Titel:
Verspätetes Erreichen des Abflug-Gates wegen Verzögerung bei der Sicherheitskontrolle
Normenkette:
BGB § 651m Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Reisemangel gem. § 651 Abs. 1 S. 1 BGB wegen Unmöglichmachung des Reiseantritts liegt nicht vor, wenn der Reisende nicht zu dem ihm mitgeteilten Zeitpunkt am Abflug-Gate erscheint, dieses bei seinem Eintreffen bereits geschlossen ist und er sich deshalb im Annahmeverzug befindet. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verzögerung bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen muss sich der Reiseveranstalter im Verhältnis zum Reisenden nicht zurechnen lassen. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Reisende ist für ein rechtzeitiges Passieren der Sicherheitskontrolle verantwortlich, wenn die ihm zur Verfügung stehende Zeit üblicherweise hierfür ausreicht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pauschalreisevertrag, Minderung, Reisepreis, Reisemangel, Abflug, Schließung des Gates, Nichtantritt des Fluges, Sicherheitskontrolle, Verzögerung, Annahmeverzug
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22442
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 1.648,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte aus einem Pauschalreisevertrag in Anspruch.
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Der Kläger buchte für sich und seine Ehegattin über die … bei der Beklagten eine Pauschalreise vom 11.10.2022 bis 16.10.2022 nach Madeira. Beinhaltet von der Pauschalreise waren unter anderem Flüge mit der TUI Fly am 11.10.2022 um 13:35 Uhr ab Frankfurt am Main. Der Reisepreis betrug 1.648,00 €. Der Kläger checkte den Empfehlungen der Beklagten in den Reiseunterlagen gemäß bereits einen Tag vor Abreise online ein. Beim Check-in erhielt er die Weisung, um 12:50 Uhr am Gate zu sein. Tatsächlich erreichten der Kläger und seine Ehegattin das Gate um 13:05 Uhr. Das Flugzeug stand noch in Parkposition. Durch das Bodenpersonal wurde dem Kläger und seiner Ehegattin jedoch der Zutritt zum Flugzeug verweigert.
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Durch anwaltlichen Schriftsatz vom 17.11.2022, vorgelegt als Anlage K2, wurde die Beklagte zur Rückzahlung des Reisepreises unter Fristsetzung zum 30.11.2022 aufgefordert. Nach Ablauf der Frist antwortete die Beklagte, dass jegliche Rückzahlung verweigert werde.
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Der Kläger meint, er habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung des Reisepreises, da ihm der Reiseantritt durch ein Verschulden der Beklagten unmöglich gemacht worden sei. Er trägt im Wesentlichen vor, er habe sich gemeinsam mit seiner Ehegattin am Abreisetag um 10:15 Uhr, damit 3 Stunden und 20 Minuten vor Abflug, in die Flughafenhalle begeben. Der Schalter zur Gepäckabgabe für den gebuchten Flug sei erst um 11:00 Uhr geöffnet worden. Der Kläger und seine Ehefrau hätten ihr Gepäck abgegeben und sich im Anschluss daran gegen 11:20 Uhr direkt zur Sicherheitskontrolle begeben. Die Sicherheitskontrolle habe jedoch unüblich lange gedauert, da anstelle der ca. 20 Schalter der Sicherheitskontrolle für einen gesamten Abflugbereich lediglich ein einziger geöffnet gewesen sei und sämtliche Flugreisenden auf diesem Flugsteig habe abfertigen müssen. Demgemäß habe die Sicherheitskontrolle für den Kläger und seine Ehegattin bis ca. 13:00 Uhr angedauert. Sämtliche dort wartenden Personen hätten darauf gedrängt, schnell in den Abflugbereich zu kommen, da hunderte Menschen darum gebangt hätten, ihren Flug zu verpassen. Ein Vordrängeln sei nicht möglich gewesen. Das bloße Erreichen des Flugzeuges sei bereits unmöglich gewesen, da der Schalter zur Gepäckabgabe erst um 11:00 Uhr geöffnet habe. Der Kläger ist der Auffassung, er und seine Frau hätten das Flugzeug pünktlich erreicht, sofern die Beklagte den Schalter zur Gepäckabgabe früher hätte öffnen lassen und eine entsprechende Weisung an die Airline erteilt hätte. Die Beklagte habe gewusst oder hätte wissen müssen, dass zu wenig Personal in der Sicherheitskontrolle warte und hätte dementsprechend durch frühere Öffnung der Schalter der Airline zur Gepäckabgabe einerseits und durch Mitteilung an die Reisenden andererseits auf die überlangen Wartezeiten aufmerksam machen müssen. Schließlich hätte das bei Eintreffen des Klägers und seiner Ehegattin in Parkposition stehende Flugzeug nach Auffassung des Klägers noch problemlos betreten werden können.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.648,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2022 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, sie habe sämtliche geschuldeten Leistungen bereitgestellt und den Anspruch auf den Reisepreis daher nicht verloren. Weder die Beklagte noch deren Leistungserbringer hätten die Vertragsdurchführung vereitelt. Eine zu langsame Sicherheitskontrolle am Flughafen sei der Beklagten nicht zuzurechnen. Es handele sich bei den Sicherheitsbehörden nicht um Erfüllungsgehilfen der Beklagten oder deren Leistungsträger. Die Durchführung von Sicherheitskontrollen sei keine vertragliche Obliegenheit der Beklagten, sondern eine hoheitlich staatliche Aufgabe, deren Durchführung und Organisation von der Beklagten auch nicht beeinflusst werden könne. Die Beklagte habe keine Pflichten verletzt und habe sich etwaige Fehler der Planung der Luftsicherheitsbehörden bei der Sicherheitskontrolle der Passagiere und deren Gepäck auch nicht zurechnen zu lassen. Auch sei die Beklagte nicht gehalten gewesen, irgendwelche Schalter mehr als 2,5 Stunden vor geplantem Abflug zu öffnen. Die Beklagte könne sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die zuständige Luftsicherheitsbehörde den Ablauf der Sicherheitskontrollen so gestalte, dass ab Einchecken 2,5 Stunden vor Abflug die Sicherheitskontrolle unproblematisch erfolgen könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 28.06.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu, insbesondere besteht kein Anspruch aus §§ 651m Abs. 1, Abs. 2, 346 Abs. 1 BGB.
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Die streitgegenständliche Pauschalreise leidet nicht an einem Mangel. Vielmehr befand sich der Kläger mit dem Antritt der Reise in Annahmeverzug, indem er das Abflug-Gate des gebuchten Fluges erst nach dessen Schließung um 13:05 Uhr anstatt um 12:50 Uhr erreichte. Nachdem das Gate geschlossen war, bestand kein Anspruch des Klägers mehr auf Zutritt zum Flugzeug und damit auf Beförderung durch die Leistungserbringer der Beklagten.
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Die Beklagte muss sich eine etwaige Verzögerung bei der sog. „Sicherheitskontrolle“ am Flughafen auch nicht zurechnen lassen. Die Personen- und Gepäckkontrolle ist keine Leistungserbringung der Beklagten oder ihrer Leistungsträger im Rahmen des Reisevertrages, sondern es handelt sich hierbei gemäß Luftsicherheitsgesetz, insbesondere § 5 LuftSiG, um eine hoheitliche Aufgabe des Staates, die durch die zuständige Luftsicherheitsbehörde regelmäßig unter Beauftragung der Bundespolizei ausgeführt wird. Etwaige Fehler der Planung der Luftsicherheitsbehörden bei der Sicherheitskontrolle der Passagiere muss sich die Beklagte nicht zurechnen lassen.
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Der Hinweis auf OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 27.1.2022 – 1 U 220/20 führt in diesem Zusammenhang nicht weiter. Das OLG Frankfurt hatte sich in seinem Urteil mit der Haftung der Bundesrepublik Deutschland für Verzögerungen bei der Passagierkontrolle am Flughafen zu befassen und bejahte unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Entschädigung nach den gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätzen der Aufopferung bzw. wegen enteignenden Eingriffs. Ein solcher Anspruch setzt denknotwendig voraus, dass es sich bei der Passagierkontrolle am Flughafen um eine hoheitliche Aufgabe des Staates handelt. Wie sich auf Grundlage dieser Rechtsprechung eine Haftung der Beklagten ergeben soll, ist nicht ersichtlich.
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Die Beklagte war auch nicht gehalten, den Gepäckabgabeschalter mehr als zweieinhalb Stunden vor Abflug zu öffnen, sondern durfte sich darauf verlassen, dass die Sicherheitskontrolle so organisiert ist, dass ein Erreichen des Gates bis zur angegebenen Boardingzeit problemlos innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitspanne möglich ist. Auch eines Hinweises auf eine etwaige längere Dauer der Sicherheitskontrolle durch die Beklagte bedurfte es nicht; der Hinweis auf die Boardingszeit beim Check-In war ausreichend. Es wäre vielmehr an dem Kläger gewesen, für ein rechtzeitiges Passieren der Sicherheitskontrolle, gegebenenfalls durch ein Herantreten an andere Reisende mit der Bitte um bevorzugte Abfertigung unter Hinweis auf die gesetzte Boardingzeit, Sorge zu tragen. Der Vortrag des Klägers erscheint auch unplausibel vor dem Hintergrund, dass andere Reisende das Flugzeug offenbar trotz der vorgetragenen Verzögerungen in der Sicherheitskontrolle rechtzeitig erreicht haben – es ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass das Flugzeug nicht ohne Passagiere und Gepäck nach Madeira geflogen ist.
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Ein zur Minderung des Reisepreises (gar auf Null) berechtigender Reisemangel ist nach alledem nicht erkennbar. Der Kläger hat es zudem verabsäumt, etwaige Mängel der Reiseleistung gegenüber der Beklagten anzuzeigen und diese zur Abhilfe aufzufordern.
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Die Klage war nach alledem abzuweisen.
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2. Der geltend gemachte Zinsanspruch teilt das Schicksal der Hauptsacheforderung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihren Rechtsgrund in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.