Inhalt

LG München I, Endurteil v. 05.01.2023 – 41 O 4110/22
Titel:

Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2, Abs. 5
VAG § 155 Abs. 2, Abs. 3 S. 2
ZPO § 256, § 286 Abs. 1, § 427, § 441 Abs. 3, § 444, § 446, § 453 Abs. 2, § 454 Abs. 1
GVG § 174 Abs. 3
MB/KK 2009 § 8b Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit von Prämienerhöhungen besteht grundsätzlich auch hinsichtlich früherer Prämienanpassungen ungeachtet dessen, dass diese überholt sein könnten. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Begründung einer Prämienerhöhung anzugeben sind als Rechnungsgrundlage entweder die kalkulierten Versicherungsleistungen oder die Sterbewahrscheinlichkeiten, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Klausel, die eine Prämienanpassung nur bei einer nicht nur als vorübergehend zu betrachtenden Veränderung der Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation erlaubt, ist ungeachtet der Unwirksamkeit anderer Klauseln wirksam. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
4. Tritt in einer mündlichen Verhandlung für einen klagenden Versicherungsnehmer eine Unterbevollmächtigte auf, der der Versicherer die zur Darlegung der materiellen Wirksamkeit einer Prämienerhöhung geeigneten Geschäftsgrundlagen nicht überlassen kann, vereitelt der Versicherungsnehmer den Beweis der materiellen Wirksamkeit der Prämienerhöhung. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
5. Auch bei gesunkenen Leistungsausgaben kann es zu einer Schwellenwertüberschreitung kommen mit der Notwendigkeit einer Beitragsanpassung. (Rn. 75) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Begründung, Rechnungsgrundlage, Leistungsausgaben, Sterbewahrscheinlichkeiten, Schwellenwertüberschreitung, Treuhänder, materielle Wirksamkeit, Beweisvereitelung, Unterbevollmächtigte, Geheimhaltungserfordernis
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14933

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.528,64 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen von der Beklagten vorgenommene Beitragsanpassungen im Rahmen einer privaten Krankenversicherung.
2
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung (u.a. Tarif A 80/100, Z 100/80, K S, K 20, PT), er ist versicherte Person.
3
In den Jahren 2016 bis 2021 erhöhte die Beklagte in den vorgenannten Tarifen durch einseitige Erklärung die monatlichen Beiträge zu den in den Klageanträgen konkret genannten Zeitpunkten.
4
Auslöser für die Beitragsanpassungen waren geänderte Leistungsausgaben der Beklagten (vgl. näher hierzu S. 2 der Klageerwiderung). Die Beitragsanpassungen kündigte die Beklagte mit der Übersendungen der als Anlage B 2 vorgelegten Nachträge zu dem Versicherungsschein und den Informationsschreiben an. Der Kläger zahlte die Beiträge in der von der Beklagten festgesetzten Höhe. Es fanden weitere Beitragsanpassungen statt, nämlich zum 01.01.2022 im Tarif KTV 6 (Anlage B 3), deren Wirksamkeit der Kläger nicht angreift. Die Richtigkeit der erfolgten Kalkulation und das insoweit ermittelte Ergebnis der jeweiligen Beitragserhöhung greift der Kläger ebenfalls nicht an (Replik, S. 8).
5
Der Kläger ist der Auffassung, die Mitteilungen zu den Beitragsanpassungen der Beklagten genügten den gesetzlichen Mindestanforderungen wegen Verstoßes gegen § 203 Abs. 5 VVG nicht. Sie seien insoweit formell unwirksam.
6
Die Beitragsanpassungen seien auch materiell unwirksam. Den Beitragsanpassungen, die die Beklagte in Abweichung von § 155 Abs. 3 S. 2 VAG auf Grundlage ihrer Versicherungsbedingungen vorgenommen habe, welche ein Anpassungsrecht bereits bei einer 5% – Abweichung der kalkulierten von den tatsächlichen Versicherungsleistungen vorsieht, fehle eine wirksame Rechtsgrundlage.
7
Außerdem seien die Beitragsanpassungen auch deshalb materiell unwirksam, weil dem Treuhänder nicht alle zur Prüfung notwendigen Unterlagen im Sinne von § 155 Abs. 2 VAG vorgelegen hätten. Den Umfang der gem. § 155 Abs. 2 VAG vorzulegenden Unterlagen könne das Gericht selbst und ohne die Mitwirkung eines Sachverständigen überprüfen.
8
Der Kläger beantragte zuletzt:
1) Es wird festgestellt, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer 42.... unwirksam sind:
a) im Tarif A 80/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 in Höhe von 29,69 €
b) im Tarif Z 100/80 die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 in Höhe von 1,83 €
c) im Tarif K S die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 in Höhe von 1,09 €
d) im Tarif A 80/100 die Beitragsanpassung zum 01.04.2016 in Höhe von -23,24 €
e) im Tarif A 80/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2017 in Höhe von 24,81 €
f) im Tarif K 20 die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von 24,01 €
g) im Tarif K S die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von -0,07 €
h) im Tarif Z 100/80 die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 in Höhe von 1,62 €
i) im Tarif PT 55,00 die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von 7,12 €
j) im Tarif Vorsorge die Beitragsanpassung zum 01.01.2021 in Höhe von 0,04 €
k) im Tarif K S die Beitragsanpassung zum 01.01.2021 in Höhe von 0,36 €
l) im Tarif PT 55,00 die Beitragsanpassung zum 01.01.2021 in Höhe von 3,52 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet sowie der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen um insgesamt 70,78 € zu reduzieren ist.
2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 3552,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3) Es wird festgestellt, dass die Beklagte
a. der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b. die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
4) Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerseite hinsichtlich der außergerichtlichen anwaltlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 820,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Sie ist der Ansicht, die durchgeführten Beitragsanpassungen seien ausreichend begründet und daher formell wirksam. Sie seien auch materiell wirksam. Zahlungsansprüche bestünden daher nicht.
11
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung, etwaige Ansprüche auf Rückzahlung der bis zum 31.12.2018 gezahlten Prämienanteile seien verjährt.
12
Der Rechtsstreit wurde dem Einzelrichter mit Beschluss vom 13.07.2022 gem. § 348a Abs. 1 ZPO zur Entscheidung übertragen.
13
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 06.09.2022 und vom 22.11.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
15
Der Feststellungsantrag Ziffer 1) ist zulässig.
16
Nach der Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 19.12.2018, Aktenzeichen IV ZR 255/17, der das Gericht folgt, besteht ein Feststellungsinteresse grundsätzlich auch hinsichtlich früherer Prämienanpassungen ungeachtet dessen, dass eine frühere Prämienanpassung wegen einer zeitlich nachfolgenden Erhöhung überholt sein könnte und sich gegenwärtige Rechtsfolgen aus ihr nur noch mit Blick auf die Rückforderung eines etwaig überzahlten Betrags ergeben könnten, die bereits Gegenstand des bezifferten Leistungsantrags sind. Denn allein mit einem Leistungsurteil wäre nicht rechtskräftig festgestellt, dass die Klagepartei zukünftig nicht zur Zahlung des sich aus der angegriffenen Beitragsanpassung ergebenen Erhöhungsbetrags verpflichtet ist. Zudem ist die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung eine Vorfrage für den Leistungsantrag und geht zugleich über das dort erfasste Rechtschutzziel des Klägers hinaus. Sie ist deshalb auch als Zwischenfeststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO zulässig.
17
Ein gegenwärtiges Feststellungsinteresse ist hinsichtlich früherer Prämienanpassung zwar dann zu verneinen, wenn sich der Versicherungsnehmer nicht zugleich gegen die Wirksamkeit einer nachfolgenden Prämienanpassung wendet, also insbesondere in Fällen einer Tarifbeendigung oder eines Wechsels in einen neuen Tarif, da insoweit nicht ersichtlich ist, wie sich die Frage der Wirksamkeit der Erhöhung für die Zukunft auswirken kann (OLG Köln, Urteil vom 9. 20.10.2019, Aktenzeichen 9 U 127/18). Zwar fand im Tarif KTV 6 zum 01.01.2022 eine Beitragsanpassung statt (B 3). Indes wendet sich der Kläger nicht gegen Beitragsanpassungen im Tarif KTV 6. Die Klage ist in Ziff. 1. daher zulässig.
II.
18
Der zulässige Feststellungsantrag Ziffer 1 ist unbegründet. Die jeweils angegriffenen Beitragsanpassungen sind formell wie auch materiell wirksam.
19
1. Die Anpassungen sind formell wirksam.
a)
20
Das Gericht orientiert sich dabei an den folgenden Grundsätzen des Bundesgerichtshofes in den Urteilen vom 16.12.2020, Aktenzeichen: IV ZR 294/19, vom 10.03.2021, Aktenzeichen: IV ZR 353/19 und des OLG München in dem Urteil vom 31.03.2022, Aktenzeichen: 25 U 8992/21:
21
Bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG wird erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt.
22
Die Begründung muss sich auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen. Eine allgemeine Beschreibung der jährlichen Durchführung der Prämienprüfung genügt dann nicht, wenn nicht das Ergebnis der aktuellen Prüfung mitgeteilt wird. Anzugeben ist nur die Rechnungsgrundlage, d.h. entweder die kalkulierten Versicherungsleistungen oder die Sterbewahrscheinlichkeiten (§ 155 Abs. 3 und 4 VAG), deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat. Nicht angeben muss der Versicherer die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. die des Rechnungszinses. Es muss nicht angegeben werden, ob die künftig erforderlichen Versicherungsleistungen nach oben oder nach unter von den kalkulierten Ausgaben abweichen. Der Versicherer muss auch nicht ausdrücklich darauf hinweisen, falls gesunkene Leistungsausgaben eine Nachkalkulation ausgelöst haben.
23
Die Versicherung muss schließlich nicht ausdrücklich klarstellen, dass es sich nicht nur um vorübergehende Veränderungen handelt. Durch die Mitteilung der Rechnungsgrundlage gibt der Versicherer das Ergebnis seiner Überprüfung und Berechnungen wieder, die er nicht näher erläutern muss.
24
Nach der maßgebenden Rechtsauffassung des BGH liegt der Hauptzweck der Begründungspflicht darin, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass die maßgebliche Rechnungsgrundlage für die konkreten Prämienanpassungen, d.h. die kalkulierten Versicherungsleistungen, die Erhöhung in seinem Tarif aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat.
b)
25
Gemessen an diesen Grundsätzen waren die Beitragsanpassungen zu allen Zeitpunkten formell wirksam, die Begründungen genügten den o.g. Anforderungen.
aa)
26
Die angegriffene Beitragsanpassung zum 01.01.2016 ist formell wirksam.
27
In dem Anschreiben (B 2) heißt es wie folgt:
„Um den Ihnen vertraglich zugesicherten Versicherungsschutz auch zukünftig erfüllen zu können, ist die … dazu verpflichtet, jährlich die tatsächlich angefallenen Leistungsaufwendungen mit den kalkulierten Schäden zu vergleichen. Als Ergebnis des Vergleichs müssen die Rechnungsgrundlagen einiger Tarife zum 1. Januar 2016 angepasst werden. Dadurch ergeben sich sowohl Beitragsanpassungen nach oben als auch nach unten.
Ihre individuelle Beitragsänderung und die von der Beitragsanpassung betroffenen Tarife entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Nachtrag zum Versicherungsschein. Dort sind neben Ihren bisherigen Beiträgen auch die jeweiligen Mehr- oder Minderbeiträge ausgewiesen. (…)“
28
Im Nachtrag zum Versicherungsschein von November 2015 wird sowohl der bisherige als auch der neue Beitrag des jeweiligen Tarifs nebst der Beitragsänderung zahlenmäßig ausgewiesen.
29
Damit wird dem Versicherungsnehmer in der Anpassungsmitteilung als maßgeblicher Grund für die Erhöhung seiner konkreten Beiträge wiederum Änderungen bei den Leistungsaufwendungen mitgeteilt. Der Versicherungsnehmer kann dem Wortlaut und Sinnzusammenhang der dortigen Ausführungen klar entnehmen, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 für den von ihm unterhaltenen Tarif ausgelöst hat.
30
Dass in der Beilage „Informationen zur Beitragsanpassung zum 1. Januar 2016“ noch weitere Faktoren als Gründe für eine Beitragsanpassung aufgeführt sind und in diesem Zusammenhang auch die Sterbewahrscheinlichkeiten bzw. eine höhere Lebenserwartung genannt werden, ist aus den oben aufgeführten Gründen wiederum unschädlich.
31
c) Die angegriffene Beitragsanpassung zum 01.01.2017 ist formell wirksam.
32
In dem Anschreiben (B 2) heißt es wie folgt:
„Um die vertraglich zugesicherten Leistungen auch in Zukunft erfüllen zu können, sind wir verpflichtet, jedes Jahr die tatsächlichen Leistungsaufwendungen mit den kalkulierten Schäden zu vergleichen. Als Ergebnis des Vergleichs werden einige Tarife zum 01. Januar 2017 teurer, einige aber auch günstiger.
Ihre individuelle Beitragsänderung und die von der Beitragsanpassung Betroffenen Tarife entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Nachtrag zum Versicherungsschein. Dort sind neben ihren bisherigen Beiträgen auch die jeweiligen Mehr- oder Minderbeträge ausgewiesen.“
33
Im Nachtrag zum Versicherungsschein von November 2016 wird sowohl der bisherige als auch der neue Beitrag des jeweiligen Tarifs nebst der Beitragsänderung zahlenmäßig ausgewiesen.
34
Damit wird dem Versicherungsnehmer in der Anpassungsmitteilung als maßgeblicher Grund für die Erhöhung seiner konkreten Beiträge wiederum Änderungen bei den Leistungsaufwendungen mitgeteilt. Der Versicherungsnehmer kann dem Wortlaut und Sinnzusammenhang der dortigen Ausführungen klar entnehmen, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 für den von ihm unterhaltenen Tarif ausgelöst hat.
35
Dass in der Beilage „Informationen zur Beitragsanpassung“ noch weitere Faktoren als Gründe für eine Beitragsanpassung aufgeführt sind und in diesem Zusammenhang auch die Sterbewahrscheinlichkeiten bzw. eine höhere Lebenserwartung genannt werden, ist aus den oben aufgeführten Gründen wiederum unschädlich.
36
d) Die angegriffene Beitragsanpassung zum 01.01.2018 ist formell wirksam.
37
In dem Anschreiben (B 2) heißt es wie folgt:
„(…) Um die vertraglich zugesicherten Leistungen auch in Zukunft erfüllen zu können, sind wir für jeden Tarif gesetzlich verpflichtet, jährlich die tatsächlich erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Ergeben sich dabei Abweichungen von mehr als fünf Prozent, so werden die Beiträge überprüft und – falls erforderlich – angepasst. Dabei stellen wir Leistungen und Beiträge getrennt nach Personengruppen und Altersstufen eines bestimmten Tarifes gegenüber (…).
Ihre Beitragsänderung und die von der Beitragsanpassung betroffenen Tarife entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Nachtrag zum Versicherungsschein. Dort sind ihre bisherigen und künftigen Beiträge ausgewiesen.
Die maßgeblichen Gründe sowie wichtige Hinweise und Gesetzestexte für die Anpassung haben wir für Sie im Beiblatt „Informationen zu Beitragsanpassung 2018“ zusammengestellt. (…)“
38
In den „Informationen zur Beitragsanpassung 2018“ heißt es sodann unter anderem wie folgt:
„Die diesjährige Beitragsanpassung erfolgt in allen betroffenen Tarifen aufgrund der Entwicklung der Leistungsausgaben (auslösender Faktor „Schaden“). Diese wurden vor allem durch inflationsbedingte Preissteigerungen, aber auch den medizinischen Fortschritt beeinflusst. Eine höhere Lebenserwartung sowie die vermehrte Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen haben sich ebenfalls auf die Schadenaufwendungen niedergeschlagen. (…)“
39
Die „Informationen zu Beitragsanpassung 2018“ enthalten zudem eine tabellarische Übersicht über die verschiedenen Tarife. Dabei heißt es für jeden einzelnen Tarif, einschließlich des Tarifs A 80/100 in der Spalte „Auslösender Faktor“ „Schaden“. Darüber hinaus wird im Nachtrag zum Versicherungsschein von November 2017 sowohl der bisherige als auch der neue Beitrag des jeweiligen Tarifs nebst der Beitragsänderung zahlenmäßig ausgewiesen.
40
Das Anschreiben und die dieses ergänzenden „Informationen zur Beitragsanpassung 2018“ teilen dem Versicherungsnehmer demnach als Grund für die Beitragsanpassung im betroffenen Tarif ausdrücklich die Versicherungsleistungen als auslösenden Faktor mit. Dies genügt. Soweit zudem mitgeteilt wird, dass sich auch eine höhere Lebenserwartung sowie die vermehrte Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen auf die Schadensaufwendungen niedergeschlagen hat, macht die Anpassungsmitteilung angesichts des Vorstehenden nicht unklar. Vielmehr entnimmt der Versicherungsnehmer dem Wortlaut und Sinnzusammenhang der Anpassungsmitteilung nebst Anlagen, dass die höhere Lebenserwartung sich lediglich ebenfalls auf die Schadensaufwendungen niedergeschlagen hat, Grund für die Beitragsanpassung jedoch allein die Versicherungsleistungen waren.
41
e) Die angegriffene Beitragsanpassung zum 01.01.2019 ist formell wirksam.
42
In dem Anschreiben von November 2018 heißt es wie folgt:
„(…) Um die vertraglich zugesicherten Leistungen auch in Zukunft erfüllen zu können, sind wir gesetzlich verpflichtet, für jeden Tarif jährlich die tatsächlich erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Gleiches gilt für die Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergeben sich dabei Abweichungen von mehr als fünf Prozent, so werden die Beiträge überprüft und – falls erforderlich – angepasst.
Die Beitragsänderung für ihren Vertrag und die von der Beitragsanpassung betroffenen Tarife entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Nachtrag zum Versicherungsschein. Dort sind die bisherigen und künftigen Beiträge Ihrer Tarife ausgewiesen.
Die maßgeblichen Gründe für die Anpassung haben wir für Sie im Beiblatt „Informationen zu Beitragsanpassung 2019“ zusammengestellt. (…)“
43
In den „Informationen zu Beitragsanpassung 2019“ heißt es sodann unter anderem wie folgt:
„Die diesjährige Beitragsanpassung erfolgt in allen betroffenen Tarifen aufgrund der Entwicklung der Versicherungsleistungen. Der nachfolgenden Tabelle können Sie entnehmen, dass der auslösende Faktor „Schaden“ in Ihrem von der Beitragsanpassung zum 01.01.2019 betroffenen Tarif den Schwellenwert von +/-5% überschritten hat. Der auslösende Faktor „Sterblichkeit“ hat den gesetzlich festgelegten Satz von +/-5% in keinem Fall überschritten.“
44
Es folgt sodann eine Tabelle, in der für jeden einzelnen Tarif der auslösende Faktor „Schaden“ der Höhe nach genannt ist.
45
Die Anpassungsmitteilung nebst Anlagen benennt als Auslöser für die Beitragsanpassung in den streitgegenständlichen Tarifen nicht nur ausdrücklich die Entwicklung der Versicherungsleistungen, sondern teilt darüber hinaus jeweils die Höhe des auslösenden Faktors mit. Dies genügt ohne weiteres den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.
46
f) Die angegriffene Beitragsanpassung zum 01.01.2020 ist formell wirksam.
47
In dem Anschreiben von November 2019 heißt es wie folgt:
„(…) Um die vertraglich zugesicherten Leistungen auch in Zukunft erfüllen zu können, sind wir gesetzlich verpflichtet, für jeden Tarif jährlich die tatsächlich erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Gleiches gilt für die Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergeben sich dabei Abweichungen von mehr als fünf Prozent, so werden die Beiträge überprüft und – falls erforderlich – angepasst.
Die Beitragsänderung und die von der Beitragsanpassung betroffenen Tarife entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Nachtrag zum Versicherungsschein.
Die maßgeblichen Gründe für die Anpassung haben wir für Sie im Beiblatt „Informationen zur Beitragsanpassung 2020“ zusammengestellt. (…)“.
48
In den „Informationen zu Beitragsanpassung 2020“ heißt es sodann unter anderem wie folgt:
„Die diesjährige Beitragsanpassung erfolgt in allen betroffenen Tarifen aufgrund der Entwicklung der Versicherungsleistungen. Der nachfolgenden Tabelle können Sie entnehmen, dass der auslösende Faktor „Schaden“ in Ihrem von der Beitragsanpassung zum 01.01.2020 betroffenen Tarif den Schwellenwert von +/-5% überschritten hat. Der auslösende Faktor „Sterblichkeit“ hat den gesetzlich festgelegten Satz von +/-5% in keinem Fall überschritten.“
49
Es folgt sodann eine Tabelle, in der für jeden einzelnen Tarif der auslösende Faktor „Schaden“ der Höhe nach genannt ist.
50
Die Anpassungsmitteilung nebst Anlagen benennt als Auslöser für die Beitragsanpassung in den streitgegenständlichen Tarifen nicht nur ausdrücklich die Entwicklung der Versicherungsleistungen, sondern teilt darüber hinaus jeweils die Höhe des auslösenden Faktors mit. Dies genügt ohne weiteres den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.
51
g) Die angegriffene Beitragsanpassung zum 01.01.2021 ist formell rechtmäßig.
52
In dem Anschreiben von November 2020 heißt es wie folgt:
„(…) Um die vertraglich zugesicherten Leistungen auch in Zukunft erfüllen zu können, sind wir gesetzlich verpflichtet, für jeden Tarif jährlich die tatsächlich erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Gleiches gilt für die Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergeben sich dabei Abweichungen von mehr als fünf Prozent, so werden die Beiträge überprüft und – falls erforderlich – angepasst.
Die Beitragsänderung und die von der Beitragsanpassung betroffenen Tarife entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Nachtrag zum Versicherungsschein.
Die maßgeblichen Gründe für die Anpassung haben wir für Sie im Beiblatt „Informationen zur Beitragsanpassung 2021“ zusammengestellt. (…)“
53
In den „Informationen zu Beitragsanpassung 2021“ heißt es sodann unter anderem wie folgt:
„Die diesjährige Beitragsanpassung erfolgt in allen betroffenen Tarifen aufgrund der Entwicklung der Versicherungsleistungen. Der nachfolgenden Tabelle können Sie entnehmen, dass der auslösende Faktor „Schaden“ in Ihrem von der Beitragsanpassung zum 01.01.2021 betroffenen Tarif den Schwellenwert überschritten hat. Der auslösende Faktor „Sterblichkeit“ hat den gesetzlich festgelegten Schwellenwert in keinem Fall überschritten.“
54
Die Anpassungsmitteilung nebst Anlagen benennt als Auslöser für die Beitragsanpassung in den streitgegenständlichen Tarifen nicht nur ausdrücklich die Entwicklung der Versicherungsleistungen, sondern teilt darüber hinaus jeweils die Höhe des auslösenden Faktors mit. Dies genügt ohne weiteres den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.
55
h) Die Beitragsanpassungen sind somit formell rechtmäßig.
2.
56
Die angegriffenen Beitragsanpassungen sind auch materiell wirksam.
57
a) Soweit die Klagepartei einwendet, die Beitragserhöhungen würden (jedenfalls teilweise) den gesetzlichen Schwellenwert von 10% nicht erreichen und die in § 8b Abs. 1 AVB geregelte Schwelle von 5% sei unwirksam, dringt sie damit nicht durch.
58
Die Anpassungsklausel lautet:
„Teil I: MB/KK 2009 Teil II: Tarifbedingungen (blau) der …
§ 8b Beitragsanpassung
(1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z. B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den Technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Unter den gleichen Voraussetzungen kann auch eine betragsmäßig festgelegte Selbstbeteiligung angepasst und ein vereinbarter Risikozuschlag entsprechend geändert werden. Im Zuge einer Beitragsanpassung werden auch der für die Beitragsgarantie im Standardtarif erforderliche Zuschlag (§ 19 Abs. 1 Satz 2) sowie der für die Betragsbegrenzungen im Basistarif erforderliche Zuschlag (§ 20 Satz 2) mit den jeweils kalkulierten Zuschlägen verglichen und, soweit erforderlich, angepasst.
zu § 8b Abs. 1 MB/KK 2009
Der zumindest jährlich für jeden Tarif durchzuführende Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen wird für jede Beobachtungseinheit (Kinder/Jugendliche, männliche Erwachsene/ Auszubildende, weibliche Erwachsene/Auszubildende) des Tarifs gemäß dem in den Technischen Berechnungsgrundlagen festgelegten Verfahren durchgeführt.
Der tariflich festgelegte Vomhundertsatz beträgt 10. Ergibt die Gegenüberstellung bei einer Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als diesem Vomhundertsatz, so werden die Tarifbeiträge dieser Beobachtungseinheit überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst.
Bei einer Abweichung von mehr als 5 vom Hundert können die Beiträge dieser Beobachtungseinheit des Tarifs vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden.
Für geschlechtsunabhängig kalkulierte Tarife beträgt der tariflich festgelegte Vomhundertsatz 5. Satz 4 und 5 des § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 gelten entsprechend.
(2) Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
(3) Beitragsanpassungen sowie Änderungen von Selbstbeteiligungen und evtl. vereinbarten Risikozuschlägen werden zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Benachrichtigung des Versicherungsnehmers folgt.“
59
Das Gericht folgt der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22.06.2022, Aktenzeichen: IV ZR 253/20 für eine vergleichbare Klausel (siehe zuletzt auch BGH, Urteil vom 30. November 2022 – IV ZR 327/20 –, Rn. 24, juris):
60
Danach ist § 8b Abs. 2 MB/KK zwar unwirksam. Diese Regelung weicht entgegen § 208 Satz 1 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG ab. Während nach der gesetzlichen Vorschrift eine Prämienanpassung zwingend voraussetzt, dass die Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage nicht nur als vorübergehend anzusehen ist, sieht § 8b Abs. 2 MB/KK vor, dass der Versicherer bei einer nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung von der Prämienanpassung absehen „kann“, d.h. auch in diesem Fall ist sie nicht ausgeschlossen.
61
Die Unwirksamkeit von § 8b Abs. 2 MB/KK hat aber nicht zur Folge, dass auch § 8b Abs. 1 MB/KK unwirksam und die darauf bezugnehmende Regelung in den Tarifbedingungen des Versicherers nicht mehr anwendbar wäre. § 8b Abs. 1 MB/KK weicht nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von den gesetzlichen Vorschriften über die Prämienanpassung ab. Die Klausel enthält dieselben Voraussetzungen wie § 203 Abs. 2 VVG und erlaubt eine Prämienanpassung insbesondere nur bei einer Veränderung der Rechnungsgrundlagen, die nicht nur als vorübergehend anzusehen ist. Mit der Regelung des § 8b Abs. 1 MB/KK in Verbindung mit den Tarifbedingungen macht der Versicherer allein von der ihm in § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den Schwellenwert für die Prüfung einer Beitragsanpassung von 10% auf 5% abzusenken.
62
Der Bestand der Regelung in § 8b Abs. 1 MB/KK wird auch durch die Streichung von § 8b Abs. 2 MB/KK nicht beeinträchtigt, da der Sinn der verbleibenden Regelung weiterhin aus sich heraus verständlich ist.
63
Auch nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München (Urteil vom 31.03.2022, Aktenzeichen: 25 U 8992/21) ist eine vergleichbare Klausel, die eine Anpassung bereits bei einer Abweichung von mehr als 5% ermöglicht, wirksam.
64
b) Soweit die Klagepartei die materielle Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen damit begründet, dass dem Treuhänder nicht sämtliche zur Prüfung notwendigen Unterlagen vorgelegen hätten, verfängt auch dieser Einwand nicht.
65
aa) Ob dies bereits aus dem Umstand folgt, dass die Klagepartei hierzu möglicherweise nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hat bzw. unzulässige Ausforschung betreibt (so etwa OLG Köln, Beschluss vom 18.05.2022, Az. 20 U 91/21) oder dies nicht der Fall ist, weil der Versicherungsnehmer nach wohl überwiegend vertretener Auffassung auch ins Blaue hinein vortragen und Erklärungen mit Nichtwissen bestreiten können soll (so wohl BGH, Beschluss vom 29.11.2018, Az. I ZR 5/17; BGH, Urt. V. 16.06.2004, Az. IV ZR 117/02, VersR 2004, 991; wohl auch OLG München, Urteil vom 17.11.2022, Az. 25 U 1527/22) bedarf wegen der unter bb) und cc) genannten Erwägungen keiner Entscheidung.
66
bb) Der Einwand der materiellen Unwirksamkeit wegen angeblich unvollständiger Unterrichtung des Treuhänders scheitert jedenfalls daran, dass die Klagepartei den Beweis des Gegenteils durch die Beklagte – soweit man diese wie die wohl überwiegende Ansicht als darlegungs- und beweisbelastet ansieht (s.o.) – treuwidrig vereitelt hat. Die Behauptung der Beklagten, dem Treuhänder hätten alle zur Prüfung notwendigen Unterlagen vorgelegen, gilt wegen der der Klagepartei insoweit vorzuwerfenden treuwidrigen Beweisvereitelung als zugestanden.
67
Ein Fall der Beweisvereitelung gem. §§ 286 Abs. 1, 427, 441 Abs. 3, 444, 446, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO, 242 BGB wird bei einem vorsätzlichen oder auch fahrlässigen Verhalten des Gegners der beweisbelasteten Partei angenommen, welches die Beweisführung der beweisbelasteten Partei verhindert oder erschwert und hierdurch die Beweisführung der beweisbelasteten Partei scheitert. Nur ein vorwerfbares, missbilligenswertes Verhalten kann den mit beweisrechtlichen Nachteilen verbundenen Vorwurf der Beweisvereitelung tragen (BGH, Beschluss vom 26. September 1996 – III ZR 56/96 –, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 23. 11. 2005 – VIII ZR 43/05 (OLG Stuttgart), NJW 2006, 434 (436)). Eine Beweisvereitelung liegt etwa dann nicht vor, wenn das Verhalten des Prozessgegners der beweisbelasteten Partei auf triftigen Gründen beruht, die über ein rein prozesstaktisches Vorgehen hinausgehen (BGH, Beschluss vom 26. September 1996 – III ZR 56/96, NJW-RR 1996, 1534 [juris Rn. 9]; Zöller/Greger, 34. Aufl. 2022, § 286 Rn. 14b).
68
Maßgeblich ist dabei stets eine Abwägung der im Rahmen der Beweisführung betroffenen Interessen, wobei vorliegend zwischen dem Schutz des Betriebs- und des Geschäftsgeheimnisses der Beklagten einerseits und dem Interesse des Klägers an einer Überprüfung der Beitragsanpassung andererseits abzuwägen ist. Regelmäßig dürfte grundsätzlich unter Berücksichtigung der (wohl) geltenden Darlegungs- und Beweislastverteilungverteilung (s.o.) zwar eine Pflicht der Beklagten zur Vorlegung der Unterlagen bestehen, soweit sie nicht beweisfällig bleiben will. Zum Schutz ihrer gem. Art. 12 GG geschützten Betriebsinteressen ist dabei indes regelmäßig ein Geheimhaltungsbeschluss gem. § 174 Abs. 3 GVG zu fassen und ein Ausschluss der Öffentlichkeit gem. § 174 Abs. 1 GVG anzuordnen, um so einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen den betroffenen betrieblichen Belangen der Beklagten und den klägerischen Interessen zu schaffen (Grundsatz der praktischen Konkordanz).
69
Die Klagepartei handelte indes vorliegend im o.g. Sinne treuwidrig, weil sie es der Beklagten unter Abwägung der o.g. Interessen schuldhaft unzumutbar gemacht hat, ihre Geschäftsgeheimnisse zur eigenen Beweisführung zu offenbaren. Das Gericht hat sich vorliegend maßgeblich von der Erwägung leiten lassen, dass die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Beklagten durch Herausgabe der Unterlagen vorliegend völlig unnötig gefährdet worden wären. Denn die Unterbevollmächtigte, an welche die Unterlagen im Termin mangels Anwesenheit der Klägervertreter übergeben worden wären, hätte diese nicht an die Klägervertreter weitergeben dürfen, weil sie anderenfalls gegen die im Termin im Falle der Übergabe der Unterlagen gem. § 174 Abs. 3 GVG anzuordnende Geheimhaltungsanordnung verstoßen und sich zudem dabei strafbar gemacht hätte. Gleichfalls hat die Unterbevollmächtigte aber ausgeführt, dass sie selbst nicht die sachbearbeitende Anwältin sei und die Verfahrensführung und Schriftsatzbearbeitung nach wie vor bei den eigentlichen Klägervertretern liege. Mit den (hypothetisch) übergebenen Unterlagen und der schon mit der Übergabe der Unterlagen und Diskussion im Termin verbundenen Gefährdung der Geschäftsgeheimnisse der Beklagten wäre also im Ergebnis kein Erkenntnisgewinn auf Klägerseite verbunden gewesen (einerseits deshalb nicht, weil die Klägervertreter nach eigenen Angaben ohnehin bereits über die notwendigen Erkenntnisse verfügen würden, andererseits jedenfalls deshalb nicht, weil die Unterlagen von der Unterbevollmächtigten nicht an die Klägervertreter hätten weitergegeben werden dürfen). Eine Gefährdung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beklagten vor diesem Hintergrund hinzunehmen, obwohl damit keinerlei (neuer) Erkenntnisgewinn der das Klageverfahren betreibenden Klagepartei verbunden gewesen wäre (weil die Klägervertreter die übergebenen Unterlagen nie zu Gesicht bekommen hätten), erscheint wegen des gem. Art. 12 GG grundrechtlich gewährleisteten Schutzes der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beklagten nicht zumutbar. Wenn mit den Unterlagen, die wesentliche Geschäftsgeheimnisse der Beklagten enthalten, ohnehin nichts passiert, die Klägervertreter diese nicht einmal sichten (können) und sich auch sonst nicht dazu im Einzelnen äußern wollen, erschließt sich nicht, weshalb dennoch die geschilderte Gefährdung der Geschäftsgeheimnisse der Beklagten in Kauf genommen werden sollte. Umgekehrt wäre den Klägervertretern gerade auch wegen des erteilten Hinweises zumutbar gewesen, im Sitzungstermin persönlich zu erscheinen und somit den Vorwurf der treuwidrigen Beweisvereitelung zu vermeiden. Triftige Gründe im o.g. Sinne, die über rein prozesstaktische Erwägungen hinausgingen und die der Annahme einer treuwidrigen Beweisvereitelung entgegenstehen könnten, sind weder von der Klagepartei vorgetragen worden noch ersichtlich.
70
Nach alledem war das Verhalten der Klagepartei im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22.11.2022 treuwidrig. Sie hat es der Beklagten unter Verstoß gegen §§ 286 Abs. 1, 427 ff. ZPO, 242 BGB unzumutbar gemacht, ihre Geschäftsgeheimnisse zur Beweisführung zu offenbaren. Das Vorbringen der Beklagten hierzu gilt deshalb als zugestanden, so dass zu unterstellen ist, dass dem Treuhänder alle zur Prüfung notwendigen Unterlagen einschließlich des von den Klägervertretern bestrittenen Limitierungskonzepts vorlagen.
71
cc) Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen verhilft der Angriff des Klägers, mit welchem er die Vollständigkeit der Treuhänder-Unterlagen bestreitet, der Klage auch aus nachfolgenden Erwägungen nicht zum Erfolg.
72
Der Bundesgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Frage der Unabhängigkeit der Treuhänder entschieden, dass (stets) die Voraussetzungen und der Umfang der Prämienerhöhung materiell zu prüfen ist. Dies deshalb, weil damit zugleich eine umfassende Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der vorgenommenen Beitragsanpassung erfolge. Dies sei – so der Bundesgerichtshof – für die Frage der Prämienstabilität unabdingbar. Denn würden die Gerichte lediglich die Unabhängigkeit des Treuhänders überprüfen und führte bereits dies (ohne Überprüfung der Prämienanpassung der Höhe nach) zur Unwirksamkeit der Beitragsanpassung, würde dies die Gefahr bergen, „dass eine Überprüfung ihrer Richtigkeit im Übrigen unterbliebe und eine diesbezüglich nicht zu beanstandende Anpassung für unwirksam erklärt würde, obwohl auch ein anderer Treuhänder ebenso die Zustimmung hätte erteilen müssen“ (BGH, Urt. v. 19.12.2018 – IV ZR 255/17, juris Rn. 30 ff., 48; BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 30.10.2020 – 1 BvR 453/19, juris Rn. 14 ff).
73
Das Landgericht Koblenz hat mit Urteil vom 17.11.2022, Az. 16 O 208/22 entschieden, dass der isolierte und in zahlreichen am hiesigen Gericht derzeit anhängigen Verfahren erhobene Einwand der Klägervertreter aus vorgenannten Gründen ebenfalls unbeachtlich ist. Der zutreffenden Begründung des Landgerichts Koblenz, Urteil vom 17.11.2022, Az. 16 O 208/22 Rn. 42 ff. (juris), die nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben wird, schließt sich der Einzelrichter vollumfänglich an:
„Die Kammer ist der Auffassung, dass für den vorliegenden Sachverhalt nichts anders gelten kann, als für den vom Bundesgerichtshof entschiedenen. Eine Überprüfung des Treuhändervorgangs – in dem vom BGH entschiedenen Fall betreffend dessen Unabhängigkeit – birgt nach dem BGH (a. a. O.) die Gefahr, dass die Überprüfung der Richtigkeit der Anpassung im Übrigen unterbliebe und eine diesbezüglich nicht zu beanstandende Anpassung für unwirksam erklärt würde, obwohl auch ein anderer Treuhänder – im vorliegenden Fall sodann (unterstellt) vollständig informiert – die Zustimmung hätte erteilen müssen. Die Kammer hat daher allein die Prämienanpassung inhaltlich zu überprüfen, nicht aber den Treuhändervorgang an sich. Der Kläger hat deutlich gemacht, dass er lediglich die Überprüfung begehrt, ob überhaupt anhand der dem Treuhänder vorliegenden Unterlagen eine Zustimmung erfolgen durfte, wie sich aus seinen Ausführung auf den Seiten 8 bis 17 der Klageschrift ergibt. Er verdeutlicht damit, dass er unabhängig davon, ob der Treuhänder auch vollständig informiert die Zustimmung hätte erteilen müssen – einmal unterstellt, er sei nicht vollständig seitens der Beklagten informiert worden – nur wegen der Unvollständigkeit der dem Treuhänder vorliegenden Unterlagen die Beiträge zurückfordern will. Die Vollständigkeit der Unterlagen ist indes nicht Voraussetzung für die die Prämienanpassung entscheidenden Umstände. In diesem Sinne entscheidend ist nur, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die in § 155 Abs. 3 und 4 VAG oder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte überschreitet oder nicht (BGH, Urt. v. 17.11.2021 – IV ZR 113/20, juris Rn. 27). Der Angriff des Klägers verkennt, dass sodann erst im Rahmen einer Überprüfung der Beitragserhöhungen, ob diese nach aktuariellen Grundsätzen als mit den bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang stehend anzusehen sind, die vorzunehmende Kontrolle der Prämienerhöhung auf Grundlage der dem Treuhänder vom Versicherer (seinerzeit) vorgelegten Unterlagen zu vollziehen hat (so schon BGH, Urt. v. 16.06.2004 – IV ZR 117/02, juris Rn. 15; so im Übrigen auch der vom Kläger zitierten Beschl. des OLG Stuttgart, v. 06.06.2019 – 7 U 237/18, juris Rn. 31 m. w. N. aus der höchstrichterlichen Rspr.; s. a. Franz, VersR 2020, 449).(…)“
74
Nachdem die Klägervertreter auch im vorliegenden Fall die Richtigkeit der Beitragsanpassung an sich nicht angreifen (siehe Replik, S. 8 ff.), können die vom Landgericht Koblenz entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall vollumfänglich übertragen werden. Der Einwand der angeblich nicht hinreichend erfolgten Unterrichtung des Treuhänders ist somit unbeachtlich und vermag eine materielle Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassung nicht zu begründen.
75
c) Die Beitragsanpassungen sind entgegen dem klägerischen Vortrag auch nicht deshalb materiell unwirksam, soweit sie auf gesunkenen Leistungsausgaben beruhen sollten. Denn auch bei gesunkenen Leistungsausgaben kann es zu einer Schwellenwertüberschreitung kommen mit der Notwendigkeit einer Beitragsanpassung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 – IV ZR 148/20). Diese Beitragsanpassung kann sowohl eine Prämienerhöhung als auch eine Prämienreduzierung zur Folge haben. Denn die Berechnung der Prämienhöhe hat unter Verwendung der in den §§ 2 und 4 bis 8 KVAV näher bezeichneten Rechnungsgrundlagen und der Alterungsrückstellungen nach Maßgabe der §§ 3, 10, 11, 13, 14 und 18 KVAV zu erfolgen. Dabei stellen die Leistungsausgaben nur einen in die Berechnung einzustellenden Faktor dar, sodass es auch bei gesunkenen Leistungsausgaben zu einer Prämienerhöhung kommen kann.
76
3. Die Beitragsanpassungen waren somit wirksam. Die Feststellungsanträge sind mithin unbegründet.
III.
77
Die Leistungsanträge Ziffer 2) und Ziffer 3) sind ebenfalls unbegründet.
1.
78
Die geltend gemachten Rückforderungen von geleisteten Beiträgen stehen dem Kläger nicht zu. Wie bereits ausgeführt, sind die Beitragsanpassungen wirksam. Es bestand somit für die vom Kläger geleisteten Zahlungen bei der Beklagten ein Rechtsgrund zum Behaltendürfen, so dass kein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB und auch kein Anspruch auf Nutzungen oder Zinsen besteht.
2.
79
Etwaige Rückforderungsansprüche für die bis Ende 2018 bezahlten Beiträge in den Tarifen des Klägers nebst Nutzungen und Zinsen sind ohnehin verjährt. Die Einrede der Verjährung steht möglichen Rückzahlungsansprüchen der bis zum 31.12.2018 bezahlten Beiträge dauerhaft entgegen.
80
Für den bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsanspruch gilt die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt diese mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist genügt die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen. Nicht erforderlich ist, dass der Gläubiger den Vorgang rechtlich zutreffend bewertet. Danach beginnt die Verjährung jeweils zu dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Versicherungsnehmer die Mitteilung über die Beitragserhöhung zugegangen ist und er die Beiträge bezahlt hat.
81
Für die Entstehung des bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruches gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auf die jeweilige monatliche Prämienzahlung abzustellen, weil frühestens mit der jeweiligen monatlichen Zahlung der vermeintlich überhöhten Prämie der Rückforderungsanspruch fällig wird und entsteht.
82
Der Kläger hat die für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis vom Fehlen des Rechtsgrundes für die Zahlung der Erhöhungsbeträge mit Erhalt der seiner Ansicht nach formal unzureichenden Änderungsmitteilungen erhalten. Für den Beginn der Verjährungsfrist ist es ohne Bedeutung, ob er mit dem Zugang der Änderungsmitteilungen auch Kenntnis von den Tatsachen hatte, aus denen die von ihm ebenfalls geltend gemachte materielle Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen folgen könnte. Eine erneute Kenntnisnahme vom Fehlen desselben Rechtsgrundes aus weiteren Gründen setzt keine neue Verjährungsfrist in Gang.
83
Mithin begann die Verjährung aller bis zum 31.12.2018 bezahlten Prämien spätestens mit Ablauf des 31.12.2018 und endete am 31.12.2021. Die erst im Jahr 2022 der Beklagten zugestellte Klage vermochte die bereits eingetretene Verjährung bis zum Ablauf des 31.12.2018 nicht mehr nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu hemmen.
IV.
84
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
85
Da die Klage nicht erfolgreich ist, folgt der Nebenanspruch dem Schicksal des Hauptanspruches.
V.
86
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
87
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
88
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 48 Abs. 1, 43, 45 Abs. 3 GKG, §§ 3, 4, 9 ZPO.
89
Für den Feststellungsantrag Ziffer 1) setzt das Gericht den dreieinhalbfachen Jahresbetrag sämtlicher angegriffener Beitragserhöhungen an, dies sind 2.975,70 €. Für den Leistungsantrag Ziffer 2) beträgt der Teilstreitwert 3.552,94 €.
90
Die übrigen Anträge bleiben als Nebenforderungen außer Betracht.