Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 22.11.2022 – B 5 K 21.843
Titel:

Regressforderung des Dienstherrn, Abrollunfall, grobe Fahrlässigkeit, Umfang des Schadensersatzanspruchs

Normenketten:
BBG § 75 Abs. 1 S. 1
PostPersRG § 7 Abs. 2
StVO § 14 Abs. 2 S. 1
Schlagworte:
Regressforderung des Dienstherrn, Abrollunfall, grobe Fahrlässigkeit, Umfang des Schadensersatzanspruchs
Fundstelle:
BeckRS 2022, 43490

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine Regressforderung seines Dienstherrn.
2
Der am …1964 geborene Kläger steht seit dem …1977 im Dienst der aus dem früheren Sondervermögen der D1. B. P. hervorgegangen D1. P. AG. Der Kläger ist Postbetriebsassistent und als Zusteller in der Verbundzustellung beim Zustellstützpunkt … beschäftigt. Er ist als Stammzusteller im Bezirk … eingesetzt.
3
Am 05.10.2020 parkte der Kläger bei der Tätigkeit als Zustellkraft der … das Kfz der Beklagten mit dem amtlichen Kennzeichen …, um Sendungen zuzustellen. Nachdem er das Fahrzeug abgestellt hatte, setzte sich dieses in Bewegung und rollte über eine Mauerkante gegen eine Gartensäule. Der Eigenschaden für die Beklagte beträgt 4.901,08 Euro.
4
Im Rahmen einer Stellungnahme vom 08.02.2021 führte der Kläger aus, dass der Wagen rückwärts gerollt sei, als er ausgestiegen sei, um zum Briefkasten zu gehen. Als er das kratzende Geräusch gehört habe, sei der Wagen bereits auf der leicht abschüssigen Einfahrt rückwärts gerollt. Die offene Fahrertür sei dabei über die Mauerkante geschrammt. Anschließend sei der Wagen über die Straße an die Gartensäule eines Nachbargrundstücks gerollt und zum Stehen gekommen.
5
Mit Leistungsbescheid der Beklagten vom 11.02.2021 wurde der Kläger aufgefordert, den für die D1. P. AG durch den Kfz-Unfall entstandenen Schaden in Höhe von 4.901,08 Euro zu erstatten. Der Betrag habe in 37 Teilbeträgen in Höhe von 130,00 Euro und einem letzten Teilbetrag in Höhe von 91,08 Euro von den Dienstbezügen des Klägers einbehalten werden sollen.
6
Mit Schreiben vom 10.03.2021 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.02.2021 und führte aus, dass er nicht grob fahrlässig gehandelt habe. Es werde bestritten, dass die im Rahmen der Akteneinsicht vorgelegte Rechnung vom 22.12.2020 die Beseitigung des durch den Unfall am 05.10.2020 verursachten Schadens betreffen würde. Der Unfall habe sich am 05.10.2020 ereignet. Die Rechnung vom 22.12.2020 würde als Annahmedatum des Fahrzeugs den 16.10.2020 ausweisen und als Leistungsdatum den 22.12.2020. Zwischen Unfall und Annahmedatum würden fast 14 Tage liegen. Es werde bestritten, dass es sich bei den Bremswerten in der E-Mail vom 07.10.2020 um die Bremswerte des Unfallfahrzeugs handele. In dieser E-Mail würden Bremswerte betreffend das Fahrzeug „…“ mitgeteilt. Ferner werde bestritten, dass das Annahmedatum – wie in der Rechnung ausgewiesen – der 16.10.2020 gewesen sei. Die Erforderlichkeit der in der Rechnung vom 22.12.2020 angeführten Positionen zur Behebung des Schadens aus dem Unfallereignis vom 05.10.2020 werde ebenfalls bestritten.
7
Mit Bescheid der D2. P. AG vom 29.06.2021 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die technische Prüfung zur Funktionstüchtigkeit der Handbremse durch die Werkstatt vom 07.10.2021 keine Beanstandungen ergeben habe. Eine Beeinträchtigung der Bremse könne daher ausgeschlossen werden. Der Kläger habe es offensichtlich versäumt, die vorgeschriebene doppelte Sicherung beim Abstellen des Fahrzeugs (Handbremse und Einlegen des gegenläufigen Ganges bzw. der Betätigung der Parksperre bei einem automatischen Getriebe) ordnungsgemäß vorzunehmen. Beim Abstellen in starken Steigungen oder Gefällen sei das Fahrzeug zusätzlich durch Einschlagen der Lenkung abstützend gegen einen ggf. vorhandenen Bordstein zu richten. Der Kläger habe damit gegen die Vorschriften des Handbuchs für das Fahrpersonal der D2. P. AG verstoßen und seine Dienstpflicht verletzt.
8
Die in der Rechnung vom 22.10.2020 aufgeführten Reparaturarbeiten entsprächen der Beseitigung der Unfallfolgen des Abrollunfalls vom 05.10.2020 des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen … Das Fahrzeug sei am 05.10.2020 um 18.00 Uhr durch die Firma … eingeschleppt worden. Die Beklagte habe keine Möglichkeiten, auf das (Abrechnungs-)Datum dritter Rechnungssteller Einfluss zu nehmen. Auch werde ausdrücklich der Behauptung widersprochen, dass es sich bei den Bremswerten in der E-Mail des Serviceberaters der … vom 07.10.2020 nicht um die Bremswerte des Unfallfahrzeugs handeln würde. Untersuchungsgegenstand sei das Unfallfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … gewesen; alle anderen Angaben seien Tippfehler.
9
Die Ausführungen des Klägers seien sorgfältig geprüft worden. Nach Abwägung sei die Beklagte zu dem Ergebnis gekommen, dass der Leistungsbescheid vom 11.02.2021 recht- und zweckmäßig sei. Der Schaden sei durch den Kläger grob fahrlässig verursacht worden. Auch sonst seien keine Gründe ersichtlich, warum er in dieser Angelegenheit nicht gemäß § 75 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) in Regress zu nehmen wäre.
10
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 29.07.2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen, hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 11.02.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2021 erhoben. Mit Schriftsatz vom 10.11.2021 beantragt die Klägerbevollmächtigte, den Bescheid vom 11.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2021 aufzuheben.
11
Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich aus dem angefochtenen Bescheid weder Grund noch Höhe des geltend gemachten Regresses ergebe. Die Beklagte habe weder dargelegt, woraus sich das grob fahrlässige Handeln des Klägers ergebe, noch welcher Schaden konkret am Kfz entstanden sei und welche Reparaturen aufgrund des Schadens erforderlich gewesen seien. Weiterhin sei nicht ersichtlich, wie sich die geltend gemachte Schadenshöhe konkret berechne. Die Forderung der Beklagten sei seitens des Klägers dem Grunde und der Höhe nach bestritten. So bestreite der Kläger im Einzelnen, dass die im Rahmen der Akteneinsicht vorgelegte Rechnung vom 22.12.2020 die Beseitigung des durch den Unfall vom 05.10.2020 verursachten Schadens betreffe. Auch werde bestritten, dass die von der Beklagten ermittelten Bremswerte, die Bremswerte seien, die zum streitgegenständlichen Fahrzeug gehörten, bzw. dass die Bremsen funktionstüchtig gewesen seien. Nicht nachvollziehbar sei weiter die Erforderlichkeit der in der Rechnung vom 22.12.2020 angeführten Positionen zur Behebung des Schadens aus dem Unfallereignis vom 05.10.2020. Ebenso sei die Berechnung der konkreten Schadenssumme nicht schlüssig, insbesondere die Berechnung zur Umsatzsteuer. Zudem werde aufgrund der von der Beklagten dargelegten Fahrzeugdaten (Erstzulassung: 02.02.2012; Kilometerstand: 174.259) die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der durchgeführten Reparatur bestritten. Ferner könne dem Kläger – selbst wenn die Behauptung der Beklagten zutreffen sollte, dass er beim Aussteigen das Fahrzeug nicht ordnungsgemäß gesichert habe – grob fahrlässiges Verhalten nicht vorgeworfen werden. Das Abstellen und Verlassen des Zustellfahrzeugs, um Post zuzustellen, gehöre zu den routinemäßigen Aufgaben des Klägers als Postzusteller. Diesen Vorgang wiederhole er während seines Arbeitstages sehr häufig. Geschehe im Rahmen eines solchen routinemäßigen Ablaufs ein Fehler, wie er auch einem sorgfältig Handelnden unterlaufen könne, so sei dies als Fall des Augenblicksversagens anzusehen, das nicht als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden könne.
12
Mit Schriftsatz vom 28.09.2021 beantragt die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 14.12.2021 ausgeführt, dass der Kläger bereits nicht vorgebracht habe, das Zustellfahrzeug auf dem abschüssigen Gelände überhaupt gegen Wegrollen gesichert zu haben. Weiterhin habe er eingeräumt, die Fahrertür nicht geschlossen zu haben. Der eingetretene Schaden am Kfz lasse sich anhand der Schilderung des Klägers nachvollziehen. Die in der Verwaltungsakte befindlichen Fotos bildeten die Schäden optisch ab. Den in der Rechnung vom 22.12.2020 ausgewiesenen Reparaturkosten sei zu entnehmen, dass am Kraftfahrzeug … auf der linken, also der Fahrerseite, die Tür aufgrund der Beschädigung ersetzt, der Kotflügel vorne sowie die Schiebetür ausgetauscht und die Heckpartie repariert worden seien. Insoweit seien alle Arbeitspositionen und Teile mit ihren jeweiligen Teilenummern aufgeführt. Soweit die Umsatzsteuer als nicht nachvollziehbar bezeichnet und daher in der Höhe bestritten werde, sei zu berücksichtigen, dass die ausgewiesene Mehrwertsteuer aufgrund der Vorsteuerabzugsberechtigung der Beklagten nur in Höhe eines Betrages von 214,76 Euro kostenwirksam und somit als Schadensersatz geltend gemacht worden sei.
14
Der Kläger habe mit seinem Verhalten gegen die Vorschriften des § 14 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) sowie Kapitel 1 „Pflicht zur Schadensverhütung“ und Kapitel 4 „Sichern und Abstellen von Kraftfahrzeugen“ des Handbuchs für das Fahrpersonal der D2. P. AG grob fahrlässig verstoßen. Diese Vorschriften seien dem Kläger bekannt gewesen. Zustellkräfte bei der Beklagten würden regelmäßig über bestehende Vorschriften – auch im Rahmen von Dienstunterrichten – informiert. Der Kläger habe keine ausreichende Sicherung vorgenommen, weder mittels Betätigung der Handbremse noch durch Einlegen eines Ganges. Damit erkläre sich zwangsläufig das Abrollen des Kraftfahrzeuges auf dem deutlich abschüssigen Gelände. Ausweislich der in der Sachakte befindlichen Fotos könne man an der treppenartig gebauten Mauer sowie der Schräge im Hausbereich die starke Abschüssigkeit des Geländes erkennen. Schließlich sei festzuhalten, dass das Kfz, obwohl die Tür über die Mauer geschrammt sei, nicht aufgehalten worden sei. Es sei weiter rückwärts gerollt und habe währenddessen die Fahrertür heftig verbeult. Schließlich sei es erst nach Überqueren der Straße durch den Anstoß an die Gartenmauer zum Stehen gekommen. Hier sei dann ein weiterer Schaden am Kfz hinten rechts entstanden. Der Kläger habe gegen seine Pflicht, ein Kraftfahrzeug beim Verlassen ordnungsgemäß zu sichern, verstoßen. Schließlich sei laut Handbuch für das Fahrpersonal der D2. P. AG eine doppelte Sicherung beim Abstellen des Fahrzeugs (Handbremse und Einlegen des gegenläufigen Ganges bzw. der Betätigung der Parksperre bei einem automatischen Getriebe) vorgeschrieben. Situationsbedingt könne die zusätzliche Sicherung durch Einschlagen der Vorderräder zum Fahrbahnrand bzw. durch Anbringung von Unterlegkeilen notwendig sein. Es gehöre zu den Grundkenntnissen jedes Fahrzeugführers/jeder Fahrzeugführerin, dass eine ausreichende Sicherung eines Fahrzeuges gegen Abrollen unabdingbar und im Einzelfall mit besonderer Sorgfalt und Vorsicht zu treffen sei. Die Nichtanwendung vorgesehener Sicherungsmittel angesichts der bestehenden Gefahr des Wegrollens eines Fahrzeugs werde in der Rechtsprechung grundsätzlich als grob fahrlässig eingestuft. Während der Ausübung ihres Dienstes habe eine Zustellkraft die erforderliche Sorgfalt aufzubringen, insbesondere dienstlich anvertrautes Eigentum mit Sorgfalt zu behandeln. Der Kläger hätte insofern aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten auch die Erforderlichkeit von Sicherungsmaßnahmen erkennen können und diese ergreifen müssen. Der Kläger habe objektiv wie subjektiv grob fahrlässig gehandelt.
15
Mit Schriftsatz vom 31.08.2022 erklärte die Klägerbevollmächtigte, dass der Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden ist. Mit Schriftsatz vom 30.09.2022 verzichtete die Beklagtenvertreterin auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
16
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der vorgelegten Behördenakten, § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Entscheidungsgründe

17
Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
I.
18
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
19
Der Bescheid der Beklagten vom 11.02.2021 sowie der Widerspruchsbescheid vom 29.06.2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
20
Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BBG i.V.m. § 7 Abs. 2 des Postpersonalrechtsgesetzes (PostPersRG) haben bei einem Postnachfolgeunternehmen beschäftigte Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzt haben, dem Postnachfolgeunternehmen den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2018 – 6 ZB 17.2324 – juris Rn. 5; B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – juris Rn. 6; VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 – juris Rn. 16).
21
Als dem Beamten obliegende dienstliche Pflichten sind sämtliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verstehen, die ihm abstrakt ein bestimmtes äußeres Verhalten vorschreiben, sowie auch Weisungen für den Einzelfall. Hierzu gehören auch die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung sowie diejenigen des Handbuchs für das Fahrpersonal der D2. P. AG (vgl. VG Augsburg, U.v. 13.4.2018 – Au 2 K 17.1704 – juris Rn. 22 m.w.N.).
22
Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 StVO muss derjenige, der ein Fahrzeug führt, die nötigen Maßnahmen treffen, um Unfälle und Verkehrsstörungen zu vermeiden, wenn das Fahrzeug verlassen wird. Was als „nötige Maßnahme“ zu verstehen ist, wird im „Handbuch für das Fahrpersonal der D. P.“ konkretisiert, auf dessen Beachtung der Kläger ausweislich der dem Gericht vorliegenden Personalakte zuletzt unter dem 20.01.2020 hingewiesen worden ist. Gemäß den Regelungen in Kapitel 1 „Pflicht zur Schadensverhütung“ und Kapitel 4 „Sichern und Abstellen von Fahrzeugen“ des vorgenannten Handbuchs ist beim Abstellen des Fahrzeugs eine doppelte Sicherung (Handbremse und Einlegen des gegenläufigen Ganges bzw. der Betätigung der Parksperre bei einem automatischen Getriebe) vorgeschrieben. Situationsbedingt könne darüber hinaus eine zusätzliche Sicherung durch Einschlagen der Vorderräder zum Fahrbahnrand bzw. durch Anbringung von Unterlegkeilen notwendig sein. Im Rahmen seiner Schadensmeldung (Bl. 3 der Beiakte I) führte der Kläger bereits nicht aus, entsprechende Sicherungsmaßnahmen gegen das unkontrollierte Wegrollen des Fahrzeugs ergriffen zu haben. Soweit die Klägerseite – bereits im Widerspruchsverfahren – die Funktionsfähigkeit der Handbremse des Unfallfahrzeugs bestreitet, ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger zum einen schon nicht behauptet, die Handbremse vor dem Abrollvorgang am 05.10.2020 betätigt zu haben. Zum anderen ergaben die Bremswerte des Unfallfahrzeugs nach einer in den Akten befindlichen E-Mail der Reparaturwerkstatt an die Beklagte vom 07.10.2020 keine Auffälligkeiten. Soweit die Klägerseite moniert, dass sich diese E-Mail angesichts des genannten amtlichen Kennzeichens „…“ nicht auf das Unfallfahrzeug beziehe, kann sie mit diesem Vortrag nicht durchdringen. Amtliche Kennzeichen in Deutschland bestehen gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anlage 2 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) aus einem oder zwei Buchstaben und bis zu vier Ziffern. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei dem in der E-Mail der Werkstatt vom 07.10.2020 genannten, aus fünf Ziffern bestehendem Kennzeichen „…“ um einen offensichtlichen Tippfehler.
23
Der Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten des Beamten. Dementsprechend muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, d.h. der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Beamten beurteilt werden, ob und in welchem Maß das Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz naheliegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (BVerwG, U.v. 2.2.2017 – 2 C 22.16 – juris Rn. 14; U.v. 29.4.2004 – 2 C 2.03 – BVerwGE 120, 370/374; BayVGH, B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – juris Rn. 7; B.v. 1.6.2017 – 6 ZB 17.903 – juris Rn. 6; B.v. 26.2.2018 – 6 ZB 17.2324 – juris Rn. 6).
24
Der Kläger hat sein Fahrzeug abgestellt und zur Postzustellung verlassen, ohne die sowohl nach den einschlägigen Dienstvorschriften der Beklagten als auch gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 StVO unabhängig von der Beschaffenheit des Geländes erforderliche doppelte Sicherung des abgestellten Fahrzeugs mittels Handbremse und Einlegen eines Ganges vorzunehmen. Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des Anscheinsbeweises fest, da im Lichte des durch eine Fachwerkstatt unmittelbar im Nachgang des Schadensfalles festgestellten ordnungsgemäßen Zustandes der Feststellbremse (Blatt 16 der Beiakte I) ansonsten ein Abrollen des Fahrzeugs ausgeschlossen gewesen wäre (vgl. NdsOVG, B.v. 2.4.2013 – 5 LA 50/12 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – juris Rn. 7; VG Augsburg, U.v. 13.4.2018 – Au 2 K 17.1704 – juris Rn. 33). Ohnehin hat auch der Kläger selbst in seiner Schadensmeldung (Blatt 3 der Beiakte I) lediglich angegeben, dass er aus dem Fahrzeug ausgestiegen sei. Als er zum Briefkasten habe gehen wollen, sei der Wagen rückwärts gerollt. Als er das kratzende Geräusch gehört habe, sei der Wagen bereits auf der leicht abschüssigen Einfahrt rückwärts gerollt und die geöffnete Fahrertür über die Mauerkante geschrammt. Sodann sei der Wagen über die Straße hinten rechts an die Gartensäule des Nachbargrundstücks gerollt und dabei zum Stehen gekommen. Mithin hat der Kläger bereits nicht geltend gemacht, die vorgenannten Sicherungsmaßnahmen vor Verlassen des Fahrzeugs ergriffen zu haben.
25
Somit hat der Kläger grob fahrlässig die Verhaltenspflichten verletzt, die jedem Kraftfahrer beim Abstellen eines Fahrzeugs auch bei einem nur leichten Gefälle ohne Weiteres einleuchten. Dies gilt in gleicher Weise für Postzusteller, auch wenn sie solche Routinevorgänge während der Zustellung täglich in hoher Zahl durchführen müssen. Besondere Umstände in der Person des Klägers, die den Grund des Versäumnisses erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 26.2.2018 – 6 ZB 17.2324 – juris Rn. 8; B.v. 29.1.2014 – 6 ZB 12.1817 – juris Rn. 7; VG Ansbach, U.v. 7.5.2014 – AN 11 K 13.1851 – juris Rn. 18; VG Augsburg, U.v. 29.8.2013 – Au 2 K 13.276 – juris Rn. 21f.).
26
Insbesondere ist vorliegend auch kein bloßes sog. Augenblicksversagen gegeben. Hierfür wäre erforderlich, dass der Kläger einen Routinehandgriff wegen einer Ablenkung durch äußere Umstände ausnahmsweise vergessen hätte (vgl. VG Augsburg, U.v. 13.4.2018 – Au 2 K 17.1704 – juris Rn. 35; OLG Karlsruhe, U.v. 8.3.2007 – 19 U 127/06 – juris Rn. 14). Das Vorliegen solcher äußerer Umstände wird von Klägerseite jedoch nicht behauptet.
27
Nach alledem hat die Beklagte als geschädigter Dienstherr Anspruch auf Ersatz des adäquat kausal entstandenen Schadens. Die Schadenshöhe bestimmt sich nach den Vorgaben der §§ 249 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), infolge des Unfalls ist der Beklagten ein Reparaturschaden in Höhe von 4.686,32 Euro netto entstanden. Soweit die Klägerseite die Höhe dieses Schadens bestreitet, dokumentiert die in der Behördenakte befindliche Rechnung der … vom 22.12.2020 die durchgeführte Reparatur des Dienstwagens und die Höhe der dabei entstandenen Reparaturkosten. In der Behördenakte befinden sich zudem mehrere Lichtbilder, die die entstandenen Schäden am Zustellfahrzeug dokumentieren. Die dokumentierten Schäden stimmen mit den Angaben der Unfallmeldung des Klägers überein. In Zusammenschau mit der vorgenannten Liquidation ergibt sich insbesondere schlüssig, dass infolge des Schrammens über die Mauerkante die geöffnete Tür vorne links sowie der Kotflügel aufgrund der Kollision ausgetauscht werden mussten. Das Gericht hat daher keinerlei Zweifel, dass die dokumentierten Schäden aus dem Unfall vom 05.10.2020 resultieren. Angesichts der entstandenen erheblichen Schäden am Zustellfahrzeug bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die veranschlagten Reparaturkosten unangemessen hoch sind. Das Bestreiten der Klägerseite ist – trotz erfolgter Akteneinsicht – insoweit pauschal geblieben. Es bestand daher kein Anlass zu weitergehenden gerichtlichen Ermittlungen.
28
Nicht zu beanstanden ist weiterhin, dass die Beklagte auch die im Rahmen der Werkstattrechnung vom 22.12.2020 ausgewiesene Position hinsichtlich der Prüfung der Bremswirkung im Rahmen des Schadensersatzanspruchs einfordert. Denn Sachverständigenkosten sind – außer bei Bagatellschäden – erstattungsfähige Kosten der Rechtsverfolgung (vgl. BGH, U.v. 23.1.2007 – VI ZR 67/06 – NJW 2007, 1450). Mithin sind auch die Kosten für die Überprüfung der Bremswirkung adäquat kausal auf den von Klägerseite verursachten Abrollunfall zurückzuführen.
29
Zum Schaden zählt weiterhin der von Beklagtenseite geltend gemachte Mehrwertsteueranteil. Nach § 1 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) fällt die Umsatzsteuer grundsätzlich an, wenn Leistungen durch einen Unternehmer ausgeführt werden. Im Hinblick darauf erlangt die Beklagte bei Erstattung der Umsatzsteuer durch den Kläger unmittelbar keinen Vorteil, weil die Umsatzsteuer tatsächlich an das beauftragte Unternehmen bezahlt wurde. Insoweit werden ihr nur die angefallenen Kosten als Ausgleich für den entstandenen Schaden ersetzt (vgl. BGH, U.v. 14.9.2004 – VI ZR 97/04 – NZV 2005, 29; U.v. 18.3.2014 – VI ZR 10/13 – juris Rn. 16). Der Kläger ist auch nicht vorsteuerabzugsberechtigt.
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Schließlich ergibt sich keine Beschränkung der Schadenshöhe aus dem Vorliegen eines wirtschaftlichen Totalschadens. Ein solcher ist anzunehmen, wenn die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur mehr als 30% über dem Wiederbeschaffungswert liegen und die Instandsetzung eines beschädigten Fahrzeuges damit in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig ist mit der Folge, dass das Kraftfahrzeug nicht mehr reparaturwürdig ist und der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur die Wiederbeschaffungskosten verlangen kann (siehe: BGH, U.v. 8.2.2011 – VI ZR 79/10 – NJW 2011, 1435 m.w.N.). Dass die bei etwa 5.000 Euro liegenden Reparaturkosten des Unfallfahrzeugs, welches am 02.04.2012 erstzugelassen wurde, mehr als 30% über dem Wiederbeschaffungswert liegen, ist weder ersichtlich noch substantiiert dargetan.
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Auch ein zur Schadensminderung führendes Mitverschulden des Dienstherrn ist nicht erkennbar. Er hat das Verhalten beim Verlassen der Fahrzeuge durch die Zusteller umfassend, eindeutig und übereinstimmend mit der Rechtslage im allgemeinen Straßenverkehr geregelt. Eine Verpflichtung des Dienstherrn zum Abschluss einer Versicherung für derartige Fälle wie hier besteht schon nicht und hätte wohl auch keine Entlastung für den Kläger gebracht, da auch im Rahmen der Haftpflichtversicherung eine Leistungspflicht im Fall der groben Fahrlässigkeit (vgl. OLG Karlsruhe, U.v. 8.3.2007 – 19 U 127/06 – juris), wiederum ausgeschlossen wäre.
II.
32
Der Kläger hat als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO ). Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch die Beklagte vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.