Titel:
Erfolgloser Nachbareilantrag gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 122 Abs. 2 S. 3, § 146 Abs. 4 S. 6
UmwRG § 6
Leitsatz:
Nachbarn haben die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Immissionen im Regelfall hinzunehmen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baurechtliche Nachbarklage, Gebot der Rücksichtnahme, Stellplätze, Nachbareilantrag, Beschwerde, Begründungserfordernis, Immissionen, besondere örtliche Verhältnisse, konkrete Situation, Vorbelastungen, Nähe zum Außenwohnbereich
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 20.03.2023 – B 2 S 23.83
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15663
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer eines westlich unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstücks (FlNr. … Gemarkung H. …) gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit acht Wohneinheiten nebst Stellplätzen in sieben sogenannten Duplexparkern auf dessen (Hinterlieger-) Grundstück (Fl.-Nr. … derselben Gemarkung).
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Gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 22. September 2022 erteilte Baugenehmigung haben die Antragsteller am 24. Oktober 2022 Klage erhoben. Am 3. Februar 2023 haben sie den Antrag gestellt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und ihr Rechtsschutzbegehren begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 20. März 2023 abgelehnt. Das Vorhaben verstoße nicht gegen nachbarschützende Rechtsvorschriften zu Gunsten der Antragsteller. Das Abstandsflächenrecht sei eingehalten, die Verletzung eines Gebietserhaltungsanspruches komme nicht in Betracht und das Gebot der Rücksichtnahme sei ausreichend beachtet worden. Die zu den genehmigten 14 Stellplätzen geltend gemachten atypischen Besonderheiten der Grundstückssituation führten nicht zur Unzumutbarkeit des Bauvorhabens. Vom diesem gehe auch keine erdrückende Wirkung aus.
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Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit ihrem erstinstanzlichen Vortrag auseinandergesetzt, dass sich die geplanten Stellplätze in einem Bereich befänden, in dem auf den benachbarten Grundstücken die rückwärtigen und von der Verkehrsbelastung der öffentlichen Straße abgeschirmten Garten- und Terrassenanlagen lägen. Mit dem Bauvorhaben dringe in einen bislang von Zufahrten zu Grundstücken sowie Stellplätzen im Wesentlichen freigehaltenen Ruhebereich eine das Wohnen erheblich beeinträchtigende Nutzung ein. Das im Baugenehmigungsverfahren vorgelegte Schallschutzgutachten weise Mängel auf. Es berücksichtige nicht die versickerungsfähigen Natursteinpflaster bzw. den vorgeschriebenen Oberflächenzuschlag für die Ermittlung des Schallwertes. Außerdem gehe es zwar davon aus, dass sich das Bauvorhaben 3,2 m unterhalb des Straßenniveaus befinde, bei der Länge der Zufahrt werde deren Steigung aber nicht mit in die Berechnung einbezogen. Soweit das Gutachten den Verkehrslärm von der Kreisstraße .... betreffe, berücksichtige es nicht die Entfernung des Anwesens der Antragsteller von 130 bis 140 m. Zudem sei ihr rückwärtiger Gartenbereich nicht zur Kreisstraße ausgerichtet. Ihr Terrassenbereich befinde sich gegenüber den streitgegenständlichen Stellplätzen.
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Die Antragsteller beantragen,
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unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 20. März 2023 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 22. September 2022 anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Dem Beschwerdevorbringen lasse sich die Verletzung nachbarschützender Vorschriften nicht entnehmen. Auf den eigenen Vortrag im Eil- und Hauptsacheverfahren sowie die Begründung des Verwaltungsgerichts werde verwiesen. Darüber hinaus seien die Antragsteller nach § 6 UmwRG aufgrund verspäteten Vortrags im Hauptsacheverfahren präkludiert.
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Der Beigeladene hat sich persönlich zur Sache geäußert.
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Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, wird die Klage der Antragsteller gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 22. September 2022 voraussichtlich erfolglos bleiben, da diese nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die zumindest auch ihrem Schutz zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse des Beigeladenen ist deshalb nachrangig. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses und sieht von einer weiteren Begründung ab. Mit Blick auf das Beschwerdevorbringen bleibt folgendes zu bemerken:
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1. Es kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt bleiben, ob die Antragsteller mit ihrem erstinstanzlichen Klagevorbringen nach § 6 UmwRG präkludiert sein könnten, weil sie ihr Rechtsschutzbegehren erst nach Ablauf von zehn Wochen ab Klageerhebung begründet haben. Die Hauptsachenentscheidung fällt hier auch bei vollständiger Berücksichtigung des Vortrags der Antragsteller aller Voraussicht nach zu deren Lasten aus.
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2. Entgegen dem Beschwerdevorbringen resultiert aus der Anordnung der mit dem Bauvorhaben genehmigten Stellplätze und dem deshalb zu erwartenden An- und Abfahrts- bzw. Parklärm kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
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Nachbarn haben die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Immissionen im Regelfall hinzunehmen; besondere örtliche Verhältnisse können aber aus Zumutbarkeitserwägungen zu dem Ergebnis führen, dass die Errichtung von Stellplätzen nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2006 – 4 C 11.05 – BVerwGE 127, 231; B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – NVwZ 2003, 1516; U.v. 7.12.2000 – 4 C 3.00 – NVwZ 2001, 813; BayVGH, B.v. 6.12.2021 – 1 CS 21.2191 – juris Rn. 13; B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris Rn. 20; B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 34). Es kommt entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken können, wobei die Zufahrt, die Stellplätze bezüglich ihrer Lage und Nähe zu den Nachbargrundstücken, die Art und Empfindlichkeit der dort stattfindenden Nutzungen, etwaige Vorbelastungen sowie der Umfang der zu erwartenden Belästigungen zu betrachten sind (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 9 ZB 22.322 – juris Rn. 8 m.w.N.).
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Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht das Bauvorhaben hinsichtlich der Stellplatzsituation nach summarischer Prüfung zutreffend nicht als rücksichtslos angesehen. Es hat sich dabei namentlich mit dem Gefälle der Zufahrt und der Befahrbarkeit der genehmigten sieben Duplexparker auseinandergesetzt. Angesichts der zum Bauvorhaben gehörenden Lärmschutzwand in Richtung des Antragstellergrundstücks, der Einhausung und mittigen Positionierung der insgesamt 14 Stellplätze, der zusätzlichen Abschirmung durch das Nebengebäude („Fahrrad und Müll“) und der vorgelegten günstigen schalltechnischen Beurteilung, wonach aufgrund all dieser Maßnahmen die Immissionsrichtwerte der TA Lärm für ein Wohngebiet eingehalten werden, hat es aber auch sonst keine gewichtigen Besonderheiten erkannt, die zur Unzumutbarkeit der Stellplatzanlage führen könnten. Den mit dem Beschwerdevorbringen angesprochenen Terrassen- und Gartenbereich der Antragsteller hat es dabei zwar nicht explizit angesprochen. Der Senat hat nach summarischer Prüfung aber ebenfalls keine Zweifel daran, dass die genannten Lärmminderungsmaßnahmen, zu denen der Baugenehmigung zudem konkretisierende Auflagen beigefügt sind, ausreichenden Schutz vor unzumutbaren Störungen bieten und somit auch die Außenflächen des Anwesens der Antragsteller nicht erheblich beeinträchtigt werden (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – juris Rn. 7). Insbesondere kann auch den Einwänden, es seien bei der schalltechnischen Untersuchung der vorgeschriebene Oberflächenzuschlag und die Steigung der Zufahrt nicht in die Berechnung einbezogen worden, kein ausreichender Anhalt dafür entnommen werden, dass die vorstehende Einschätzung falsch sein könnte. Selbst wenn entsprechende Mängel vorliegen sollten, ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragsteller nicht, dass die am maßgeblichen Immissionsort auf dem Grundstück der Antragsteller sachverständig ermittelten Werte (44,3 dB(A) tags und 36,5 dB(A) nachts, vgl. schalltechnische Untersuchung, S. 15), welche die gutachterlich zugrunde gelegten Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet nach der TA Lärm deutlich unterschreiten, tatsächlich erheblich höher ausfallen würden. Auf Höhe des Grundstücks der Antragsteller befindet sich nur der Rangierbereich vor den Duplexparkern, während die zur Erschließungsstraße hin ansteigende Zufahrt in erster Linie entlang des südlichen Nachbargrundstücks verläuft. Im Übrigen dürfte zumindest die Oberflächenbeschaffenheit (Natursteinpflaster) der Parkanlage berücksichtigt worden sein (vgl. schalltechnische Untersuchung, Anlage 2.3).
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Darüber hinaus ist nach der Aktenlage im Hinblick auf die im Anschluss an Freiflächen nördlich verlaufende Kreisstraße sowie darauf, dass sich die gemeinsame Erschließungsstraße (. …weg) westlich vom Baugrundstück in Richtung Nordwesten verschwenkt, auch kein besonders empfindlicher, weil straßenferner, durch Gärten gebildeter rückwärtigen Ruhebereich, an dem der Gartenbereich der Antragsteller teilnimmt, ersichtlich. Im Rahmen der im Baugenehmigungsverfahren vom Beigeladenen vorgelegten schalltechnischen Untersuchung wurde u.a. für das Antragstellergrundstück bzw. einen dort befindlichen nördlichen Gartenbereich eine Lärmvorbelastung durch die Kreisstraße ermittelt (46,1 dB(A) tags und 38,6 dB(A) nachts, vgl. schalltechnische Untersuchung, S. 16). Inwieweit in Verbindung mit anderen Gärten ein einheitlicher Ruhebereich anzunehmen sein könnte, wurde von den Antragstellern, die eine Ausrichtung des Gartens zur nördlich gelegenen Kreisstraße im Beschwerdeverfahren bestreiten, bislang nicht nachvollziehbar dargelegt. Auch soweit die Antragsteller vortragen, dass sich ihre Terrasse „direkt gegenüber den streitgegenständlichen Stellplätzen des Bauvorhabens“ befinde – die unter Berücksichtigung der Lichtbilder und Pläne in den Akten sowie im Internet einsehbarer Luftbilder (Bayernatlas, Google Maps und Google Earth) also wohl in erster Linie südlich ihres schräg eingestellten Wohngebäudes liegt – spricht dies mit Blick auf die Ausrichtung zum südlich gelegenen Nachbarhaus und zur südwestlich an ihr Grundstück anschließende Erschließungsstraße nicht für einen gesteigert schutzbedürftigen Ruhebereich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Der Beigeladene hat sich entgegen dem Vertretungszwang (§ 67 Abs. 4 VwGO) nur persönlich geäußert. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 9.7.1, 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013; sie entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).