BNatSchG nicht eingegangen (vgl. zu Letzterem Fischer-Hüftle in Fischer-Hüftle/ Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Art. 11 b BayNatSchG Rn. 5). Insoweit genügt es nicht, von einem Totalverbot zu sprechen, das im Widerspruch zum Gentechnikgesetz des Bundes stehe.
99
Ob Letzteres eine Sperrwirkung gegenüber Art. 11 b BayNatSchG aus kompetenzrechtlichen Gründen entfaltet, richtet sich wie auch sonst bei der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben nach den Art. 70 ff. GG (Broemel in v. Münch/Kunig, GG, Art. 70 Rn. 22; Seiler in BeckOK GG, Art. Rn. 8). Der Entwurf der Bundesregierung zur Umsetzung des Opt-Outs Phase 2 geht davon nicht aus (vgl. BT-Drs. 18/10982 S. 8; ebenso Kauch in Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 35 Rn. 5; a. A. Dederer/Herdegen, Anbauverbote für gentechnisch veränderte Organismen („Opt-Out“), 2015, S. 156). Diese Frage wäre im Popularklageverfahren nur dann zu klären, wenn der Widerspruch des bayerischen Landesrechts zum Bundesrecht offen zutage träte und darüber hinaus auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten wäre (Art. 3 Abs. 1 BV).
100
Dazu haben die Antragsteller nichts vorgetragen. Es ist auch nicht sonst ersichtlich:
101
Zwar war das Gentechnikgesetz anfänglich umfassend konzipiert (BT-Drs. 11/3908 S. 5; 11/5622 S. 20; Wurzel/Merz, BayVBl 1991, 1/2). Geregelt wurden gentechnische Anlagen und die dort durchgeführten gentechnischen Arbeiten zu Forschungs- und Produktionszwecken, die (experimentelle) Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) und das Inverkehrbringen von Produkten, die GVO sind oder aus ihnen bestehen (vgl. ausführlich Schubert, NVwZ 2010, 871/872). Zur Zuständigkeit des Bundes wurde eine Vielzahl von Sachgebieten der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes, aber auch die (damalige) Rahmenkompetenz des Bundes für den Naturschutz (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F.), die gegebenenfalls auch punktuelle Vollregelungen einzelner Teile einer Gesetzgebungsmaterie ermögliche, genannt (BT-Drs. 11/5622 S. 21 f.). Eine Gesamtwürdigung dahingehend, dass von einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht werden sollte, ist mithin fernliegend, da im Bereich des Naturschutzes ausdrücklich die Rahmenkompetenz in Anspruch genommen werden sollte.
102
An diesem Befund ändert sich auch dadurch nichts Durchgreifendes, dass 1994 der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG eingeführt worden ist (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 BGBl I S. 3146). Dieser ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar weit zu verstehen und umfasst auch sonstige die Verwendung von und den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen regelnde Normen (BVerfG vom 24.11.2010 BVerfGE 128, 1/33). Gleichwohl bleibt weiter zweifelhaft, ob die Regelung des Gentechnikgesetzes auch für den Gentechnikanbau als abschließend angesehen werden kann. Denn die gesetzliche Regelung des Gentechnikrechts wurde schon bisher als naturschutzrechtlich ergänzungsfähig und -bedürftig angesehen. Das zeigt schon § 22 Abs. 3 GenTG auf, wonach § 35 BNatSchG unberührt bleibt. Zwar war dessen Anwendungsbereich bislang wegen des europäischen Moratoriums beim Anbau von gentechnisch veränderten Organismen und beim Inverkehrbringen von diesbezüglichen Produkten gering, andererseits ist Bayern durch Art. 21 BayNatSchG von dieser Regelung abgewichen. Dass der durch die europarechtliche Opt-Out-Möglichkeit eröffnete Regelungskorridor den Ländern durch absichtsvollen Regelungsverzicht des Bundes verschlossen bleiben sollte, erscheint jedenfalls nicht eindeutig.
103
(11) Im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 BayNatSchG tragen die Antragsteller vor, dem Landesgesetzgeber habe die Gesetzgebungskompetenz gefehlt, die Stimmbürger seien im Hinblick auf die Bewehrung der Verbote mit einer Ordnungswidrigkeit nach Art. 57 Abs. 2 Nr. 1 BayNatSchG und die weitreichenden Ausnahmemöglichkeiten nach Art. 16 Abs. 2 i. V. m. Art. 23 Abs. 3 BayNatSchG nicht ausreichend über den Inhalt der Vorschrift unterrichtet worden, und Nummern 3 und 4 verstießen gegen das Verbot dynamischer Verweisungen. Mit den Vorschriften werde unverhältnismäßig in die Handlungsfreiheit des Art. 101 BV eingegriffen, weil es sich um sachlich nicht zu rechtfertigende Totalverbote handle.
Weiter wird im Zusammenhang mit der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Bewehrung en passant Art. 102 Abs. 1 BV erwähnt.
104
Dieser Sachvortrag erfüllt nicht das zu fordernde Mindestmaß an Substanziierung. Eine Grundrechtsverletzung ist im Hinblick auf den Einwand mangelnder Information der Stimmbürger von vornherein ausgeschlossen, da die angefochtenen Vorschriften im Wege der Parlamentsgesetzgebung beschlossen wurden. Soweit eine Verletzung von Art. 101 BV gerügt wird, fehlt es an der erforderlichen substanziierten Darlegung eines Widerspruchs von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 BayNatSchG zu dieser Grundrechtsnorm, weil die Behauptung, es liege insoweit ein unverhältnismäßiges Totalverbot vor, angesichts der weitreichenden Ausnahmemöglichkeiten, auf die die Antragsteller an anderer Stelle verwiesen haben, offensichtlich nicht zutrifft, und sie sich nicht damit auseinandersetzen, inwieweit die erwähnten Ausnahmemöglichkeiten geeignet sind, die Verhältnismäßigkeit sicherzustellen. Ebenso wenig genügt die bloße Nennung von Art. 102 Abs. 1 BV den Substanziierungsanforderungen. Fehlt es aber an einer substanziierten Darlegung eines Verstoßes gegen eine Grundrechtsnorm, sind weder die bloß kompetenzrechtliche Argumentation noch die in der Geltendmachung eines Verstoßes gegen ein Verbot dynamischer Verweisungen liegende Rüge einer Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 4 BayNatSchG geeignet, eine Grundrechtsverletzung darzutun.
105
Der kompetenzrechtlichen Argumentation der Antragsteller wäre im Übrigen nicht zu folgen; ein Verfassungsverstoß ist insoweit nicht ansatzweise dargetan. Auf Gewässerrandstreifen bezogene Regelungen sind dem Kompetenztitel Wasserhaushalt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG, Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG) zuzuordnen.
Das gilt auch für Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG. Der abweichungsfeste Kern – stoff- oder anlagebezogene Regelungen im Wasserhaushalt (vgl. BT-Drs. 16/813 S. 11) – ist hier nicht betroffen. Anlagenbezogene Regelungen sind solche, die von künstlich geschaffenen Einrichtungen ausgehende Einwirkungen auf Gewässer, stoffbezogene Regelungen solche, die von Materie ausgehende Einwirkungen auf Gewässer zum Gegenstand haben (Wollenschläger in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 72 GG Rn. 476). Insoweit trifft Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG keine Regelungen, wenn er im Gewässerrandstreifen dessen garten- und ackerbauliche Nutzung verbietet. Eine nur mittelbare Stoffbezogenheit im Hinblick auf das Ziel, diffuse Verschmutzungsquellen zu beseitigen, genügt insoweit nicht (vgl. Niesen in Berendes/Frenz/Müggenborg, WHG, 2. Aufl. 2017, § 38 Rn. 24). Dass es sich nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung bei der bundesrechtlichen Bestimmung über Gewässerrandstreifen (§ 38 WHG) in Teilen, insbesondere in Bezug auf Pflanzenschutz- und Düngemittel, um eine stoffbezogene Regelung handelt (Riedel in Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, § 38 WHG Rn. 3), bedarf auch deshalb keiner Vertiefung, weil der Bundesgesetzgeber mit § 38 Abs. 3 Satz 3 WHG jedenfalls außerhalb der unmittelbar anlagen- und stoffbezogenen Regelungen ausdrücklich abweichende landesrechtliche Vorschriften zulassen wollte. Ein offenkundiger und schwerwiegender Verstoß gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist hiernach von vornherein ausgeschlossen. Auch die übrigen angegriffenen Regelungen zum Schutz bestimmter Landschaftsbestandteile, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4 und 5 BayNatSchG, kollidieren offenkundig nicht mit bundesrechtlichen Grundsätzen des Naturschutzes. Dass die in § 29 Abs. 2 BNatSchG genannten Verbote, auch wenn sie eine Ausprägung des in § 20 Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG formulierten abweichungsfesten allgemeinen Grundsatzes sind, ihrerseits durch Landesrecht ausgeformt werden können, ist unbestritten (J. Schumacher/A. Schumacher/FischerHüftle in Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 29 Rn. 51).
106
(12) Der Vortrag der Antragsteller, mit dem – auch in Art. 30 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG) erwähnten – Biotopverbund des Art. 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayNatSchG seien Grundrechtseingriffe verbunden, weil Biotope nicht in gleichem Maß öffentlich zugänglich und für die Allgemeinheit nutzbar seien wie alle übrigen Flächen im Freistaat, genügt nicht dem Darlegungserfordernis. Insoweit weist die Staatsregierung – auch zu Absatz 2 Sätze 3 bis 5 der Vorschrift – zu Recht darauf hin, dass weder beschrieben werde, ob und worin hier Grundrechtseingriffe liegen sollen, noch, aus welchem Grund diese dann als unverhältnismäßig zu qualifizieren wären. Die Vorschriften normierten weder Verpflichtungen noch Ziele der Grundstückseigentümer, sondern würden „im Wege kooperativer Maßnahmen“ umgesetzt.
107
Hieran ändern auch die ergänzenden Ausführungen der Antragsteller, wonach die Vorschrift Art. 8 und 11 GG verletze, nichts. Prüfungsmaßstab sind im Popularklageverfahren allein Normen der Bayerischen Verfassung (ständige Rechtsprechung, vgl. nur VerfGH vom 8.5.2008 VerfGHE 61, 125/127). Zudem ist der Schutzbereich von Art. 11 GG durch die Regelung in Art. 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayNatSchG nicht betroffen. Denn Vorschriften, die – wie etwa das Natur- und Landschaftsschutzrecht – die Bodennutzung regeln, sind außerhalb des Schutzbereichs der Freizügigkeit einzuordnen. Art. 11 GG gewährt ein Recht zum Zuzug und Aufenthalt grundsätzlich nur dort, wo jeder Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann. Die Ausgestaltung der rechtlichen Voraussetzungen für die mit einem Aufenthalt verbundene konkret zulässige Bodennutzung an einem bestimmten Ort berührt grundsätzlich nicht den Schutzbereich der Freizügigkeit, sondern formt die Wahrnehmungsvoraussetzungen dieses Grundrechts aus (BVerfG vom 17.12.2013 BVerfGE 134, 242 Rn. 257 f.). Auch soweit eine Verletzung der Versammlungsfreiheit behauptet wird, genügen die Darlegungen den Anforderungen an die Substanziierung nicht. Es wird nicht aufzeigt, weshalb die angegriffene Vorschrift im Rahmen der versammlungsrechtlichen Entscheidung über Auflagen einem Ausgleich der betroffenen Rechtsgüter unter angemessener Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit entgegenstehen sollte. Die bloße Behauptung der Antragsteller, Art. 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayNatSchG führe dazu, dass die Versammlungsbehörden bei der Anmeldung von Versammlungen auf Biotop- oder Offenlandflächen strikte Auflagen machen würden, genügt hierfür nicht. Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine Verletzung des Zitiergebots aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG aus. Denn wenn schon der Schutzbereich von Art. 11 GG nicht eröffnet ist, greift auch das Zitiergebot nicht. Soweit es um Art. 8 GG geht, ist schon fraglich, ob sich aus Art. 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayNatSchG überhaupt ein Eingriff ergibt, da sich etwaige Auflagen nicht aus dieser Vorschrift, sondern aus den Regelungen des Versammlungsrechts ergeben. Selbst wenn man diese auch Art. 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayNatSchG zurechnen wollte, handelte es sich aber jedenfalls um nur mittelbare Grundrechtseingriffe. Für solche gilt das Formerfordernis des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG indes nicht (vgl. VerfGH vom 3.12.2019 – Vf. 6-VIII-17 u. a. – juris Rn. 123; BVerfG vom 11.8.1999 NJW 1999, 3399/3400).
108
Soweit gegen Art. 19 Abs. 3 BayNatSchG wieder auf die Berufsfreiheit der Beamten der obersten Naturschutzbehörde rekurriert wird, gilt das zu Art. 3 a BayNatSchG Ausgeführte entsprechend.
109
(13) In Bezug auf Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 BayNatSchG rügen die Antragsteller vor allem deren Nichteinbeziehung in die Ordnungswidrigkeitenvorschrift des Art. 57 BayNatSchG. Die im Hinblick auf die Einbeziehung von Streuobstbeständen und arten- und strukturreichem Dauergrünland in den Biotopschutz geltend gemachten Einwände in Bezug auf Art. 118 BV, die nulla poena sine legeRegel des Art. 104 Abs. 1 BV sowie auf den Bestimmtheitsgrundsatz zeigen keinen Grundrechtsverstoß auf. Die Staatsregierung weist darauf hin, dass der Gesetzgeber die beiden neuen Biotoptatbestände deshalb nicht in die Ordnungswidrigkeitensanktion einbezogen habe, weil die beiden neuen Biotoptypen bislang noch nicht kartiert seien und für die betroffenen Grundstückseigentümer nicht ohne Weiteres erkennbar sei, ob sich dort ein gesetzlich geschütztes Biotop befinde. Die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 BayNatSchG) solle weitere Einzelheiten zur fachlichen Abgrenzung dieser Biotope erst noch bestimmen. Der im Hinblick auf Bußgeldvorschriften zu fordernde erhöhte Bestimmtheitsgrad hätte nach Einschätzung des Gesetzgebers mithin zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gewährleistet werden können. Vor diesem Hintergrund besteht für den Verfassungsgerichtshof kein Anlass für eine Sachprüfung, weil die Antragsteller nicht aufgezeigt haben, dass darin kein sachgerechter Differenzierungsgrund liegen würde. Der mit Schriftsatz vom 10. Juni 2022 gestellte ergänzende Antrag, Art. 57 Abs. 1 Nr. 5 BayNatSchG i. V. m. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 BayNatSchG für mit Art. 118 Abs. 1 BV unvereinbar zu erklären, ist aus dem gleichen Grund unzulässig. Soweit sie überdies auch im Hinblick auf Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 und 7 BayNatSchG einen Eingriff in Art. 8 und Art. 11 GG geltend machen und eine Verletzung des Zitiergebots rügen, gilt das zu dem gleichartigen Vortrag zu Art. 19 BayNatSchG Ausgeführte entsprechend.
110
(14) Art. 42 Abs. 1 Satz 3 BayNatSchG stellt eine Fördervorschrift dar, deren Begünstigte nicht in ihren Rechten verletzt sein können. Wenn die Antragsteller diesbezüglich die Ungleichwertigkeit der Biotopformen des Art. 23 Abs. 1 BayNatSchG erörtern, ist dies unbehelflich.
111
(15) Zu Art. 15 Abs. 1 des Bayerischen Immissionsschutzgesetzes (BayImSchG) a. F. (entspricht mittlerweile Art. 9 Abs. 1 BayImSchG i. d. F. des Gesetzes vom 10.12.2019 GVBl S. 686) ist nicht erkennbar, inwieweit Bürger von dem Verbot der Fassadenbeleuchtung baulicher Anlagen der öffentlichen Hand in verfassungsrechtlich relevanter Weise betroffen sein sollten.
112
(16) Art. 5 Abs. 4 des Land- und forstwirtschaftlichen Zuständigkeits- und Vollzugsgesetzes (ZuVLFG) a. F. (entspricht mittlerweile Art. 8 ZuVLFG i. d. F. des Gesetzes vom 23.12.2022 GVBl S. 695) normiert ausschließlich eine Selbstverpflichtung des Freistaates; mit der bloßen Behauptung, darin liege zum einen eine Ungleichbehandlung im Sinn einer Privilegierung der Privatpersonen, zum anderen eine Verletzung der Berufsfreiheit der Hersteller von Totalherbiziden, weil diesen der Markt staatlicher Abnehmer verloren gehe, wird ein Grundrechtsverstoß nicht hinreichend dargelegt.
113
(17) Auch von Art. 7 Abs. 2 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) sind Grundrechtsträger bzw. Privatpersonen nicht betroffen. Es handelt sich um eine Selbstverpflichtung des Freistaates für ihm gehörende Gebäude.
114
(18) Zu Art. 12 a Abs. 2 des Bayerischen Waldgesetzes (BayWaldG) macht auch der spätere Vortrag den behaupteten Grundrechtseingriff nicht nachvollziehbar.
Die Einrichtung von Naturwaldflächen auf zehn Prozent des Staatswalds ist eine Entscheidung ohne erkennbare Grundrechtsrelevanz. Auch eine darin liegende Beeinträchtigung der Ausübung des Grundrechts auf Erholung und Naturgenuss nach Art. 141 Abs. 3 Satz 1 BV zeigen die Antragsteller nicht substanziiert auf. Soweit sie auch im Hinblick auf Art. 12 a Abs. 2 BayWaldG eine Verletzung des Zitiergebots im Zusammenhang mit Art. 8 und 11 GG rügen, kann wiederum auf das zu Art. 19 BayNatSchG Ausgeführte verwiesen werden.
115
(19) In Bezug auf Art. 9 Abs. 4 des Bayerischen Agrarwirtschaftsgesetzes (BayAgrarWiG), der Wildlebensraumberater bei den Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einsetzen will, ist ein Grundrechtsverstoß nicht dargelegt. Eine materielle Verfassungsaussage, der ein dahingehendes Beratungsverbot entnommen werden könnte, ist nicht ersichtlich.
116
(20) Soweit die Antragsteller Art. 21 des Bayerischen Wassergesetzes (BayWG) angreifen, zeigen sie eine Grundrechtsverletzung ebenfalls nicht auf. Es genügt insoweit nicht, dass sie es für nicht nachvollziehbar halten, dass nach Art. 21 Abs. 1 BayWG der Gewässerrandstreifen an Gewässern erster und zweiter Ordnung auf Grundstücken des Freistaates Bayern breiter bemessen werden kann als nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG.
Wenn der Freistaat mit dieser partiellen Verschärfung bei (ausschließlich) im Staatseigentum stehenden Grundstücken eine Vorreiterrolle übernehmen will, liegt darin offensichtlich keine willkürliche Differenzierung und keine Benachteiligung von privaten Grundstückseigentümern. Der in Art. 21 Abs. 3 BayWG vorgesehene Geldausgleich für die mit Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG einhergehenden Einschränkungen bisher zulässiger und tatsächlich ausgeübter Nutzungen bewirkt ebenso wenig einen eigenständigen Grundrechtseingriff wie die damit verbundene Zuständigkeitsregel des Art. 63 Abs. 2 Satz 3 BayWG. Soweit die Antragsteller auch im Hinblick auf Art. 21 BayWG eine Verletzung des Zitiergebots rügen, kann wiederum auf das zu Art. 19 BayNatSchG Ausgeführte verwiesen werden.
117
(21) In Bezug auf Art. 30 Abs. 2 BayStrWG, der in den Sätzen 1 und 2 als Selbstverpflichtung Bewirtschaftungsziele für Straßenbegleitflächen von Staatsstraßen und in Satz 3 die Empfehlung für Landkreise und Gemeinden enthält, bei Kreis- und Gemeindestraßen entsprechend zu verfahren, ist ein Grundrechtsverstoß durch die bloße Behauptung, die Bezugnahme auf den Biotopverbund des Art. 19 Abs. 1 BayNatSchG führe zur Verfassungswidrigkeit, nicht dargelegt. Soweit die Antragsteller auch im Hinblick auf Art. 30 Abs. 2 BayStrWG eine Verletzung des Zitiergebots im Zusammenhang mit Art. 8 und 11 GG rügen, kann wiederum auf das zu Art. 19 BayNatSchG Ausgeführte verwiesen werden.
118
ff) Soweit im Übrigen Verbotsgesetze, die sich an Grundrechtsträger richten, inmitten stehen, haben die Antragsteller ausreichend substanziiert Grundrechte der Bayerischen Verfassung (Art. 101, Art. 103 Abs. 1 BV) als verletzt bezeichnet und Gründe dargelegt, aus denen sie die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Normen ableiten (Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG). Dabei handelt es sich um folgende Vorschriften:
119
Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 und 7 BayNatSchG (Verbote bei der landwirtschaftlichen Nutzung), Art. 23 a BayNatSchG (Verbot von Pestiziden) und Art. 15 Abs. 2 BayImSchG (entspricht mittlerweile Art. 9 Abs. 2 BayImSchG i. d. F. des Gesetzes vom 10.12.2019 GVBl S. 686; Verbot von beleuchteten oder lichtemittierenden Werbeanlagen im Außenbereich).
120
Soweit eine zulässige Grundrechtsrüge vorliegt, prüft der Verfassungsgerichtshof die angegriffenen Vorschriften anhand aller einschlägigen Normen der Bayerischen Verfassung, auch soweit diese keine Grundrechte verbürgen oder nicht als verletzt bezeichnet sind (ständige Rechtsprechung, vgl. VerfGHE 63, 220/226; vom 17.5.2022 BayVBl 2022, 702, Rn. 51 bei juris – in BayVBl insoweit nicht abgedruckt, jeweils m. w. N.).
121
d) Klarzustellen ist, dass es sich bei der Popularklage um kein kontradiktorisches, sondern um ein objektives Verfahren handelt, das im öffentlichen Interesse den Schutz der Grundrechte als Institution bezweckt. Entsprechend kennt es zwar einen Antragsteller, aber keinen „Antragsgegner“, sondern lediglich weitere Beteiligte des Verfahrens gemäß Art. 55 Abs. 2 VfGHG. Bei den vorliegend angegriffenen Vorschriften aus Parlamentsgesetzen sind das der Landtag und die Staatsregierung, nicht auch die weiteren, von den Antragstellern benannten „Antragsgegner“ (vgl. Müller in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Satz 4 BV Rn. 10; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Rn. 54).
V.
122
1. Verfahren Vf. 18-VIII-19 (Meinungsverschiedenheit)
123
Soweit der Antrag nach Art. 49 Abs. 1 VfGHG zulässig ist, ist er unbegründet. Die streitgegenständlichen Gesetze sind mit Art. 74 Abs. 3 bis 5 BV vereinbar. Das Volksbegehren ist vom Ministerpräsidenten namens der Staatsregierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Landtag unterbreitet und von diesem gemäß Art. 73 Abs. 3 LWG unverändert angenommen worden. Die Ergänzungen, die das „Rettet die Bienen!“-Gesetz durch das Versöhnungsgesetz erfahren hat, stellen dies nicht durchgreifend in Frage.
124
Die Behandlung eines Volksbegehrens im Landtag ist durch Art. 74 BV geregelt, der durch Art. 73 LWG konkretisiert wird. Nimmt der Landtag den begehrten Gesetzentwurf unverändert an, so entfällt ein Volksentscheid vorbehaltlich der Bestimmung des Art. 75 Abs. 2 BV. Lehnt der Landtag den im Volksbegehren unterbreiteten Gesetzesantrag ab, ohne jedoch die Rechtsgültigkeit des Volksbegehrens zu bestreiten, ist ein Volksentscheid herbeizuführen. Dabei kann der Landtag dem Volk einen eigenen Gesetzentwurf zur Entscheidung vorlegen (Art. 74 Abs. 4 BV).
125
Die Antragsteller behaupten (unter Bezugnahme auf Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 74 Rn. 14), dass es eine weitere Option der Behandlung des Volksbegehrens nicht gebe; insbesondere könne sich der Landtag mit den Initiatoren des Volksbegehrens nicht im Wege von „Vergleichsverhandlungen“ darauf einigen, dem Volk (statt des Volksbegehrens und gegebenenfalls eines Alternativvorschlags des Landtags) einen Kompromiss zur Entscheidung vorzulegen oder (ohne Volksentscheid) einen solchen mit Zustimmung der Initiatoren selbst als Parlamentsgesetz zu beschließen.
126
Der Parlamentsgesetzgeber hat sich indes nicht zu einem im Wege des Kompromisses veränderten Volksbegehrensentwurf als Parlamentsgesetz entschieden, sondern diesen unverändert übernommen und sogleich durch das Versöhnungsgesetz ergänzt. Diese Vorgehensweise steht mit der Bayerischen Verfassung in Einklang.
127
Der Verfassungsgeber hat sich für eine repräsentative Demokratie entschieden, bei der das Volk bei der Ausübung der Staatsgewalt durch das Parlament sowie durch die mittelbar oder unmittelbar von diesem bestellten Vollzugsbehörden und Richter repräsentiert wird (Art. 4, 5 BV). Das Parlament bezieht seine demokratische Legitimation aus den periodisch wiederkehrenden Wahlen. Daneben hat sich die Bayerische Verfassung für die Möglichkeit der plebiszitären Gesetzgebung entschieden. Das Recht des Volkes zur Gesetzgebung durch Volksbegehren und Volksentscheid steht gleichberechtigt neben der Gesetzgebungsbefugnis des Parlaments (Art. 72 Abs. 1 BV). Die Verfassung hat das Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und Volksgesetzgebung in Kauf genommen. Es lässt sich nach den Grundentscheidungen der Bayerischen Verfassung nicht feststellen, dass sie einer bestimmten Art des Gesetzgebungsverfahrens den Primat einräumen wollte (vgl. VerfGH vom 15.12.1976 VerfGHE 29, 244/265). Diesen Gleichrang von Volks- und Parlamentsgesetzgebung hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertreten (VerfGH vom 14.6.1985 VerfGHE 38, 51/58; vom 25.5.2007 VerfGHE 60, 131/145; vom 4.4.2008 VerfGHE 61, 78/90 vom 7.6.2023 – Vf. 8-IX-23 – juris Rn. 131). Den Akten der Volksgesetzgebung kommt kein höherer Rang zu als denen der parlamentarischen Gesetzgebung; ein vom Volk beschlossenes Gesetz kann in verfassungsrechtlich zulässiger Weise durch ein Parlamentsgesetz wieder geändert oder aufgehoben werden (VerfGH vom 19.1.1994 VerfGHE 47, 1/16; Br. in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 72 Rn. 2). Nach der Bayerischen Verfassung ist die Gesetzgebung durch das Parlament die Regel, die Gesetzgebung durch das Volk die Ausnahme. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist schon aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit davon auszugehen, dass plebiszitäre Willensbekundungen nur aus konkreten, einzelnen Anlässen eingeleitet werden, dass sie also eine Ergänzung des repräsentativen Systems sind. Plebiszite können außerdem ihrer Natur nach nur auf punktuelle Entscheidungen ausgerichtet sein, über die mit Ja oder Nein abgestimmt werden kann. Nach den Grundgedanken der Verfassung kann daher das Volk nicht in größerem Umfang an die Stelle der kontinuierlich arbeitenden Repräsentativorgane treten (vgl. VerfGH vom 29.8.1997 VerfGHE 50, 181/204; vom 7.6.2023 – Vf. 8-IX-23 – juris Rn. 131). Dies hat der Verfassungsgerichtshof auch bereits in seiner Entscheidung vom 31. März 2000 (VerfGHE 53, 42/61 f.) hervorgehoben.
128
Dass Volks- und Parlamentsgesetzgebung nach der Bayerischen Verfassung gleichwertig nebeneinander stehen (vgl. auch VerfGHE 69, 290/310 ff.; VerfGH vom 16.7.2019 – Vf. 41-IX-19 – juris Rn. 106), bedingt, dass eine Sperrwirkung des Volksbegehrens weder vor seiner Annahme durch Übernahme des Parlamentsgesetzgebers oder durch Volksentscheid noch nach der Annahme des Volksentscheids besteht. Anders als im einfachen Recht in Bezug auf kommunale Bürgerbegehren (Art. 18 a Abs. 9, 13 GO) ist eine Sperrwirkung in der Verfassung (anders z. B. Art. 50 Abs. 4 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg) nicht geregelt und kann – ohne den Grundsatz der Gleichwertigkeit aufzugeben – auch nicht im Wege der Auslegung angenommen werden. Denn es besteht Einigkeit darüber, dass der Gesetzgeber auf politische Herausforderungen nach seinem Ermessen reagieren können muss (Huber, ZG 2009, 311/315; vgl. auch Br. in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 72 Rn. 1, Art. 74 Rn. 1). Eine Sperrwirkung, die folgerichtig von vornherein nur gegenüber dem Versöhnungsgesetz eingreifen könnte, besteht mithin nicht.
129
Dass es sich um eine unveränderte Übernahme des „Rettet die Bienen!“-Gesetzes handelte, kann auch nicht mit dem Argument in Abrede gestellt werden, der Volksbegehrensentwurf habe kein Datum des künftigen Inkrafttretens dieses Gesetzes enthalten. Ein Verstoß gegen Art. 74 Abs. 2 oder Art. 76 Abs. 2 BV liegt nicht vor. Es entspricht einem praktischen Bedürfnis und ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. VerfGH vom 24.2.2000 VerfGHE 53, 23/25, 34; vom 6.5.2005 VerfGHE 58, 113/116, 132), wenn der Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration dieses Datum erst in der Endberatung feststellt. Der in der mündlichen Verhandlung wiederholte Einwand der Antragstellerin, es handle sich beim Volksbegehrensentwurf diesbezüglich um eine „Blankettvorschrift“, trifft ebenso wenig zu wie ihre Auffassung, die bis zum Inkrafttreten benötigte Zeit sei mit Blick auf Art. 63 ff. LWG zu berechnen. Denn regelmäßig entspricht es dem Willen der Initiatoren und Unterzeichner des Volksbegehrens, dass die beabsichtigten Regelungen unverzüglich in Kraft treten. Sollte ein Volksbegehren ausnahmsweise eine (lange) Übergangsfrist bis zum Inkrafttreten der Regelungen einräumen oder deren rückwirkende Geltung anordnen wollen (vgl. zu Letzterem VerfGH vom 10.3.1978 VerfGHE 31, 77/92 f.), kann dies unproblematisch durch Angabe eines bestimmten Datums geschehen.
130
Wenn die Bayerische Verfassung aufgrund des Gleichrangs von Volks- und Parlamentsgesetzgebung keine Sperrwirkung vorsieht, kann sich eine solche Wirkung auch nicht aus dem Grundsatz der Organtreue oder aus der Pflicht zur Rücksichtnahme ergeben. Ob der Grundsatz der Organtreue im Verhältnis zum Volk als Gesetzgeber überhaupt gilt (angenommen bisher nur von HbgVerfG vom 27.4.2007 – HVerfG 04/06 – juris Rn. 95), kann offenbleiben. Denn dieser Grundsatz ginge nicht über das Verbot des Rechtsmissbrauchs hinaus. Ein Rechtsmissbrauch setzt einen schweren und evidenten Verstoß voraus, an dessen Annahme sehr hohe Anforderungen zu stellen sind. Ein solcher ist hier nicht ansatzweise ersichtlich. Mit den Ergänzungen, die das auf dem Volksbegehrensentwurf beruhende Bayerische Naturschutzgesetz i. d. F. des „Rettet die Bienen!“-Gesetzes durch das Versöhnungsgesetz erfahren hat, ist der Parlamentsgesetzgeber nicht leichtfertig über den Willen der Unterzeichner des Volksbegehrens hinweggegangen. Ratio der Volksgesetzgebung ist die materielle Gesetzesänderung, nicht das Formulierungsdetail oder die Schaffung einer bestimmten Gesetzessystematik (Huber in Wittreck, Volks- und Parlamentsgesetzgeber: Konkurrenz oder Konkordanz, 2012, S. 151/201). Vor diesem Hintergrund ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber mit dem Versöhnungsgesetz teilweise über das Anliegen des Volksbegehrens hinausgegangen ist (beispielsweise mit den Vorgaben zum Landschaftspflegeprogramm und den Vertragsnaturschutzprogrammen gemäß Art. 5 a bis 5 c BayNatSchG) sowie teilweise Ergänzungen vorgenommen hat, die lediglich der Präzisierung dienen (wie die tatbestandliche Ausnahme für die Beseitigung von Unwetter-, Wild- und Weideschäden in Art. 3 Abs. 7 BayNatSchG) oder die Bestimmtheit und Vollziehbarkeit der Regelungen erhöhen (beispielsweise im Hinblick auf die Möglichkeit, nach Art. 3 Abs. 6 BayNatSchG Befreiungen vom Walzverbot per Allgemeinverfügung zu erteilen). Für die Zulässigkeit dieses Vorgehens spricht, dass sich bei ähnlichem Verfassungstext (Art. 82 Abs. 7 der Verfassung des Freistaats Thüringen) eine derartige Vorgehensweise beispielsweise auch in der Staatspraxis Thüringens findet [Annahme eines Volksbegehrens durch das „Vierte Gesetz zur Änderung der Thüringer Kommunalordnung (Gesetz über mehr direkte Demokratie in Thüringer Kommunen)“ und unmittelbar anschließende Verabschiedung eines „Begleitgesetzes“ hierzu mit gleichzeitigem Inkrafttreten (GVBl TH 2009 S. 320 und 345), vgl. hierzu H. Meyer in Wittreck, Volks- und Parlamentsgesetzgeber: Konkurrenz oder Konkordanz, S. 19/24 f.].
131
Zudem könnte eine hier nicht vorliegende Verletzung der Organtreue nicht von der Antragstellerin und nicht im Rahmen der Meinungsverschiedenheit geltend gemacht werden. Ein etwaiger Verstoß des Parlamentsgesetzgebers gegen eine ihm möglicherweise gegenüber einem Volksbegehren obliegende Pflicht zur Organtreue und zur Rücksichtnahme hätte – läge er denn vor – keine Auswirkungen auf die Gültigkeit eines unter Verstoß gegen diese Pflicht zustande gekommenen Gesetzes. Die Pflicht zur Organtreue besteht im verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen zwei Verfassungsorganen und obliegt damit dem einen Verfassungsorgan gegenüber dem anderen. Eine Verletzung der Organtreue ihr selbst gegenüber kann die Antragstellerin nicht rügen, da die Sphäre ihrer Kompetenzwahrnehmung nicht betroffen ist. Im Übrigen führt die Feststellung eines Verstoßes gegen die Organtreue im Rahmen einer Organstreitigkeit nach Art. 64 BV nur zur Feststellung, dass ein Verhalten des Antragsgegners gegen ein bestimmtes verfassungsmäßiges Recht des Antragstellers verstößt oder dieses verletzt (Müller in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 64 Rn. 13; vgl. zum Bundesverfassungsprozessrecht BVerfG vom 3.12.1968 BVerfGE 24, 300/351, vom 9.4.1992 BVerfGE 85, 264/326; Meermagen/Schultzky, VerwArch 2010, 539/548 f.; a. A. Wolff in Möstl/Linder/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 64 Rn. 21). Die Gültigkeit der angefochtenen Gesetze würde durch Erwägungen zum Grundsatz der Organtreue nicht betroffen (Huber, ZG 2009, 311/319). Darin liegt ein Unterschied zur Verletzung von Kompetenz- und Verfahrensvorschriften sowie von materiellen Verbürgungen der Grundrechtsgarantien, die im Rahmen der Meinungsverschiedenheit zur Nichtigerklärung einer angegriffenen Rechtsnorm führen können (Br. in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 75 Rn. 24).
132
Die Prüfung im Rahmen der Meinungsverschiedenheit führt demnach zu dem Ergebnis, dass der Parlamentsgesetzgeber den Volksbegehrensentwurf unverändert übernommen hat, sodass die Pflicht zur Durchführung eines Volksentscheids entfallen ist. Dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes auch die ergänzenden Regelungen im Versöhnungsgesetz in Kraft getreten sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, sondern hält sich noch im Rahmen der Abänderungs- und Aufhebungsbefugnis des Landtags bei einer durch Volksbegehren initiierten Gesetzgebung. Nur eine Parlamentsgesetzgebung, die das Volksbegehren von vornherein – ohne Abhaltung eines Volksentscheids – nur verändert verabschiedet, kann gegen Art. 74 Abs. 3 bis 5 BV sowie Art. 73 Abs. 3 und 4 LWG verstoßen. Der Kontrollüberlegung der Staatsregierung, dass das Versöhnungsgesetz bei einer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof nunmehr unverändert erneut erlassen werden könnte, ist demnach zuzustimmen.
133
2. Verfahren Vf. 19-VII-19 (Popularklage)
134
Die Popularklage ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet.
135
Das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern („Rettet die Bienen!“) vom 24. Juli 2019 und das Zweite Gesetz zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern (Gesamtgesellschaftliches Artenschutzgesetz – Versöhnungsgesetz) vom 24. Juli 2019 sind verfassungsgemäß zustande gekommen (a)). Beide Gesetze wahren die bundesstaatliche Kompetenzordnung (b)). Die mit einer substanziierten Grundrechtsrüge angegriffenen Rechtsvorschriften sind auch inhaltlich mit der Bayerischen Verfassung vereinbar (c)).
136
a) Im Rahmen der Sachprüfung hat der Verfassungsgerichtshof vorweg darüber zu befinden, ob die zulässig angegriffenen Vorschriften verfassungsgemäß zustande gekommen sind (vgl. VerfGH vom 28.3.1973 VerfGHE 26, 28/34; vom 24.5.1973 VerfGHE 26, 48/59; vom 4.4.1975 VerfGHE 28, 59/63; vom 16.6.1975 VerfGHE 28, 107/119).
137
Das Gesetzgebungsverfahren ist ohne Verstoß gegen die Bayerische Verfassung durchgeführt worden. Die Gesetzesvorlage stammt aus dem Kreis der Initiativberechtigten des Art. 71 BV, nämlich vom Volk (Volksbegehren). Die vom Bevollmächtigten der Antragsteller aufgeworfenen Fragen der Vereinbarkeit des Volksbegehrens mit den Bestimmungen der Art. 62 ff. LWG stellen sich nicht. Prüfungsmaßstab der Popularklage ist die Bayerische Verfassung und nur diese. Fragen der Rechtsgültigkeit des Volksbegehrens nach dem Landeswahlgesetz, die sich dem Landtag zunächst – zumindest inzident – stellen (Käß in PdK Bayern, Erl. zu Art. 73 Abs. 1 LWG), wären nur in einem Verfahren nach Art. 67 BV, Art. 64 Abs. 1 LWG oder sonstiger dem Verfassungsgerichtshof durch das Landeswahlgesetz insoweit zugewiesener Verfahren zu prüfen (vgl. VerfGH vom 10.3.1978 VerfGHE 31, 77/89). Ebenso wie die Wirksamkeit vom Landtag gefasster Gesetzesbeschlüsse durch Verstöße gegen Geschäftsordnungsbestimmungen grundsätzlich nicht berührt wird (VerfGHE 69, 125 Rn. 114 m. w. N.), kann ein etwaiger (formeller) Fehler eines Volksbegehrens für die Wirksamkeit des vom Volk initiierten Parlamentsgesetzes nicht erheblich sein. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wie die von den Antragstellern unter mehreren Gesichtspunkten für unzureichend erachtete Begründung des Volksbegehrens zu einem Makel des verabschiedeten Parlamentsgesetzes werden sollte; der Parlamentsgesetzgeber benötigt – anders als der abstimmende Bürger – keine Aufklärung über die Abstimmungsfrage, deren Bedeutung und Tragweite. Es ist ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Parlamentsgesetzgeber den Inhalt des unterbreiteten Gesetzentwurfs verstehen, seine Auswirkungen überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen kann.
138
Zur Übereinstimmung des „Rettet die Bienen!“-Gesetzes und des Versöhnungsgesetzes mit Art. 74 Abs. 3 bis 5 BV wird auf die Ausführungen zur Meinungsverschiedenheit verwiesen. Ein Verstoß gegen Art. 76 Abs. 2 BV liegt nicht vor. Der Hinweis der Antragsteller, der Volksbegehrensentwurf habe kein Datum des künftigen Inkrafttretens dieses Gesetzes enthalten, ist insoweit irrelevant.
139
b) Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV ist entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht wegen eines Widerspruchs der mit einer substanziierten Grundrechtsrüge angegriffenen Rechtsvorschriften zur Kompetenzordnung des Grundgesetzes verletzt.
140
aa) Prüfungsmaßstab im Popularklageverfahren ist allein die Bayerische Verfassung. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Frage, ob der bayerische Gesetzgeber höherrangiges Bundesrecht verletzt hat, nur am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung überprüft werden. Dieses erstreckt seine Schutzwirkung nicht in den Bereich des Bundesrechts mit der Folge, dass jeder Verstoß gegen Bundesrecht zugleich als Verletzung der Bayerischen Verfassung anzusehen wäre. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV ist vielmehr erst dann verletzt, wenn der Widerspruch des bayerischen Landesrechts zum Bundesrecht offen zutage tritt und darüber hinaus auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist (vgl. VerfGH vom 21.12.2011 VerfGHE 64, 224/228; vom 16.6.2015 VerfGHE 68, 139/151 f.). Das gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob der Landesgesetzgeber die bundesrechtliche Kompetenzordnung des Grundgesetzes eingehalten hat (VerfGH vom 18.4.2002 VerfGHE 55, 57/64; vom 15.5.2014 VerfGHE 67, 73 Rn. 68 ff.; VerfGHE 69, 125 Rn. 116 ff.; VerfGH vom 26.4.2022 BayVBl 2022, 475 Rn. 60; vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 108).
141
bb) Ein solch offenkundiger und schwerwiegender Verstoß lässt sich nicht feststellen. Der Einwand der Antragsteller, der Landesgesetzgeber habe gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 5 GG verstoßen, trifft nicht zu. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber insoweit die Grenzen seines weitreichenden Ermessens überschritten hätte.
142
Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse zuweist. Eine solche Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund findet sich vor allem in den Vorschriften über die ausschließliche (Art. 73 und 105 Abs. 1 GG) und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 74 und 105 Abs. 2 GG). Mithilfe der in den Art. 73 und 74 GG enthaltenen Kataloge grenzt das Grundgesetz die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern durchweg alternativ voneinander ab (BVerfG vom 27.9.2022 NVwZ 2022, 1890 Rn. 22; zu den Auslegungsmethoden bei der kompetenzrechtlichen Überprüfung einer Vorschrift vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 23 ff.). Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung verbleibt den Ländern ihre reguläre Gesetzgebungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 1 GG, wenn keine Sperrwirkung der Bundesregelung besteht. Daran hat sich mit der Föderalismusreform, die in Art. 72 Abs. 3 GG die neue Möglichkeit der sog. Abweichungsgesetzgebung der Länder geschaffen hat, grundsätzlich nichts geändert. Hat der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzeskompetenz abschließend Gebrauch gemacht, können die Länder nur in den in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 bis 7 GG genannten Bereichen abweichende Vorschriften erlassen. Zu den abweichungsfähigen Materien zählen nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG auch der Naturschutz und die Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG; zur Auslegung dieses Kompetenzbereichs BVerfG, a. a. O., Rn. 42 ff.). Gemäß dem Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG angefügten Klammerzusatz sind von dieser Abweichungskompetenz der Länder allerdings „die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes“ ausgenommen. Regelungen der Länder, die in diesen „abweichungsfesten Kern“ eingreifen, sind mangels Gesetzgebungskompetenz verfassungswidrig (Appel in Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 8 Rn. 17). Für Regelungen über den Wasserhaushalt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG) gilt die Abweichungsbefugnis mit Ausnahme stoff- oder anlagenbezogener Regelungen ebenfalls (Art. 72 Abs. 3 Nr. 5 GG).
143
Zum Wesen der Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 Abs. 3 GG gehört nach herrschender Meinung, dass die landesgesetzliche Norm im Verhältnis zur verdrängten bundesgesetzlichen Regelung ein minus, ein maius, ein aliud oder eine Mischform dieser Möglichkeiten darstellt. Die abweichende Regelung kann auch aus Änderungen bestehen, die nicht eindeutig als Verschärfung oder Abmilderung der bundesgesetzlichen Regelung einzustufen sind. Zudem ist die Abweichungsbefugnis nicht als Ausnahmeregelung zu verstehen, weil sie auf eine wechselseitige Verschränkung der Gesetzgebungsbefugnisse in den Bereichen der früheren Rahmengesetzgebung angelegt ist. Die Abweichungskompetenz nach Art. 72 Abs. 3 GG braucht daher nicht eng ausgelegt zu werden. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung des abweichenden Landesrechts ist der Landesgesetzgeber – abgesehen von der Pflicht zur Beachtung allgemeiner verfassungs-, völker- oder europarechtlicher Vorgaben – grundsätzlich frei und kann demgemäß abweichend von der Konzeption des Bundesgesetzgebers eine eigene Konzeption in Bezug auf die Fachmaterie verfolgen. Die Abweichung führt nicht zur Ersetzung der bundesrechtlichen Regelung, sondern nur zu einer Überlagerung im Sinn eines verfassungsrechtlich angeordneten Anwendungsvorrangs. Diese systematische Konzeption der Abweichungsgesetzgebung schließt es aus, die abweichende landesgesetzliche Regelung an der überlagerten bundesgesetzlichen Regelung oder an systematisch damit nicht zusammenhängenden Regelungen des bundesrechtlichen Fachrechts zu messen, zu dem die überlagerte Vorschrift gehört (vgl. zum Ganzen VerfGH vom 29.5.2017 VerfGHE 70, 106 Rn. 30 m. w. N.).
144
Eine mit der Nichtigkeitsfolge sanktionierte Kennzeichnungspflicht für abweichendes Landesrecht besteht mangels Verankerung im Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 GG im Umkehrschluss zu Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG nicht (Wollenschläger in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 72 GG Rn. 450). Das hat das Bundesverfassungsgericht zu Art. 125 b Abs. 1 Satz 3 GG ausdrücklich entschieden (BVerfG vom 19.12.2017 BVerfGE 147, 253 Rn. 236). Auch wenn es offengelassen hat, ob dieser Befund auf Art. 72 Abs. 3 GG übertragen werden kann, dürfte dies angesichts der Gesetzgebungsgeschichte der Föderalismusreform zu bejahen sein (Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 72 Rn. 284; dort auch ausführliche Schilderung der Staatspraxis). Mag es insoweit auch abweichende Stimmen in der Literatur geben, so genügt dies jedenfalls nicht, um daraus einen schweren oder offensichtlichen Fehler des bayerischen Gesetzgebers beim Erlass der angefochtenen, nicht näher gekennzeichneten angegriffenen Normen abzuleiten. Ein dementsprechendes Zitiergebot auf landesverfassungsrechtlicher Grundlage kann auch nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot der Normenklarheit abgeleitet werden (a. A. Kment in Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 72 Rn. 30 m. w. N.).
145
cc) Infolgedessen ergibt sich hier in Bezug auf die mit einer substanziierten Grundrechtsrüge angegriffenen Vorschriften folgendes:
146
(1) Soweit Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG es verbietet, Dauergrünland und Dauergrünlandbrachen umzuwandeln, entfaltet das bundesrechtlich in § 16 Abs. 3 des Gesetzes zur Durchführung der Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (Direktzahlungen-Durchführungsgesetz – DirektZahlDurchfG) bzw. für die Förderperiode ab 2023 in § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik geltenden Konditionalität (GAP-KonditionalitätenGesetz – GAPKondG) verankerte, auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG gestützte Verbot, Dauergrünland ohne Genehmigung umzuwandeln, keine einem landesrechtlichen Verbot der Umwandlung von Dauergrünland entgegenstehende Sperrwirkung. Die Regelung in § 16 Abs. 3 DirektzahlDurchfG bzw. § 5 Abs. 1 GAPKondG ist vor dem Hintergrund der Vorgaben des Europäischen Agrarbeihilferechts [Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 637/ 2008 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates (ABl L 347 vom 20.12.2013 S. 608) bzw. Verordnung (EU) 2021/2115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2. Dezember 2021 mit Vorschriften für die Unterstützung der von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik zu erstellenden und durch den Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) zu finanzierenden Strategiepläne (GAP-Strategiepläne) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 sowie der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 (ABl L 435 vom 6.12.2021 S. 1) ] zu verstehen und betrifft als Normadressaten daher nur Landwirte, die Agrarsubventionen in Form von Direktzahlungen empfangen. Konsequenz eines Verstoßes gegen § 16 Abs. 3 DirektzahlDurchfG bzw. § 5 Abs. 1 GAPKondG ist lediglich die Kürzung der beantragten Direktzahlungen (vgl. Möckel, NuR 2016, 741/748). Dass der Bundesgesetzgeber damit eine abschließende Regelung der Umwandlung von Dauergrünland bezweckt hätte, ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. Sie schließt andere – auch weitergehende – Restriktionen der Umwandlung von Dauergrünland, die sich auf andere – auch landesrechtliche – Kompetenztitel stützen, nicht aus; vielmehr stehen Regelungen des Agrarbeihilferechts zur Grünlandumwandlung und andere Vorgaben hierfür nebeneinander (Möckel, NuR 2016, 741/745), wie sich auch an § 16 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 DirektzahlDurchfG bzw. § 5 Abs. 4 Nr. 1 GAPKondG zeigt.
147
Ungeachtet der Frage, ob ein Verstoß gegen vorrangiges Europarecht im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof überhaupt Gegenstand der Überprüfung sein kann (ausdrücklich offengelassen z. B. in VerfGHE 63, 220/227), liegt ein solcher Verstoß im Hinblick auf Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG jedenfalls nicht vor. Denn die Vorgaben im Europäischen Agrarbeihilferecht zur Erhaltung von Grünland durch Landwirte, die Agrarsubventionen empfangen, sind als Mindeststandards zu begreifen und schließen weitergehende nationale Regelungen der Länder zum Schutz von Dauergrünland nicht aus (Möckel, NuR 2016, 741/745, 814/ 822; VG Freiburg vom 11.2.2016 ZUR 2016, 375 Rn. 49).
148
(2) Die in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 und 7 BayNatSchG enthaltenen Einschränkungen der landwirtschaftlichen Nutzung lassen eine Verletzung der allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes oder des Rechts des Artenschutzes nicht erkennen. Der mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 eingeführte Begriff der allgemeinen Grundsätze in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG entstammt der Koalitionsvereinbarung der damaligen Regierungskoalition. Was darunter zu verstehen ist, lässt sich zumindest teilweise den damaligen Entschließungsanträgen des Bundestags und Bundesrats entnehmen (vgl. Wollenschläger in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 72 Rn. 465). Danach sind „nicht davon erfasst … beispielsweise die Landschaftsplanung, die konkreten Voraussetzungen und Inhalte für die Ausweisung von Schutzgebieten, die gute fachliche Praxis für die Land- und Forstwirtschaft und die Mitwirkung der Naturschutzverbände“ (BT-Drs. 16/813 S. 11). Auch wenn es insoweit an einer positiven Definition fehlt, ist jedenfalls unstrittig, dass die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzrechts nicht den früheren Grundsätzen des § 2 BNatSchG a. F. entsprechen, die mit der Novelle 2010 aus dem Bundesnaturschutzgesetz entfernt wurden (Fischer/Hüftle in Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, vor § 1 Rn. 15). Der verfassungsrechtliche Begriff der allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes kann nicht abschließend durch einfache Gesetze wie das Bundesnaturschutzgesetz bestimmt werden (FischerHüftle, a. a. O., Rn. 18; Schrader in BeckOK Umweltrecht, § 13 BNatSchG Rn. 5). Doch ist der Bundesgesetzgeber bei Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz gezwungen, den verfassungsrechtlichen Begriff zu interpretieren und zu konkretisieren. Das Bundesverwaltungsgericht zählt die Eingriffsregelung des § 13 BNatSchG (die sog. Regelungskaskade) ebenso zum abweichungsfesten Kern im Sinn des Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG wie den in § 15 Abs. 2 BNatSchG enthaltenen Grundsatz der sog. Vollkompensation (BVerwG vom 6.11.2012 BVerwGE 145, 40/65). Den Ländern bleibt daneben Raum für weitere Konkretisierung. Letztlich ist es dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, im Streitfall darüber zu entscheiden, ob beispielsweise § 13 BNatSchG den verfassungsrechtlichen Gehalt des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG zutreffend wiedergibt (Ge. in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 13 BNatSchG Rn. 2).
149
Die Antragsteller rügen in Bezug auf Art. 3 Abs. 4 BayNatSchG Abweichungen von verschiedenen Normen des Bundesnaturschutzgesetzes, ohne dabei allgemeine Grundsätze des Naturschutzes aufzuzeigen, die den Regelungen des Landesrechts entgegenstehen könnten. Mit dem diesbezüglich angeführten und aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat von Ge. (in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 15 BNatSchG Rn. 54 (i. V. m. § 13 BNatSchG Rn. 18 f.) wird ein Kompetenzverstoß ebenfalls nicht ansatzweise dargelegt. Die angeordneten Verbote stehen (ihre Befolgung vorausgesetzt) einem Eingriff im Sinn des § 14 BNatSchG entgegen, sodass eine Kompensation nach § 15 BNatSchG nicht erforderlich wird. Diesbezüglich wird der bundesgesetzliche Schutzstandard nicht abgesenkt, sondern erhöht, sodass die Verletzung eines allgemeinen Grundsatzes ausgeschlossen erscheint (vgl. auch VGH BW vom 20.6.2017 NuR 2018, 126 Rn. 69).
150
Wenn die Antragsteller im Hinblick auf den Verweis in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BayNatSchG (Verbot des Pflegeumbruchs) auf Art. 23 Abs. 1 BayNatSchG inzident die Gesetzgebungskompetenz für letztgenannte Vorschrift rügen, ist dem entgegenzuhalten, dass es bei dem als abweichungsfesten Grundsatz anzusehenden Biotopschutz den Ländern nach § 30 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG ausdrücklich erlaubt ist, den in Satz 1 dieser Norm enthaltenen Katalog der gesetzlich geschützten Biotope zu erweitern (vgl. LT-Drs. NW 16/11154, S. 161 f.).
151
(3) Das Verbot von Pestiziden nach Art. 23 a BayNatSchG ist im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung ohne Abweichungsbefugnis zu betrachten. In diesem Bereich haben gemäß Art. 72 Abs. 1 GG die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Demnach sind landesrechtliche Regelungen grundsätzlich ausgeschlossen, wenn ein Bundesgesetz eine bestimmte Materie regelt (BVerfG vom 26.7.1972 BVerfGE 34, 9/28). Ausnahmen gelten nur, wenn das Bundesgesetz eine Öffnungsklausel zugunsten der Länder enthält oder soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht erschöpfend Gebrauch gemacht hat. Ob eine bundesrechtliche Regelung abschließend ist oder nicht, bedarf einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes; der Beurteilung ist die Gesamtkonzeption des Bundesgesetzgebers zugrunde zu legen (VerfGH vom 3.2.2009 VerfGHE 62, 1/14; BVerfG vom 29.3.2000 BVerfGE 102, 99/121; vom 10.2.2004 BVerfGE 109, 190/229). Hat der Bund einen Sachbereich in Wahrnehmung einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend geregelt, so tritt die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG für eine Regelung der Länder in diesem Sachbereich unabhängig davon ein, ob die landesrechtlichen Vorschriften den bundesrechtlichen Bestimmungen widerstreiten oder sie nur ergänzen, ohne ihnen zu widersprechen. Die Länder sind nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine – abschließende – Bundesregelung für unzulänglich und deshalb reformbedürftig halten; das Grundgesetz weist ihnen nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundesgesetzgebers „nachzubessern“ (vgl. zum Ganzen VerfGH vom 21.1.2016 VerfGHE 69, 1/14 Rn. 42; vom 7.6.2023 – Vf. 8-IX-23 – juris Rn. 66; BVerfG vom 11.10.1966 BVerfGE 20, 238/250; BVerfGE 102, 99/115; 109, 190/230, jeweils m. w. N.).
152
Insoweit ist ein offenkundiger und schwerwiegender Verstoß gegen die Kompetenzordnung ebenfalls nicht festzustellen:
153
Der Regelungsbereich des Pflanzenschutzrechts ist vom Zusammenspiel europarechtlicher Vorschriften, die insbesondere die Zulassung und das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und deren Kennzeichnung regeln, und nationaler Regelungen geprägt (vgl. Köpl in Düsing/Martinez, Agrarrecht, 2. Auflage 2022, Vorbemerkung zum PflSchG Rn. 2 ff.). Das Grundgesetz enthält in Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 für den Bereich des Schutzes der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Hiervon hat der Bund durch Schaffung des Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz – PflSchG) Gebrauch gemacht. Soweit es um die Orte geht, an denen Pflanzenschutzmittel zulässig angewendet werden dürfen, ergibt sich im Umkehrschluss aus § 12 Abs. 2 Satz 1 PflSchG, dass Pflanzenschutzmittel grundsätzlich (nur) auf land-, forstwirtschaftlich und gärtnerisch genutzten Flächen eingesetzt werden dürfen (Köpl, a. a. O., § 12 PflSchG Rn. 10 ff.). Hierbei handelt es sich jedoch um keine abschließende Regelung der Anwendungsorte von Pflanzenschutzmitteln, wie sich insbesondere aus § 22 Abs. 1 PflSchG ergibt, der insoweit eine Öffnungsklausel enthält. Das Pflanzenschutzgesetz lässt die Befugnisse der Länder unberührt, Vorschriften über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten nach wasserrechtlichen oder naturschutzrechtlichen Bestimmungen zu erlassen (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a PflSchG).
154
Hiervon hat der bayerische Gesetzgeber mit Art. 23 a BayNatSchG in zulässiger Weise Gebrauch gemacht und den durch die Öffnungsklausel gewährten Rahmen nicht überschritten. Denn das Verbot der Anwendung von Pestiziden nach Art. 23 a BayNatSchG gilt nach seinem Wortlaut nur in Naturschutzgebieten, in gesetzlich geschützten Landschaftsbestandteilen und in gesetzlich geschützten Biotopen, mithin in Schutzgebieten nach naturschutzrechtlichen Bestimmungen im Sinn des § 22 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a PflSchG. Dabei stellt auch das grundsätzliche Pestizidverbot des Art. 23 a BayNatSchG, das nur in den Schutzgebieten, nicht aber auf den darin gelegenen intensiv genutzten land- und fischereiwirtschaftlichen Flächen gilt, eine Vorschrift über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln dar und überschreitet nicht etwa den bundesrechtlichen Rahmen. Denn zum einen ist der Einsatz von Pestiziden in den genannten Gebieten nicht schlechthin verboten, sondern auch dort nur außerhalb von intensiv genutzten land- und fischereiwirtschaftlichen Flächen. Zum anderen zeigt der in § 22 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a PflSchG enthaltene Verweis auf die Zielsetzung von Art. 12 Buchst. b der RL 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (RL (EG) 2009/128; ABl L 309 vom 24.11.2009 S. 71), dass eine Vorschrift über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auch deren Verbot sein kann, weil die Mitgliedstaaten durch die europarechtliche Regelung dazu verpflichtet werden sicherzustellen, dass die Verwendung von Pestiziden in bestimmten Gebieten so weit wie möglich minimiert oder verboten wird. Soweit die Antragsteller vorbringen, es liege eine unzulässige Abweichung von §§ 3 ff. Düngemittelverordnung vor, verkennen sie, dass Art. 23 a BayNatSchG die Anwendung von Pestiziden betrifft, aber keine Aussage zur Anwendung von Düngemitteln trifft. Schließlich liegt auch keine unzulässige Abweichung von § 5 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG vor. Denn diese Vorschrift verlangt, dass die Anwendung von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln nach Maßgabe des landwirtschaftlichen Fachrechts zu erfolgen hat. Für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln finden sich die fachrechtlichen Regelungen im Pflanzenschutzgesetz, das seinerseits – wie gezeigt – eine Öffnungsklausel für die Länder enthält, in deren Rahmen sich Art. 23 a BayNatSchG bewegt. Soweit es um die in Art. 23 a BayNatSchG auch angesprochenen Biozide geht und man diese nicht von der Öffnungsklausel des § 22 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a PflSchG umfasst sehen wollte, kann sich die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers jedenfalls auf die Öffnungsklausel des § 30 a Satz 4 BNatSchG stützen, wonach weitergehende Schutzvorschriften des Landesrechts ausdrücklich unberührt bleiben.
155
Ungeachtet der Frage, ob ein Verstoß gegen vorrangiges Europarecht im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof überhaupt Gegenstand der Überprüfung sein kann (ausdrücklich offengelassen z. B. in VerfGHE 63, 220/227), liegt die von den Antragstellern gerügte Europarechtswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen Art. 22 ff. der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl L 309 vom 24.11.2009 S. 1) im Hinblick auf Art. 23 a BayNatSchG jedenfalls nicht vor. Die Art. 22 ff. der genannten Verordnung betreffen nämlich lediglich Besonderheiten der Wirkstoffgenehmigung für Pflanzenschutzmittel von geringem Risiko. Weshalb diese Regelungen aber einer nationalen Regelung des Einsatzes von Pestiziden in besonders geschützten Gebieten entgegenstehen sollten, ist nicht nachvollziehbar, zumal Art. 12 RL (EG) 2009/128 die Mitgliedsstaaten zur Minimierung oder zum Verbot von Pestiziden in bestimmten Gebieten auffordert.
156
(4) Ein offenkundiger und schwerwiegender Verstoß gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes lässt sich auch im Hinblick auf das Verbot beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen (Art. 9 Abs. 2 BayImSchG entsprechend Art. 15 Abs. 2 BayImSchG a. F.) nicht feststellen. Die landesrechtliche Regelungsbefugnis entfällt insoweit nicht deshalb, weil die §§ 29 und 35 des Baugesetzbuchs (BauGB) die Zulässigkeit baurechtlicher Vorhaben im Außenbereich abschließend bundesrechtlich regeln.
157
(a) Indem sich die Antragsteller auf eine Sperrwirkung des Baugesetzbuchs berufen, gehen sie offenbar von einer Zuordnung zum Kompetenzbereich des Bodenrechts aus (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG). Dies trifft indes nicht zu:
158
Als Bodenrecht wird die flächenbezogene Ordnung der Nutzung von Grund und Boden durch öffentlich-rechtliche Normen angesehen, die Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand haben; also Normen, welche die rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden regeln, indem sie den Flächen Nutzungsfunktionen zuweisen und diese voneinander abgrenzen. Bodenrechtliche Bestimmungen regeln insbesondere die Koordinierung und ausgleichende Zuordnung konkurrierender Bodennutzungen und Bodenfunktionen. Sie vermeiden und lösen spezifische Bodennutzungskonflikte und gleichen bodenrechtliche Spannungslagen aus. Geregelt wird in Vorschriften des Bodenrechts die Art der Nutzbarkeit von Flächen dem Grunde nach. Nicht zum Bodenrecht zählen hingegen Nutzungsbestimmungen im weiteren Sinn, welche die Art und Weise einer grundsätzlich zulässigen Nutzung im Einzelnen näher regeln, etwa um von dieser typischerweise ausgehende Gefahren zu verhindern. Auch sind nicht alle Vorschriften mit Auswirkung auf die bauliche Nutzung von Grundstücken – etwa solche des Rechts des Naturschutzes und des Denkmalschutzes – nur wegen dieser Auswirkung ohne Weiteres Bodenrecht (BVerfG vom 27.9.2022 NVwZ 2022, 1890 Rn. 34 ff., 37 m. w. N.)
159
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, ist Art. 9 Abs. 2 BayImSchG (bis 31. Dezember 2019 Art. 15 Abs. 2 BayImSchG a. F.) keine bodenrechtliche Regelung. Zwar knüpft die Vorschrift für die Bestimmung ihres Geltungsbereichs an den baurechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB an. Allerdings ist Anknüpfungspunkt für das Verbot in Art. 9 Abs. 2 BayImSchG nicht die Art der Bodennutzung durch Werbeanlagen. Über die allgemeine Zulässigkeit von Werbeanlagen im Außenbereich trifft die Regelung keine Aussage; vielmehr werden lediglich bestimmte Arten von Werbeanlagen, nämlich beleuchtete oder lichtemittierende, verboten, um den Gefahren zu begegnen, die von künstlicher Beleuchtung ausgehen, und dem diesbezüglichen Schutzbedarf der Tierwelt, insbesondere der Insekten, gerecht zu werden (LT-Drs. 18/1816 S. 17).
160
(b) Das Grundgesetz kennt keinen einheitlichen Kompetenztitel des Immissionsschutzrechts. Regelungen des Immissionsschutzrechts können dem Kompetenzbereich des Rechts der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) zugeordnet werden, soweit es um von wirtschaftlichen Anlagen ausgehende Beeinträchtigungen geht, die nicht die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG verorteten Schutzziele der Luftreinhaltung und der Lärmbekämpfung betreffen (Oeter in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 166, Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, Einleitung Rn. 31; BT-Drs. 7/179 S. 27 f.). Der Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG umfasst alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen, die sich in irgendeiner Weise auf die Erzeugung, die Herstellung und die Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. BVerfG vom 25.3.2021 BVerfGE 157, 223 Rn. 176 m. w. N.). Auf dieser Grundlage können das Wirtschaftsleben insgesamt sowie Fragen der Wirtschaftsorganisation, einzelner Wirtschaftszweige und bestimmter wirtschaftender Personen geregelt werden.
161
Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG hat gegenüber kompetenziellen Spezialregelungen innerhalb und außerhalb des Katalogs von Art. 74 GG (lediglich) die Funktion eines subsidiären Auffangtatbestands (vgl. Oeter in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 74 Rn. 96). Die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft ist nur einschlägig, wenn der Regulierungsansatz des Gesetzgebers im Kern darauf zielt, Fragen der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, der wirtschaftlichen Organisation und der Abläufe zu optimieren, es also um wirtschaftliches Leben als solches geht und nicht außerökonomische Ziele im Vordergrund stehen, bei denen lediglich in einem anderen Kontext das Recht der Wirtschaft in irgendeiner Weise angesprochen ist (vgl. BVerfGE 157, 223 Rn. 177; Oeter in v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 74 Rn. 96).
162
Letzteres ist hier der Fall. Im Vordergrund der Regelung stehen außerökonomische Ziele des Artenschutzes, weshalb die Regelung dem Kompetenzbereich Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) und nicht dem subsidiären Bereich des Rechts der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zuzuordnen ist.
163
(c) Der vom Gesetzgeber verfolgte hauptsächliche Schutzzweck der Regelung, die Insektenfauna vor den negativen Auswirkungen künstlichen Lichts zu schützen (vgl. LT-Drs. 18/1736 S. 15; 18/1816 S. 17; Plenarprotokoll 18/16 vom 8.5.2019 S. 1407; 18/25 vom 17.7.2019 S. 2916), legt eine Zuordnung zum Kompetenzbereich von Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) nahe. Die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG umfasst sowohl den Schutz durch Abwehr von Gefahren für Natur und Landschaft als auch die Pflege durch gestaltende Tätigkeit des Staates, die darauf abzielt, den Zustand von Natur und Landschaft zu verbessern. Regelungen zur Abwehr von Gefahren für Natur und Landschaft sind insbesondere solche, die bestimmte Gebiete oder Arten unter Schutz stellen oder besondere Anforderungen an Gefahrenquellen stellen (Broemel in v. Münch/Kunig, GG, Art. 74 Rn. 100). Insgesamt sind jene Maßnahmen erfasst, die der Erhaltung und Förderung von Pflanzen und Tieren wildlebender Arten, ihrer Lebensgemeinschaften und natürlichen Lebensgrundlagen sowie zur Sicherung von Landschaften und Landschaftsteilen unter natürlichen Bedingungen dienen (Schlacke, Umweltrecht, 8. Aufl. 2021, § 10 Rn. 13). Insofern können auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG auch spezifische Nutzungs- und Zugangsbeschränkungen festgelegt werden. Regelungen im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege unterscheiden sich dann von bodenrechtlichen Regelungen durch ihre spezifischere Ausrichtung an den Schutzgütern Natur und Landschaft. Für naturschutzrechtliche Regelungen prägend ist ein über den generellen Bedarf nach unbebauter Natur und Landschaft hinausgehender spezifischer Bedarf, konkrete Teile von Natur und Landschaft wegen ihrer Eigenart zu erhalten oder auch zu fördern (BVerfG NVwZ 2022, 1890 Rn. 45 ff. m. w. N.).
164
Dem steht die Verortung der Regelung im Bayerischen Immissionsschutzgesetz nicht entgegen. Entscheidend für die kompetenzielle Zuordnung ist der sachliche Gehalt einer Regelung und nicht die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung (BVerfG NVwZ 2022, 1890 Rn. 57). Die angegriffene Vorschrift weist keine enge Verzahnung mit den übrigen Regelungen des Bayerischen Immissionsschutzgesetzes auf, sodass ihre Zuordnung nicht deswegen derjenigen der umgebenden Regelungen folgen müsste. Für die Richtigkeit der Annahme, dass Art. 9 Abs. 2 BayImSchG dem Kompetenzbereich des Naturschutzrechts zuzuordnen ist, spricht auch, dass ähnliche Regelungen zum Schutz von Insekten vor Lichteinwirkungen im Bundesrecht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG gestützt bzw. im außerbayerischen Landesrecht dem Bereich des Naturschutzes zugeordnet wurden (vgl. BRDrs. 150/21 S. 10; zur ergänzenden, nicht als Abweichung gekennzeichneten Regelung des § 21 NatSchG BW vgl. LT-Drs. BW 15/6886 S. 80, 93).
165
(d) Aus den Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes zum Artenschutz in §§ 37 ff. ergibt sich keine der landesrechtlichen Regelung des Art. 9 Abs. 2 BayImSchG entgegenstehende Sperrwirkung. Für die Zeit vor Einfügung von § 23 Abs. 4 und § 41 a BNatSchG ist ein absichtsvoller Regelungsverzicht des Bundes für den Bereich der Lichtverschmutzung und damit auch eine Sperrwirkung des Artenschutzrechts nicht erkennbar, für die Zeit danach ergibt sich aus den in diesen Vorschriften enthaltenen Öffnungsklauseln der Raum für landesrechtliche Regelungen.
166
Durch die Föderalismusreform (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006, BGBl I S. 2034) wurde die frühere Rahmenkompetenz des Bundes für den Naturschutz und die Landschaftspflege durch die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz in Art. 74 Nr. 29 GG ersetzt, wobei hierfür in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG gleichzeitig eine Abweichungsbefugnis der Länder für diesen Bereich, mit Ausnahme der allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, des Rechts des Artenschutzes und des Meeresnaturschutzes, verankert wurde. Durch die Festlegung des Artenschutzes als abweichungsfesten Bereich wurde dem Bund zwar die Möglichkeit eröffnet, diesen Bereich ohne anderslautende landesrechtliche Vorschriften zu regeln (Kotulla, NVwZ 2007, 489/493; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, 249/257). Ihm wurde jedoch keine ausschließliche Zuständigkeit für den Artenschutz zugewiesen. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass den Ländern seitens des Bundes – sei es durch schlichte Regelungsenthaltsamkeit oder ausdrückliche einfachgesetzliche Öffnungsklauseln – keine eigenständigen Regelungsbereiche im Bereich des Artenschutzes überlassen werden könnten (Kotulla, NVwZ 2007, 489/493).
167
Ob den Ländern im Artenschutz solche eigenständigen Regelungsbereiche belassen sind, hängt demnach davon ab, ob die artenschutzrechtlichen Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes eine erschöpfende Regelung dieser Materie darstellen. Dies ist nicht der Fall. Auf der veränderten kompetenzrechtlichen Grundlage wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2542) eine neue Fassung des Bundesnaturschutzgesetzes erlassen, durch die – im Gegensatz zu der früheren Rahmengesetzgebung – in verschiedenen Bereichen bundesrechtliche Vollregelungen erfolgten. Im Bereich des Artenschutzes wurden in den §§ 37 ff. BNatSchG zum einen einzelne bereits vorher bestehende unmittelbar geltende Regelungen des früheren Bundesnaturschutzgesetzes übernommen, zum anderen wurden landesrechtliche Regelungen in eine einheitliche, bundesrechtliche Vollregelung überführt (Gläß in BeckOK Umweltrecht, § 37 BNatSchG Rn. 5; Ge., NVwZ 2010, 73/78). Im Schrifttum wird teilweise vertreten, landesrechtliche Regelungen spielten im Kontext des Artenschutzes nur noch insoweit eine Rolle, als sie ihre Grundlage in entsprechenden Ermächtigungen oder Öffnungsklauseln des Bundesrechts (z. B. § 39 Abs. 5 Satz 3, § 42 Abs. 5, § 43 Abs. 4, § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG) fänden (so Ge. in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, vor § 37 BNatSchG Rn. 34; Kratsch in Schuhmacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, Kap. 5 Rn. 17; Egner in Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Art. 11 a BayNatSchG Rn. 10). Dies dürfte – vor dem Hintergrund von Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG – zutreffen, soweit es um einzelne Teile des Artenschutzrechts geht, die in den §§ 37 ff. BNatSchG eine positive Regelung gefunden haben. Im Übrigen dürfen die bundesrechtlichen Normen jedoch durch Landesrecht ergänzt werden (Müller-Walter in Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Aufl. 2013, § 37 BNatSchG Rn. 1).
168
Durchgreifende Anhaltspunkte, die dagegensprechen, dass der bundesrechtliche Normbestand im Artenschutzrecht in Bereichen, die bundesrechtlich gar nicht geregelt sind, durch Landesrecht ergänzt werden darf, sind nicht erkennbar. Die Neuregelung des Bundesnaturschutzgesetzes ist insgesamt von einer gesetzgeberischen Zurückhaltung geprägt, die den Ländern zahlreiche Bereiche des Naturschutzrechts zur eigenen Ausgestaltung überantwortet hat (Szmais, Die Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG im Freistaat Sachsen, 2019, S. 145). Insbesondere im Bereich des Schutzes der Fauna vor Lichtverschmutzung erscheint ein absichtsvoller Regelungsverzicht des Bundes fernliegend, weil das Problem in der Vergangenheit kaum beachtet wurde und es vor Erlass des Gesetzes zum Schutz der Insektenvielfalt in Deutschland und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 18. August 2021 (BGBl I S. 3908) – auch im Vergleich mit anderen Staaten – hierfür allenfalls rudimentäre Regelungsansätze in anderen Gesetzen als dem Bundesnaturschutzgesetz gab (vgl. hierzu Deutscher Bundestag Wissenschaftliche Dienste, WD 7 – 3000 – 009/19 vom 25.1.2019, Lichtverschmutzung, S. 4 ff.; Schomerus, ZUR 2022, 271/272). Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber in einem Bereich, der ihm als Problem kaum bewusst war, absichtsvoll auf eine Regelung verzichten wollte, um ein Tätigwerden der Länder auszuschließen. Die allgemeinen Regelungen des Artenschutzes im Bundesnaturschutzgesetz standen daher weder dem mit dem Versöhnungsgesetz erlassenen Art. 15 Abs. 2 BayImSchG a. F. noch dem ab dem 1. Januar 2020 an seine Stelle getretenen wortgleichen Art. 9 Abs. 2 BayImSchG entgegen.
169
Art. 9 Abs. 2 BayImSchG ist auch nicht aufgrund der kompetenzrechtlichen Sperrwirkung eines später erlassenen Bundesgesetzes nachträglich unwirksam geworden. Anders als beim Verbot von Himmelstrahlern nach Art. 11 a BayNatSchG ist die Gesetzgebungskompetenz des Freistaates nicht durch die mit dem Gesetz zum Schutz der Insektenvielfalt in Deutschland und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 18. August 2021 (BGBl I S. 3908) vorgenommen Änderungen am Bundesnaturschutzgesetz weggefallen. Während die Regulierung der Himmelstrahler im Bundesnaturschutzgesetz durch die Verordnungsermächtigung des § 54 Abs. 6 b BNatSchG, der keine Öffnungsklausel enthält, erfolgt ist, sind beleuchtete oder lichtemittierende Werbeanlagen Regelungsgegenstand von § 23 Abs. 4 BNatSchG, der solche Anlagen in Naturschutzgebieten im Außenbereich verbietet, und von § 41 a Abs. 1 BNatSchG. Diese Vorschrift verlangt bei der Errichtung oder wesentlichen Änderung beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen den Schutz von Tieren und Pflanzen wild lebender Arten vor zu vermeidenden Lichtimmissionen, wobei die Definition des Schutzniveaus einer noch zu erlassenden Verordnung auf der Grundlage einer Ermächtigung in § 54 Abs. 4 d BNatSchG vorbehalten wurde. Indes entfaltet § 41 a BNatSchG bislang noch keine rechtliche Wirkung, weil das Inkrafttreten an den Erlass der Verordnung nach § 54 Abs. 4 d BNatSchG geknüpft ist (Art. 1 Nr. 14 Buchst. a des Gesetzes vom 18.8.2021, BGBl I S. 3908), diese Verordnung aber noch nicht erlassen wurde. Auch wenn es für die Beurteilung, ob bzw. ab wann eine Sperrwirkung eines Bundesgesetzes besteht, angesichts des Wortlauts von Art. 72 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes, sondern auf den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens, also die Verkündung des betreffenden Bundesgesetzes, ankommt (vgl. Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 72 Rn. 109, 113; Broemel in v. Münch/Kunig, GG, Art. 72 Rn. 29), ergibt sich aus § 41 a BNatSchG dennoch keine Sperrwirkung. Denn § 41 a Abs. 4 BNatSchG enthält – ebenso wie § 23 Abs. 4 Satz 3 BNatSchG – eine im Gesetzgebungsverfahren eingefügte Öffnungsklausel für den Landesgesetzgeber. Dadurch sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass manche Länder weitergehende Regelungen erlassen haben, deren Schutzniveau nicht durch die Anforderungen nach § 41 a BNatSchG abgesenkt werden sollte (BT-Drs. 19/ 30713 S. 20). Damit hat der Bundesgesetzgeber – anders als im Bereich der Himmelstrahler – ausdrücklich Raum für die weitergehende landesrechtliche Regelung in Art. 9 Abs. 2 BayImSchG gelassen. Wenn die Sperrwirkung einer bundesrechtlichen Regelung auch bei späterem Inkrafttreten schon mit der Verkündung der gesetzlichen Regelung greift, ist umgekehrt ebenso davon auszugehen, dass eine Öffnungsklausel in einem im übrigen Sperrwirkung entfaltenden Gesetz den Regelungsspielraum des Landesgesetzgebers nicht erst mit dem Inkrafttreten eröffnet, sondern ebenfalls schon mit ihrer Verkündung.
170
(e) Auch aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz ergibt sich keine Sperrwirkung für ein landesrechtliches Verbot beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen. Zwar wurde mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz an sich eine umfassende Regelung des materiellen Immissionsschutzrechts angestrebt (BT-Drs. 7/ 179, 27). Dieses Ziel wurde jedoch im Wesentlichen nur für die immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen erreicht, für deren Errichtung und Betrieb das Bundesimmissionsschutzgesetz eine erschöpfende Regelung darstellt (Jarass, BImSchG, Einleitung Rn. 35 f.; Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 12. Aufl. 2021, § 7 Rn. 14). Demgegenüber enthält das Bundesimmissionsschutzgesetz für die Errichtung und den Betrieb nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen keine abschließende Regelung. Zwar sind im Hinblick auf Lichtimmissionen, die von nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen zu gewerblichen Zwecken ausgehen, die Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG zu beachten. Nach § 22 Abs. 2 BImSchG können die Länder in diesem Bereich aber weiterreichende Anforderungen treffen (vgl. BayObLG vom 10.3.1997 BayVBl 1997, 476 f.; Heilshorn/Sparwasser in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 22 BImSchG Rn. 83; Jarass, BImSchG, Einleitung Rn. 37), womit klargestellt ist, dass § 22 Abs. 1 BImSchG keine abschließende Regelung darstellt (und damit keine Sperrwirkung gegenüber landesrechtlichen Regelungen zu Lichtimmissionen entfaltet).
171
c) Die mit einer substanziierten Grundrechtsrüge angegriffenen Rechtsvorschriften sind auch materiell mit der Bayerischen Verfassung vereinbar, insbesondere verstoßen sie weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz noch gegen Grundrechte der Bayerischen Verfassung.
172
aa) Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 und 7 BayNatSchG sind mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Die dort geregelten Verbote stellen jeweils zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums dar. Ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie (Art. 103 BV) ist nicht gegeben. Ebensowenig liegt ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit (Art. 101 BV) vor.
173
(1) Die Verbote aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 und 7 BayNatSchG stellen jeweils keine Enteignung im Rechtssinn dar. Mit der Enteignung greift der Staat auf das Eigentum des Einzelnen gezielt zu; sie ist darauf gerichtet, konkrete, durch das Eigentumsgrundrecht geschützte Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben vollständig oder teilweise zu entziehen (VerfGH vom 11.5.2004 VerfGHE 57, 39/44; VerfGHE 66, 101/122). Die Verbote, Dauergrünland und Dauergrünlandbrachen umzuwandeln (Nr. 1), verschiedene Strukturelemente der Feldflur zu beeinträchtigten (Nr. 3) sowie bestimmte Bewirtschaftungsmaßnahmen auf Grünlandflächen durchzuführen (Nrn. 2, 4, 5 und 7), entziehen keine konkreten Eigentumspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben, sondern beschränken generell und abstrakt die Nutzungsmöglichkeiten der Eigentümer von Dauergrünlandflächen. Im Hinblick auf das Dauergrünlandumwandlungsverbot (Nr. 1) bewirkt die Beschränkung, dass der „status quo“ festgeschrieben wird (OVG RhPf vom 14.5.1991 NVwZ-RR 1992, 174; VGH BW NuR 2018, 126 Rn. 52). Derartige normative Maßnahmen des Natur- und Landschaftsschutzes konkretisieren im Allgemeinen die Sozialgebundenheit des Eigentums, die dem Grundstück aufgrund seiner Lage und seines Zustands bereits anhaftet und die es prägt (VerfGH vom 7.2.1986 VerfGHE 39, 1/8; vom 30.4.1991 VerfGHE 44, 41/51; vom 22.11.1996 VerfGHE 49, 160/168). Es handelt sich daher jeweils um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, die auch die hierfür zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben wahrt.
174
(2) Die Befugnis und die Aufgabe des Gesetzgebers, solche Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums zu treffen, haben ihre Grundlage insbesondere in der von der Verfassung eingeforderten Sozialbindung des Eigentums (vgl. Art. 103 Abs. 2, Art. 158 BV). Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung des Eigentumsrechts nicht unbeschränkt frei. Er ist vielmehr dafür verantwortlich, die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Eine verfassungswidrige Eigentumsbeschränkung liegt daher nicht vor, wenn der Normgeber in Ausübung seiner Befugnis, die Eigentumsordnung im Dienst des Gemeinwohls festzulegen, den Inhalt des Eigentums allgemeinverbindlich abgrenzt. Er darf dabei allerdings das Eigentumsrecht in seinem Wesensgehalt nicht antasten und den Eigentümern keine unzumutbaren, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in Einklang stehenden Beschränkungen auferlegen. Es kommt darauf an, ob der Betroffene an der funktionsgerechten Verwendung seines Eigentums gehindert wird, d. h., ob die vorhandene Möglichkeit der Nutzung, wie sie nach den Gegebenheiten der örtlichen Lage und der Beschaffenheit des Grundstücks besteht, genommen oder wesentlich beeinträchtigt wird (vgl. VerfGH vom 28.7.1988 VerfGHE 41, 83/91 f.; vom 22.4.2005 VerfGHE 58, 94/98; vom 29.1.2008 VerfGHE 61, 9/12; 68, 139 Rn. 59; 69, 125 Rn. 145). Das Grundeigentum ist durch die Situation geprägt, in die es hineingestellt ist. Ein Grundstück kann aus der Sicht des Eigentumsgrundrechts sowohl situationsbelastet als auch situationsbegünstigt sein (vgl. VerfGHE 44, 41/51; 49, 160/168; VerfGH vom 23.1.2012 VerfGHE 65, 1/14; BVerfG vom 2.3.1999 BVerfGE 100, 226/242). Aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsgewährleistung kann nicht hergeleitet werden, dass eine vom Eigentumsrecht umfasste, vom Berechtigten ausgeübte Befugnis nach ihrem Entstehen für alle Zukunft uneingeschränkt erhalten bleiben müsste oder nur im Wege der Enteignung wieder genommen werden dürfte. Der Gesetzgeber steht bei der Neuordnung eines Rechtsgebiets nicht vor der Alternative, alte Rechtspositionen zu konservieren oder gegen Entschädigung zu entziehen. Er kann, ohne seinen Gestaltungsspielraum zu überschreiten, bestimmen, dass die neuen Vorschriften mit ihrem Inkrafttreten für die bisherigen Rechte und Rechtsverhältnisse gelten, wenn das durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (VerfGH vom 23.8.2011 VerfGHE 64, 149/155; VerfGHE 69, 125 Rn. 146).
175
Ein Eigentümer muss es grundsätzlich hinnehmen, dass ihm eine möglicherweise rentablere Nutzung seines Grundstücks verwehrt wird. Art. 103 Abs. 1 BV schützt nicht die einträglichste Nutzung des Eigentums (VerfGHE 69, 125 Rn. 149 a. E.; vgl. auch BVerfGE 100, 226/242 f.). Die Grenzen einer zulässigen Inhaltsbestimmung des Eigentums werden durch eine naturschutzrechtliche Regelung erst dann überschritten, wenn sie eine ausgeübte oder eine künftige Nutzungsmöglichkeit ausschließt, die sich bei vernünftiger und wirtschaftlicher Betrachtungsweise objektiv anbietet und nach der Verkehrsauffassung angemessen ist (vgl. VerfGHE 44, 41/51 f.; 49, 160/168; VerfGH vom 30.6.1998 VerfGHE 51, 94/106; jeweils m. w. N.). Hinsichtlich der Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit hat der Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Beurteilungs- und Prognosespielraum (vgl. VerfGH vom 12.7.2013 VerfGHE 66, 125/137; 69, 125 Rn. 145; BVerfG vom 12.12.2006 BVerfGE 117, 163/189).
176
Die Bestandsgarantie des Eigentumsgrundrechts verlangt, dass in erster Linie Vorkehrungen getroffen werden, die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermeiden; die Privatnützigkeit des Eigentums darf nicht ausgehöhlt werden (VerfGHE 57, 39/44; 64, 149/154 f.; 65, 1/14; BVerfGE 100, 226/ 240 f.). Normen, die Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen, müssen grundsätzlich auch ohne Ausgleichsregelungen die Substanz des Eigentums wahren und dem Gleichheitsgebot entsprechen. Als Instrumente stehen dem Gesetzgeber hierfür Übergangsregelungen, Ausnahme- und Befreiungsvorschriften sowie der Einsatz sonstiger administrativer und technischer Vorkehrungen zur Verfügung. Ist ein solcher Ausgleich im Einzelfall nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich, kann für diesen Fall ein finanzieller Ausgleich in Betracht kommen, oder es kann geboten sein, dem Eigentümer einen Anspruch auf Übernahme durch die öffentliche Hand zum Verkehrswert einzuräumen. Es ist dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, eigentumsbeschränkende Maßnahmen, die er im öffentlichen Interesse für geboten hält, auch in Härtefällen durchzusetzen, wenn er durch kompensatorische Vorkehrungen unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen des Eigentümers vermeidet und schutzwürdigem Vertrauen angemessen Rechnung trägt. Durch einen solchen Ausgleich kann in bestimmten Fallgruppen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer sonst unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Inhalts- und Schrankenbestimmung herbeigeführt werden (BayVGH vom 27.9.2007 VGH n. F. 60, 268/273 f.; im Hinblick auf Art. 14 GG BVerfGE 100, 226/244 ff.).
177
(3) Gemessen hieran ist Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG verhältnismäßig.
Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Verbot, bei der landwirtschaftlichen Nutzung Dauergrünland und Dauergrünlandbrachen umzuwandeln, vor dem Hintergrund der Staatszielbestimmung des Art. 141 Abs. 1 BV legitime gesetzgeberische Anliegen. Das Umwandlungsverbot bezweckt nach der Gesetzesbegründung, Lebensräume für bestimmte Tiere und Pflanzen zu erhalten und damit auch die Biodiversität zu sichern. Zudem zielt es darauf ab, historisch gewachsene Kulturlandschaften zu erhalten sowie Stoffeinträge in Gewässer und Treibhausgasemissionen zu reduzieren (LT-Drs. 18/1736 S. 7). Der Gesetzgeber verfolgt mit der getroffenen Regelung die in Art. 141 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 4 BV genannten Ziele des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere der Erhaltung des Naturhaushalts und des Schutzes der heimischen Tier- und Pflanzenarten und ihrer Lebensräume.
178
Bedenken gegen die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Verbots, Dauergrünland und Dauergrünlandbrachen umzuwandeln, bestehen nicht und werden im Übrigen auch von den Antragstellern nicht substanziiert geltend gemacht. Dem Erhalt von Dauergrünland werden in der Wissenschaft wichtige Beiträge sowohl zum Klimaschutz als auch zur Erhaltung der Biodiversität zugeschrieben, weil Dauergrünland im Durchschnitt eine wesentlich größere Anzahl an wildlebenden Tier- und Pflanzenarten aufweist, die durch eine Umwandlung in Acker bedroht wird (Fischer-Hüftle in Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Art. 3 BayNatSchG Rn. 28; Möckel, NuR 2016, 741/ 742 m. w. N.; Agrarpolitischer Bericht der Bundesregierung 2019, BT-Drs. 19/14500 S. 36). Gerade im Hinblick auf das Ziel, Lebensräume für bestimmte Tiere und Pflanzen zu erhalten und Biodiversität zu sichern, sind keine anderen gleich wirksamen, aber das Eigentum weniger beeinträchtigenden Mittel ersichtlich (VGH BW NuR 2018, 126 Rn. 66).
179
Das Umwandlungsverbot führt im Regelfall auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Eigentümers. Dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des Grünlands kann nur durch Inpflichtnahme des Grundeigentümers Rechnung getragen werden, dessen Eigentum daher einer gesteigerten Sozialbindung unterliegt. Sie ergibt sich aus der Beschaffenheit seines Grundstücks. Durch das Umwandlungsverbot wird die zuvor ausgeübte Nutzung des Grundstücks nicht eingeschränkt (VGH BW NuR 2018, 126 Rn. 67). Soweit es um Ackerland geht, stellt Art. 3 Abs. 4 Satz 3 BayNatSchG sicher, dass bisheriges Ackerland – anders als im Agrarförderungsrecht – auch durch mehrjährigen Ackerfutterbau bestimmter Pflanzen wie Acker- oder Kleegras nicht zu Dauergrünland wird, das dem Umwandlungsverbot unterliegt (vgl. LT-Drs. NW 16/11154 S. 151 zu § 4 Abs. 1 Satz 3 des Landesnaturschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen, an dem sich der bayerische Gesetzgeber orientiert hat, vgl. LT-Drs. 18/1736 S. 7). Zudem ist nach dem mit dem Gesetz zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes vom 23. Dezember 2022 eingefügten letzten Halbsatz von Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG die Umwandlung von bestimmtem Dauergrünland oder Dauergrünlandbrachen, die ab dem 1. Januar 2021 neu entstanden sind, zulässig, um eine (Rück-)Umwandlung allein zum Erhalt des Ackerstatus zu vermeiden (LT-Drs. 18/24229 S. 4). Soweit es um Dauergrünland geht, wird der status quo der Nutzung festgeschrieben. Einen Anspruch auf Wahrung der bisherigen Befugnis, Dauergrünland mit dem Ziel rentablerer Nutzung in Ackerland umzuwandeln, vermittelt das Eigentumsgrundrecht wie dargelegt gerade nicht. Angesichts des hohen Rangs des Umweltschutzes in der Bayerischen Verfassung und mit Blick auf die Sozialbindung des Eigentums muss der Eigentümer es grundsätzlich hinnehmen, dass ihm eine möglicherweise rentablere Nutzung des Grundstücks verwehrt wird. Zu berücksichtigen ist hierbei sowohl die in § 3 Abs. 5 Satz 1 BayNatSchG vorgesehene Ausnahmeregelung als auch die Möglichkeit der Befreiung nach § 67 BNatSchG und der Entschädigung nach § 68 BNatSchG.
180
Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, soll die Ausnahmeregelung insbesondere auch Ausnahmen aus betriebswirtschaftlichen Gründen ermöglichen (LT-Drs. 18/1736 S. 8). Auch ohne Ausgleich kann nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG eine Befreiung gewährt werden, wenn das Umwandlungsverbot im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist. Ist trotz unzumutbarer Belastung eine Befreiung nicht möglich, stellt die Entschädigungsmöglichkeit nach § 68 BNatSchG die Verhältnismäßigkeit sicher. Abgesehen davon, dass schon §§ 67 und 68 BNatSchG genügen dürften, die Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten, ergibt sich eine Unverhältnismäßigkeit – anders als von den Antragstellern vorgebracht – nicht daraus, dass eine Ausnahme vom Grünlandumwandlungsverbot des Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG einen Ausgleich verlangt, während eine Ausnahme von den Verboten des Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 bis 4 BayNatSchG möglich ist, wenn die Beeinträchtigung ausgeglichen oder ersetzt wird. Die unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme stellen schon deshalb keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar, weil die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 5 Satz 1 BayNatSchG eine gebundene Entscheidung ist, während die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 BayNatSchG im Ermessen steht. Zudem dürfte bei Eingriffen nach Art. 3 Abs. 4 Nrn. 2 bis 4 BayNatSchG häufig eine Kompensation in Form des Ausgleichs nicht möglich sein, während bei der Grünlandumwandlung ein funktionaler Ausgleich durch die Schaffung von „Ersatz-Dauergrünland“ (vgl. LT-Drs. 18/1736 S. 8) regelmäßig möglich sein dürfte.
181
Bedenken gegen die Bestimmtheit von Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG bestehen nicht. Das aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV folgende Bestimmtheitsgebot verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Gesetze müssen so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die Gerichte müssen in der Lage sein, die Anwendung der betreffenden Rechtsvorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Der Gesetzgeber darf zwar auch unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, muss aber seine Regelungen so bestimmt fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Gleichwohl darf das Gebot der Bestimmtheit nicht übersteigert werden, weil Gesetze sonst zu starr und kasuistisch werden müssten und der Vielgestaltigkeit des Lebens oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten.
Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, jeden Tatbestand mit exakt erfassbaren Merkmalen bis ins Letzte zu umschreiben (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 28.3.2003 VerfGHE 56, 28/45; vom 15.1.2007 VerfGHE 60, 1/6; vom 25.9.2015 VerfGHE 68, 198 Rn. 232; vom 3.12.2019 – Vf. 6-VIII-17 u. a. – juris Rn. 148). Mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung, muss sich eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewinnen lassen (vgl. VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 79 m. w. N.). Dabei ist auch zu berücksichtigen, mit welcher Intensität das Gesetz auf die Grundrechtsstellung des Betroffenen einwirkt. Je geringfügiger ein Grundrechtseingriff ist, desto niedriger sind grundsätzlich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit (vgl. VerfGH vom 12.10.1994 VerfGHE 47, 207/217; vom 2.7.1997 VerfGHE 50, 129/136; VerfGHE 56, 28/45; vom 7.7.2006 VerfGHE 59, 29/35). Durch Art. 3 Abs. 4 Sätze 2 und 3 BayNatSchG wird der eigenständige naturschutzrechtliche Begriff des Dauergrünlands (vgl. BayVGH vom 23.7.2020 BayVBl 2021, 88 Rn. 63 ff.) hinreichend konturiert und gleichzeitig klargestellt, dass auf Dauer angelegte Ackerfutterflächen kein Dauergrünland im Sinn des Gesetzes sind.
182
(4) Auch Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 BayNatSchG sind verhältnismäßig. Mit dem Verbot aus Nr. 2, den Grundwasserstand in Nass- und Feuchtgrünland sowie -brachen und auf Moor- und Anmoorstandorten abzusenken, soll nach den Gesetzesbegründungen verhindert werden, dass durch Trockenlegen von Feuchtgrünlandflächen und Moor- bzw. Anmoorflächen für zahlreiche Arten wertvolle Standorte verloren gehen. Das Verbot aus Nr. 3, die verschiedenen dort aufgezählten naturbetonten Elemente der Feldflur zu beeinträchtigen, soll ebenso der Artenvielfalt und Biodiversität nützen (LT-Drs. 18/1736 S. 7; 18/1816 S. 11). Damit dienen die Verbote aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 BayNatSchG jeweils einem legitimen, an der Staatszielbestimmung des Art. 141 Abs. 1 BV orientierten gesetzgeberischen Anliegen.
183
Bedenken gegen die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verbote aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 BayNatSchG haben die Antragsteller nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Das Verbot, den Grundwasserstand abzusenken, ist offensichtlich geeignet, den Zustand von Nass- und Feuchtgrünland sowie der Moor- und Anmoorstandorte zu erhalten. Das Verbot, die aufgezählten naturbetonten Elemente der Feldflur zu beeinträchtigen, wirkt der Bedrohung der Artenvielfalt durch die mit der Intensivierung der Landwirtschaft verbundene Vernichtung dieser besonderen Lebensräume entgegen (vgl. VerfGHE 63, 220/231). Andere gleich wirksame, aber das Eigentum weniger beeinträchtigende Mittel sind nicht ersichtlich. Besonders evident ist dies im Hinblick auf Nummer 2 wegen der besonderen örtlichen Abhängigkeit von Nass- und Feuchtgrünland, Mooren und Anmoorstandorten vom jeweiligen Grundwasserstand und wegen der Irreversibilität der Zerstörung von Moorstandorten (vgl. LT-Drs. 18/1816 S. 11).
184
Die Verbote, den Grundwasserstand abzusenken und die genannten Elemente der Feldflur zu beeinträchtigen, führen nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung der Eigentümer. Prägend für die Verbote in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 BayNatSchG ist, dass sie auf die Bewahrung des bestehenden Zustands von Nass- und Feuchtgrünland, Moor- und Anmoorstandorten und der aufgezählten Strukturelemente der Feldflur ausgerichtet sind, was sich auch daran zeigt, dass bestehende Absenkungs- und Drainagemaßnahmen von Nummer 2 ebenso unberührt bleiben wie gewerbliche Anpflanzungen im Rahmen des Gartenbaus von Nummer 3. Die Eingriffsintensität der Verbote bleibt damit eher gering, weil die zuvor ausgeübte Nutzung des Grundstücks nicht eingeschränkt wird. Ausgeschlossen werden lediglich andere künftige Nutzungsmöglichkeiten, von denen die verbotenen Beeinträchtigungen ausgehen.
185
Die Regelung des Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG wiederholt und bekräftigt für den Bereich der landwirtschaftlichen Nutzung für einige der aufgezählten Strukturelemente (Feldgehölze, Hecken, Natursteinmauern, Lesesteinhaufen und Kleingewässer) das allgemein geltende Verbot der Beeinträchtigung verschiedener Landschaftsteile aus Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayNatSchG. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits festgestellt hat, schränken diese Verbote die Nutzbarkeit von Flächen nicht unverhältnismäßig ein, sondern verbieten im Wesentlichen nur die Intensivierung der Nutzung unter Zerstörung oder Beschränkung der Funktion der Flächen im Naturhaushalt, wobei unbillige Härten durch die Möglichkeit von Ausnahmen bei ausgleichbaren Eingriffen vermieden werden (VerfGHE 63, 220/231). Davon ausgehend ist gegen die Verhältnismäßigkeit des gleichlaufenden Verbots aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BayNatSchG nichts zu erinnern. Auch soweit es um die Strukturelemente geht, die in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayNatSchG nicht genannt sind, ist nichts ersichtlich, was gegen die Verhältnismäßigkeit des Verbots spricht. Soweit die Antragsteller vorbringen, eine zur Unverhältnismäßigkeit des Verbots führende Ungleichbehandlung ergebe sich daraus, dass gewerbliche Anpflanzungen des Gartenbaus nach Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 letzter Halbsatz BayNatSchG vom Verbot ausgenommen seien, während die Anpflanzungen privater Hobbygärtner hiervon umfasst seien, verkennt dies, dass die Verbote des Art. 3 Abs. 4 BayNatSchG insgesamt nur die landwirtschaftliche Nutzung, zu der auch die gartenbauliche Erzeugung gehört (vgl. § 201 BauGB), nicht aber die Bodenbearbeitung durch Hobbygärtner betreffen.
186
Angesichts der geringen Eingriffsintensität und der Möglichkeit, Härtefällen durch Ausnahmen nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 BayNatSchG und Befreiungen nach § 67 BNatSchG sowie durch die Entschädigungsregelung des § 68 BNatSchG zu begegnen, ist auch das in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BayNatSchG verankerte Verbot, den Grundwasserstand abzusenken, verhältnismäßig. Die hiergegen von den Antragstellern im Hinblick auf geringfügige Absenkungen des Grundwasserstands geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch. Dabei kann der fachgerichtlichen Klärung überlassen bleiben, ob geringfügige Grundwasserabsenkungen im Rahmen der Gewässerunterhaltung schon tatbestandlich nicht von Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BayNatSchG umfasst sind, wie die weiteren Beteiligten meinen, weil die Ausnahme-, Befreiungs- und Entschädigungsvorschriften jedenfalls auch im Hinblick auf geringfügige Absenkungen des Grundwasserstands geeignet sind, die Verhältnismäßigkeit sicherzustellen. Selbst wenn geringfügige Absenkungen des Grundwasserstands vom Verbot umfasst sein sollten, liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zur Behandlung bestehender Absenkungs- und Drainagemaßnahmen, die nicht von diesem Verbot betroffen sind, vor. Diese tatbestandliche Ausnahme erlaubt Maßnahmen zur Unterhaltung oder Ersetzung vorhandener Einrichtungen und Anlagen, sofern sie nicht einer Neuerrichtung oder einem Ersatzbau gleichkommen (LT-Drs. 18/1736 S. 7; 18/1816 S. 11; FischerHüftle in Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Art. 3 BayNatSchG Rn. 36). Anders als beim Verbot neuer – wenn auch geringfügiger – Absenkungen des Grundwasserstands geht es hier um den Bestandsschutz für getätigte Investitionen, was eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt.
187
Die Ausnahmeregelung in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BayNatSchG wird auch den dargelegten Anforderungen aus dem Bestimmtheitsgebot gerecht. Anders als von den Antragstellern vorgebracht, besteht keine Unsicherheit, auf welchen Zeitpunkt es für das Bestehen einer von der tatbestandlichen Ausnahme erfassten Absenkungs- oder Drainagemaßnahme ankommt. Mangels Festlegung eines anderen Stichtags ist auf das Inkrafttreten der Vorschrift abzustellen. Demnach muss eine Einrichtung zur Absenkung oder Drainage im Zeitpunkt des Inkrafttretens vorgelegen haben, um von der Ausnahme umfasst zu sein.
188
(5) Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 4, 5 und 7 BayNatSchG sind ebenfalls verhältnismäßig. Mit dem Verbot, auf bestimmten Biotopflächen Dauergrünlandpflegemaßnahmen durch umbrechende Verfahren oder umbruchlose Verfahren wie Drill-, Schlitz- oder Übersaat durchzuführen (Nr. 4), soll eine mit diesen Pflegeverfahren mit Nachsaat verbundene qualitative Verschlechterung der genannten Biotope und eine Abnahme ihres Naturschutzwerts verhindert werden. Durch das Verbot, Grünlandflächen ab einem Hektar von außen nach innen zu mähen (Nr. 5), sollen die bei der Grünlandmahd auftretenden, mahdbedingten Tierverluste verringert werden und durch das Verbot, Grünlandflächen nach dem 15. März zu walzen (Nr. 7), sollen die Gelege von Bodenbrütern geschützt werden (LT-Drs. 18/1736 S. 8). Auch die Verbote der genannten Bewirtschaftungsmaßnahmen auf Grünland und Dauergrünland dienen jeweils einem legitimen, auf die Staatszielbestimmung des Art. 141 Abs. 1 BV orientierten gesetzgeberischen Anliegen, namentlich dem Schutz der heimischen Tier- und Pflanzenarten.
189
Durchgreifende Bedenken gegen die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verbote aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 4, 5 und 7 BayNatSchG bestehen nicht. Im Hinblick auf das Verbot bestimmter Dauergrünlandpflegemaßnahmen aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BayNatSchG bringen die Antragsteller selbst keine Einwände gegen die Geeignetheit und Erforderlichkeit vor. Das Verbot ist geeignet, die in der Vorschrift genannten Pflanzenbiotope zu schützen, indem eine Veränderung der Zusammensetzung der sie prägenden Pflanzengesellschaft durch die mit den verbotenen Pflegemaßnahmen verbundene Nachsaat anderer Grasarten verhindert wird. Angesichts dessen, dass die geschützten Biotope gerade aus Wildpflanzen bestehen, und der Mannigfaltigkeit der dort verbreiteten Arten ist evident, dass diese nicht im Wege der Nachsaat erhalten werden können, sodass insofern kein milderes Mittel zur Verfügung steht. Soweit es um das Verbot geht, auf Grünlandflächen ab einem Hektar von außen nach innen zu mähen, räumen die Antragsteller ein, dass das Mähen von innen nach außen in den meisten Fällen für im Grünland lebende Tiere schonender sein dürfte. Sie stellen die Eignung auch mit ihrem Hinweis, es sei wissenschaftlich nicht nachvollziehbar, weshalb das Verbot gerade ab einer Flächengröße von einem Hektar gelte, nicht ernstlich in Frage. Seitens der weiteren Beteiligten wird insoweit darauf verwiesen, dass bei kleineren Flächen schon durch die Anfahrt eine Scheuchwirkung auftrete und gerade bei kleineren länglichen Flächen das zur Schaffung einer Wendemöglichkeit nötige Anmähen bereits fast einer kompletten Mahd von innen nach außen entspreche. Diese Annahmen und die darauf aufbauende Festlegung der Verbotsschwelle bei einem Hektar Flächengröße überschreiten bei typisierender Betrachtung den im Hinblick auf die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit bestehenden weiten Beurteilungs- und Prognosespielraums des Gesetzgebers nicht. Das Verbot der Mahd von außen nach innen ist auch erforderlich, weil keine milderen Mittel ersichtlich sind. In einem Bericht der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft ist festgehalten, dass keine der getesteten, mit technischen Hilfsmitteln arbeitenden Techniken zur Wildtierrettung eine zufriedenstellende Erfolgsrate aufweisen konnte (Projektendbericht Methoden zur Reduktion von Mähtod bei Wildtieren am Beispiel von Rehkitzen – Erfahrungsaustausch mit beteiligten Gruppen und Erarbeitung des Optimierungsbedarfs, abrufbar auf der Seite der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft www.lfl.bayern.de/mam/cms07/ilt/dateien/ilt1_schlussbericht_wildtierrettung_i_a18_19.pdf, S. 63). Die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Verbots, Grünlandflächen nach dem 15. März zu walzen, ist ebenfalls gegeben. Das Walzverbot ermöglicht Bodenbrütern eine ungestörte Brut bis zur ersten Mahd und ist damit zur Verfolgung des gesetzgeberischen Zwecks geeignet. Der gewählte Stichtag bleibt angesichts der im Vertragsnaturschutz gesammelten Erfahrungen, auf die seitens der weiteren Beteiligten verwiesen wird, und der Möglichkeit nach Art. 3 Abs. 6 BayNatSchG, regional einen späteren Zeitpunkt für den Beginn des Verbots zu bestimmen, im Rahmen des weiten Beurteilungs- und Prognosespielraums des Gesetzgebers. Mildere Mittel, eine Zerstörung der Gelege zu vermeiden, sind nicht ersichtlich.
190
Die Verbote aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 4, 5 und 7 BayNatSchG belasten die Eigentümer nicht in unverhältnismäßiger Weise. Diesen Verboten ist gemeinsam, dass sie lediglich bestimmte Praktiken der Grünlandbewirtschaftung ausschließen. Die Eingriffsintensität auch dieser Verbote bleibt gering, weil die Nutzung des Grundeigentums als (Dauer-)Grünland als solche unangetastet gelassen wird. Angesichts der großen Bedeutung, die die Bayerische Verfassung den Vorgaben des Art. 141 Abs. 1 BV zumisst, sind diese Eingriffe gerechtfertigt. So ist namentlich der gerade bei Grünlandflächen ab einem Hektar relativ geringe wirtschaftliche Verlust, der sich daraus ergeben kann, dass aus technischen Gründen gegebenenfalls stehendes Gras in einer Mähbreite überfahren werden muss, wenn nicht von außen nach innen gemäht werden darf, hinzunehmen, um den im Grünland lebenden Tieren die Flucht zu ermöglichen. Ebenso ist angesichts des besonderen Werts der geschützten Biotope hinzunehmen, dass im Rahmen des Verbots des Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BayNatSchG auf die dort genannten Dauergrünlandpflegemaßnahmen verzichtet werden muss. Die Regelung ist entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht deswegen unverhältnismäßig, weil das darin normierte Verbot sich nur auf Biotope nach § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG und Art. 23 Abs. 1 BayNatSchG bezieht, nicht aber auf die anderen in § 30 Abs. 2 BNatSchG aufgeführten Biotoptypen und insbesondere nicht auf Zwergstrauchheiden im Sinn des § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG. Angesichts des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber das Verbot der für den Artenschutz problematischen Dauergrünlandpflegemaßnahmen in typisierender Betrachtungsweise auf die Biotoptypen konzentriert, bei denen derartige Dauergrünlandpflegemaßnahmen schwerpunktmäßig im Raum stehen. Dies sind neben den in § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG genannten Großseggenrieder und seggen- und binsenreichen Nasswiesen vor allem die in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG genannten Pfeifengraswiesen, die Magerrasen nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BayNatSchG sowie die Streuobstbestände nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BayNatSchG und vor allem das arten- und strukturreiche Dauergrünland nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BayNatSchG, die letzteren beiden eingefügt durch das „Rettet die Bienen!“-Gesetz. Durch den Verweis auf Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BayNatSchG dürften der Sache nach auch die im Hinblick auf den Schutz von Grünlandbiotopen wichtigen mageren Flachland-Mähwiesen und BergMähwiesen in gleicher Weise von dem Verbot umfasst sein, auch wenn § 30 Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG von Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BayNatSchG nicht in das Verbot einbezogen wird. Anders als die Antragsteller meinen, ist Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BayNatSchG auch nicht wegen des darin enthaltenen Verweises auf Art. 23 Abs. 1 BayNatSchG unverhältnismäßig. Denn diese in Bezug genommene Vorschrift ist anders als vorgetragen nicht kompetenzwidrig. Selbst wenn man das Instrument der gesetzlich geschützten Biotope als abweichungsfesten Grundsatz im Sinn von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG versteht und es den Ländern daher nicht gestattet ist, von diesem Schutzinstrument abzuweichen, bleibt es ihnen grundsätzlich unbenommen, Einzelheiten anders als in § 30 BNatSchG vorgegeben zu regeln. Im Übrigen erlaubt § 30 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG den Ländern ausdrücklich, den Katalog der gesetzlich geschützten Biotope zu erweitern. Soweit es um Grünlandbiotope geht, verdeutlicht dies § 30 Abs. 8 BNatSchG (Ge. in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 30 BNatSchG Rn. 14; so auch LT-Drs. NW 16/11154 S. 161 f.).
191
Die Verhältnismäßigkeit der genannten Verbote auch in Härtefällen wird zunächst durch die Möglichkeit von Befreiungen nach § 67 BNatSchG sowie die Entschädigungsregelung des § 68 BNatSchG sichergestellt. Anders als die Antragsteller geltend machen, handelt es sich bei Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 5 und 7 BayNatSchG damit nicht um „Totalverbote“, die wegen des Fehlens von Ausnahmen unverhältnismäßig wären. Insbesondere liegt in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BayNatSchG keine unzulässige Abweichung von § 67 BNatSchG; diese Vorschrift ermöglicht vielmehr schon bei bloßer Gesetzeslektüre eine Befreiung vom Verbot, Grünland von außen nach innen zu mähen.
192
Für Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 BayNatSchG sieht Art. 3 Abs. 6 BayNatSchG vor, dass die Befreiung nach § 67 BNatSchG gebietsbezogen per Allgemeinverfügung erteilt werden kann, um den örtlichen Witterungsverhältnissen in unterschiedlichen Teilen Bayerns Rechnung zu tragen. § 5 der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Naturschutzgesetzes (AVBayNatSchG) präzisiert dabei die Befreiungsvoraussetzungen und regelt die Modalitäten für die maßgebliche Witterungsprognose und den voraussichtlichen Brutbeginn in den Wiesenbrütergebieten auf fachlicher Grundlage. Weiter zur Verhältnismäßigkeit von Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 4 und 7 BayNatSchG tragen einerseits die Klarstellung in Art. 3 Abs. 7 BayNatSchG, dass diese Verbote die Beseitigung von Unwetter-, Wild- und Weideschäden unberührt lassen, sodass hierfür nicht einmal eine Befreiung erforderlich ist, und andererseits die für Grünlandpflegemaßnahmen vorgesehene Ausnahmemöglichkeit nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 BayNatSchG bei.
193
Schließlich greifen auch die Bedenken der Antragsteller gegen die Bestimmtheit der für „stark hängiges“ Gelände vorgesehenen tatbestandlichen Ausnahme in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 a. E. BayNatSchG nicht durch. Die Antragsteller rügen insoweit, es sei unklar, wo das für die Annahme stark hängigen Geländes erforderliche Gefälle von zehn Prozent gemessen werde und was gelte, wenn nur an einer kleinen Stelle einer großen Wiese zehn Prozent erreicht würden. Der Gesetzgeber hat die Ausnahme vom Verbot, von außen nach innen zu mähen, an das Vorliegen „stark hängigen“ Geländes geknüpft. Er hat sich damit entschieden, einen unbestimmten Rechtsbegriff zu verwenden und gerade nicht schematisch an das Vorliegen eines Gefälles von zehn Prozent angeknüpft. Weder aus dem Rechtsstaatsprinzip noch aus den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gewaltenteilung ergibt sich ein Verbot für den Gesetzgeber, unbestimmte Rechtsbegriffe, also Begriffe, die bei der Gesetzesanwendung noch der Konkretisierung bedürfen, zu verwenden. Erfordernisse der Verwaltungspraxis können diese Form der Gesetzgebungstechnik als notwendig erscheinen lassen. Der Gesetzgeber hat grundsätzlich einen Gestaltungsspielraum bei seiner Entscheidung, ob und inwieweit er unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet. Er darf dabei auch Erwägungen der Praktikabilität maßgebend sein lassen. Der Gesetzgeber wird allerdings durch das Rechtsstaatsprinzip verpflichtet, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung, eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewinnen lässt (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGHE 49, 160/164 f.; VerfGH vom 22.6.2010 VerfGHE 63, 71/76 f.; BayVBl 2022, 702 Rn. 86; jeweils m. w. N.). Dies ist vorliegend der Fall. In der Gesetzesbegründung wird der Zweck der Ausnahme damit erläutert, dass in hängigem Gelände aufgrund der mit dem Schleppereinsatz verbundenen Kippgefahr grundsätzlich nur von außen nach innen gemäht werden könne (LT-Drs. 18/1736 S. 8). Die Regelung dient also dazu, dort eine Ausnahme zuzulassen, wo dies nötig ist, um die Gefahr des Umkippens des mähenden Fahrzeugs zu vermeiden und nennt als Anhaltspunkt für das Vorliegen einer solchen Gefahr ein Gefälle von zehn Prozent. Bei einer verständigen Auslegung im Licht der Gesetzesbegründung lässt die Regelung mithin an den Stellen einer Grünlandfläche eine Ausnahme vom Verbot, von außen nach innen zu mähen, zu, wo die Gefahr des Kippens des Mähfahrzeugs besteht. Angesichts der Vielgestaltigkeit der bayerischen Landschaften ist eine präzisere Umschreibung auf abstraktgenereller Ebene nicht erforderlich und gegen den gewählten unbestimmten Rechtsbegriff nichts einzuwenden; die Subsumtion, ob im Einzelfall „stark hängiges Gelände“ vorliegt, obliegt den Normanwendern.
194
(6) Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 und 7 BayNatSchG verstoßen auch nicht gegen die Berufsfreiheit.
195
Mangels einer speziellen Grundrechtsbestimmung der Berufs- und Gewerbefreiheit in der Bayerischen Verfassung umfasst das Grundrecht der Handlungsfreiheit nach Art. 101 BV den beruflichen und wirtschaftlichen Bereich (ständige Rechtsprechung; VerfGH vom 15.4.1994 VerfGHE 47, 77/86; vom 23.12.2004 VerfGHE 57, 175/178; vom 18.12.2007 VerfGHE 60, 234/247; VerfGHE 66, 101/118). Die Regelungen des Art. 3 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 und 7 BayNatSchG gestalten nicht nur Eigentumsrechte an landwirtschaftlich genutzten Grundstücken, vor allem Grünlandflächen, aus und schränken sie ein; sie greifen zugleich auch in die Berufsfreiheit von Landwirten ein, indem sie Vorgaben zu den Methoden der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung machen. Sie sind deshalb auch an der Berufsfreiheit aus Art. 101 BV zu messen (zur gemeinsamen Anwendbarkeit von Eigentums- und Berufsfreiheit vgl. VerfGHE 66, 101/122; BVerfG vom 6.12.2016 BVerfGE 143, 246 Rn. 390).
196
Es bedarf hier indes keiner näheren Prüfung der angegriffenen Regelungen am Maßstab des Art. 101 BV, da sich daraus keine weitergehenden verfassungsrechtlichen Konsequenzen im Hinblick auf diese Regelungen ergeben, als sie für das Eigentumsrecht ermittelt wurden. Der Schutz der Berufsfreiheit für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung der betroffenen Flächen geht in diesem Fall nicht weiter als der des Eigentumsrechts für die landwirtschaftliche berufliche Nutzung.
197
bb) Das Verbot der Anwendung von Pestiziden in Naturschutzgebieten, gesetzlich geschützten Landschaftsbestandteilen und in gesetzlich geschützten Biotopen nach Art. 23 a BayNatSchG ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.
198
(1) Die in Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG enthaltene dynamische Verweisung auf Art. 3 Nr. 10 der RL 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (ABl L 309 vom 24.11.2009 S. 71) verstößt nicht gegen das in Art. 2 und 4 BV verankerte Demokratieprinzip. Danach muss bayerisches Landesrecht grundsätzlich vom bayerischen Gesetzgeber getragen und verantwortet werden. Um eine „versteckte Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen“ auszuschließen, ist die Gesetzgebungstechnik der dynamischen Verweisung von einem Landesgesetz auf ein Bundesgesetz unbedenklich, wenn sie bestimmten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Der Landesgesetzgeber darf sich im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung sowie der Gesetzesökonomie dynamischer Verweisungen bedienen, wenn er die grundrechtsrelevante Regelung dem Grunde nach selbst trifft und die Materie, auf die verwiesen wird, bekannt, umgrenzt und überschaubar ist (vgl. VerfGH vom 31.1.1989 VerfGHE 42, 1/8 f.; vom 28.7.1995 VerfGHE 48, 109/113 f.; vom 22.7.1999 VerfGHE 52, 47/64 f.; vom 23.7.2014 BayVBl 2014, 751 Rn. 23; vom 28.4.2015 BayVBl 2015, 594 Rn. 39). Diese für die Verweisung von einem Landesgesetz auf ein Bundesgesetz entwickelten Maßstäbe sind auch auf die Verweisung von einem Landesgesetz auf Rechtsakte der Europäischen Union übertragbar (vgl. Sommermann in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 290).
199
Die Verweisung in Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG genügt diesen Anforderungen. Es entspricht der Gesetzesökonomie, wenn Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG für die Definition des Pestizidbegriffs auf die Begriffsbestimmung des Art. 3 Nr. 10 RL 2009/128/EG verweist, weil im pflanzenschutzrechtlichen Zusammenspiel nationaler und europarechtlicher Regelungen die Zulassung und das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln durch letztere vorgegeben ist (vgl. Köpl in Düsing/Martinez, Agrarrecht, Vorbemerkung zum PflSchG Rn. 2 ff.). Die in Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG enthaltene grundrechtsrelevante Regelung, nämlich das Verbot der Pestizidanwendung in Teilen bestimmter Gebiete mit besonderem Schutz, wird von der Vorschrift und damit durch den bayerischen Gesetzgeber selbst getroffen. Die Verweisung betrifft nur die Anknüpfung an den Pestizidbegriff, der durch die europarechtlichen Regelungen über die Zulassung und das Inverkehrbringen vorgeprägt ist; die von der Verweisung betroffene Materie ist damit durch die Beschränkung auf den Pestizidbegriff bekannt sowie sachlich noch hinreichend klar umgrenzt und überschaubar. Auch wenn Art. 3 Nr. 10 RL 2009/128/EG im Hinblick auf die beiden Bestandteile des Pestizidbegriffs auf den Pflanzenschutzmittelbegriff der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl L 309 vom 24.11.2009 S. 1) und auf den Begriff des Biozid-Produkts nach der RL 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten [ABl L 123 vom 24.4.1998 S.1; mit Wirkung vom 1. September 2013 ersetzt durch Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl L 167 vom 27.6.2012 S. 1) ] weiterverweist, ist dies noch hinnehmbar. Denn beide Teilelemente des Pestizid-Begriffs werden in Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG selbst angesprochen. Der Inhalt des Pestizidverbots nach Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG ist somit demokratisch legitimiert im Willen des Landesgesetzgebers verankert. Unbeschadet der Verfassungsmäßigkeit der hier überprüften Vorschrift wird der Gesetzgeber seine Verweisungsregelung auch nach ihrem Erlass fortlaufend zu überprüfen haben, weil ihr Inhalt vom Recht der Europäischen Union abhängt, auf das er selbst keinen Einfluss hat. Er muss tätig werden, falls Änderungen des Europarechts zu unlösbaren Widersprüchen oder zu nicht gewollten Ergebnissen der Verweisung führen (vgl. zu dynamischen Verweisungen von Landesrecht auf Bundesrecht VerfGHE 42, 1/10 f.).
200
(2) Das Verbot der Anwendung von Pestiziden nach Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG verstößt weder gegen die Eigentumsgarantie des Art. 103 BV und die Berufsfreiheit der Landwirte aus Art. 101 BV noch gegen die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 101 BV.
201
(a) Das Verbot der Pestizidanwendung nach Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG beschränkt als normative Maßnahme des Natur- und Landschaftsschutzes in gleicher Weise wie die Verbote aus Art. 3 Abs. 4 Nrn. 1 bis 5 und 7 BayNatSchG generell und abstrakt die Nutzungsmöglichkeiten der Eigentümer der davon betroffenen Flächen. Es handelt sich daher nicht um eine Enteignung, sondern um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums.
202
Diese wahrt die hierfür zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben; sie ist verhältnismäßig. Zweck der Regelung ist es – ähnlich wie bei Art. 3 Abs. 4 Nr. 8 BayNatSchG –, die Artenvielfalt und Biodiversität in Naturschutzgebieten, gesetzlich geschützten Landschaftsbestandteilen und in gesetzlich geschützten Biotopen zu erhalten, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass chemische Unkrautbekämpfung und sonstiger Pestizideinsatz der Biodiversität abträglich sind (vgl. im Hinblick auf Art. 3 Abs. 4 Nr. 8 BayNatSchG LT-Drs. 18/1736 S. 8). Auch das Verbot aus Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG dient dem Schutz der heimischen Tier- und Pflanzenarten und somit einem legitimen, auf die Staatszielbestimmung des Art. 141 Abs. 1 BV orientierten gesetzgeberischen Anliegen.
203
Die Antragsteller stellen weder die Eignung noch die Erforderlichkeit des Pestizidverbots aus Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG substanziiert in Frage. Durch das Verbot wird in den geschützten Bereichen eine Beeinträchtigung der Tier- und Pflanzenwelt durch die verbotenen Pestizide verhindert. Es ist damit geeignet und erforderlich, zumal andere gleich effektive Maßnahmen nicht ersichtlich sind. Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG führt im Regelfall auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Eigentümers. Soweit die Antragsteller vorbringen, selbst kleinste und einmal versprühte Pestizidmengen würden auf jeder nicht intensiv genutzten land- und fischereiwirtschaftlichen Fläche im gesamten Freistaat verboten, missverstehen sie die gesetzliche Regelung, weil Art. 23 a BayNatSchG außerhalb der genannten Schutzgebiete und geschützten Landschaftsbestandteile keine Anwendung findet. Die Regelung kann dazu führen, dass der Ertrag von Flächen, die dem Pestizidverbot des Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG unterliegen, geringer ausfällt, weil eine Bekämpfung von Unkräutern und Schädlingen, die die landwirtschaftlichen Kulturen beeinträchtigen, nicht oder jedenfalls nicht mit gleicher Effektivität möglich ist. Diese von dem Verbot ausgehende Beeinträchtigung der betroffenen Grundeigentümer wird aber dadurch relativiert, dass es selbst in Naturschutzgebieten, gesetzlich geschützten Landschaftsbestandteilen und in gesetzlich geschützten Biotopen nicht flächendeckend gilt, sondern auch innerhalb dieser Gebiete intensiv genutzte land- und fischereiwirtschaftliche Flächen ausgenommen sind. Gerade die vom Verbot nicht betroffenen Bereiche sind aber jene, in denen das Hauptinteresse für die Anwendung von Pestiziden besteht. Damit betrifft das Pestizidverbot nur Flächen, auf denen bei typisierter Betrachtung nur ein vermindertes Interesse an der Anwendung von Pestiziden besteht. Hinzukommt, dass auch auf diesen Flächen die Anwendung von Pestiziden nach Art. 23 a Satz 2 BayNatSchG zugelassen werden kann, soweit eine Gefährdung des Schutzzwecks der Schutzgebiete bzw. der geschützten Landschaftsbestandteile nicht zu befürchten ist. Die dennoch verbleibende Beeinträchtigung ist hinzunehmen, weil ihr die besondere, aus Art. 141 Abs. 1 BV legitimierte Schutzwürdigkeit nicht intensiv landwirtschaftlich genutzter Teile von Naturschutzgebieten, gesetzlich geschützten Landschaftsbestandteilen und gesetzlich geschützten Biotopen gegenübersteht. In Härtefällen, die auch durch eine Ausnahme nach Art. 23 a Satz 2 BayNatSchG nicht vermieden werden können, wird die Verhältnismäßigkeit durch die Möglichkeit einer Befreiung nach § 67 BNatSchG sowie die Entschädigungsregelung des § 68 BNatSchG sichergestellt.
204
(b) Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG verstößt nicht gegen die Berufsfreiheit der Landwirte aus Art. 101 BV. Ebenso wie im Bereich der Vorgaben zur Grünlandbewirtschaftung nach Art. 3 Abs. 4 BayNatSchG gestaltet und beschränkt das Pestizidverbot des Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG durch seine Bewirtschaftungsvorgaben nicht nur die Eigentumsrechte an den betroffenen Grundstücken, sondern greift zugleich in die Berufsfreiheit der betroffenen Landwirte ein. Allerdings geht auch in diesem Fall der Schutz der Berufsfreiheit für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung der betroffenen Flächen nicht weiter als der des Eigentumsrechts für die landwirtschaftliche berufliche Nutzung.
205
(c) Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG verstößt nicht gegen die allgemeine Handlungsfreiheit der Verbraucher aus Art. 101 BV. Zwar umfasst der weite Schutzbereich des Art. 101 BV auch die Freiheit der Verbraucher, bewusst – etwa um Mutterkornbefall auszuschließen – solche Lebensmittel zu kaufen, die unter Verwendung von Pestiziden hergestellt wurden. Indes greift Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG nicht in diese Freiheit ein. Angesichts der Weite des Schutzbereichs von Art. 101 BV sind rein faktische, mittelbare Auswirkungen nur dann als Eingriff anzusehen, wenn sie darauf gerichtet sind, die die Handlungsfreiheit tangierenden Auswirkungen zu zeitigen (vgl. Funke in Meder/Br., Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 101 Rn. 8). Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG verfolgt nicht den Zweck, dem Verbraucher den Erwerb konventionell erzeugter Lebensmittel zu erschweren. Es ist im Übrigen schon fraglich, ob das Pestizidverbot aus Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG überhaupt Auswirkungen auf die Verbraucher hat. Weder eine relevante Verringerung der Menge der den Verbrauchern zur Verfügung stehenden, unter Einsatz von Pestiziden erzeugten Lebensmittel noch eine Erhöhung des Preises für diese Lebensmittel oder andere konkrete Auswirkungen auf die Verbraucher haben die Antragsteller substanziiert vorgetragen. Angesichts des geringen Anteils der vom Pestizidverbot betroffenen Flächen an der konventionellen intensivlandwirtschaftlichen Produktion sind solche Auswirkungen auch nicht zu erwarten, sodass nicht ersichtlich ist, dass die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher in einer den Schutzbereich des Art. 101 BV berührenden Weise (vgl. VerfGH vom 12.1.2005 VerfGHE 58, 1/34) eingeschränkt würde.
206
(3) Schließlich greifen auch die Bedenken der Antragsteller gegen die Bestimmtheit von Art. 23 a BayNatSchG nicht durch. Diese Bedenken beziehen sich zum einen auf die in Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG enthaltene dynamische Verweisung. Da diese Verweisung den Vorgaben der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung hierfür genügt, ist dagegen nicht nur im Hinblick auf das Demokratieprinzip, sondern auch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot nichts einzuwenden.
207
Zum anderen halten die Antragsteller den Begriff der „intensiv genutzten land- und fischereiwirtschaftlichen Flächen“, für die das Pestizidverbot nicht gilt, für zu unbestimmt, weil unklar sei, ab wann und durch wen geklärt werde, ob eine solche Fläche vorliege, und weil hierfür keine hinreichend bestimmten Verfahrensvorgaben festgelegt seien. Bei den intensiv genutzten land- und fischereiwirtschaftlichen Flächen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, gegen den keine durchgreifenden Bedenken bestehen, weil er den oben dargelegten Anforderungen an die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe genügt. Mit dem Begriff der intensiv genutzten land- und fischereiwirtschaftlichen Flächen ist nicht unmittelbar ein Eingriff in die Rechtssphäre der betroffenen Landwirte verbunden. Vielmehr sind diese Flächen gerade vom Pestizidverbot des Art. 23 a Satz 1 BayNatSchG ausgenommen, das im Übrigen nicht bußgeld- oder strafbewehrt ist. Mithin sind an die Bestimmtheit hier keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Die Ausnahme dient im Sinn eines Bestandsschutzes dazu, Flächen, auf denen eine intensive Nutzung bereits vor Inkrafttreten des Pestizidverbots ausgeübt wurde, vom Verbot auszunehmen (Fischer-Hüftle in Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, Naturschutzrecht in Bayern, Art. 23 a BayNatSchG Rn. 3). Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, gehören zu den intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen im Sinn der Vorschrift insbesondere Ackerbauflächen (LT-Drs. 18/ 1736 S. 10), deren intensive Bewirtschaftung neben der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln üblicherweise durch die Verwendung von Mineraldünger und Maschineneinsatz gekennzeichnet ist. Schon rein begrifflich steht der so geprägten intensiven Bewirtschaftung die eher extensive Bewirtschaftung, die hierauf verzichtet, gegenüber. Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung bieten hinreichend Anhaltspunkte, damit die Betroffenen die Rechtslage zumindest ansatzweise eigenständig beurteilen und ihr Verhalten danach einrichten können, und ermöglichen den Gerichten, die Anwendung der betreffenden Vorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz liegt nicht vor.
208
cc) Das Verbot beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen im Außenbereich in Art. 9 Abs. 2 BayImSchG (bis 31. Dezember 2019 Art. 15 Abs. 2 BayImSchG a. F.) ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Es verstößt ebenfalls weder gegen die Berufsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 101 BV noch gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 118 BV.
209
(1) Art. 9 Abs. 2 BayImSchG ist mit der Berufsfreiheit vereinbar.
210
(a) Art. 101 BV schützt wie dargelegt auch die Berufsfreiheit, wobei insoweit für die Zulässigkeit von Einschränkungen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 Abs. 1 GG herangezogen werden kann (VerfGHE 66, 101/118 m. w. N.). Nach der Drei-Stufen-Theorie des Bundesverfassungsgerichts ist zunächst zwischen objektiven und subjektiven Berufszulassungsregelungen sowie bloßen Berufsausübungsregelungen zu unterscheiden. Vorschriften über die Berufsausübung können wegen ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen nur dann als Eingriff in die Freiheit der Berufswahl beurteilt werden, wenn die betroffenen Berufsangehörigen in aller Regel und nicht nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich nicht mehr in der Lage wären, den gewählten Beruf auszuüben. Eine bloße Regelung der Berufsausübung ist zulässig, wenn sie durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und die durch sie bewirkte Beschränkung der Berufsausübung den Betroffenen zumutbar ist. Berufsausübungsregelungen müssen zudem den allgemeinen Gleichheitssatz beachten (vgl. VerfGHE 66, 101/118 f.; VerfGH vom 21.4.2021 BayVBl 2022, 736 Rn. 61; BVerfG vom 24.1.2012 BVerfGE 130, 131/142 f.).
211
Der Gleichheitssatz untersagt dem Normgeber, gleich liegende Sachverhalte, die aus der Natur der Sache und unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit eine gleichartige Regelung erfordern, ungleich zu behandeln; dagegen ist wesentlich Ungleiches nach seiner Eigenart verschieden zu regeln. Der Gleichheitssatz verlangt keine schematische Gleichbehandlung, sondern lässt Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt sind. Er verbietet Willkür. Der Gesetzgeber handelt nicht schon dann willkürlich, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es bleibt vielmehr dem Ermessen des Gesetzgebers überlassen zu entscheiden, in welcher Weise dem allgemeinen Gedanken der Angemessenheit, Billigkeit und Zweckmäßigkeit Rechnung zu tragen ist. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Berührt die nach dem Gleichheitssatz zu beurteilende Regelung zugleich andere grundrechtlich verbürgte Positionen oder Verfassungsnormen – wie vorliegend die Berufsfreiheit –, so sind dem Gestaltungsraum des Gesetzgebers engere Grenzen gezogen. In diesem Fall müssen die Sachgründe, die für eine Differenzierung stets erforderlich sind, dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sein. Für das Maß der Differenzierung muss zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung ein innerer Zusammenhang bestehen, der als Unterscheidungsgesichtspunkt hinreichendes Gewicht besitzt (VerfGH BayVBl 2022, 736 Rn. 37 f.; BVerfG vom 21.6.2011 BVerfGE 129, 49/68 f.). Werden durch eine Berufsausübungsregelung, die im Ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte gruppentypische Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet, dann kann Art. 101 BV verletzt sein (VerfGH vom 4.7.2001 VerfGHE 54, 47/55; BayVBl 2022, 736 Rn. 61).
212
(b) Nach diesen Maßstäben stellt Art. 9 Abs. 2 BayImSchG eine Regelung der Berufsausübung dar. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayImSchG begrenzt die werbliche Tätigkeit im Außenbereich auf unbeleuchtete Werbeanlagen, sofern nicht eine der Ausnahmen des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayImSchG eingreift. Sie regelt damit eine Modalität des Werbetreibens, macht den Betreibern von Werbeanlagen die Berufsausübung jedoch nicht unmöglich. Dies gilt auch im Hinblick auf solche Betreiber, deren einziger Geschäftszweck ist, ihre Werbeanlagen Dritten für wechselnde Werbezwecke zur Verfügung stellen. Denn abgesehen davon, dass es sich dabei häufig, wenn nicht im Regelfall um im Außenbereich nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB ohnehin unzulässige Vorhaben handeln dürfte, belässt § 9 Abs. 2 BayImSchG solchen Betreibern jedenfalls die Möglichkeit, im Rahmen des bau- und immissionsschutzrechtlich Zulässigen unbeleuchtete sowie im baurechtlichen Innenbereich auch beleuchtete oder lichtemittierende Werbeanlagen zu nutzen.
213
(c) Art. 9 Abs. 2 BayImSchG ist verhältnismäßig und verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.
214
Durch das Verbot beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen im Außenbereich sollen die von nächtlichen Lichtquellen ausgehenden Gefahren für die Insektenfauna bekämpft und dadurch ein Beitrag gegen den Rückgang der Insektenpopulationen und der von Insektennahrung abhängigen Vogelpopulationen geleistet werden (LT-Drs. 18/1816 S. 17). Mit dem Erhalt der heimischen Tierarten dient das Verbot aus Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayImSchG einem nicht nur legitimen, sondern in Art. 141 Abs. 1 Satz 4 BV als vorrangige Staatsaufgabe definierten Zweck.
Bedenken gegen die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Verbots bestehen angesichts des im Hinblick auf die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit weiten Beurteilungs- und Prognosespielraums des Gesetzgebers nicht und werden auch von den Antragstellern, die im Wesentlichen eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch Art. 9 Abs. 2 BayImSchG rügen, nicht geltend gemacht. Das Verbot beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen im Außenbereich ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Verstöße gegen das Verbot aus Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayImSchG gemäß Art. 11 Abs. 1 Nr. 5 BayImSchG mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 € bewehrt sind. Im Übrigen hängt die Schwere des Eingriffs von der Art der betroffenen Werbeanlage ab. Soweit es lediglich um Werbeanlagen geht, die die Betreiber Dritten für wechselnde Werbezwecke zur Verfügung stellen, wiegt der Eingriff in die Berufsfreiheit weniger schwer, weil derartige beleuchtete Werbeanlagen im Außenbereich auch schon vor Einfügung von Art. 9 Abs. 2 BayImSchG nur geringe Bedeutung hatten und der Umsatzausfall durch andere unbeleuchtete sowie durch beleuchtete oder lichtemittierende Werbeanlagen an zulässigen Standorten weitgehend kompensiert werden kann. Demgegenüber ist die Berufsfreiheit stärker betroffen, wenn das Verbot Werbeanlagen betrifft, die dazu dienen, Kunden den Weg zu – möglicherweise abgelegenen und daher ohne gut sichtbare Werbeanlagen nur schwer zu findenden – Betriebsstätten zu weisen. Denn in diesem Fall kann das Verbot zu einem anderweitig kaum kompensierbaren Ausbleiben von Kunden und damit zu einem Geschäftsausfall führen. Dieser unterschiedlichen Eingriffsschwere trägt Art. 9 Abs. 2 BayImSchG in angemessener Weise Rechnung, indem die Vorschrift in Satz 2 für die in schwerwiegenderer Weise vom Verbot des Satz 1 betroffenen Werbeanlagen, die auf Gaststätten und andere Gewerbebetriebe an der Stätte der Leistung hinweisen, die Möglichkeit vorsieht, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, und so unverhältnismäßige Härten ausschließt. Bei den Werbeanlagen, für die keine Ausnahme erteilt werden kann, überwiegen vor dem Hintergrund des Art. 141 Abs. 1 Satz 4 BV die gewichtigen Belange des Artenschutzes den vergleichsweise geringen Eingriff in die Berufsfreiheit. Die Verschiedenheit der Behandlung der beiden Gruppen wurzelt in der unterschiedlichen Eingriffsschwere. Es liegt ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung vor, der dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen ist.
215
Soweit die Antragsteller rügen, aus Art. 9 Abs. 2 Satz 1 BayImSchG ergebe sich gegenüber den in Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayImSchG genannten Betrieben eine sachgrundlose Benachteiligung und Ungleichbehandlung von im Außenbereich belegenen Vergnügungsstätten, Restaurants, Schankwirtschaften wie Bars und Kneipen, Bordellen, Spielhallen und kulturellen Anlagen wie Schlössern, verkennt dies zunächst, dass Restaurants und Schankwirtschaften unzweifelhaft Gaststätten im Sinn des Art. 9 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayImSchG sind, und dass mit Ausnahme der kulturellen Anlagen in allen anderen dieser Betriebe die Leistungen vor Ort erbracht werden, sodass sie zwanglos unter den Begriff des Gewerbebetriebs an der Stätte der Leistung subsumiert werden können. Sie sind damit vom Ausnahmetatbestand nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayImSchG umfasst. Soweit es um kulturelle Anlagen geht, die ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden, scheidet ein Eingriff in die Berufsfreiheit aus, sodass allenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit tangiert sein könnte.
216
Nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt auch, dass für die Zulassung von Ausnahmen für Gaststätten andere Voraussetzungen gelten als für Ausnahmen für andere Gewerbebetriebe an der Stätte der Leistung. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayImSchG ermöglicht den Gemeinden, bis längstens 23 Uhr Ausnahmen zuzulassen. Den Gemeinden steht dabei nach der Gesetzesbegründung Ermessen zu, ob sie in Abwägung der bestehenden Interessen dem gesetzlichen Gebot der Vermeidung von Lichtemissionen im Außenbereich oder ausnahmsweise einem Individualinteresse an Werbebeleuchtung den Vorzug geben wollen. Der Unterschied zwischen der Regelung für Gaststätten in Art. 9 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayImSchG und für sonstige Gewerbebetriebe an der Stätte der Leistung in Art. 9 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayImSchG besteht darin, dass für letztere eine Ausnahme nur unter der zusätzlichen Voraussetzung eines erheblichen Bedürfnisses für die Lichtwerbung in Betracht kommt (LT-Drs. 18/1816 S. 17; Scheidler, KommunalPraxis Bayern 2020, 52/54).
217
Auch wenn der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers wegen der im Raum stehenden Einschränkung der Berufsfreiheit enger ist, hat diese Differenzierung dennoch vor dem Gleichheitsgrundsatz Bestand. Die Inhaber anderer Gewerbebetriebe an der Stätte der Leistung werden durch das zusätzliche Erfordernis eines erheblichen Bedürfnisses an einer beleuchteten oder lichtemittierenden Werbeanlage nicht ohne zureichenden sachlichen Grund wesentlich stärker belastet als die Inhaber von Gaststätten. Ein derartiges erhebliches Bedürfnis dürfte nämlich immer dann zu bejahen sein, wenn die beleuchtete oder lichtemittierende Werbeanlage erforderlich ist, um Kunden den Weg zu – möglicherweise abgelegenen und daher ohne gut sichtbare Werbeanlagen nur schwer zu findenden – Betriebsstätten zu weisen. Ein derartiges Bedürfnis besteht indes nur während der Öffnungszeiten. Bei sonstigen Gewerbebetrieben an der Stätte der Leistung enden diese üblicherweise deutlich vor 23 Uhr, sodass ein entsprechendes Bedürfnis typischerweise lediglich in der dunklen Jahreszeit bis in die frühen Abendstunden bestehen kann, und eine Ausnahme entsprechend auch nur insoweit erteilt zu werden braucht, um der Berufsfreiheit im Rahmen der Ermessensausübung angemessen Rechnung zu tragen. Demgegenüber werden Gaststätten angesichts des üblichen Betriebsendes um 23 Uhr oder später häufig bis in die späteren Abendstunden hin aufgesucht, sodass ein Bedürfnis für eine Lichtwerbung, um den Gästen den Weg zu der besuchten Gaststätte zu weisen, typischerweise bis 23 Uhr besteht. Die Differenzierung zwischen Gaststätten und sonstigen Gewerbebetrieben beruht damit auf sachlichen Kriterien, zumal die Beeinträchtigung der Fauna durch beleuchtete oder lichtemittierende Werbeanlagen von Gaststätten angesichts deren im Verhältnis zu anderen Gewerbebetrieben im Außenbereich wesentlich geringerer Zahl insgesamt geringer ausfallen dürfte, sodass großzügigere Ausnahmen angesichts des Schutzzwecks hinnehmbar erscheinen. Eine im Vergleich zu Gaststätten grundlos wesentlich stärkere Belastung von sonstigen Gewerbebetrieben an der Stätte der Leistung ist damit nicht festzustellen.
218
(2) Art. 9 Abs. 2 BayImSchG verstößt auch nicht gegen die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 101 BV. Ein Eingriff in dieses Grundrecht ist nicht erkennbar. Die Antragsteller machen insoweit eine gleichheitssatzwidrige und damit unverhältnismäßige Behandlung von kulturellen Anlagen wie Schlössern im Außenbereich geltend. Allerdings bestehen keine Anhaltspunkte, dass das Verbot des Art. 9 Abs. 2 BayImSchG überhaupt beleuchtete Werbeanlagen von kulturellen Einrichtungen betrifft, die ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden. Es findet sich nämlich kein Grund für die Annahme, dass der Gesetzgeber den Begriff der Werbeanlagen in Art. 9 Abs. 2 BayImSchG abweichend vom baurechtlichen Werbeanlagenbegriff definieren wollte, der in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayBO Werbeanlagen als ortsfeste Anlagen der Wirtschaftswerbung definiert und damit Werbeanlagen, die nicht wirtschaftlichen Zwecken dienen, gerade nicht umfasst. Damit fehlt es aber schon an einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Betreiber von Werbeanlagen, die auf ohne Gewinnerzielungsabsicht betriebene kulturelle Einrichtungen hinweisen.
VI.
219
Die Verfahren sind kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).