Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.04.2023 – 19 ZB 23.479
Titel:

Erfolgloser Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Frist zur Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung

Normenkette:
VwGO § 60 Abs. 1, § 124a Abs. 3 S. 1, S. 3, Abs. 4 S. 4
Leitsätze:
1. Bei der Frist des § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO handelt es sich um eine gesetzliche Frist, die nicht verlängert werden kann. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Lediglich bei verlängerbaren Fristen (wie zB in § 124a Abs. 3 S. 3 VwGO) kann ein Rechtsmittelführer bei entsprechender Antragstellung auf die Verlängerung der Frist vertrauen bzw. eine Reaktion des Gerichts auf die Antragstellung erwarten. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (abgelehnt), Wiedereinsetzung, Zulassungsantrag, Begründungsfrist, unzulässiger Verlängerungsantrag, Verschulden, Prozessbevollmächtigter, Hinweispflicht, prozessuale Fürsorgepflicht
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 14.10.2022 – AN 16 K 21.120, AN 16 K 21.1079
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.04.2023 – 19 ZB 23.479
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10143

Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.

Gründe

1
Der mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 30. März 2023 gestellte Antrag, den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung im Verfahren 19 ZB 23.479, den der Senat mit Beschluss vom 22. März 2023, zugestellt am 28. März 2023, verworfen hat, weil die mit dem 20. März 2023 (Montag) abgelaufene Frist für die Darlegung der Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, versäumt worden sei, hat keinen Erfolg.
2
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führt die Klägerbevollmächtigte aus, dass den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Es liege keine Fristversäumnis vor, da fristgerecht mit Schriftsatz vom 16. März 2023, übermittelt am selben Tag, Antrag auf Fristverlängerung zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gestellt worden sei. Der Antrag sei am selben Tag über das beA-Postfach der Klägerbevollmächtigten, mithin im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs am 16. März 2023 um 17:32 Uhr und damit rechtzeitig vor Fristablauf am 21. März 2023, dem Gericht übermittelt worden. Damit sei fristgerecht Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist gestellt worden. Dem Antrag wäre auch stattzugeben gewesen. Indem das Gericht diesen fristgerecht gestellten Antrag auf Fristverlängerung übergangen habe, sei keine Fristversäumnis gegeben, höchst hilfsweise sei in jedem Fall dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachzugeben. Gemäß § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO könne die Begründungsfrist auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden. Dies sei fristgerecht erfolgt. Hätte das Gericht diesem Antrag auf Fristverlängerung nicht stattgeben wollen, so wäre der Antrag zeitnah zurückzuweisen gewesen, sodass innerhalb der Frist, die erst 4 Tage später geendet habe, die Begründung noch hätte ausgeführt werden können. Dem sei das Gericht nicht nachgekommen, sodass auch vor diesem Hintergrund zum einen wegen fristgerechter Einhaltung der Handlung kein Fristversäumnis vorliege, hilfsweise hier indes Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre, da das Fristversäumnis, wäre ein solches gegeben, hier unverschuldet gewesen wäre, da das Gericht es unterlassen habe, den Antrag auf Fristverlängerung zeitnah zurückzuweisen, so dass die Handlung der Fertigung des Begründungsschriftsatzes noch fristgerecht hätte nachgeholt werden können.
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Nachdem der Beklagte in seiner Antragserwiderung vom 4. April 2023 darauf hingewiesen hatte, dass die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung eine Ereignisfrist sei, deren Verlängerung nicht möglich sei – worauf die Klägerbevollmächtigte auch mit Schreiben des zuständigen Berichterstatters vom 17. März 2023 ausdrücklich hingewiesen worden sei – und der klägerische Hinweis auf die Verlängerungsmöglichkeit des § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO unbehelflich sei, da diese Vorschrift nur die Berufungsbegründungsfrist betreffe, nicht jedoch die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO und im Übrigen die Kläger die Versäumung der Begründungsfrist selbst verschuldet hätten, erwiderte die Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 19. April 2023, dass entgegen der Darstellung des Beklagten der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowohl zulässig als auch begründet sei. Insbesondere sei die Versäumung der Frist, wie bereits schon im Antrag vom 30. März 2023 dargestellt, unverschuldet. Wie sich aus § 124a Abs. 3 S. 3 VwGO ergebe, könne die Begründungsfrist auf einen vor dem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden. Dies sei fristgerecht erfolgt. Hätte das Gericht diesem Antrag auf Fristverlängerung nicht stattgeben wollen oder wäre es der Ansicht gewesen, dass sich diese Möglichkeit der Fristverlängerung lediglich auf die Berufungen, nicht aber auch auf den Antrag auf Zulassung der Berufung bzw. deren Begründung beziehe, so wäre das Gericht verpflichtet gewesen, den Antrag zeitnah zurückzuweisen, sodass innerhalb der Frist, die erst vier Tage später nach dem Antrag auf Fristverlängerung geendet habe, die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung noch hätte ausgeführt werden können. Dem sei das Gericht indes nicht nachgekommen, sodass vor diesem Hintergrund zum einen wegen der fristgerechten Einhaltung des Antrags auf Fristverlängerung bereits keine Fristversäumnis vorliege, da die Frist gemäß § 124a Abs. 3 S. 3 VwGO verlängert werden könne, zum anderen wäre das Gericht hier aber, wie dargestellt verpflichtet gewesen, den Antrag auf Fristverlängerung zeitnah zurückzuweisen, sodass die Handlung der Fertigung des Begründungsschriftsatzes noch fristgerecht hätte nachgeholt werden können. Insoweit liege daher hier eine unverschuldete Fristversäumnis vor, sollte eine Fristversäumnis überhaupt vorliegen, „dass das Gericht unterlassen“ habe, den Antrag auf Fristverlängerung zeitnah zurückzuweisen. Wie bereits dargestellt, wären dann noch 4 Tage Zeit gewesen, die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung noch auszuführen. Vor diesem Hintergrund sei daher erst gar keine Fristversäumnis gegeben, in jedem Fall indes eine unverschuldete vor dem Hintergrund der Unterlassung des Gerichts, den Antrag auf Fristverlängerung zeitnah zurückzuweisen, wäre das Gesicht der Ansicht gewesen, dass hier eine Verlängerung nicht in Betracht komme. Entgegen der Darstellung des Beklagten sei auch kein gerichtliches Schreiben vom 17. März 2023 des Berichterstatters per EGVP erfolgt. Ein solches Schreiben vom 17. März 2023 des Gerichts „liege hier nicht vor“. Es liege lediglich die Mitteilung des Gerichts vom 28. März 2023 mit Schreiben des Gerichts vom 27. März 2023 und dem Beschluss des Senats vom 22. März 2023 hier vor. Vor diesem Hintergrund liege daher, wie bereits dargestellt, zum einen aufgrund der verlängerbaren Frist zur Begründung, hinsichtlich der fristgerecht Antrag auf Verlängerung gestellt worden sei, keine Fristversäumnis vor, daneben indes aufgrund fehlendem Hinweis des Gerichts in jedem Fall eine unverschuldete Fristversäumung, sodass entsprechend die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei.
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Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.
5
„Verschulden“ i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 26.6.2017 – 1 B 113.17 u.a. – juris Rn. 5 m.w.N.). Das Verschulden eines Bevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts, steht dabei gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich, gilt also als Verschulden des Vertretenen.
6
Gemessen daran ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht begründet. Die Kläger waren nicht ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, da sie sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf das Fristversäumnis zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung zurechnen lassen müssen.
7
Die Prozessbevollmächtigte der Kläger hat die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen. Sie hätte als Rechtsanwältin wissen bzw. jedenfalls erkennen müssen, dass es sich bei der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO um eine gesetzliche Frist handelt, die nicht verlängert werden kann (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 224 Abs. 2 ZPO sowie Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124a Rn. 50 m.w.N.).
8
Im Hinblick darauf, dass die Prozessbevollmächtigte am 16. März 2023 „das Gericht hinsichtlich der am 17. März 2023 endenden Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung um Fristverlängerung von 4 Wochen bis zum 14. April 2023“ gebeten hatte und in ihren nachfolgenden Schriftsätzen jeweils darauf hingewiesen hatte, dass gemäß § 124a Abs. 3 S. 3 VwGO die Begründungsfrist auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden könne, ist auszuführen:
9
§ 124a Abs. 3 VwGO bezieht sich gemäß § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO auf die Fälle, in denen die Berufung von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist. Im vorliegenden Fall wurde die Berufung jedoch nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so dass hier nicht die Regelungen des § 124a Abs. 3 VwGO, sondern die des § 124a Abs. 4 VwGO maßgeblich sind. § 124a Abs. 4 VwGO enthält aber gerade keine vergleichbare Regelung wie die des § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO; daher handelt es sich – wie bereits ausgeführt – bei der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung um eine solche, die nicht verlängerbar ist.
10
Soweit die Prozessbevollmächtigte vorträgt, dass das Gericht verpflichtet gewesen wäre, den Antrag auf Fristverlängerung vom 16. März 2023 zeitnah zurückzuweisen und das diesbezügliche gerichtliche Hinweisschreiben vom 17. März 2023 ihr nicht vorgelegen habe, ist auszuführen:
11
Die Prozessbevollmächtigte hat nicht substantiiert dargelegt, dass sie das gerichtliche Hinweisschreiben vom 17. März 2023, in dem darauf hingewiesen wurde, dass eine Verlängerung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gemäß § 224 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 57 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen ist und das laut EGVP Nachricht Versandprotokoll am 17. März 2023 um 11:29 Uhr ordnungsgemäß an das beA der Prozessbevollmächtigten übermittelt wurde, nicht erhalten hat. Sie behauptet (lediglich), dass es „nicht vorliegt“. Hinzu kommt: das Gericht ist bei einem – wie hier offensichtlich unzulässigen – Antrag auf Fristverlängerung (die Prozessbevollmächtigte hatte den Antrag auf Fristverlängerung hier ausdrücklich auf die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung bezogen; ihre späteren Ausführungen zur Verlängerbarkeit der Frist unter Hinweis auf § 124a Abs. 3 S. 3 VwGO beziehen sich jedoch ausschließlich auf die Begründungsfrist für eine von dem Verwaltungsgericht zugelassene Berufung, was hier jedoch gerade nicht der Fall ist) im Hinblick auf seine prozessuale Fürsorgepflicht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) grundsätzlich nicht verpflichtet, insbesondere eine Rechtsanwältin darauf hinzuweisen, dass eine gesetzliche Frist nicht verlängert werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 7.1.2006 – 1 BvR 2558/05 – juris Rn. 8 m.w.N.) folgt aus diesem „allgemeinen Prozessgrundrecht“ zwar die Verpflichtung des Richters, das Verfahren so zu gestalten, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen. Insbesondere ist der Richter allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet und ist es ihm untersagt, aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile abzuleiten. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, kann sich aber nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Die danach erforderliche Abwägung zwischen den Belangen des angegangenen Gerichts und der Kläger steht einer gerichtlichen Hinweispflicht des Gerichts im vorliegenden Fall entgegen. So kann insbesondere von rechtskundigen Prozessbevollmächtigten erwartet werden, dass sie das Gesetz kennen, hier insbesondere die Nichtverlängerbarkeit von gesetzlichen Fristen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass mangelnde Rechtskenntnis – sogar bei Rechtsunkundigen – eine Fristversäumnis in aller Regel nicht entschuldigen kann (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 4 B 38.17 – juris Rn. 6). Lediglich bei verlängerbaren Fristen (wie z.B. in § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO) kann ein Rechtsmittelführer bei entsprechender Antragstellung auf die Verlängerung der Frist vertrauen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124a Rn. 23 m.w.N.) bzw. eine Reaktion des Gerichts auf die Antragstellung erwarten. Darüber hinaus ist anerkannt, dass die prozessuale Fürsorgepflicht die Gerichte verpflichtet, auf offenkundige Formmängel eines bestimmenden Schriftsatzes hinzuweisen (vgl. BVerfG, B.v.7.1.2006 – 1 BvR 2558/05 – juris Rn. 8 m.w.N.; OVG Lüneburg, B.v. 15.5.2020 – 2 LA 686/19 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 18.9.2019 – 1 S 2532/18 – juris Rn. 20). Ein Antrag auf Fristverlängerung – wie hier gegeben – stellt jedoch keinen bestimmenden Schriftsatz in diesem Sinne dar.
12
Eine Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, da das Wiedereinsetzungsverfahren keine gesonderten Gerichtsgebühren auslöst.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).