Titel:
Beihilfe, Festbetragsregelung
Normenketten:
BBhV § 7 S. 2
BBhV § 22 Abs. 3 S. 1
§ 22 Abs. 3 S. 2 BBhV:
Schlagworte:
Beihilfe, Festbetragsregelung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2057
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Gewährung von Beihilfeleistungen für das seiner Ehefrau verordnete Medikament Atozet.
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Der Kläger ist als Versorgungempfänger im Dienste des Beklagten dem Grunde nach beihilfeberechtigt. Der Bemessungssatz zu krankheitsbedingten Aufwendungen der berücksichtigungsfähigen Ehefrau des Klägers beträgt 70 v.H.
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Mit Beihilfeantrag vom … … … beantragte der Kläger unter anderem Leistungen für den Erwerb des seiner Ehefrau verordneten Medikaments Atozet 10mg/40 mg FTA N 3 100 St zum Preis von 244,88 € und legte die Rechnung vom … … … vor.
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Mit Bescheid vom 10. Dezember 2021 setzte das Bundesverwaltungsamt, Dienststelle … hinsichtlich des Medikaments Atozet 10 mg /40 mg FTA N3 100 St eine Beihilfe in Höhe von 46,60 € fest (70% der beihilfefähigen Summe von 66,57 €). Die Beklagte begründete dies im Wesentlichen damit, dass Aufwendungen für ärztlich verordnete Arzneimittel, für die Festbeträge nach § 35 Abs. 3, 5 und 6 SGB festgesetzt seien, nach § 22 BBhV grundsätzlich nur bis zur Höhe der Festbeträge beihilfefähig seien. Der Festbetrag betrage bei Atozet 10mg/40mg 73,97 €. Nach Abzug eines Eigenbehalts von 7,40 € und Anwendung des Bemessungssatzes von 70 v.H. ergebe sich ein Auszahlungsanspruch von 46,60 €.
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Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 Widerspruch. Dies begründete er im Wesentlichen damit, dass das bisher verordnete Medikament Tioblis nicht mehr hergestellt werde. Dieses Medikament sei bisher aufgrund medizinischer Indikation durch die Beihilfe mit dem Gesamtbetrag anerkannt worden. Ein entsprechendes ärztliches Attest sei kürzlich vorgelegt worden. Das Medikament Atozet sei als „Ersatzpräparat“ verschrieben worden, weil es bei identischem Preis die gleichen Wirkstoffe enthalte.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2022 wies die Beklagte den Widerspruch insoweit als unbegründet zurück. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass nach § 22 Abs. 3 BBhV Aufwendungen für Arzneimittel, für die Festbeträge nach § 35 Abs. 3, 5 und 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt seien, nur bis zur Höhe der Festbeträge beihilfefähig seien, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nach § 35 Abs. 8 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch im Internet veröffentlicht habe. Aufwendungen für Arzneimittel nach § 22 Satz 1 (sic!) seien über den Festbetrag hinaus beihilfefähig, wenn die Arzneimittel 1. in medizinisch begründeten Einzelfällen verordnet worden seien oder 2. In Richtlinien nach § 129a Abs. 1a Satz 2 des Fünften Sozialgesetzbuch bestimmt seien. Auf den Internetseiten des BfArM könnten aktuelle Festbeträge zu Arzneimitteln eingesehen und Vorversionen mit erläuternden Informationen kostenfrei heruntergeladen werden. In der Festbetragsdatenbank seien für Arzneimittel mit Festbetrag passende Vergleichspräparate mit Preisangaben aufgeführt. Die Datenbank werde 14-tägig aktualisiert. Bei Atozet 10 mg/40mg handele es sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, für das nach der dargestellten Rechtslage ein Festbetrag in Höhe von 73,97 € anzusetzen und bei der Beihilfefestsetzung zu berücksichtigen sei. Die Ablehnung der Beihilfegewährung beruhe ausdrücklich nicht auf Zweifeln bezüglich Notwendigkeit und Wirkungsweise des Präparats. Die in § 22 Abs. 3 BBhV enthaltene Regelung entspreche dem Verfahren nach § 35 SGB V, wonach die Festbeträge für Arzneimittel die Kostenträger vor überhöhten Arzneimittelpreisen schützen sollen und somit zur nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitswesens beitrügen. Danach seien Aufwendungen für Arzneimittel nur bis zur Höhe der für die jeweilige Wirkstoffgruppe geltenden Festbeträge beihilfefähig. Die Wirkstoffgruppen, für die Festbeträge gelten würden, würden vom Gemeinsamen Bundesausschuss aus Vertretern der Krankenkassen und ärztlichen Vereinigungen in einem geordneten Verfahren nach medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien festgelegt und veröffentlicht. Der behandelnde Arzt könne im Rahmen seiner ärztlichen Behandlung aus einer Vielzahl gleichwertiger Arzneimittel wählen. Daher bestehe grundsätzlich keine medizinische Notwendigkeit für ein bestimmtes Festbetragsarzneimittel. Verordne der Arzt dennoch ein Arzneimittel, dessen Preis über dem Festbetrag liege, so müsse der Patient diesen Differenzbetrag selbst zahlen. Die Einschränkung der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen über § 22 Abs. 3 BBhV sei eine reine Wirtschaftlichkeitsregelung. Im Regelfall sei davon auszugehen, dass bei Verabreichung eines Wirkstoffs, der zu einer Festbetragsgruppe angehöre, ein angemessenes und wirtschaftliches Portfolio an Arzneimitteln zur Verfügung stehe. Wenn aber aus medizinischen Gründen in seltenen Ausnahmefällen tatsächlich nur ein Arzneimittel aus der Festbetragsgruppe mit einem höheren Apothekenabgabepreis in Frage komme, sei § 22 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 BBhV nicht anwendbar. Dies könne in Fällen zutreffen, in denen die aus der Festbetragsgruppe zur Verfügung stehenden Medikamente unverträglich seien. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn zum Festbetrag erhältliche Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen würden, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen würden und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit erreichen würden. Ein möglicher Einzelfall sei durch eine ärztlich fundierte Stellungnahme der behandelnden Ärztin zu belegen. Im vorliegenden Fall seien keine ärztlichen Unterlagen vorgelegt worden, die die Erfüllung der vorgenannten Kriterien belegen würden. Der § 22 Abs. 3 Satz 1 BBhV finde demnach Anwendung und die entstandenen Aufwendungen für Atozet 10mg/40mg seien nur bis zur Höhe des Festbetrages nach den Übersichten zu § 35 Abs. 8 SGB V als beihilfefähig zu berücksichtigen. Es liege auch kein Fall gemäß den Richtlinien nach § 129 Abs. 1a Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vor. Der abzuziehende Betrag des Eigenbehalts nach § 49 BBhV betrage 7, 40 €. Abzüglich des Bemessungssatzes von 70% ergebe sich eine Beihilfe für eine Packung von 46,60 €. Die klägerischen Äußerungen, dass das bisher verordnete Medikament Tioblis nicht mehr hergestellt werden würde und aufgrund medizinischer Indikation mit dem Gesamtbetrag als beihilfefähig anerkannt worden sei, begründe keinen Beihilfeanspruch auf Erstattung des vollen Apothekenverkaufspreises für Atozet 10mg /40mg mit identischem Preis und den gleichen Wirkstoffen. Die ärztliche Bescheinigung sei für das Medikament Tioblis ausgestellt und könne folglich nicht automatisch auf ein Ersatzpräparat übertragen werden.
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Mit Schreiben vom … … … bescheinigte der behandelnde Arzt Dr. H, dass bei der Ehefrau des Klägers frühere Versuche der medikamentösen Lipid-Therapie mit niedrigpotenten Statinen nicht den den Leitlinien vorgeschriebenen Therapierfolg gezeigt bzw. Nebenwirkungen (Dyspepsie, Diarrhoe) provoziert hätten. Erst seit Einstellung auf Atozet habe die Zielvorgabe ohne Nebenwirkungen erreicht werden können.
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Dagegen erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 7. Februar 2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 8. Februar 2022, Klage und beantragte,
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die Aufhebung des oben bezeichneten Widerspruchsbescheids des Bundesverwaltungsamtes vom 18. Januar 2022, soweit sich der Bescheid auf die bisher festgesetzte Kostenerstattung für das Medikament Atozet bezieht.
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Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass bei seiner Ehefrau seit 2010 eine, durch ärztliche Stellungnahmen belegte, medizinische Indikation zur Behandlung bestehe. Aufgrund dieser Stellungnahmen seien die Kosten für die Beschaffung eines derartigen Medikaments jeweils in voller Höhe des Kaufpreises als beihilfefähig anerkannt worden. Bis Mitte 2021 sei das Medikament Tioblis verschrieben und anerkannt worden. Das Medikament werde nun nicht mehr hergestellt und sei daher nicht mehr verfügbar. Da die medizinische Notwendigkeit für eine Behandlung weiterbestehe, sei das jetzt am Markt verfügbare Medikament Atozet verschrieben worden. Der Widerspruchsbescheid sei verfrüht ergangen und berücksichtige relevante Umstände unzureichend. Es wäre erforderlich gewesen, dem Kläger aufgrund seiner Begründung des Widerspruchs die Möglichkeit einzuräumen, eine ärztliche Bescheinigung „zur Erfordernis von Atozet“ vorzulegen. Der Hinweis im Widerspruchsbescheid (Seite 5 unten), wonach eine ärztliche Bescheinigung für das Medikament Tioblis nicht automatisch auf das Ersatzpräparat übertragen werden könne, sei nicht „sachgerecht“, weil an „dieser Stelle“ bekannt gewesen sei, dass für ein derartiges Präparat seit langer Zeit der volle Apothekenverkaufspreis als beihilfefähig anerkannt worden sei. Der Beihilfebescheid vom 10. Dezember 2021 gebe lediglich einen standardisierten Hinweis auf Festbeträge für bestimmte Medikamente. Ein Hinweis, darauf, dass die gesamten Kosten als beihilfefähig anerkannt werden könnten, falls eine begründete Stellungnahme vorgelegt werden würde, fehle ebenfalls.
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Ebenfalls mit Schriftsatz vom … … … übersandte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung des Dr. H vom … … … Demnach habe die Ehefrau des Klägers Juni/Juli 2010 mehrere medikamentöse Therapieversuche abbrechen müssen, weil diese nicht den vorgeschriebenen Therapieerfolg bzw. Nebenwirkungen gezeigt hätten. Erst seit der Einnahme von Tioblis habe die Zielvorgabe ohne Nebenwirkungen erreicht werden können. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Bescheinigung verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 23. März 2022 verzichtete die Beklagte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und beantragte,
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Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass eine beihilferechtliche Erstattungsfähigkeit für das Arzneimittel Atozet 10mg/40mg über den Festbetrag hinaus nicht gegeben sei. Ein Ausnahmefall aufgrund des Fürsorgegrundsatzes sei nach der Rechtsprechung begründet, wenn aufgrund ungewöhnlicher Umstände keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich sei oder wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen würden, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen würden und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit erreichen würden. Eine Internetrecherche habe ergeben, dass auf dem Markt vier weitere Arzneimittel zum Festpreis oder darunter erhältlich seien, die den gleichen Wirkstoff (Atorvastin hemaicalcium-1,5-Wasser /Atorvastin Ezetimib) enthalten würden. Aus dem vorgelegten Schreiben des Arztes Dr. H vom … … … lasse sich nicht erkennen, ob bzw. welches Medikament beim Kläger (sic!) welche Nebenwirkungen hervorgerufen habe bzw. ob diese Nebenwirkungen über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgegangen seien. Es sei jedoch Sache des Klägers nachweislich zu belegen, dass für ihn die Verwendung des Arzneimittels Atozet alternativlos sei und die Verordnung von Generika in seinem Fall aufgrund der bei ihm vorliegenden Individualverhältnisse aus ärztlicher Sicht auszuschließen sei.
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Mit Schriftsatz vom … … … begründete der Kläger die Klage ergänzend im Wesentlichen damit, dass die ärztliche Bescheinigung vom … … … die Notwendigkeit der Verordnung des Medikaments belege, weil er ausgeführt habe, dass frühere Versuche der medikamentösen Lipidtherapie mit niedrigpotenten Statinen nicht den erforderlichen Therapieerfolg gezeigt bzw. Nebenwirkungen (Dyspepsie; Diarrhoe) provoziert hätten. Die Nebenwirkungen würden entgegen des Schriftsatzes der Beklagten eben nicht als „bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen“ benannt. Das Medikament Atozet sei als Ersatzpräparat verordnet worden, weil Tioblis nicht mehr am Markt verfügbar sei. Die medikamentöse Lipid-Therapie habe vor der Verschreibung des Medikaments Tioblis stattgefunden. Weitergehende Unterlagen dazu seien nicht mehr vorhanden. Die Forderung der Beklagten, einen erneuten Versuch mit anderen Präparaten vor der Verschreibung des Medikaments Atozet sei nicht „sachgerecht“. Im Übrigen sei auf Beihilfeantrag des Klägers vom … … … unter Vorlage der Bescheinigung des Arztes Dr. H vom … … … die Beihilfe in vollem Umfang der Beschaffungskosten gewährt worden.
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Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2022 verzichtete der Kläger auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Mit Schriftsatz vom 12. August 2022 teilte die Beklagte mit, dass der Beihilfebescheid vom … … … hinsichtlich der vollumfänglichen Gewährung der Kosten für Atozet fehlerhaft und damit rechtswidrig sei.
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Mit Schriftsatz vom 26. August 2022 teilte die Beklagte mit, dass sich aus der Bescheinigung vom … … … ergebe, dass die Verordnung des Medikaments Tioblis medizinisch begründet gewesen sei. Da Tioblis nicht mehr im Handel erhältlich sei, habe die Patientin auf ein anderes Medikament ausweichen müssen. Hier habe es sich angeboten, auf ein anderes zum Festpreis erhältliches Medikament auszuweichen. Aus der Bescheinigung vom … … … ergebe sich nicht, inwiefern es medizinisch begründet sei, von einem weit über dem Festpreis liegenden Medikament auf ein anderes ebenfalls extrem teures Medikament zu wechseln. Sollten Wirkstoffe, die derselben Festbetragsgruppe zugeordnet seien, unverträglich sein, böten sich andere Präparate an, welche die gleichen Wirkstoffe enthielten.
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Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. Februar 2023 übertrug die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte.
Entscheidungsgründe
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Die Entscheidung konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Die erhobene Klage war unter Berücksichtigung des klägerischen Begehrens nach § 88 VwGO als insoweit statthafte Verpflichtungsgegenklage auszulegen (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO).
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2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid vom 10. Dezember 2021 und der Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2022 sind – soweit sie angegriffen wurden – rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Kläger ist als Versorgungempfänger im Dienste der Beklagten mit dem für seine berücksichtigungsfähige Ehefrau geltenden Bemessungssatz von 70% beihilfeberechtigt. Ihm steht jedoch kein Anspruch auf eine dem Bemessungssatz entsprechende Erstattung des Apothekenpreises zu, soweit dieser den Festbetrag übersteigt.
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Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40/12 – juris Rn. 9). Maßgeblicher Zeitpunkt ist hier demnach das Datum der vorgelegten Rechnung, der … … … Die Beihilfefähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen bestimmt sich daher nach der Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung – BBhV) vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 1. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2713; 2021 I 343) geändert worden ist.
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2.1. Zwischen den Beteiligten steht die sich aus § 22 Abs. 1 BBhV ergebende grundsätzliche Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für das Medikament Atozet nicht im Streit. Gegenstand des Rechtsstreits ist lediglich die Frage, ob die dem Kläger über den Festbetrag hinaus entstandenen Aufwendungen beihilfefähig sind.
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Aufwendungen für Arzneimittel, für die Festbeträge nach § 35 Abs. 3, 5 und 6 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs festgesetzt sind, sind nur bis zur Höhe der Festbeträge beihilfefähig, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nach § 35 Abs. 8 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch im Internet veröffentlicht. Aufwendungen für Arzneimittel sind nach Satz 1 über den Festbetrag hinaus beihilfefähig, wenn die Arzneimittel 1. In medizinisch begründeten Einzelfällen verordnet sind oder 2. in Richtlinien nach § 129 Abs. 1a Satz 2 des Fünften Sozialgesetzbuch bestimmt sind (§ 22 Abs. 3 BBhV).
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2.2. Es bestehen vorliegend keine rechtlichen Bedenken an der Beschränkung der zu gewährenden Beihilfe auf den genannten Festbetrag. Insbesondere ergibt sich die Pflicht zur Gewährung der Beihilfe über den Festbetrag hinaus auch nicht aus der gesetzlich vorgesehenen Ausnahme des § 22 Abs. 3 Satz 2 BBhV.
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Das Gericht verweist zur Begründung zunächst auf die Ausführungen auf Seite 3 ff. im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18. Januar 2022 und macht sich diesen zu eigen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend führt das Gericht aus:
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Die Beklagte hat in rechtlich zulässiger Weise den sich aus § 22 Abs. 3 BBhV i.V.m. § 35 Abs. 8 SGB V ergebenden Festbetrag von 73, 97 € (Stand 15. Oktober 2021 – Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen) für die Gewährung von Beihilfe hinsichtlich des Festbetragsarzneimittels Atozet 10mg/40mg 100 St. zugrunde gelegt. Der darin enthaltene Wirkstoff Atorvastatin hemicalcium-1,5-Wasser / Atorvastatin Ezetimib ist demnach auch in sechs weiteren unter dem Festpreis erhältlichen Medikamenten verfügbar.
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Gegen die Regelung des § 22 Abs. 3 BBhV bestehen auch keine grundsätzlichen rechtlichen Bedenken, sie ist insbesondere mit dem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Vorbehalt des Gesetzes vereinbar (vgl. BVerwG, U. v. 26.3. 2015 – 5 C 9/14 – juris Rn. 20; VG Neustadt (Weinstraße) U. v. 13.12.2017 – M 3 K 1183/17.NW – juris Rn. 22).
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Ein medizinisch begründeter Einzelfall im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 2 BBhV bzw. § 7 S. 2 BBhV, der zur Gewährung von Beihilfe über den Festbetrag hinaus, führen würde, ist hier nicht ersichtlich.
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Im Rahmen der Auslegung des Begriffs des medizinisch begründeten Einzelfalls des zum § 22 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BBhV sind die bereits zu § 7 Satz 2 BBhV entwickelten Grundsätze zu berücksichtigen. § 7 S. 2 BBhV ermöglicht einen Härtefallausgleich auch in den Fällen, in denen der Kernbereich der Fürsorgepflicht – wie hier – nicht betroffen ist, das heißt wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, bei denen es sich aufdrängt, dass der Fürsorgegrundsatz zur ausnahmsweisen Anerkennung der – vollständigen – Beihilfefähigkeit von unter die Festbetragsregelung fallenden Arzneimitteln führt (BVerwG, U. v. 26.3.2015 – 5 C 9.14, juris – OVG RhPf, U. v. 15.4.2011 – 10 A 11331/10 – juris; VG Augsburg, U. v. 31.03.2016 – Au 2 K 15.1778 – juris).
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Nach der insoweit zur Konkretisierung heranzuziehenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist eine Ausnahme von der Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag geboten, wenn – trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen – aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist (BSG, U. v. 3.12.2012 – B1 KR 22/11 R – juris Rn. 15 ff.; OVG Berlin-Bbg, U. v. 9.12.2015 – OVG 7 B 13.15 – juris Rn. 35 f.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit erreichen. Voraussetzung ist, dass objektiv nachweisbar eine zusätzliche behandlungsbedürftige Krankheit oder eine behandlungsbedürftige Verschlimmerung einer bereits vorhandenen Krankheit nach indikationsgerechter Nutzung aller anwendbaren, preislich den Festbetrag unterschreitenden Arzneimittel eintritt, dass die zusätzliche Erkrankung/Krankheitsverschlimmerung zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit jeweils wesentlich durch die Anwendung der den Festbetrag im Preis unterschreitenden Arzneimittel bedingt ist und dass die Anwendung des nicht zum Festbetrag verfügbaren Arzneimittels ohne Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit bleibt und in diesem Sinne alternativlos ist. Hierbei ist das objektivierbar gesicherte Hinzutreten einer neuen Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit nach Verabreichung eines Festbetragsarzneimittels in einem Behandlungsbedürftigkeit begründenden Ausmaß durch Vollbeweis zu belegen. Dies bedeutet indes nicht, dass der Betroffene sämtliche zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel, die zur Behandlung der bei ihm diagnostizierten Erkrankung in Betracht kommen, gleichsam „durchprobieren“ muss und erst nach Auftreten von Nebenwirkungen im genannten Ausmaß die Erstattung von über dem Festbetrag liegenden Aufwendungen beanspruchen kann. Denn Vollbeweis kann auch auf andere Weise, etwa durch Herstellerangaben zur Häufigkeit und Schwere von Nebenwirkungen oder hierauf sowie auf die Konstitution des Patienten bezogene Stellungnahmen des behandelnden Arztes oder anderer sachverständiger Stellen, geführt werden (OVG Berlin-Bbg, U. v. 9.12.2015 – OVG 7 B 13.15 – juris Rn. 35 f.).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die übersandten Bescheinigungen des Kardiologen Dr. H vom … … … und vom … … … genügen diesen Anforderungen nicht. Die Klagepartei hat nicht ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen die Einnahme von Atozet gegenüber anderen Präparaten mit dem gleichen Wirkstoff medizinisch notwendig sei.
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Selbst, wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass die im ärztlichen Schreiben vom … … … dargestellten Nebenwirkungen (Dsypepsie und Diarrhoe) durch die medikamentöse Lipid-Therapie mit niedrigpotenten Statinen den erforderlichen Grad an Schwere bzw. Behandlungsbedürftigkeit erreichen, ist die Klagepartei ihren Darlegungspflichten zur medizinischen Notwendigkeit der Therapie nicht in genügender Art und Weise nachgekommen. Es ergeben sich aus der ärztlichen Bescheinigung keine detaillierten Angaben dazu, ob und mit welchen konkreten Medikamenten mit dem hier relevanten Wirkstoff Atorvastatin versucht wurde die gewünschte Linderung der Symptome bzw. die „Zielvorgabe“ zu erreichen. Versuche mit anderen Statinen bzw. die mit Bescheinigung vom … … … bestätigten Therapieversuche mit Ramipril oder Telmisartan sind nicht geeignet hierzu eine Aussage zu treffen, weil es sich um unterschiedliche Wirkstoffe handelt, die nicht unter den Festbetrag fallen.
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Darüber hinaus ist auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags nicht ersichtlich, weshalb es sich um hier einen derartigen medizinisch begründeten Einzelfall handelt, der eine Einnahme von Atozet gegenüber anderen Präparaten mit dem Wirkstoff Atorvastatin hemicalcium-1,5-Wasser / Atorvastatin Ezetimib notwendig machen würde. Allein aus der menschlich nachvollziehbaren Befürchtung der Klagepartei vor weiteren Nebenwirkungen bei Wechsel des Medikaments ergibt sich kein Anspruch auf Gewährung von Beihilfe über den Festbetrag hinaus.
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Ein etwaiger Anspruch auf Gewährung von Beihilfe ergibt sich auch nicht aus den in der Vergangenheit für die Präparate Tioblis und Atozet gewährten Leistungen. Die möglicherweise rechtswidrige vergangene Gewährung von Beihilfe bindet die Beklagte nicht für zukünftige Verfahren. Da es sich bei dem Anspruch auf Gewährung von Beihilfe um eine gebundene Entscheidung ohne behördliches Ermessen handelt, kommt eine aus Art. 3 GG folgende Selbstbindung der Verwaltung hier nicht in Betracht.
40
Die Vorschrift des § 22 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BBhV ist ebenfalls nicht einschlägig. Bei Atozet handelt es sich nicht um ein Arzneimittel, dass von der Ersetzung durch andere wirkstoffgleiche Arzneimittel ausgeschlossen ist (vgl. § 129 Abs. 1a Satz 2 SGB V i.V.m. Teil B der Anlage VII zur Arzneimittel-Richtlinie).
41
Eine weitergehende Amtsermittlung durch das Gericht war mangels entsprechend substantiierter Nachweise für einen Ausnahmefall nicht geboten. Die Klage war somit abzuweisen.
42
3. Der Kläger trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 704 ff., 708 Nr. 11 ZPO.