Titel:
Heranziehung zur Erstattung von Beerdigungskosten
Normenketten:
BestG § 14
BestV § 1, § 15
Leitsätze:
1. Bei der Ermächtigung nach Art. 14 Abs. 2 S. 2 BestG handelt es sich um einen Fall des intendierten Ermessens, dh in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Bestattungspflichtige kann sich seiner öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nicht schon für sich genommen unter Berufung auf das Fehlen jeder persönlichen Beziehung zu dem Verstorbenen entziehen. Es bedarf außergewöhnlicher Umstände, damit die Bestattungspflicht unzumutbar erscheint. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Solche außergewöhnlichen Umstände setzen in aller Regel eine schwere Straftat des Verstorbenen zu Lasten des bestattungspflichtigen Angehörigen voraus; die bloße Nichterfüllung elterlicher Pflichten genügt dafür nicht. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erstattung, Beerdigungskosten, Vater, Bescheid, Hinterlegung, Kind, Bestattungspflicht, Berufung, Ermessen, Zumutbarkeit, intendiertes Ermessen, Straftat
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 06.10.2021 – W 2 K 21.556
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 17.08.2023 – 8 B 42.23
Fundstellen:
FamRZ 2023, 1588
ZEV 2023, 787
BeckRS 2023, 10170
LSK 2023, 10170
Tenor
I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 6. Oktober 2021 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zur anteiligen Erstattung der Kosten der Beerdigung seines Vaters.
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Am ... August 2020 verstarb der Vater des Klägers. Die Beklagte ermittelte, dass der Verstorbene geschieden war und aus der Ehe mit seiner geschiedenen Frau sieben Kinder hervorgegangen sind, von denen ein Kind im Säuglingsalter verstorben ist und drei Kinder im Kindesalter von Adoptiveltern adoptiert wurden. Nachdem die anderen beiden Kinder des Verstorbenen nicht ausfindig gemacht werden konnten und der Kläger es abgelehnt hatte, sich um die Bestattung seines Vaters zu kümmern, veranlasste die Beklagte die Bestattung, wofür Kosten in Höhe von insgesamt 1.729,50 Euro anfielen.
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Mit Bescheid vom 18. März 2021 verpflichtete die Beklagten den Kläger zur anteiligen Erstattung der Bestattungskosten in Höhe von 576,50 Euro.
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Auf Klage des Klägers hin hob das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 6. Oktober 2021 den Bescheid der Beklagten vom 18. März 2021 auf. Zwar gehöre der Kläger grundsätzlich zum Kreis der bestattungspflichtigen Angehörigen, jedoch erweise sich seine Heranziehung zur (anteiligen) Erstattung der Bestattungskosten seines verstorbenen Vaters aufgrund der besonderen Umstände des Falles als ermessensfehlerhaft. Dem Kläger sei die Übernahme der Bestattungskosten unzumutbar. Der Kläger sei ab dem Alter von etwa zwei Jahren bis zu seiner Volljährigkeit ohne jeglichen elterlichen Kontakt zum Verstorbenen nacheinander in zwei verschiedenen Kinderheimen aufgewachsen. Er habe seinen verstorbenen Vater nie kennengelernt. Selbst wenn die Heimunterbringung des Klägers nicht mit einem dauerhaften (vollständigen) Sorgerechtsentzug wegen Kindeswohlgefährdung verbunden gewesen sein sollte, habe der Verstorbene ein etwaiges verbliebenes (Teil-)Sorgerecht für den Kläger jedenfalls nie ausgeübt, was sich im vorliegenden Fall als besonders verwerflich erweise, weil der Kläger auch von seiner alkoholkranken Mutter keine familiäre Fürsorge erhalten habe und somit gänzlich ohne Familienverbund in Kinderheimen großgeworden sei. Das Fehlen jeglichen elterlichen Kontakts und jedweder Anteilnahme an der Entwicklung und dem Wohlergehen des Klägers in den Heimen, in denen er nach eigenen Angaben physische und psychische Misshandlung erlitten habe, stelle einen derart groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme dar, dass das Eltern-Kind-Verhältnis als grundlegend zerstört anzusehen sei. Ein verwandtschaftliches Näheverhältnis, das es rechtfertigen würde, den Kläger zur Kostenerstattung heranzuziehen, da er dem Verstorbenen näherstehen würde als die Allgemeinheit, könne vor diesem Hintergrund nicht angenommen werden.
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Gegen das Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten.
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Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte vor, die Kostenerstattungspflicht der bestattungspflichtigen Angehörigen für die notwendige Sicherheitsbestattung des Vaters des Klägers bestehe auch, wenn die Familienverhältnisse zwischen dem Verstorbenen und dem in Anspruch genommenen Bestattungspflichtigen gestört oder zerrüttet gewesen seien. Nur außergewöhnliche Umstände könnten ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen. Solche Umstände lägen nach der Rechtsprechung nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen vor. Auf das Verhältnis zwischen dem Kläger und seiner Mutter komme es ohnehin nicht an. Relevant seien ausschließlich mögliche Verfehlungen des Verstorbenen gegenüber dem bestattungspflichtigen Angehörigen. Die Tatsache, dass sich der Vater nicht um seine Kinder gekümmert habe und der Kläger in ein Kinderheim gekommen sei und keinen Kontakt mehr zu seinen leiblichen Eltern gehabt habe, stelle keine unbillige Härte im Hinblick auf seine Heranziehung zu den anteiligen Bestattungskosten dar. Der Kläger mache eine Unterhaltsverletzung seines Vaters ihm gegenüber geltend, trage jedoch nicht vor, dass sein Vater hierfür verurteilt worden sei. Für eine Straftat des Vaters des Klägers lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Auch würde es sich dabei nicht um eine schwere Straftat zulasten des Klägers handeln. Zerrüttete Familienverhältnisse und verweigerte Unterhaltsleistungen machten die Heranziehung zu den Bestattungskosten nicht unzumutbar. Die drei weiteren Kinder des Verstorbenen seien als Minderjährige adoptiert worden und daher nicht bestattungspflichtig gewesen.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 6. Oktober 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt er vor, es läge hier nicht der Fall vor, bei dem sich ein nichtehelicher Vater nicht um das Kind kümmere und sämtliche Betreuungs- und Erziehungsaufgaben der nichtehelichen Mutter überlasse. Vielmehr sei dem Vater des Klägers bekannt und bewusst gewesen, dass auch die alkoholkranke Mutter des Klägers als Betreuungsperson nicht zur Verfügung gestanden habe. Ohne physische und psychische Zuwendung der Eltern drohten gerade Kleinkindern psychische Schäden wie beispielsweise Bindungsstörungen, Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls oder Traumata. Der Kläger sei von seinem Vater komplett im Stich gelassen worden. Was dem Kläger an physischen und psychischen Misshandlungen in den Heimen zugestoßen sei, habe auch darin seine Ursache. Das Verhalten des Vaters des Klägers stelle damit eine Körperverletzung, jedenfalls aber eine unterlassene Hilfeleistung dar, zumal dem Vater bewusst gewesen sei, dass auch die Mutter des Klägers für eine Kindesbetreuung ausfallen würde. Er hätte sich jedenfalls darum kümmern müssen, dass der Kläger in den Heimen nicht physisch und psychisch misshandelt werde.
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Die Parteien stimmten mit Schriftsätzen vom 9. Dezember 2022 und 8. März 2023 einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zu.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Der Senat entscheidet über die Berufung im schriftlichen Verfahren, da die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 101 Abs. 2 VwGO.
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II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, da die Klage entgegen dem Urteil des Verwaltungsgerichts unbegründet ist. Der Bescheid der Beklagten vom 18. März 2021, mit dem der Kläger zu den anteiligen Kosten für die Bestattung seines Vaters herangezogen wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG können die Gemeinden von einem bestattungspflichtigen Angehörigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn sie gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG für die Bestattung sorgen mussten, weil Anordnungen gegenüber den Bestattungspflichtigen nicht möglich oder nicht erfolgversprechend waren. Die Notwendigkeit, eine Sicherheitsbestattung durchzuführen, wird vom Kläger nicht in Zweifel gezogen.
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Der Kläger gehört als Sohn des Verstorbenen gemäß § 15 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b der Bestattungsverordnung – BestV – zum Kreis der bestattungspflichtigen Angehörigen, die nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG für die Erstattung der angefallenen Kosten in Anspruch genommen werden können. Die Ausschlagung einer Erbschaft ist für das Bestehen einer Kostenerstattungspflicht unerheblich.
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Bei der Ermächtigung nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG handelt es sich um einen Fall des intendierten Ermessens, d.h. in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei (BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 4 ZB 16.1336 – juris Rn. 8; B.v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815 – BayVBl 2009, 537; B.v. 12.9.2013 – 4 ZB 12.2526 – BayVBl 2014, 178 m.w.N.). Bei der Bestattungspflicht und der daraus resultierenden Kostentragungspflicht geht es vor allem darum, die private Verantwortungssphäre von derjenigen der Allgemeinheit abzugrenzen. Es bedarf daher einer Darlegung von Ermessenserwägungen nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen können. Insbesondere machen weder Unterhaltspflichtverletzungen noch (sonstige) gestörte Familienverhältnisse die Inanspruchnahme des Pflichtigen unzumutbar (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815 – BayVBl 2009, 537; B.v. 17.1.2013 – 4 ZB 12.2374 – juris Rn. 7).
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Der Kläger kann sich dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nicht unter Berufung auf das Fehlen jeder persönlichen Beziehung zu dem Verstorbenen entziehen. Dass der Vater des Klägers seinen Betreuungs- und Unterhaltspflichten während nahezu seiner gesamten Kindheit nicht nachgekommen ist und kein Interesse an seiner persönlichen Entwicklung gezeigt hat, ließ die Erfüllung der Bestattungspflicht für ihn noch nicht als unzumutbar erscheinen. Die dafür notwendigen außergewöhnlichen Umstände, die demgemäß auch der Erstattungspflicht entgegenstehen, setzen nach der Rechtsprechung des Senats in aller Regel eine schwere Straftat des Verstorbenen zu Lasten des bestattungspflichtigen Angehörigen voraus; die bloße Nichterfüllung der elterlichen Pflichten genügt dafür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 5.8.2021 – 4 BV 20.3110 – BayVBl 2021, 822 Rn. 19; B.v. 23.5.2017 – 4 ZB 16.1336 – FamRZ 2017, 1885 Rn. 8; B.v. 14.9.2015 – 4 ZB 15.1029 – juris Rn. 7; B.v. 17.1.2013 – 4 ZB 12.2374 – juris Rn. 7; B.v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815 – BayVBl 2009, 537 Rn. 7).
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Die physischen und psychischen Misshandlungen, die der Kläger nach seinem Vortrag in den Kinderheimen erlittten hat, können auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die alkoholkranke Mutter des Klägers sich nicht gekümmert hat, nicht als schwere – strafrechtlich relevante – Verfehlung des verstorbenen Vaters des Klägers gewertet werden, zumal die Umstände, die zur Weggabe der Kinder geführt haben, nicht bekannt sind. Den Akten ist zum Vater lediglich zu entnehmen, dass er zum Zeitpunkt der Eheschließung im August 1963 Hilfsarbeiter war und dass zum Zeitpunkt seines Todes kein nennenswerter Nachlass vorhanden war.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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V. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.