Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 31.03.2022 – AN 11 K 18.01701
Titel:

Erfolglose Klage gegen die Feststellung des Erlöschens einer Niederlassungserlaubnis

Normenkette:
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6, Nr. 7, Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine Ausreise ist nicht lediglich vorübergehend, wenn deren Zweck einen mehr als vorübergehenden Auslandsaufenthalt erfordert und nicht auf einen überschaubaren Zeitraum bezogen, sondern langfristig und zeitlich völlig unbestimmt, also auf unabsehbare Zeit ausgerichtet ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG ist der des Eintritts des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erlöschen einer Niederlasssungserlaubnis, Niederlassungserlaubnis, Erlöschen, nicht nur vorübergehende Ausreise, Ausreisezweck, gesicherter Lebensunterhalt, maßgeblicher Zeitpunkt
Fundstelle:
BeckRS 2022, 8595

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, dass seine Niederlassungserlaubnis erloschen ist.
2
Der am …1971 im Irak geborene Kläger reiste erstmals am 1. November 1996 in das Bundesgebiet ein. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom 6. Dezember 1996 wurde er als Asylberechtigter anerkannt und es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Von der damals zuständigen Ausländerbehörde der Stadt … erhielt der Kläger am 20. Februar 1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2004 widerrief das Bundesamt die Feststellung nach § 51 AuslG und stellte zudem fest, dass Abschiebungsverbote nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Das dagegen gerichtete Klageverfahren wurde wegen Nichtbetreibens eingestellt (AN 9 K 04.31892). Am 6. August 2004 wurde der Kläger wegen unbekannten Aufenthalts von Amts wegen abgemeldet.
3
Am 25. Februar 2010 meldete sich der Kläger erneut im Stadtbereich der Beklagten an. Auf Nachfrage erklärte der damalige Klägerbevollmächtigte, dass sich der Kläger seit August 2004 als „Landstreicher“ in Deutschland aufgehalten habe. Er habe keinen festen Wohnsitz gehabt und sei willkürlich von Ort zu Ort gezogen. Er habe in den letzten Jahren nicht gearbeitet, sei nicht beim Arzt gewesen und habe auch ansonsten keine schriftlichen Belege für seinen Aufenthalt in Deutschland. Es könnten aber mehrere Zeugen seine Anwesenheit in Deutschland bestätigen. Auf Grund seiner desolaten finanziellen Situation benötige er vorerst die Unterstützung der ARGE. Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger zum beabsichtigten Widerruf der seit 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortbestehenden unbefristeten Aufenthaltserlaubnis an. Der Kläger habe keine Nachweise vorlegen können, dass er sich in den Jahren 2004 bis Februar 2010 im Bundesgebiet aufgehalten habe. Seit seiner Wiederanmeldung im Februar 2010 beziehe er laufende Leistungen nach dem SGB II. Er sei weder sozial noch wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert. Der damalige Klägerbevollmächtigte entgegnete, dass der Kläger derzeit befristet als Haushaltshilfe in einem Privathaushalt beschäftigt sei, wodurch er ein Bruttoeinkommen von ca. 900 EUR pro Monat erhalte. Zusätzlich verfüge der Kläger über einen befristeten Arbeitsvertrag, wonach er bislang ca. 200 EUR im Monat erhalten habe. Im Nachgang erfolgte kein Widerruf der Niederlassungserlaubnis. Mit Schreiben vom 2. Mai 2011 bestätigte die Beklagte, dass der Kläger seit 20. Februar 1997 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (jetzt: Niederlassungserlaubnis) ist. Der Kläger legte der Beklagten einen am 26. Januar 2012 ausgestellten irakischen Pass vor. Am 25. Juni 2012 holte der Kläger von der Beklagten einen elektronischen Aufenthaltstitel in Form einer Niederlassungserlaubnis ab. Im Juli 2012 wandte sich die Beklagte an den Kläger mit der Bitte um Überprüfung der Echtheit seines vorgelegten irakischen Passes. Dieses Schreiben kam als unzustellbar zurück. Der Kläger wurde von Amts wegen zum 13. August 2012 abgemeldet.
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Zum 15. Juni 2017 meldete sich der Kläger wieder im Stadtbereich der Beklagten an. Sein damaliger Bevollmächtigter gab an, dass sich der Kläger im Zeitraum von Juli 2012 bis Anfang 2017 im Irak aufgehalten habe. Die Beklagte führte am 5. September 2017 eine sicherheitsrechtliche Befragung des Klägers durch. Der Kläger gab dabei an, dass er religiös verheiratet sei und zwei Kinder habe, die bei der irakischen Mutter in … wohnten. Er habe bei einer holländischen Hilfsorganisation gearbeitet und bei der Peschmerga. Von 2012 bis 2016 habe er, nach Aufforderung durch das Peschmergaministerium, Militärdienst bei der Peschmerga im Irak geleistet. Nachdem „ISIS“ gekommen sei, sei er gebraucht worden und daher nicht entlassen worden. Sein Dienstgrad sei Oberleutnant gewesen. Er sei Ende 2016 nach Deutschland zurückgekehrt, weil er eine mündliche Auseinandersetzung mit den Generälen der PUK gehabt habe, die ihn indirekt bedroht hätten. Eine Anfrage beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz durch die Beklagte ergab, dass Versagungsgründe gemäß § 5 Abs. 4 AufenthG beim Kläger nicht vorliegen.
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Mit Schreiben vom 16. März 2018 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Feststellung des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis an. Laut Ein- und Ausreisestempel im irakischen Reisepass sei der Kläger am 28. Juni 2012 über die Niederlande in den Irak gereist. Die Rückkehr sei am 12. Januar 2017 über Belgien erfolgt. Bei der Befragung für die Durchführung des Asylverfahrens habe die religiös verheiratete Ehefrau des Klägers angegeben, dass dieser im Juni 2012 in den Irak gereist sei, um sich um die schwangere Ehefrau zu kümmern. Der Kläger selbst habe erklärt, im Jahr 2012 in den Irak gereist zu sein, da er vom Peschmergaministerium aufgefordert worden sei, Militärdienst zu leisten. Laut Aktenlage habe der Kläger von Februar 2010 bis August 2012 und somit bis zu seiner Ausreise Leistungen vom Jobcenter erhalten. Der damalige Bevollmächtigte des Klägers führte dazu aus, dass dieser sich von 1996 bis 2012 und damit länger als 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Als der Kläger im Jahr 2012 ausreiste, sei dies geschehen, um Militärdienst zu leisten. Dass sich der Kläger später dazu entschied, im Irak zu bleiben, sei für die Absichten der Ausreise unerheblich. Damit sei eine nicht nur vorübergehende Ausreise im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nicht gegeben. Der Zweck der Ausreise sei das Ableisten des aus der Natur heraus begrenzten Militärdienstes gewesen. Zudem sei der Lebensunterhalt des Klägers während seines Aufenthalts im Irak über das Militär gesichert gewesen und sei auch aktuell gesichert. Ausweisungsgründe lägen nicht vor.
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Mit Bescheid vom 11. Juni 2018 stellte die Beklagte fest, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers spätestens zum 28. Juni 2012 erloschen ist (Ziffer I), forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet spätestens bis 13. September 2018 zu verlassen (Ziffer II), drohte die zwangsweise Abschiebung, insbesondere in den Irak, an (Ziffer III) und setzte für den Fall der zwangsweisen Abschiebung des Klägers ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von drei Jahren nach erfolgter Abschiebung fest (Ziffer IV). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich der Kläger rückwirkend zum 15. Juni 2017 wieder im Stadtbereich der Beklagten angemeldet habe. Die „Ehefrau“, die der Kläger im Jahr 2011 im Irak geheiratet habe, sei mit den beiden gemeinsamen Kindern am 20. Oktober 2016 in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt. Die Eheschließung sei jedoch nicht nachgewiesen worden, somit sei der Kläger nach deutschem Recht nicht verheiratet. Das Bundesamt habe den Asylantrag mit Bescheid vom 23. Februar 2017 abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen. Gegen diesen Bescheid sei Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg erhoben worden, die noch rechtshängig sei (Az.: RO 3 K 17.31078). Es sei davon auszugehen, dass der Kläger den Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erfülle. Unabhängig davon, ob der Kläger in den Irak gereist sei, um sich um seine schwangere Frau und anschließend die Kinder zu kümmern oder um Militärdienst zu leisten, handele es sich in beiden Fällen um einen seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund. Dass ein Schreiben der Ausländerbehörde dem Kläger bereits im Juli 2012 und somit nur ein paar Tage nach der Ausreise nicht mehr habe zugestellt werden können, lasse darauf schließen, dass er schon zum Zeitpunkt der Ausreise den Namen von Briefkasten und Klingelschild entfernt habe, weil er mit der Ausreise vorgehabt habe, den Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet aufzugeben. Alternativ finde auch § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG Anwendung, da unstrittig sei, dass der Kläger länger als sechs Monate ausgereist sei. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen, also bei der Ausreise im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, sei prognostisch der Lebensunterhalt des Klägers für den Fall seiner zukünftigen Wiedereinreise nicht gesichert gewesen. Der Kläger habe sich von August 2004 bis Februar 2010 als sogenannter „Landstreicher“ im Bundesgebiet aufgehalten. In diesem Zeitraum sei er keiner Beschäftigung nachgegangen. Vom 25. Februar 2010 bis Juli 2012 habe er Leistungen nach dem SGB II erhalten. Nachweise über die Sicherung des Lebensunterhaltes während des fast fünfjährigen Aufenthalts im Irak seien nicht beigebracht worden, sodass davon auszugehen sei, dass der Lebensunterhalt der nächsten ein bis zwei Jahre nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen nicht gesichert gewesen war. Die Tatsache, dass der Kläger aktuell einer Beschäftigung im Bundesgebiet nachgehe, diene nicht als Nachweis über die dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts. Die Erwerbsbiografie des Klägers sei negativ. Auch sei anzumerken, dass mittlerweile die zwei Kinder des Klägers im Bundesgebiet lebten. Sollte er für die beiden Kinder unterhaltspflichtig sein, so sei mehr als fraglich, ob er den Lebensunterhalt sichern könne. Der Kläger sei gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet. Die Ausreisepflicht sei gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar. Die zwangsweise Abschiebung, insbesondere in den Irak, werde gemäß §§ 59, 58 Abs. 1 AufenthG angedroht. Zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird ausgeführt, dass der Kläger erstmals 1996 in das Bundesgebiet eingereist sei und sich angeblich auch bis 2012 dort aufgehalten habe. Jedoch müsse berücksichtigt werden, dass er mindestens von 2004 bis 2012 keiner Beschäftigung im Bundesgebiet nachgegangen sei. Zwar würden seine „Ehefrau“ und die beiden Kinder im Bundesgebiet leben, jedoch seien deren Asylanträge abgelehnt worden, die Klage sei noch anhängig. Andere familiäre und/oder soziale Beziehungen seien nicht geltend gemacht worden. Die Frist von drei Jahren sei daher angemessen, aber auch ausreichend.
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Mit bei Gericht am 29. August 2018 eingegangenem Schreiben ließ der Kläger erheben und beantragen,
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2018 wird aufgehoben.
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Die Beklagte beantragte unter Verweis auf den streitgegenständlichen Bescheid
Klageabweisung.
9
Die Beklagte legte dem Gericht eine Kopie einer Vernehmungsniederschrift des Hauptzollamts … vom 28. Oktober 2019 vor. Der Kläger erklärte dabei insbesondere, dass er aus der Armee desertiert sei und deshalb eine Haftstrafe im Irak erwarte. Er habe ca. 5.000 EUR Schulden bei Bekannten. Im Zeitraum 2004 bis 2010 sei er spielsüchtig gewesen und habe Alkohol getrunken. Freunde und seine Familie aus dem Irak hätten ihn unterstützt. 2010 habe er dann neu angefangen. 2011 habe er Urlaub im Irak gemacht und seine jetzige Ehefrau nach islamischem Recht und mit irakischen Papieren geheiratet. 2012 sei er in den Irak geflogen, da er seine zum damaligen Zeitpunkt schwangere Frau habe holen wollen. Da sein Vater zu diesem Zeitpunkt krank gewesen sei, sei er im Irak geblieben. Die Leistungen des Jobcenters seien nach einem Monat eingestellt worden. Er habe sich 2013 der kurdischen Miliz „Peschmerga“ angeschlossen und gegen den sogenannten Islamischen Staat gekämpft. Er sei Leutnant bzw. ab 2016 Oberleutnant gewesen. Ende 2016 habe er im Irak Probleme mit der Öffentlichkeit bekommen, da er kritisiert habe, dass einige seiner Mitbürger auch Geschäfte mit „ISIS“ machen. Er habe die kurdische Armee nicht sofort verlassen können und sei deshalb erst 2017 desertiert und nach Deutschland zurückgekehrt. Er sei damals über Belgien nach Deutschland eingereist.
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Im Rahmen einer Sachstandsabfrage des Gerichts teilte die Beklagte mit, dass der Kläger seit 5. September 2019 in Besitz von Duldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei. Seit 2. Februar 2019 sei ihm die Beschäftigung als Paketzusteller gestattet. Am 21. April 2021 sei ihm sein abgelaufener Nationalpass ausgehändigt worden, um einen neuen zu beantragen.
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Der Kläger ließ erklären, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 und 3 AufenthG vorlägen, da der Lebensunterhalt gesichert sei und kein Ausweisungsinteresse gemäß § 54 AufenthG bestehe. Er sei seit 7. Februar 2017 fortlaufend bei der Firma … als Paketzusteller beschäftigt. Für die Monate Dezember 2021 bis Februar 2022 erhielt der Kläger nach den vorgelegten Lohnbescheinigungen ein durchschnittliches Nettogehalt von ca. 1.800 EUR im Monat. Am 26. April 2021 wurde dem Kläger ein neuer irakischer Reisepass ausgestellt.
12
In der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerseite insbesondere, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise nicht erwerbstätig gewesen sei. Sein Lebensunterhalt sei jetzt zwar gesichert, aber prognostisch bei der Ausreise 2012 sei dies wohl nicht der Fall gewesen. Die Beklagte führte aus, dass die Asyklageverfahren der Frau und Kinder des Klägers vollumfänglich rechtskräftig negativ abgeschlossen seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
15
I. Die Klage ist zulässig als Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2018 erhoben worden. Der Kläger begehrt die Aufhebung der in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Feststellung des Erlöschens seiner Niederlassungserlaubnis, so dass die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2015 - 10 ZB 14.345 - juris Rn. 6). Ob in dem voll umfänglich gestellten Anfechtungsantrag, der auch das in Ziffer IV des Bescheids im Falle einer Abschiebung des Klägers auf drei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbots umfasst, als „Minus“ ein Verpflichtungsbegehren auf Verkürzung der Frist enthalten ist (vgl. im Falle einer Ausweisung: BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 15, BVerwGE 159, 270), kann dahin stehen, da die Länge der Frist ermessensfehlerfrei festgesetzt wurde (s. unten, II. 2.).
16
II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 11. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die in Ziffer I des Bescheids verfügte Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers spätestens zum 28. Juni 2012 erloschen ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
18
a) Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG liegen vor. Danach erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Diese Vorschrift ist dazu bestimmt, Rechtsklarheit hinsichtlich der Fortgeltung eines Aufenthaltstitels und damit auch des Status eines Ausländers zu schaffen, welcher das Bundesgebiet auf unabsehbare Zeit verlässt (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2012 - 1 C 1/11 - juris Rn. 9 unter Verweis auf BT-Drs. 11/6321 S. 71). Die Regelung bezweckt eine effektive Steuerung der Migration, indem sie der zeitlich unbegrenzten Möglichkeit des Inhabers des Aufenthaltstitels, in das Bundesgebiet einzureisen, obwohl ein Integrationszusammenhang nicht mehr besteht, entgegenwirkt (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.1.2022, AufenthG, § 51 Rn. 28 m.w.N.). Dem Kläger war eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden, die einen Aufenthaltstitel nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 9 AufenthG darstellt. Der Kläger ist laut Ausreisestempel in seinem irakischen Reisepass am 28. Juni 2012 aus dem Bundesgebiet ausgereist. Diese Ausreise erfolgte ohne staatlichen Zwang, so dass diese unter § 50 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG fällt (vgl. Protz in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.1.2022, AufenthG, § 51 Rn. 9). Der Kläger ist entweder in den Irak gereist, um sich um seine schwangere Frau zu kümmern oder um Dienst bei der Peschmerga zu leisten. Wieder in das Bundesgebiet eingereist ist der Kläger nach dem Einreisestempel am 12. Januar 2017. Damit hielt sich der Kläger - unstrittig - für etwa viereinhalb Jahre im Irak auf. Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass der Kläger damit nicht nur vorübergehend gemäß § 51 Abs. 1 Nr.6 AufenthG ausgereist ist. Eine Ausreise ist nicht lediglich vorübergehend, wenn deren Zweck einen mehr als vorübergehenden Auslandsaufenthalt erfordert und nicht auf einen überschaubaren Zeitraum bezogen, sondern langfristig und zeitlich völlig unbestimmt, also auf unabsehbare Zeit ausgerichtet ist (vgl. BVerwG, B.v. 30.12.1988 - 1 B 135.88 - BeckRS 1988, 31277091). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles und nicht allein nach dem inneren Willen des Ausländers und dessen etwaiger Planungen hinsichtlich einer späteren Rückkehr (stRspr, vgl. BVerwG, B. v. 28.4.1982 - 1 B 148/81 - NVwZ 1982, 683; BVerwG, U.v. 11.12.2012 - 1 C 15/11 - NvWZ 2013, 338). In die Beurteilung mit einzubeziehen sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts, wobei sich die abstrakte Bestimmung einer festen Zeitspanne, bei deren Überschreiten stets von einem nicht mehr vorübergehenden Grund auszugehen wäre, verbietet (vgl. VG München, U.v. 10.4.2019 - M 9 K 18.6091 - BeckRS 2019, 7049). Insofern ist jedoch die Wertung der Sechsmonatsfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG zu beachten (vgl. BayVGH, B. v. 23.1.2017 - 10 CE 16.1398 - BeckRS 2017, 100995). Nachdem der Kläger sich - unabhängig vom tatsächlichen ursprünglichen Ausreisezweck - etwa viereinhalb Jahre im Irak aufhielt, was ein Vielfaches der Sechs-Monatsfrist beträgt, liegt darin ein nicht vorübergehender Aufenthalt. Dies umso mehr, als der Kläger bei seiner Ausreise augenscheinlich keine Vorkehrungen getroffen hatte, dass ihn Post im Bundesgebiet erreicht, da ein Brief der Beklagten im Juli 2012, also kurz nach seiner Ausreise, schon nicht mehr zugestellt werden konnte. Dass der Kläger vorhatte, zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder in das Bundesgebiet einzureisen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein Ende seines Auslandsaufenthalts war im Zeitpunkt der Ausreise nicht bestimmt und auch nicht absehbar. Damit sind die Erlöschensvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers am 28. Juni 2012 gegeben. Den Ausführungen des früheren Klägerbevollmächtigten, dass der Kläger aufgrund des zeitlich befristeten Militärdiensts ausgereist ist und daher § 51 Abs. 6 AufenthG mangels nicht vorübergehenden Grundes nicht einschlägig ist, ist nicht zu folgen. Denn der Einsatz des Klägers bei der Peschmerga - nicht beim irakischen Militär - war nicht ersichtlich befristet, sondern zeitlich völlig unbestimmt.
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Zusätzlich liegen auch die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG vor. Danach erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten (…) wieder eingereist ist. Der Regelungszweck des Erlöschenstatbestandes in § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist es, die Aufenthaltstitel in den Fällen zum Erlöschen zu bringen, in denen das Verhalten des Ausländers typischerweise den Schluss rechtfertigt, dass er von seinem Aufenthaltsrecht keinen Gebrauch mehr machen will (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2012 - BVerwG 1 C 1/11 - juris Rn. 9). Der Kläger ist unstreitig erst nach ungefähr viereinhalb Jahren wieder in das Bundesgebiet eingereist, so dass die maßgebliche Sechsmonatsfrist bei Weitem überschritten ist. § 51 Abs. 10 AufenthG, wonach eine Zwölfmonatsfrist zu beachten ist, ist zum einen mangels Vollendung des 60. Lebensjahrs durch den Kläger nicht einschlägig. Zum anderen wäre auch diese Frist überschritten. Das Erlöschen nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG tritt nicht schon mit der Ausreise, sondern erst mit dem Ablauf der Sechsmonatsfrist ein (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, AufenthG, § 51 Rn. 39.). Damit wäre die Niederlassungserlaubnis des Klägers am 28. Dezember 2012 erloschen.
20
b) Auf die Ausnahmevorschrift nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach eine Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht erlöscht, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist und kein näher bestimmtes Ausweisungsinteresse vorliegt, kann sich der Kläger nicht berufen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit der des Eintritts des Erlöschens (vgl. BVerwG, U. v. 23.3.2017 - 1 C 14/16 - juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 25.7.2019 - 19 ZB 17.1149 - juris Rn. 13; vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, AufenthG, § 51 Rn. 63 f. m.w.N.). Zwar ist mangels konkreter anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass sich der Kläger vor seiner Ausreise im Juni 2012 seit Oktober 1996 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten hat, so dass die maßgebliche 15-jährige Zeitspanne seines Aufenthalts in Deutschland erreicht war. Jedoch ist schon fraglich, ob der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 2 AufenthG im Falle des Klägers eröffnet ist. Denn diese Norm privilegiert langjährig sozial und wirtschaftlich integrierte Ausländer, hinsichtlich derer die Erwartung gerechtfertigt erscheint, dass der gefestigte Integrationszusammenhang auch durch längere Auslandsaufenthalte nicht gefährdet wird und deren Rückkehr keine Wiedereingliederungsschwierigkeiten verursacht (vgl. BayVGH, B.v. 25.8.2021 - 10 ZB 21.1582 - BeckRS 2021, 26075). Der Kläger hielt sich nach seinem eigenen Vortrag zwischen 2004 und 2010, damit sechs Jahre, zwar im Bundesgebiet, aber als „Landstreicher“ auf. Er sei obdachlos und spielsüchtig gewesen. Insofern kann der von § 51 Abs. 2 AufenthG wohl vorausgesetzte gefestigte Integrationszusammenhang durchaus in Frage gestellt werden. Dieser Aspekt kann jedoch dahinstehen, da es an der normierten Tatbestandsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts fehlt. Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln bestreiten kann. Von Februar 2010 bis zu seiner Ausreise im Juni 2012, also mehr als eineinhalb Jahre, stand der Kläger unstreitig im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Diese Leistungen sind nicht vom Katalog des § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erfasst, so dass im Zeitpunkt der Ausreise als der Zeitpunkt des Erlöschens nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert war. Die Beklagte ist damit zu Recht davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt der Ausreise keine positive Prognose hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts bei einer - zum damaligen Zeitpunkt hypothetischen - Rückkehr des Klägers ins Bundesgebiet getroffen werden konnte. Denn je unsicherer der Zeitpunkt der Wiedereinreise ist, umso schwieriger ist es, eine positive Prognose zu stellen, es sei denn, der Betreffende verfügt über feste wiederkehrende Einkünfte, etwa in Gestalt einer Altersrente, oder über ein ausreichendes, auch im Bestand gesichertes Vermögen (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017 - 1 C 14/16 - juris Rn. 16). Ob der Kläger zu einem anderen Zeitpunkt seinen Lebensunterhalt sichern konnte oder ob er ihn aktuell sichern kann, ist nicht entscheidungserheblich. Ein „Wiederaufleben“ einer erloschenen Niederlassungserlaubnis ist nicht gesetzlich beabsichtigt (vgl. BayVGH, B. v. 25.7.2019 - 19 ZB 17.1149 - juris Rn. 13). Nichts anderes gilt bei einem Erlöschen der Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG zum 28. Dezember 2012.
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Die in Ziffer I des Bescheids getroffene Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers spätestens zum 28. Juni 2012 erloschen ist, findet daher ihre Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG und ist rechtmäßig. Ein früherer Erlöschenszeitpunkt als der 28. Juni 2012 wurde nicht festgestellt.
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2. Die im Bescheid verfügten Annexentscheidungen in Ziffern II, III und IV erweisen sich ebenso als rechtmäßig. Die Ausreiseaufforderung erging zu Recht, da der Kläger auf Grundlage von § 50 Abs. 1 AufenthG mangels Aufenthaltstitels - seine Niederlassungserlaubnis ist erloschen, s. oben - ausreisepflichtig ist. Die Abschiebungsandrohung ist auf §§ 58 Abs. 1, Abs. 2, 59 Abs. 1 AufenthG zu stützen. Das für den Fall seiner Abschiebung auf drei Jahre festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach erfolgter Abschiebung findet seine Rechtsgrundlage in § 11 AufenthG. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden, sodass diese Entscheidung keiner uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt, sondern - soweit wie hier keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt - eine zu lange Frist lediglich aufgehoben und die Ausländerbehörde zu einer neuen Ermessensentscheidung verpflichtet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 - 10 B 13.715 - Rn. 54 ff.). Nach diesen Maßstäben ist die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Frist nicht zu lang und daher rechtmäßig. Die Beklagte war sich des ihr eingeräumten Ermessens bewusst und hat dieses ermessensfehlerfrei ausgeübt. Mittlerweile sind die Asylverfahren der Frau und der Kinder des Klägers rechtskräftig negativ abgeschlossen, so dass auch im Hinblick auf Art. 6 GG keine kürzere Frist festzusetzen ist.
23
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
24
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.