Inhalt

VGH München, Beschluss v. 31.07.2023 – 19 ZB 23.1086
Titel:

Aufnahmezusage als jüdische Zuwanderin 

Normenkette:
AufenthG § 23 Abs. 2
Leitsätze:
1. Aufgrund des Charakters der zum Aufnahmeverfahren erlassenen Anordnung des BMI als der gerichtlichen Überprüfung entzogener politischer Leitentscheidung liegt es im freien Ermessen des BMI, von der jüdischen Abstammungslehre unabhängige Aufnahmekriterien aufzustellen. Es besteht lediglich ein Anspruch auf Gleichbehandlung. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Nachweis der Möglichkeit einer Aufnahme in eine jüdische Gemeinde im Bundesgebiet erfolgt durch eine gutachterliche Stellungnahme der Zentralwohlfahrtstelle der Juden e.V. (ZWST). Hieran ist die Behörde gebunden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufnahmezusage, Nachweis zur Möglichkeit der Aufnahme in eine jüdische Gemeinde im Bundesgebiet nach Nr. I 2. lit. e) der Anordnung BMI, politische Leitentscheidung, Union progressiver Juden (UPJ), Zentralwohlfahrtstelle der Juden e.V. (ZWST)
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 16.05.2023 – AN 5 K 23.215
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20776

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
2
Die am ... 1992 geborene Klägerin, russische Staatsangehörige, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. Mai 2023, durch das ihre Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. Dezember 2022 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid lehnte die Beklagte die Erteilung einer Aufnahmezusage als jüdische Zuwanderin aus der ehemaligen Sowjetunion für die Klägerin insbesondere mit der Begründung ab, die Klägerin erfülle die Voraussetzung des Nachweises zur Möglichkeit der Aufnahme in eine jüdische Gemeinde im Bundesgebiet nach Nr. I 2. lit. e) der Anordnung BMI nicht. Die Zentralwohlfahrtstelle der Juden e.V. (ZWST) habe in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 7. Dezember 2022, unter Einbeziehung der gutachterlichen Stellungnahme der Union progressiver Juden in Deutschland e.V. (UPJ) vom 21. November 2022, die Aufnahme der Klägerin abgelehnt. Die Ablehnung sei in Kenntnis aller vorgelegten Personenstandsurkunden erfolgt und trage dem Umstand Rechnung, dass die Klägerin keine patrilineare Jüdin sei.
3
Zur Begründung der Klageabweisung führt das Verwaltungsgericht insbesondere aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufnahmezusage, da für sie nicht im Sinne von Ziffer I 2. lit. e) der Anordnung BMI der Nachweis erbracht worden sei, dass die Möglichkeit zu einer Aufnahme in eine jüdische Gemeinde im Bundesgebiet bestehe. Die Union progressiver Juden (UPJ), die an dem Verfahren zu beteiligen worden sei, habe mit Schreiben vom 21. November 2022 die Aufnahme der Klägerin abgelehnt, da diese keine patrilineare Jüdin sei. Diese Stellungnahme sei mit der ablehnenden Stellungnahme der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. (ZWST) vom 7. Dezember 2022 vorgelegt worden. An diese negativen Stellungnahmen sei das Bundesamt gebunden. Entgegen der im Schriftsatz vom 4. April 2023 implizit geäußerten Ansicht der Bevollmächtigten der Klägerin sei es nach der Anordnung des BMI nicht vorgesehen, von der Stellungnahme der ZWST abzuweichen. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass der Anordnungsgeber die Erteilung einer Aufnahmezusage an eine derartige gutachterliche Stellungnahme binde. Die auf diese Art und Weise – unter Sicherstellung einer Gleichbehandlung aller Antragsteller durch Benennung einer konkreten Stelle, die gutachterlich tätig sein solle – verwirklichte Berücksichtigung des religiösen Selbstverständnisses der jüdischen Gemeinden sei weder willkürlich noch sonst rechtsstaatlich bedenklich. Im Übrigen seien keine Anzeichen erkennbar, dass die ZWST oder die UPJ bei der Ausstellung der gutachterlichen Stellungnahme für die Klägerin oder ihre Mutter von ihrer bisherigen Praxis abgewichen wären. Die Bevollmächtigte der Klägerin missverstehe den Begriff der patrilinearen jüdischen Abstammung im vorliegenden Zusammenhang als bloße Abstammung in väterlicher Linie. Es sei im Übrigen im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Antragsteller auch nicht zu beanstanden, dass die Klägerin nicht im Wege einer Härtefallentscheidung eine Aufnahmezusage erhalte. Eine solche sehe die Anordnung BMI nicht vor und sie entspräche auch nicht der Verwaltungspraxis der Beklagten.
4
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung.
5
1. Der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt.
6
Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, warum der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris Rn. 16 m.w.N.).
7
Indem die Klägerin lediglich geltend macht, aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergebe sich eine „ungeklärte Tatsachenfrage“, erfüllt sie die Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht. Eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert sie gerade nicht.
8
2. Soweit die Klägerin in der Zulassungsbegründung vortragen lässt, im vorliegenden Fall könne das Prinzip der Gleichberechtigung verletzt werden, denn die strengen Anforderungen der Anordnung BMI führten zu ungerechten Entscheidungen, die den Interessen Deutschlands widersprächen, sodass bei der Anwendung der Anordnung BMI das behördliche Ermessen ausgeübt werden solle, indem das Vorliegen eines Härtefalls auch dann berücksichtigt werde, wenn es in der Anordnung BMI explizit nicht vorgesehen sei, mit der Folge, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten wegen Ermessensnichtgebrauchs aufzuheben sei, greift diese Rüge – ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme – auch in der Sache nicht durch.
9
Gemäß Nr. I 2. lit. e) der Aufnahmeanordnung können als jüdische Zuwanderer nur Personen aufgenommen werden, für die der Nachweis erbracht wird, dass die Möglichkeit zu einer Aufnahme in einer jüdischen Gemeinde im Bundesgebiet besteht. Der Nachweis erfolgt durch gutachterliche Stellungnahme der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden e.V. (ZWST) unter Einbindung der Union Progressiver Juden e.V. (UPJ). Ausweislich des Merkblatts des Bundesamtes zum Aufnahmeverfahren für jüdische Zuwanderer (Stand 05/2020, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Migration Aufenthalt/merkblatt-aufnahmeverfahren-deutsch.pdf? blob=publicationFile& v=4; zuletzt abgerufen am 31.7.2023) kann das Bundesamt keine Aufnahmezusage erteilen, wenn die Empfehlung der ZWST unter Einbindung der UPJ negativ ausfällt.
10
Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2011 – 1 C 21.10 – juris) zutreffend betont, dass es aufgrund des Charakters der zum Aufnahmeverfahren erlassenen Anordnung des BMI als der gerichtlichen Überprüfung entzogener politischer Leitentscheidung – welche, wie ausgeführt, den Betroffenen keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme, sondern lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der vom BMI gebilligten tatsächlichen Anwendung durch das Bundesamt vermittelt – im weitgehend freien und weiten Entschließungs- und Auswahlermessen des BMI liegt, von der jüdischen Abstammungslehre unabhängige Aufnahmekriterien aufzustellen. Die Aufnahmeanordnung, die den begünstigten Personenkreis detailliert regelt, unterliegt nicht der unmittelbaren gerichtlichen Kontrolle (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 19 ZB 15.1731 – juris Rn. 12; B.v. 30.11.2018 – 19 C 18.752 – juris Rn. 12). Es verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn der Gesetzgeber die Exekutive in Gestalt des BMI zur Erteilung von Aufnahmezusagen ermächtigt, die in der Ausgestaltung der Aufnahmevoraussetzungen gerichtlicher Kontrolle entzogen sind. Eine Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze im Sinne von Art. 20 GG ist darin unter Berücksichtigung des Rechtscharakters der Aufnahmeanordnung als innerdienstlicher Richtlinie und politischer Leitentscheidung nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die Wahrung besonders gelagerter Interessen der Bundesrepublik Deutschland kann es nicht Aufgabe der Gerichte sein, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen Organe zu treten. Der politische Charakter einer nach § 23 Abs. 2 AufenthG erlassenen Anordnung verbietet eine Auslegung, die ihr entgegen der Intention ihres Urhebers und der tatsächlichen Verwaltungspraxis unter Verhältnismäßigkeitserwägungen einen weitergehenden Anwendungsbereich zuweist. Eine Außenwirkung kommt der Anordnung nur mittelbar über die Verpflichtung der Behörden zur Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG zu, soweit sich eine der Richtlinie entsprechende Behördenpraxis herausgebildet hat; dem Gericht obliegt es lediglich nachzuprüfen, ob der Gleichheitssatz bei Anwendung der Anordnung durch das Bundesamt gewahrt ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 19 ZB 15.1731 – juris Rn. 14; B.v. 19.9.2014 – 19 ZB 12.1010 – juris Rn. 19). Nach diesen Maßstäben ist es dem Gericht entgegen dem Zulassungsvorbringen auch verwehrt, die jüdische Abstammungslehre sowie die Differenzierung nach matri- oder patrilinearer Abstammung inhaltlich zu hinterfragen. Aufgrund der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) verbietet sich vielmehr eine Bewertung der jüdischen Abstammungslehre sowie der Differenzierung zwischen matrilinearer und patrilinearer Abstammung (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 19 ZB 15.1731 – juris Rn. 14).
11
Nr. I 2. lit. e) der Aufnahmeanordnung regelt unmissverständlich, dass der Nachweis der Möglichkeit einer Aufnahme in eine jüdische Gemeinde im Bundesgebiet durch eine gutachterliche Stellungnahme der ZWST unter Einbindung der UPJ erfolgt. Diese Aufnahmevoraussetzung entspricht dem Rechtsstaatsgebot und verstößt nicht gegen das Willkürverbot. Die nach der Aufnahmeanordnung erforderlichen Stellungnahmen liegen mit dem Schreiben der ZWST vom 7. Dezember 2022 und mit der Stellungnahme der UPJ mit Schreiben vom 21. November 2022 für die Klägerin vor und sie enthalten die eindeutige Aussage, dass eine Aufnahmemöglichkeit in eine jüdische Gemeinde nicht besteht. Die Aufnahmeanordnung kennt weder die Möglichkeit einer Ersetzung der gutachterlichen Stellungnahme der Zentralverbände noch einer inhaltlichen Korrektur. Von der Klägerseite wurde auch nicht substantiiert dargelegt, dass nach der Verwaltungspraxis des Bundesamtes – mit Billigung des BMI – entgegen der in Nr. I 2. lit. e) der Aufnahmeanordnung geforderten Stellungnahmen der ZWST oder der UPJ Aufnahmezusagen erteilt worden wären. Auch ist dem Senat keine von der Aufnahmeanordnung insoweit abweichende Verwaltungspraxis bekannt. Vor diesem Hintergrund ist kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG ersichtlich. Die durch § 23 Abs. 2 AufenthG als Parlamentsgesetz eingeräumte Befugnis des Bundesinnenministeriums, Anordnungen zur Aufnahme von Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen zu treffen, dient ausdrücklich der Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland und grundsätzlich nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten der hierdurch begünstigten Ausländer (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2010 – 1 C 21.10 – juris Rn. 16). Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG liegt nicht vor.
12
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).