Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 31.05.2023 – W 6 S 23.588
Titel:

Widerruf der Erlaubnis für den gewerblichen Güterverkehr

Normenketten:
GüKG § 3 Abs. 2, Abs. 5 S. 2
Kraftverkehrsunternehmer-Zulassungs-VO Art. 3, Art. 6
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1
GBZugV § 2 Abs. 1
Leitsätze:
1. Durch Rückstände bei der Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung sind nachträglich Tatsachen eingetreten, die zur Versagung der Erlaubnis hätten führen müssen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die persönliche Zuverlässigkeit muss bei juristischen Personen bei allen gesetzlichen Vertretern vorliegen. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sofortverfahren, Widerruf der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr, Unzuverlässigkeit des Unternehmers, Beitragsrückstände für gesetzliche Unfallversicherung, ordnungsgemäße Anhörung, Interessenabwägung, gewerblicher Güterkraftverkehr, Zuverlässigkeit, Beitragsrückstand, Widerruf, Prognoseentscheidung, Anhörung, VO (EG) Nr. 1071/2009
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.01.2024 – 11 CS 23.1132
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18702

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung ihrer Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr und die Verpflichtung zur Rückgabe der hierüber erteilten Ausfertigungen.
2
1. Der Antragstellerin, die in der Rechtsform einer GmbH ein Transportunternehmen betreibt, wurde am 15. März 1999 die unbefristete Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr erteilt. Ihr wurden 17 Ausfertigungen der Erlaubnis ausgestellt.
3
Mit Schreiben vom 1. November 2021 teilte die Berufsgenossenschaft Verkehr (BG Verkehr) dem Landratsamt … mit, dass die Antragstellerin derzeit insgesamt 32.106,34 EUR an Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung und entstandenen Kosten gegenüber der BG Verkehr schuldig sei. Mehrfache Erinnerung, Gewährung von Zahlungserleichterungen und Zwangsvollstreckung hätten nicht zur Befriedigung des Anspruches geführt. Man habe die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass mit der Einleitung eines Widerrufsverfahrens hinsichtlich der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr gerechnet werden müsse, falls die Forderung nicht beglichen werde. Dennoch sei die Forderung nicht beglichen worden und die Antragsgegnerin habe sich nicht einmal mit der BG Verkehr in Verbindung gesetzt, um beispielsweise durch eine angemessene Ratenzahlung das Verfahren abzuwenden. Es wurde um die sofortige Einleitung mit dem Ziel des Widerrufs der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr gebeten.
4
Zur Überprüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit forderte das Landratsamt … die Antragstellerin mit Schreiben vom 29. November 2021 unter anderem zur Vorlage einer Eigenkapitalbescheinigung spätestens binnen vier Wochen nach Eingang des Schreibens auf. Am 4. Februar 2022 wurde der Antragstellerin mündlich Fristverlängerung zur Vorlage der Unterlagen bis zum 14. Februar 2022 gewährt.
5
Eine Vorlage der geforderten Unterlagen durch die Antragstellerin erfolgte nicht.
6
Mit weiterem Schreiben vom 7. April 2022 wurde die Antragstellerin erneut zur Vorlage der Unterlagen zur Prüfung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit bis spätestens 21. April 2022 aufgefordert und die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens im Fall der Nichtvorlage angekündigt.
7
Eine Vorlage der geforderten Unterlagen durch die Antragstellerin erfolgte nicht.
8
Mit Schreiben vom 6. Mai 2022 teilte die BG Verkehr mit, dass sich der Beitragsrückstand nunmehr auf 36.615,64 EUR belaufe.
9
Mit Schreiben vom 18. August 2022 wurde die Antragstellerin zum beabsichtigten Widerruf ihrer Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr angehört.
10
Am 16. September 2022 nahm die Antragstellerin unter Vorlage diverser Kontoauszüge hierzu Stellung und führte im Wesentlichen aus, es würden aufgrund von Mutmaßungen schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen erhoben, welche nicht den Tatsachen entsprächen. Es bestünden zwar Rückstände bei den Sozialversicherungsbeiträgen, jedoch sei dies „mit Corona“ zu erklären und es sei im Jahr 2021 eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Hauptzollamt … geschlossen worden. Es sei daher nicht von einer Unzuverlässigkeit auszugehen. Es werde zudem bestritten, dass zum Stichtag 1. November 2021 ein Betrag von 32.106,34 EUR fällig gewesen sei. Es könne lediglich sein, dass die Berufsgenossenschaft den Beitrag für das Jahr 2022 mit einberechnet habe, der erst im Jahr 2022 fällig geworden sei. Auch für das Jahr 2022 sei mit dem Hauptzollamt eine Ratenzahlung vereinbart worden. Zudem sei die finanzielle Leistungsfähigkeit gegeben. Alle Geschäftskonten würden im Guthaben geführt und es sei eine ständige Liquidität von ca. 75.000 bis 100.000 EUR gegeben. Hinzu komme noch das Eigentum am Fuhrpark. Die lange Beantwortungsdauer der Schreiben des Landratsamtes sei damit zu erklären, dass es aufgrund der Corona-Pandemie, der Preissteigerungen und des Personalmangels nach Ausbruch des Ukrainekrieges zu erheblichen Problemen im Speditionsgewerbe gekommen sei und der Geschäftsführer der Antragstellerin daher teilweise selbst als Disponent und Kraftfahrer tätig gewesen sei.
11
Mit Schreiben an einen der Geschäftsführer der Antragstellerin vom 8. November 2022 wurde dieser aufgefordert bis spätestens 30. November 2022 Bestätigungen der Berufsgenossenschaft über die regelmäßige Zahlung laufender Beiträge bei Fälligkeit und vom Hauptzollamt über die Ratenzahlungsvereinbarung und deren regelmäßige Bedienung sowie eine Forderungsaufstellung des Hauptzollamtes, vorzulegen. Eine Vorlage der Unterlagen erfolgte nicht.
12
Auf Anfrage des Landratsamtes … teilte die BG Verkehr mit Schreiben vom 14. November 2022 unter Auflistung der entsprechenden Beitragsbescheide mit, dass sich die Rückstände auf insgesamt 34.115,64 EUR beliefen. Die Beitragsbescheide seien bestandskräftig und bezüglich der Forderung liefen mehrere Vollstreckungsersuchen beim Hauptzollamt … Die letzte Zahlung in Höhe von 2.500,00 EUR sei am 12. April 2022 über das Hauptzollamt eingegangen. Weitere Zahlungen seien nicht erfolgt.
13
Das Hauptzollamt … teilte dem Landratsamt … auf dessen Anfrage mit, dass die Antragstellerin in den Jahren 2021 und 2022 immer wieder Zahlungen in verschiedener Höhe geleistet habe. Der letzte Zahlungseingang sei im April 2022 in Höhe von 2.500,00 EUR gewesen. Am 14. Juni 2022 sei durch einen der Geschäftsführer der Antragstellerin ein Antrag auf Vollstreckungsaufschub durch Ratenzahlung mit Monatsraten in Höhe von 5.000,00 EUR beginnend ab 25. Juli 2022 gestellt worden, welcher auch bewilligt worden sei. Die erste Rate sei bis 3. August 2022 nicht eingegangen, weshalb die Antragstellerin mit Schreiben desselben Datums angemahnt wurde. Da daraufhin wiederum keine Zahlung eingegangen sei, sei der Vollstreckungsaufschub mit Schreiben vom 12. September 2022 aufgehoben worden. Es seien weitere Vollstreckungsaufträge anderer Gläubiger hinzugekommen, was die Gesamtforderung deutlich erhöht habe. Am 13. September 2022 sei den beiden Geschäftsführern die Ladung zur Vermögensauskunft schriftlich angedroht worden. Eine Zahlung sei dennoch nicht aufgenommen worden, weshalb eine schriftliche Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft beim Zollamt … am 24. Januar 2023 erfolgt sei.
14
Mit Schreiben vom 2. Februar 2023, adressiert an einen der Geschäftsführer der Antragstellerin, wurde diesem Gelegenheit zur Stellungnahme zum beabsichtigten Widerruf der Erlaubnis der Antragstellerin für den gewerblichen Güterkraftverkehr gegeben. Eine inhaltliche Stellungnahme erfolgte auch nach zweimaliger Fristverlängerung nicht.
15
Mit Bescheid vom 6. April 2023 – einem Geschäftsführer der Antragstellerin zugestellt am 11. April 2023 – wurde die der Antragstellerin am 15. März 1999 erteilte Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr widerrufen (Nr. 1 des Bescheides) und die Antragstellerin verpflichtet, die ausgestellte Erlaubnis Nr. … mit den 17 Ausfertigungen innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides beim Landratsamt … zurückzugeben (Nr. 2). Für den Fall, dass der Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheides nicht fristgerecht nachgekommen wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 4) und eine Gebühr für den Bescheid in Höhe von 506,00 EUR sowie Auslagen in Höhe von 4,11 EUR festgesetzt (Nr. 5).
16
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Erlaubnis sei zu widerrufen, da der Unternehmer oder Verkehrsleiter der Antragstellerin nicht mehr persönlich zuverlässig sei. Gemäß § 3 Abs. 5 Satz 2 Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) sei eine Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen einträten, die zu ihrer Versagung hätten führen müssen. Aufgrund der Mitteilung der BG Verkehr seien Zahlungsrückstände der Antragstellerin zur gesetzlichen Unfallversicherung bekannt geworden. Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe Unterlagen, die zur Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin notwendig seien, trotz gesetzlicher Verpflichtung auch nach mehrmaliger Aufforderung und Festsetzung eines Bußgelds nicht vorgelegt. Durch die Verletzung der Zahlungspflichten gegenüber der BG Verkehr und Nachweispflichten gegenüber dem Landratsamt …, habe sich der Geschäftsführer der Antragstellerin als unzuverlässig gemäß § 2 Abs. 1 der Berufszugangsverordnung für den Güterkraftverkehr (GBZugV) erwiesen. Dort sei geregelt, dass der Unternehmer oder der Verkehrsleiter zuverlässig sei, wenn keine Tatsachen vorlägen, dass bei der Führung des Unternehmens gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen werde oder beim Betrieb des Unternehmens die Allgemeinheit geschädigt oder gefährdet werde. Diese Voraussetzungen seien nicht mehr gegeben, da aufgrund der Verletzung der gesetzlichen Nachweispflichten gegenüber der Erlaubnisbehörde und der Zahlungspflichten gegenüber öffentlich-rechtlichen Gläubigern von einer Unzuverlässigkeit ausgegangen werden müsse. Es sei sowohl gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen als auch die Allgemeinheit geschädigt worden. Hätten die Zahlungsrückstände bei der BG Verkehr bereits bei Antragstellung bestanden, wäre die Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr nicht erteilt worden. Ein Ermessen der Behörde bestehe nicht.
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Die Erlaubnis … sowie die 17 Ausfertigungen seien gemäß der Rn. 30 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Güterkraftverkehrsrecht (GüKVwV) nach Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides einzuziehen und ungültig zu machen.
18
Nach Abwägung der betroffenen Interessen sei nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheides anzuordnen, da bei einem vorläufigen Belassen der Erlaubnis fortwährende Verstöße gegen Bestimmungen des GüKG und Schädigungen oder Gefährdungen der Allgemeinheit beim Weiterbetrieb des Unternehmens nicht wirksam abgewehrt werden könnten. Es bestehe auch unter Berücksichtigung der unternehmerischen Interessen der Antragstellerin ein erhebliches öffentliches Interesse der Allgemeinheit, vor Transportunternehmen im Güterkraftverkehr geschützt zu werden, die persönlich unzuverlässig seien. Die Bedeutung der Sicherheit des Straßenverkehrs und das erhebliche Gefährdungspotenzial bei einem unzuverlässigen Unternehmen rechtfertigten die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch unter Berücksichtigung der etwaigen weitreichenden Folgen und der erheblichen finanziellen und beruflichen Nachteile für die Antragstellerin. Ein finanzschwaches Güterkraftverkehrsunternehmen stelle ein erhebliches Risiko für die anderen Verkehrsteilnehmer dar, weil das Fehlen von Geldmitteln dazu führen kann, dass Versicherungsprämien nicht gezahlt oder notwendige Fahrzeugreparaturen hinausgeschoben würden.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 2 sei im öffentlichen Interesse dringend geboten, da die Antragstellerin nicht mehr über die notwendigen Berufszugangsvoraussetzungen verfüge und die Erlaubnis sowie deren Ausfertigungen den falschen Rechtsschein erweckten, dass die Erlaubnis noch bestehe. Zudem würden dadurch die Gefahren wirtschaftlicher Nachteile der mit der Antragstellerin im Wettbewerb stehenden Betriebe sofort und wirksam abgewendet.
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2. Am 9. Mai 2023 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 6 K 23.587 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 6. April 2023 über den Widerruf der der Klägerin erteilten Transportlizenz (GüKG) … vom 15. März 1999 wird wiederhergestellt.
21
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig, da er auf einer grob unzureichenden und damit grob unrichtigen Sachverhaltsermittlung beruhe. Die evidente Lückenhaftigkeit erschließe sich offenkundig bei erster Lektüre des nur mit einer vagen, unsauber argumentierten und zwischen Widerrufs- und Sofortvollzugsbegründung diffusen Begründung versehenen Bescheids, worin eine Verletzung der Begründungspflicht liege. Hinsichtlich der Mitwirkungsdefizite des Geschäftsführers der Antragstellerin bleibe schon offen, auf welchen der beiden Geschäftsführer sich diese bezögen. Offenbar sei die Bußgeldverfahrens- und Widerrufsverfahrensanhörung vermischt worden. Die Antragstellerin sei in die Irre geführt worden, da aufgrund der Formulierung der Anhörungsschreiben der Eindruck entstanden sei, eine Säumnis werde höchstens ein Bußgeld zeitigen, nicht aber zugleich die Existenz des Unternehmens durch Erlaubniswiderruf kosten. Das Anhörungsschreiben vom 18. August 2022 habe den Eindruck erzeugt, die Unzuverlässigkeit der Antragstellerin stehe aufgrund der tags zuvor bußgeldsanktionierten Nachweisverletzung schon unabänderlich fest. Das Vorgehen des Antragsgegners weise klare Belastungstendenzen auf, sei nicht neutral und verstoße gegen das Willkürverbot. Der Antragsgegner verkenne das Beurteilungssystem zur Zuverlässigkeit nach § 2 GBZugV grundlegend. Dieses habe seine Wurzeln in den in Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 normierten Voraussetzungen und den danach anzulegenden Maßstaben hinsichtlich der Beurteilung der Zuverlässigkeit. Vereinzelte Bagatellfälle könnten aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht gemäß § 2 Abs. 1 GBZugV zur Annahme der Unzuverlässigkeit führen. Insbesondere aus § 2 Abs. 2 und 3 GBZugV folge, dass die Zuverlässigkeit nur in der Regel bei rechtskräftiger Verurteilung wegen eines „schwersten Verstoßes“ gegen Gemeinschaftsvorschriften im Sinne des Anhangs IV der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 fehle oder darüber hinaus im Einzelfall Unzuverlässigkeit dann gegeben sein könne, wenn einer der im Abs. 3 aufgeführten schweren / schwerwiegenden Verstöße vorliege. All dies setze eine umfassende Prüfung voraus, ob derartige Verstöße vorlägen, was hier durch den Antragsgegner nicht erfolgt sei. Der Antragsgegner habe es offensichtlich unterlassen, die für die Beurteilung des Fortbestands der Zuverlässigkeit erforderliche Zukunftsprognose sowohl hinsichtlich beider Geschäftsführer als auch des Verkehrsleiters aufzustellen. Diese Prognose sei in der Begründung des Bescheides mit keinem Wort erwähnt. Es fehle zudem eine Prüfung, ob die Aberkennung im konkreten Einzelfall eine unverhältnismäßige Reaktion darstelle. Die Antragstellerin habe auf die besonderen Umstände des Einzelfalls hingewiesen. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Antragstellerin sei zudem gegeben. Es sei nicht ausreichend nachermittelt worden, welche Beitragsrückstände im Zeitpunkt des Bescheiderlasses konkret bestanden hätten. Die Höhe der Beitragsrückstände zum 1. November 2021 und 14. November 2022 werde bestritten. Nach Erkenntnissen der Antragstellerin hätten zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses lediglich noch Rückstände in Höhe von 10.000,00 EUR bestanden. Es fehle darüber hinaus an jedweden Ermittlungen, ob die Antragstellerin über ein tragfähiges Sanierungskonzept verfüge. Steuerrückstände bestünden derzeit bei keiner Steuerart. Die Antragstellerin habe dem Antragsgegner fortlaufend in uneingeschränkter Kooperationsbereitschaft das Angebot gemacht, etwaige Unstimmigkeiten in persönlicher Vorsprache auszuräumen, was seitens des zuständigen Sachbearbeiters ausgeschlagen worden sei und einen schweren Verfahrensfehler darstelle.
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Das Landratsamt … beantragte für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid im Wesentlichen ausgeführt: Der Bescheid sowie die Anordnung des Sofortvollzugs seien rechtmäßig. Der Widerruf beruhe auf § 3 Abs. 5 Satz 2 GüKG, wonach eine Erlaubnis zu widerrufen sei, wenn nachträglich Tatsachen einträten, die zu ihrer Versagung hätten führen müssen. Dies sei hier der Fall gewesen. Es werde insoweit vollumfänglich auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen. Bußgeldverfahren und Widerrufsverfahren seien nicht vermengt worden. Die Antragstellerin sei mit Schreiben vom 2. November 2022 zeitgleich mit der Rücknahme eines Bußgeldbescheides aus formellen Gründen darauf hingewiesen worden, dass die bisher vorgelegten Kontoauszüge die nötigen Unterlagen für das Überprüfungsverfahren nicht ersetzen könnten und sei erneut zur Vorlage aufgefordert worden. Der Antragsgegner habe sowohl aus eigener Veranlassung als auch auf Äußerungen der Antragstellerin hin Ermittlungen bei der BG Verkehr und dem Hauptzollamt … durchgeführt. Der Antragstellerin sei seit November 2021 mehrfach, auch unter wiederholter Fristverlängerung, Gelegenheit gegeben worden, Unterlagen einzureichen, die sowohl zur Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Unternehmens als auch zur persönlichen Zuverlässigkeit des Unternehmers hätten dienen können. Unterlagen seien trotz Ankündigung bis heute nicht vorgelegt worden. Das mit dem gerichtlichen Antrag vorgelegte vorläufige betriebswirtschaftliche Ergebnis ersetze weder die angeforderten Unterlagen noch kann alleine anhand dessen eine Zukunftsprognose erstellt werden.
24
3. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich des Verfahrens W 6 K 23.587) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
25
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des „Beklagten“ vom 6. April 2023 über den Widerruf der der Antragstellerin erteilten Transportlizenz (GüKG) … vom 15. März 1999 wiederherzustellen, ist bei verständiger Würdigung (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO) dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheides des Landratsamtes … vom 6. April 2023 im Wege eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO begehrt.
26
Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
27
Vorliegend ist ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft. Die von der Antragstellerin am 9. Mai 2023 im Verfahren W 6 K 23.587 erhobene Klage gegen den Widerrufsbescheid vom 6. April 2023 hat in Bezug auf dessen Nr. 1 und 2 aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids wegen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
28
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind und trifft im Übrigen eine eigene Abwägungsentscheidung. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
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Gemessen hieran hat der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheides vom 6. April 2023 keinen Erfolg, da sich diese bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweisen und darüber hinaus auch eine reine Interessenabwägung für die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs spricht.
Im Einzelnen:
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1. Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheides liegen vor.
31
Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist gleichwohl eine auf den konkreten Einzelfall abstellende, nicht lediglich formelhafte Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 80 Rn. 85 m.w.N.).
32
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist im vorliegenden Fall im ausreichenden Maße schriftlich begründet worden. Maßgebend ist, dass der Antragsgegner mit seiner Begründung in hinreichender Weise zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Anordnung des Sofortvollzugs wegen der besonderen Situation im Einzelfall für unverzichtbar hält. Ausreichend ist jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalles eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind. Je nach Fallgestaltung können die Gründe für die sofortige Vollziehung auch ganz oder teilweise mit den Gründen für den Erlass des Verwaltungsaktes identisch sein und sich hierdurch das Begründungserfordernis reduzieren.
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Diesen Voraussetzungen genügt die Begründung des Sofortvollzugs im vorliegenden Fall ohne weiteres. Der Antragsgegner hat unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls dargelegt, weshalb die sofortige Vollziehung im vorliegenden Fall vor dem Hintergrund der erhöhten Gefährlichkeit der Teilnahme unzuverlässiger und finanzschwacher Transportunternehmen am Straßenverkehr aus seiner Sicht notwendig war. Hierbei wurden auch die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin berücksichtigt. Auch hinsichtlich der Nr. 2 wurde der Sofortvollzug den obigen Anforderungen entsprechend begründet. Der Antragsgegner hat dargelegt, dass ein Belassen der Ausfertigungen der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr den Rechtsschein einer noch bestehenden Erlaubnis setzen würde und durch die Anordnung des Sofortvollzugs eine etwaige missbräuchliche Verwendung, die zu ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteilen führen könnte, verhindert werden solle.
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Daraus wird deutlich, dass sich der Antragsgegner die besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit des Sofortvollzugs bewusstgemacht hat. Damit ist der Forderung, die besonderen auf den konkreten Fall bezogenen Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs anzugeben, Rechnung getragen. Die weitere Frage, ob die vom Antragsgegner angeführte Begründung die Anordnung des Sofortvollzugs in der Sache trägt, ist eine Frage der inhaltlichen Richtigkeit und damit des materiellen Rechts (vgl. BayVHG, B.v. 23.3.2023 – 20 CS 23.219; vgl. im Übrigen BayVGH, B.v. 25.9.2020 – 23 CS 20.1928, 23 CS 20.1931, 23 CS 20.1935 – jeweils juris; OVG SH, B.v. 5.6.2019 – 4 MB 42/19 – juris; NdsOVG, B.v. 29.11.2017 – 11 ME 268/17 – RdL 2018, 80; OVG LSA, B.v. 27.10.2017 – 3 M 240/17 – LKV 2018, 80).
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2. Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geboten, aber auch ausreichend ist, ergibt, dass die Klage in der Hauptsache gegen die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
36
Diese erweisen sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletzen die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog). Das Gericht verweist insoweit zunächst auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheides (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Ergänzend ist auszuführen:
38
Der Bescheid des Antragsgegners vom 6. April 2023 begegnet zunächst keinen formellen Bedenken. Sofern die Antragstellerin einen schweren Verfahrensfehler rügt, da ihr im Verwaltungsverfahren nur die Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme und nicht der persönlichen Vorsprache eingeräumt worden sei, greift dieser Einwand nicht durch. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG schreibt keine bestimmte Form der Anhörung vor. Die Entscheidung über die Form bzw. Art und Weise der Anhörung steht im Ermessen der anhörenden Behörde, wobei insbesondere eine mündliche Anhörung zwingend nur dann geboten ist, wenn sich das Verfahrensermessen der Verwaltung insoweit auf Null reduziert, um den Zweck des rechtlichen Gehörs voll erfüllen zu können (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 28 Rn. 39 f. m.w.N.).
39
Für eine derartige Ermessensreduzierung hinsichtlich einer persönlichen Anhörung der Antragstellerin gibt es keinerlei Anhaltspunkte, zumal die Antragstellerin diesbezüglich auch nicht substantiiert vorgetragen hat, weshalb eine solche zwingend zur Verwirklichung des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren erforderlich gewesen sein sollte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner auf die E-Mails der Antragstellerin vom 10. März und 15. März 2023 (Bl. 190 ff. der Behördenakte) ermessensfehlerhaft keine persönliche Anhörung gewährt hat. Der aus der Behördenakte ersichtliche Verfahrensablauf war im Wesentlichen von einer Verzögerung, welche zuvorderst auf einer Vielzahl von Fristverlängerungsersuchen der Antragstellerin beruhte, geprägt. Das nach Ankündigung des Widerrufs nun keine weitere persönliche Anhörung erfolgte, ist vor diesem Hintergrund rechtlich nicht zu beanstanden.
40
Einen Verstoß gegen die Begründungspflicht nach Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG liegt ebenfalls nicht vor. Hierfür gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
41
Dass sowohl die (letzte) Anhörung zum Widerruf vom 2. Februar 2023 als auch der Widerrufsbescheid vom 6. April 2023 an Herrn … … als Geschäftsführer der Antragstellerin zugestellt wurden, obgleich die Antragstellerin als Inhaberin der widerrufenen Erlaubnis Inhaltsadressatin des streitgegenständlichen Bescheides ist, ist unerheblich, da sowohl die Anhörung des, als auch die Bekanntgabe an (Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) einen der alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Antragstellerin für diese wirkt (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Auflage 2022, § 28 Rn. 22; BayVGH, B.v. 26.7.2019 – 15 CS 19.1050 – juris Rn. 27).
42
Die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides begegnen auch in materieller Hinsicht bei summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken.
43
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2023 – 11 ZB 22.930 – juris Rn. 14, B.v. 24.1.2011 – 11 CS 11.37 – juris Rn. 18). Abzustellen ist danach auf den Erlass des streitgegenständlichen Bescheides vom 6. April 2023.
44
Rechtsgrundlage für den Widerruf der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr in Nr. 1 des Bescheides vom 6. April 2023 ist § 3 Abs. 5 Satz 2 GüKG. Danach ist eine Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung der Erlaubnis hätten führen müssen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr ergeben sich aus § 3 Abs. 2 GüKG, wonach eine Erlaubnis dann erteilt wird, wenn der Unternehmer, die in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der RL 96/27/EG (Abl. L 300 vom 14.11.2009, S. 51 – in der Folge Verordnung (EG) Nr. 1071/2009) genannten Voraussetzungen zur Ausübung des Berufs eines Kraftverkehrsunternehmers erfüllt. Nach Art. 3 Buchst. b) und c) der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 müssen Kraftverkehrsunternehmer insbesondere zuverlässig sein und eine angemessene finanzielle Leistungsfähigkeit besitzen. Die Begriffe der Zuverlässigkeit und finanziellen Leistungsfähigkeit werden in den Art. 6 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 näher konkretisiert.
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Gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 legen die Mitgliedsstaaten die Anforderungen der Zuverlässigkeit fest. Die Mindestvoraussetzungen hierfür ergeben sich dabei aus Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009. Im Übrigen ist es den Mitgliedsstaaten unbenommen, strengere Anforderung zu stellen. Nach § 2 Abs. 1 der Berufszugangsverordnung für den Güterkraftverkehr (GBZugV) ist die persönliche Zuverlässigkeit des Unternehmers oder Verkehrsleiters des Unternehmens dann gegeben, wenn keine Tatsachen vorliegen, dass bei der Führung des Unternehmens gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen (Nr. 1) oder bei dem Betrieb des Unternehmens die Allgemeinheit geschädigt oder gefährdet wird (Nr. 2).
46
Die Voraussetzungen für den Widerruf der Erlaubnis lagen zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses vor. Durch die Rückstände der Antragstellerin bei der Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung sind nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die zur Versagung der Erlaubnis hätten führen müssen, da die persönliche Zuverlässigkeit jedenfalls des Herrn … … als Geschäftsführer der Antragstellerin nicht mehr gegeben war. Die Prognoseentscheidung des Antragsgegners im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses (vgl. hierzu OVG NW, B.v. 12.4.2013 – 13 B 255/13 – juris Rn. 11 ff.), dass Herr … … als Geschäftsführer nicht die Gewähr dafür bietet, das Transportunternehmen zukünftig ordnungsgemäß zu führen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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Es lagen aufgrund der Rückstände bei der Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung, zu der die Antragstellerin nach § 150 Abs. 1 SGB VII verpflichtet ist, Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass das Unternehmen nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend geführt wird bzw. zukünftig geführt werden wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 GBZugV).
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Ausweislich der Mitteilungen der Berufsgenossenschaft Verkehr und des Hauptzollamts … bestanden im Zeitpunkt des Bescheiderlasses Rückstände bei der Zahlung der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von 34.115,64 EUR (Bl. 170 der Akte). Die Antragstellerin hat das Bestehen bzw. die Höhe dieser Rückstände nicht substantiiert, etwa unter Vorlage entsprechender Zahlungsbelege, bestritten. Zudem ist aufgrund der Aktenlage zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses kein ernsthaftes und nachhaltiges Bemühen zu erkennen, diese Rückstände zu verringern. Vielmehr wurde zwar eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Hauptzollamt … geschlossen, welche aber aufgrund des Ausbleibens schon der ersten Rate, wieder aufgehoben wurde (Bl. 180 f.). Auch weitere Vollstreckungsmaßnahmen blieben offensichtlich ohne Erfolg. Darüber hinaus wurden im laufenden Verwaltungsverfahren entgegen der Verpflichtung aus § 11 Abs. 1 GBZugV, trotz mehrfacher Aufforderung und Fristverlängerung zur Vorlage, keine belastbaren Unterlagen zur Überprüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin vorgelegt. Vor diesem Hintergrund war im maßgeblichen Zeitpunkt bei Erlass des Widerrufsbescheides davon auszugehen, dass die persönliche Zuverlässigkeit bei Herrn … … nicht mehr gegeben war.
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Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner seine Prognoseentscheidung nicht auch auf den weiteren alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Antragstellerin erstreckt. Denn die persönliche Zuverlässigkeit muss bei juristischen Personen bei allen gesetzlichen Vertretern, hier also den Geschäftsführern (§ 35 Abs. 1 GmbHG), vorliegen (vgl. Mielchen in Buschbell/Höke, Münchener Anwaltshandbuch Straßenverkehrsrecht, 5. Auflage 2020, § 57 Transportrecht, Gefahrgut und LKW-Maut, Güterkraftverkehrsgesetz, Rn. 15; Knorre in GüKG, 2. Aufl., § 3 Rn. 16). Die persönliche Unzuverlässigkeit des Herrn … … als Geschäftsführer der Antragstellerin reicht mithin für das Vorliegen der Voraussetzungen des Widerrufs aus.
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Ob überdies auch eine Schädigung der Allgemeinheit (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 GBZugV) gegeben war, da gegen sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen verstoßen wurde, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die Antragstellerin finanziell leistungsfähig im Sinne von Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 ist, wobei es aufgrund der nicht vorgelegten Nachweise, insbesondere der geforderten Eigenkapitalsbescheinigungen (Bl. 153 ff.), zumindest fraglich erscheint, ob hinreichend Eigenkapital pro Fahrzeug im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 bei der Antragstellerin vorhanden und damit die finanzielle Leistungsfähigkeit gegeben war.
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Das Vorbringen der Antragstellerin führt zu keiner abweichenden Sichtweise.
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Zunächst kommt es nicht darauf an, dass die Geschäftsführer der Antragstellerin nicht aufgrund einer schwerwiegenden Straftat oder einer Sanktion wegen schwerster Verstöße gegen Unionsvorschriften gemäß Anhang IV zur Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 rechtskräftig verurteilt wurden bzw. deshalb unanfechtbar ein Bußgeld verhängt wurde (Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009, § 2 Abs. 2 GBZugV) oder eine rechtskräftige Verurteilung bzw. ein unanfechtbarer Bußgeldbescheid aus einem der in § 2 Abs. 3 GBZugV genannten Gründe vorliegt. Denn wie dargestellt, sind in Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 nur die Mindestanforderungen an die Zuverlässigkeit eines Kraftverkehrsunternehmers geregelt und es ist den Mitgliedsstaaten unbenommen, wie hier in § 2 Abs. 1 GBZugV, strengere Regelungen zu treffen.
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Eine unzulässige Vermengung des ebenfalls durchgeführten Ordnungswidrigkeitenverfahrens aufgrund der Nichtvorlage der Unterlagen zur Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit mit dem Widerrufsverfahren in der Gestalt, dass der Antragsgegner aufgrund der Nichtvorlage zwingend auf den Widerruf der Erlaubnis geschlossen hat, ist nicht erkennbar. Insbesondere hat der Antragsgegner den Widerruf klar ersichtlich nicht allein darauf gestützt, dass die angeforderten Unterlagen zur finanziellen Leistungsfähigkeit nicht vorgelegt wurden, sondern tragend auf die Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben aufgrund der Beitragsrückstände bei den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung.
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Auch eine fehlerhafte Ermittlung des Sachverhalts ist dem Antragsgegner nicht anzulasten. Dieser hat nach Meldung der BG Verkehr über die Beitragsrückstände weitere eigene Ermittlungen, auch zu Gunsten der Antragstellerin über etwaige Ratenzahlungsvereinbarungen beim Hauptzollamt …, angestellt. Eine grob unzureichende oder unrichtige Sachverhaltsermittlung oder gar einen Verstoß gegen das behördliche Neutralitätsgebot, wie die Antragstellerin meint, kann das Gericht vorliegend nicht ansatzweise erkennen.
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Der Widerruf der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr nach § 3 Abs. 5 Satz 2 GüKG stellt eine gebundene Entscheidung ohne behördliches Ermessen dar. Der Widerruf stellt sich, auch unter Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin, nicht im Einzelfall als unverhältnismäßig dar.
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Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und der erheblichen Grundrechtsrelevanz, insbesondere im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG bedarf es für den Widerruf allerdings nicht nur unerheblicher und vereinzelter Rechtsverstöße oder Gefährdungen (vgl. BayVGH, U.v. 4.3.2023 – 11 ZB 22.930 – juris Rn. 17; OVG NW, B.v. 27.3.2018 – 13 B 184/18 – juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 23.6.2016 – 7 ME 54/16 – juris Rn. 8; jeweils zur vergleichbaren Situation des Entzugs einer Gemeinschaftslizenz für den gewerblichen Güterkraftverkehr). Solche unerheblichen oder vereinzelten Rechtsverstöße sind vorliegend aufgrund des erheblichen Rückstands an Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung ohne erkennbare ernsthafte und dauerhafte Bemühungen zur Rückzahlung nicht anzunehmen. Auch sonstige Gründe, die unter Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin zur Annahme einer Unverhältnismäßigkeit des Erlaubniswiderrufs im konkreten Einzelfall führen würden, sind nicht ersichtlich.
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Die Verpflichtung zur Rückgabe der ausgestellten 17 Ausfertigungen der Erlaubnis in Nr. 2 des Bescheides begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Insbesondere normiert § 3 Abs. 3 Satz 3 GüKG eine Pflicht zur Rückgabe ausgestellter Ausfertigungen, für den Fall, dass sich der Fahrzeugbestand des Unternehmens nicht nur vorübergehend verringert. Für den Fall eines gänzlichen Widerrufs der Erlaubnis kann nichts Anderes gelten, zumal Nr. 30 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Güterkraftverkehrsgesetz (GüKVwV) ein solches Vorgehen behördlicherseits nahelegt.
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Nach alledem stellt sich der angegriffene Bescheid in den Nrn. 1 und 2 als rechtmäßig dar.
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3. Schließlich spricht auch eine Interessenabwägung für die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Denn die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Beauftragung ist im überwiegenden öffentlichen Interesse geboten. Im Rahmen der zu treffenden Güterabwägung ist der nicht zu verkennende Nachteil, den die getroffene Anordnung der Antragstellerin auferlegt, nicht schwerer zu gewichten als das entgegenstehende öffentliche Interesse.
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Steht, wie hier durch den Widerruf der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr, die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit der Antragstellerin inmitten, setzt die Anordnung der sofortigen Vollziehung neben der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides voraus, dass gerade die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit während der Dauer des Rechtsstreits konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (vgl. zur vergleichbaren Interessenlage beim Widerruf einer Gaststättenerlaubnis: BayVGH, B.v. 6.10.2020 – 22 CS 20.1600 – juris Rn. 40; sowie grundlegend: BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 22 CS 13.2348 – juris Rn. 16 jeweils m.w.N.).
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Vorliegend rechtfertigt gerade die erhöhte Gefährlichkeit der Teilnahme unzuverlässiger Transportunternehmer am Straßenverkehr und das damit verbundene erhebliche Gefährdungspotential anderer Verkehrsteilnehmer die Anordnung des Sofortvollzugs. Dazu kommt, dass die Antragstellerin erhebliche Rückstände bei der Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung, welche insbesondere dem Arbeitsschutz, der bei der Antragstellerin beschäftigten Personen dient, aufweist.
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Die Beeinträchtigung des Rechts der Antragstellerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach Art. 14 GG sowie ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 GG ist deshalb gerechtfertigt. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Transportunternehmen bis zu einer möglichen Entscheidung in der Hauptsache, weiter am gewerblichen Güterkraftverkehr und mithin auch dem Straßenverkehr teilnimmt, obwohl die Unzuverlässigkeit des Unternehmers aktenkundig festgestellt ist, weil im Hinblick auf die Beitragsschulden offenbar wegen eigener anderer finanzieller Interessen die Sozialgesetze missachtet wurden und er auch sonst nicht die Gewähr bietet, die Rechtsvorschriften durchweg einzuhalten.
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Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nur derjenige den Schutz der Art. 12 und 14 GG für sich in Anspruch nehmen kann, der seinen Beruf bzw. sein Gewerbe im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften ausüben will und diesen Vorschriften genügt (vgl. OVG Hamburg, B.v. 24.9.2014 – 3 Bs 175/14 – juris Rn. 19 mit Verweis auf BVerfG, U.v. 3.11.1982 -1 BvL 4/78 – BVerfGE 61, 291 – juris Rn. 55). Davon kann bei der Antragstellerin keine Rede sein. Die Antragstellerin hat auch nichts vorgetragen, was die Annahme rechtfertigen würde, dass ihr aufgrund der wiedererlangten persönlichen Zuverlässigkeit des Herrn … … als Geschäftsführer, etwa weil die Beitragsrückstände verlässlich zurückgezahlt werden, die Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 GüKG wiederzuerteilen wäre.
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4. Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 47.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach ist in Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte zum wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin an der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr ein Betrag von 30.000,00 EUR als Streitwert anzusetzen, welcher nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs im vorliegenden Sofortverfahren zu halbieren und auf 15.000,00 EUR festzusetzen war.