Inhalt

VG München, Beschluss v. 21.06.2023 – M 4 K 21.2606
Titel:

Erfolgloser PKH Antrag für Klage gegen Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der BRD

Normenketten:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1
FreizügG/EU § 2 Abs. 1, § 4a, § 5 Abs. 4 S. 1
Freizügigkeits-RL Art. 7, Art. 16 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Prüfung der Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfe- Verfahren soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder -verteidigung selbst in das summarische Verfahren zu verlagern, sondern will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts erlischt nach dem Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts, sodass eine rechtmäßige Verlustfeststellung voraussetzt, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Verlustfeststellungsbescheids noch kein Daueraufenthaltsrecht entstanden ist. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach dem FreizügG/EU setzt unionsrechtlich voraus, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen erfüllt hat. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, FreizügG/EU, Verlustfeststellung, summarische Prüfung, Erfolgsaussichten der Hauptsache, Rechtsstaatsprinzip, Daueraufenthaltsrecht, Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17165

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage gegen die Feststellung des Verlusts ihres Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU durch die Beklagte mit Bescheid vom 26. April 2021.
2
Die im … … in G. geborene Klägerin ist griechische Staatsangehörige und seit 1974 mit einem im … … geborenen georgischen Staatsangehörigen verheiratet.
3
Die Beklagte bescheinigte der Klägerin am 5. November 2012, dass sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union und nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes/EU zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt ist (Bl. 4), nachdem diese am selben Tag angegeben hatte, seit dem … … … in M. zu wohnen und bei der Reinigungsfirma … unselbständig beschäftigt zu sein. Unterlagen hierzu wurden nicht vorgelegt. Nach Angaben ihres Prozessbevollmächtigten im behördlichen Anhörungsverfahren reiste die Klägerin „im Jahr 2013“ ins Bundesgebiet ein.
4
Am … … … schloss die Klägerin einen befristeten Arbeitsvertrag für Reinigungspersonal nach dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge mit der … … in … ab. Danach war sie ab dem … … … geringfügig, nicht versicherungspflichtig als Reinigungskraft im Umfang von täglich zwei Stunden zu einem Stundenlohn von 9,00 € brutto bis zum … … … beschäftigt (Bl. 17). Ab demselben Zeitpunkt bezog die Klägerin auch Leistungen nach dem SGB II.
5
Im Dezember 2013 oder Januar 2014 reiste der Ehemann der Klägerin im Alter von 62 Jahren aus Griechenland kommend ebenfalls ins Bundesgebiet ein und ging keiner Erwerbstätigkeit nach; er bezog ab dem … … … ALG II-Leistungen.
6
Der Arbeitsvertrag der Klägerin wurde zunächst erstmals bis zum … … … verlängert. Ausweislich einer Arbeitgeberbescheinigung der … … vom … … 2014 war die Klägerin seit dem … … … (...) mit einem durchschnittlichen Monatsverdienst von 400 € befristet bis zum … … … bei ihr beschäftigt. Am … … … wurde der Arbeitsvertrag der Klägerin letztmalig bis zum … … … verlängert.
7
Mit Schreiben vom 3. September 2015 teilte der Arbeitgeber der Klägerin mit, dass der Arbeitsvertrag über die bisherige Befristung bis zum … … … hinaus nicht verlängert werde.
8
Ab dem … … … bezog die Klägerin ALG II-Leistungen. Ihr Ehemann nahm zum selben Zeitpunkt bei einem anderen Arbeitgeber eine Beschäftigung als Reinigungskraft im selben Umfang auf wie zuvor die Klägerin. Am … … … beantragte der Ehemann der Klägerin die Bescheinigung seines Freizügigkeitsrechts und gab ihm Hinblick auf die Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin an, dass diese arbeitssuchend sei (Bl. 33 Ehemann).
9
Am … … … bescheinigten die Fachärzte für Orthopädie und Chirurgie … … und … … der Klägerin zur Vorlage beim Jobcenter, dass bei ihr „weiterhin“ Arbeitsunfähigkeit mit Gefährdung der Erwerbsfähigkeit bei einem schwerwiegenden Wirbelsäulensyndrom mit neuraler Beteiligung bestehe (Bl. 61 Ehemann). Gemäß ärztlichem Befundbericht der Fachärzte … … und … … vom … … … für den ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit befand sich die Klägerin bei ihnen seit dem … … … gelegentlich in Behandlung, zuletzt am … … … Aktuell werde sie mit dem Medikament Tilidin therapiert. Im Übrigen ist der Befundbericht in der vorgelegten Form nicht lesbar.
10
Ausweislich des Bescheids vom 26. April 2021 forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 23. April 2018 auf, eine Kopie ihres Sozialhilfebescheids vorzulegen und eine Arbeitgeberbestätigung mit Angaben zur wöchentlichen Arbeitszeit zu übermitteln. Die Klägerin legte daraufhin eine Arbeitgeberbescheinigung ihres Ehemanns vom … … … vor, ausweislich derer der Ehemann seit dem … … … als Reinigungskraft unbefristet mit zehn Wochenstunden bei diesem beschäftigt sei (Bl. 55 Ehemann). Daraufhin forderte die Beklagte den Ehemann der Klägerin mit Schreiben vom … … … auf, bis zum … … … mitzuteilen, ob die Klägerin erwerbstätig sei, da sich ein Freizügigkeitsrecht für ihn nur bei Erwerbstätigkeit der Klägerin ergebe (Bl. 64 Ehemann). Zum … … … wurde der Stundenlohn des Ehemanns der Klägerin und offenbar seine Arbeitszeit auf 19,60 Stunden pro Woche erhöht.
11
Am … … … beantragte die Klägerin erstmals die Feststellung einer Behinderung und die Festsetzung eines Grads der Behinderung von 100, woraufhin das Versorgungsamt mit Bescheid vom 8. November 2018 eine Behinderung und einen Grad der Behinderung von 40 „ab 2018“ feststellte; ein Schwerbehindertenausweis wurde, da der Grad der Behinderung weniger als 50 betrug, nicht ausgestellt (Bl. 88 ff. Ehemann). Es lagen folgende Gesundheitsstörungen vor: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelgleiten mit Instabilität im Segment L4/5, Adipositas (Einzel-GdB 30), seelische Störung, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, Schlaf-, Angstphobien, Phobien (Einzel-GdB 20), Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).
12
Mit Schreiben vom 28. Januar 2019 gab die Beklagte der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Verlustfeststellung bis zum … … … Auf Bitte des Bevollmächtigten vom 11. September 2019 verlängerte die Beklagte die Frist bis zum 30. September 2019.
13
Am 20. September 2019 wurde die Klägerin durch das Gesundheitsreferat der Beklagten von der Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie … … amtsärztlich untersucht. Dies führte zu der zusammenfassenden Beurteilung, dass der Klägerin ein Arbeitseinsatz auf Dauer, d.h. für mehr als sechs Monate nicht möglich sei und keine Erwerbsfähigkeit für mindestens drei Stunden pro Tag für voraussichtlich länger als sechs Monate bestehe. Es wurde weder eine Nachuntersuchung angeordnet noch eine Therapieempfehlung gegeben. Es lägen schwerwiegende Gesundheitsstörungen vor, die fachärztlich/therapeutisch behandelt würden. Eine Besserung sei nicht absehbar (Bl. 46 f.).
14
Mit Schreiben vom 2. Oktober 2019 nahm der Bevollmächtigte der Klägerin Stellung. Er trug vor, die Klägerin halte sich „seit 2013“ ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Vom 1. September 2013 bis zum 30. September 2015 sei sie einer Beschäftigung nachgegangen, danach sei die Ausübung einer Erwerbstätigkeit krankheitsbedingt nicht möglich gewesen. Das Arbeitsverhältnis sei von Anfang an befristet gewesen und nach mehreren Verlängerungen über den 30. September 2015 hinaus nicht mehr verlängert worden. Ende September 2019 sei die Klägerin durch das Gesundheitsreferat der Beklagten amtsärztlich untersucht worden. Die Klägerin sei noch im erwerbsfähigen Alter, auf dem Arbeitsmarkt derzeit aber schwer vermittelbar, da sie „vorerst“ vorübergehend arbeitsunfähig bzw. vorübergehend erwerbsunfähig sei. Sie beziehe keine Leistungen nach SGB XII, sondern nach SGB II. Die Klägerin habe als Arbeitnehmerin Freizügigkeit gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU genossen. Der Arbeitnehmerstatus und die daraus folgende Freizügigkeitsberechtigung seien über den 1. Oktober 2015 gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU erhalten geblieben, weil das Beschäftigungsverhältnis aufgrund unfreiwilliger Arbeitslosigkeit geendet habe; die Klägerin habe die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verschuldet. Die Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus nach unfreiwilliger Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei zeitlich nicht begrenzt; eine Begrenzung ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus der Rechtsprechung. Der Arbeitnehmerstatus eines Unionsbürgers erlösche nach mehr als einem Jahr der Beschäftigung nur, wenn der Unionsbürger aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sei, z.B. weil er nicht mehr vermittelbar sei oder weil er die Altersgrenze erreicht habe (Oberhäuser in Hofmann, AuslR, § 2 FreizügG/EU Rn. 38). Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin nicht, weil sie die Altersgrenze noch nicht erreicht habe, aber aufgrund „vorerst“ vorübergehender Arbeitsunfähigkeit zurzeit auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar sei. Außerdem bleibe die einmal erworbene Freizügigkeit gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall unberührt. Die Klägerin könne aufgrund vorübergehender Erwerbsunfähigkeit keiner Beschäftigung nachgehen. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB II lasse den Rückschluss zu, dass die Klägerin nur vorübergehend erwerbsunfähig sei; denn ansonsten würde sie Leistungen nach dem SGB XII beziehen. Sollte das amtsärztliche Gutachten im Ergebnis eine volle Erwerbsminderung der Klägerin feststellen, vertrete man die Auffassung, dass die Klägerin gemäß § 4a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2b FreizügG/EU schon vor Ablauf von fünf Jahren daueraufenthaltsberechtigt sei. Voraussetzung hierfür sei nur, dass der Unionsbürger bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit jemals ausgeübt habe (Oberhäuser in Hofmann, AuslR, § 4a FreizügG/EU Rn. 18).
15
Am … … … stellte sich die Klägerin in Begleitung ihrer Schwiegertochter in der … wegen Schmerzen im Fuß vor (Bl. 111 f.). Am … … … wurde die Klägerin operiert. Auf ihren Antrag vom 24. Juni 2020 stellte das Versorgungsamt mit Änderungsbescheid vom 23. September 2020 mit Wirkung zum 25. Juni 2020 das Merkzeichen G fest und dass der Grad der Behinderung 60 beträgt. Der festgestellte Grad der Behinderung beruht im Wesentlichen auf einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen, Wirbelgleiten mit Instabilität im Segment L4/5, Adipositas, Nervenwurzelreizerscheinungen, Spinalkanalstenose, Funktionsbehinderung des Beckens, operierter Bandscheibenschaben (Einzel-GdB 50), einer seelischen Störung, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, Schlaf-, Angststörung, Phobien (Einzel-GdB 20), einer Gebrauchseinschränkung des linken Fußes (Einzel-GdB 10) und auf Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) (Bl. 51 ff.).
16
Mit Schreiben vom 10. März 2021 forderte die Beklagte die Klägerin zur Prüfung eines Freizügigkeitsrechts als Familienangehörige eines Unionsbürgers unter Fristsetzung auf, eine Aufstellung aller in … lebenden Familienangehörigen in gerader absteigender Linie, Nachweise über deren Freizügigkeit und darüber, in welcher Form und Höhe und seit wann diese ihr tatsächlich Unterhalt gewähren, vorzulegen.
17
Mit Bescheid vom 26. April 2021 stellte die Beklagte den Verlust des Rechts der Klägerin auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland fest (Nr. 1) und drohte unter Setzung einer Ausreisefrist von einem Monat nach Bestandskraft die Abschiebung nach Griechenland oder einen anderen zur Rückübernahme verpflichteten oder aufnahmebereiten Staat an (Nr. 2). Die Feststellung wurde auf § 5 Abs. 4 FreizügG/EU gestützt. Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 29. April 2021 zugestellt.
18
Mit Bescheid vom selben Tag stellte die Beklagte auch gegenüber dem Ehemann der Klägerin den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland fest.
19
Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2021 erhob der Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter Ankündigung der Klagebegründung „in den kommenden Tagen“ mit gesondertem Schreiben
20
Klage gegen den Bescheid vom 26. April 2021
21
und beantragte unter Ankündigung der Nachreichung der Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zugleich,
22
der Klägerin Prozesskostenhilfe im ersten Rechtszug zu bewilligen und ihr Rechtsanwalt B. als Prozessbevollmächtigten beizuordnen.
23
Der Ehemann der Klägerin ließ ebenfalls Klage gegen den ihn betreffenden Bescheid erheben (M 4 K 21.2609).
24
Am 26. Mai 2021 legte der Prozessbevollmächtigte die Erklärung der Klägerin über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor.
25
Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2021 übermittelte die Beklagte die Behördenakten der Klägerin und ihres Ehemanns in elektronischer Form und beantragte unter Verweis auf die Begründung des angefochtenen Bescheids,
26
die Klage abzuweisen.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte, auch des Ehemanns der Klägerin (M 4  …), und die vorgelegten Behördenakten, auch im Verfahren des Ehemanns der Klägerin.
II.
28
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten hat keinen Erfolg.
29
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
30
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder -verteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr. d. BVerfG, vgl. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12).
31
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme ein § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14). Vorliegend ist auch nicht ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen, weil sich im Zeitraum zwischen dem Eintritt der Bewilligungsreife und dem Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine Änderungen der Sach- und Rechtslage zugunsten der Klägerin ergeben haben.
32
Gemessen hieran hat die Rechtsverfolgung in der Hauptsache nach summarischer Überprüfung der Erfolgsaussichten im Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.v. § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
33
Die Klage ist zwar zulässig, denn sie bezeichnet Kläger, Beklagten und den Klagegegenstand (§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dass sie trotz anwaltlicher Vertretung entgegen der Soll-Vorschrift des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO keinen Antrag enthält und – entgegen der Ankündigung des Prozessbevollmächtigten – nicht begründet wurde, führt nicht zur Unzulässigkeit. Die Klage bietet aber nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie sich bei summarischer Prüfung als nicht begründet erweist.
34
1.1. Die Verlustfeststellung in Nr. 1 des Bescheids vom 26. April 2021 ist rechtmäßig.
35
Die Beklagte konnte den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU feststellen. Die Klägerin hielt sich im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids noch nicht fünf Jahre ständig rechtmäßig im Bundesgebiet auf (1.1.1.). Im Zeitpunkt der Bewilligungsreife bestand kein Recht der Klägerin nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU mehr (1.1.2.). Die Entscheidung der Beklagten ist ermessensfehlerfrei, insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt (1.1.3.).
36
1.1.1. Die Klägerin hielt sich im Zeitpunkt der Verlustfeststellung (1.1.1.1.) noch nicht fünf Jahre ständig rechtmäßig im Bundesgebiet auf und hatte somit noch kein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a FreizügG/EU erworben (1.1.1.2.), das einer administrativen Verlustfeststellung entgegenstünde.
37
Rechtsgrundlage für die im Bescheid vom 26. April 2021 getroffene Feststellung, dass die Klägerin ihr Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik verloren hat, ist § 5 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Danach kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden, wenn dessen Voraussetzungen innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder nicht vorliegen.
38
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. Insoweit gilt das Gleiche wie für andere aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, die Grundlage einer Aufenthaltsbeendigung sein können (BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 9.7.2019 – 10 CS 19.1165 – BeckRS 2019, 15161 Rn. 11; U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – BeckRS 2017, 122965 Rn. 24). Für die Frage, ob eine Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU grundsätzlich in Betracht kommt, ist daher die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend.
39
1.1.1.1. Die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU erlischt jedoch nach dem Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts (BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22.14 – juris Rn. 16), sodass eine rechtmäßige Verlustfeststellung voraussetzt, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Verlustfeststellungsbescheids noch kein Daueraufenthaltsrecht entstanden ist.
40
Die Fünfjahresfrist des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bezieht sich zwar unmittelbar auf das Entfallen bzw. Nichtentstehen der Voraussetzungen eines Freizügigkeitsrechts und nicht auf die Feststellung des Entfallens. Da aber nach Ablauf eines rechtmäßigen fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet (Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG) ein Daueraufenthaltsrecht erworben wird, ist die Fünfjahresfrist des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU in Bezug auf das Entstehen des Daueraufenthaltsrechts zu sehen. Dies bedeutet, dass ein Verlust der Freizügigkeitsvoraussetzung (nur) bis zur Entstehung des Daueraufenthalts möglich ist und durch eine Entscheidung auf der Grundlage des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU festgestellt werden kann (BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – BeckRS 2017, 122965 Rn. 26). Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob ein Daueraufenthaltsrecht entstanden ist, das der administrativen Verlustfeststellung entgegensteht, ist deshalb die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheidserlasses.
41
1.1.1.2. Die Beklagte konnte im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 26. April 2021 den Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU feststellen, weil die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU i.V.m. Art. 16 oder Art. 17 RL 2004/36/EG erworben hatte.
42
Im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids vom 26. April 2021 hielt sich die Klägerin weder fünf Jahre rechtmäßig ununterbrochen im Bundesgebiet auf (1.1.1.2.1.) noch hatte sie ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU erworben (1.1.1.2.2.).
43
1.1.1.2.1. Der Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU setzt unionsrechtlich voraus, dass der Betroffene während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 RL 2004/38/EG erfüllt hat. Denn nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG hat jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht, sich dort auf Dauer niederzulassen. Rechtmäßig im Sinne des Unionsrechts ist nur ein Aufenthalt, der im Einklang mit den in der RL 2004/38/EG und insbesondere mit den in Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht (EuGH, U.v. 21.12.2011 – Ziolkowski und Szeja, C-424/10 u.a. – juris Rn. 46; U.v. 11.11.2014 – Dano, C-333/13 – juris Rn. 71; BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22.14 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – BeckRS 2017, 122965 Rn. 29).
44
Der ständige Aufenthalt im Bundesgebiet wird in der Regel durch die Wohnsitznahme im Bundesgebiet begründet. Der Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts wird am einfachsten mit der Bescheinigung über die polizeiliche Anmeldung nachgewiesen. Hat der Betroffene es versäumt, sich polizeilich anzumelden, kann er die Aufenthaltsdauer aber auch mit jedem anderen üblichen Beweismittel nachweisen (BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – BeckRS 2017, 122965 Rn. 30).
45
Eine polizeiliche Anmeldung der Klägerin findet sich nicht in der Akte und wurde von der Klägerin auch im gerichtlichen Verfahren nicht vorgelegt. Ausweislich der Behördenakte machte die Klägerin erstmals am … … … Angaben zum Recht auf Freizügigkeit für die Ausländerbehörde über ihren Wohnsitz in M. seit dem 1. Oktober 2012 und eine – nicht weiter substantiierte – unselbständige Beschäftigung bei … und erhielt am selben Tag eine sog. Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU a.F.. Ihr Prozessbevollmächtigter trug im Anhörungsverfahren vor, dass die Klägerin sich „seit 2013“ ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalte. Ausweislich des Versicherungsverlaufs der Klägerin als Anlage zur Wartezeitauskunft der Deutschen Rentenversicherung vom 12. Oktober 2018 ging die Klägerin ab dem 1. September 2013 einer geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung nach und erhielt ab demselben Zeitpunkt ALG II-Leistungen.
46
Ob die Angaben gegenüber der Ausländerbehörde am … … … bereits für den Nachweis des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet seitdem ausreichen, insbesondere vor dem Hintergrund des abweichenden Vortrags des Prozessbevollmächtigten und dem Umstand, dass eine Erwerbstätigkeit erst zum 1. September 2013 aufgenommen und nachgewiesen wurde, kann für Zwecke des Prozesskostenhilfeverfahrens dahinstehen. Das Gericht geht bei dieser Sachlage – ebenso wie die Beklagte in ihrem Bescheid – zugunsten der Klägerin davon aus, dass sie ihren ständigen ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet seit dem 1. Oktober 2012 hat.
47
Dass die Klägerin sich danach im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verlustfeststellung bereits seit gut achteinhalb Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat, genügt für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts jedoch nicht, denn damit ist noch nicht nachgewiesen, dass die Klägerin sich im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids auch über einen Zeitraum von fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Dies ist nicht der Fall.
48
Die Klägerin war im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verlustfeststellung am … … 2021 noch nicht über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren ununterbrochen freizügigkeitsberechtigt, sondern nur innerhalb eines maximalen Zeitraums vom … … 2013 bis zum … … 2017.
49
Das Gericht geht vorliegend davon aus, dass die Klägerin im Zeitraum vom … … 2013 bis zum … … 2015 aufgrund ihrer geringfügigen, nicht versicherungspflichtigen, unselbständigen Beschäftigung mit einer täglichen Arbeitszeit von zwei Stunden als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt war. Dass sie ergänzend und durchgehend Sozialleistungen bezogen hat, ist unschädlich. Zu Gunsten der Klägerin geht das Gericht vorliegend weiter davon aus, dass sie auch in den sechs Monaten vor der Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit am 1 … 2013, also seit dem … … 2013, als Arbeitssuchende freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU war.
50
Für einen unmittelbar davorliegenden Zeitraum bis zum 28. Februar 2013 ergibt sich indes auch unter Berücksichtigung der am 5. November 2012 von der Beklagten ausgestellten sog. Freizügigkeitsbescheinigung gemäß § 5 Abs. 1 FreizügG/EU a.F. keine Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin.
51
Nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU a.F. wurde freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union von Amts wegen unverzüglich eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht ausgestellt (sog. Freizügigkeitsbescheinigung). Diese Freizügigkeitsbescheinigung über die Anmeldung des Aufenthalts der Klägerin im Bundesgebiet seit dem 1. Oktober 2012, die seit 2013 ersatzlos weggefallen ist, hat jedoch keine rechtskonstitutive, sondern allein eine deklaratorische Bedeutung, da das Freizügigkeitsrecht nicht durch Entscheidungen nationaler Behörden begründet wird. Der Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU a.F. kommt daher keine regelnde Wirkung und damit auch keine Verwaltungsaktqualität zu (OVG Hamburg, B.v. 5.1.2012 – 3 Bs 179/11, BeckRS 2012, 46983; Bergmann/Dienelt/Dienelt, 14. Aufl. 2022, FreizügG/EU § 5 Rn. 18).
52
Unabhängig vom rein deklaratorischen Charakter der Freizügigkeitsbescheinigung ergibt sich auch im Übrigen weder aus dem Vortrag der Klägerin noch aus dem Inhalt der Behördenakte, dass die Klägerin ab dem 1. Oktober 2012 freizügigkeitsberechtigt war. Dafür, dass die Klägerin sich als Arbeitnehmerin im Bundesgebiet aufgehalten hat und demnach gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt gewesen wäre, gibt es außer der bloßen, nicht belegten Angabe der Klägerin in ihrer Anmeldung vom 5. November 2012, dass sie unselbständig bei „…  … …“ beschäftigt ist, keine Anhaltspunkte. Anders als im Zusammenhang mit der späteren Beschäftigung hat die Klägerin auch keinen Arbeitsvertrag oder Lohnabrechnungen zur diesbezüglichen Beschäftigung vorgelegt, so dass schon nicht nachgewiesen ist, dass die angegebene Beschäftigung, z.B. nach ihrem Umfang und ihrer Dauer, überhaupt geeignet war, die Arbeitnehmereigenschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU zu begründen. Des Weiteren trägt auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor, dass die Klägerin sich (erst) „seit 2013“ ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat.
53
Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausgehen würde, dass sie als Unionsbürgerin in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts seit dem 1. Oktober 2012 voraussetzungslos freizügigkeitsberechtigt war, d.h. ohne die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 bzw. Abs. 3 FreizügG/EU zu erfüllen, hätte dieser freizügigkeitsberechtigte Aufenthalt bereits am 31. Dezember 2012 geendet und wäre somit zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 1. März 2013 unterbrochen gewesen, weshalb nicht auf den 1. Oktober 2012 für den Beginn eines freizügigkeitsberechtigten Aufenthalts abgestellt werden kann, sondern es beim 1. März 2013 verbleibt. Auch wenn man weiter – wiederum zu Gunsten der Klägerin – das Ausstellungsdatum der Freizügigkeitsbescheinigung am 5. November 2012 als Beginn einer Freizügigkeitsberechtigung zu Grunde legen würde, hätte der freizügigkeitsberechtigte Aufenthalt der Klägerin am 4. Februar 2013 geendet und wäre somit bis zum 28. Februar 2013 unterbrochen gewesen.
54
Somit ist für den Beginn der Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin auf den … … 2013 abzustellen. Der Aufenthalt der Klägerin ist jedoch nicht bis … … 2018 rechtmäßig i.S.v. Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG gewesen. Auch für einen anderen Zeitraum bis zur Verlustfeststellung im April 2021 ergibt sich kein fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt.
55
Seit dem … … 2015 hält die Klägerin sich nicht mehr als Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt im Bundesgebiet auf, weil der Arbeitsvertrag über den 30. September 2015 hinaus nicht verlängert wurde und die Klägerin auch keine andere Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. Für Zwecke des Prozesskostenhilfeverfahrens geht das Gericht vorliegend zugunsten der Klägerin – trotz fehlendem Vortrag und Anhaltspunkten in der Akte – davon aus, dass die Klägerin sich im Anschluss bis zum … … 2016 als arbeitssuchende Unionsbürgerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Danach sind Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche aufhalten, für bis zu sechs Monate freizügigkeitsberechtigt und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der Unionsbürger muss sich ernsthaft und nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühen und sein Bemühen darf objektiv nicht aussichtslos sein. Die bloße Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitssuchend und die Wahrnehmung sämtlicher von dort vermittelter Jobangebote genügen nicht, um als Arbeitssuchender i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU zu gelten. Den erforderlichen Nachweis hat die Klägerin nicht erbracht. Sie hat weder vorgetragen noch ergibt es sich aus den Akten, dass sie nach dem 30. September 2015 eine Arbeit gesucht hat. Der Bezug von Leistungen nach dem ALG II seit dem 1. Oktober 2015 indiziert jedenfalls nicht, dass die Klägerin arbeitssuchend war. Die Angabe des Ehemanns der Klägerin in seinem Antrag zur Freizügigkeit vom 13. Mai 2016, das Freizügigkeitsrecht der Klägerin bestehe aufgrund Arbeitssuche (Bl. 33 Ehemann), genügt ebenfalls nicht als Nachweis einer Arbeitssuche mit begründeter Aussicht auf Einstellung.
56
Die Freizügigkeitsberechtigung ist auch nicht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 FreizügigG/EU unberührt geblieben.
57
Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU (Art. 7 Abs. 3 Buchst. a) RL 2004/38/EG) bleibt die Freizügigkeitsberechtigung für Arbeitnehmer bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall unberührt. Die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU enthält – in Übereinstimmung mit Art. 7. Abs. 3 Buchst. a) RL 2004/38/EG – keine besondere Voraussetzung bezüglich der Dauer der von dem Unionsbürger ausgeübten Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer, die erforderlich wäre, um die Arbeitnehmereigenschaft zu behalten. Es genügt für den Erhalt der Arbeitnehmereigenschaft und der daraus folgenden Freizügigkeitsberechtigung, dass der Unionsbürger eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausgeübt hat, wobei lediglich Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 2 FreizügG/EU, Rn. 113). Diese Voraussetzung ist vorliegend unproblematisch gegeben, da die Klägerin als Arbeitnehmerin i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses anzusehen ist.
58
Der Begriff der „vorübergehenden Erwerbsminderung“ dürfte – im Hinblick auf die abweichende Formulierung in Art. 7 Abs. 3 Buchst. a) RL 2004/38/EG mit „vorübergehende Arbeitsunfähigkeit“ richtlinienkonform so auszulegen sein, dass nicht auf eine vorübergehende Erwerbsminderung i.S.v. § 43 Abs. 1 SGB VI, sondern auf eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit abzustellen ist (vgl. VG Aachen, B.v. 19.10.2020 – 8 L 1413/19 – BeckRS 2020, 29222 Rn. 15 unter Hinweis auf BayLSG, B.v. 20.6.2016 – L 16 AS 284/16 B ER – juris Rn. 23; Bergmann/Dienelt, AuslR, § 2 FreizügG/EU Rn. 114 f. m.w.N.). Eine Erwerbsminderung bzw. Arbeitsunfähigkeit i.S.v. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EG, dass die Norm Situationen erfasst, in denen innerhalb eines angemessenen Zeitraums mit der Wiedereingliederung des Unionsbürgers in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats gerechnet werden kann (EuGH, U.v. 13.9.2018 – C-618/16, Prefeta – juris Rn. 37 f.), als vorübergehend anzusehen, wenn nach ärztlicher Prognose mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in angemessener Zeit gerechnet werden kann (vgl. auch Nr. 2.3.1.1 AVV zum FreizügG/EU v. 3.2.2016; Bergmann/Dienelt, a.a.O. Rn. 105). Dementsprechend führt eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit wie auch der Eintritt in das Rentenalter, wenn keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt werden soll, zum Wegfall der Rechtsposition aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU (VG Hannover, B.v. 12.1.2022 – 5 B 1754/21 – juris Rn. 28; vgl. Bergmann/Dienelt, a.a.O. Rn. 111).
59
Die Klägerin hat das Vorliegen der Voraussetzungen für die Entstehung der „Fiktionswirkung“ vorliegend nicht nachgewiesen; sie ergeben sich auch nicht aus der Akte. Das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin endete aufgrund vertraglicher Befristung mit Wirkung zum 30. September 2015, was der Arbeitgeber der Klägerin mit Schreiben vom 3. September 2015 mitteilte (Bl. 42). Bescheinigungen über eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit befinden sich nicht der Akte. Der Prozessbevollmächtigte trug im Anhörungsverfahren vor, der Klägerin sei nach dem … … 2015 die Ausübung einer Erwerbstätigkeit „krankheitsbedingt“ nicht möglich gewesen. Erstmals mit Schreiben vom … … … bescheinigten die Fachärzte für Orthopädie und Chirurgie … … … der Klägerin … … … … zur Vorlage beim Jobcenter, dass bei ihr „weiterhin“ Arbeitsunfähigkeit mit Gefährdung der Erwerbsfähigkeit bei einem schwerwiegenden Wirbelsäulensyndrom mit neuraler Beteiligung vorliege, ohne den Zeitraum der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit zu benennen (Bl. 61 Ehemann). Selbst wenn man auf dieser Grundlage zugunsten der Klägerin von einer nachgewiesenen vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit bis zum … … … und somit von einer Freizügigkeitsberechtigung bis zum … … … ausgehen würde, hätte sie jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch kein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben.
60
Aus einem – im Übrigen nicht lesbaren – Befundbericht der o.g. Fachärzte vom … … … für den ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit ergibt sich, dass die Klägerin seit dem … … 2014 Patientin ist, zuletzt am … … 2017 in Behandlung war und aktuell mit Tilidin behandelt wird. Damit sind weder eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, geschweige denn der Beginn oder die Dauer einer solchen nachgewiesen. Es obliegt jedoch dem Betroffenen nach allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Maßstäben, den Nachweis zu führen, dass die anrechnungsfähigen Zeiten erfüllt werden (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) (HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 27). Die Klägerin hat ihre Klage – entgegen ihrer Ankündigung – nicht begründet und keine Unterlagen vorgelegt. Der erforderliche Nachweis einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit ist der Klägerin somit über den – für Zwecke des Prozesskostenhilfeverfahrens zu ihren Gunsten angenommenen, jedoch für die Begründung eines Daueraufenthaltsrechts nicht ausreichenden – 6. Juni 2016 hinaus nicht gelungen.
61
Dass das Versorgungsamt für die Klägerin mit Bescheid vom 8. November 2018 ab 2018 unbefristet eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung von 40 festgestellt hat, stellt ebenfalls keinen Nachweis über eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit dar.
62
Eine positive ärztliche Prognose, dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in angemessener Zeit gerechnet werden kann, liegt nicht vor.
63
Damit scheidet eine Fortgeltung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU – jedenfalls über den zugunsten der Klägerin unterstellten 6. Juni 2016 hinaus – aus.
64
Das Gericht merkt in diesem Zusammenhang lediglich klarstellend an, dass es auf den Umstand, dass eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit zum Wegfall der Rechtsposition aus § 2 Abs. 3 FreizügG/EU führt (s.o.), vorliegend nicht ankommt. Zum einen hat der zuständige Träger nach Aktenlage im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife noch nicht das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung festgestellt, jedenfalls ergibt sich hierzu nichts aus der Akte und die Klägerin hat dies auch nicht nachgewiesen. Das Vorliegen eines amtsärztlichen Gutachtens genügt hierfür nicht. Außerdem kommt es vorliegend hierauf nicht an, weil – jedenfalls im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Erfolgsaussichten der Klage – eine evtl. Feststellung jedenfalls nicht bis zum 28. Februar 2018 erfolgt ist, dem Zeitpunkt, ab dem die Klägerin ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben hätte. Auf zeitlich danach eintretende Tatsachen kommt es im Zusammenhang mit einer Fortgeltung gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU vorliegend nicht an.
65
Für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2015 kann sich die Klägerin auch nicht – und im Übrigen – anders als von ihrem Prozessbevollmächtigten vorgetragen – erst recht nicht unbegrenzt – auf den Fortbestand der Erwerbstätigeneigenschaft und damit auf das weitere Bestehen eines Freizügigkeitsrechts als unfreiwillig Arbeitslose gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU berufen.
66
Diese Vorschrift setzt die Regelung des Art. 7 Abs. 3 Buchst. b) RL 2004/38/EG in nationales Recht um. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU bleibt das Recht nach Absatz 1 dieser Norm für Arbeitnehmer unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.
67
Das Tatbestandsmerkmal des unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes ist dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer die Gründe, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben, nicht zu vertreten hat. Ist von Anfang an nur ein befristeter Arbeitsvertrag geschlossen worden, so lässt sich daraus nicht zwingend schließen, dass der Arbeitnehmer freiwillig arbeitslos geworden ist (EuGH, U.v. 6.11.2003 – C-413/01, Ninni-Orasche – juris Rn. 42). Begründet wird diese Auffassung damit, dass in bestimmten Berufszweigen „viel“ mit befristeten Arbeitsverträgen gearbeitet werde, und zwar aus verschiedenen Gründen wie dem saisonalen Charakter der Arbeit, der Konjunkturempfindlichkeit des fraglichen Marktes oder der fehlenden Flexibilität des nationalen Arbeitsrechts (EuGH, U.v. 6.11.2003 – C-413/01, Ninni-Orasche – juris Rn. 43). Bei der Prüfung der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit könne das Gericht Umstände wie die Gepflogenheiten in dem Sektor der fraglichen Wirtschaftstätigkeit, die Möglichkeiten, in diesem Sektor eine nicht befristete Beschäftigung zu finden, ein bestehendes Interesse, nur ein befristetes Arbeitsverhältnis einzugehen, oder die Existenz von Verlängerungsmöglichkeiten des Arbeitsvertrags berücksichtigen (EuGH, U.v. 6.11.2003 – C-413/01, Ninni-Orasche – juris Rn. 44). Es ist grundsätzlich im Einzelfall zu prüfen, welche Gründe zur Befristung und damit zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben und ob ein Vertretenmüssen des Arbeitnehmers anzunehmen ist (HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 33; Tewocht in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, § 2 Rn. 49 m. w. N.).
68
Vorliegend wurde der von vornherein befristete, mehrfach verlängerte Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert. Aus dem entsprechenden Mitteilungsschreiben des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin ergeben sich keine Gründe. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, aus welchem Grund der Vertrag nicht verlängert wurde, sondern lediglich, dass ein Verschulden ihrerseits nicht ersichtlich sei. Der Prozessbevollmächtigte hat im Anhörungsverfahren zwar vorgetragen, nach dem … … 2015 sei der Klägerin die Ausübung einer Erwerbstätigkeit krankheitsbedingt nicht möglich gewesen, dies jedoch nicht nachgewiesen. Am Beispiel des Ehemanns der Klägerin, der ebenfalls als Reinigungskraft gearbeitet hat und arbeitet, zeigt sich, dass befristete Arbeitsverträge im Reinigungsgewerbe nicht branchenüblich sind. Somit ist letztlich nicht erweislich, ob die Klägerin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vertreten hat. Dies geht vorliegend zu Lasten der Klägerin.
69
Doch selbst wenn man zu ihren Gunsten davon ausginge, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit vorliegt, fehlt es an der durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigten unfreiwilligen Arbeitslosigkeit als unverzichtbare Voraussetzung für den Erhalt des Freizügigkeitsrechts (vgl. HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 33; BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – BeckRS 2017, 122965 Rn. 58; VG Bayreuth, U.v. 6.4.2022 – B 6 K 20.1313 – juris Rn. 35; BSG, U.v. 13.7.2017 – B 4 AS 17/16 R – juris Rn. 34; BeckOK MigR/Gerstner-Heck FreizügG/EU § 2 Rn. 28; Hailbronner, § 2 FreizügG/EU Rn. 124).
70
Unabhängig vom Fehlen der Bestätigung der Agentur für Arbeit bliebe die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU außerdem – anders als vom Prozessbevollmächtigten vertreten – jedenfalls nicht unbegrenzt erhalten, sondern ist an bestimmte, vorliegend nicht erfüllte, Voraussetzungen geknüpft.
71
Abweichend von einer früher in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung unterliegt die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU zwar keiner festen zeitlichen Höchstgrenze, bleibt aber andererseits auch nicht voraussetzungslos unbegrenzt erhalten. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache … bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft zeitlich unbeschränkt erhalten, sofern sich der Unionsbürger dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt (EuGH, U.v. 11.4.2019 – C-483/17 – juris Rn. 27; HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 36; BayLSG, U.v. 26.2.2019 – L 11 AS 899/18 – juris Rn. 23; HessLSG, U.v. 9.9.2020 – L 6 AS 126/18 – juris Rn. 51). Das bedeutet, dass – da eine Begrenzung der Erwerbstätigeneigenschaft nicht (mehr) über eine Begrenzung der Dauer der Fortgeltungswirkung in Betracht kommt – die Begrenzung der Rechtsstellung sich auf die materiellen Anforderungen, die zum Erhalt der Erwerbstätigeneigenschaft zu erfüllen sind, verlagert. Die Frage, wie lange der Zeitraum der Fortgeltung der Erwerbstätigeneigenschaft andauert, lässt sich nicht abstrakt bestimmen; maßgeblich ist immer der jeweilige Einzelfall. Die Arbeitnehmereigenschaft bleibt somit unbefristet bis zum Wegfall der Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU erhalten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann ein Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger vorübergehend aufgegeben hat, die Erwerbstätigeneigenschaft nach Art. 7 Abs. 3 der RL 2004/38 und das damit verbundene Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie nur behalten, wenn er innerhalb eines angemessenen Zeitraums zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats fähig ist und hierfür zur Verfügung steht (vgl. EuGH, U.v. 11.4.2019 – C-483/17 – juris Rn. 40, U.v. 13.9.2018 – C-618/16 – juris Rn. 37, U.v. 19.6.2014 – C-507/12 – juris Rn. 38 ff.; HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 37). Der Unionsbürger muss also nachweisen, dass er dem Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates zur Verfügung steht. Dabei muss er sich nicht nur der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen, sondern auch die notwendigen Eigenbemühungen vornehmen, um eine Arbeitsstelle zu finden. Darüber hinaus muss der Unionsbürger binnen angemessener Frist zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und damit zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit fähig sein (HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 38).
72
Die Bemessung einer angemessenen Frist, binnen derer ein Unionsbürger zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats fähig (gewesen) ist, bestimmt sich nach den konkreten Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei ist insbesondere die Zeitdauer seit Beginn der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen. Je länger ein Unionsbürger unfreiwillig arbeitslos ist, desto höher sind die Anforderungen an die Darlegung der Voraussetzung der Wiedereingliederungsfähigkeit des Unionsbürgers und desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass dieser zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht mehr fähig ist. Daneben spielen auch die persönlichen Umstände des Betroffenen wie das Alter, die Sprachkenntnisse, die schulische und berufliche Ausbildung und etwaige Vorstrafen eine Rolle (HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 39). In der Regel ist – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – nach zumindest zwei Jahren Arbeitslosigkeit nicht mehr davon auszugehen, dass der Unionsbürger zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt fähig ist (HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 40). Für eine solche zeitliche Begrenzung im Regelfall – vorbehaltlich besonderer Einzelfallumstände – spricht auch, dass der Aufenthalt dem Zweck unterliegt, mit begründeter Aussicht auf Erfolg eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu erreichen.
73
Die Klägerin hat schon nicht vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen, dass sie sich dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung gestellt und insbesondere Eigenbemühungen zur Erlangung einer Erwerbstätigkeit vorgenommen hat. Im Übrigen ist unter Beachtung der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht feststellbar, dass die Klägerin innerhalb eines angemessenen Zeitraums zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit und damit zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt fähig gewesen ist. Die Klägerin ist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im September 2015 über einen erheblichen Zeitraum von – bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids – mehr als fünf Jahren keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Dass es sich hierbei um lediglich vorübergehende Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gehandelt haben könnte, ist nicht ersichtlich, im Gegenteil. Bei der Klägerin wurde eine amtsärztliche Untersuchung mit dem Ergebnis einer vollen Erwerbsminderung und eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung von 40 festgestellt. Eine berufliche Ausbildung der Klägerin ist nicht aktenkundig. Diese Umstände, das fortgeschrittene Lebensalter und die Erkrankungen der Klägerin stellen Rahmenbedingungen dar, die die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erschwert haben dürften. Gesichtspunkte, die für eine mögliche Wiedereingliederung der Klägerin in den Arbeitsmarkt sprechen könnten, sind vorliegend nicht ersichtlich. Dass die Klägerin zudem für eine lange Zeit beitragsunabhängige öffentliche Sozialleistungen in Anspruch genommen hat, ist vor dem Hintergrund, dass durch die Regelungen der RL 2004/38/EG und des Freizügigkeitsgesetzes die unangemessene Belastung des nationalen Sozialleistungssystems verhindert werden soll (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22.14 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 16.10.2017 – 19 C 16.1719 – juris Rn. 20), in diesem Zusammenhang ebenfalls zu beachten (vgl. HessVGH, B.v. 16.4.2021 – 9 A 2282/19 – juris Rn. 46). Ausweislich der vorliegenden Akten hat die Klägerin seit dem 1. September 2013 durchgehend Leistungen nach dem SGB II in Anspruch genommen und war auf das nationale Sozialleistungssystem angewiesen.
74
Letztlich kann vor diesem Hintergrund – auch bei Unterstellungen zu ihren Gunsten -
75
nur von einem rechtmäßigen Aufenthalt der Klägerin allenfalls bis zum … … 2017 ausgegangen werden, der mithin nicht fünf Jahre seit dem … … 2013 beträgt.
76
Die Klägerin hat somit mangels ständigen fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Zeitpunkt des Bescheidserlasses kein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben.
77
1.1.1.2.2. Es sind aber auch nicht die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU erfüllt. Danach kann ein Unionsbürger nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FreizügG/EU das Daueraufenthaltsrecht unter bestimmten Voraussetzungen schon vor Ablauf von fünf Jahren erwerben.
78
Der Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU i.V.m. Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a) RL 2004/38/EG scheitert vorliegend daran, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte.
79
Die Klägerin hat – entgegen der Auffassung ihres Prozessbevollmächtigten – auch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) FreizügG/EU i.V.m. Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) RL 2004/38/EG erworben. Denn sie hat nicht nachgewiesen, dass sie ihre Erwerbstätigkeit infolge einer vollen Erwerbsminderung aufgegeben hat, die durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist und einen Anspruch auf eine Rente gegenüber einem Leistungsträger im Bundesgebiet begründet hat (vgl. VG Bayreuth, U.v. 6.4.2022 – B 6 K 20.1313 – juris Rn. 42). Hierbei muss es sich um einen Rentenanspruch handeln, der kausal auf der vollen Erwerbsminderung basiert (BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – BeckRS 2017, 122965 Rn. 44, 55). Ein Erwerb nach § 4a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) FreizügG/EU liegt ebenfalls nicht vor, obwohl die Klägerin sich vor der Aufgabe ihrer Erwerbstätigkeit bereits mindestens zwei Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten hat, weil die Aufgabe der Erwerbstätigkeit infolge einer vollen Erwerbsminderung nicht nachgewiesen ist.
80
Damit war die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU im Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht durch das vorherige Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts erloschen.
81
1.1.2. Die Klägerin ist auch im – hierfür nach den allgemeinen Grundsätzen maßgeblichen – Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags nicht freizügigkeitsberechtigte Unionsbürgerin i.S.v. § 2 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 FreizügG/EU.
82
1.1.2.1. Die Klägerin bezieht nach den trotz gerichtlicher Aufforderung nicht belegten Angaben ihres Prozessbevollmächtigten Sozialleistungen nach dem SGB XII. Danach, nach den Angaben ihres Prozessbevollmächtigen, dass sie seit dem 1. Oktober 2015 krankheitsbedingt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht, und dem Ergebnis des amtsärztlichen Gutachtens vom 20. September 2019 hält sie sich zumindest nicht mehr als Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) oder als arbeitssuchende Unionsbürgerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) im Bundesgebiet auf.
83
1.1.2.2. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt wäre, sind nicht ersichtlich.
84
1.1.2.3. Eine Freizügigkeitsberechtigung als nicht erwerbstätige Unionsbürgerin ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU unter den Voraussetzungen des § 4 Satz 1 FreizügG/EU. Die Klägerin verfügt weder über den nach § 4 Satz 1 FreizügG/EU erforderlichen ausreichenden Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel.
85
Nicht erwerbstätige Unionsbürger erlangen die Freizügigkeitsberechtigung bei Aufenthalten von mehr als drei Monaten nur dann, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Das hat die Klägerin, die nach Angaben ihres Prozessbevollmächtigten Leistungen nach SGB XII bezieht und für das Hauptsacheverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, nicht nachgewiesen. Die Klägerin ist nach ihren Angaben vermögenslos.
86
Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b) RL 2004/38/EG sind ausreichende Existenzmittel solche, die sicherstellen, dass der Freizügigkeitsberechtigte die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedsstaats nicht in Anspruch nehmen muss. Allerdings begründet die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht automatisch einen Verlust des Freizügigkeitsrechts. Erforderlich ist vielmehr eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen. Die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU führt ebenso wie die Ausweisung zur Beendigung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts und zur Verlassenspflicht des Unionsbürgers und unterliegt damit dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit, wie es der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Zwar kann der Umstand, dass ein nicht erwerbstätiger Unionsbürger zum Bezug von Sozialhilfeleistungen berechtigt ist, einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt. Die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b) RL 2004/38/EG genannte Voraussetzung soll vor allem verhindern, dass die hierin genannten Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen. Zur Beurteilung der Frage, ob ein Unionsbürger Sozialhilfeleistungen in unangemessener Weise in Anspruch nimmt, ist, wie aus dem 16. Erwägungsgrund der RL 2004/38/EG hervorgeht, zu prüfen, ob der Betreffende vorübergehende Schwierigkeiten hat, und die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände des Betreffenden und der ihm gewährte Sozialhilfebetrag zu berücksichtigen. Von einer unangemessenen Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen kann zudem nicht ohne eine umfassende Beurteilung der Frage ausgegangen werden, welche Belastung dem nationalen Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit aus der Gewährung dieser Leistung nach Maßgabe der individuellen Umstände, die für die Lage des Betroffenen kennzeichnend sind, konkret entstünde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 20 f.).
87
Eine Gesamtbetrachtung aller Umstände führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass die Inanspruchnahme der Sozialleistungen durch die Klägerin unangemessen ist. Die Klägerin hat ersichtlich nicht nur vorübergehende Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu bestreiten: Während der Ausübung ihrer geringfügigen, nicht sozialversicherungspflichtigen Teilzeiterwerbstätigkeit bezog die Klägerin ausweislich ihres Rentenversicherungsverlaufs vom … … 2018 (Bl. 67 ff. Ehemann) ergänzend Leistungen gemäß SGB II. Ab dem … … 2015 bis zum … … 2017 bezog die Klägerin ausschließlich Leistungen nach dem SGB II, aktuell bezieht sie nach Angaben ihres Prozessbevollmächtigten Leistungen nach dem SGB XII, deren Höhe sie trotz gerichtlicher Aufforderung nicht angegeben hat. Die Klägerin verfügt nach eigenen Angaben nicht über Vermögen. Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin im Fall des Fortbestehens ihres Freizügigkeitsrechts dauerhaft vollständig oder jedenfalls zur weit überwiegenden Deckung ihres Lebensbedarfs auf Sozialleistungen angewiesen wäre. Die Klägerin begründete ihren Aufenthalt im Bundesgebiet mit – unter Zugrundelegung des … … 2012 – 56 Jahren erst in einem Alter, in dem mit einer nachhaltigen wirtschaftlichen Integration nicht mehr zu rechnen war. Die Klägerin ging zudem nur in geringem Umfang und vergleichsweise für einen kurzen Zeitraum von 25 Monaten einer nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Teilzeit nach und hält sich im Zeitpunkt der Bewilligungsreife – im Verhältnis zu ihrem Lebensalter erst – seit weniger als zehn Jahren im Bundesgebiet auf. Es ist damit zu rechnen, dass die Klägerin, die im Zeitpunkt der Bewilligungsreife im Sommer 2021 64 Jahre alt war, auf unabsehbare Zeit zur Existenzsicherung auf die Gewährung von Sozialleistungen angewiesen sein wird. Der Umfang des gewährten Sozialleistungsbezugs ist auch erheblich. Auch der Umstand, dass bei der Klägerin mittlerweile amtsärztlich eine volle Erwerbsminderung und vom Versorgungsamt mit Bescheid vom 23. September 2020 rückwirkend zum 25. Juni 2020 ein Grad der Behinderung von 60 und das Merkzeichen G festgestellt wurden, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis: Die Klägerin ist erst im bereits fortgeschrittenen Alter von 56 Jahren in das Bundesgebiet eingereist, in dem das Risiko einer Erwerbsunfähigkeit und einer Behinderung ohnehin größer ist als bei einem jüngeren Menschen. Die Klägerin nimmt Sozialleistungen unangemessen in Anspruch und verfügt damit nicht über ausreichende Existenzmittel i.S.v. § 4 FreizügG/EU.
88
1.1.2.4. Die Klägerin ist auch nicht als Familienangehörige gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU i.V.m. §§ 3, 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weil sie keine Nachweise erbracht hat. Sie hat trotz Aufforderung durch die Beklagte mit Schreiben vom 10. März 2021 keine Angaben zu Familienangehörigen, von denen sie eine Freizügigkeitsberechtigung ableiten könnte, gemacht.
89
1.1.2.5. Die Klägerin ist schließlich auch nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU als daueraufenthaltsberechtigte Unionsbürgerin freizügigkeitsberechtigt, weil sie sich im Zeitpunkt der Bewilligungsreife nicht seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Der Aufenthalt der Klägerin war maximal vom … … 2013 bis zum … … 2017 rechtmäßig (s.o.).
90
Nach dem Wirksamwerden des Verlustfeststellungsbescheids durch Bekanntgabe kann der Betroffene nicht mehr allein durch den weiteren Aufenthalt und die auf dem Unionsbürgerstatus beruhende Freizügigkeitsvermutung in den Status des Daueraufenthaltsberechtigten hineinwachsen, weil durch die Verlustfeststellung die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts endet. Die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt führt bereits mit ihrer Wirksamkeit (vgl. Art. 43 BayVwVfG), also mit ordnungsgemäßer Bekanntgabe der jeweiligen Entscheidung, zum Entstehen der Ausreisepflicht. Auf die Rechtmäßigkeit der Feststellungsentscheidung kommt es für das Entstehen der Ausreisepflicht nicht an. Dass für die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht die Unanfechtbarkeit der Feststellungsentscheidung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU maßgeblich ist, sondern nur deren Wirksamkeit, ergibt sich schon aus der Entstehungsgeschichte des § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Die Fassung dieser Vorschrift vom 30. Juli 2004 sah das Entstehen der Ausreisepflicht erst mit der Unanfechtbarkeit der Feststellungsentscheidung vor. Mit dem ersten Richtlinienumsetzungsgesetz (vom 19.8.2007, BGBl. I S. 1970) wurde das Erfordernis der Unanfechtbarkeit vom Gesetzgeber bewusst gestrichen (BT-Drs. 16/5065, S. 211). Die Ausreisepflicht bleibt bestehen, solange sie nicht erfüllt und die zugrundeliegende Feststellung wirksam ist (BayVGH, U.v. 18.7.2017 – 10 B 17.339 – a.a.O., Rn. 27). Mit der Bekanntgabe des Bescheids vom 26. April 2021 war die Klägerin somit ausreisepflichtig und konnte sich nicht mehr auf die auf dem Unionsbürgerstatus beruhende Vermutung, wonach ein Unionsbürger sich rechtmäßig im jeweils anderen Mitgliedstaat aufhält, berufen.
91
Eine Freizügigkeitsberechtigung hat die Klägerin im Anschluss nicht erworben, so dass der Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts ersichtlich ausscheidet.
92
Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU vor.
93
1.1.3. Die Entscheidung der Beklagten, den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festzustellen, ist ermessensfehlerfrei erfolgt. Insbesondere ist die Verlustfeststellung verhältnismäßig. Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38/EG hinreichend beachtet.
94
Zunächst hat die Beklagte das ihr zustehende Ermessen bei der Entscheidung erkannt. Sie hat es auch ordnungsgemäß ausgeübt, insbesondere hat sie bei ihren Erwägungen etwaige familiäre Bindungen der Klägerin (zu ihrem Ehemann) sowie unter das Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK fallende sonstige persönliche Bindungen und Umstände ausreichend berücksichtigt. So hat sie auf Seiten der Klägerin in Rechnung gestellt, dass die Klägerin sich – im Verhältnis zu ihrem Lebensalter – erst verhältnismäßig kurz im Bundesgebiet aufhält, sie mit den Lebensverhältnissen in Griechenland vertraut ist, sie ihr bisheriges Leben in Griechenland verbracht hat und erst im Alter von 56 Jahren in das Bundesgebiet eingereist, ihr eine wirtschaftliche Integration in diesem Zeitraum nicht gelungen ist und für ihren georgischen Ehemann ebenfalls mit Bescheid vom 26. April 2021 der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt wurde. Sie durfte berücksichtigen, dass die Klägerin seit dem 1. September 2013 in vollem oder ergänzendem Sozialleistungsbezug stand und infolge des Alters der Klägerin nicht abzusehen ist, dass sie ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit wird sichern können, sondern voraussichtlich bis zu ihrem Lebensende auf Sozialleistungen zum Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz angewiesen sein wird. Dies durfte die Beklagte im Rahmen des öffentlichen Interesses berücksichtigen. Die persönlichen Interessen der Klägerin wurden in die Entscheidung eingestellt, jedoch ohne Ermessensfehler als weniger gewichtig bewertet.
95
Damit erweist sich die Verlustfeststellung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids als rechtmäßig.
96
1.2. Auch in Bezug auf die Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung nach Griechenland stellt sich der Bescheid vom 26. April 2021 bei summarischer Prüfung als rechtmäßig dar.
97
Die in Nr. 2 des Bescheids vom 26. April 2021 gesetzte Ausreisefrist von einem Monat ab Bestandskraft des Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken, da sie den Anforderungen des § 7 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU entspricht. Rechtsgrundlage für die Festsetzung der einmonatigen Ausreisefrist sowie die Abschiebungsandrohung ist § 7 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, Satz 3 FreizügG/EU. Anhaltspunkte, die die Beklagte hinsichtlich der Verbindung der Abschiebungsandrohung mit der Verlustfeststellung Ermessen eröffnet hätten (Vorliegen eines atypischen Falls), da es sich bei § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU um eine „Soll“-Vorschrift handelt, sind nicht ersichtlich. An die Vorgabe des § 7 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU einer Ausreisefrist von mindestens einem Monat hat die Beklagte sich ebenfalls gehalten.
98
Auch die auf § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU gestützte Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids erweist sich als rechtmäßig. Dem Erlass der Abschiebungsandrohung stehen Abschiebungsverbote oder sonstige Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG/EU i.V.m. § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen.
99
Nach alledem war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage abzulehnen.
100
2. Infolge der Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe war auch der Antrag auf Beiordnung des Prozessbevollmächtigten abzulehnen, §§ 166 VwGO, 121 Abs. 2 ZPO.
101
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.