Inhalt

FG München, Urteil v. 19.04.2023 – 4 K 2013/17
Titel:

Rechtmäßigkeit eines Schenkungsteuerbescheids

Normenketten:
AO § 165 Abs. 1 S. 1
FGO § 65 Abs. 2 S. 2
Leitsatz:
Sind ungewisse Besteuerungsgrundlagen ausnahmsweise in einem eigenständigen Verfahren gesondert festzustellen (§ 157 Abs. 2, §§ 179 ff AO), so kann auch die gesonderte Feststellung durch die Finanzbehörde vorläufig erfolgen. Die nach ihrem Wortlaut für die Steuerfestsetzung geltende Vorschrift des § 165 AO findet ebenfalls auf Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen Anwendung, weil die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung – zu denen auch die Vorschrift des § 165 AO zählt – gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO für diese sinngemäß gelten (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1989 X R 51/88, BFH/NV 1990, 502, BeckRS 1989, 06465; Oellerich in Gosch AO/FGO -online-, § 165 AO Rdn. 9; Seer in Tipke/Kruse AO § 165 Rdn. 3) (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Vorläufige Steuerfestsetzung
Fundstellen:
ErbStB 2023, 233
StEd 2023, 383
EFG 2023, 1047
LSK 2023, 13374
BeckRS 2023, 13374

Tenor

1. Der Schenkungsteuerbescheid vom 19. März 2020 im Besteuerungsverfahren mit der Steuernummer … wird dahingehend geändert, dass die in Bezug auf den Wert des erworbenen Gesellschaftsanteiles an der „S GmbH & Co. KG“ sowie in Bezug auf die Höhe der Forderung gegen die „H“ bestimmte Vorläufigkeit der festgesetzten Schenkungsteuer aufgehoben und die Steuerfestsetzung insoweit für endgültig erklärt wird.
2. Der Schenkungsteuerbescheid vom 19. März 2020 im Besteuerungsverfahren mit der Steuernummer … wird dahingehend geändert, dass die in Bezug auf die Höhe der Vorerwerbe und in Bezug auf die Höhe der wegen dieser Vorerwerbe anzurechnenden Steuerbeträge bestimmte Vorläufigkeit der festgesetzten Schenkungsteuer aufgehoben und die Steuerfestsetzung insoweit für endgültig erklärt wird.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für eine nur vorläufige Festsetzung von Schenkungsteuer gegen den Kläger wegen freigebiger Zuwendungen aus den Jahren 2006 und 2007 im Zeitpunkt der zuletzt geänderten Schenkungsteuerbescheide jeweils vom 19. März 2020 noch erfüllt sind.
2
Dem gegenwärtigen Klageverfahren ist ein früherer, seit dem Jahre 2015 rechtskräftig abgeschlossener Rechtsstreit zwischen denselben Beteiligten (damaliges gerichtliches Aktenzeichen: 4 K 1025/12) vorausgegangen, der unter anderem die wegen der oben genannten freigebigen Zuwendungen ursprünglich vom Beklagten erlassenen Schenkungsteuerbescheide zum Gegenstand gehabt hatte. Dem früheren Rechtsstreit hatte folgender Sachverhalt zugrunde gelegen:
3
Der Kläger hatte von seinem am 11. November 2012 verstorbenen Vater, …, zu dessen Lebzeiten in den Jahren 2004 bis 2007 eine Reihe von freigebigen Zuwendungen erhalten. So hatte der Kläger von seinem Vater auf den Stichtag des 2. November 2004 unstreitig eine sogenannte mittelbare Grundstücksschenkung betreffend das Wohnhaus in X, N-Straße, empfangen (Schenkung I). Des Weiteren hatte der Kläger von seinem Vater aufgrund notarieller Urkunde vom 27. November 2006 jeweils unentgeltlich dessen Gesellschaftsanteil an der S GmbH & Co. KG – einer Personengesellschaft mit umfangreichem Grundvermögen – (im weiteren KG genannt) übertragen, sowie dessen Forderung gegen die H … abgetreten erhalten (Schenkung III). Schließlich hatte der Kläger durch notarielle Urkunde vom 26. Oktober 2007 das bis dahin seinem Vater gehörende Gebäude in X, M-Straße, – nach den Feststellungen des Beklagten – erheblich unter dem Verkehrswert gekauft und somit im Wege einer sogenannten gemischten Grundstücksschenkung erworben (Schenkung IV). Außerdem war der Beklagte seinerzeit von „diversen Zuwendungen“ ausgegangen, die der Kläger von seinem Vater angeblich im Zeitraum bis zum 26. November 2006 erhalten haben soll, wobei im Einzelnen weder die Zuwendungsgegenstände noch die konkreten Zuwendungszeitpunkte feststellbar waren (Schenkung II). Gegenstand des damaligen Klageverfahrens waren die zu den Schenkungen II, III und IV jeweils unter dem Datum des 29. Juli 2011 gegen den Kläger ergangenen Schenkungsteuerbescheide gewesen. Der Beklagte hatte die Schenkungsteuer betreffend die Schenkung III und die Schenkung IV gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig festgesetzt. Die Vorläufigkeit bezog sich betreffend die Schenkung III auf den Wert des erworbenen Gesellschaftsanteiles an der KG sowie auf die Höhe der oben genannten Forderungsabtretung. Betreffend die Schenkung IV war die Schenkungsteuer wegen der noch ungewissen Höhe der Vorerwerbe durch Schenkung III sowie der deshalb anzurechnenden Schenkungsteuer vorläufig festgesetzt worden. Die wegen der Schenkung I bereits am 1. September 2009 erfolgte Steuerfestsetzung war nicht Gegenstand des damaligen Klageverfahrens und hatte sich auf die folgenden Steuerfestsetzungen lediglich als deren Bemessungsgrundlage erhöhender Vorerwerb ausgewirkt. Als Ergebnis der im damaligen Verfahren (Az.: 4 K 1025/12) am 22. April 2015 durchgeführten mündlichen Verhandlung hatte der Kläger seine Klage gegen die Steuerfestsetzung betreffend die Schenkung IV zurückgenommen. Im Übrigen hatte der Senat durch Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. April 2015 den Schenkungsteuerbescheid betreffend die Schenkung II aufgehoben und den Schenkungsteuerbescheid vom 29. Juli 2011 betreffend die Schenkung III infolge der hierdurch eingetretenen Minderung des Vorerwerbes geändert sowie die Schenkungsteuer des Klägers für die Schenkung III auf 18.765 € herabgesetzt. Die Nebenbestimmung über die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung betreffend die Schenkung III blieb auch nach dem – zwischenzeitlich rechtskräftig gewordenen – Urteil vom 22. April 2015 bestehen. Dasselbe gilt für den infolge der damaligen Klagerücknahme bestandskräftig gewordenen Schenkungsteuerbescheid vom 29. Juli 2011 betreffend die Schenkung IV.
4
Der für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche weitere Verfahrensverlauf stellt sich wie folgt dar:
5
Mit Schenkungsteuerbescheid vom 4. August 2015 betreffend die Schenkung IV setzte der Beklagte die bisher auf 222.927 € bestandskräftig festgesetzte Schenkungsteuer des Klägers auf nunmehr 242.210 € herauf. Die Nebenbestimmung der Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung blieb unverändert aufrechterhalten. Grund der Änderung war das Urteil des Senats vom 22. April 2015 (Az.: 4 K 1025/12), wodurch der die vermeintliche Schenkung II betreffende Schenkungsteuerbescheid aufgehoben worden und der insoweit bis dahin berücksichtigte Vorerwerb entfallen war. Die Schenkungsteuer betreffend die Schenkung IV erhöhte sich dabei deswegen, weil nicht nur der für die Schenkung II angesetzte Vorerwerb, sondern auch die hierfür anzurechnende Steuer entfiel. Durch das Schreiben vom 3. September 2015 seines Prozessbevollmächtigten legte der Kläger hiergegen ohne Begründung Einspruch ein.
6
Mit Schenkungsteuerbescheid vom 17. Dezember 2015 betreffend die Schenkung III setzte der Beklagte – ebenfalls unter unveränderter Beibehaltung der Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO – die Schenkungsteuer des Klägers in der durch das Urteil vom 22. April 2015 festgesetzten Höhe von 18.765 € auf nunmehr 318.887 € herauf. Grund dieser Änderung war die Auswertung des Berichts der Betriebsprüfungsstelle des Finanzamts X vom 26. Februar 2015 über die bei der KG durchgeführte Außenprüfung. Der Betriebsprüfer hatte für den schenkweise erworbenen Gesellschaftsanteil des Klägers an der KG auf den Stichtag des 27. November 2006 einen Wert von 2.691.499 € ermittelt, wobei er die Grundbesitzwerte der im Gesellschaftsvermögen der KG enthaltenen Grundstücke nur in der bislang angenommenen Höhe berücksichtigt hatte. Eine Änderung des Schenkungsteuerbescheides vom 4. August 2015 betreffend die Schenkung IV wegen der hierdurch veränderten Höhe des Vorerwerbes erfolgte durch den Beklagten zunächst nicht. Gegen den Schenkungsteuerbescheid vom 17. Dezember 2015 betreffend die Schenkung III legte der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 18. Januar 2016 ebenfalls Einspruch ein und vermerkte als Begründung auf dem Einspruchsschreiben die Stichworte „niedriger Wert KG und Forderung“.
7
Der Beklagte verbeschied die Einsprüche des Klägers vom 3. September 2015 (Schenkung IV) und vom 18. Januar 2016 (Schenkung III) gemeinsam in seiner verbundenen Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2017, wobei er beide Einsprüche als unbegründet zurückwies und die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzungen wie bisher bestätigte. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 7. August 2017 erhob der Kläger gegen beide Steuerfestsetzungen die vorliegende Klage, ohne sie in der Folge näher zu begründen. Mit richterlicher Anordnung vom 6. März 2018 forderte der Berichterstatter des erkennenden Senats den Kläger auf, binnen einer Ausschlussfrist bis zum 10. April 2018 den Gegenstand seiner Klage zu bezeichnen (§ 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-) sowie binnen derselben Frist diejenigen Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich im Verwaltungsverfahren beschwert fühlt (§ 79b Abs. 1 Satz 1 FGO). In der Stellungnahme seines Prozessbevollmächtigten vom 10. April 2018 erklärte der Kläger, dass sein Klagebegehren auf die Aufhebung der Vorläufigkeit der Schenkungsteuerfestsetzungen gerichtet wäre. Der Beklagte äußerte hierzu in seinem Schreiben vom 27. April 2018, dass die Ungewissheit über die maßgeblichen Immobilienwerte aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen den erklärten und den anzunehmenden Verkehrswerten weiter fortbestünde und die Aufrechterhaltung der Nebenbestimmung der Vorläufigkeit der Steuerfestsetzungen rechtfertigte.
8
Wegen zwischenzeitlich ergangener Grundbesitzwertfeststellungen betreffend die Schenkung III änderte der Beklagte jeweils mit Schenkungsteuerbescheiden vom 17. Mai 2018 die festgesetzten Steuern betreffend die Schenkungen III und IV, wiederum unter Aufrechterhaltung der Vorläufigkeitsvermerke. Die Schenkungsteuer betreffend Schenkung III setzte er dabei auf 415.958 € herauf und die Schenkungsteuer betreffend Schenkung IV infolge des geänderten Vorerwerbes auf 222.946 € herab. Beide Änderungsbescheide wurden hierdurch Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens (§ 68 Satz 1 FGO).
9
Da nach dem Verfahrensstand am 5. März 2020 insbesondere gegen drei Feststellungsbescheide des Finanzamts X über Grundbesitzwerte von Immobilien im Gesellschaftsvermögen der KG als Grundlagenbescheide beim erkennenden Senat Klagen (gerichtliche Aktenzeichen: 4 K 3058/19, 4 K 3059/19 und 4 K 3060/19) rechtshängig waren, setzte der Berichterstatter des Senats mit Beschluss desselben Datums die Verhandlung des vorliegenden Verfahrens (§ 74 FGO) bis zu deren rechtskräftigen Abschluss aus.
10
Wegen erneuter zwischenzeitlicher Änderung von Grundlagenbescheiden betreffend die Schenkung III änderte der Beklagte jeweils mit Schenkungsteuerbescheiden vom 19. März 2020 die festgesetzten Steuern betreffend die Schenkungen III und IV, wiederum unter Aufrechterhaltung der Vorläufigkeitsvermerke. Die Schenkungsteuer betreffend Schenkung III setzte er dabei auf 393.709 € und die Schenkungsteuer betreffend Schenkung IV infolge des geänderten Vorerwerbes auf 222.927 € herab. Beide Änderungsbescheide wurden wiederum Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens (§ 68 Satz 1 FGO).
11
Nach Verbindung der die beiden Grundlagenbescheide betreffenden Klageverfahren (4 K 3059/19 und 4 K 3060/19) mit dem weiteren Verfahren (4 K 3058/19) durch Beschluss vom 3. Februar 2022 sowie der Einstellung des verbliebenen Klageverfahrens durch Beschluss vom 21. März 2022 infolge der diesbezüglichen Klagerücknahme hat der Berichterstatter im vorliegenden Verfahren durch Beschluss vom 26. April 2022 dessen Verhandlung wieder aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt waren auch die Grundbesitzwerte der weiteren Immobilien der KG durch die jeweils zuständigen Finanzämter (Finanzamt W, Finanzamt M, Finanzamt K und Finanzamt E) abschließend festgestellt worden.
12
Die Klage wird sinngemäß damit begründet, dass die Ungewissheit bezüglich des Werts des vom Kläger erworbenen Gesellschaftsanteiles an der KG sowie des Werts der Forderung gegen die H zwischenzeitlich längst entfallen sei. Deshalb bestehe kein Rechtsgrund mehr für die Aufrechterhaltung der Vorläufigkeit der Festsetzung von Schenkungsteuer in dem mittlerweile klagegegenständlichen Schenkungsteuerbescheid vom 19. März 2020 betreffend die Schenkung III. Zum einen habe im Jahr 2015 eine auch die schenkungsteuerlichen Sachverhalte umfassende Außenprüfung bei der KG stattgefunden, deren Ergebnis im Prüfungsbericht vom 26. Februar 2015 festgehalten worden sei; zum anderen seien die Grundbesitzwerte des Immobilienvermögens der KG zwischenzeitlich durch die hierfür jeweils zuständigen Finanzämter abschließend festgestellt worden. Da die Grundbesitzwerte für das Immobilienvermögen der KG betreffend die Schenkung III nicht mehr ungewiss seien, sei auch die Ungewissheit in Bezug auf die im Schenkungsteuerbescheid vom 19. März 2020 betreffend die Schenkung IV zu berücksichtigenden Vorerwerbstatbestände entfallen. Deshalb könne auch diesbezüglich die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung nicht mehr aufrechterhalten bleiben.
13
Der Kläger beantragt,
1.) den Schenkungsteuerbescheid vom 19. März 2020 im Besteuerungsverfahren mit der Steuernummer … dahingehend zu ändern, dass die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung aufgehoben und die hierin festgesetzte Steuer für endgültig erklärt wird und
2.) den Schenkungsteuerbescheid vom 19. März 2020 im Besteuerungsverfahren mit der Steuernummer … dahingehend zu ändern, dass die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung aufgehoben und die hierin festgesetzte Steuer für endgültig erklärt wird.
14
Der Beklagte beantragt,
dem Klagebegehren des Klägers stattzugeben.
15
Bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. April 2023 hat der Beklagte keine Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Vorläufigkeit der jeweiligen Festsetzung der Schenkungsteuer des Klägers abgegeben.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die den Kläger betreffenden Behördenakten und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19. April 2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
1.) Die Klage ist zulässig.
18
a) Insbesondere ist die Klage fristgerecht erhoben.
19
Der auf den 7. August 2017 datierte Klageschriftsatz ist mittels Telefaxes an demselben Tag bei Gericht eingegangen. Die für die Klageerhebung gemäß § 47 Abs. 1 FGO vorgeschriebene Frist von einem Monat nach Bekanntgabe der durch einfachen Brief versendeten finanzbehördlichen Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2017 ist somit gewahrt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1, § 108 Abs. 1 AO, §§ 187 ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-).
20
b) Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage sind erfüllt.
21
Das Klagebegehren des Klägers (§ 65 Abs. Satz 1 FGO) richtet sich auf die Aufhebung der Vorläufigkeit der Festsetzung von Steuern (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO) in Bezug auf zwei vom Beklagten durchgeführte schenkungsteuerrechtliche Besteuerungsverfahren. Die vorliegende Klage ist jedoch nicht als Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1, 2. Alt FGO) erhoben worden. Einen verfahrensrechtlich selbständigen Antrag an den Beklagten, die vorläufig festgesetzten Schenkungsteuern gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 AO für endgültig zu erklären, hat der Kläger schließlich zu keinem Zeitpunkt gestellt und der Beklagte dementsprechend einen solchen auch nicht abgelehnt. Da sich der Kläger in seiner Klageschrift vom 7. August 2017 unmittelbar gegen den (geänderten) Schenkungsteuerbescheid vom 17. Dezember 2015 (Steuernummer: …) sowie gegen den (geänderten) Schenkungsteuerbescheid vom 4. August 2015 (Steuernummer: …) gewendet hat, legt der erkennende Senat die Klage als gegen die Steuerbescheide erhobene Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1, 1. Alt FGO) aus. Bei der Vorläufigkeit handelt es sich nicht um einen eigenständigen Verwaltungsakt, sondern lediglich um eine unselbständige Nebenbestimmung, die deshalb nicht selbständig angefochten werden kann (vgl. Bundesfinanzhof -BFHUrteil vom 25. Oktober 1989 X R 109/87, BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278). Allerdings können sich bei Anfechtung des Steuerbescheides die durch die Klage erhobenen Einwendungen auf die Beseitigung der Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung beschränken (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2009 II R 39/07, BFH/NV 2010, 821). Dies ist im Streitfall anzunehmen, weil der Kläger seine Klagebegründung im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10. April 2018 ausschließlich auf Einwendungen gegen die durch den Beklagten gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO verfügte Vorläufigkeit der Steuerfestsetzungen stützt.
22
Verfahrensgegenstand sind die nach Rechtshängigkeit der Klage in beiden Besteuerungsverfahren zuletzt jeweils unter dem Datum des 19. März 2020 geänderten Schenkungsteuerbescheide (§ 68 Satz 1 FGO), die nach wie vor die ursprünglich verfügten Nebenbestimmungen der Vorläufigkeit enthalten. Da der Kläger sich gegen zwei verfahrensrechtlich voneinander unabhängige Schenkungsteuerbescheide wendet, liegt eine zulässige objektive Klagehäufung vor (§ 43 FGO).
23
2.) Die Klage ist begründet.
24
a) Die Finanzbehörde ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO befugt, eine Steuer vorläufig festzusetzen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung dieser Steuer eingetreten sind. Die Entscheidung, die Steuer vorläufig festzusetzen, steht dabei in ihrem Ermessen (§ 5 AO). Die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung muss jedoch in einem sachlichen Zusammenhang mit einer Ungewissheit über den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt oder über die Rechtsgültigkeit einer anzuwendenden Rechtsnorm stehen, wobei die Vorläufigkeit auf alle Besteuerungsfolgen ausgedehnt werden kann, die noch in einem Zusammenhang mit der Ungewissheit stehen (vgl. beispielsweise BFHUrteil vom 26. Oktober 1988 I R 189/84, BFHE 155, 8, BStBl II 1989, 130). Erfolgt die vorläufige Steuerfestsetzung wegen einer Ungewissheit über den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt, so ist sie nur im Hinblick auf ungewisse Tatsachen und nicht im Hinblick auf die steuerrechtliche Beurteilung dieser Tatsachen zulässig (BFH-Urteil vom 25. April 1985 IV R 64/83, BFHE 143, 500, BStBl II 1985, 648). Die vorläufige Steuerfestsetzung ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn es sich bei der Ungewissheit um vorübergehende Aufklärungshindernisse über verwirklichte Umstände handelt (vgl. BFH-Urteil vom 17.12.2014 I R 32/13, BFHE 248, 110, BStBl II 2015, 575; Oellerich in Gosch AO/FGO -online-, § 165 AO Rdn. 52; Seer in Tipke/Kruse AO § 165 Rdn. 8). Stehen der Sachaufklärung von Besteuerungsgrundlagen durch die Finanzbehörde dauernde Hindernisse entgegen, so hat sie diese – soweit möglich – im Schätzungswege zu ermitteln (vgl. Seer in Tipke/Kruse AO § 165 Rdn. 8). Die vorläufige Festsetzung der Steuer ist der Finanzbehörde im Fall dauernder Aufklärungshindernisse jedenfalls verwehrt.
25
Sind in diesem Sinne ungewisse Besteuerungsgrundlagen ausnahmsweise in einem eigenständigen Verfahren gesondert festzustellen (§ 157 Abs. 2, §§ 179 ff AO), so kann auch die gesonderte Feststellung durch die Finanzbehörde vorläufig erfolgen. Die nach ihrem Wortlaut für die Steuerfestsetzung geltende Vorschrift des § 165 AO findet ebenfalls auf Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen Anwendung, weil die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung – zu denen auch die Vorschrift des § 165 AO zählt – gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO für diese sinngemäß gelten (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1989 X R 51/88, BFH/NV 1990, 502; Oellerich in Gosch AO/FGO -online-, § 165 AO Rdn. 9; Seer in Tipke/Kruse AO § 165 Rdn. 3). Unabhängig davon, ob im Fall ungewisser, aber gesondert festzustellender Besteuerungsgrundlagen der (rechtswirksam ergangene) Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) insoweit vorläufig erfolgt oder nicht, besteht für eine Vorläufigkeitserklärung des die Steuer festsetzenden Folgebescheides kein Bedürfnis. Da die Finanzbehörde im Fall der Änderung eines Grundlagenbescheides gemäß der Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet ist, den die Steuer festsetzenden Folgebescheid dementsprechend anzupassen, bedarf es keiner (zusätzlichen) vorläufigen Steuerfestsetzung im Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO, um die Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO zu eröffnen (vgl. Seer in Tipke/Kruse AO § 165 Rdn. 4). Bezieht sich die Ungewissheit im Sinne des § 165 AO auf Besteuerungsgrundlagen, für die eine gesonderte Feststellung (§ 179 Abs. 1 AO) in Betracht kommt, so besteht diesbezüglich für eine vorläufige Festsetzung der Steuer nur so lange ein Bedarf, als die gesonderte Feststellung noch nicht (rechtswirksam) erfolgt ist. Das gleiche gilt, falls noch ungeklärt ist, ob die Voraussetzungen für die gesonderte Feststellung dieser Besteuerungsgrundlagen überhaupt vorliegen. Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem zweifelsfrei gesondert festzustellende und mit einer Ungewissheit im Sinne des § 165 AO behaftete Besteuerungsgrundlagen durch Feststellungsbescheide verbindlich geregelt werden, verliert eine diesbezüglich erfolgte vorläufige Steuerfestsetzung ihre eigenständige Bedeutung. Abgesehen davon kann die vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ohne weiteres zusammen mit der Nebenbestimmung des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1, § 165 Abs. 3 AO) erfolgen und die Änderungsbefugnis für eine vorläufige Steuerfestsetzung gemäß § 165 Abs. 2 Satz 1 AO neben anderweitigen Änderungsvorschriften (z.B. §§ 172 ff AO) bestehen bleiben.
26
b) Bei Übertragung der vorgenannten Rechtsgrundsätze hat die Klage in der Sache Erfolg.
27
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines sogenannten gebundenen Verwaltungsakts – ebenso wie der eines im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakts, wenn der Ermessensspielraum auf Null vermindert ist – kommt es grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung an. Dies gilt nicht nur für Verpflichtungsklagen (Gräber/Stapperfend FGO 9. Auflage 2019, § 101 Rdn. 2 m.w.N. der Rechtsprechung), sondern auch für Anfechtungsklagen. Für letztere ergibt sich dies aus der Vorschrift des § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO, die ausdrücklich bestimmt, dass das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufhebt, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 16. April 2013 VII R 44/12, BFHE 241, 291, BStBl II 2013, 778). Ist die Frage nach der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts im Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung abweichend von der Rechtslage zum Zeitpunkt der Wirksamkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts oder zum Zeitpunkt der Klageerhebung zu beantworten, ist allein die rechtliche Beurteilung im Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung maßgebend.
28
So verhält es sich auch im Streitfall. Nach dem insoweit übereinstimmenden Sachvortrag der Beteiligten hat sich die Entscheidung des Beklagten, die Schenkungsteuer betreffend die Schenkung III in dem ursprünglich klagegegenständlichen Schenkungsteuerbescheid vom 17. Dezember 2015 und die Schenkungsteuer betreffend die Schenkung IV in dem ursprünglich klagegegenständlichen Schenkungsteuerbescheid vom 4. August 2015 gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig festzusetzen, im Wesentlichen auf die Ungewissheit der Höhe des Werts des erworbenen Anteiles an der KG und im Kern auf den Wert des Immobilienvermögens der KG gestützt. Dem Wortlaut der Nebenbestimmung des Schenkungsteuerbescheides vom 4. August 2015 (Schenkung IV) nach hat sich die Ungewissheit zwar auf die Höhe des Werts der zu berücksichtigenden Vorerwerbe (§ 14 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes -ErbStG-) sowie des Werts der deswegen anzurechnenden Schenkungsteuer (§ 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG) bezogen, die letztlich jedoch von den oben genannten Grundbesitzwerten abhingen. Da die Grundbesitzwerte des Immobilienvermögens der KG im Zeitpunkt der Wirksamkeit der ursprünglich klagegegenständlichen Schenkungsteuerbescheide (Schenkung III und IV) nicht oder zumindest noch nicht vollständig abschließend gesondert festgestellt worden waren, hatte seinerzeit eine die vorläufige Steuerfestsetzung rechtfertigende Ungewissheit in Bezug auf den Wert des vom Kläger erworbenen Anteiles an der KG vorgelegen.
29
Die Rechtslage hat sich jedoch spätestens im Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft sämtlicher Bescheide über die gesonderte Feststellung der Grundbesitzwerte der Immobilien der KG im März 2022 geändert. Ab diesem Zeitpunkt war jedenfalls die Ungewissheit über die genaue Höhe der Grundbesitzwerte des Immobilienvermögens der KG endgültig beseitigt, weil der Beklagte von da an mit keiner Änderung dieser Besteuerungsgrundlagen mehr rechnen hat können. Möglicherweise sind im Streitfall, insbesondere in Bezug auf die Schenkung III, die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Vorläufigkeit der Schenkungsteuerfestsetzung bereits im Zeitpunkt der erstmaligen Bekanntgabe aller das Immobilienvermögen der KG betreffenden Feststellungsbescheide entfallen. Entsprechend dem durch den Senat beim Beklagten ermittelten Verfahrensstand am 12. März 2020 sind die Bescheide über die gesonderte Feststellung der Grundbesitzwerte durch das Finanzamt W und das Finanzamt M bestandskräftig, die Grundbesitzwertfeststellung durch das Finanzamt E angefochten, die Grundbesitzwertfeststellung durch das Finanzamt K finanzgerichtlich verbeschieden, sowie die oben bezeichneten drei Grundbesitzwertfeststellungen durch das Finanzamt X beim erkennenden Senat rechtshängig gewesen. Der Schenkungsteuerbescheid als Folgebescheid (vgl. § 171 Abs. 10 AO) hängt ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der für ihn verbindlichen Grundlagenbescheide – im Streitfall in Gestalt der Bescheide über die gesonderte Grundbesitzwertfeststellung – allein von deren Regelungsinhalt ab und kann – seine Rechtswirksamkeit vorausgesetzt – insoweit ausschließlich nach Maßgabe des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden. Eine über den Regelungsgehalt eines rechtswirksamen Grundlagenbescheides hinausgehende, den steuerlichen Folgebescheid betreffende Ungewissheit im Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ist regelmäßig nicht mehr denkbar; und zwar unabhängig davon, ob die Besteuerungsgrundlagen zutreffend gesondert festgestellt worden sind. Eine die vorläufige Festsetzung der Schenkungsteuern des Klägers rechtfertigende Ungewissheit des Werts des Anteiles an der KG hätte sich ab diesem Zeitpunkt allenfalls auf anderweitige Bilanzposten außerhalb des immobilen Vermögens der KG stützen können.
30
Im Ergebnis braucht der erkennende Senat jedoch den genauen Zeitpunkt des Wegfalls der Ungewissheit bezüglich der Festsetzung der Schenkungsteuer des Klägers und insbesondere die Frage, ob deshalb die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung bereits im Zeitpunkt der klagegegenständlichen geänderten Schenkungsteuerbescheide jeweils vom 19. März 2020 entfallen sind, nicht mehr zu prüfen. Nach alldem ist jedenfalls davon auszugehen, dass spätestens im Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung über die vorliegende Klage keine Ungewissheit über den Wert des Gesellschaftsanteiles an der KG mehr bestanden hat und dem Beklagten kein Ermessen mehr zur Aufrechterhaltung der vorläufigen Steuerfestsetzung einzuräumen gewesen ist. Vielmehr ist der Beklagte spätestens in diesem Zeitpunkt zur Aufhebung der Vorläufigkeit verpflichtet gewesen (§ 165 Abs. 2 Satz 2 AO). Die vorläufige Festsetzung der Schenkungsteuer – insbesondere in Bezug auf die Schenkung III – ist durch den Beklagten zwar auch wegen des Werts der vom Kläger erworbenen Forderung gegen die H erfolgt; da die Beteiligten diesbezüglich aber keinerlei Ausführungen mehr gemacht haben, geht der erkennende Senat davon aus, dass auch insoweit keine Ungewissheit des Sachverhalts mehr vorliegt.
31
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
32
Dem Umstand, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Festsetzung der Schenkungsteuer im Zeitpunkt der ursprünglich klagegegenständlichen Schenkungsteuerbescheide vorgelegen haben, kommt in Bezug auf die Kostenentscheidung keine Bedeutung zu. Der Beklagte ist in vollem Umfang unterlegen, weil hierfür – wie oben ausgeführt – allein die Rechtslage im Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung maßgebend ist. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Kostentragung durch den vollumfänglich unterlegenen Beteiligten besteht unter den Voraussetzungen der Vorschrift des § 137 FGO, die im Streitfall jedoch nicht erfüllt sind (Gräber/Ratschow 9. Auflage 2019 FGO, § 135 Rdnr. 1).
33
4.) Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und des Vollstreckungsschutzes folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1, Abs. 3 FGO in Verbindung mit den sinngemäß anzuwendenden Vorschriften des § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung -ZPO- (vgl. zur Anwendung des § 708 Nr. 10 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren: Finanzgericht -FGMünchen Urteil vom 20. Januar 2005, 3 K 4519/01, EFG 2005, 969; FG Hamburg Urteil vom 23. Juli 2017, 3 K 287/14, EFG 2017, 1064).