Titel:
Prozeßbevollmächtigter, Elektronischer Rechtsverkehr, Widerspruchsbescheid, Rente wegen Erwerbsminderung, Erwerbsminderungsrente, Volle Erwerbsminderung, Sozialgerichtsgesetz, Kostenentscheidung, Berufungsschrift, Rechtsmittelbelehrung, Außergerichtliche Kosten, allgemeiner Arbeitsmarkt, Beigezogene Akten, SGB VI, Ergebnis der Beweisaufnahme, Gesundheitsstörung, Klageabweisung, Berufungsfrist, Elektronische Form, Landessozialgericht
Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Rechtmäßigkeit des Bescheids, Berufsunfähigkeit, Geburtsdatum, Leistungsfähigkeit, Gutachten
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 20.07.2023 – L 14 R 463/21
BSG Kassel, Beschluss vom 28.11.2023 – B 5 R 139/23 B
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53053
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 18.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2019 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der 1968 geborene Kläger war zuletzt im Jahr 2017 als Berufskraftfahrer im Baugewerbe versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss bezog der Kläger Krankengeld und bis November 2020 Arbeitslosengeld.
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Am 12.02.2019 stellte der Kläger Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung.
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Mit Bescheid vom 18.09.2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfülle.
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Gegen den Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 24.09.2019 Widerspruch ein. Aus den vorliegenden Unterlagen könne eindeutig entnommen werden, an welchen Diagnosen der Kläger leide und wie sich diese auf seine Erwerbsfähigkeit auswirken. Er könne einfach nicht mehr arbeiten. Der Kläger sei schon seit langem arbeitsunfähig krankgeschrieben. Aufgrund seiner schweren Erkrankung habe sich sein Leben extrem geändert. Er sei schon lange arbeitslos gemeldet, eine Vermittlung sei bisher nicht möglich gewesen. Er nehme an Lehrgängen, Praktika und Umschulungen teil, habe diese jedoch immer wieder abbrechen müssen, weil sein Gesundheitszustand die Teilnahme nicht zulasse.
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Mit Bescheid vom 26.11.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt seien.
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Mit Schriftsatz vom 09.12.2019 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid Klage erhoben. Der Kläger sei auf nicht absehbare Zeit außerstande, einer Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nachzugehen bzw. eine solche auszuüben. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers verweist auf die Begründung des Widerspruchs.
den Bescheid der Beklagten vom 18.09.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Erwerbsminderungsrente zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Anforderung von Befundberichten der behandelnden Ärzte, Beiziehung der Akten des Zentrum Bayern Familie und Soziales (M.), Beiziehung der Akten im Verfahren vor dem Sozialgericht Landshut, Az., in dem ein Gutachten von Dr. H. nach persönlicher Untersuchung des Klägers eingeholt wurde (persönliche Untersuchung am 05.11.2020, Gutachten vom 09.11.2020).
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Im Anschluss hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Dr. K.. Auf Wunsch des Klägers wurde das Gutachten nach Aktenlage erstellt (Schriftsatz vom 22.03.2021). Dr. K. hat im Gutachten vom 11.05.2021 beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
- Chronische Schmerzen bei orthopädischen Gesundheitsstörungen (R52.2),
- Rezidivierende depressive Episode, mittelgradig (F33.1),
- Nikotinabusus, V.a. Abhängigkeit von morphinhaltigen Schmerzmitteln.
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Die Gesundheitsstörungen bestünden mindestens seit 02/2019, vereinzelt bereits länger. Hinsichtlich der psychiatrischen Gesundheitsstörungen wäre eine Therapieintensivierung zu diskutieren, hinsichtlich der chronischen Schmerzstörung ein spezieller schmerztherapeutischer Ansatz. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen, vorwiegend im Sitzen, ohne Zwangshaltung, ohne nervliche Belastung, ohne Akkord und ohne Schichtarbeit seien mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zumutbar. Eine quantitative Leistungseinschränkung sei nicht begründbar.
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Der im Befundbericht der Klinik A... angegebene Schweregrad (schwere Depression) lasse sich dem Gutachten von Dr. H. nicht entnehmen.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht Landshut erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig, sachlich aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 18.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) oder Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 SGB VI kommt von vornherein nicht in Betracht, da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
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Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
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teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
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in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
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vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
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Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nicht erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die allgemeine Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers zwar qualitativ hinsichtlich der Art und Schwere der noch möglichen Tätigkeiten gemindert ist, jedoch nicht quantitativ in rentenrechtlich erheblichem Umfang. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers bezogen auf leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes liegt nicht vor. Diese Überzeugung ergibt sich vor allem aus dem vorliegenden Gutachten von Dr. K. Diese legt unter Bezugnahme auf die vorhandenen Befundberichte sowie das nach persönlicher Untersuchung erstellte Gutachten von Dr. H. im Verfahren Az. schlüssig und überzeugend dar, dass den bestehenden Gesundheitsstörungen durch Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen werden kann.
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Der streitgegenständliche Bescheid ist daher rechtmäßig und die Klage daher abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).