Titel:
Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtung
Normenkette:
BGB § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 826, § 852
Leitsätze:
1. Der Beginn der Verjährungsfrist tritt bereits dann ein, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist. Grob fahrlässige Unkenntnis iSv § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn die den Anspruch begründenden Umstände dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt hat oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. In den sogenannten Dieselfällen besteht ein Anspruch aus § 852 BGB gegen den Hersteller jedenfalls dann nicht, wenn der klagende Käufer das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einem Dritten erworben hat, weil dann kein mit einem Nachteil beim Geschädigten korrespondierender Zufluss beim Hersteller vorliegt. (Rn. 40 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Berichterstattung, Verjährung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 21.04.2023 – 35 U 7250/22 e
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47207
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 28.816,76 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sogenannten „Abgasskandal“.
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Die Klagepartei erwarb am 13.09.2016 von der Firma Staudinger Kfz-Handel in Mühlhausen das Gebrauchtfahrzeug Audi Q5 3.0 TDI Euro 6, 190KW mit der Fahrzeugidentifikationsnummer FIN …50 zu einem Kaufpreis in Höhe von 39.990,00 € brutto. Die Laufleistung des Fahrzeugs betrug zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages 29.600 Kilometer. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung belief sich die Laufleistung auf 105.250 Kilometer.
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Der in dem Fahrzeug verbaute, von der Beklagten hergestellte Motortyp war Gegenstand eines Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes, da der Motor über eine Abschalteinrichtung verfügte, durch die softwaretechnisch im Prüfstand eine im Vergleich zum normalen Fahrbetrieb erhöhte Rückführung von Abgasen vorgenommen wurde. Das vom KBA angeordnete Software-Update wurde zwischenzeitlich aufgespielt.
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Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor, die Beklagte habe in der Motorsteuerung des Motors eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Das Fahrzeug sei daher durch die Beklagte werksseitig manipuliert gewesen hinsichtlich der Schadstoffwerte. Außerdem sei eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters implementiert.
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Die Klagepartei stützt ihre Ansprüche insbesondere auf § 826 BGB. Sie ist der Ansicht, dass der Anspruch nicht verjährt sei. Der Kläger habe erst durch das Aufforderungsschreiben, das er 2019 erhalten habe, von der Betroffenheit seines Fahrzeugs Kenntnis erlangt.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.816,76 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs Audi Q4 3.0 TDI mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer …50.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs Audi Q5 3.0 TDI Fahrzeugidentifizierungsnummer …50 in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte ist der Ansicht, es liege keine deliktische Handlung der Beklagten vor. Die Klagepartei habe eine Täuschung der Beklagten oder eine andere gegenüber der Klagepartei als besonders verwerflich anzusehende Handlung nicht dargelegt. Die im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Software habe nicht die Fahrbereitschaft eingeschränkt oder die erforderlichen Genehmigungen beeinträchtigt.
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Die Beklagte ist ferner der Ansicht, für das Fahrzeug liege eine wirksame EG-Typengenehmigung vor. Die Tatsache, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Software ausgestattet gewesen sei, welche den Stickoxidausstoß im Prüfstand beeinflusste, habe an Bestand und Wirksamkeit der Genehmigung nichts geändert. Das Fahrzeug sei für den Straßenverkehr zugelassen worden und habe jederzeit uneingeschränkt genutzt werden können. Die Beklagte bestreitet die Kausalität zwischen einer etwaigen Täuschung/Schädigungshandlung und dem konkreten Vertragsabschluss.
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Im Übrigen seien Ansprüche der Klagepartei bereits verjährt.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.10.22 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert; der Kläger wurde informatorisch angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 112/115 d. A.) vollumfänglich Bezug genommen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt der dazu vorgelegten Unterlagen zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage war zulässig, insbesondere war das Landgericht Ingolstadt örtlich gemäß § 17 ZPO und sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zur Entscheidung zuständig.
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In der Sache bleibt die Klage jedoch ohne Erfolg, da etwaige deliktische Ansprüche, insbesondere nach § 826 BGB, der Klagepartei verjährt sind.
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I. Etwaige deliktische Ansprüche des Klägers sind verjährt. Dem Kläger könnten gegen die Beklagte aufgrund der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Umschaltlogik auch nur deliktische Ansprüche zustehen. Ob derartige Ansprüche tatsächlich bestanden, kann offen bleiben, da diese auf jeden Fall verjährt wären.
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Im vorliegenden Fall gilt die regelmäßige Drei-Jahres-Frist nach § 195 BGB. Diese beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Beklagte ist dabei für die maßgeblichen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig. Der streitgegenständliche Anspruch ist bereits mit Kaufvertragsschluss, spätestens jedoch mit Verjährung der kaufvertraglichen Mängelrechte entstanden.
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Nach Überzeugung des Gerichts hat der Kläger auch spätestens bis Ende des Jahres 2018 von allen anspruchsbegründenen Umständen Kenntnis erlangt, bzw. ist ihm insofern grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen.
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1. a) Nach der Rechtsprechung des BGH liegt die nach § 199 I Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den, den Anspruch begründenden Umständen im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. (BGH, Urteil vom 15.3.2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, 1187).
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b) Die Klagepartei musste von allen anspruchsbegründenden Umständen im Jahr 2018 zumindest ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen.
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Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn die oben genannten Umstände dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt hat oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (BGH, Urteil vom 15.3.2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, 1187). Der Gläubiger ist zwar nicht gehalten, umfängliche Nachforschungen über die anspruchsbegründenden Tatsachen und die Person seines Schuldners anzustellen, aber es besteht die Obliegenheit, sich zumindest über diejenigen Umstände zu informieren, bei denen dies mühelos und ohne erheblichen Kostenaufwand möglich ist, so dass das Unterlassen von Ermittlungen geradezu unverständlich erscheint. Dabei sind jedoch die konkreten Umstände des Einzelfalls zu beachten: Im Vertragsrecht können von einem Vertragspartner regelmäßig weitergehende Nachforschungen erwartet werden als von dem Geschädigten im Deliktsrecht, auch ist die Nachforschungsobliegenheit eines Unternehmers weitergehender als jene eines Verbauchers. Eine generelle Obliegenheit des Gläubigers, Presseveröffentlichungen zu verfolgen, besteht dabei nicht (MüKoBGB/Grothe, 8. Aufl. 2018, BGB § 199 Rn. 31 m.w.N.).
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Der Klagepartei mussten sich im Jahr 2018 sämtliche Umstände aufdrängen, die für eine schlüssige Klageerhebung erforderlich gewesen wären:
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1. Dass es einen Abgasskandal gibt, war aufgrund der ständigen Berichterstattungen in allen Medien hierzu klar.
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2. Dass der streitgegenständliche Fahrzeughersteller, der streitgegenständliche Motortyp sowie das Fahrzeug des Klägers konkret betroffen ist, musste sich dem Kläger aufgrund der ständigen Berichterstattungen in den Medien und den Überprüfungsmöglichkeiten der Betroffenheit des Fahrzeugs im Internet sowie bei Vertragshändlern ebenfalls aufdrängen.
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3. Dass Mitarbeiter des Herstellers die Software absichtlich programmiert haben, dies dem Hersteller zuzurechnen ist und Zweck der Software eine Kostensenkung zulasten eines erhöhten Schadstoffausstoßes war (sittenwidriges Gepräge), musste sich dem Kläger ebenfalls aufgrund der Berichterstattungen aufdrängen.
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Bereits im Januar 2018 wurde in allen Medien über den Rückruf weiterer Dieselfahrzeuge der Beklagten berichtet. Insbesondere aus der Pressemitteilung des Kraftfahrtbundesamtes, die in allen regionalen und überregionalen Medien Verbreitung fand, ging zweifelsfrei hervor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von einem verpflichtenden Rückruf aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen ist. So lautete die nach wie vor auf der Internetseite des Kraftfahrtbundesamtes abrufbare Pressemitteilung vom 23.01.2018 wie folgt:
„Rückruf für Audi 3.0 l Diesel Euro 6 Flensburg, 23. Januar 2018. Bei der Überprüfung der Audi 3.0 l Euro 6, Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5, Q7, durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurden unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen. Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmfunktion springt bei diesen Fahrzeugen nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibt diese NOx-Schadstoffminderung. Die Strategien unterscheiden sich leicht von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp.
Das KBA hat deshalb in den vergangenen Wochen verpflichtende Rückrufe dieser Fahrzeuge angeordnet, um die Vorschriftsmäßigkeit der produzierten Fahrzeuge wiederherzustellen. Davon sind in Deutschland rund 77.600 und weltweit insgesamt rund 127.000 zugelassene Fahrzeuge betroffen.
Die Produktion von Neufahrzeugen wurde bereits durch Audi umgestellt.
Audi wurde aufgefordert, dem KBA bis Anfang Februar ein Motorsoftware-Update für die betroffenen Fahrzeuge vorzustellen. Freigaben durch das Kraftfahrt-Bundesamt erfolgen, wenn das KBA sich von der Wirksamkeit der optimierten Emissionskonzepte überzeugt hat und keine Zweifel an der Zulässigkeit der optimierten Konzepte bestehen.“
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Weiterhin konnte beispielsweise am 23.01.2018 in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Audi Noch mehr mögliche Betrugsfälle“ folgendes gelesen werden: „Die neueste Rückrufaktion betrifft die Audi-Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5 und Q7 mit der Abgasnorm Euro 6. Hier habe das KBA „unzulässige Abschaltvorrichtungen“ festgestellt, bestätigte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums am Wochenende, nachdem die Bild am Sonntag darüber berichtet hatte.“ Spiegel Online titelte am 21.01.2018: „Audi muss 130.000 weitere Fahrzeuge umrüsten“. In dem Bericht dazu wurde unter anderem ausgeführt: „In der Abgasaffäre muss Audi fast 130.000 weitere Dieselfahrzeuge in die Werkstätten zurückholen und umrüsten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat für V6-Dieselfahrzeuge von Audi einen Zwangsrückruf verhängt. Der Hersteller sei darüber informiert worden, dass die Behörde in den Audi-Modellen A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5 und Q7 mit der Abgasnorm 6 „unzulässige Abschaltvorrichtungen“ festgestellt habe, bestätigte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums am Sonntag in Berlin.“
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Auch in Bild am Sonntag war im Januar 2018 zu lesen: „Unfassbar – Audi baut immer noch Betrugssoftware ein“: Denn nach BamS-Informationen hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) allein im Dezember sechs Zwangsrückrufe gegen Audi verhängt. Demnach hat das KBA bei allen V6-Dieselmotoren mit der neuesten Abgasnorm Euro 6 „unzulässige Abschaltvorrichtungen“ festgestellt. Betroffen sind die Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ 5, SQ 5 plus und Q 7. Insgesamt geht es um 127 000 Fahrzeuge.“
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Ferner war durch die Beklagte eine Internetseite eingerichtet worden, bei der Fahrzeugeigentümer die Betroffenheit eines konkreten Fahrzeugs von einer Feldmaßnahme überprüfen konnten. Soweit sich die Klagepartei darauf beruft, dass sich aus der Abfragemöglichkeit nicht ohne weiteres ergeben hätte, dass das Fahrzeug von einem verpflichtenden Rückruf betroffen war, so hätte dies jedoch ohne weiteres durch eine kurze Nachfrage bei einem Vertragshändler oder aber eine Überprüfung über die Internetseite des Kraftfahrtbundesamtes geklärt werden können. Diese Maßnahmen hätten nur wenige Minuten in Anspruch genommen aber zu einer zweifelsfreien Klärung der Betroffenheit des Fahrzeugs geführt.
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Die Manipulation der Beklagten und insbesondere der Umstand, dass nun auch 3.0 Liter-Motoren der Beklagten betroffen waren, war im Jahr 2018 in sämtlichen Medien ständig Thema. Über die Verwendung der Abschalteinrichtung ist bereits ab Januar 2018 in Presse, Funk und Fernsehen umfangreich und wiederholt berichtet und in der breiten Öffentlichkeit diskutiert worden. Sie war monatelang ein die Nachrichten beherrschendes Thema. Auch über die Einrichtung des Links zur Suchmaschine auf der Website der Beklagten, die Maßnahmen des KBA und die Bereitstellung des Software-Updates wurde in den Medien breit berichtet.
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Der Kläger gab im Rahmen der informatorischen Anhörung auch an, schon vor Erhalt des Rückrufschreibens aus den Medien von dem Dieselskandal erfahren zu haben und dass bestimmte Motoren Abschalteinrichtungen haben würden. Allein aufgrund des Umstandes, dass er in den Jahren 2017 und 2018 keinen Hinweis von dem Verkäufer oder seiner Werkstatt von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erhalten habe, sei er davon ausgegangen, dass er kein Fahrzeug habe, das die Technik habe. Er räumte jedoch ein, sich nicht darum gekümmert zu haben, im Internet oder über die Beklagte oder deren Vertragshändler bzw. den Verkäufer herauszufinden, ob sein Fahrzeug betroffen sei.
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Aus der Pressemitteilung des KBA vom 23.01.2018 ging weiter hervor, dass die Beklagte aufgefordert wurde dem KBA bis Anfang Februar ein Motorsoftware-Update für die betroffenen Fahrzeuge vorzustellen und Freigaben durch das Kraftfahrt-Bundesamt erfolgen sollten, wenn das KBA sich von der Wirksamkeit der optimierten Emissionskonzepte überzeugt habe und keine Zweifel an der Zulässigkeit der optimierten Konzepte bestehen würden. Damit war deutlich gemacht, dass ein Misslingen der behördlicherseits geforderten Herstellung eines vorschriftsmäßigen Zustandes – auch für die Fahrzeughalter – nicht folgenlos bleiben würde.
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Bereits aufgrund des öffentlich bekannt Nachweises von „unzulässigen Abschalteinrichtungen“ in Verbindung mit dem bereits in den Jahren 2015 / 2016 bekannt gewordenen Abgasskandal war schon im Jahr 2018 offensichtlich, dass es sich hierbei nicht um einen zufälligen Fehler, sondern vielmehr um eine Abschalteinrichtung handelte, die nicht aus einer zufälligen Falschbedatung der Motorsteuerungssoftware resultierte. Selbst jedem Laien musste durch das Bekanntwerden der in der Pressemitteilung des KBA bekannt gegebenen Wirkungsweise der nur im Prüfzyklus anspringenden schadstoffmindernden sogenannten schnellen Motoraufwärmfunktion klar sein, dass diese Abschalteinrichtung bewusst von der Beklagten implementiert wurde und dies nur den Zweck haben konnte, durch scheinbar umweltfreundliche Prüfstandswerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen ohne jegliche Rücksicht auf die hierdurch für die Umwelt und die einzelnen Käufer drohenden Folgen. Das Gewinnstreben der Beklagten um jeden Preis – die Beklagte schreckt nicht einmal vor der Täuschung einer staatlichen Behörde zurück – war daher spätestens im Jahr 2018 offenkundig.
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Aufgrund dessen war der streitgegenständliche Anspruch spätestens mit Ablauf des Jahres 2021 verjährt.
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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Oberlandesgericht München in einer Entscheidung vom 26.01.2021 im Verfahren Az.: 9 U 1850/20 hinsichtlich des Motors EA189 ebenfalls von einer Verjährung der Ansprüche bereits mit Ablauf des 31.12.2018 ausgeht und hierzu wie folgt ausführt:
„Die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers sind mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt,,weil das Unterlassen der Einholung einer Auskunft über die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs beim Kläger im Jahr 2015 angesichts der öffentlich verbreiteten Informationen des Kraftfahrtbundesamtes und der Beklagten jedenfalls ab Freischaltung der Website zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit Anfang Oktober 2015 grob fahrlässig war“ (vgl. OLG Frankfurt am Main, Zurückweisungsbeschluss vom 28.05.2020, Az.: 19 U 312/19).
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Auch der 3. Senat des Oberlandesgerichts München stellt zum Zeitpunkt des Verjährungsbeginns zutreffend fest:
„Vorliegend besteht […] die Besonderheit, dass der individuelle Verjährungsbeginn, d.h. der Zeitpunkt der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründende Umständen und der Person des Schuldners, § 199 Abs. 1 BGB, regelmäßig mit dem unstreitigen Zeitpunkt allgemeinen Bekanntwerden des Dieselskandals übereinstimmt. Denn über die der Beklagten vorgeworfenen Täuschung wurde ab Herbst 2015 umfassend in sämtlichen Medien berichtet. Dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzems hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte, ihm jedenfalls nicht grob fahrlässige Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nummer 2 Alternative 2 BGB vorzuwerfen wäre, ist nicht vorstellbar.“
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Und im Weiteren anschaulich:
„Ausgehend von den (…) Vorgängen im Jahr 2015 und der darauf massiv und auch in die Details gehenden Berichterstattung in den gesamten Medien, dem Verhalten der Beklagten selbst und den Verlautbarungen des KBA erscheint das Unterlassen weiterer Erkundigungen durch den Kläger nach Bekanntwerden des Skandals im letzten Quartal des Jahres 2015 unter rechtlichen Gesichtspunkten geradezu unverständlich. Dabei kommt es nach Auffassung des Senats nicht darauf an, ob. der Kläger wusste, dass in seinem Fahrzeug ein Motor des Typs EA 189 eingebaut war. Entscheidend ist vielmehr, dass der Kläger, obwohl er wusste, dass er ein von der Beklagten hergestelltes Dieselfahrzeug fuhr und obwohl es sich im Hinblick auf die Gesamtumstände geradezu aufdrängen musste, dass gegebenenfalls sein Fahrzeug auch betroffen sein könnte, keinerlei Erkundigungen eingeholt und lediglich in der,unbegründeten“ Annahme, sein Fahrzeug sei nicht betroffen, abgewartet hat.« (OLG München, Urteil vom 16.03.2020, Az.: 3 U 6023/19).
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Dem schließt sich der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts an und führt aus:
„Das Landgericht hat etwaige (…) Ansprüche als verjährt angesehen. Aufgrund der medialen Berichterstattung und breiter öffentlicher gesellschaftlicher als auch politischer Diskussion sei eine Kenntnis des Klägers ab Herbst 2015, zumindest aber von grob fahrlässiger Unkenntnis auszugehen. Die klägerischen Ansprüche seien daher zum 31.12.2018 verjährt. Dies entspricht auch der Sach- und Rechtslage. Sämtliche in Betracht kommende Ansprüche verjähren nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB in 3 Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen musste. Diese Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn lagen nach den Feststellungen des Landgerichts am 31.12.2018 vor.« (OLG München, Hinweisbeschluss vom Februar 2020, Az.: 24 U 4446/19).
Den vorgenannten obergerichtlichen Rechtsansichten zum Verjährungsbeginn schließt sich der Senat auch hinsichtlich der hier zu entscheidenden Fallkonstellation (VW-Motor EA 189 in Audi-Fahrzeug eingebaut) vollumfänglich an. Der Kläger wurde vom Erstgericht persönlich angehört. Das Erstgericht hat dem Kläger geglaubt, dass er sich 2015 keine Gedanken zum Dieselskandal und seine Betroffenheit hiervon gemacht habe. Dies ist nicht nachvollziehbar und auch nicht plausibel, zumal der Kläger sein Fahrzeug am 10.07.2015, und damit nur wenige Monate vor dem Bekanntwerden des Dieselskandals im September 2015 erworben hat. Dem Kläger muss damit die Thematik und seine mögliche persönliche Betroffenheit nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals vollumfänglich bewusst gewesen sein. Soweit der Kläger angegeben hat, dass er sich keine Gedanken gemacht habe, steht dies jedenfalls der Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis aus den oben genannten Gründen nicht im Wege. Ab Freischaltung der online-Plattform des VW-Konzerns sowie der Audi AG zur Feststellung der Betroffenheit von Fahrzeugen im September 2015 lag eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers vor, da er ohne großen Aufwand seine individuelle Betroffenheit vom Dieselabgasskandal hätte feststellen können. Ab diesem Augenblick lag konzernweit kein Verhalten mehr mit Gepräge der sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB vor (vgl. BGH Vl ZR 244/20) und somit jedenfalls für VW-Fahrzeuge grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen vor (BGH Vl ZR 739/20). Dies sieht der Senat auch konzernweit so. Denn sowohl aus der Presseberichterstattung zum Dieselskandal in diesem Zeitraum als auch aus der Ad-hoc-Mitteilung von VW ging hervor, dass der streitgegenständliche Motortyp EA 189 von VW in andere Marken des Konzerns wie Audi, Seat und Skoda eingebaut wurde und daher auch bei Erwerb eines solchen Fahrzeugs eine individuelle Betroffenheit gegeben sein könnte. Entgegen der Beurteilung durch das Erstgericht (LGU S. 14, 3. Absatz) ist der Senat der Auffassung, dass dem Kläger bereits Ende 2015 alle dort genannten wesentlichen Informationen vorlagen, um noch 2015 eine schlüssige Klage, jedenfalls in Form einer Feststellungsklage, erheben zu können. Damit ist von einem Verjährungsbeginn Ende 2015 auszugehen. Da keine verjährungshemmenden Maßnahmen erfolgten, trat mit Ablauf des Jahres 2018 Verjährung ein.“
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Dem schließt sich die Kammer vollumfänglich an. Das Oberlandesgericht München hat eine grob fahrlässige Unkenntnis in dem vorgenannten Fall auch für die Fallkonstellation bejaht, in der es lediglich um ein Fahrzeug des VW-Konzerns und nicht um ein Fahrzeug des Typs VW handelte.
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2. Auch § 852 BGB greift im vorliegenden Fall nicht ein.
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Das Oberlandesgericht München führte in seiner Entscheidung vom 01.12.2020 in dem Verfahren Az.: 28 U 1625/20 hierzu folgendes aus:
„Der Kläger hat keine Anspreche aus § 852 BGB, da die Beklagte im Verhältnis zum Kläger nicht,etwas erlangt“ hat. Mit dem sogenannten Restschadensersatzanspruch des § 852 BGB soll der Schädiger nach Ablauf der Regelverjährungsfrist (§§ 195, 199 BGB) sein eigenes Vermögen für den Ausgleich des Schadens nicht mehr einsetzen müssen. Er muss aber wenigstens die durch die unerlaubte Handlung erlangten Vorteile herausgeben, da der Schädiger nach § 852 BGB nicht von seiner unerlaubten Handlung profitieren soll (Eichelberger in beck online Großkommentar, Gesamtherausgeber Gsell / Krüger / Lorenz / Reymann, Stand 1.8.2020, § 852 Rnr. 2 ff.). Nach der als Rechtsfolgenverweisung auf die §§ 818 ff. BGB konzipierten Vorschrift (sogenannte Fahrradgepäckträgerentscheidung des BGH, NJW 1978, 1377) muss die Beklagte als Schädigerin das herauszugeben, was sie durch die Manipulation des verkauften Fahrzeugs auf Kosten der Klägerseite erlangt hat.
Der Kläger verkennt die Besonderheiten des vorliegenden Falls im Hinblick auf die Wechselwirkung von § 852 BGB einerseits und § 826 BGB andererseits. Nach der gesetzlichen Grundkonzeption soll die Bereicherung des Schädigers im Verhältnis zum Geschädigten abgegriffen werden. Im klassischen Deliktsrecht führt eine unerlaubte Handlung zu einer Vermögensmehrung beim Schädiger zum Nachteil des Geschädigten; hierauf soll Zugriff genommen werden, was durch die Tatbestandsmerkmale,etwas erlangt“ und,auf Kosten des Verletzten“ deutlich gemacht wird. Die Unmittelbarkeit der Vermögensmehrung ist insoweit nicht Voraussetzung und diese kann folglich auch,übers Eck“ erfolgen. Voraussetzung ist aber immer, dass durch die unerlaubte Handlung entsprechende Vermögensverschiebungen ausgelöst werden.
Der Beklagten sind durch die Motormanipulationen nun vollendet Vorteile allein im Hinblick auf Rechtsgeschäfte im Verhältnis zu den unmittelbaren Abnehmern zugeflossen, wobei vorliegend offenbleiben kann, ob im Hinblick auf die Wertung des § 166 BGB Kommissionsgeschäfte erfasst werden. Diese Vorteile stehen in keinem Zusammenhang mit der Erwerbshandlung des Klägers.
Dass die Beklagte dennoch nach § 826 BGB haftet, liegt an der besonderen Rechtsnatur der Norm als Billigkeitshaftung: Die Beklagte als Anspruchsgegnerin haftet unabhängig davon, ob sie vom Geschädigten Vorteile erlangt hat. Im Rahmen des § 852 BGB ist aber allein auf diese,erlangten Vorteile“ abzustellen.“
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Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollumfänglich an.
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Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich im vorliegenden Fall auch keine andere Beurteilung daraus ergibt, der Kläger hat das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einer nicht am Verfahren beteiligten Firma erworben. Ob die Beklagte hierbei überhaupt etwas erlangt hat, wird von Seiten der Klagepartei nicht ausgeführt.
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3. Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.