Inhalt

VG München, Urteil v. 07.04.2022 – M 11 K 19.4630
Titel:

Baugenehmigung für Doppelgarage - treuwidrige Geltendmachung der Unwirksamkeit der Festsetzungen eines Bebauungsplans

Normenketten:
BGB § 242
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
Leitsätze:
1. In die Prüfung eines Normenkontrollantrags kann nicht mehr eingetreten werden, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung eines geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt. Dies gilt nicht nur für Normenkontrollanträge, sondern auch für vergleichbare prozessuale Lagen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von dem Erfordernis der Sicherung der Erschließung kann nicht befreit werden. Die gesicherte Erschließung ist unabhängig von der jeweiligen Gebietsart unverzichtbare Voraussetzung der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baugenehmigung für die Errichtung einer Doppelgarage, Grundsatz von Treu und Glauben, treuwidrige Geltendmachung der Unwirksamkeit der Festsetzungen eines Bebauungsplans, Grundzüge eines Erschließungskonzepts i.S.d. § 31 Abs. 2 BauGB, Befreiungsvoraussetzungen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.06.2024 – 1 ZB 22.1780
Fundstelle:
BeckRS 2022, 58422

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Doppelgarage auf dem Grundstück Fl.Nr. 310/2. Das Grundstück des Klägers ist über eine relativ steile und ca. 3,5 m breite Stichstraße erreichbar und liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans der Beigeladenen „Nr. 7404 Nördlich der W* … Straße“ vom 23. September 2009 (Bebauungsplan). Der Bebauungsplan setzt in Ziffer 1.5.3 i.V.m. den Planzeichen für die Straße zum klägerischen Grundstück hin eine öffentliche Verkehrsfläche (Eigentümerweg) fest, welche sich auch auf einen Teilbereich des Grundstücks des Klägers erstreckt (Wendehammer).
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Der Kläger beantragte unter dem 12. November 2013, nachdem er das Grundstück Fl.Nr. 310/2 im Jahr 2011 erworben hatte, eine Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses, welche ihm am 22. April 2015 erteilt wurde. Nach Aufnahme der Bauarbeiten wurde im Rahmen einer Baukontrolle am 19. Mai 2015 festgestellt, dass der Fertigfußboden Erdgeschoss erheblich höher gelegen sei, als genehmigt. Die errichtete Bodenplatte habe nicht den in den Plänen genehmigten Fixpunkten und damit dem Höhenmaß des Bauvorhabens entsprochen. Gegen die Baueinstellungsverfügung vom 17. Juni 2016 sowie die damit verbundenen Zwangsgeldandrohungen und -fälligstellungen hatte der Kläger zunächst Klage erhoben, die er sodann in der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2016 zurücknahm.
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Im Rahmen eines Gesprächs zwischen den Beteiligten und der Beigeladenen vom 17. Oktober 2016 äußerte der Klägerbevollmächtigte Zweifel an der Bestimmtheit der Festsetzung des Bezugspunkts der Höhe der baulichen Anlagen im Bebauungsplan. Er legte hierzu einen Vermessungsplan eines Ingenieurbüros vom 8. Oktober 2016 vor, welcher die Differenz der Höhen im Bebauungsplan im Vergleich zu den Höhen in den selbst angefertigten Vermessungsplänen zeige. Die Beigeladene erläuterte, dass das Gelände im Jahr 2006 durch ein Büro vermasst worden sei und man die Ergebnisse als Vorentwurf des Bebauungsplans verwendet habe. Daher sei jedenfalls die vom Kläger behauptete Abweichung von 90 cm nicht glaubhaft, sondern dem Umstand nachträglich vorgenommener Geländeveränderungen geschuldet. Das Landratsamt räumte ein, dass die Bezugshöhe nicht eindeutig bestimmbar sei und signalisierte einen gewissen Spielraum für die Festlegung einer neuen Bezugshöhe, welcher aber nicht bei 90 cm liegen könne. Die nachfolgenden Einigungsbemühungen mündeten schließlich in den Vorschlag des Landratsamts, den Bezugspunkt für die Höhe der baulichen Anlagen – aufgrund einer in der Baugenehmigung vom 22. April 2015 ebenfalls bereits erteilten Bauraumverschiebung – um 3,5 m nach Osten zu verschieben. Dadurch würde der Bezugspunkt auf der im Bebauungsplan eingezeichneten Höhenlinie 611,5 m üNN liegen. Zusätzlich sagte man eine Toleranzgrenze von 25 cm zu, sodass der neue Bezugspunkt bei 611,75 m üNN liege.
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Unter dem 4. November 2017 beantragte der Kläger sodann eine weitere Baugenehmigung, wobei er den Bezugspunkt von 611,75 m üNN in den Plänen übernommen hatte und als Begründung ausführte, dass die Übernahme des neuen Höhenbezugspunkts nicht näher erklärt werde, da der Sachverhalt intensiv zwischen den Beteiligten besprochen und abgestimmt worden sei. Auch in den diesem Antrag beigefügten Eingabeplänen war eine Fläche eingezeichnet, die augenscheinlich der Fläche des Wendehammers in dem Bebauungsplan entspricht. Nachdem die Pläne – aus anderen Gründen – mehrfach überarbeitet worden waren, wurde schließlich die Baugenehmigung mit Bescheid vom 4. September 2018 unter Einbezug der Eingabepläne in der Fassung vom 5. Juni 2018 erteilt.
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Der Kläger beantragte unter dem 2. April 2019 sodann eine Baugenehmigung für den Bau der Doppelgarage, welche nach den vom Kläger vorgelegten Eingabeplänen im Bereich des im Bebauungsplan eingezeichneten Wendehammers errichtet werden soll. Gleichzeitig stellte er einen Befreiungsantrag hinsichtlich der Festsetzung Ziffer 1.5.3. Eine solche sei zu erteilen, weil der Bebauungsplan, welcher die Fläche für den Wendehammer festsetze, unwirksam und der Wendehammer nicht erforderlich sei. Der Kläger würde einseitig benachteiligt, indem nur er Flächen seines Grundstücks für den Wendehammer bereitstellen müsse, nicht aber auch das gegenüberliegende Grundstück. Er rege an, den Bebauungsplan so zu ändern, dass die vor der beantragten Garage zu errichtende Fläche von 13 m x 5 m als Wendehammer für Rettungsfahrzeuge befahren werden dürfe.
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Die Beigeladene verweigerte unter dem 6. Juni 2019 hierzu ihr Einvernehmen, da die Befreiung für die Überbauung der öffentlichen Verkehrsfläche (Eigentümerweg) einen Grundzug der Planung berühre.
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Nach Anhörung mit Schreiben vom 10. Juli 2019 erließ der Beklagte am 19. August 2019 einen Ablehnungsbescheid mit der Begründung, dass das Vorhaben der Festsetzung Ziffer 1.5.3 des Bebauungsplans widerspreche, weil sich der überplante Bereich weitgehend mit einer Fläche überschneide, die im Bebauungsplan als „öffentliche Verkehrsfläche, Eigentümerweg“ bezeichnet sei und eine Befreiung die Grundzüge der Planung berühre. Die Beigeladene habe ihr Einvernehmen zu Recht verweigert.
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Mit Schriftsatz vom *. September 2019, bei Gericht eingegangen am 12. September 2019, hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2022 beantragt,
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den Ablehnungsbescheid des Landratsamts … vom 19. August 2019 aufzuheben.
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Zur Begründung führte die Klageseite aus, dass sich das Vorhaben in die nähere Umgebung einfüge und die Erschließung durch die unmittelbare Lage an der abzweigenden Stichstraße der W* … Straße gesichert sei. Der Bebauungsplan stehe dem Vorhaben nicht entgegen, da dieser wegen unbestimmter Festsetzung der Wandhöhe unwirksam sei. Die nach § 18 Abs. 1 BauNVO erforderlichen Bezugspunkte zur Bestimmung der Höhe der baulichen Anlagen seien im Bebauungsplan unbestimmt. Die natürliche Geländeoberfläche sei als Bezugspunkt nicht geeignet, da sie nicht ausreichend gegen Veränderungen gesichert sei. Dies habe die Unwirksamkeit der gesamten Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung zur Folge. Ein Bebauungsplan mit einem eingeschränkten Inhalt lediglich bezüglich einzelner Verkehrsflächen wäre vor dem Hintergrund der Planungsziele – Beibehaltung der charakteristischen Siedlungsstruktur sowie die Schaffung rechtlicher Grundlagen für die Nachverdichtung des Bereiches – nicht erlassen worden. Die Festsetzung der Verkehrsflächen diene für sich genommen nicht der Beibehaltung der charakteristischen Siedlungsstruktur. Diese seien lediglich mittelbares Beiwerk. Ergänzend weise man in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans den Planungszielen der Vereinheitlichung und Abstimmung des Ortsbildes widersprechen würden. So lege die Festsetzung in Ziffer 1.7.2 die zulässige Dachneigung auf 12 bis 25 Grad fest. Die Bestandsbauten in der näheren Umgebung würden jedoch Dachneigungen von 25 bis 60 Grad aufweisen. Auch die Festsetzung in Ziffer 4.1 sei ein Beleg dafür, dass das Planungsziel der Vereinheitlichung des Ortsbildes durch den Bebauungsplan nicht erreicht werden könne, da in der näheren Umgebung zahlreiche Nebengebäude von mehr als 10 m² vorhanden seien.
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Jedenfalls aber habe man einen Anspruch auf eine Befreiung, da die Grundzüge der Planung durch das Vorhaben nicht berührt würden. Die planerische Konzeption sei durch nachträgliche Veränderungen der tatsächlichen Situation überholt worden. Ausweislich der planerischen Konzeption solle der Bau des Wendehammers der verbesserten Erschließung des benachbarten Anwesens Straße 55 durch eine vergrößerte Zufahrtsfläche für Rettungsfahrzeuge dienen. Auf den Anwesen W* … Straße 55 und 55a seien jedoch in den vergangenen Jahren ausreichend Abstell- und Wendemöglichkeiten errichtet worden. Seit dem Jahr 2013 gebe es eine schwerlastfähige 3,5 m breite Zufahrt zum Gebäude W* … Straße 55 mit zwei Stellplätzen und PKW Wendemöglichkeit. Seit über sieben Jahren werde diese Straße für Bautransporte, Versorgungsfahrten und Rettungseinsätze genutzt. Insbesondere seien gesamte Gebäude errichtet und diese auch zur Nutzung zugelassen worden, was gegen eine vermeintlich fehlende gesicherte Erschließung sprechen würde. Die ausreichende Erschließung des Anwesens W* … Straße 55a sei durch die nunmehrige Zufahrtssituation gesichert. Vor diesem Hintergrund sei der Wendehammer nicht erforderlich, eine Inanspruchnahme des Klägers, die ihn über Gebühr belasten würde, daher nicht notwendig. Die Abweichung sei städtebaulich vertretbar. Auch würde die Durchsetzung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen. Der Kläger wäre in unzumutbarer Weise belastet, weil ihm die Erschließung benachbarter Grundstücke ohne eigenen Erschließungsvorteil aufgebürdet und ein großer Flächenbereich entzogen würde. Gleichzeitig hätte bislang nicht einmal eine Widmung der Fläche stattgefunden. Im Übrigen bestehe seitens des Klägers keine bestandskräftige Verpflichtung, einen Wendehammer in der im Bebauungsplan festgesetzten Form auf seinem Grundstück zu errichten. Auch sei die Realisierung der Festsetzung durch die Beigeladene ausgeschlossen, da es sich nicht um eine Grundstücksfläche in ihrem Eigentum handele. Unabhängig davon wäre es dem Kläger bei Realisierung der Festsetzung allein aufgrund des Grundstückszuschnitts, der Bestandsbebauung und des schützenswerten Baumbestands auf dem Anwesen verwehrt, eine Doppelgarage zu errichten, da eine andere Positionierung eines Garagengebäudes auf dem Anwesen nicht möglich sei.
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Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2022 beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2021 erwiderte der Beklagte auf das klägerische Vorbringen, dass die Festsetzung der Wandhöhe wirksam sei. Der Kläger übersehe, dass unter der Festsetzung Ziff. 1.3.3 der Bezugspunkt der Wandhöhe festgelegt worden sei. In Kombination mit den im Bebauungsplan enthaltenen amtlichen Höhenlinien sei der Bezugspunkt auch mit absoluten Werten üNN bestimmbar. Auch unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans sei der Wendehammer erforderlich, da andernfalls die erforderliche Erschließung nach § 35 Abs. 2 bzw. § 34 BauGB nicht gegeben wäre. Die Festsetzungen des Bebauungsplans stünden nicht im Widerspruch zu den Planungszielen. Auch wenn im Bestand teilweise Gebäude mit steiler Dachneigung vorhanden seien, habe die Beigeladene die Möglichkeit, das Gebiet – trotz etwaig abweichender Bestandsbebauung – im Rahmen ihrer Planungshoheit in gestalterischer Hinsicht städtebaulich in eine neue Richtung zu entwickeln. Da die Existenz von Bebauungsplänen mitunter auf einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren beabsichtigt sei, bestehe auch eine lange Zeit zur Erreichung der planerischen Zielsetzungen.
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Eine Befreiung komme nicht in Betracht, weil die Grundzüge der Planung berührt würden. Durch die Festsetzung des Wendehammers sollte die Erschließungssituation der an den Eigentümerweg angehängten Grundstücke und damit die Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der planungsrechtlichen Genehmigungsgrundlage, § 30 Abs. 1 BauGB, sichergestellt werden. Dabei befände sich der Wendehammer zwangsläufig auf den hintersten Grundstücken. Vorliegend seien für den Wendehammer im Wesentlichen Teile des klägerischen Grundstücks, aber auch Teile des Nachbargrundstücks, W* … Straße 55 a, festgesetzt worden. Die Festsetzung habe auch bereits zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbs durch den Kläger bestanden und sei unerlässliche Voraussetzung dafür gewesen, dass das klägerische Grundstück überhaupt habe überplant werden können. An der Erforderlichkeit des Wendehammers ändere auch die Behauptung des Klägers nichts, es sei nun seit geraumer Zeit genug Platz für Wendemöglichkeiten auf dem Nachbargrundstück W* … Straße 55 mit zwei Stellplätzen und Pkw-Wendemöglichkeit gegeben, da sich diese Wendemöglichkeit in unbelastetem Privatvermögen befände und nicht als „öffentliche Verkehrsfläche, Eigentümerweg“ festgesetzt sei. Jedenfalls bliebe eine derartige Wendemöglichkeit hinter dem Umfang zurück, welcher durch den Wendehammer erreicht würde. Insbesondere im Falle eines Wohnungsbrandes reiche diese Fläche nicht aus. Man verweise auf das Schreiben vom 3. November 2021 des Feuerwehrkommandanten R. Derartige Überlegungen seien bei der Aufstellung des Bebauungsplans einbezogen worden, sodass es sich bei der Festsetzung des Wendehammers jedenfalls um einen Grundzug der Planung handele. Vom Erfordernis der Erschließung könne im Übrigen nicht befreit werden. Man habe selbstverständlich berücksichtigt, dass im Bescheid vom 4. September 2018 vom Erfordernis der Widmung befreit worden sei. Die zur Erschließung notwendigen Verkehrsflächen seien jedoch dinglich gesichert. Die grundsätzliche verkehrsmäßige Erreichbarkeit sei dadurch nicht entbehrlich geworden, sondern lediglich das Erfordernis einer öffentlichen Straße. Die Erschließung könne auch ohne Widmung ausreichend sein. Nicht ersichtlich sei, inwieweit anhand der Eingabeplanung davon ausgegangen werde, dass durch das streitgegenständliche Bauvorhaben lediglich ein marginaler Teilbereich der vom Bebauungsplan festgesetzten Verkehrsfläche in Anspruch genommen werde. Vielmehr liege es nahezu mit seiner gesamten Grundfläche im Bereich des Wendehammers. Schließlich sei die vom Kläger gewählte Situierung nicht zwingend erforderlich, was sich aus der Festsetzung in Ziffer 6.1 des Bebauungsplans ergebe. Zudem sei westlich der Erschließungsstraße im genannten Bereich kein einziger erhaltenswerter Baum festgesetzt, sodass sich das Garagengebäude auch aus diesem Grund nicht auf der beantragten Situierung befinden müsse.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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In der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2022 erklärte der Kläger, dass die Beigeladene im Jahr 2014 eine Änderung des Bebauungsplans in Aussicht gestellt habe, diese aber nicht erfolgt sei. Aufgrund der nunmehr realisierten Bebauung in der Umgebung, insbesondere aufgrund einer schwerlastfähigen, wassergebundenen, gekiesten Wegedecke mit ca. 3,5 m Breite zum Grundstück Fl.Nr. 314 hin, bestünde die Notwendigkeit des Wendehammers nun jedenfalls nicht mehr. Der Kläger erklärte zudem, dass er nie vorgehabt habe, den Wendehammer zu errichten. Er habe aber sein zur Genehmigung gestelltes Vorhaben den Vorgaben des Landratsamts angepasst, um eine Baugenehmigung zu erhalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem sowie im Klageverfahren M 11 K 18.4921 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Es bestehen bereits Zweifel an dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers und damit an der Zulässigkeit seiner Klage. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Befugnis zur Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Bebauungsplans beschränken und einem gestellten Normenkontrollantrag oder einer erhobenen Klage damit das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlen (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2019 – 4 B 28.18 – juris Rn. 6 ff.; B.v. 19.12.2018 – 4 B 6.18 – juris Rn. 11; B.v. 14.11.2000 – 4 BN 54.00 – juris Rn. 4; B.v. 23.1.1992 – 4 NB 2.90 – juris Rn. 14).
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Ein widersprüchliches Verhalten ist dem Kläger zwar vorzuwerfen; zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die folgenden Ausführungen unter Rn. 23 ff. verwiesen. Jedoch stützt er seine Klagebegründung nicht allein auf die Unwirksamkeit des Bebauungsplans, sondern trägt auch hilfsweise zu den Voraussetzungen einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB für den Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans vor. Es ist daher nicht angezeigt, dem Kläger den Rechtsschutz ohne inhaltliche Prüfung hinsichtlich der Befreiungslage zu verwehren.
22
2. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, weil das genehmigungspflichtige Bauvorhaben nicht genehmigungsfähig ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Maßgeblich im hier durchzuführenden vereinfachten Genehmigungsverfahren sind die Vorschriften des Art. 59 BayBO. Das Vorhaben widerspricht Bauplanungsrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 lit. a BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB), weil es mit der Festsetzung Ziffer 1.5.3 des Bebauungsplans nicht in Einklang zu bringen ist, § 30 Abs. 1 BauGB. Das Vorhaben widerspricht der Festsetzung Ziffer 1.5.3 des Bebauungsplans, weil es in dem Bereich des klägerischen Grundstücks errichtet werden soll, an der nach dem Bebauungsplan der Wendehammer entstehen soll. Auf eine etwaige Unwirksamkeit des Bebauungsplans kann sich der Kläger nicht berufen (a). Eine Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans kommt nicht in Betracht, da bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht vorliegen (b).
23
a) Auf eine etwaige Unwirksamkeit des Bebauungsplans infolge einer etwaigen Unbestimmtheit der Festsetzung zur Höhe der baulichen Anlagen kann der Kläger sich nicht berufen.
24
In der Rechtsprechung (z.B. BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 4 C 22.94 – juris; U.v. 12.12.2018 – 4 C 6.17 – juris) ist anerkannt, dass sich ein rechtfertigender Grund für eine Beschränkung des Bauherrn dahingehend, dass er sich auf eine etwaige Unwirksamkeit der Festsetzungen des Bebauungsplans nicht mehr berufen kann, im Einzelfall aus den auch im öffentlichen Recht heranzuziehenden Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben kann, etwa in der Fallgruppe des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) oder der Verwirkung. So wurde entschieden, dass in die Prüfung eines Normenkontrollantrags nicht mehr eingetreten werden kann, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung eines geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt. Das kann etwa der Fall sein, wenn der Rechtsschutzsuchende zunächst die ihm günstigen Festsetzungen eines Bebauungsplans ausnützt und sich erst später gegen die für ihn ungünstigen Festsetzungen wendet. Diese Rechtsprechung gilt nicht nur für Normenkontrollanträge, sondern auch für vergleichbare prozessuale Lagen. Ob der Tatbestand der Treuwidrigkeit erfüllt ist, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (BayVGH, B.v. 12.2.2021 – 1 ZB 20.1186 – juris Rn. 4 m.w.N).
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Dies zugrunde gelegt verhält sich der Kläger mit dem Vorbringen einer etwaigen Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans treuwidrig, weil er zunächst die für ihn günstigen Festsetzungen des Bebauungsplans mit Erhalt einer demensprechenden Baugenehmigung ausgenutzt hat. Wie der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2022 erklärte, passte er sein Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans in den Eingabeplänen an, um überhaupt Baurecht für sein Grundstück zu erhalten. Ohne den Bebauungsplan hätte der Kläger kein Baurecht erhalten, da sich sein Grundstück im Außenbereich befunden hätte und sein Vorhaben nicht privilegiert gewesen wäre (§ 35 BauGB). Er nutzte damit die ihm günstigen Festsetzungen des Bebauungsplans aus; infolgedessen darf er sich nun nicht mehr gegen die ihm ungünstigen Festsetzungen wehren. Ob die Festsetzung der Höhe der baulichen Anlagen unbestimmt ist und dies zu einer Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans führen würde bzw. die Festsetzungen des Bebauungsplans den Planungszielen widersprechen, ist daher unerheblich.
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Hinzukommt, dass sich der Kläger auf eine etwaige Unbestimmtheit des Bezugspunktes der Höhe der baulichen Anlagen im Bebauungsplan auch deshalb nicht berufen kann, weil er sich mit dem Landratsamt zuvor auf einen neuen Bezugspunkt geeinigt hatte. Der Kläger verhält sich widersprüchlich, indem er die Festsetzung der Höhe der baulichen Anlagen angreift, obwohl er den Vorschlag des Landratsamts, den Bezugspunkt auf 611,75 m üNN festzulegen, offensichtlich angenommen und seinem Bauantrag vom 4. November 2017 sowie seinen Eingabeplänen zugrunde gelegt hat.
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b) Auch eine Befreiung von der Festsetzung gem. § 31 Abs. 2 BauGB kommt nicht in Betracht, weil sie mit dem Erschließungskonzept der Beigeladenen die Grundzüge der Planung berührte (aa) und das Erschließungskonzept entgegen der Ansicht der Klägerseite auch nicht durch nachträgliche Veränderungen der tatsächlichen Situation überholt ist (bb).
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aa) Eine Befreiung von der Festsetzung 1.5.3 berührte das Erschließungskonzept der Beigeladenen, welches einen Grundzug der Planung darstellt.
29
Ob eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht kommt, weil die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab (BVerwG, U.v. 16.12.2010 – 4 C 8/10 – juris Rn. 26; U.v. 18.11.2010 – 4 C 10.09 – juris Rn. 37). Entscheidend ist, ob die Befreiung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35/04 – juris Rn. 3; BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 15 B 08.2426 – juris Rn. 21). Zu beachten ist auch, dass von dem Erfordernis der Sicherung der Erschließung nicht befreit werden kann (BVerwG, U.v. 21.2.1986 – 4 C 10/83 – juris). Denn die gesicherte Erschließung ist unabhängig von der jeweiligen Gebietsart unverzichtbare Voraussetzung der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens. Ob die Errichtung des Wendehammers zur Erschließung des klägerischen Grundstücks im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB erforderlich ist, kann jedoch offenbleiben. Denn die Genehmigung wäre ohne die Auflage 200 bereits deshalb rechtswidrig, weil sie eine (versteckte) rechtswidrige Befreiung von dem Erschließungskonzept des Bebauungsplans, welches einen Grundzug der Planung darstellt, enthielte.
30
Vorliegend ist die Festsetzung Ziffer 1.5.3 des Bebauungsplans, die die Errichtung des Wendehammers vorsieht, Bestandteil des Planungskonzepts, das der Gemeinde bei Planaufstellung zugrunde gelegen hat. Der Wendehammer war Voraussetzung dafür, dass das Grundstück des Klägers überhaupt überplant werden konnte. Unabhängig davon, ob der Wendehammer zur Erschließung des klägerischen Grundstücks im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB tatsächlich erforderlich wäre, war die Errichtung des Wendehammers aus Sicht der Gemeinde bei Aufstellung des Bebauungsplans für die konkrete Planung jedenfalls erforderlich (plangemäße Erschließung). Die in einem Bebauungsplan enthaltenen Festsetzungen zur Erschließung dürfen auch über das hinausgehen, was in § 30 Abs. 1 BauGB gefordert ist (Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang, 15. Aufl. 2022, BauGB, § 30 Rn. 20).
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bb) Die planerische Konzeption wurde entgegen der Ansicht der Klägerseite auch nicht durch nachträgliche Veränderungen der tatsächlichen Situation überholt. Der Bau einer schwerlastfähigen, wassergebundenen, gekiesten Wegedecke mit ca. 3,5 m Breite zum Grundstück Fl.Nr. 314 hin, ändert nichts an dem von der Gemeinde verfolgten Erschließungskonzept. Zum Zeitpunkt der Planaufstellung war weder der Wendehammer noch eine schwerlastfähige, wassergebundene, gekieste Wegedecke zum Grundstück Fl.Nr. 314 hin vorhanden. Hätte die Gemeinde die Erschließung der Hanggrundstücke über die Straße zum Grundstücks Fl.Nr. 314 hin mit dortiger Mündung in einen Wendehammer regeln wollen, hätte sie dies tun können. Die Gemeinde entschied sich im Rahmen ihres Erschließungskonzepts indes für die Errichtung eines Wendehammers an der im Bebauungsplan vorgesehenen Stelle. Im Rahmen der Bauleitplanung ist weder entscheidend, ob eine Straße, welche der Erschließung von Grundstücken dienen soll, bereits vorhanden ist, noch beeinflusst der nachträgliche Bau einer Straße das Erschließungskonzept im Nachhinein. Es obliegt der Gemeinde, die Erschließungssituation im Rahmen ihrer Planungshoheit in der (gesetzmäßigen) Weise im Bebauungsplan festzusetzen, die sie als sinnvoll erachtet. Die Festsetzungen dürfen dabei über das, was bereits gesetzlich nach § 30 Abs. 1 BauGB zur Erschließung erforderlich ist, hinausgehen (s.o.).
32
Der Planungshoheit wird jedoch etwa durch das Erfordernis der Erforderlichkeit einer Bauleitplanung Grenzen gesetzt (§ 1 Abs. 3 BauGB). Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit gilt nicht nur für den Anlass, sondern auch für den Inhalt des Bebauungsplans, und zwar für jede Festsetzung (BVerwG, B.v. 28.10.2020 – 4 BN 55/20 – juris Rn. 4, m.w.N.). Was in diesem Sinne erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht (BVerwG, B.v. 28.10.2020 – 4 BN 55/20 – juris Rn. 4; BVerwG, U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8/14 – BVerwGE 153, 16 Rn. 11). Nicht erforderlich sind damit nur solche Festsetzungen, die einer positiven städtebaulichen Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Bauleitplanung nicht bestimmt ist (BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 BN 15/99 – juris). Eine solche Situation ist hier nicht gegeben. Die Entscheidung, den Wendehammer an dem gewählten Ort zu situieren, ist nicht zu beanstanden. Das Erschließungskonzept sieht vor, am Ende der relativ steilen Stichstraße, die zum klägerischen Grundstück führt, eine Möglichkeit zum Wenden von Rettungswägen in dem topographisch wieder etwas abflachenden Bereich zu gewährleisten. Die Erwägung, den Wendehammer am topographisch höchsten Punkt zu errichten, und nicht etwa auf Höhe des Grundstücks Fl.Nr. 314, das topographisch etwas tiefer liegt, erscheint nicht der Förderung von Zielen dienend, für deren Verwirklichung die Bauleitplanung nicht bestimmt ist. Vielmehr sieht die Kammer darin ein schlüssiges Erschließungskonzept. Die Situierung des Wendehammers ist wesentlicher Bestandteil dieses planerischen Konzepts, zu dessen Verwirklichung die Festsetzung Ziffer 1.5.3 im Bebauungsplan erforderlich ist. Darauf, dass die Erschließung in der vom Kläger bevorzugten Weise im Bebauungsplan geregelt wird, besteht schon von Gesetzes wegen kein Anspruch (vgl. § 10 Abs. 8, Abs. 3 Satz 2 BauGB).
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Auch war die Bebauung auf dem Grundstück Fl.Nr. 314 nach den Planzeichnungen des Bebauungsplans offensichtlich bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses vorhanden. Eine tatsächliche Veränderung ist daher auch nicht durch die Zulassung weiterer Baufenster, welche die Erschließungsfrage erneut aufwerfen könnte, gegeben.
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c) Auf die weiteren Ausführungen der Klageseite zu den Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB kommt es daher nicht mehr an.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.