Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 01.04.2023 – Au 8 S 23.482
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz, Versammlung auf einer Bundesautobahn (Fahrraddemonstration), Anordnung einer alternativen Route für eine Versammlung, Antrag bei der Polizei außerhalb der Dienstzeiten

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Versammlung auf einer Bundesautobahn (Fahrraddemonstration), Anordnung einer alternativen Route für eine Versammlung, Antrag bei der Polizei außerhalb der Dienstzeiten
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14808

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen eine versammlungsrechtliche Anordnung in Form eines von seiner Anzeige abweichend festgesetzten Streckenverlaufs einer geplanten Versammlung.
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Der Antragsteller zeigte mit Mail vom Freitag, 31. März 2023 gegen 21.45 Uhr bei der Polizei eine Eilversammlung unter freiem Himmel für Sonntag 2. April 2023 an, die auf der Autobahn A 8, 15.00 bis 15.30 Uhr zwischen den Anschlussstellen Nr. 74a und 72 stattfinden soll. Als Thema wurde benannt: „Für eine Streichung der A8 aus dem Koalitionsausschusspapier vom 30.3.2023; stattdessen: wöchentliche autofreie Tage auf der A8, bei denen die A8 zur Fahrradstraße umgewidmet wird, ein Tempolimit von 80 km/h auf der A8“. Als Teilnehmerzahl wurden 300 Personen angegeben, die Teilnehmer nutzen die Autobahn mit Fahrrädern.
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Wegen der Anzeige außerhalb der üblichen Dienstzeiten der örtlichen Sicherheitsbehörde führt das örtlich zuständige Polizeipräsidium am 1. April 2023 gegen 16.30 Uhr ein Kooperationsgespräch mit dem Antragsteller durch, Alternativrouten lehnte der Antragsteller ab und bot die Verkürzung der Streckenführung auf der Autobahn A 8 auf eine Strecke zwischen den Anschlussstellen Nr. 74a und 73 an.
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Mit einem (geänderten) Bescheid vom 1. April 2023 bestätigte der Antragsgegner die angezeigte Versammlung und traf verschiedene Anordnungen. In Ziffer 3.1 des Bescheids wurde abweichend von der Anzeige ein örtlicher Verlauf der Versammlung im Kernstadtgebiet Augsburg festgesetzt.
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Die Anordnung der alternativen Streckenführung stütze sich auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Die Kundgebung gemäß der Anzeige auf der Autobahn stelle im Hinblick auf den Versammlungsort eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie für Rechtspositionen Dritter dar. Die Autobahn sei als Bundesfernstraße für den Schnellverkehr von Kraftfahrzeugen bestimmt und diene primär diesem Widmungszweck. Damit sei sie zwar nicht per se als versammlungsfreier Raum anzusehen, in der Abwägung mit dem Interesse des Antragstellers an der Durchführung der Versammlung sei aber dieser Zweck einzustellen. Für die Gefahrenprognose seien das Verkehrsaufkommen an einem Sonntag auf dem fraglichen Streckenabschnitt der Autobahn, die notwendige Dauer der Sperrung der Autobahn sowie die Dauer der Versammlung einzustellen. Zu Letzterem gehe der Antragsteller von einer zu kurzen Fahrzeit für das Befahren der Autobahn mit Fahrrädern aus. Selbst bei einer Verkürzung der Strecke auf die Anschlussstellen Nr. 74a und 73 sei mit einer Dauer des Fahrradkorsos auf der Autobahn von 24:30 Minuten auszugehen. Mit notwendigen Vor- und Nacharbeiten und den dazu notwendigen Sperrungen, der Kürze der zur Vorbereitung bis zum 2. April 2023 zur Verfügung stehenden Zeit und mangelnden Einsatzmitteln sei von einer Dauer der Sperrung der Autobahn beidseitig von etwa zwei Stunden auszugehen. Im Hinblick auf den einsetzenden Osterreiseverkehr und der Notwendigkeit der Nutzung der Autobahn für Hilfs- und Rettungsdienste sei eine derartige Sperrung nicht angemessen. Die festgelegte Alternativroute durch das Kernstadtgebiet Augsburg eröffne dem Veranstalter die Möglichkeit, sein Anliegen an die politischen Entscheidungsträger zu adressieren. Die Beschränkung sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfolgt. Die örtliche Verlegung stelle zwar einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar, sei aber verhältnismäßig.
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Auf die Begründung des Bescheids wird im Einzelnen Bezug genommen.
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Am 1. April 2023 gegen 20.00 Uhr erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid und beantragt gleichzeitig im vorliegenden Verfahren
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Auflage 2.1 (jetzt 3.1) des Bescheids wiederherzustellen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass Gegenstand eine angezeigte Versammlung auf einem nach dem Kooperationsgespräch vom Antragsteller angebotenen etwa 2 Kilometer kurzen Teilstück der Autobahn sei. Insoweit habe der BayVGH für die Versammlung auf Autobahnen unter dem 24. März 2023 eine Präzedenzentscheidung getroffen, die vorliegende Versammlung halte die dort genannten Zeitvorgaben ein. Der gewählte Versammlungsort habe einen konkreten Bezug zu den aktuellen Vereinbarungen der Bundesregierung vom 30. März 2023 zum weiteren Ausbau auch der Autobahn A 8. Die A8 müsse nur kurz gesperrt werden, die im Bescheid zugrunde gelegte Dauer der Sperrung der Autobahn sei unzutreffend. Die Sicherung der Autobahn und der Versammlungsteilnehmer sei auch kurzfristig möglich, wie sich aus der Presseberichterstattung zu einer erst vor Kurzem erfolgten Sperrung wegen eines Sprengstoffeinsatzes gezeigt habe. Auch seien die von der Polizei genannten Verkehrszahlen für den Autobahnabschnitt am Sonntagnachmittag zu. Die Fahrbahn bleibe sauber und werde kontrolliert. Eine zeitintensive Fahrbahnreinigungsaktion im Nachgang zur kurzen Fahrraddemonstration sei unnötig. Ein sicherer Aufbau und Ablauf der Versammlung sei – wie bei Baustellen – möglich. Auf medizinische Notfälle könne sofort und flexibel reagiert werden. Versammlungsort und Versammlungsthema hätten einen engen inneren Bezug. Das Interesse des Versammlungsleiters an der Durchführung auf der von ihm gewählten Strecke sei höher zu gewichten als das Interesse an der ungehinderten Verkehrsführung. Im Übrigen habe die Polizei keine dem Einzelfall gerecht werdende konkrete Gefahrenprognose vorgenommen.
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Auf die Antragsbegründung wird im Einzelnen Bezug genommen.
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Wegen der erheblichen Eilbedürftigkeit wurde der Antragsgegner nicht zum Antragsvorbringen angehört.
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Der Antragsgegner hat den (geänderten) Bescheid vom 1. April 2023 parallel zur Übermittlung an den Antragsteller dem Gericht per Fax zugeleitet.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
14
Wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der geänderten Streckenführung der für den morgigen Tag angezeigten Versammlung entscheidet vorliegend nach § 80 Abs. 7 VwGO der Vorsitzende ohne die Kammer über den Antrag. Nur so ist sichergestellt, dass ein noch mögliches Rechtsmittel vor dem geplanten Versammlungszeitpunkt eingelegt und darüber entschieden werden kann.
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Der zulässig erhobene Antrag bleibt ohne Erfolg.
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Die von der Anzeige abweichende alternative Wegstrecke in Ziffer 3.1 des streitgegenständlichen (geänderten) Bescheids erweist sich nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren als voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (bzw. seines Widerspruchs) überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse des Antragsgegners. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers einerseits und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners andererseits – nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 65 ff. m.w.N.). Auch die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen.
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1. Rechtsgrundlage der Festsetzung einer alternativen Streckenführung ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Das in Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; B. v. 14.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 ff.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet die Regelung in Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16; B.v. 14.05.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – juris Rn. 61). Soweit Beschränkungen verfügt werden, ist dies nach Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich, allerdings nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit (vgl. etwa BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6; B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH B.v. 24.1.2021 – n.v. Rn. 12 des BA). Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Auflagen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. dazu BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 54, 63). Insoweit gilt die Regel, dass kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung umso schutzwürdiger sind, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (stRspr, vgl. etwa BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – BVerfGE 73, 206 – juris Rn. 102). Nur soweit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt, kann von dem Veranstalter nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG verlangt werden, dass er den geplanten Ablauf seiner Versammlung ändert, oder kann eine Versammlung gänzlich untersagt werden (BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 11.12.2020 – 6 B 432/20 – juris Rn. 11, B.v. 13.3.2021 – 6 B 96/21 – juris Rn. 6). Mit dem Merkmal der unmittelbaren Gefährdung ist ein hoher Gefahrenmaßstab angesprochen, den nicht schlechterdings jede zu erwartende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit erreicht.
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Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die gesamte Rechtsordnung und damit auch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, welche die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1989 – 7 C 50/88 – BVerwGE 82, 34 – juris Rn. 15). Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 10 CS 20.2655 – juris Rn. 22; HessVGH, B.v. 30.10.2020 – 2 B 2655/20 – juris Rn. 5 unter Verweis auf BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 64).
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Auch Bundesfernstraßen sind, obwohl sie von ihrem eingeschränkten Widmungszweck her anders als andere öffentliche Verkehrsflächen nicht der Kommunikation dienen, sondern ausschließlich dem Fahrzeugverkehr, nicht generell ein „versammlungsfreier Raum“ (BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – Rn. 17 des BA; OVG NRW, B.v. 30.1.2017 – 15 A 296/16 – juris Rn. 17, 19; HessVGH, B.v. 30.10.2020 – 2 B 2655/20 – juris Rn. 6; B.v. 9.8.2013 – 2 B1740/13 – juris). Zu berücksichtigen ist aber, dass jedenfalls Verkehrsinteressen im Rahmen von versammlungsrechtlichen Anforderungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG erhebliche Bedeutung beigemessen werden darf (HessVGH, B.v. 30.10.2020 – 2 B 2655/20 – juris Rn. 6 für Bundesautobahnen). Das Interesse des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer an der ungehinderten Nutzung einer B. straße hat je nach Lage der Dinge hinter die Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zurückzutreten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob es sich nach § 1 Abs. 3 FStrG um eine nur für den Schnellverkehr von Kraftfahrzeugen bestimmte Bundesautobahn handelt oder (nur) um eine Bundesstraße (OVG NRW, B.v. 30.1.2017 – 15 A 296/16 – juris Rn. 19). Die Einstufung einer Straße als Bundesautobahn oder Bundesstraße entscheidet mit anderen Worten nicht darüber, ob auf dieser Straße grundsätzlich eine Versammlung stattfinden darf und entbindet Versammlungsbehörden und Gerichte nicht von einer Güterabwägung. Sie entfaltet allenfalls Indizwirkung für das Gewicht der gegen eine Versammlung sprechenden Interessen der Öffentlichkeit oder Dritter (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 7.9.2021 – 10 CS 21.2282 – juris Rn. 33; BayVGH, B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – Rn. 17 ff. des BA).
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2. Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben erweist sich in Würdigung aller Gesamtumstände des Einzelfalls die Änderung der Versammlungsroute voraussichtlich als angemessener Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Antragstellers bzw. der Versammlungsteilnehmer. Etwaige Ermessensfehler sind, zumal bei summarischer Prüfung, ebenso wenig wie eine Unverhältnismäßigkeit der angeordneten abweichenden Streckenführung ersichtlich. Es wird entsprechend Bezug auf die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid genommen (vgl. §§ 122 Abs. 2, 117 Abs. 5 (analog) VwGO).
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Ergänzend wird ausgeführt:
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a) Hinsichtlich der angezeigten Streckenführung über einen Teilabschnitt der BAB 8 wird das sich aus der Einstufung als Bundesautobahn ergebende Indiz für ein Überwiegen der Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber den versammlungsrechtlichen Belangen des Antragstellers respektive der Versammlungsteilnehmer im Lichte der vorstehenden Maßgaben bei einer vorzunehmenden Güterabwägung vorliegend nicht widerlegt. Soweit der Antragsteller zu seiner abweichenden Auffassung insoweit auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2023 für einen Teilabschnitt der Autobahn A 9 verweist, ergibt sich ebenfalls keine andere Beurteilung. Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit in seiner Begründung im Kern auf die konkreten Umstände zum Zeitpunkt und zum Ort der geplanten Versammlung abgestellt. Eine, wie vom Antragsteller angenommen, über die vorgehenden Grundsätze hinausgehende „Freigabe“ von Autobahnen für die Durchführung von Versammlungen kann insoweit keine Rede sein (vgl. etwa die Ausführungen des BayVGH unter Rn. 23 ff. des BA zu den konkreten Verkehrsprognosen für den fraglichen Abschnitt der Autobahn A 9).
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b) Der Antragsgegner hat die Änderung der Route und die Verlegung des Verlaufs der Versammlung in das Kernstadtgebiet von Augsburg auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegründet.
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Eine hinreichend substantiierte Gefahrenprognose setzt voraus, dass diese auf nachweisbaren Tatsachen, Sachverhalten oder sonstigen Erkenntnissen beruht und sich bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergibt. Es gelten insoweit strenge Anforderungen. Bloße Vermutungen ohne das Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte genügen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 5.8.2011 – 10 CS 11.1839 – juris Rn. 10).
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Nach diesen Grundsätzen begegnet die (Gefahren-)Prognose des Antragsgegners bei summarischer Prüfung keinen Bedenken.
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Dem Antragsteller ist zwar zuzugestehen, dass im konkreten Einzelfall keine ausführliche Beurteilung der verkehrlichen Auswirkungen einer Sperrung der Autobahn zum konkret geplanten Zeitpunkt vorgenommen worden ist. Dabei darf aber nicht verkannt werden, dass dies primär dem zeitlichen Ablauf zwischen der Anzeige der Versammlung (Freitag 31.3.2023 gegen 21.30 Uhr) und dem geplanten Beginn (Sonntag 2.4.2023, 15.00 Uhr), der damit dazwischenliegenden kurzen Zeit und dem mit dem Wochenende nur in absolut eingeschränktem Maß verfügbaren Möglichkeiten der weiteren Sachverhaltsaufklärung geschuldet ist.
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Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Autobahnabschnitt, für den die Versammlung angezeigt worden ist, aus einer Mehrzahl früherer Versammlungsanmeldungen des gleichen Veranstalterkreises bekannt ist. Zuletzt wurde für den 5. März 2023 auf dem gleichen Autobahnabschnitt eine Fahrraddemonstration angezeigt. Für diese Versammlung hat die örtliche Sicherheitsbehörde umfangreiche Stellungnahmen der beteiligten Fachstellen (Autobahnbetreiber, Polizei, Rettungsdienste etc.) eingeholt, die sich mit den verkehrlichen Auswirkungen im Einzelnen befasst haben. Das Gericht hat diese Stellungnahme in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Einzelnen zur Kenntnis genommen und als hinreichend plausible Grundlage für die Gefahrenprognose angesehen (VG Augsburg, B.v. 2.3.2023 – Au 8 S 23.309 – Rn. 32 ff. des BA). Dass dies für den jetzigen Zeitpunkt anders zu beurteilen ist, hat der Antragsteller nicht nachvollziehbar dargetan.
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c) Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass das Versammlungsthema einen konkreten Bezug zum Autobahnabschnitt, für den die Versammlung angezeigt ist, hat und es sich um ein schutzwürdiges Anliegen im Sinne der grundrechtlichen Verbürgung des Art. 8 GG handelt. Allerdings ist in die Abwägung auch einzustellen, dass das vom Veranstalter angezeigte Thema auch nach den Beschlüssen der Bundesregierung vom 30. März 2023 weiter stellen wird. Dass die Versammlung unter Berücksichtigung dieses Umstandes nur innerhalb einer äußert knappen Vorbereitungszeit für alle beteiligten Sicherheitsbehörden nur an diesem Sonntag durchgeführt und damit dem Veranstalterinteresse nachgekommen werden kann, ist nach summarischer Prüfung nicht erkennbar.
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d) In rechtlich nicht zu beanstandender Weise legt der Antragsgegner seiner Gefahrenprognose auch zugrunde, dass bei einer Durchführung der angezeigten Versammlung über einen Teilabschnitt der Autobahn A 8 insoweit eine Vollsperrung notwendig wäre und dies am Sonntagnachmittag zu entsprechenden Behinderungen führen wird. Soweit der Antragsteller die insoweit zugrunde gelegten Verkehrszahlen unter Verweis auf andere Ereignisse in Zweifel zieht, lässt sich daraus, unter Berücksichtigung einer im vorliegenden Verfahren nur summarischen Prüfung, keine andere Beurteilung ableiten. Insbesondere lässt der Antragsteller auch unberücksichtigt, dass es sich aufgrund des Ferienbeginns in einer Vielzahl der Bundesländer um ein „typisches“ Reisewochenende handelt.
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e) Ausgehend vom Vorstehenden führt der angezeigte Verlauf der Versammlung zu einer unverhältnismäßigen, nicht mehr vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu rechtfertigenden Behinderung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Nach alledem entspricht es der praktischen Konkordanz zwischen der Versammlungsfreiheit sowie der durch die Versammlung beeinträchtigten Sicherheit und Leichtigkeit des (Autobahn-)Verkehrs den Streckverlauf der Versammlung – wie vom Antragsgegner auch im Übrigen ermessensfehlerfrei angeordnet – zu verändern.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, sieht das Gericht keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern (vgl. etwa BayVGH, B.v. 26.3.2021 – 10 CS 21.903 – juris Rn. 31).