Titel:
Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Sittenwidrige Schädigung, substantiierter Sachvortrag, Sachvortrag der Partei, Nutzungsentschädigung, Unzulässigkeit, Greifbare Anhaltspunkte, Feststellungsantrag, Schadensersatzpflicht, Typgenehmigung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rundfunkberichterstattung, Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, Vertragsverletzungsverfahren, Arglistige Täuschung, Gesetzesverstoß, Bestimmter Klageantrag, Tatbestandswirkung, Besondere Verwerflichkeit
Schlagworte:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Beweislast, Thermofenster, Typengenehmigung, Vermögensschaden, Prüfstandsbetrieb
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 01.07.2024 – 4 U 218/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 30.09.2024 – 4 U 218/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.05.2025 – VIa ZB 5/24
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60903
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 54.564,73 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Wohnmobils (Abgasskandal).
2
Der Kläger erwarb am 29.07.2019 ein Wohnmobil Marke … zum Preis von 50.550, – € (Anlage K 1 a, b = Bestellung, Rechnung).
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Die Beklagte ist die Entwicklerin / Herstellerin des Basisfahrzeugs für das Wohnmobil und hat ihren Geschäftssitz in Italien.
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Für das Basisfahrzeug des Wohnmobils existiert eine EG-Typgenehmigung, auf deren Grundlage die Beklagte das Basisfahrzeug massenweise in den Verkehr bringt. Dieses wird sodann von Wohnmobilherstellern mit entsprechenden Auf- und Einbauten versehen und veräußert. Für das konkrete Fahrzeug existiert zudem eine EG-Übereinstimmungsbescheinigung (Anlage K 1 c) und Zulassungsbescheinigung (Anlage K 1 d).
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Der Kläger nutzt das Fahrzeug seit dem Erwerb uneingeschränkt, zuletzt betrug der km-Stand 37.199 km.
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Der Motor des Fahrzeugs ist ein solcher eines … der Schadstoffklasse 6b, Typ …, 96 kW, 130 PS, wobei die Beklagte diesen Motor entwickelt hat. Wer das Steuerungsgerät zu dem Motor hergestellt hat, ist zwischen den Parteien streitig.
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Spätestens seit 2016 wird auf Seiten des KBA die Frage diskutiert, ob in Fahrzeugen der Beklagten unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind. Diesbezüglich führt die EU seit 17.05.2017 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien (Anlage K 15 = Pressemitteilung). Die zuständige Typgenehmigungsbehörde in Italien sieht aber bisher keine Veranlassung, die Typgenehmigung zu entziehen, zu ändern oder mit Nebenbestimmungen zu versehen und hat dies noch im Jahre 2016 der Beklagten auch mitgeteilt.
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Eine Rückrufanordnung für das Fahrzeug existiert nicht, auch sonstige amtliche Maßnahmen wurden nicht angeordnet.
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Mit Schreiben vom 16.02.2022 (Anlage K 1 e) hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte unter Fristsetzung erfolglos zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert.
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Der Kläger behauptete, der km-Stand des Fahrzeugs bei Erwerb habe 20.000 km betragen. In dem Fahrzeug sei ein Motorsteuerungsgerät der Fa. … verbaut.
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Der Kläger behauptet weiter, in dem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen nach Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 verbaut, die dazu führen, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand, nicht jedoch im Realbetrieb die Emissionsgrenzwerte einhalte.
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So sei zunächst ein sog. Zeitfenster installiert, dass dazu führe, dass sich die Abgasreinigung nach 22 Minuten – und damit kurz nach dem Ende des NEFZ – Testzyklus abschalte bzw. die Abgasreinigung verringert werde. Zudem werde nach der gleichen Zeitspanne bzw. nach sechs Regenerationsvorgängen die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators komplett deaktiviert – mit der Folge, dass kein NOx mehr gespeichert und schließlich in neutrale Komponenten umgewandelt werden könne.
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Weiter sei in dem Fahrzeug ein sog. Thermofenster enthalten, so dass je nach Außentemperatur unterschiedliche Abgasrückführungsraten aktiviert werden.
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Schließlich sei – ausgehend von der Behauptung der Beklagten, dass während des NEFZ der Stickoxidgrenzwert eingehalten wird – davon auszugehen, dass das Fahrzeug mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet ist, die den Ausstoß der Stickoxide unter den Bedingungen des NEFZ so optimiere, das die vorgeschriebenen Grenzwerte im Rahmen des NEFZ eingehalten werden, nicht aber im normalen Straßenbetrieb.
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Der Kläger stützt sich für seine Behauptungen zum Zeitfenster auf diverse Gesichtspunkte wie folgt:
„- Auskünfte des KBA (Anlagen K 2, 7)
- Abgasmessungen des KBA und der Deutschen Umwelthilfe (Anlagen K 3 – 5)
- Rundfunkberichterstattung
- Ermittlungen der StA Frankfurt (Anlagen K 6 a, b)
- Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. … (Anlage K 8)
- Protokolle über Gespräche zwischen KBA und … (Anlagen K 9, 10)
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Der Kläger meint, die Beklagte habe die Typengenehmigung erschlichen, da sie gegenüber den italienischen Behörden vorgetäuscht habe, dass das Fahrzeug während des NEFZ unter den Motorbedingungen betrieben werde, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen. Es drohe der Widerruf der Typgenehmigung und die Stilllegung des Fahrzeugs.
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Der Kläger behauptet weiter, in Kenntnis der Manipulationen des Fahrzeugs und der (streitigen) Tatsache, dass das Fahrzeug nur mithilfe unterschiedlicher Abschalteinrichtungen die Abgasnorm auf dem Prüfstand einhalte, hätte er vom Kauf abgesehen.
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Der Kläger meint, die Beklage habe auch vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt. Dies ergebe sich schon daraus, dass das Zeitfenster evident unzulässig an den Randbedingungen des Prüfstands ausgerichtet sei.
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Der Kläger meint, sein Schaden bestehe in der ungewollten Verbindlichkeit (Kaufpreis), wobei er sich eine Nutzungsentschädigung auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 400.000 km anrechnen lässt.
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Schließlich macht der Klage vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend (Berechnung, Anlage K 14) und begehrt die Feststellung weiterer Schadensersatzpflicht, die damit begründet wird, dass gegebenenfalls die Langlebigkeit von Fahrzeugkomponenten beeinträchtigt ist oder während des Rechtsstreits behördliche Anordnungen ergehen, denen nachzukommen ist.
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 50.550,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Wohnmobils der Marke …, Fahrgestellnummer …, zu zahlen,
unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem km seit dem 21.08.2019, die sich nach folgender Formel berechnet:
(50.500,00 EUR x gefahrene Kilometer) : 380.000 km;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.147,83 EUR freizustellen;
3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Wohnmobils des Klägers, der Marke …, Fahrgestellnummer …, in Annahmeverzug befindet;
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger Schadensersatz für Schäden, die aus der Ausstattung des Wohnmobils der Marke …, Fahrgestellnummer …, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren, zu zahlen.
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Im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 02.06.2022 und sich daraus ergebende Folgen für eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB beantragt der Kläger weiter, das Verfahren gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 auszusetzen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte behauptet, in dem Fahrzeug sei ein Motorsteuerungsgerät der Fa. … verbaut.
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Die Beklagte meint, die Klage sei schon deshalb abzuweisen, weil die unstreitig vorhandene und uneingeschränkt gültige EG-Typgenehmigung als transnationaler, in der gesamten EU gültiger Verwaltungsakt auch im Rahmen dieses Rechtsstreits verbindlich sei und für die Entscheidung des Rechtsstreits davon auszugehen sei, dass die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen.
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Die Beklagte bestreitet das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen. Der Sachvortrag der Klägerseite hierzu sei unsubstantiiert – insb. weil Angaben zum Motortyp fehlen und nicht ersichtlich sei, dass die Motorsteuerungssoftware außerhalb des NEFZ anders arbeite als auf dem Prüfstand.
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Insbesondere sei es fehlerhaft, dass die Abgasreinigung und die Regenerationsvorgänge des NOx-Speicherkatalysators nach 22 Minuten abgeschaltet werden. Auch ein Thermo Der Sachvortrag zum Thermofenster erfolge ins Blaue hinein und sei nicht geeignet, den Vorwurf der Sittenwidrigkeit zu begründen.
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Falschangaben im Typgenehmigungsverfahren seien nicht erfolgt, der durch VO vom 20.04.2016 eingeführten Pflicht der Hersteller, Angaben zu allen „zusätzlichen Emissionsstrategien (AES) und Standard-Emissionsstrategien (BES)“ zu machen, sei stets genügt worden.
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Die von der Klägerseite aufgeführten greifbaren Anhaltspunkte für die behaupteten Manipulationen seien ungenügend.
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Tatsächliche Anhaltspunkte für einen Schädigungsvorsatz der Beklagten seien nicht dargelegt. Einerseits fehle es an Sachvortrag zur Kenntnis von Vorstandsmitgliedern und andererseits sei zu berücksichtigen, dass bei Systemen, die ohne Differenzierung zwischen Prüfstand und Realbetrieb arbeiten von der Rechtsprechung weitergehender Sachvortrag zur Begründung eines sittenwidrigen Verhaltens gefordert werde. Angesichts der Äußerungen der italienischen Typgenehmigungsbehörde MIT sei ein Unrechtsbewusstsein nicht anzunehmen.
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Schließlich fehle es schon an einem Schaden, da sich eine ungewollte Verbindlichkeit nur dann begründen lasse, wenn dem Kaufpreis für das Fahrzeug keine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstehe, weil die abstrakte Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bestehe. Hier sehen die allein zuständigen italienischen Behörden aber gerade kein Veranlassung zum Tätigwerden. Der von Klägerseite thematisierte Möglichkeit des Entzugs der Zulassung bzw. der Versagung der TÜV-Plakette nach § 5 Abs. 1 FZV stehe schon die wirksame EG-Übereinstimmungsbescheinigung entgegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2022 und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche wegen sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit der behaupteten Manipulation der Motorsteuerungssoftware zu (§ 826 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB).
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Die Voraussetzungen dieser Norm – wonach derjenige, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist – liegen nicht vor.
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I. Der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 kann im Einzelfall durchaus deliktische Schadensersatzansprüche begründen.
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Voraussetzungen hierfür sind
a) der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 durch die Beklagte, als deliktisches Verhalten (bewusstes Inverkehrbringen eines Fahrzeugs dessen technische Gegebenheiten objektiv einer Zulassung des Fahrzeugs entgegenstehen und bei dem trotz Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts der EG-Typengenehmigung das Erschleichen einer objektiv rechtswidrigen Genehmigung durch den Fahrzeughersteller vorliegt, als deren Folge mit Betriebsuntersagung oder dem Widerruf der erschlichenen Typengenehmigung zu rechnen ist),
b) eine darauf beruhende Schädigung des Klägers, die regelmäßig darauf beruht, dass er einen wirtschaftlich nachteiligen – weil für ihn ungewünschten – Vertrag geschlossen hat,
c) die Sittenwidrigkeit des Handels der Beklagten, einschließlich einem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und d) ein Schädigungsvorsatz auf Seiten der Beklagten.
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II. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
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1. Die Behauptung des Klägers zum Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007, die im Rahmen eines sog. Zeitfensters kurz nach Beendigung der regelmäßigen Dauer des NEFZ von 20 Minuten die Abgasreinigung und die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators (diese auch nach 6 Regenerationsvorgängen) deaktiviert, ist nicht hinreichend substantiiert.
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a) Grundsätzlich ist es einer Partei nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb im Einzelfall genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Unzulässig wird ein solches Vorgehen aber dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts oder die Richtigkeit ihres Vortrags willkürlich Vermutungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16.04.2015 – IX ZR 195/14 = NJW-RR 2015, 829).
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b) So liegt der Fall hier.
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Für den Sachvortrag des Klägers gibt es keinerlei greifbaren Anhaltspunkte.
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Der Kläger hat sich zur Stützung seiner Behauptungen letztlich nur auf folgende Gesichtspunkte berufen:
- Auskünfte des KBA (Anlagen K 2, 7)
- Abgasmessungen des KBA und der Deutschen Umwelthilfe (Anlagen K 3 – 5)
- Rundfunkberichterstattung
- Ermittlungen der StA Frankfurt (Anlagen K 6 a, b)
- Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. … (Anlage K 8)
- Protokolle über Gespräche zwischen KBA und … (Anlagen K 9, 10)
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Diese Gesichtspunkte sind im konkreten Fall nicht geeignet, den Sachvortrag durch greifbare Anhaltspunkte für seine Richtigkeit zu untermauern:
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(1) Die Feststellungen des KBA in Verbindung mit dem Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Italien begründen keinen greifbaren Anhaltspunkt für die Richtigkeit des klägerischen Sachvortrags zum Zeitfenster.
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Zunächst ist der von Klägerseite vorgelegten Liste der betroffenen Fahrzeugvarianten außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des KBA (Anlage K 2) das streitgegenständliche Fahrzeug gerade nicht zu entnehmen – beim … findet sich lediglich ein Motortyp mit einem Hubraum von 3,0 Liter, nicht wie hier 2,3 Liter.
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Im Schreiben des KBA vom 08.05.2020 (Anlage K 7) hingegen ist bei der Frage 5. „Um welche Fahrzeugmodell des Herstellers … geht es konkret?“ wiederum das streitgegenständliche Fahrzeug nicht genannt. Dort sind bzgl. … ohne SCR-System benannt:
- … 2,3 l 96 kW Diesel EU 5 und
– … 2,3 l 110 kW Diesel EU 6
während das streitgegenständliche Fahrzeug ein
- … 2,3 l 96 kW Diesel EU 6b
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Auch die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 17.05.2017 (Anlage K 15) erwähnt in keiner Form die konkret monierte Art der Abschalteinrichtung oder einen konkreten Motortyp – letztlich ist dieser Mitteilung lediglich zu entnehmen, dass die Beklagte auf Bedenken in Bezug auf eingesetzte Emissionsminderungsstrategien bisher unzureichend reagiert hat, mehr hingegen nicht.
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(2) Soweit der Kläger allgemein und unter Bezugnahme auf Messungen des KBA und von Umweltverbänden wie der Deutschen Umwelthilfe (Anlagen K 2, 3, 4, 5) darauf verweist, dass die im Straßenbetrieb gemessenen NOx-Werte die für den Prüfstand vorgeschriebenen Grenzwerte deutlich übersteigen, kann dies auch nicht ausreichen, um den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Zeitfensters zu rechtfertigen.
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Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandssituation nicht vergleichbar ist, sowohl in Bezug auf den angegebenen Kraftstoffverbrauch als auch in Bezug auf die Grenzwerte für Emissionen. Auf dem Prüfstand werden „ideale“, der Praxis nicht entsprechende und im Straßenbetrieb faktisch nicht reproduzierbare Situationen vorgegeben, etwa hinsichtlich der Umgebungstemperatur, der Kraftentfaltung (Beschleunigung und Geschwindigkeit), der Abschaltung von Klimaanlage usw., sodass der erzielte Wert zwar zu einer relativen Vergleichbarkeit der verschiedenen Fahrzeugfabrikate und -modelle geeignet ist, absolut genommen aber nicht mit dem Straßenbetrieb übereinstimmt. Im Straßenbetrieb liegen sowohl der Kraftstoffverbrauch als auch der Schadstoffausstoß erheblich höher, wie schon seit Jahren aufgrund entsprechender Tests etwa von Automobilclubs und der dadurch ausgelösten öffentlichen Diskussion bekannt ist.
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Gerade deshalb hat der europäische Gesetzgeber auf Druck der Umweltverbände und Umweltparteien zwischenzeitlich den früher geltenden gesetzlichen Prüfzyklus NEFZ durch den sogenannten RDE-Test ersetzt, und zwar mit einem Konformitätsfaktor von zunächst 2,1. Danach wird zukünftig nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im Straßenbetrieb gemessen, wobei im Straßenbetrieb allerdings der für den Prüfstand geltende Grenzwert zunächst noch um das 2,1-fache überschritten werden darf (vgl. https://www.kfz-betrieb.vogel.de/eu-beschliesst-grenzwerte-fuer-realen-fahrbetrieb-a-509842/ und https://www.kfz-betrieb.vogel.de/abgas-skandal-nicht-nur-bei-vw-a-506905/).
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Angesichts des Umstands, dass im NEFZ Prüfzyklus gerade keine realistischen Werte für den Straßenbetrieb zu erwarten sind, kann allein der Hinweis darauf, dass verschiedene Prüforganisationen / Umweltverbände erhöhte Abgaswerte im Straßenbetrieb gemessen haben, unabhängig von der Frage, ob überhaupt das klägerische Fahrzeug hiervon konkret betroffen ist, nicht ausreichen, um die Schlussfolgerung des Klägers als naheliegend erscheinen zu lassen, sein Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Zeitfensters versehen.
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(3) Die Rundfunkberichterstattung des ZDF (Frontal) muss außer Belang bleiben. Weder werden Quellen benannt noch gibt es sonstige Indizien für ihre Richtigkeit – im Übrigen ist in der zitierten Passage auch lediglich allgemein von unzulässigen Abschalteinrichtungen die Rede, ohne diesen Vorwurf inhaltlich zu spezifizieren und es wird nur allgemein von „…-Dieselmotoren“ gesprochen.
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(4) Die Ermittlungen der StA Frankfurt sind ohne Belang.
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Unabhängig davon, dass bis zum Abschluss der Ermittlungen die Unschuldsvermutung gilt, ergeben sich aus den vorgelegten Anlagen K 6a, b (Presseinformation und Zeugenaufruf) keinerlei konkrete Angaben zur Art der von Seiten der Staatsanwaltschaft angenommenen unzulässigen Abschalteinrichtung. Ein Hinweis auf ein „Zeitfenster“ oder vergleichbare Zusätze sind dort gerade nicht enthalten. Zudem sind die Beschreibungen zu den Motortypen so allgemein, dass ein Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug nicht ableitbar ist.
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(5) Das Gutachten des Sachverständigen … (Anlage K 8) beschäftigt sich wiederum völlig allgemein mit Fahrzeugen der …-Gruppe, ohne dass ersichtlich ist, welche Fahrzeuge / Motortypen konkret untersucht wurden, wie diese Untersuchungen erfolgt sind bzw. auf welchen objektiven Anknüpfungstatsachen die getroffenen Aussagen basieren und insbesondere, ob dies auch für das streitgegenständliche Fahrzeug Geltung haben soll.
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(6) Dem Gesprächsprotokoll zwischen KBA und der Fa. … (Anlagen K 9, 10) ist kein Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug zu entnehmen, vielmehr sind dort nur Dieselmotoren der sogenannten „Family B“ EU 6 mit den Hubräumen 1,8 l, 2,0 l, 2,2 l und der Dieselmotor B428 2,8 l genannt – nicht aber der streitgegenständliche Motortyp mit einem Hubraum von 2,3 Liter. Zudem hat die Beklagte auch bestritten, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug überhaupt ein Steuerungsgerät der Fa. … eingebaut ist, worauf die Klägerin ihren Sachvortrag zum Einbau gerade eines Steuerungsgeräts der Fa. … nicht unter Beweis gestellt, sondern für unerheblich erklärt hat.
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(7) Abschließend kommt hinzu, dass die Beklagte das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung substantiiert (s.o.) in Abrede stellt und dass dem Kläger eine Kenntniserlangung ansonsten nicht als unmöglich erscheint (etwa durch Einholung außerprozessualer technischer Stellungnahmen), so dass sich insgesamt der Sachvortrag des Klägers als bloße willkürliche Vermutungen „aufs Geratewohl“ bzw. „ins Blaue hinein“ darstellt (so in vergleichbaren Fällen etwa auch LG Mönchengladbach, Urteil vom 19.12.2018 – 6 O 40/18 = zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2018 – I 22 U 95/18 = zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Urteil vom30.07.2019 – 10 U 134/19 = zitiert nach juris; OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019 – 7 U 367/18 = zitiert nach juris).
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Das Gericht hat bei der Würdigung des Sachvortrags als nicht hinreichend substantiiert auch die Entscheidung des BGH, Urteil vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 = zitiert nach juris berücksichtigt, dort aber ging es um einen Fall kaufrechtlicher Gewährleistung und nicht – wie hier – der sittenwidrigen Schädigung, die mehr verlangt als nur das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
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Der Sachvortrag des Klägers beruht letztlich auf Mutmaßung und Verdachtsäußerung, deren tatsächliche Grundlage erst im Prozess ermittelt werden soll (so etwa auch OLG Naumburg, Urteil vom 29.11.2019 – 7 U 52/19 in einem vergleichbaren Fall).
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2. Vergleichbares gilt für die im Laufe des Verfahrens aufgestellte Behauptung, dass das Fahrzeug mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet sei, die den Ausstoß von Stickoxiden unter den Bedingungen des NEFZ so optimiere, dass die vorgeschriebenen Grenzwerte lediglich im Rahmen des NEFZ eingehalten werden, nicht aber im normalen Straßenbetrieb – letztlich also die Behauptung der Klägerseite, es liege eine Umschaltlogik vor.
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Die Behauptung beruht ersichtlich (vgl. den Sachvortrag auf S. 75 d.A. = S. 5 d. Schriftsatzes vom 24.06.2022) ausschließlich darauf, dass a) das Fahrzeug eine Typgenehmigung erhalten hat und deshalb im einschlägigen Prüfverfahren der Stickoxid-Emissionsgrenzwert gewahrt ist und b) im Straßenbetrieb die zulässigen NOx-Werte bei den von Klägerseite angeführten Messungen überschritten werden.
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Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zu den Abgasmessungen des KBA und der Deutschen Umwelthilfe (Anlagen K 3 – 5) Bezug genommen werden. Der Sachvortrag bietet nicht einmal Anhaltspunkte um vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung an sich auszugehen, geschweige denn von der von Klägerseite implizierten Umschaltlogik.
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3. Inwieweit der Einbau eines sog. „Thermofensters“ Ansprüche nach § 826 Abs. 1 BGB begründet, ist durch die Entscheidungen des BGH (Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20; Urteil vom 24. März 2022 – III ZR 270/20 = jeweils zitiert nach juris) bereits hinreichend geklärt:
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a) Der BGH hat dabei folgendes ausgeführt:
„[…] reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers […] durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände.
… ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Senatsurteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179) zugrunde liegt und in der der Senat das Verhalten des beklagten Automobilherstellers gegenüber dem klagenden Fahrzeugkäufer als sittenwidrig qualifiziert hat. Dort hatte der Automobilhersteller die grundlegende strategische Frage, mit welchen Maßnahmen er auf die Einführung der – im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren – Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm reagieren würde, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahingehend entschieden, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten. Die Software war bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik), und zielte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 16-27). Die mit einer derartigen – evident unzulässigen – Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge hatte der Hersteller sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 17, 23, 25). Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Leitsatz 1 und Rn. 23, 25).
Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems wie im vorliegenden Fall fehlt es an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand, etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung 715/2007/EG i.V. m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28. Juli 2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom 27. Dezember 2006, S. 246 ff.)) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand.
Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem – hier unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 35).“
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze – denen das Gericht folgt – ist hier die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten bzw. ein Bewusstsein der handelnden Personen in Bezug auf die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung nicht schlüssig dargetan:
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(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handels zu beurteilen ist. Nicht bei jedem Pflichtverstoß sind diese Voraussetzungen zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28.6.2016 = WM 2019, 1929 Rdn. 16, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an.
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Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seines objektiven Verwendungszwecks im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, d. h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannte, konstruktive Eigenschaften gefährdet ist. Dies setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamt erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Inhalt und Fortdauer enthaltenen Vorschriften tatsächlich nicht entspricht.
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Wurde die Rechtslage fahrlässig verkannt, fehlt es an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Das auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes, verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben, vorhanden war, ist vom Kläger weder ausreichend dargetan noch ersichtlich.
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(2) Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 sieht vor, dass die Verwendung einer Abschalteinrichtung zulässig ist, „wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten“. Auf diese Erlaubnisgründe beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall, was sogar der Kläger selbst vorträgt.
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Die Gesetzeslage ist entgegen der Ansicht des Klägers an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig.
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Das OLG Stuttgart hat mit Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19 – hinsichtlich Pkw, die über ein solches „Thermofenster“ verfügen, Folgendes ausgeführt:
„Die Auslegung, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann „notwendig“ sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, auch wenn diese erheblich teurer sein sollte, ist möglich, aber letztlich nicht überzeugend. Gegen eine solche Auslegung spricht der Aufbau des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 sowie dessen Zweck. Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung sind Fahrzeuge vom Hersteller so auszurüsten, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Darüber hinausgehende Anforderungen werden von der Verordnung nicht vorgegeben.
Abschalteinrichtungen sind generell unzulässig und nur in dem in der Verordnung in Art. 5 Abs. 2 beschriebenen Ausnahmefall erlaubt. Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) will danach nicht die Entwicklung aufwendiger Konstruktionen eines Motors vorgeben, sondern für Motoren, die grundsätzlich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 genügen, zum Schutz vor Beschädigungen oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs einen Handlungsspielraum in Form einer ansonsten verbotenen Abschalteinrichtung einräumen. Dieses Ziel der Norm, den Fahrzeugherstellern ausnahmsweise eine konstruktive Freiheit einzuräumen, würde es widersprechen, dem Wort „notwendig“ in Art. 5 Abs. 2 S. 2 a einen eigenen, unter Umständen sogar über die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 hinausgehenden Konstruktionsauftrag der Verordnung zu entnehmen. Mit dem Wort „notwendig“ wird lediglich klargestellt, dass die Abschalteinrichtung dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb dienen muss und eine reine Zweckmäßigkeit nicht genügt, sondern sie dafür erforderlich sein muss. Eine engere Auslegung würde im übrigen unter Umständen zu der gerade nicht gewollten Benachteiligung von Kleinwagenherstellern führen, wenn diese gezwungen wären, eine sehr aufwendige und sehr teure Lösung, soweit eine solche zur Verfügung steht, in ihre Fahrzeuge einzubauen, obwohl Kleinwagen auf günstige Verkaufspreise angewiesen sind und Kleinwagen im Vergleich zu Fahrzeugen mit größerem Gewicht und häufig größeren Motoren in der Regel dem Ziel der Verordnung, Emissionen zu reduzieren, eher entsprechen„(OLG Stutgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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Auf Grundlage dieser rechtlichen Erwägungen – denen sich das Gericht anschließt und denen sich u.a. auch die Oberlandesgerichte Köln (Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/19 = zitiert nach juris), Koblenz (Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19 = zitiert nach juris), Celle (Urteil vom 13.11.2019 – 7 U 367/18 = zitiert nach juris) und München (Beschluss vom 29.09.2019 – 8 U 1449/19 = zitiert nach juris) angeschlossen haben – war es für die Beklagte zumindest nicht fernliegend, sich im Hinblick auf die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung auf den Motorschutz zu berufen. Zu diesem Ergebnis kommt auch der 5. Untersuchungsausschuss gemäß Art. 44 des GG des deutschen Bundestages (Drucksache 18/12900), wenn ausgeführt wird, dass „den Herstellern ein zu großer Auslegungsspielraum gegeben wird“. Es wird weiter ausgeführt, dass die Hersteller weitreichend das sogenannte Thermofenster definieren können, indem die Abschalteinrichtung nur innerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs zum Tragen kommt, auch wenn eine weite Spannbreite der nicht eingeschlossenen Außentemperaturen eher die Regel denn die Ausnahme in Europa darstellt. Zurzeit sei es „der Hersteller, der durch seine Motorkonstruktion bestimme, wie häufig eine Abschalteinrichtung greifen müsse, damit die vorgegebene Lebensdauer des Motors erfüllt werden könne“ (Seite 537 der zitierten Drucksache).
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Jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist eine Auslegung des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007, wonach ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, nicht unvertretbar gewesen (so auch etwa OLG Koblenz – 12 U 246/19, Hinweisbeschluss vom 26.08.2019 sowie vom 17.09.2019 unter 12 U 555/19), weshalb auch das Inverkehrbringen unter Verwendung einer entsprechenden Software auch nicht als sittenwidrig angesehen werden kann (so im Ergebnis auch Hinweis des OLG Naumburg vom 12.09.2019).
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Die Annahme des Vorsatzes bzw. einer besonderen Verwerflichkeit steht hier entgegen, dass die zitierten Vorschriften der Verordnung EG Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (vgl. die obigen Ausführungen).
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Selbst wenn man unterstellen wollte, die Beklagte habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere – und vor allem durchgehend hohe – Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Gesetzeswidrigkeit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typengenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18 = zitiert nach juris).
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Zu Recht weist das OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19 = zitiert nach juris, darauf hin, dass der Streit um die Zulässigkeit in Größe eines Thermofensters einen Expertenstreit darstellt, bei dem nicht nur Rechtsfragen, sondern technische Fragen eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund führt der Umstand, dass das im Fahrzeug der Kläger verbaute Thermofenster – dessen Funktion zudem ungenau beschrieben wird – möglicherweise in seiner technischen Gestaltung als unzulässig anzusehen sein könnte, nicht dazu, dass von einem Sittenverstoß ausgegangen werden könnte.
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Der vorliegende Fall unterscheidet sich erheblich von der Konstellation des EA-189 Motors im, da es sich bei der dort verwendeten Software um eine solche handelt, welche das Durchfahren des Prüfstandes erkannte und einen allein dafür konzipierten Betriebsmodus verwendete, um eine besondere Emissionsarmut vorzutäuschen, um die Zulassung zu erlangen. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.
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(3) Weiterer substantiierter Sachvortrag dazu, aus welchen Umständen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen und aus dem sich ergibt, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, ist nicht ersichtlich.
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Soweit der Kläger aus einer fehlenden Offenlegung des Temperaturfensters gegenüber der Typengenehmigungsbehörde Rückschlüsse auf ein Bewusstsein der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung und damit den Vorwurf der Sittenwidrigkeit ziehen will, verfängt auch dies nicht.
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Insoweit fehlt es bereits an substantiiertem Sachvortrag der Klägerseite dazu, welche Angaben die Beklagte in Bezug auf das Thermofenster überhaupt hätte machen müssen und welche sie tatsächlich gemacht hat. Der Kläger behauptet pauschal und ins Blaue hinein, die Beklagte habe unzutreffende Angaben gemacht, wobei er sogar noch einräumt, keine Kenntnisse insoweit zu haben.
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Nach alledem vermag das Gericht dem Vortrag des Klägers ein Bewusstsein der etwaigen Rechtswidrigkeit auf Seiten der Beklagten als Voraussetzung der Sittenwidrigkeit ihres Handelns wegen Einbau des sog. Thermofensters nicht zu entnehmen.
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4. Die gerade unter 3. erörterten Gesichtspunkte gelten im Übrigen in gleichem Maße für das von Klägerseite behauptete Zeitfenster, soweit man hinreichend greifbare Anhaltspunkte für die Richtigkeit des Sachvortrags zum Einbau eines solchen annehmen sollte.
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Auch insoweit handelt es sich um eine Abschalteinrichtung, die auf dem Prüfstand und im Realbetrieb in gleicher Weise arbeitet und für die deshalb zusätzlicher Sachvortrag zur Begründung eines Bewusstseins der Rechtswidrigkeit der Abschalteinrichtung nötig wäre.
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Hierbei kommt neben den oben bereits für das Thermofenster erörterten Gesichtspunkten in Bezug auf die behaupteten Falschangaben / unterlassenen Angaben im Typengenehmigungsverfahren hinzu, dass es sich um eine relativ leicht nachzuvollziehende technische Maßnahme handelt, die Vorwürfe bereits seit dem Jahre 2016 (!) bekannt sind und dies trotzdem bisher keinerlei Konsequenzen für den Bestand der Typgenehmigung hatte. Insbesondere haben bisher weder die italienischen Behörden noch das KBA (im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten auf Grundlage von Art. 52 Abs. 3 VO EG 2018/858) Anlass gesehen, das streitgegenständliche Fahrzeug stillzulegen oder einen verpflichtenden Rückruf anzuordnen (so auch: OLG Bamberg, Beschluss vom 20.01.2022 – 3 W 4/22, nicht veröffentlicht). Im Gegenteil haben die italienischen Behörden der Beklagten unstreitig bereits im Jahre 2016 mitgeteilt, dass sie den Vorwürfen des KBA nachgegangen sind und keine Gründe für den Erlass vom KBA begehrten Maßnahmen sehen, weil die Fahrzeuge nicht zu beanstanden sind. Schon auf Grundlage dieser Mitteilung erscheint es ausgeschlossen, dass die Beklagte bei dem konkreten Fahrzeug (Erstzulassung April 2019 – vgl. Anlage K 1a) in dem Bewusstsein handelte, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verbauen.
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5. Schließlich fehlt es auch an einem Schaden des Klägers:
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a) Ein Schaden im Sinne von § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vemögenslage, in dem Sinne, dass sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt.
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Der Schadensbegriff des § 826 BGB ist vielmehr subjektbezogen, so dass bei wertender Betrachtung Vermögensminderungen oder nachteilige Einwirkungen auf die Vermögenslage umfasst sind, wie – bei Eingriff in die Dispositionsfreiheit – die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung oder die Vermögensgefährdung durch Eingehung eines nachteiligen Geschäfts (BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 402/02 = zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2004 – VI ZR 306/03 = BGHZ 161, 361 BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 = zitiert nach juris; Münchener Kommentar zum BGB / Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 41ff.). Dabei ist bei dem Abschluss von Verträgen unter Eingriff in die Dispositionsfreiheit maßgeblich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, nicht auf die tatsächliche Realisierung eines Schadens zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – XI ZR 51/10 = BGHZ 192, 90).
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In Abgasskandalfällen kann sich die wirtschaftliche Nachteiligkeit daraus ergeben, dass der Kläger nicht ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug, sondern einen Pkw, der zwar formal über eine erteilte EG-Typgenehmigung verfügte, in den aber gleichzeitig eine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 eingebaut war, die einer Zulassung objektiv entgegenstand und bei dem deshalb der Entzug der EG-Typgenehmigung droht. b)
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Dies ist hier aber ersichtlich nicht der Fall.
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Schon nach dem unstreitigen Vortrag sind der zuständigen Typengenehmigungsbehörde in Italien seit dem Jahre 2016 die Vorwürfe in Bezug auf unzulässige Abschalteinrichtungen bekannt und diese hat – sogar trotz Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens im Jahre 2017 – bis heute weder die Abgasregelung beanstandet noch Auflagen verhängt. Vielmehr hat sie in einer Mitteilung aus dem Jahre 2016 gegenüber der Beklagten – und gerichtsbekannt auch gegenüber den europäischen Behörden und dem KBA – zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Rechtsverstöße sieht und keine Veranlassung zum Tätigwerden erkennen kann.
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Damit ist die EG-Typengenehmigung in ihrem Bestand objektiv bisher nicht gefährdet, denn auch die Behörden anderer Mitgliedsstaaten – insbesondere das KBA – haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach Art. 52 Abs. 3 VO (EG) 2018/858 bisher keine Maßnahmen veranlasst gesehen.
93
Der weitergehende Vortrag der Klägerseite, wonach die behaupteten Abschalteinrichtungen einen Mangel im Sinne des Hauptuntersuchungsrechts nach § 29 Abs. 3 S. 1 StVZO i.V.m. Anl. VIII StVZO darstellen würden, deshalb die TÜV-Plakette versagt werden könne und die Stilllegung des Fahrzeugs angedroht werden könne, ist nicht schlüssig.
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Die von der italienischen Typgenehmigungsbehörde erteilte Betriebsgenehmigung kann auch in Deutschland nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Dass dies entgegen der Gesetzeslage tatsächlich erfolgt ist, wird nicht vorgetragen. Die zitierte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte Schleswig kann nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden, da diese lediglich Typengenehmigungen aus Großbritannien betreffen.
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III. Die weitergehende Fragen der Tatbestandswirkung der fortbestehende EG-Typgenehmigung kann danach dahinstehen.
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Auch andere Anspruchsgrundlagen scheiden aus:
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I. Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der Verletzung der §§ 6, 27 EG-FGV, Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007, Art. 4 VO (EG) Nr. 715/2007 oder i.V.m. § 263 StGB bestehen nicht.
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II. §§ 6, 27 EG-FGV stellen bereits keine Schutzgesetze dar, die einen Käufer vor dem Erwerb eines nicht der Typengenehmigung entsprechenden Fahrzeugs schützen sollen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 = zitiert nach juris).
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Gleiches gilt für Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 = zitiert nach juris) sowie Art. 4 VO (EG) Nr. 715/2007 (Vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2020 – 17 U 296/19 = zitiert nach juris), in deren Aufgabenbereich es nicht liegt, das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Fahrzeugerwerbers zu schützen.
100
III. Bezüglich §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehlt es jedenfalls an einer Stoffgleichheit zwischen dem behaupteten Vermögensnachteil des Klägers und den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 = zitiert nach juris).
101
I. Die Nebenansprüche (Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, Feststellung Annahmeverzug) folgen dem Schicksal der Hauptforderung.
102
II. Der Feststellungsantrag (Klageantrag zu 4.) ist einerseits unzulässig, da es an einem hinreichend bestimmten Klageantrag fehlt, andererseits aber aus den oben dargelegten Gründen unbegründet.
103
1. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klage einen bestimmten Antrag enthalten. Ein Feststellungsantrag muss die Identität und damit den Umfang der Rechtskraftwirkung des begehrten Feststellungsanspruchs klar erkennen lassen. Dazu ist die genaue Bezeichnung des festzustellenden Rechtsverhältnisses, bei Schadensersatzansprüchen die bestimmte Bezeichnung des zum Ersatz verpflichtenden Ereignisses bzw. Umstandes nötig (Thomas/Putzo/Reichold, 39. Auflage 2018, § 253 Rn. 13).
104
Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Der Kläger beantragt lediglich festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, Schadensersatz für Schäden zu leisten, die aus der Ausstattung des Wohnmobils mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagtenpartei resultieren.
105
In diesem Antrag liegt keine eindeutige und genaue Bezeichnung des begehrten Feststellungsanspruchs. Die Formulierung „unzulässige Abschalteinrichtung“ reicht hierfür nicht aus. In seiner Klagebegründung führt der Kläger mehrere Punkte an, in welchem die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug manipuliert und den Kläger daher getäuscht haben soll. Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass der Kläger der Beklagten zahlreiche falsche Angaben bzw. Manipulationen im Hinblick auf das streitgegenständliche Fahrzeug vorwirft. Insoweit ist jedoch die Angabe im Klageantrag „unzulässige Abschalteinrichtung“ nicht hinreichend konkret. Es wird nicht deutlich, auf welche Manipulationen bzw. Falschangaben sich der klägerseits begehrte Schadensersatzanspruch, welcher mit vorliegender Klage festgestellt werden soll, genau bezieht. Da der Klageantrag jedoch derart weit und unbestimmt ist, vermag auch eine Auslegung durch zu Hilfenahme der Klagebegründung nicht weiter zu helfen.
106
2. Im Übrigen ist der Feststellungsantrag auch unbegründet, da es aus den oben bereits dargelegten Gründen an einer Schadensersatzpflicht der Beklagten – mithin an dem begehrten festzustellenden Rechtsverhältnis fehlt.
107
Im Hinblick darauf, dass bereits für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung keine greifbaren Anhaltspunkte vorliegen, welche die Durchführung einer Beweisaufnahme rechtfertigen und auch kein Schaden gegeben ist, ist für eine Aussetzung des Verfahrens gem. § 148 ZPO kein Raum. Die anstehende Entscheidung des EuGH hat auf das Verfahren keinen Einfluss.
108
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
109
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 S. 1, 2 ZPO.
110
Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Antrag zu 1)
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49.509,73 € (Kaufpreis abzgl. Nutzungsentschädigung)
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Antrag zu 2)
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0,00 € (§ 4 ZPO)
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Antrag zu 3)
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0,00 € (BGH, Beschluss vom 20.06.2017 – XI ZR 109/17)
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Antrag zu 4)
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5.055,00 € (10% Kaufpreis geschätzt, § 3 ZPO)
|
GESAMT:
|
54.564,73 €
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