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AG Landsberg, Urteil v. 24.04.2023 – 4 Ds 102 Js 106199/21
Titel:

Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung u.a. (durch Unterlassen) nach Deckeneinsturz auf Baustelle – Garantenstellung aus der Eigenschaft als Bauleiter und Geschäftsführer bzw. als Geschäftsführer der Baufirma, Grundeigentümer und Bauherr sowie aus § 4 Nr. 1, 2 und 7 ArbSchG

Normenketten:
StGB § 13, § 222, § 229
ArbSchG § 4 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 7
Schlagworte:
fahrlässige Tötung, Unterlassen, Garantenstellung, Unfall auf Baustelle, Bauleiter, Geschäftsführer, Bauherr, Arbeitsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12285

Tenor

1. Der Angeklagte S.N. ist schuld der fahrlässigen Tötung in 4 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung.
Deswegen wird gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr 2 Monaten verhängt.
Die Vollstreckung wird zur Bewährung ausgesetzt.
2. Der Angeklagte S.H. ist schuldig der fahrlässigen Tötung in 4 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung.
Deswegen wird gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt.
Die Vollstreckung wird zur Bewährung ausgesetzt.
3. Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens.
Den Angeklagten werden die notwendigen Auslagen der Nebenkläger auferlegt.

Entscheidungsgründe

I.
1. S.N.
1
Der Angeklagte schloss die Wirtschaftsschule in W. mit der Mittleren Reife ab und absolvierte anschließend eine Maurerlehre bei der Firma B. in Ap... . Danach war er knapp 2 Jahre in der S.- B1. GmbH als Geselle tätig. Von 2017 bis 2019 besuchte er dann die Meisterschule in M., die er erfolgreich abschloss und die Zusatzqualifikation Bautechniker erwarb.
2
2019 kehrte er in den väterlichen Betrieb zurück und ist dort als Geschäftsführer tätig. Sein monatliches Nettoeinkommen beträgt 3.800 €, davon muss er monatlich 120 € für die Altersvorsorge in Form einer Kapitallebensversicherung und 150 € für eine Berufsunfähigkeitsversicherung aufwenden.
3
Er ist ledig, hat keine Kinder und auch keine sonstigen Unterhaltsverpflichtungen.
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Er bewohnt eine Mietwohnung, die Miete entrichtet er an seinen Vater bzw. dessen Firma.
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Strafrechtlich ist er bislang nicht in Erscheinung getreten.
2. S.H.
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Der Angeklagte ist verheiratet und hat zwei Kinder, u. a. den Angeklagten S.N.. Beide Kinder haben sich bereits verselbstständigt.
7
Er ist ebenfalls Geschäftsführer der S.- B1. GmbH und erzielt ein monatliches Nettogehalt von 5.500 €. Zudem fließen ihm Mieteinnahmen in Höhe von 1.100 € zu.
8
Für seine Krankenversicherung wendet er monatlich 1.100 € auf. Zudem deckt er einen Teil des Unterhalts seiner Ehefrau, die monatlich 1.200 € an Einkommen hat.
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Der Angeklagte bewohnt ein Eigenheim. Darauf lasten noch Restschulden, die er monatlich mit 1.000 € bedient.
10
Strafrechtlich ist der Angeklagte bislang nicht in Erscheinung getreten.
II.
11
Der Angeklagte S.H., ein erfahrener Bauleiter und Maurermeister, ist langjähriger Geschäftsführer des Bauunternehmens S. B2. GmbH, –, – D.. Der Angeklagte S.N. ist dessen Sohn und seit ca. Herbst 2019 ebenfalls Geschäftsführer des Bauunternehmens. Er hat eine Ausbildung zum Maurer durchlaufen, dann die Meisterschule 2019 abgeschlossen und die Zusatzqualifikation Bautechniker erworben.
12
Ab Frühjahr 2020 errichtete die S.-B. GmbH auf dem Grundstück des Angeklagten S.H., –, 8... D., einen neuen Firmensitz, der nur ca. 690 Meter von dem alten Firmensitz entfernt liegt. Bauherr des Neubaus war der Angeklagte S.H.. Die Planungen für den Firmenneubau begannen Anfang 2019, wobei der Angeklagte S.N. aufgrund des Besuchs der Meister- und Technikerschule in M. zunächst nicht direkt in die Planung involviert war. Die Eingabeplanung stammt vom 03.05.2019 und wurde durch die Firma IR, Ingenieure und Architekten, M.R. in H. erstellt.
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Spätestens ab dem 30.01.2020 war der Angeklagte S.N., der Maurermeister und Bautechniker mit dem Titel Bachelor Professional ist, nach Abschluss der schulischen Ausbildung der zuständige Bauleiter für das Bauvorhaben. Gegenstand des Bauvorhabens war der Neubau zweier Gebäude – ein Bürogebäude mit einer Betriebsleiterwohnung und eine Werkhalle. Die beiden Gebäude sollten in einer Höhe von ca. 5 Metern durch eine sogenannte Durchfahrt, die gleichzeitig als Terrasse für die Betriebsleiterwohnung dienen sollte, verbunden werden. Im Mai 2019 erteilte der Angeklagte H.S. der Firma IR des Zeugen R. den Auftrag, die Prüffähige Statik und Bewehrungspläne zu erstellen. Vereinbart wurden die Leistungsphasen 1 – 5, die Bauüberwachung (Leistungsphase 8) wurde nicht vergeben und blieb dabei in der Verpflichtung des Bauherrn. Die Bauingenieurin Sa. erstellte die vereinbarten Pläne, außerdem wurde auch die Firma R. mit der Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Koordination nach BaustellV (künftig SiGe-Ko) beauftragt. Diese SiGe-Ko beschränkte sich weitgehend auf Formalien, in der bei der Firma S. eingeholten Selbstauskunft vom 30.01.2020 war der Angeklagte S.N. als Bauleiter und Aufsichtsführender auf der Baustelle eingetragen.
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Zur Vorbereitung des Freisitzes mit einer Durchfahrtshöhe von 4,20 Meter, einer Breite von 9 Metern und einer Länge von 9,5 – 13,7 Metern wurden zunächst sechs Betonsäulen zur Stützung fertiggestellt. Wohl im September 2020 wurde dann die Decke der Werkhalle betoniert, die Abstützung erfolgte mit 5-Meter-Doka-Schwerlaststützen. Diese mussten dort mindestens 18 – 20 Tage verbleiben.
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Nunmehr begann ein Trupp mit mehrfach wechselnden Kräften unter Führung des beim Unfall verstorbenen M.Ka. ein Traggerüst für das Betonieren der Durchfahrt/des Freisitzes zu erstellen. M.Ka. war ein erfahrener Vorarbeiter, der seit vielen Jahren im Betrieb tätig war und Erfahrung auf zahlreichen Baustellen erworben hatte.
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Das Traggerüst wurde zweistöckig aufgebaut. Für die erste Ebene wurden kurze Doka-Stützen verwendet, die auf Höhen von 1,5 bis 2 Meter ausgezogen wurden. Damit wurde die Unebenheit des Bodens ausgeglichen. Die Stützen standen auf einem einigermaßen verdichteten Kiesboden, als Auflager wurden Schaltafelstückchen mit Kantenlängen von 15- 20 cm verwendet, die nach Bedarf mit Splitt unterfüttert wurden. Ein stabiler Unterbau bestand nicht. Die Zwischendecke wurde mit Doka-Trägern aufgebaut, die zum Teil nur gestoßen, unzureichend verbunden und nur in manchen Bereichen im Kreuz lagen. Eine kraftschlüssige Erstellung der Zwischendecke erfolgte nicht, auch gab es dafür keine horizontale Absicherung. Auf diese Zwischendecke wurden dann weitere kurze Doka-Stützen gestellt, diese weitgehend auf 3 Meter ausgezogen und so die obere Ebene, also die Schalung aufgebaut. Diese wurde seitlich nur durch 6 – 8 Doka-Schwerlaststützen abgesichert, deren Befestigung am Boden nur darin bestand, dass der untere Stützteller teilweise mit einem Hammer in den Kiesboden eingeklopft war. Das Traggerüst wurde unter Anleitung von M.Ka. errichtet, einen Plan, Berechnungen oder eine Bemessung dafür gab es nicht. Zweifel hinsichtlich des Aufbaus und der Stabilität, die an ihn durch die Mitarbeiter Fe., R.R. und seinen Vater R.Ka. herangetragen wurde, wischte er beiseite, meinte, er mache das schon und man müsse auch wirtschaftlich denken.
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Auf dieser Konstruktion wurde dann die Einschalung vorgenommen sowie die Bewehrungslegung durchgeführt. Am 15.10.2020 gegen 16.30 Uhr erfolgte noch die Bewehrungsabnahme durch die Bauingenieurin Sa. vom Statikbüro R.. Diese passierte hierfür mit dem PKW in einer Entfernung von 5 – 10 Metern das Traggerüst, stieg auf der Südseite auf das Dach der Werkhalle und von dort von oben auf die künftige Freisitzdecke, d.h. auf die Armierung. Dort kontrollierte sie die Bewehrung, nahm diese ab und verließ auf gleichem Weg die Baustelle.
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Der zweistöckige Aufbau mit übereinanderstehenden Doka-Stützen widersprach der Aufbauanleitung der Firma Doka. Hierdurch ergab sich ein zusätzlicher Knickpunkt, der durch das nicht kraftschlüssige, horizontal nicht gesicherte und weitgehend einlagige Zwischenlager nicht beseitigt wurde. Auch der Einsatz von Vertikalstützen in schräger Position widersprach der Aufbauanleitung.
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Dies und der mangelnde Unterbau der Stützen mit Splitt, Brettchen oder bloßes teilweises Einklopfen hätte jede mit Bau befasste Person erkennen können und müssen.
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Zudem wäre es zur Abstützung der 42,25 Kubikmeter Beton erforderlich gewesen, Schwerlaststützen zu verwenden.
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Auch für die beiden Angeklagten, die über eine ausreichende Erfahrung als Bauunternehmer mit einem entsprechenden technischen Sachverstand verfügen, war dies erkennbar. Der Angeklagte S.N. hielt sich nahezu jeden Tag auf der Baustelle auf, besprach sich auch mehrfach mit dem Vorarbeiter M.Ka. und befand sich zuletzt am 16.10.2020 kurz vor 11.00 Uhr bei dem Traggerüst. Der Angeklagte S.H. hätte als Geschäftsführer und Bauherr, der über eine viel längere Berufserfahrung und tiefere Kenntnisse verfügt, die Baustelle besuchen und überwachen müssen.
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Eine Überprüfung des Traggerüsts durch die Angeklagten erfolgte nicht. Die Angeklagten haben darüber hinaus im Rahmen der Planung und Durchführung des Bauvorhabens die für Traggerüste einschlägigen DIN-Vorschriften EN 12812 nicht eingehalten. Bei dem Traggerüst handelte es sich um ein solches der Bemessungsklasse B, da die Höhe bis zur Unterseite des zu errichtenden Bauteils mehr als 3,5 Meter betrug. Eine Bemessung des Traggerüsts nach den einschlägigen Eurocodes erfolgte nicht. Auch eine technische Dokumentation nach 9.1 erfolgte nicht. Wären die maßgebenden Vorschriften eingehalten worden, wäre das Traggerüst von einem Tragwerksplaner richtig geplant und nach diesem Plan aufgebaut worden. Zu einem Einsturz wäre es dann nicht gekommen. Diese Vorschriften hätten beide Angeklagte kennen können und müssen, da die Bauüberwachung nicht vergeben und somit bei der ausführenden Firma verblieben war.
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Am 16.10.2020 wurde von 08:00 Uhr bis 11:00 Uhr die Decke betoniert. Insgesamt 43,25 Kubikmeter Beton wurden über eine Betonpumpe eingebracht. Nachdem auch die Rüttelarbeiten auf der Betondecke abgeschlossen worden waren, begaben sich die Mitarbeiter F. und W. unter die frisch betonierte Decke, um zu säubern. Die Mitarbeiter B. und M.Ka. verblieben noch auf der Betondecke, R.R. reinigte Material auf dem Gerüst daneben. Gegen 11.07 Uhr brach die Schalung auf Höhe des M.Ka., der 1 Meter vom östlichen Rand und ca. 1 Meter vom südlichen Unterzug entfernt war, plötzlich ein. An dieser Stelle sanken M.Ka. und B. zusammen mit Material nach unten, die Decke stürzte ein und das nachstürzende Material begrub diese und die unter der Betondecke arbeitenden Mitarbeiter W. und F..
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Wäre ein ordentliches Traggerüst mit richtigen Stützen aufgestellt gewesen, wäre selbst bei Bruch einer Schaltafel oder eines Unterzuges nicht das ganze Gerüst eingestürzt, sondern es wäre allenfalls an der betroffenen Stelle Beton ausgelaufen. Das mangelhafte Gerüst stürzte aber in sich zusammen und war die entscheidende Ursache für den Tod der Bauarbeiter.
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Die Bauarbeiter W., M.Ka., B. und F. konnten von den herbeieilenden Rettungskräften nur noch tot geborgen werden. Die Verunglückten … verstarben jeweils an einem Ersticken aufgrund des Verschüttungsvorgangs. R.R. zog sich bei dem ca. 5m tiefen Sturz eine Schnittwunde am rechten Unterarm zu. Er musste 1 Nacht stationär behandelt werden und litt bis Dezember aufgrund dieses Vorfalls an einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
26
Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung von Amts wegen bejaht.
III.
27
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den Angaben der Angeklagten.
28
Der Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichtes fest aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung.
29
Es folgt die Beweisaufnahme: Einlassungen der Zeugen in anonymisierter Ausfertigung abgekürzt).
Einlassung des Angeklagten S.N.
Einlassung des Angeklagten S.H.
Bild Bl. 278 Sonderband Pol.
30
Ermittlungen wurde in Augenschein genommen.
31
Der Zeuge R.R. wurde uneidlich vernommen.
32
Mit dem Zeugen von M.F. wurde ein weiterer Mitarbeiter der Firma S. vernommen.
33
Die Zeugin Sa. wurde uneidlich vernommen.
34
Der Zeuge Dipl. Ing. M.R. wurde uneidlich vernommen.
35
Der Zeuge G.W. wurde im Anschluss uneidlich vernommen.
36
Der Zeuge B.T. wurde uneidlich vernommen.
37
Der Zeuge PHK H. wurde uneidlich vernommen.
38
Der Zeuge KOK S. wurde uneidlich vernommen.
39
Der Zeuge KHK K.wurde uneidlich vernommen.
40
Der Sachverständige Dipl. Ing. F. von der Bayerischen Gewerbeaufsicht erstattete sein Gutachten.
41
Eine Auswahl von relevanten Bildern (Anlage 7 zum Hauptverhandlungsprotokoll), eingereicht von R.K. über den Nebenklägervertreter Rechtsanwalt W., wurde in Augenschein genommen.
42
Ein relevantes Bild (Anlage 8 zum Hauptverhandlungsprotokoll), eingereicht von Rechtsanwalt B., wurde in Augenschein genommen.
43
Als sachverständiger Zeuge wurde Dipl. Ing. C.P. vernommen.
44
Der Zeuge Dr. W.W. wurde uneidlich vernommen.
45
Der Zeuge R.K. wurde uneidlich vernommen.
46
Gemäß § 249 Abs. 2 StPO wurden im Wege des Selbstleseverfahrens folgende Schriftstücke in die Hauptverhandlung eingeführt:
Hauptakte
- Nachtragsgutachten zur Obduktion M.Ka. Bl. 12
- Auftragsbestätigung vom 13.5.2019, Bl. 171
- SiGe Koordination nach BaustellV vom 30.01.2020, Bl. 173
Sonderband pol. Ermittlungen
- Todesbescheinigung W. vom 19.10.20, Bl. 122
- Notarzteinsatzprotokoll Bl. 150
- Protokoll gerichtliche Leichenöffnung W.vom 4.11.2020, Bl. 152 ff
- Todesbescheinigung M.Ka. vom 19.10.20, Bl. 170
- Notarzteinsatzprotokoll Bl. 175
- Todesbescheinigung B. vom 19.10.20, Bl. 193
- Notarzteinsatzprotokoll Bl. 198
- Protokoll gerichtliche Leichenöffnung B. vom 30.10.2020, Bl. 201 ff
- Nachtragsgutachten Obduktion B. vom 08.12.2020, Bl. 216
- Todesbescheinigung F. vom 19.10.20, Bl. 220
- Notarzteinsatzprotokoll Bl. 225
- Protokoll gerichtliche Leichenöffnung F.vom 5.11.2020, Bl. 227 ff
- Blutalkoholbestimmung B., F., W.und M.Ka.
- Anwenderinformationen Doka Deckenstützen Bl. 261 – 276
- Bewährungsabnahme Ingenieurbüro R. mit statischen Berechnungen, Bl. 333 – 394
- Eingabeplanung IR Neubau Bürogebäude Bl. 395
TEA I
- Nachtragsgutachten zur Obduktion vom 8.12.2020
TEA II
- Obduktionsprotokoll vom 4.11.20, Bl.11 ff
- Nachtragsgutachten zur Obduktion vom 14.12.2020, Bl. 25
TEA III Nachtragsgutachten zur Obduktion vom 14.12.2020, Bl. 11
Sonderband DIN-Vorschriften
- DIN-Vorschriften zu Traggerüsten – Anforderungen, Bemessung und Entwurf
IV.
47
Die Angeklagten haben sich somit der fahrlässigen Tötung in 4 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung gemäß §§ 222, 229, 230, 52, 13 Abs. 1 und 2 StGB schuldig gemacht.
48
Die Garantenpflicht des Angeklagten S.N. erwächst aus seiner Eigenschaft als Bauleiter vor Ort und seiner Stellung als Geschäftsführer. Da keine Bauaufsicht (Leistungsphase 8) gebucht war, hätte er als Bauleiter der ausführenden Firma diese Aufsicht führen und die Sicherheitsvorschriften beachten müssen. Diese Pflichten hat er verletzt, da er die Arbeit des Vorarbeiters nicht kontrolliert hat, für das Traggerüst der Bemessungsklasse B nicht die nach der DIN-Norm erforderlichen Berechnungen durchführen ließ und auch weder das geeignete Stützenmaterial zur Verfügung stellte noch überwachte, dass die Stützen ausreichend gegründet waren und entsprechend der Anleitung des Herstellers verwendet wurden.
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Die Garantenpflicht des Angeklagten S.H. erwächst aus seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Baufirma, außerdem war er Grundeigentümer und Bauherr. Er durfte dem noch nicht ausreichend erfahrenen S.N. nicht die technische Ausführung ohne Beaufsichtigung überlassen. Er hätte, da die Bauaufsicht nicht an einen externen Fachmann vergeben war, sich auf die Baustelle begeben müssen, das Traggerüst in Augenschein nehmen müssen und dafür sorgen müssen, dass das für das Traggerüst der Bemessungsklasse B die nach der DIN-Norm erforderlichen Berechnungen vorliegen und das geeignete Stützenmaterial zur Verfügung steht. Weiter hätte er überwachen müssen, dass die Stützen ausreichend gegründet sind und entsprechend der Anleitung des Herstellers verwendet werden.
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Im Übrigen ergibt sich die Garantenpflicht für beide Angeklagte auch aus § 4 Nr. 1, 2 und 7 des Arbeitsschutzgesetzes. Danach hat der Arbeitgeber die Pflicht, Gefahren an ihrer Quelle zu bekämpfen und muss Arbeiten so gestalten, dass die Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden werden. Den Beschäftigten sind geeignete Anweisungen zu erteilen.
51
Beide haben sich somit einer Straftat durch Unterlassen gemäß § 13 StGB schuldig gemacht.
52
Die Buchung eines SiGe-Ko führte nicht dazu, dass sie von ihren Pflichten entbunden oder diese eingeschränkt waren. § 3 Abs. 1 a BaustellVO stellt klar, dass die Beauftragung geeigneter Koordinatoren den Bauherrn nicht von seiner Verantwortung entbindet. Zudem betrifft der Schutzbereich des SiGe-Ko im Wesentlichen die Zusammenarbeit verschiedener Gewerke und nicht zentral die Prüfung eines, vom Bauherrn durch eigene Kräfte erstellten Traggerüstes. Das Gericht ist auch der Überzeugung, dass es zwischen den Firmen Vereinbarung war, dass eine SiGe-Ko billig, wenig „störend“ und eher formal ablaufen sollten und dies auch den Einsatz der SiGe-Ko beschränkte. Letztlich ist die Frage des SiGe-Ko nur im Rahmen der Verursachungsbeiträge abzuwägen.
V.
53
§ 222 StGB sieht für die fahrlässige Tötung eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe vor, nach § 229 StGB ist der Strafrahmen der fahrlässigen Körperverletzung zwischen einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und Geldstrafe.
54
§ 13 Abs. 2 StGB sieht vor, dass die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden kann. Das Gericht hält diese Milderung nach wertender Gesamtbetrachtung für geboten, da der Unrechts- und Schuldgehalt aufgrund konkreter Merkmale geringer ist als der des aktiven Tuns. Hierbei ist berücksichtigt, dass nicht nur das Unterlassen der Angeklagten die schwere Folge verursacht hat, sondern auch die Verkettung unglücklicher Umstände und die Beiträge anderer Beteiligter.
55
Die Verursachungsbeiträge aller Beteiligten wurde im Rahmen der Beweisaufnahme intensiv geprüft und stellt sich für das Gericht wie folgt dar.
56
Wesentliche Verursachungsbeiträge sind dem Vorarbeiter M.Ka. und dem Angeklagten S.N. zuzurechnen. M.Ka. hatte vor Ort das Sagen, zeichnete für das Traggerüst verantwortlich und ließ sich auch durch Zweifel und Bedenken anderer Mitarbeiter und seines Vaters nicht zu einer vorsichtigeren Handlungsweise veranlassen. Sein Beitrag liegt im aktiven Tun, nämlich im Aufbau des Traggerüstes mit erheblichen Mängeln. Dieser Beitrag ist in etwa so schwer zu gewichten wie das Unterlassen des ihm vorgesetzten Angeklagten N.S., der den Aufbau des Gerüstes beobachtete, kannte und trotz der Position des Bauleiters und der Schutzpflicht als Arbeitgeber den Vorarbeiter M.K. gewähren ließ, keine Schutzmaßnahmen ergriff und auch keine Prüfung durch andere fachkundige Personen veranlasste.
57
Einen darunter anzusiedelnden Verursachungsbeitrag sieht das Gericht bei dem Angeklagten H.S., der die Bauleitung seinem Sohn überließ, die Bauaufsicht bzw. die weiteren Leistungsphasen nicht vergab und entweder die Baustelle nicht besuchte oder trotz Kenntnis nicht eingriff und jedenfalls die notwendigen Schutzmaßnahmen nicht ergriff.
58
Einen noch darunter liegenden Verursachungsbeitrag sieht das Gericht bei den für Statik und SiGe-Ko beauftragen Personen. Auch wenn die Statik des Traggerüstes und die Bauaufsicht nicht vertragliche Verpflichtung waren, hatte die Bauingenieurin S. den höchsten Wissensstand. Wie der Zeuge Dipl. Ing C.P., ebenfalls Statiker, ausgeführt hat, schaut ein Statiker regelmäßig auch das Gerüst an, bevor er sich drauf stellt und die Bewehrung prüft. Hier die Augen zu verschließen und seine Aufmerksamkeit nur auf die vergütete Leistung zu beschränken, ist ebenfalls ein Glied in der Kette unglücklicher Umstände.
59
Minimale Beiträge in der Verursachung sieht das Gericht auch noch bei Mitarbeitern F., R.R. und M., die das Gerüst aufgebaut haben. Diese hatten auch entsprechende Erfahrung auf dem Bau. Die ihnen entstandenen Bedenken äußerten sie zwar gegenüber dem Vorarbeiter, wirkten aber trotzdem am Bau mit und wandten sich nicht an den Bauleiter.
60
Auch die mangelnde Kontrolldichte durch das Gewerbeaufsichtsamt, das mit 10 Mitarbeitern für alle Vorhaben in Oberbayern zuständig ist, hat dem Unglück nicht entgegengewirkt.
61
Aufgrund dieser Erwägungen verschiebt sich der Strafrahmen für die fahrlässige Tötung auf eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren 9 Monaten oder Geldstrafe.
Strafzumessung im engeren Sinn:
62
Zugunsten der Angeklagten geht ihr weitgehendes Geständnis. Sie räumten ihre Verantwortung ein und entschuldigten sich bei den Hinterbliebenen. Beide sind bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Auch liegt die Tat länger zurück und beide waren selbst durch die Tat und deren Folgen psychisch sowie wirtschaftlich betroffen. Zugunsten der Angeklagten wertet das Gericht auch, dass weitere Beteiligte wie ausgeführt nicht unerheblich zu der Katastrophe beigetragen haben.
63
Außerdem wurden im Nachgang zu der Tat Maßnahmen getroffen, die die Sicherheit der Arbeitnehmer erhöhen, eine Zusammenarbeit und Zertifizierung mit der BG installiert und auch in Schutzausrüstung und verbesserte Sicherheitsbedingungen investiert.
64
Negativ sind die massiven Folgen der Tat zu werten. 4 Menschen sind verstorben, hinterlassen Kinder, Eltern und weitere Angehörige. Auch zogen sich die Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften über einen längeren Zeitraum und betrafen Planungs- und Ausführungsphase. Die Verstöße erfolgten auch aus finanziellen Gründen, so wurden z.B. Kosten für zusätzliche Expertisen oder eine externe Bauaufsicht eingespart.
65
Unter Abwägung aller Umstände ist das Gericht der Überzeugung, dass zur Einwirkung auf die Angeklagten und zur Verteidigung der Rechtsordnung jeweils Freiheitsstrafen zu verhängen sind. Grad und Dauer der Verstöße sowie der Tod von 4 Menschen können im vorliegenden Fall nicht nur mit einer Geldstrafe sanktioniert werden. Zudem sind sowohl general- als auch spezialpräventive Erwägungen zu berücksichtigen.
66
Hinsichtlich des Angeklagten S.N. ist unter Berücksichtigung seines wesentlicheren Beitragens eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr 2 Monaten tat- und schuldangemessen.
67
Hinsichtlich des Angeklagten S.H. ist unter Berücksichtigung des nachrangigeren Verursachungsbeitrages eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten tat- und schuldangemessen.
68
Die Freiheitsstrafen können jeweils zur Bewährung ausgesetzt werden.
69
Der Angeklagte S.N. ist beruflich und sozial integriert. Er ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und das Gericht erwartet, dass er unter dem Druck der offenen Bewährung keine weiteren Straftaten mehr begeht. Bei einer Gesamtwürdigung sind die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu bejahen. Dafür sprechen auch schon die Maßnahmen und Investitionen, die gemacht wurden, um künftig die Sicherheit zu erhöhen.
70
Auch der Angeklagte S.H. ist sozial und beruflich integriert. Er hat sich bisher straffrei geführt und das Gericht erwartet, dass dies auch unter dem Eindruck der Bewährung künftig der Fall sein wird.
VI.
71
Die Kostenentscheidung folgt §§ 464 Abs. 1, 465 Abs. 1 StPO, hinsichtlich der notwendigen Auslagen der Nebenkläger beruht diese auf § 472 StPO.