Titel:
Hinweispflicht des Anlagevermittlers
Normenkette:
BGB § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
Ein Anlagevermittler ist gegenüber einem Anleger verpflichtet, bei der Vermittlung einer Festgeldanlage einer Bank auf bonitätsrelevante Umstände, konkret die Aufnahme von Ermittlungen durch die BaFin und eine Herabstufung der Bonität durch eine Ratingagentur, hinzuweisen. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erfüllung eines Auskunftsvertrages "steht und fällt" mit der Erteilung einer richtigen und vollständigen Auskunft. Davon kann sich der Auskunftsverpflichtete nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen freizeichnen. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kapitalanlage, Anlagevermittler, Auskunftsvertrag, Aufsichtsbehörde, negative Berichterstattung, Rating, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Haftungsausschluss
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 07.08.2023 – 3 U 5647/22
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.09.2024 – III ZR 299/23
Fundstellen:
r+s 2023, 1024
BeckRS 2022, 51845
LSK 2022, 51845
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger … € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.06.2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung ihrer der im Insolvenzverfahren über das Vermögen der … Amtsgericht … Az. 508 IN 6/21, geltend gemachten Ansprüche
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von … € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basis-Zinssatz seit 30.03.2022 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss Der Streitwert wird auf … festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei verlangt von der Beklagten im Rahmen einer Teilklage Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlagevermittlung im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Festgeldanlage bei der … .
2
Die Klägerin ist eine … Gemeinde. Die Beklagte ist ein Anlagevermittlungsinstitut und verfügt über eine Erlaubnis nach § 34c GewO.
3
Die Parteien stehen seit 2012 in Geschäftsbeziehungen zueinander. Die Klägerin hat über die Beklagte insgesamt 85 Festgeldanlagen abgeschlossen, insbesondere in der Zeit von Anfang März 2017 bis Mitte Dezember 2020 Festgelder bei der … angelegt. Hierbei fanden die Gespräche in der Regel zwischen der Geschäftsführerin der Beklagten, Frau … und dem Gemeindekämmerer der Klägerin, Herrn … statt. Gelegentlich wurden für die Kläger auch die Mitarbeiterinnen der Kämmerei Frau … und Frau … tätig.
4
Die Klägerin hat u.a. folgende Festgelder bei der … unter Einschaltung der Beklagten angelegt:
1.) Handelsdatum 28.02.2020 – … € – Laufzeit 02.03.2020 bis 02.03.2021 – 0,02%
2. Handelsdatum) 06.10.2020 – … € – Laufzeit 16.10.2020 bis 18.10.2021 – 0,35%
3.) Handelsdatum 06.10.2020 – … € – Laufzeit 12.10.2020 bis 14.04.2021 – 0,10%
4.) Handelsdatum 03.11.2020 – … € – Laufzeit 05.11.2020 bis 05.11.2021 – 0,20%
5.) Handelsdatum 12.11.2020 – … € – Laufzeit 16.11.2020 bis 17.05.2021 – 0,03%
6.) Handelsdatum 11.12.2020 – … € – Laufzeit 14.12.2020 bis 14.06.2021 – 0,00%
7.) Handelsdatum 18.12.2020 – … € – Laufzeit 21.12.2020 bis 21.12.2021 – 0,08%
8.) Handelsdatum 21.12.2020 – … € – Laufzeit 23.12.2020 bis 23.12.2021 – 0,08%
9.) Handelsdatum 21.12.2020 – … € – Laufzeit 23.12.2020 bis 23.12.2021 – 0,08%
10.) Handelsdatum 21.12.2020 – … € – Laufzeit 23.12.2020 bis 23.12.2021 – 0,08%
11.) Handelsdatum 15.02.2021 – … € – Laufzeit 17.02.2021 bis 17.09.2021 – 0,02%
12.) Handelsdatum 26.02.2021 – … € – Laufzeit 02.03.2021 bis 03.03.2022 – 0,07%
(vgl. Anlagekonvolut K 2/K 12).
5
Bei den Festgeldanlagen Ziffer 1.) bis 5.) sowie 7.) bis einschließlich 12.) handelte es sich um Prolongationen bereits zuvor angelegter Festgelder. Die Anlage Ziffer 6.) war eine Erstanlage.
6
Am 19.08.2020 berichtete der Nachrichtendienst … erstmals über Unregelmäßigkeiten bei der … und über eine Prüfung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: BaFin) (K 14). Am 19.08.2020, 20.08.2020 und 15.10.2020 erschienen weitere Berichte spezieller Finanzmarkt-Informationsdienste über die … im Internet (K 3).
7
Der Klägerin waren diese Informationen nicht bekannt. Sie wurde von der Beklagten darauf nicht hingewiesen.
8
Am 03.03.2021 hat die BaFin gegenüber der … wegen drohender Überschuldung ein Veräußerung- und Zahlungsverbot erlassen und ein Moratorium angeordnet (K 4). Mit Beschluss vom 16.03.2021 hat das Amtsgericht … Az. 508 IN6/21, über das Vermögen der … das Insolvenzverfahren eröffnet (K 5)
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Die Klägerin behauptet, von der Beklagten nicht darüber informiert worden zu sein, dass diese wichtige Nachrichten und globale Finanzinformationen, einschließlich Preis-, Zeit- oder Finanzdaten, Transaktionen und Analysen nicht ständig verfolgt habe.
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Die Beklagte habe von der …-Meldung vom 19.08.2020 über Unregelmäßigkeiten bei der … und die von der BaFin bei der Bank durchgeführten Ermittlungen spätestens im Sommer 2020 Kenntnis gehabt oder hätte zumindest davon Kenntnis haben müssen.
11
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hätte sie im Oktober 2020 ausdrücklich und deutlich auf die Herabstufung des Ratings der … von A (-) auf BBB (+) hinweisen müssen, die – insbesondere vor dem Hintergrund der Berichterstattung im August 2020 – ein eindeutiges Warnsignal dargestellt habe. Allein die Angabe des jeweiligen Ratings in Klammern in den per Email versandten Konditionsmitteilungen der Beklagten (B 7) sei insoweit nicht ausreichend gewesen.
12
Bei pflichtgemäßer Information über die Ermittlungen bei der … hätte die Klägerin die streitgegenständlichen Festgeldanlagen bzw. Prolongationen nicht getätigt. Insbesondere würde sie am 14.12.2020 kein weiteres Festgeld bei der … angelegt bzw. prolongiert haben, wenn die Beklagte sie im August 2020, spätestens aber im Oktober 2020 im Zusammenhang mit der Herabstufung des Ratings pflichtgemäß über die Ermittlungen der BaFin im Hause der … informiert hätte; noch nicht fällige Festgelder würde sie dann vorzeitig gekündigt haben.
13
Die Klagepartei ist der Ansicht, zwischen den Parteien habe im Zusammenhang mit der streitgegenständliche Festgeldanlage ein Anlagevermittlungsverhältnis und damit ein Auskunftsvertrag bestanden. Dies ergebe sich schon aus der Selbstdarstellung der Beklagten in dem als Anlage K 1 vorgelegten Expose, in dem sie sich als Anlagevermittler iSd WpHG bezeichne. Auf die Selbstdarstellung der Beklagten, wonach sie ihr Wissen und ihre Kompetenz zur Verfügung stelle und sinnvolle Alternativen sowie einen Mehrwert zu bieten habe, habe sich die Klägerin verlassen.
14
Gerade diese besonderen Kenntnisse und Kompetenzen der Beklagten habe die Klägerin in Anspruch nehmen wollen. Als Anlagevermittlern sei die Beklagte verpflichtet gewesen, die Klagepartei richtig und vollständig über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für den Anlageentschluss der Klägerin von Bedeutung gewesen seien, zu informieren. Zumindest hätte die Beklagte ihre fehlende Sachkunde gegenüber der Klägerin offenlegen müssen. Da sie dies pflichtwidrig unterlassen habe, sei sie der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet.
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Die Klägerin habe einen Schaden in Höhe von insgesamt … erlitten. Hierbei handele es sich um die Summe aller zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der … noch nicht fälligen Festgelder der Klägerin.
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Bei dem im Rahmen der vorliegenden Teilklage geltend gemachten Teilbetrag von … € handle es sich um das mit Festgeldanlage vom 14.12.2020 (oben Ziffer 6.)) von der Klägerin über die Beklagte bei der angelegte Festgeld.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von … zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.06.2021 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von … € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.06.2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung der auf den geltend gemachten Anspruch gegen die Beklagte entfallenden Quote im Insolvenzverfahren über das Vermögen der … Amtsgericht … Az. 508 IN 6/21.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von … € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. <<<
18
Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor, ihre Geschäftsfelder als unabhängiges Finanzdienstleistungsunternehmen beträfen u.a. die Vermittlung von Termin- und Festgeldern für Kommunen u.ä.. Wie schon in ihrem Expose (K 1) sowie in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (B 2), deren Geltung zwischen den Parteien vereinbart worden sei, unter „Geltungsbereich“ und „Geschäftsgegenstand“ ausdrücklich angegeben, trete die Beklagte ausschließlich als Abschluss- und Anlagevermittlerin auf. Eine Überprüfung und/oder Überwachung der Bonität der Banken, bei denen eine Geldanlage vermittelt werde, werde nicht angeboten. Die Beklagte stelle als Vermittlerin dem Anleger die Anlageprodukte lediglich vor. Die Beklagte beruft sich insbesondere auf die Risiko- und Haftungsbeschränkung in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter Ziffer 3.) und 4.).
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Klägerin Herr … wünsche einzig Festgeldanlagen bei der … . Offenbar habe bei der Klägerin eine Anlagerichtlinie bestanden, die sie der Beklagten aber nicht mitgeteilt habe. Wie sich aus dem Artikel des vom 26.03.2021 (B 4) zu Äußerungen des Bürgermeisters … im Gemeinderat ergebe, habe sich die Klägerin bei ihren Geldanlagen jeweils selbst ein Bild der Bank, bei der die Geldanlagen erfolgt seien, gemacht und sich nicht auf die Empfehlung von Vermittlern verlassen. Maßgeblich für die Finanzverwaltung der Gemeinde seien dabei die Jahresabschlüsse der Kreditinstitute sowie die Testate der jeweiligen Wirtschaftsprüfer gewesen, die regelmäßig eingesehen worden seien.
21
Die … habe bis zum Schluss ihrer Geschäftstätigkeit ein gutes Rating gehabt. Mit Email vom 02.06.2020 an Frau … habe die Beklagte das Scope-Rating der … von A (-) mitgeteilt (B 6). ln der Zeit zwischen dem 06.10.2020 und dem 25.02.2021 habe das Scope-Rating für die … dann bei BBB (+) gelegen. Auch dies habe die Beklagte der Klägerin jeweils per Email mitgeteilt (B 7). Eine Ratingverschlechterung von A (-) auf BBB (+) habe das Ausfallrisiko lediglich unwesentlich von 0,11% auf 0,12% verändert. Soweit die Anlageentscheidungen der Klägerin tatsächlich maßgeblich von Ratings abhängig gewesen sein sollten, läge die Ursache für einen Verlust der Kapitalanlage nicht in den Mitteilungen der Ratings durch die Beklagte, sondern darin, dass diese Ratings möglicherweise nicht zutreffend gewesen seien, was die Beklagte aber nicht habe erkennen können.
22
Die in der Klageschrift erwähnte negative Berichterstattung über die … sei der Beklagten nicht bekannt gewesen. Erst Ende Februar/Anfang März 2021 sei der Beklagten bekannt geworden, dass die BaFin Prüfungen bei der … durchführe und dass es sich dabei nicht um Routineprüfungen gehandelt habe, sondern dass schwerwiegende Beanstandungen Vorgelegen hätten, im Rahmen derer wohl auch fehlerhafte Jahresabschlüsse zu beanstanden sein würden. Vor dem 03.03.2021 habe die BaFin ihre Prüfungen bzw. irgendwelche Warnhinweise nicht offengelegt und offensichtlich bis zu dem ohne Vorwarnung verhängten Moratorium vom 03.03.2021 keinen Anlass zu weiteren Maßnahmen gesehen.
23
Die Beklagte ist der Ansicht, zwischen den Parteien sei wegen der Hinweise in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass weder eine Anlageberatung erfolge noch die Bonität der Emittenten überprüft werde, weder ein Anlageberatungsvertrag noch ein Auskunftsvertrag zustande gekommen.
24
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf sämtliche eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Terminprotokoll Bezug genommen.
25
Die Parteien haben sich am 29.07.2022 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 12 8 Abs. 2 ZPO einverstanden erklärt. Gemäß Beschluss vom 29.07.2022 wurden bis zum 12.08.2022 bei Gericht eingegangene Schriftsätze bei der Entscheidung berücksichtigt.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Teilklage ist begründet.
27
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe von … € aus § 28 0 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen schuldhafter Verletzung von Pflichten aus Auskunftsvertrag, Zug um Zug gegen Abtretung der im Insolvenzverfahren über das Vermögen der … Amtsgericht …, Az. 508 IN 6/21, geltend gemachten Ansprüche
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1. Die vorliegend erhobene Teilklage ist zulässig, insbesondere entbehrt sie nicht der notwendigen Substantiierung (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
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Bei einer Teilleistungsklage, mit der ein selbständiger Teil eines Anspruchs geltend gemacht werden soll, bedarf es einer näheren Spezifizierung, welchen Teil des behaupteten Gesamtanspruchs zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden soll. Andernfalls ist weder der Streitgegenstand noch die materielle Rechtskraft sowie die Verjährung zu bestimmen. Fehlt es an der gebotenen Abgrenzung, ist die Klage unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2008 – IX ZR 96/06 –, Rn. 6-8, juris) mwN).
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Die danach notwendige Konkretisierung hat die Klagepartei vorliegend durch Erklärung ihres Prozessbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgenommen, indem sie den geltend gemachten Schadensteilbetrag von … € ausdrücklich der Festgeldanlage Ziffer 6.) mit Handelsdatum vom 11.12.2020 in Höhe von … € mit einer Laufzeit vom 14.12.2020 bis 14.06.2021 zugeordnet hat.
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2. Die erhobene Teilklage erweist sich auch als begründet.
32
2.1. Unstreitig ist zwischen den Parteien kein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. Auch steht zwischen den Parteien nicht in Streit, dass die Beklagte ausschließlich – so auch im Verhältnis zur Klagepartei im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Festgeldanlage – als Abschluss- und Anlagevermittlerin tätig geworden ist. Allein die hieraus sich ergebende Pflichten der Beklagten sind zwischen den Parteien umstritten.
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2.2. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird der Anlagevermittler in der Regel im Interesse des Kapitalanlagen-Anbieters tätig und ist mit dem Vertrieb einer bestimmten Anlage befasst. Zwischen ihm und dem Anlageinteressenten kommt stillschweigend ein Auskunftsvertrag zustande, wenn der Interessent deutlich macht, dass er bei der Anlageentscheidung die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen will und der Vermittler daraufhin tätig wird (vgl. BGH III ZR 193/05).
34
Nach Maßgabe dieses Grundsatzes ist vorliegend zwischen den Parteien ein Auskunftsvertrag zustande gekommen.
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Nach Überzeugung des Gerichts liegt es nämlich auf der Hand, dass sich die Klägerin für die streitgegenständlichen Festgeldanlage bei der … nur deshalb an die Beklagte gewandt hat, um deren besonderen Kenntnisse und Verbindungen als Abschluss- und Anlagevermittlerin in Anspruch zu nehmen.
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Festgeld ist eine Geldanlage mit festgelegter Laufzeit, für die Kunde und Geldinstitut einen festen Zins vereinbaren. Je nach Laufzeit erhält der Kunde eine Verzinsung, die sich unter anderem an dem jeweiligen Marktzins orientiert. Da die Zinsen fest vereinbart und garantiert sind, bietet das Festgeld eine hohe Planungssicherheit. Es eignet sich daher für solche Kunden, die eine konservative, sichere Anlage zum Erhalt ihres Vermögens bevorzugen. Im Gegensatz zum Tagesgeld, das dem Kunden prinzipiell täglich zur Verfügung steht, dessen Zinsen sich jedoch ebenso täglich ändern und niedriger sein können als beim Festgeld, kann der Sparer mit der im Festgeldvertrag vereinbarten Rendite sicher kalkulieren.
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Entsprechend dieser eigentlich denkbar einfachen Struktur der Festgeldanlage, bedarf es dafür in der Regel zwischen Anleger und Kreditinstitut nicht der Zwischenschaltung eines entgeltlich tätigen Vermittlers. Dass sich die Klägerin vorliegend dennoch für die Dienstleistung der Beklagten entschieden hat, macht nach Auffassung des Gerichts deutlich, dass es ihr gerade auf deren besondere Kenntnisse und Verbindungen ankam, denn ansonsten hätte sie ihre Festgeldanlagen stets auch direkt (und per Saldo wohl auch kostengünstiger) bei der … selbst abschließen könne. Dies umso mehr, als nach den eigenen Behauptungen der Beklagten die klägerische Kämmerei einzig Festgeldanlagen bei der … gewünscht habe, diesbezüglich sogar eine interne Anlagerichtlinie bestanden habe und die 85 von der Klägerin über die Beklagte getätigte Festgeldanlagen ganz überwiegend bei der … abgeschlossen worden seien. Danach kann aber kein anderer Grund für die Einschaltung der Beklagten bestanden haben, als deren Wissen und Kompetenz – mit denen sie sich selbst in ihrem Expose (K 1) auf Seite 2 darstellt – in Anspruch nehmen zu können. Denn wenn die Klägerin, wie die Beklagte behauptet, derartig „festgelegt“ war in ihren jeweiligen Anlageentscheidungen, hätte sie doch ohne Weiteres jeweils unmittelbar selbst ihr Festgeld bei der Bank anlegen können. Dass sie dies aber im Gegenteil stets über die Beklagte als Anlagevermittlerin tat, zeigt, dass sie von dieser zusätzliche sachkompetente Leistungen erhalten wollte. Da solche Leistungen beim Auskunftsvertrag naturgemäß nur Auskünfte und Informationen sein können, ist zu schlussfolgern, dass es der Klägerin genau darauf ankam.
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In diesem Sinne hat sich auch der Bürgermeister der Klägerin auf Frage des Gerichts im Termin zur mündlichen Verhandlung eingelassen.
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2.3.1.Dem Anlagevermittler, der für eine bestimmte Kapitalanlage im Interesse des Kapitalsuchenden und auch mit Rücksicht auf die ihm von diesem versprochene Provision den Vertrieb übernommen hat und deshalb einem Handelsvertreter oder Verkäufer ähnlich dafür wirbt, tritt der Anlageinteressent selbstständiger als einem Anlageberater gegenüber. An ihn wendet er sich in der Regel in dem Bewusstsein, dass der werbende und anpreisende Charakter der Aussage im Vordergrund steht. Daher zielt der Vertrag, der zwischen dem Anlageinteressenten und einem solchen Anlagevermittler zu Stande kommt, lediglich auf Auskunftserteilung ab.
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Auch bei einem bloßen Anlagevermittler geht der Anlageinteressent aber grundsätzlich davon aus, dass die von ihm durch Übernahme des Vertriebs bekundete Überzeugung von einer Kapitalanlage auf objektiven Informationen über den wirtschaftlichen Stand des Unternehmens bzw. der begebenden Bank beruht. Wer sich als Anlagevermittler betätigt, hat daher entweder über die dafür nötigen und erwarteten Kenntnisse zu verfügen oder offenzulegen, dass das nicht der Fall ist (vgl. u.a. BGH III ZR 25/92; BGH IVa ZR 286/80).
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Der Anlagevermittler schuldet dem Anlageinteressenten eine richtige und vollständige Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für dessen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind (vgl. BGH III ZR 56/11). Insoweit kann das Pflichtenprogramm nach FinVermV § 11 ff. herangezogen werden. Obwohl der Anlagevermittler in der Regel keine Bewertung dieser Umstände schuldet, ist er jedoch – unabhängig davon, ob er besonderes Vertrauen genießt – verpflichtet, das jeweilige Anlagekonzept (wenigstens) auf wirtschaftliche Plausibilität, insbesondere auf wirtschaftliche Tragfähigkeit hin zu überprüfen, denn sonst kann er keine sachgerechten Auskünfte erteilen (vgl. BGH III ZR 56/11; BGH III ZR 122/05; BGH III ZR 62/99).
42
Dazu bedarf es – jedenfalls grundsätzlich – vorab der eigenen Information des Anlagevermittlers hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Kapitalanlage und der Bonität des Kapitalsuchenden. Denn ohne zutreffende Angaben über die hierfür maßgeblichen Umstände kann der Anlageinteressent sein Engagement nicht zuverlässig beurteilen und keine sachgerechte Anlageentscheidung treffen. Liegen dazu objektive Daten nicht vor oder verfügt der Anlagevermittler mangels Einholung entsprechender Informationen insoweit nur über unzureichende Kenntnisse, so muss er dies dem anderen Teil zumindest offenlegen (vgl. BGH III ZR 632/99; BGH III ZR 17/08; vgl. Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 280, Rn. 52 mwN).
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2.3.2. Vorliegend hat die Beklagte selbst vorgetragen, die negative Berichterstattung über die … vom August bzw. Oktober 2020 (K 3), insbesondere die … Mitteilung vom 19.08.2020, nicht gekannt zu haben. Unstreitig hat sie diese unzureichenden Kenntnisse der Klägerin gegenüber vor Abschluss der streitgegenständlichen Festgeldanlage Ziffer 6.) in Höhe von … mit Handelsdatum 11.12.2020 mit Laufzeit vom 14.12.2020 bis 14.06.2021 nicht offengelegt. Schon allein hierdurch hat sie gegen ihre Pflichten zur richtigen und vollständigen Information als Anlagevermittlerin verstoßen.
44
In der …-Mitteilung vom 19.08.02020 (K 14) wird nämlich berichtet, die in … ansässige, im Jahre 2014 vom … Milliardär … erworbene … die seitdem als … firmierte, habe plötzlich ihre Bilanz um mehr als das siebenfache erhöht und Zinssätze über dem Marktpreis angeboten. Die dadurch herangezogenen Einlagen seien in von der Muttergesellschaft … bezogene Vermögenswerte investiert worden. Dieses plötzliche Wachstum der Bank habe die Aufmerksamkeit der BaFin sowie ihres Einlagensicherungsprogramms auf sich gezogen. Es werde befürchtet, dass zu viele Vermögenswerte in den Büchern der Bank letztlich an dieselbe Quelle gebunden seien, nämlich den … Unternehmer … der in marode Stahl- und Kraftwerke investiere und sie umbaue. Die „Wachhunde“ der BaFin hätten das Portfolio überprüft, um das Ausmaß der Verbindungen zu bestimmen, und erwägten die Auferlegung von Obergrenzen oder zusätzlichen Kapitalanforderungen. Das Problem bestehe in den Augen der Aufsichtsbehörden darin, dass ein großer Teil des Kreditportfolios von … aus Krediten an Kunden von Unternehmen bestehe, die von … kontrolliert würden und die laut einem im August 2019 veröffentlichten Bericht von Scope-Ratings rund 2/3 der Kredite der Bank ausmachten. Daneben habe die … seit mindestens 2005 keine nennenswerten Gewinne mehr gemacht, zahle aber derzeit einen Zinssatz von 0,7% für Euro Einlagen, die für ein Jahr angelegt würden. Dies sei der höchste Wert unter den deutschen Banken, die auf dem Vergleichsportal Weltsparen.de gelistet seien. Dementsprechend hätten sich die Kundeneinlagen von Ende 2017 bis Mai 2019 auf 960 Millionen Euro mehr als verdreifacht. Damit hänge die finanzielle Leistung der … entscheidend von der Fähigkeit der Muttergesellschaft ab, genügend Vermögenswerte zu generieren, in die die Bank investieren könne.
45
Diese in dem Artikel geschilderten konkreten Gefahren im Zusammenhang mit Einlagen bei der … zu denen auch die streitgegenständliche Festgeldanlage zu zählen ist, die eine deutliche Risikoerhöhung der grundsätzlich konservativen und sicheren Anlageform der Festgeldanlage bedeuteten, gehören aber zu den Umständen, die die Klägerin für die zuverlässige Beurteilung ihres Engagements dringend benötigte und ohne die sie weder dessen Wirtschaftlichkeit und noch die Bonität der … als solche angemessen einordnen konnte. Dies umso mehr, als die Klägerin als Kommune nicht dem Schutz der Einlagensicherung unterliegt.
46
2.4. Die Beklagte war der Plausibilitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfung – und der sich gegebenenfalls daran anschließenden Ermittlungen – auch nicht deshalb enthoben, weil sie bei pflichtgemäßer Prüfung der ihr vorliegenden Informationen davon ausgehen durfte, bereits zuverlässig Auskunft zur Festgeldanlage erteilt zu haben, insbesondere durch Angabe des auf BBB (+) gefallenen Ratings der Bank per Email.
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Die Beklagte hat schon keine Email vorgelegt, die im Zusammenhang mit der Festgeldanlage Ziffer 6.) vom 11./14.12.2020, die allein Gegenstand der Teilklage ist, stehen würde. Im Anlagekonvolut B 7 befinden sich lediglich Emails vom 06.10.2020, 03.11.2020, 11.11.2020, 15.02.2021 und 25.02.2021, die sich – wie durch Abgleich des jeweiligen Datums offensichtlich ist – auf die Festgeldanlagen Ziffer 3.), 4.) 5.) 11.) und 12.) beziehen.
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Zudem ist die völlig unkommentierte Angabe eines Ratings von BBB (+) allein noch keine Information darüber, dass eine Herabstufung von A (-) stattgefunden hat. Die Klägerin hätte dies allenfalls erkennen können, wenn sie selbst einen Vergleich mit der Email der Beklagten vom 02.06.2020 (B 6) angestellt hätte, in der das Rating der … noch mit A(-) angegeben war. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, eine den Anlagevermittler im Zusammenhang mit einer Anlageentscheidung treffende Informationspflicht auf den Anlageinteressenten abzuwälzen und ihm dabei aufzubürden, die eine andere Anlage betreffende, über ein halbes Jahr alte Korrespondenz mit dem Anlagevermittler durchzugehen.
49
Abgesehen davon wäre auch mit einer ausdrücklichen Information über die Herabstufung des Ratings der … noch nichts über die in der … Meldung vom 19.08.2020 beschriebenen Unregelmäßigkeiten und Risiken bei der … und die von der BaFin bei der Bank beabsichtigten bzw. durchgeführten Ermittlungen gesagt gewesen.
50
3. Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf die Risiko- und Haftungsbeschränkung in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter Ziffer 3.) und 4.) berufen.
51
Zwar wurden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten unstreitig zum Gegenstand des Vermittlungsvertrages vom 11/14.12.2020 gemacht, wie sich auch aus der Auftragsbestätigung unter rechts „Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter: www.w…de/agb“ ergibt.
52
Ein solcher Haftungsausschluss ist jedoch unwirksam. Bei einer solchen Freistellungsklausel handelt es sich nämlich um eine den Vertragspartner unangemessen benachteiligende Bestimmung in AGB gern. § 307 Abs. 1 S.1,2, Abs. 2 BGB. Darin ist nämlich eine unzulässige Einschränkung der Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung einer sog. „Kardinalpflicht“ zu sehen. Die Haftungsfreistellung unterscheidet nämlich nicht zwischen vertraglichen Haupt- und Nebenpflichten, umfasst also bei einem Auskunftsvertrag, wie er hier zwischen den Parteien geschlossen wurde, auch die Auskunftsverpflichtung selbst. Die Erfüllung eines Auskunftsvertrages „steht und fällt“ aber gerade mit der Erteilung einer richtigen und vollständigen Auskunft. Davon kann sich der Auskunftsverpflichtete nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen freizeichnen (vgl. BGH III ZR 62/99). Ansonsten verbliebe von der vom Anlagevermittler dem Anlageinteressenten geschuldeten Informationsverpflichtung nichts übrig, der Auskunftsvertrag wäre eine inhaltlose Hülle.
53
Aus demselben Grund stellt die Haftungsbeschränkung in den AGB der Beklagten auch keine Offenlegung ihrer unzureichenden Kenntnisse (vgl. oben 2.3.) dar.
54
4. Wie oben ausgeführt, fällt der Beklagten eine schuldhafte Verletzung des mit der Klägerin geschlossenen Auskunftsvertrages zur Last, weil sie vor Abschluss der streitgegenständlichen Festgeldanlage nicht offenlegte, keine objektiven Informationen zur aktuellen Bonität und wirtschaftlichen Bewertung der … eingeholt zu haben, insbesondere vor dem Hintergrund der in der Finanzberichterstattung veröffentlichten Unregelmäßigkeiten und konkreten Gefahren für Einlagen bei der … . Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die in einem wesentlichen Punkt unvollständige Auskunft ursächlich für die Beteiligungsentscheidung der unstreitig auf eine sichere Festgeldanlage bedachten Klägerin war (Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens).
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4. Die Klägerin kann Ersatz ihres Vertrauensschadens in Höhe von 1.000.000,- € verlangen.
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Als Rechtsfolge einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist der Anleger so zu stellen, wie er ohne Vornahme des Anlagegeschäfts stehen würde. Ist die Anlage wertlos, folgt daraus ein Schadensersatzanspruch in Höhe des investierten Kapitals (Kienle, Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 110 Rz. 10). Ausgangspunkt der Schadensberechnung ist danach, dass die Klägerin ihr Kapital behalten hätte und ihr grundsätzlich ein Verlust in dieser Höhe zu erstatten ist (BGH XI ZR 180/97). Hier hat die Klägerin zwar am 11/14.12.2020 1.019.748,70 € als Festgeld bei … angelegt. Da sie jedoch insoweit lediglich einen Schaden in Höhe von … € geltend macht, war ihr auch nicht mehr zuzusprechen.
57
Damit war der Teilklage vollumfänglich stattzugeben.
III. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 S. 1, 2, 3 ZPO.