Inhalt

AG München, Endurteil v. 15.03.2022 – 414 C 11281/21
Titel:

Wohnungseingangstür, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Obhutspflicht, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Kostenübernahmeerklärung, Gewaltsame Öffnung, Telefonische Kontaktaufnahme, Parteivorbringen, Qualifizierte elektronische Signatur, Klageabweisung, Mietverträge, Zeugenbeweis, Formlose Mitteilung, Beweisbeschlüsse

Schlagworte:
Schadenersatz, Obhutspflicht, Suizidandrohung, Kausalzusammenhang, Rechtsanwaltskosten, Zinsen, Kostenentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 53038

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.501,96 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 13. Februar 2021 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 13. Februar 2021 zu bezahlen.
3. Die Beklagte trägt Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.501,96 € festgesetzt.

Tatbestand

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Die Klägerin macht als vormalige Vermieterin der Beklagten einen Anspruch auf Schadenersatz wegen gewaltsamer Öffnung der Wohnungstür der von der Beklagten bewohnten Wohnung durch die Polizei gegenüber der Beklagten geltend.
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Die Beklagte mietete bei der Klägerin ab 5. Juli 2020 eine Neubau-Zweizimmerwohnung in München gemäß Mietvertrag Anlage K1 zum Preis von 1.635 € brutto. Die Beklagte befand sich aufgrund psychischer Probleme am 9. Oktober 2020 in psychiatrischer Behandlung im Bezirkskrankenhaus und wurde einen Tag später entlassen. Am 12. Oktober 2020 öffnete die Polizei gewaltsam aufgrund einer vorherigen Mitteilung per Twitter an die Pressestelle des Polizeipräsidiums München die Wohnungstür der Beklagten zwecks Nachschau (Anlage K3). Gemäß Rechnung vom 27. Oktober 2020 (Anlage K 4) entstanden insoweit der Klägerin Kosten in Höhe von 4.501,96 €. Am 13. Oktober 2020 (Anlage K 6) schrieb die Beklagte an die Hausverwaltung der Klägerin: „Eine Kostenübernahmebestätigung für sämtliche im Zusammenhang mit der 2. provisorischen Türe und der final neuen Türe wird hiermit bestätigt“. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2020 (Anlage B 2) lehnte die Beklagte den von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatz ab. Mit Schreiben vom 26. Januar 2021 (Anlage K5) verlangte die Klägerin von der Beklagten die Erstattung des vorgenannten Betrages für den Austausch der Wohnungseingangstür zuzüglich vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € für das klägerische Schreiben Anlage K 5. das mit Wellness ist mittlerweile aufgrund Kündigung der Beklagten beendet.
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Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor:
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Die Beklagte habe aufgrund ihrer Ankündigung eines Suizids über Twitter an die Pressestelle des Polizeipräsidiums Münchens die Nachschau der Polizei in der Wohnung der Klägerin verursacht und deshalb auch die gewaltsame Öffnung, nachdem die Beklagte nicht erreichbar gewesen sei, zu verantworten. Bei ihrem Antreffen am 12. Oktober 2020 nachmittags in der Nähe des Marstallplatzes habe die Beklagte dann die Suizidandrohung über Twitter gegenüber den Polizeibeamten eingeräumt. Den Schadenersatz bezüglich der Kosten für die neue Wohnungseingangstür schulde die Beklagte auch aufgrund ihrer Kostenübernahmeerklärung in der E-Mail Anlage K 6.
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Die Klägerin beantragte zuletzt wie im Termin vom 21. Januar 2022 gemäß Klageschriftsatz vom 27.07 2021 und wie tenoriert.
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Die Beklagte beantragte Klageabweisung.
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Sie hat im Wesentlichen vorgetragen:
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Die Mitteilung per Twitter an die Pressestelle des Polizeipräsidiums München sei nicht von der Beklagten ausgegangen. Sie habe auch keine Suizidabsicht gehabt. Die Beklagte sei am 12. Oktober 2020 um 14:00 Uhr beim Friseur gewesen. Die Aktion der Polizei sei unverhältnismäßig gewesen. Eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten gegenüber der Klägerin liege nicht vor. Unter Berücksichtigung von BGH 14. Dezember 2016 VIII ZR 49/16 besteht keine Haftung der Beklagten für die aufgebrochene Tür. Demgegenüber sei die Klägerin nach § 535 BGB zur Instandsetzung der Wohnungstüre verpflichtet gewesen.
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Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes gemäß § 313 Abs. 2 ZPO auf das schriftliche Parteivorbringen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 26. November 2021 und vom 21. Januar 2022 Bezug genommen. Das Gericht hat verschiedene Hinweise gegeben und Zeugenbeweis aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 28. Dezember 2021 und 11. Januar 2022 erhoben. Der im Termin vom 21.Januar 2022 auf Vorschlag des Gerichtes geschlossene Vergleich wurde von der Beklagten widerrufen, weil ihr die Ratenhöhe zu hoch war.

Entscheidungsgründe

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1) Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht München ist örtlich und sachlich ausschließlich zuständig nach § 29 a Abs. 1 ZPO und § 23 Nr. 1 GVG.
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2) Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadenersatz wegen der beschädigten Türe gemäß §§ 535, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 Abs. 2 BGB sowie ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 280 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB gegenüber der Beklagten zu.
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a) Nach §§ 535, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Mietvertrag Anlage K1 bestand für die Beklagte eine Obhutspflicht betreffend die Wohnungseingangstür der von ihr angemieteten Wohnung. Insoweit war die Beklagte verpflichtet, auf die Rechtsgüter der Klägerin Rücksicht zu nehmen.
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b) Gegen diese Obhutspflicht hat Beklagte schuldhaft verstoßen. Denn der Beklagten ist die Mitteilung vom 12. Oktober 2020 14:33 Uhr per Twitter an die Pressestelle des Amtsgerichts München zuzuordnen. Aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen im Termin vom 21. Januar 2022, die auch alle glaubwürdig wirkten, wurde der Twitter-Account, über den die Mitteilungen gemäß Anlage K2 abgeschickt wurden, über die Handynummer der Beklagten angelegt, sowie das Absenden des vorgenannten Twitterposts von der Beklagten bei ihrem Antreffen am 12. Oktober 2020 vor dem ... eingeräumt. Die von der Beklagten aufgestellte Behauptung, ihr Twitter Account sei gehackt worden, ist ohne konkreten Tatsachenvortrag hinterlegt, damit substanzlos und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich. Der vorgenannte Post (..Nicht jeder SV ist einer bzw. Suizident will gerettet werden, zumal die Polizei dafür verantwortlich gemacht wird, da im Vorfeld nicht ermittelt/die Lage heruntergespielt wurde. Noch nicht ist nicht aller Tage Abend .. Die Polizei verschlimmert die Lage bis zuletzt…“ durfte auch als Suizidandrohung verstanden werden. Dies ergibt sich insbesondere aus dem vorherigen Post der Beklagten von Samstag 10.10.2020, indem sie schreibt: „3 Stunden bis zum Ende“. Nachdem eine telefonische Kontaktaufnahme der Polizei mit der Beklagten letztlich nicht erfolgreich war, weil die Beklagte den Telefonanruf der Polizei zwar annahm, sie aber das Telefongespräch umgehend beendete, war objektiv und für die Beklagte subjektiv damit zu rechnen, dass die Polizei eine Nachschau in der Wohnung der Beklagten vornehmen würde. Nachdem auf Klingeln an der Wohnungseingangstür hin niemand öffnete, war die gewaltsame Öffnung der Tür durch die Polizei geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um sich über den Aufenthaltsort und Zustand der Beklagten sowie deren etwaige Hilfsbedürftigkeit zu versichern.
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c) Nach §§ 280 Absatz 1 Satz 2, 276 BGB hat die Beklagte Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, und ist für fehlendes Verschulden darlegungs- und beweisbelastet. Dass sich die Beklagte am 12. Oktober 2022 in einem Zustand befand, bei dem von Schuldunfähigkeit auszugehen ist, ist nicht von ihr vorgetragen worden und aufgrund der Aussagen der vernommenen drei Polizeibeamten auch fern liegend. Auch einen diesbezüglichen Beweisantritt hatte seitens der Beklagten nicht gegeben.
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d) Das Handeln der Polizei betreffend das Aufbrechen der Wohnungseingangstür ist entgegen der Ansicht der Beklagten unter Berücksichtigung der Entscheidung des BGH vom 14. Dezember 2016 VIII ZR 49/16 der Beklagten auch kausal zuzuordnen. Nach der Äquivalenztheorie ist jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (BGH, a.a.O, Rn 17). Zwischen dem Absetzen des Twitterpost durch die Beklagte sowie der Verweigerung eines Telefongesprächs mit der Polizei sowie dem anschließen Aufbrechen der Wohnungseingangstür besteht ein derartiger Kausalzusammenhang im Sinne einer conditio sine qua non. Ohne den Twitterpost der Beklagten sowie die Verweigerung eines Telefongesprächs mit der Polizei hätte es keinen Polizeieinsatz in der Wohnung der Beklagten gegeben. Das Handeln der Polizei ist auch adäquat kausal im Sinne von Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, Rn. 26 Vorb. § 249 BGB: denn die Möglichkeit des Aufbrechens der Wohnungseingangstür ist nicht außerhalb einer Wahrscheinlichkeit, wenn jemand eine Suizidandrohung vornimmt und ein Telefonat mit der Polizei verweigert. Der geltend gemachte Schaden an der Wohnungseingangstür ist nach Art und Entstehungsweise auch vom Schutzzweck des § 241 Abs. 2 BGB erfasst. Die Wohnungseingangstür ist ein Rechtsgut der Vermieterin.
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e) Hinsichtlich des Umfangs des Schadenersatzes gilt § 249 Abs. 2 BGB. Unstreitig handelte es sich um den Bezug eines Neubaus durch die Beklagte und damit eine neue Wohnungseingangstür. Die Klägerin hat durch die Vorlage der Rechnung Anlage K 4 den Nachweis geführt, dass ihr ein Schaden in Höhe von 4.501,96 € für eine neue Wohnungseingangstür an der von der Beklagten angemieteten Wohnung entstanden ist.
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f) Vor dem Hintergrund des Vorgenannten kann dahinstehen, ob in der Erklärung der Beklagten in ihrer E-Mail vom 13. Oktober 2022 (Anlage K 6) ein Anerkenntnis betreffend den Schadenersatz an der neuen Wohnungseigentumstür zu sehen ist.
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g) Die Beklagte ist auch zum Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2 des Tenors gem. §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB verpflichtet. Die Inanspruchnahme der Beklagten durch eine von der Klägerin beauftragte Rechtsanwaltskanzlei war erforderlich und zweckmäßig, nachdem die Beklagte trotz ihrer Erklärung v. 13.10.2021 Anlage K 6 nicht zahlte (vergleiche zum Ganzen Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, Rn. 57 zu § 249 BGB).
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h) Zinsen schuldet die Beklagte gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, 280 Abs. 2 i.V. m. dem Schreiben der Klägerin v. 26.01.2022 (Anlage K 5) zu,.
20
Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.
21
3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
22
4) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf § 709 ZPO.
23
5) Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG i.V. m. §§ 3 ff ZPO zu.