Inhalt

OLG München, Beschluss v. 20.06.2022 – 32 U 274/22
Titel:

Hilfsaufrechnung, Widerklage, Konkurrenzschutzklausel, Fristlose Kündigung, Unerlaubte Untervermietung, Gebrauchsüberlassung an Dritten, Auskunftsanspruch, Außerordentliche Kündigung, Mietminderung, Mängel der Mietsache, Berufungsbeklagter, Behandlungsfehler, Untermietvertrag, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Sekundäre Darlegungslast, Gewerberaummiete, Bruttomiete, Notfallbehandlung, Rufschädigung, Geschäfts- und Wohnraummiete

Schlagworte:
Mietminderung, Konkurrenzschutzklausel, Schadensersatz, fristlose Kündigung, Rufschädigung, Auskunftsanspruch, Verwirkung
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 01.04.2022 – 32 U 274/22
LG München I, Urteil vom 16.12.2021 – 23 O 8058/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 05.06.2024 – XII ZR 73/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58643

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16.12.2021, Aktenzeichen 23 O 8058/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.107.188,36 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung von nach seiner Meinung wegen Minderung überzahlter Mieten sowie Auskunft. Die Beklagte macht im Wege der Widerklage bzw. Hilfsaufrechnung Schadensersatz aufgrund behaupteter fristloser Kündigungen der Beklagten wegen nicht erfolgter Räumung durch den Kläger geltend.
2
Die Beklagte ist Hauptmieterin des Gebäudekomplexes (Gebäude 2 und Gebäude 3) in der …straße ... in M. Im Gebäude 2 errichtete die Beklagte ein Ärztehaus und vermietete gemäß Untermietvertrag vom 18.02.2009 (Anlage B1) an den Kläger im Gebäude 2 Praxisflächen im 4. Obergeschoss, Lagerflächen im 1. Untergeschoss und anteilige Gemeinschaftsflächen und 4 Tiefgaragenstellplätze zum Betrieb einer Arztpraxis für Innere Medizin, Gastroenterologie und Endoskopie.
3
Die Räumlichkeiten wurden als sogenannter veredelter Rohbau an den Kläger untervermietet. Der Ausbau erfolgte durch den Kläger durch Investitionen in Millionenhöhe.
4
§ 2 Abs. 3 des Untermietvertrags enthält eine sogenannte Konkurrenzschutzklausel.
5
Hinsichtlich des Inhalts der Klausel wird auf den Untermietvertrag, Anlage B1, verwiesen.
6
Die … Kliniken GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Beklagten, betreibt im … Klinikbereich seit Anfang 2013 eine Gastroenterologische Klinik. Im Frühjahr 2013 eröffnete die … M. GmbH, ebenfalls eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Beklagten, das sogenannte „… Enddarmzentrum“, das im Schwerpunkt ambulante Behandlungen auf dem Gebiet der Gastroenterologie und Endoskopie anbot und durchführte; die Schließung des Betriebs erfolgte zum 31.03.2016.
7
Mit rechtskräftigem Urteil vom 10.12.2015 verurteilte das OLG München (Aktenzeichen 32 U 1696/14) aufgrund erhobener Widerklage des hiesigen Klägers (dort Beklagten) die hiesige Beklagte (dortige Klägerin) unter Ziffer 1.2 und Ziffer 1.3 wie folgt:
„1.2.
Die Klägerin wird ferner verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgelds von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten – die Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen der Klägerin – für jeden Fall der Zuwiderhandlung während der Dauer des Mietverhältnisses, zu unterlassen, Räume im … Medizin Zentrum …straße ... in M. an zum Beklagten im direkten Konkurrenzverhältnis stehende Dritte, insbesondere Fachärzte oder Kliniken mit dem Schwerpunkt Innere Medizin – Gastroenterologie oder Endoskopie zu vermieten oder anderweitig zum Gebrauch zu überlassen, insbesondere Räume an die … Kliniken GmbH zum Betrieb einer Gastroenterologischen Klinik in der Isar Klinik sowie an die … M. GmbH zum Betrieb eines Enddarmzentrums zu überlassen, soweit diese auch diagnostische und therapeutische minimal invasive Leistungen auf dem Gebiet Innere Medizin – Gastroenterologie oder Endoskopie erbringen, es sei denn diese stehen mit einer stationären Klinikaufnahme oder einer Notfallbehandlung im Zusammenhang.
1.3 Es wird darüber hinaus festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, dem Beklagten alle Schäden zu ersetzen, die dem Beklagten aus der Verletzung des vertraglichen Konkurrenzschutzes durch die Klägerin durch Überlassung von Räumen an zum Beklagten in direktem Konkurrenzverhältnis stehende Dritte entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit diese Dritten auch diagnostische und therapeutische minimal invasive Leistungen auf dem Gebiet Innere Medizin – Gastroenterologie oder Endoskopie erbringen, und sofern diese nicht mit einer stationären Klinikaufnahme oder einer Notfallbehandlung im Zusammenhang stehen.“
8
Wegen des weiteren Inhalts des Urteils wird auf Anlage K 3 Bezug genommen.
9
Wegen fortgesetzten Verstoßes gegen diese Unterlassungsanordnung verhängte das Landgericht München I mit Beschluss vom 28.10.2016 gegen die (hiesige) Beklagte ein erstes Ordnungsgeld in Höhe von 80.000 €, das diese beglich. Ein weiteres Vollstreckungsverfahren wegen fortgesetzter Zuwiderhandlung der Beklagten wurde im Zuge von Vergleichsverhandlungen übereinstimmend ruhend gestellt.
10
Mit Anwaltsschreiben vom 22.06.2017 (Anlage B4) kündigte die Beklagte das Untermietverhältnis mit dem Kläger fristlos u.a. wegen behaupteter Rufschädigung infolge eines behaupteten Behandlungsfehlers an der Patientin … im Jahr 2015, wegen des Verdachts fehlerhafter Gebührenabrechnungen und des Verdachts der Bestechung sowie angeblicher unerlaubter Untervermietung bzw. Rufschädigung wegen Zulassens zweifelhafter Behandlungsmethoden von Herrn A. … in den Praxisräumen. Mit Schreiben vom 06.07.2017 (Anlage B 15) erfolgte eine weitere fristlose Kündigung Das Mietverhältnis wurde im Rahmen eines Vergleichs in einem Güterichterverfahren zum Jahresende 2020 beendet.
11
Mit vorliegender Klage begehrt der Kläger für den Zeitraum Januar 2013 bis Dezember 2017 die Rückzahlung von zu viel entrichteter Miete und Nebenkosten wegen behaupteter Mietminderung aufgrund dauerhafter Verstöße der Beklagten gegen die Konkurrenzschutzklausel in Höhe von insgesamt 613.886,84 € nebst Zinsen.
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Weiter begehrt er, gestützt auf das Urteil des OLG München, AZ 32 U 1696/14, im Rahmen der Stufenklage Auskunft wie folgt:
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Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger über sämtliche Umsätze, die die Beklagte oder ihre Tochter- oder Enkelgesellschaften, insbesondere die … Kliniken GmbH sowie die … M. GmbH vom 01.01.2013 bis 14.01.2017 sowie vom 16.05.2017 bis 31.12.2017 im Objekt …straße ..., M., durch diagnostische und/oder therapeutische Leistungen auf dem Gebiet Innere MedizinGastroenterologie oder Endoskopie erzielt haben, die weder mit einer stationären Klinikaufnahme noch einer Notfallbehandlung noch einer Behandlung, die eine höhere Eingriffsintensität als minimalinvasiv erfordert, in Zusammenhang stehen, durch Vorlage einer übersichtlichen schriftlichen Zusammenstellung sämtlicher Einnahmen unter Benennung der jeweils zugrunde liegenden Leistung.
14
Die Beklagte beantragt Klageabweisung sowie im Wege der Widerklage Zahlung von 853.971,50 € nebst Zinsen und macht hilfsweise Aufrechnung sowie hilfsweise weitere Widerklage (629.330,02 €) geltend.
15
Sie behauptet Gegenansprüche auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 1.483.301,50 € wegen unterlassener Räumung der an den Kläger untervermieteten Praxisräume auf ihre fristlosen Kündigungen vom 22.06.2017 und vom 06.07.2017.
16
Das Erstgericht hat durch Teilurteil vom 16.12.2021 dem Zahlungsanspruch und dem Auskunftsantrag des Klägers auf der 1. Stufe stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
17
Es führt aus, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Mietminderung in der beantragten Höhe für die begehrte Zeit zu, da durch die Verletzung der Konkurrenzschutzklausel seitens der Beklagten ein Mangel der Mietsache gegeben sei, was zur Minderung führe.
18
Die Frage, ob die Beklagte gegen die vertraglich vereinbarte Konkurrenzschutzklausel verstoßen habe, sei hier nicht mehr zu prüfen, da dies bereits durch das Urteil des OLG München, AZ 32 U 1696/14, rechtskräftig festgestellt sei.
19
Die Minderung sei um 25% der Bruttomiete bei dem Betrieb eines Konkurrenz-Unternehmens und für die Zeit des Betriebs von sogar zwei Konkurrenzbetrieben um einen Betrag von 40% der Bruttomiete gerechtfertigt.
20
Dem Kläger stehe auch auf der 1. Stufe aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) das zugesprochene Auskunftsrecht zu. Der Schadensersatzanspruch des Klägers stehe aufgrund des rechtskräftigen Urteils des OLG München, AZ 32 U 1696/14, dem Grunde nach fest.
21
Für den hiesigen Auskunftsanspruch habe der Kläger nur noch die Wahrscheinlichkeit darzustellen, dass aus der (bereits feststehenden) Vertragspflichtverletzung ein Schaden resultiert. Der Eintritt eines Schadens beim Kläger sei als überwiegend wahrscheinlich anzusehen. Die Darlegungen des Klägers zum Umsatzrückgang in seiner Praxis auf 30% seien nachvollziehbar.
22
Die Gegenansprüche der Beklagten auf Schadensersatz (Hilfsaufrechnung in Höhe von 853.971,50 € und Widerklage in Höhe von 629.330,02 €) als behaupteter Verzugsschaden wegen verzögerter Räumung bestünden nicht.
23
Beide fristlosen Kündigungen vom 22.06.2017 (Anlage B4) und vom 06.07.2017 (Anlage B 15) seien unwirksam.
24
Die Beklagte habe die Kündigung nicht auf die behauptete Rufschädigung wegen fehlerhafter Behandlung der Patientin … stützen können. Der Behandlungsfehler sei nicht nachgewiesen, ein bloßer Verdacht genüge nicht für eine Kündigung. Ein Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Körperverletzung sei nicht durchgeführt worden.
25
Zudem fehle es an einer Abmahnung.
26
Die weiteren erhobenen Vorwürfe seien ebenfalls nicht näher erläutert bzw. kein Beweis angeboten.
27
Wegen des weiteren Inhalts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen.
28
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge auf Klageabweisung (und Geltendmachung der Hilfsaufrechnung) und Zuspruch der Widerklage in Höhe von 853.971,50 € nebst Zinsen, bzw. falls die Hilfsaufrechnung nicht greift, Zahlung weiterer 629.330,02 € nebst Zinsen weiter verfolgt.
29
Zur Begründung wird ausgeführt:
30
Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Mietminderung zu. Aufgrund der Verletzung des ihm obliegenden Kooperationsversprechens sei sein Konkurrenzschutz von Anfang an entfallen. Das Erstgericht sei unzutreffend von der rechtskräftigen Feststellung aus dem Urteil des OLG München vom 10.12.2015 ausgegangen, es habe den Umfang der materiellen Rechtskraft verkannt, da die Frage, welches Verhalten eine solche Schadensersatzverpflichtung dem Grunde nach begründet, nicht als Tatbestandsvoraussetzung an der Rechtskraft teilnimmt.
31
Das Erstgericht hätte daher über die Frage des Mietmangels wegen des angeblichen Konkurrenzschutzverstoßes als auch über das Maß der vermeintlichen Tauglichkeitsbeeinträchtigung Beweis erheben müssen. Auch sei nur die Nettomiete und nicht die Bruttomiete zu mindern. Im Im Ergebnis sei es auch nicht gerechtfertigt, eine Minderung um 25% bzw. 40% anzunehmen.
32
Dem Kläger stehe auch kein Auskunftsanspruch gegen die Beklagte zu, da das OLG München im Verfahren 32 U1696/14 eine solche Vertragspflichtverletzung gerade nicht rechtskräftig festgestellt habe, sodass diese auch dem Auskunftsanspruch nicht ohne weitere Feststellungen vom Landgericht zugrunde gelegt werden durfte. Bei Berücksichtigung des Vortrags der Berufungsklägerin hätte das Erstgericht festgestellt, dass ein solcher Verstoß gegen die Konkurrenzschutzklausel nicht vorliege. Auch habe der Kläger die Wahrscheinlichkeit eines ihm entstandenen Schadens bereits nicht substantiiert dargelegt. Zudem können die Umsätze der … Kliniken GmbH und der … M. GmbH keinen relevanten Anhaltspunkt für einen vermeintlich entgangenen Gewinn der Beklagten darstellen.
33
Auch wäre ein etwaiges Mitverschulden des Klägers zu berücksichtigen.
34
Das Erstgericht hätte der Widerklage stattgeben bzw. die Hilfsaufrechnung gegen die Klageforderung greifen müssen, da der Kläger wegen vorausgegangener wirksamer fristloser Kündigungen und seinerseits unterlassener Räumung der Mieträume zum Schadensersatz verpflichtet sei.
35
Die fristlosen Kündigungen seien berechtigt gewesen wegen erheblicher Rufschädigung durch das klägerische Verhalten, insbesondere durch seinen Behandlungsfehler an der Patientin …. Gegen den Kläger sei auch in diesem Fall ein Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft M. I eingeleitet worden, es liege daher gerade keine unzulässige Verdachtskündigung vor.
36
Außerdem habe der Kläger gegen das Untermietverbot verstoßen, indem er unerlaubterweise Herrn A. … Räume untervermietet habe. Hierdurch sei es durch das Verhalten des Klägers zudem zur nachhaltigen Rufschädigung des Isar Klinikums gekommen, da Herr … als gelernter Rundfunktechniker gegen Entgelt medizinische Behandlungen durchgeführt habe, ohne hierfür die Qualifikation eines Mediziners zu haben und gleichwohl hohe Honorarforderungen für seine Behandlung gestellt habe.
37
Das Erstgericht habe pflichtwidrig eine erforderliche Beweisaufnahme durch Vernehmung der angebotenen Zeugen unterlassen.
38
Die Beklagte beantragt daher:
1. Das am 16.12.2021 verkündete Urteil des Landgerichts München I zum Aktenzeichen 23 O 8058/19 wie folgt abzuändern:
a) die Klage wird abgewiesen.
b) der Kläger, Widerbeklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Berufungsklägerin 853.971,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen, sowie hilfsweise für den Fall, dass der Anspruch des Klägers, Widerbeklagten und Berufungsbeklagten auch ohne die Hilfsaufrechnung nicht besteht, an die Berufungsbeklagte weitere 629.330,02 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen.
2. hilfsweise das am 16.12.2021 verkündete Urteil des Landgerichts München I zum Aktenzeichen 23 O 8058/19 aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht München I zurückzuverweisen.
39
Der Kläger beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
40
Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
41
Der Senat hat am 01.04.2022 einen gerichtlichen Hinweis nach § 522 ZPO erteilt.
II.
42
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16.12.2021, Aktenzeichen 23 O 8058/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
43
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats und die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
44
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 11.05.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass:
1. Verstoß gegen § 15 des Untermietvertrags:
45
Der Einwand der Beklagten ist zwar zutreffend, dass nach § 15 des Untermietvertrags (Anlage B1) nicht nur die Untervermietung, sondern auch sonstige Gebrauchsüberlassung an Dritte nicht gestattet ist.
46
Nach herrschender Meinung wird der Begriff der Gebrauchsüberlassung in § 540 Abs. 1 Satz 1 BGB heute allgemein zum Schutz des Vermieters weit ausgelegt. Darunter fällt deshalb grundsätzlich jede auf eine gewisse Dauer angelegte Überlassung der Sache an Dritte ganz oder partiell zu einem selbstständigen oder unselbstständigen Mitgebrauch (vergleiche Staudinger, BGB, 2021 § 540 Rz. 3, BGH VIII ZR 371/02, nach juris Rz. 16 = NJW 2004,56, OLG Hamm, OLGZ 1982,481 = NJW 1982,2876, SchmidtFutterer, Mietrecht, 15. Aufl. § 540 BGB Rz. 2,21, Bub/Treier, Handbuch Geschäfts- und Wohnraummiete 5. Aufl. Kapitel III Rz. 2490, 2496, Kapitel IV 356.1,.1,427ff, Münchener Kommentar, § 540 BGB, 8. Aufl. Rz. 3).
47
Die Beklagte hat aber keinen hinreichenden Beweis für diese zumindest auf eine gewisse Dauer angelegte Mit-Überlassung der Mietsache an Herrn A. … erbracht.
48
Die Beklagte hat lediglich mit Widerklage vom 18.02.2020 (dort Seite 37 = Blatt 173 der Akten) die Einvernahme der Zeugin S. … angeboten für die Behauptung ihrer Behandlung durch Herrn ….
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Dies wurde von der Klägerin substantiiert bestritten (vgl. Schriftsatz vom 10.06.2021, Seite 46 = Blatt 251 der Akten), insbesondere auch der behauptete Zeitraum der Untervermietung für 3,5 Monate. Der Kläger gab hierzu an, Herr … habe lediglich Geräte bezüglich der Frequenztherapie demonstriert im Hinblick auf die Frage einer eventuellen künftigen Kooperation.
50
Der Einvernahme der Zeugin … bedurfte es nicht.
51
Es kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Zeugin … durch Herrn … in den Räumlichkeiten des Klägers „behandelt“ worden ist.
52
Bei der „Behandlung“ von nur einer Patientin ist -soweit sonstige weitere Anhaltspunkte nicht vorliegen bzw. vorgetragen werden – noch nicht hinreichend feststellbar, dass hierdurch bereits tatsächlich eine auf eine gewisse Dauer angelegte Mitüberlassung der Räumlichkeiten vorliegt.
53
Denn die zeitliche Komponente der auf gewisse Dauer angelegten Überlassung muss von einer gewissen Dauerhaftigkeit gekennzeichnet bzw. zumindest gewollt/beabsichtigt sein. Dies bedeutet, dass die bloß gelegentliche oder gar einmalige Überlassung der Räume, wie hier im Fall der Behandlung einer Patientin, nicht ausreicht.
54
Weitere Anhaltspunkte/Indizien – etwa dass Behandlungszeiträume über eine längere Dauer erfolgten oder verschiedene Patienten von Herrn B. in diesen Räumlichkeiten behandelt wurden – wurden aber beklagtenseits nicht vorgetragen.
55
Soweit die Beklagte einwendet, für die Frage der behaupteten Untervermietung bzw. der Gebrauchsüberlassung wäre es vielmehr Aufgabe des Klägers gewesen, nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast die Anknüpfungstatsachen zu entkräften, ist dies unzutreffend.
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Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist grundsätzlich keine Partei verpflichtet, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen und lediglich im Einzelfall zu prüfen, ob es dem Prozessgegner, der im Gegensatz zu dem außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden Darlegungspflichtigen die wesentlichen Tatsachen kennt, im Rahmen seiner Erklärungslast nach § 138 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise zuzumuten ist, dem Beweispflichtigen eine prozessordnungsgemäße Darlegung durch nähere Angaben über die betreffenden, zu seinem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen (sekundäre Darlegungslast oder substantiiertes Bestreiten, vergleiche BGH, VI ZR 252/19 = NJW 2020,1962, nach juris Rz. 35ff, Greger in Zöller ZPO 34. Aufl., Rz. 34 mit weiteren Nachweisen).
57
Die Voraussetzungen für die sekundäre Darlegungslast liegen hier nicht vor.
58
Die Beklagte hat nicht, wie erforderlich, hinreichende Anhaltspunkte für die behauptete Unter-Untervermietung/Gebrauchsüberlassung an Herrn B. vorgetragen.
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Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten substantiiert bestritten und hierzu angegeben, Herr … habe lediglich Geräte bezüglich der Frequenztherapie demonstriert im Hinblick auf die Frage einer eventuellen künftigen Kooperation.
60
Der Vortrag der Beklagten hinsichtlich der Behandlung an der Zeugin … reicht, wie oben beschrieben, hierfür nicht aus.
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Mangels sonstiger hinreichender Anhaltspunkte für diese Behauptung greifen daher die Grundsätze der sekundären Darlegungslast für die Klägerseite nicht.
62
Unabhängig davon wäre es der Beklagten unbenommen geblieben, Herrn … als Zeugen für die behauptete Unter-Untervermietung/Gebrauchsüberlassung an den Zeugen anzubieten. Entsprechendes Beweisangebot hierzu ist aber nicht erfolgt.
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2. Soweit die Beklagte einen Verstoß gegen den Betriebszweck nach § 2 des Mietvertrags behauptet, hat die Beklagte keinen Nachweis für den behaupteten Verstoß erbracht. Allein die „Behandlung“ der Zeugin … durch Herrn … als Dritten erbringt noch nicht den Beweis einer Nutzungsänderung. Der Gebrauch und damit auch die Nutzung der Räume bzw. von Teilbereichen durch Herrn … steht gerade, wie oben ausgeführt, nicht fest.
3. Rufschädigung:
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Zwar kann ein rufschädigendes Verhalten eines Mieters grundsätzlich ein Recht zur außerordentlichen Kündigung geben; dieses Recht wurde auch vorliegend in § 5 Abs. 6 des Mietvertrags (Anlage B1) vereinbart. Danach ist allerdings Voraussetzung, dass der Mieter nachhaltig den Ruf des … Medizinzentrums, insbesondere durch mangelhafte Behandlung von Patienten, beschädigt oder nicht mehr über die zum Betreiben einer Praxis notwendigen Qualifikationen verfügt.
65
Vorliegend hat die Beklagte, selbst bei Unterstellung eines Behandlungsfehlers an der Geschädigten …, eine tatsächliche nachhaltige Rufschädigung des … Medizinzentrums nicht dargetan.
66
Die Beklagte gibt hierzu an (vgl. Widerklage mit Schriftsatz vom 18.02.2020, Seite 26 = Blatt 162 die Akten), der Fall … habe nachweislich zu einer erheblichen Rufschädigung geführt. Die Patientin sei vom Rettungsdienst aus der Praxis des Klägers zum direkten Wettbewerber der Beklagten in das R.-Krankenhaus eingeliefert worden und damit für das gesamte dortige medizinische Personal und die behandelnden Ärzte ersichtlich gewesen, dass dem behandelnden Arzt im … Klinikum offensichtlich ein Behandlungsfehler unterlaufen sei.
67
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist hierdurch noch keine Rufschädigung feststellbar.
68
Die in der Regel durch den Rettungsdienst im Rahmen einer Notfallmaßnahme erfolgte Einlieferung von Patienten in ein bestimmtes Krankenhaus beweist noch keinen Behandlungsfehler, wodurch der Ruf der Beklagten nachhaltig geschädigt werden könnte.
69
Auch soweit eine telefonische Nachfrage des dort behandelnden Arztes im R.-Krankenhaus, Herrn Dr. … behauptet wird, wie es zu diesem Behandlungsfehler kommen konnte, ist angesichts der offenbar nur einmal erfolgten Nachfrage dieses Arztes ohne nähere Darlegung noch keine nachhaltige Rufschädigung erkennbar. Der Einvernahme der angebotenen Zeugen bedurfte es daher nicht.
70
Dass der behauptete Behandlungsfehler durch den Kläger auch in sonstiger Weise nach außen gedrungen und zu einer nachhaltigen Rufschädigung geführt hat, hat die Beklagte nicht dargetan.
71
Die Beklagte gibt hierzu erstmalig mit Schriftsatz vom 11.05.2022 (Blatt 410 d.A.) an, dass bei der Beklagten Anrufe eingegangen seien und es zu Rückfragen insbesondere externer Ärzte zu Hintergründen des Vorfalls betreffend die Patientin … gekommen sei.
72
Unabhängig davon, dass der erstmals auf den Hinweis des Senats erfolgte Vortrag im Berufungsverfahren als verspätet zurückzuweisen ist, ist er zudem unsubstantiiert, da nicht dargetan wird, wann und durch welche externen Ärzte bzw. außenstehende Dritte Nachfragen erfolgt sein sollen; auch wird, obwohl der Vortrag streitig ist, kein entsprechender Beweis angeboten, sodass die Beklagte beweisfällig geblieben ist.
73
Der außerordentlichen Kündigung steht zudem der Einwand der Verwirkung entgegen.
74
Nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 314 Abs. 3 BGB muss die Kündigung in angemessener Frist nach Kenntnis vom Kündigungsgrund erfolgen. Der andere Teil soll in angemessener Zeit Klarheit darüber erhalten, ob von der Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird. Nach längerem Abwarten kann nicht mehr angenommen werden, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei unzumutbar (Streyl in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, § 543 BGB Rn. 232; Alberts in Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2. Auflage 2019, § 543 BGB Rn. 76).
75
Die Länge der angemessenen Frist im Sinne von § 314 Abs. 3 BGB lässt sich nur im Einzelfall anhand des oben dargelegten Zwecks der Regelung bestimmen. Sie darf also die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietvertrages nicht widerlegen und nicht einem Interesse des Kündigungsgegners an schnellerer Klarheit über das (Fort-)Bestehen des Mietverhältnisses zuwiderlaufen. Bei Gewerberaummietverträgen wird in der Regel von Fristen von einigen Monaten auszugehen sein, nicht aber von mehr als einem halben Jahr (Alberts in Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2. Auflage 2019, § 543 BGB Rn. 80; Streyl in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, § 543 BGB Rn. 235).
76
Da der behauptete Behandlungsfehler an der Patientin … bereits während der Operation am 08.06.2015 erfolgt sein soll, nach dem Vortrag der Beklagten die Rufschädigung im Anschluss an die Behandlung der Patientin in einem anderen Krankenhaus erfolgt sein soll, somit ebenfalls im Jahr 2015 bzw. spätestens im Frühjahr 2016, die hierauf gestützte außerordentliche Kündigung aber erstmals mit Schriftsatz vom 22.06.2017 ausgesprochen wurde, somit weit über einem halben Jahr, ist jedenfalls Verwirkung eingetreten.
77
Anderweitiger Vortrag der Beklagten dazu, dass eine Rufschädigung erst bzw. auch zu einem noch späteren Zeitpunkt eingetreten sein soll, ist nicht erfolgt.
78
Inwiefern durch die „Behandlung“ von Herrn … an der Patientin … eine Rufschädigung der Beklagten erfolgt sein soll, beispielsweise dass externe Ärzte bzw. außenstehende Dritte die Beklagte auf die behaupteten zweifelhaften Heilpraktikermethoden angesprochen haben, hat die Beklagte nicht näher dargetan.
79
Sie gab lediglich an (vgl. Widerklage mit Schriftsatz vom 18.02.2020, Seite 37 = Blatt 173 der Akten), dass durch die mangelnde Qualifikation und die Abrechnungspraxis von Herrn … eine Rufschädigung erfolgt sei. Angaben dazu, inwieweit aufgrund dieser Umstände entsprechender Sachverhalt nach außen gedrungen und tatsächlich den Ruf des Klinikums nachhaltig geschädigt haben soll, fehlen jedoch vollständig.
80
Der Beweisaufnahme hierüber bedurfte es daher nicht.
81
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
82
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
83
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt (Klage: 613.886,84 €, Auskunftsanspruch 10.000 €, Widerklage: 853.971,50 €, Hilfsaufrechnung: 629.330,02 €).