Titel:
Kein Anspruch auf Verlegung eines öffentlichen Kanals unter Aussparung eines Grundstücks
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
WHG § 92 S. 2, § 93
Leitsätze:
1. Die Anwendbarkeit des § 93 WHG ist nicht an einen wirksamen Antrag der Gemeinde auf Erlass einer Duldungsanordnung geknüpft. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rechtmäßigkeit der Duldungsanordnung setzt nicht voraus, dass das "dienende" Grundstück dem betroffenen Kanal selbst nützt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine auf § 93 S. 1 WHG gestützte Duldungsverfügung ist auch dann zulässig, wenn dadurch ein bisheriger formell-rechtswidriger Zustand nachträglich legalisiert wird (Anschluss an BVerwG BeckRS 2007, 22208). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Alternative iSd § 92 S. 2 WHG mit erheblichem Mehraufwand verbunden ist, ist bei vorhandenen Leitungen darauf abzustellen, ob im gegenwärtigen Zeitpunkt bei einer fingierten erstmaligen Verlegung die von der zuständigen Behörde bzw. der Gemeinde bevorzugte Leitungsführung erforderlich ist. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abwasserkanal (Mischsystem), Duldungsanordnung, Verlegung einer Abwasserleitung in den öffentlichen Grund, Zweckmäßigkeit, erheblicher Mehraufwand, Verhältnismäßigkeit, Antragserfordernis, nachträgliche Legalisierung, Vorrang einer zivilrechtlichen Einigung, alternative Leitungsführung, Verschiebung der Eigentümerbetroffenheit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.08.2022 – 8 ZB 22.636
Fundstelle:
BeckRS 2022, 4159
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen eine Duldungsanordnung zur unterirdischen Durchleitung von Abwasser auf einer Länge von 33 m auf den Grundstücken Fl.Nrn. ... und ... der Gemarkung ....
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Die Kläger sind Eigentümer der Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... der Gemarkung ... (...), welches mit einem Einfamilienhaus bebaut ist.
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Über die vorbezeichneten Grundstücke läuft auf einer Fläche von 179,87 m² und einer Breite von 6 m die Leitungstrasse zur Abwasserentsorgung der Beigeladenen (Mischwassersystem) in der Kläranlage .... Eine dingliche Sicherung für die über die Grundstücke der Kläger verlaufende Leitungstrasse besteht derzeit nicht. Die Kläger haben einen ihnen von Seiten der Beigeladenen vorgelegten Vertrag über die Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit mit Eintragungsbewilligung und einer darin vorgesehenen Entschädigung in Höhe von 7,00 EUR pro m² nicht unterzeichnet.
4
Der vorbezeichnete Hauptkanal läuft ebenfalls über die Privatgrundstücke Flur Nrn., ... und ... der Gemarkung .... Deren Grundstückseigentümer haben sämtlich der Eintragung einer sichernden Grunddienstbarkeit zugestimmt.
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Aufgrund der fehlenden rechtlichen Sicherung hat die Beigeladene mit Gemeinderatsbeschluss vom 11. April 2019 beschlossen, beim zuständigen Landratsamt ... den Erlass einer Duldungsanordnung gemäß § 93 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) zu beantragen. Mit Schreiben der Verwaltungsgemeinschaft ... als Behörde der Gemeinde ... wurde der entsprechende Antrag unter dem 11. Juni 2019 gestellt.
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Mit Schreiben des Landratsamts ... vom 10. Februar 2021 wurden die Kläger zum beabsichtigten Erlass einer Duldungsanordnung auf der Grundlage des § 93 WHG angehört.
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Mit Bescheid des Landratsamts ... vom 16. Juni 2021 (Gz. ...) wurden die Kläger in Nr. 1.1 des Bescheids verpflichtet, zu dulden, dass die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke Fl.Nr. ... und ... der Gemarkung ... zur unterirdischen Durchleitung von Abwasser (hier: Schmutzwasserleitung) auf einer Länge von 33 m entsprechend dem Eintrag der örtlichen Lage auf dem beiliegenden Plan durch die Gemeinde ... in Anspruch genommen werden, weiter nach Nr. 1.2 des Bescheids zu dulden, dass durch die Gemeinde ... oder deren Beauftragten nach vorheriger Benachrichtigung die zum Betrieb der Abwasserleitung erforderlichen Begehungen zu Kontrollzwecken und die erforderlichen Unterhaltungsarbeiten durchgeführt werden. Die Kläger haben jegliche Handlungen zu unterlassen, die den Bau und den Unterhalt der Abwasserleitung beeinträchtigen, insbesondere Anpflanzungen und Überbauungen in dem in der dem Bescheid beigefügten Lagekarte per Blauschraffierung gekennzeichneten Leitungsbereich. Nach Nr. 2 des Bescheids gilt die Duldungsanordnung auch gegenüber möglichen Nutzungsberechtigten sowie Rechtsnachfolgern hinsichtlich des Eigentums an den im Bescheid genannten Flurstücken.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Duldungsanordnung sich auf § 93 WHG stütze. Danach könne die zuständige Behörde anordnen, dass Eigentümer und Nutzungsberechtigte von Grundstücken das Durchleiten von Abwasser sowie die Errichtung und Unterhaltung der dazu dienenden Anlagen zu dulden haben, soweit dies zur Abwasserentsorgung erforderlich ist. Dies sei vorliegend der Fall. Die Beigeladene sei zwingend darauf angewiesen auch weiterhin eine Teilfläche der vorbezeichneten im Eigentum der Kläger stehenden Grundstücke für die bereits vorhandene Leitungstrasse in Anspruch zu nehmen, da Alternativen, die die Grundstücke unberührt ließen, aus Kostengründen ausscheiden würden. Als einzige Alternative komme die Verlegung der vorhandenen Abwasserleitung in die Gemeindestraße (...straße) in Betracht. Diese Variante sei zwar ebenso zweckmäßig, scheide aus Kostengründen aber aus. Die Mehrkosten für eine Verlegung der öffentlichen Hauptleitung in der ...straße würden sich auf ca. 480.000 EUR belaufen. Dies bedeute gegenüber den Sanierungskosten in Höhe von 155.000 EUR für die bestehende Leitung Mehrkosten von ca. 325.000 EUR. Dies stelle einen unverhältnismäßigen Mehraufwand dar. Vor Erlass der Duldungsanordnung habe die Beigeladene eine privatrechtliche Einigung versucht, die gescheitert sei. Eine Duldungsanordnung sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann möglich, wenn sich die Beteiligten nicht über die Einräumung eines Leitungsrechts im Sinne einer Dienstbarkeit bzw. einem Grunderwerb einigen könnten. Den Grundstückseigentümern werde auch wegen der Größe der Grundstücke nicht mehr abverlangt, als billigerweise als zumutbar angesehen werden könne. Tatsächlich spürbare Nachteile durch künftige Unterhaltsmaßnahmen seien nicht zu befürchten. Zudem verlaufe der Kanal auf verkehrstechnisch ungenützten Flächen. Das Landratsamt habe bei der vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Gemeinwohl und den schutzwürdigen Interessen der Kläger das Ermessen pflichtgemäß ausgeübt und sei dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass der durch die Maßnahme zu erwartende Nutzen seinen Nachteil erheblich übersteige. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Die Duldungsanordnung sei geeignet, erforderlich und angemessen um das im Wasserhaushaltsgesetz vorgesehene Durchleitungsrecht durchsetzen zu können. Eine Entschädigung gemäß § 95 WHG durch die Beigeladene sei nicht zu leisten, da das Eigentum der Kläger durch die Anordnung nicht unzumutbar beschränkt werde.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Landratsamts ... vom 16. Juni 2021 wird ergänzend verwiesen.
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Der Bescheid wurde den Klägern mit Postzustellungsurkunde am 18. Juni 2021 zugestellt.
11
Die Kläger haben gegen den Bescheid mit Schreiben vom 16. Juli 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und mit Schriftsatz vom 30. Juli 2021 beantragt,
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Der Bescheid des Beklagten vom 16. Juni 2021 (Zeichen: ...) wird aufgehoben.
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Mit Schriftsatz vom 24. September 2021 wird zur Begründung der Klage ausgeführt, der Bescheid des Beklagten vom 16. Juni 2021 sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren subjektiven Rechten. Entgegen der Auffassung des Beklagten könne die Duldungsanordnung nicht auf § 93 WHG gestützt werden, weil die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben seien. Es fehle bereits an der Erforderlichkeit im Sinne des § 93 Satz 1 WHG. Die Grundannahme, dass öffentliche Abwasserleitungen im öffentlichen Grund verlegt werden sollten, werde nicht berücksichtigt. Grundsätzlich sei zu fragen, ob eine Verlegung im öffentlichen Straßengrund möglich und vorzugswürdig sei. Die Kläger hätten mehrfach darauf hingewiesen, dass sich eine Verlegung in den öffentlichen Grund der ...straße geradezu aufdränge. Der streitgegenständliche Bescheid erweise sich aber auch als rechtswidrig, weil vorliegend die Kosten der Sanierung mit den Kosten des Neubaus verglichen worden seien. Bei einem derartigen Vergleich ergebe sich immer, dass es günstiger sei, eine bereits bestehende rechtswidrige Durchleitung nachträglich mit einer Duldungsanordnung zu sichern. Nach der Rechtsprechung müsse aber das Vorhandensein der Leitung auf der vorgesehenen Trasse grundsätzlich ausgeblendet und auch insoweit von den fiktiven Kosten einer aktuellen Neuerrichtung ausgegangen werden. Nur so lasse sich verhindern, dass der Vorhabenträger zu Lasten des betroffenen Grundeigentümers vollendete Tatsachen schaffe und von der rechtswidrigen Inbesitznahme fremden Bodens am Ende profitiere. Eine solche Vergleichsberechnung sei bereits nicht vorgenommen worden. Wäre diese erfolgt, hätte der Antrag abgelehnt werden müssen. Überdies sei die Duldungsanordnung auch unverhältnismäßig. Wie bei einer förmlichen Enteignung komme im Rahmen des § 93 WHG eine hoheitliche Zwangsmaßnahme nur in Betracht, wenn sich der Betroffene und der Begünstigte über die Inanspruchnahme des Grundstücks nicht auf gütlichem Wege einigen konnten, weshalb der Vorhabensträger ernsthafte Bemühungen erkennen lassen müsse, dass er sich zu angemessenen Bedingungen über ein Durchleitungsrecht vertraglich einigen möchte. Hierfür reiche es nicht aus, dass irgendwelche Vereinbarungen vorgeschlagen würden und von den Grundstückseigentümern nicht akzeptiert würden. Grundvoraussetzung hierfür sei, dass eine Vereinbarung in Schriftform vorgelegt werde. Dies sei hier nicht erfolgt, denn es sei lediglich mündlich ein Entschädigungsbetrag genannt worden. Auch die mit dem Verlauf des Kanals einhergehenden besonderen Beeinträchtigungen des klägerischen Grundstückes seien nicht berücksichtigt worden, was sich zusätzlich auf die Frage der Angemessenheit der Einigungsbemühungen auswirke.
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Auf den weiteren Vortrag im Klagebegründungsschriftsatz vom 24. September 2021 wird ergänzend verwiesen.
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Das Landratsamt ... ist für den Beklagten der Klage mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2021 entgegengetreten und beantragt,
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Zur Begründung wird ausgeführt, der mit der Klage angegriffene Bescheid vom 16. Juni 2021 sei rechtmäßig und verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Abwasserleitung sei zur ordnungsgemäßen Abwasserbeseitigung notwendig. Die Gemeinden seien gemäß § 56 WHG i.V.m. Art. 34 Bayerisches Wassergesetz (BayWG) zur Abwasserbeseitigung verpflichtet und hätten die dafür erforderlichen Anlagen vorzuhalten. Bei der Bestimmung der Leitungstrasse stehe der Vorhabensträgerin grundsätzlich ein weites Planungsermessen zu. Da die übrigen betroffenen Grundstückseigentümer der Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zugestimmt hätten, sei es aus Sicht des Beklagten sachgerecht, dass die Vorhabensträgerin die Abwasserleitung, so wie bereits verlegt, belasse und diese mittels eines Inliner-Verfahren saniere. Dass die Sanierung mittlerweile bereits abgeschlossen sei, schließe den Erlass der Duldungsanordnung nicht aus. Die behördliche Duldungsverfügung beziehe sich nicht nur auf die Errichtung und die Unterhaltung einer Anlage, sondern auch auf deren dauernden Bestand und Betrieb. Die Anordnung müsse nicht zwingend die erst- und nochmalige Errichtung einer Durchleitungsanlage umfassen, sondern könne sich auch darauf beschränken, einen bereits bestehenden Zustand nachträglich zu legalisieren. Damit die Beigeladene ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen Abwasserbeseitigung nachkommen könne, sei es weiterhin erforderlich, dass ein Teilstück der bereits vorhandenen Leitungstrasse in den Grundstücken der Kläger verbleibe, da aus Kostengründen keine andere Alternative möglich sei. Aufgrund der bereits vorhandenen Leitungstrasse sei mit der Verlegung des Kanals in den öffentlichen Grund „...straße“ ein erheblicher Mehraufwand verbunden. Der Nutzen für die Allgemeinheit sei vorliegend größer als der mit dem Vorhaben verbundene Nachteil für die Kläger. Die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Abwasserbeseitigung diene dem Gesundheits- und Gewässerschutz. Es handle sich hierbei um eine öffentliche Pflichtaufgabe. Weiter sei trotz der Belastung für die Kläger zu beachten, dass die Grundstücke weiterhin wie zuvor genutzt werden könnten und sich der Kanal lediglich auf einem kleinen Bereich des Grundstücks der Kläger befinde. Besondere Beeinträchtigungen seien weder im Detail dargelegt, noch sonst erkennbar. Somit seien nach Abwägung aller relevanten Belange der Nutzen der Allgemeinheit an einer gesicherten und kostengünstigen Abwasserbeseitigung größer zu gewichten, als das Privatinteresse der Kläger an einer Vermeidung der Inanspruchnahme ihrer Grundstücke. Die Tatbestandsvoraussetzung für den Erlass einer Duldungsanordnung nach § 93 WHG lägen demnach vor. Die Duldungsanordnung sei auch nicht unverhältnismäßig. Von Seiten der Beigeladenen sei der Klägerseite ein Vertrag über eine Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit mit Eintragungsbewilligung inklusive der Reglung einer Entschädigungszahlung vorgeschlagen worden. Die Kläger hätten sich eindeutig dahingehend geäußert, dass eine Zustimmung zum Eintrag einer Dienstbarkeit in das Grundbuch nicht erfolgen werde. Eine Entschädigungsleistung nach § 95 WHG sei in der Duldungsanordnung nicht festgesetzt worden, da das Eigentum der Kläger nicht unzumutbar beschränkt werde. Durch den Beklagten sei auch die Leitungsführung berücksichtigt worden. Der Großteil der Abwasserleitung befinde sich bereits nicht auf den Grundstücken im Eigentum der Kläger, sondern auf anderen privaten Grundstücken. Diese Grundstückseigentümer hätten der Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zugestimmt.
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Auf den weiteren Inhalt des Klageerwiderungsschriftsatzes des Landratsamts ... vom 14. Oktober 2021 wird ergänzend verwiesen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 21. Oktober 2021 wurde die Gemeinde ... zum Verfahren beigeladen. Ein Antrag wurde seitens der Beigeladenen nicht gestellt.
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Mit Schriftsatz vom 30. November 2021 hat der Beklagte unter Vorlage einer Stellungnahme des Ingenieurbüros ... & ... vom 30. November 2021 sein Vorbringen ergänzt und vertieft. Danach sei ein (fiktiver) Neubau des Kanals auf Privatgrund günstiger als eine (fiktive) Neuerrichtung des Kanals im öffentlichen Straßenbereich. Grund hierfür sei, dass die Kanäle auf den Privatgrundstücken größtenteils im Bereich von verkehrstechnisch ungenützten Flächen verliefen. Die Mehrkosten im Straßenbereich resultierten v.a. durch den Aufbruch/die Wiederherstellung der einzelnen Straßenschichten, den teilweise erheblichen Mehrtiefen und den Behinderungen durch die bereits verlegten Sparten.
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Auf den weiteren Inhalt des Schriftsatzes des Beklagten vom 30. November 2021 wird ergänzend verwiesen.
22
Am 6. Dezember 2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten nach Einräumung einer Schriftsatzfrist für die Kläger auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
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Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2021 haben die Kläger ihr Vorbringen ergänzt und vertieft. Ihnen sei der Verlauf des Kanals über ihre Grundstücke nicht bekannt gewesen. Ansonsten wäre es naheliegend gewesen, das Gebäude auf kürzestem Weg an den vorhandenen Kanal anzuschließen. Auch liege kein formell wirksamer Antrag für eine Duldungsanordnung vor. Die vorausgegangene Willensbildung und Beschlussfassung im Gemeinderat sei rechtsfehlerhaft, da diesem ausweislich dem in der Behördenakte enthaltenen Beschlussauszug vermittelt worden sei, dass die Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3.000, - EUR erhalten hätten, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Die Verlegung des Kanals ohne rechtlichen Titel stelle eine rechtswidrige Handlung dar. Es sei vorliegend nicht ersichtlich, warum die Beigeladene zwingend Privatgrund in Anspruch nehmen müsse. Bei dem angestellten Kostenvergleich sei es nicht zulässig, die Kosten der Sanierung mit den Kosten eines Neubaus zu vergleichen. Der ermittelte Mehrkostenbeitrag in Höhe von 58.016 EUR sei zu hoch angesetzt. Der Betrag berücksichtige nicht, dass die Beigeladene auch Kosten für die erforderlich werdenden Dienstbarkeiten habe aufwenden müssen. Der von der Beigeladenen angebotene Entschädigungswert in Höhe von 35,00 EUR sei zu niedrig angesetzt. Die vorgelegte Baukostenermittlung berücksichtige nicht, dass die auf dem Grundstück der Kläger vorhandenen Bauwerke (Grillplatz, Terrasse und sonstiger Gartenbereich) beschädigt und wiederhergestellt werden müssten. Unberücksichtigt bleibe auch, dass die Wirtschaftseinheit der Grundstücke (einschließlich Grundstück Flur Nr. ...) mittig durch den Kanal durchquert werde. Bei einer (fiktiven) Neuverlegung wäre ein Verlauf zu wählen, der für den Duldungspflichtigen den geringstmöglichen Eingriff darstelle. Eine Neuverlegung würde an den Grundstücksgrenzen erfolgen und zu einer längeren und mithin kostspieligeren Trasse führen. Die durch die rechtswidrige Handlung der Beigeladenen eingetretene Wertminderung in Höhe von 15% betrage 112.500,- EUR. Insgesamt ergebe ein Vergleich der beiden Leitungstrassen gar keinen Mehraufwand. Im Rahmen der Ermessensausübung wäre es für den Beklagten zumutbar gewesen, einen das Eigentum der Kläger schonenderen Verlauf zu wählen und den Kanal an den Rand des Grundstücks zu verlegen. Der Ausnahmefall der Inanspruchnahme privater Grundstücke sei vorliegend nicht gegeben. Auf den weiteren Inhalt des Schriftsatzes der Kläger vom 22. Dezember 2021 wird ergänzend Bezug genommen.
24
Der Beklagte hat unter dem 5. Januar 2022 zu dem Schriftsatz der Kläger nochmals Stellung zum Verfahren genommen. Es sei aus Sicht des Landratsamts kaum nachvollziehbar, dass den Klägern der Verlauf des Kanals unbekannt gewesen sei. Der Antrag der Beigeladenen sei zum Anlass genommen worden, ein Verfahren nach § 93 WHG einzuleiten. § 93 WHG erfordere nicht zwingend einen wirksamen förmlichen Antrag des Vorhabenträgers. Vorliegend seien beide Alternativen des § 93 Satz 2 i.V.m. § 92 Satz 2 WHG erfüllt. Der Erlass einer Duldungsanordnung zur Legalisierung eines bereits vorhandenen, gegebenenfalls rechtswidrigen Zustands sei nicht ausgeschlossen. Nachdem die tatbestandlichen Voraussetzungen zum Erlass einer Duldungsanordnung erfüllt seien, habe das Landratsamt nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden, die streitgegenständliche Duldungsanordnung zu erlassen. Auf die weiteren Ausführungen im Schriftsatz des Beklagten vom 5. Januar 2022 wird ergänzend Bezug genommen.
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Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 13. Januar 2022 repliziert. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird ebenfalls Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2021 ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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Die in der Hauptsache zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist unbegründet. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Anordnung einer Duldungsverpflichtung auf der Grundlage des Wasserhaushaltsgesetzes erfolgt durch Verwaltungsakt, der nicht nur die Errichtung der Vorrichtung für die Durchleitung des Wassers bzw. Abwassers nebst Anlagen umfasst, sondern insbesondere auch die Verpflichtung zur dauerhaften Duldung der Einrichtung. Der Verwaltungsakt bietet den Rechtsgrund für den dauerhaften Verbleib der Durchleitung in dem Grundstück; es handelt sich damit um einen Verwaltungsakt mit dauernder rechtsgestaltender Wirkung (BVerwG, B. v. 19.2.1988 - 4 B 141/85 - juris; Weber in Berendes/Frenz/Müggenborg, WHG, 2. Auflage 2017, § 93 Rn. 20)
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1. Rechtsgrundlage für die in Nr. 1.1 des streitgegenständlichen Bescheids des Beklagten vom 16. Juni 2021 gegenüber den Klägern als Grundstückseigentümern verfügte Verpflichtung, das Durchleiten von Abwasser (Schmutzwasser) auf einer Länge von 33 m entsprechend dem Eintrag der örtlichen Lage auf dem dem Bescheid beigefügten Plan zu dulden, ist § 93 i.V.m. § 92 Satz 2 WHG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde Eigentümer von Grundstücken verpflichten, das Durchleiten von Abwasser sowie die Errichtung und Erhaltung der dazu dienenden Anlagen zu dulden, soweit dies zur Abwasserbeseitigung erforderlich ist. Dies gilt aber nur, wenn das Vorhaben anders nicht ebenso zweckmäßig oder nur mit erheblichem Mehraufwand durchgeführt werden kann und der von dem Vorhaben zu erwartende Nutzen erheblich größer ist als der Nachteil des Betroffenen (§ 93 Satz 2 i.V.m. § 92 Satz 2 WHG in entsprechender Anwendung).
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1.1 Die Voraussetzungen für den Erlass einer Duldungsanordnung nach § 93 WHG sind vorliegend gegeben.
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1.1.1 Gegenstand der Verpflichtung der Kläger im streitgegenständlichen Bescheid ist lediglich die Duldung der Durchleitung von Abwasser (Schmutzwasser) mittels der sich bereits beim Erwerb der Grundstücke im Jahr 2008 dort befindlichen Abwasserleitung auf einer Länge von 33 m. Im Bescheid wird von den Klägern hingegen nicht die Duldung der Beseitigung der seit den 1960er Jahren vorhandenen Abwasserleitung gefordert. Die Ausführungen der Kläger bezüglich der am Wohnhaus und der Terrasse zu erwartenden Schäden im Fall der Beseitigung oder Neuverlegung des Abwasserkanals sind daher für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich.
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1.1.2 Die Anwendbarkeit des § 93 WHG ist entgegen der Rechtsauffassung der Kläger auch nicht an einen wirksamen Antrag der Beigeladenen geknüpft. Ein förmlicher Antrag auf Erlass einer Duldungsanordnung ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen. Die Einleitung des Verfahrens erfolgt vielmehr von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen durch die „zuständige Behörde“ (§ 93 Satz 1 WHG). Dass die Rechtmäßigkeit einer Duldungsanordnung nicht von der Wirksamkeit eines Antrags der Beigeladenen abhängt, folgt letztlich auch daraus, dass die Durchleitung zwar auch im Interesse der Beigeladenen erfolgt, primär aber im öffentlichen Interesse liegt, das von der nach § 93 WHG zuständigen Behörde zu wahren ist (vgl. Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, im Folgenden: S/Z/D/K, WHG, Kommentar, Bd. 2, Stand: 1.9.2020, § 93 WHG Rn. 43). Damit ist es aber auch nicht entscheidungserheblich, ob der von der Beigeladenen am 11. April 2019 getroffene Beschluss nach den maßgeblichen kommunalrechtlichen Bestimmungen wirksam zustande gekommen ist. Nach dem Wortlaut des § 93 WHG kommt diesem Antrag der Beigeladenen nur eine bloße Anstoßfunktion zu.
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1.1.3 Für die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids ist nicht von Bedeutung, dass die Kläger mit ihrem Anwesen nicht an die streitgegenständliche Abwasserleitung angeschlossen sind und selbst in einen anderen Abwasserkanal entwässern. Unter den Voraussetzungen des § 93 Satz 1 WHG kann für das bloße Durchleiten von Abwasser eine Duldungsverpflichtung ausgesprochen werden, wenn diese entweder zur Ent- bzw. Bewässerung eines (anderen) Grundstücks oder zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Abwasserbeseitigung erforderlich ist. Die Rechtmäßigkeit der Duldungsanordnung nach § 93 WHG setzt nicht voraus, dass das „dienende“ Grundstück den betroffenen Kanal selbst nützt.
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1.1.4 Da die Duldungsanordnung nach § 93 WHG keine vorherige Kenntnis des Eigentümers über die Existenz oder den Verlauf des Kanals voraussetzt, ist auch nicht entscheidungserheblich, ob die Kläger vom Vorhandensein der über ihre Grundstücke verlaufenden Abwasserleitung wussten. Im Übrigen hätten die Kläger hierüber unschwer in Kenntnis gesetzt werden können, da diese die Grundstücke vom Vater der Klägerin zu 2 erworben haben. Auch weist der in den Akten befindliche Lageplan (Behördenakte Bl. 5), der die Grundstücke der Kläger vor der Errichtung des Einfamilienhauses in unbebautem Zustand zeigt, den Verlauf der vorhandenen Abwasserleitung aus. Daher hätten die Kläger bzw. die von diesen bei Planung und Erschließung des Einfamilienhauses beauftragten Personen (Architekt, Bauleiter) Kenntnis vom Verlauf des Kanals haben müssen bzw. zumindest unschwer erlangen können. Insbesondere dürfte bei der Frage des Hausanschlusses der Kläger die Frage aufgekommen sein, an welchen Abwasserkanal das neu errichtete Einfamilienhaus der Kläger angeschlossen wird. Der Vertreter der Beigeladenen hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass im Wege der Bebauung der Grundstücke auch erwogen worden sei, diese an den streitgegenständlichen Kanal anzuschließen. Hierfür wäre aber aufgrund der geringen Sohltiefe des Kanals eine Hebeanlage erforderlich geworden. Deshalb sei ein anderweitiger Kanalanschluss gewählt und präferiert worden.
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1.1.5 Ebenfalls ist nicht entscheidungserheblich, ob die ursprüngliche, in den 1960er-Jahren erfolgte Verlegung der Abwasserleitung mit Zustimmung des damaligen Eigentümers erfolgt ist. Denn eine auf § 93 Satz 1 WHG gestützte Duldungsverfügung ist auch dann zulässig, wenn dadurch ein bisheriger formell-rechtswidriger Zustand nachträglich legalisiert wird (BVerwG, B.v. 16.2.2007 - 7 B 8.07 - NVwZ 2007, 707 f. - juris Rn. 16). Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut in § 93 Satz 1 WHG umfasst die Duldungspflicht nicht nur das Neuerrichten, sondern auch das Unterhalten einer einmal verlegten Leitung bzw. schon vorhandenen Anlage (vgl. OVG MV, B.v. 22.4.2015 - 3 O 55/15 - juris Rn. 10; VG Würzburg, U.v. 27.11.2012 - W 4 K 12.800 - juris Rn. 24). Es wäre wirtschaftlich sinnlos und wird durch die schutzwürdigen Belange nicht gefordert, eine für das Durchleiten schon vorhandene Anlage zunächst von dem betroffenen Grundstück zu entfernen, um so dann in einer neuerlichen Planungsphase darüber zu entscheiden, ob die Anlage mit dem Mittel einer Duldungsverfügung erneut in das Grundstück eingebracht, also der bisherige Zustand wieder hergestellt werden darf (OVG LSA, B.v. 27.8.2014 - 2 L 118/13 - juris Rn. 10; OVG NW, U.v. 9.11.2006 - 20 A 2136/05 - juris Rn. 31). Dies zugrundeliegend kann vorliegend offen bleiben, ob die streitgegenständliche Abwasserleitung ursprünglich rechtmäßig in die betroffenen Grundstücke verlegt worden ist oder ob die streitgegenständliche Duldungsverfügung lediglich den rechtswidrigen Zustand beseitigt, der dadurch entstand, dass die Leitungstrasse in den ursprünglich im Eigentum des Vaters der Klägerin zu 2 stehenden Grundstücken bei Teilung und Veräußerung an die Kläger nicht dinglich abgesichert wurde. Auch unter der letztgenannten Voraussetzung bleibt eine Duldungsanordnung auf der Grundlage des § 93 Satz WHG zulässig (vgl. BVerwG, B.v. 16.2.2007 - 7 B 8.07 - a.a.O.).
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1.2 Die ausgesprochene Duldungsverpflichtung ist im streitgegenständlichen Fall zur Abwasserbeseitigung erforderlich.
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Die Erforderlichkeit ist nicht erst dann zu bejahen, wenn der Zugriff auf ein Grundstück zwingend unerlässlich ist, damit das Vorhaben überhaupt realisiert werden kann. Vielmehr reicht es, dass die Inanspruchnahme des Grundstücks für die Durchführung des Vorhabens bzw. für die Sicherstellung der im öffentlichen Interesse liegenden Abwasserbeseitigung vernünftig und sinnvoll ist (OVG NW, U.v. 9.11.2006 - 20 A 2136/05 - juris; VG München, U.v. 15.11.2011 - M 2 K 11.3044 - juris Rn. 18; Weber in Berendes/Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 93 Rn. 25 m.w.N.). Dies gilt vorliegend umso mehr, da sich der streitgegenständliche Abwasserkanal im Zeitpunkt des Erwerbs der Grundstücke seitens der Kläger im Jahr 2008 bereits seit Jahrzehnten in den betroffenen Grundstücken befand. Weiter bleibt im Hinblick auf die Erforderlichkeit des § 93 Satz 1 WHG zu berücksichtigen, dass die übrigen betroffenen Grundstückseigentümer der Grundstücke Fl.Nrn., ... und ... (jeweils der Gemarkung ...) der Eintragung einer Grunddienstbarkeit (§ 1018 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) zugestimmt haben, so dass letztlich nur das über die Grundstücke der Kläger verlaufende Teilstück des Abwasserkanals dinglich ungesichert ist.
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1.3 Die Erforderlichkeit im Sinne des § 93 Satz 1 WHG scheitert vorliegend auch nicht am grundsätzlichen Vorrang einer zivilrechtlichen Einigung.
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Aus dem Gebot der Erforderlichkeit der zwangsweisen Durchsetzung eines Leitungsrechts ergibt sich die ungeschriebene Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, dass es dem Träger der Wasserversorgung oder der zuständigen Behörde trotz ernsthafter Bemühungen nicht gelungen ist, sich privatrechtlich mit dem betroffenen Grundstückseigentümer oder Nutzungsberechtigten zu angemessenen Bedingungen über ein Durchleitungsrecht zu einigen (vgl. BT-Drs. 16/12786 S. 5; NdsOVG, B.v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 - juris Rn. 45; VGH BW, B.v. 19.11.2013 - 3 S 1525/13 - NVwZ-RR 2014, 263 ff.; Zöllner in S/Z/D/K, a.a.O., § 93 WHG, Rn. 50 ff.). Ausweislich der vom Beklagten vorgelegten Behördenakte sind dem Antrag auf Erlass einer Duldungsanordnung vom 11. Juni 2019 Bemühungen der Beigeladenen vorausgegangen, an die Kläger heranzutreten, um eine Einigung wegen der beabsichtigten Durchleitung des Abwassers in der vorhandenen Leitung zu erzielen. In der Akte befindet sich der Entwurf eines Vertrags über die Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit mit Eintragungsbewilligung für die betroffenen Grundstücke der Kläger (Behördenakte Bl. 2), der von den Klägern nicht unterzeichnet worden ist. Unabhängig von der aufgeworfenen Frage, ob dieser Vertragsentwurf den Klägern überhaupt vorgelegt wurde, hat sich insbesondere der Kläger zu 1 im behördlichen und gerichtlichen Verfahren eindeutig dahingehend positioniert, dass er die Eintragung einer Dienstbarkeit wie auch den Erlass einer Duldungsverfügung strikt ablehne (vgl. Behördenakte Bl. 24, 32). Eine zivilrechtliche Einigung mit der Beigeladenen zu den im Vertragsentwurf näher bezeichneten Konditionen (vgl. insbesondere Nr. 7 der Vertragsvereinbarung) hat der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2021 und im Schriftsatz vom 22. Dezember 2021 nochmals kategorisch abgelehnt. Bei einer derartigen Konstellation sind weitere Bemühungen der Beigeladenen nicht zu fordern. Ein Vorrang einer zivilrechtlichen Einigung kann der ausgesprochenen Duldungsanordnung daher nicht entgegen gehalten werden.
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1.4 Die Erforderlichkeit der streitgegenständlichen Durchleitung entfällt auch nicht aus der Möglichkeit einer Verlegung der vorhandenen Abwasserleitung in den öffentlichen Straßengrund (...straße).
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1.4.1 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird in der Vorschrift des § 93 WHG an zwei Stellen angesprochen. Am Ende von Satz 1 macht der Gesetzgeber deutlich, dass die Durchleitung von Wasser oder Abwasser zu den vorgenannten Zwecken „erforderlich“ sein muss. Im nachfolgenden Satz 2 wird die Bestimmung des § 92 Satz 2 WHG für entsprechend anwendbar erklärt, wonach eine behördliche Anordnung nur ergehen darf, „wenn das Vorhaben anders nicht ebenso zweckmäßig oder nur mit erheblichem Mehraufwand durchgeführt werden kann und der von dem Vorhaben zu erwartende Nutzen erheblich größer als der Nachteil des Betroffenen ist“. Diese Voraussetzungen des § 92 Satz 2 WHG stehen dabei in einem Alternativverhältnis (NdsOVG, B.v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 - juris Rn. 33; OVG LSA, B.v. 27.8.2014 - 2 L 118/13 - juris Rn. 6; Berendes/Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 93 Rn. 30). Die Befugnis der Behörde, den Eigentümer oder Nutzungsberechtigten zur Duldung zu verpflichten, ist hiernach eröffnet, wenn eine der beiden Voraussetzungen nach objektiven Maßstäben erfüllt ist (vgl. OVG NW, B.v. 21.1.2005 - 20 A 157/04 - juris Rn. 10).
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1.4.2 Vorliegend ist die von den Klägern vorgeschlagene Neuverlegung des Abwasserkanals im öffentlichen Straßengrund jedenfalls nicht ebenso zweckmäßig wie der Verbleib des bereits weitestgehend dinglich gesicherten Abwasserkanals in den Grundstücken der Kläger bzw. der übrigen betroffenen Privateigentümer.
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Wie sich aus dem in der Behördenakte enthaltenen Kanalnetzplan der Beigeladenen erkennen lässt, würde sich mit einer Neuverlegung des Kanals im öffentlichen Grund die Frage des Hausanschlusses für mindestens vier betroffene Grundstücke neu stellen, während es sich beim vorhandenen Abwasserkanal und der ausgesprochenen Duldungsanordnung des Beklagten lediglich um einen sogenannten Lückenschluss handelt. Denn die übrigen an den streitgegenständlichen Abwasserkanal angeschlossenen Grundstücke haben einer dinglichen Sicherung des Kanals zugestimmt. Auch diese betroffenen Grundstücke mit den FlurNrn., ... und ... der Gemarkung ... müssten bei einer Neuverlegung des Kanals in die ...straße einer anderweitigen Abwasserbeseitigung zugeführt werden. Dieses hat auch der erste Bürgermeister der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass ausweislich der Ausführungen des Ingenieurbüros ... und ... vom 30. November 2021 bei einer Neuverlegung des Kanals im Straßengrund von einer erforderlichen Sohltiefe von etwa 3,10 m auszugehen sei, während sich der derzeitige Abwasserkanal auf einer Sohltiefe von nur etwa 1,40 m befinde. Auch würde eine Verlegung der Abwasserleitung in der ...straße die Gefahr begünstigen, dass es im Zuge der erforderlichen Bauarbeiten oder bei späteren Wartungsarbeiten zu Setzungen und damit zu erheblichen Schäden kommt. Eine alternative Abwasserbeseitigung im öffentlichen Straßengrund würde in der Gesamtbetrachtung ausschließlich die Kläger begünstigen, da diese nicht über den betroffenen Abwasserkanal entwässern. Die Verlegung würde andererseits aber eine größere Anzahl von Grundstückseigentümern beeinträchtigen, deren Abwasserbeseitigung inklusive erforderlicher Hausanschlüsse vollständig neu geregelt werden müsste. Vor diesem Hintergrund ist eine (fiktive) Neuverlegung des betroffenen Abwasserkanals im öffentlichen Straßengrund jedenfalls nicht ebenso zweckmäßig wie der Erlass einer einzelnen Duldungsanordnung zur Abwasserdurchleitung auf den klägerischen Grundstücken.
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Eine alternative Leitungsführung über Privatgrundstücke unter Ausschluss der klägerischen Grundstücke kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es ist nämlich nicht zweckmäßig, die Behörde auf den Eingriff in andere private Grundstücke zu verweisen und damit die mit der Duldungsanordnung verbundene Belastung lediglich auf andere Grundstückseigentümer oder Nutzungsberechtigte zu verlagern. Dies würde lediglich zu einer Verschiebung der Eigentümerbetroffenheit führen (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2015 - 8 ZB 14.2356 - juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 19.11.2013 - 3 S 1525/13 - NVwZ-RR 2014, 263 ff.; NdsOVG, B.v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 - juris Rn. 35; NdsOVG, U.v. 28.2.1991 - 3 A 291/88 - NJW 1991, 3233; Weber in Berendes/Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 93 Rn. 34).
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1.5 Da die Durchleitung des Abwassers durch die klägerischen Grundstücke zweckmäßig ist bzw. anders nicht ebenso zweckmäßig erfolgen kann, liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Duldungsanordnung vor. Auf die Frage, ob die von den Klägern bevorzugte Neuverlegung des Abwasserkanals im öffentlichen Straßengrund mit einem erheblichen Mehraufwand im Sinne des § 92 Satz 2 WHG verbunden ist, kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an. Allerdings wäre vorliegend von einem erheblichen Mehraufwand auszugehen. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Alternative im Sinne des § 92 Satz 2 WHG mit erheblichem Mehraufwand verbunden ist, ist bei vorhandenen Leitungen darauf abzustellen, ob im gegenwärtigen Zeitpunkt bei einer fingierten erstmaligen Verlegung die von der zuständigen Behörde bzw. der Gemeinde bevorzugte Leitungsführung erforderlich ist. Dabei sind die Kosten der in Frage kommenden Leitungstrassen bei einer fiktiven Neuverlegung in Relation zu setzen, wobei die Kosten der bereits erfolgten Verlegung der vorhandenen Leitung nicht mit einzubeziehen sind (vgl. OVG LSA, B.v. 27.8.2014 - 2 L 118/13 - juris Rn. 12; VG München, U.v. 13.10.2020 - M 10 K 18.6116 - juris Rn. 36). Einen derartigen Vergleich hat das Ingenieurbüro ... und ... unter dem 30. November 2021 vorgenommen und ist insoweit auch aufgrund der unterschiedlich erforderlichen Sohltiefen bei einer fiktiven Neuverlegung in den öffentlichen Straßengrund nachvollziehbar und schlüssig zu Mehrkosten in Höhe von etwa 58.000,- EUR gelangt. Der Kostenvergleich ist insbesondere aufgrund der unterschiedlich erforderlichen Sohltiefen der Kanalleitungen und der Tatsache, dass der größtenteils auf Privatgrundstücken verlegte Kanal im Bereich von verkehrstechnisch ungenützten Flächen verläuft, nachvollziehbar und schlüssig. Damit ist - ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme - von einem erheblichen Mehraufwand im Sinne des § 92 Satz 2 WHG auszugehen (vgl. VG Würzburg, U.v. 27.11.2012 - W 4 K 12.800 - juris Rn. 29; VG Saarland, U.v. 10.3.2008 - 11 L 1195/07 - juris).
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1.6 Der zu erwartende Nutzen für die öffentliche Abwasserversorgung übersteigt bei Verbleib der sanierungsfähigen und im Jahr 2019 tatsächlich sanierten Abwasserleitung in den Privatgrundstücken die den Klägern drohenden Nachteile erheblich. Spürbare tatsächliche Beeinträchtigungen sind für die Kläger, die die Grundstücke mit dem damals bereits vorhandenen Abwasserkanal erworben haben, nicht zu befürchten. Soweit der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung auf drohende Schäden seiner Außenanlagen bei einer erforderlich werdenden Verlegung des Kanals verweist, so ist das insoweit dargestellte Szenario fernliegend. Sollte es sich tatsächlich in den kommenden Jahren herausstellen, dass die derzeitige Abwasserleitung nicht mehr sanierungsfähig ist, so würde naheliegend die vorhandene Leitung ohne Entfernung aus den betroffenen Grundstücken stillgelegt und von der Beigeladenen eine neue Kanalführung erwogen werden. Dies hat auch der erste Bürgermeister der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2021 so bestätigt.
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Mit der ausgesprochenen und hier streitgegenständlichen Duldungsanordnung ist damit nur ein geringfügiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verbunden. Bei der Maßnahme nach § 93 WHG handelt es sich um eine bloße Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, Kommentar, 12. Aufl. 2019, § 93 Rn. 2; Weber in Berendes/Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 93 Rn. 5; Zöllner in S/Z/D/K, a.a.O., § 93 WHG Rn. 6 m.w.N.).
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Zum Erfolg der Klage führt schließlich auch nicht der Umstand, dass die Durchleitung von Wasser und Abwasser durch private Grundstücke auf Grundlage des gesetzlich normierten Zwangsrechts nur den Ausnahmefall und nicht die Regel darstellt (vgl. OVG RP, U.v. 17.8.2006 - 1 A 10509/06 - juris Rn. 27; VG München, B.v. 24.3.2015 - M 2 S 15.36 - juris; Weber in Berendes/Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 93 Rn. 6; Zöllner in S/Z/D/K, a.a.O., § 93 WHG Rn. 59 m.w.N.). Dies kann jedoch dann nicht gelten, wenn wie hier eine Leitung auf Privatgrundstücken bereits seit Jahrzehnten vorhanden und auch bereits überwiegend dinglich gesichert ist.
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1.7 Die Duldungsanordnung ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Die inhaltlich genügende Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes setzt voraus, dass der Wille der Behörde für die Beteiligten des Verfahrens, in dem der Verwaltungsakt ergeht, unzweideutig erkennbar und nicht einer unterschiedlichen subjektiven Bemessung zugänglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.7.1982 - 7 B 182.81 - juris). Eine Duldungsverfügung im Sinne des § 93 WHG ist grundsätzlich hinreichend bestimmt, wenn klar wird, was von dem Duldungspflichtigen konkret verlangt wird und was das Ziel der Handlung des Duldungsberechtigten ist (vgl. VG Stade, U.v. 14.10.2015 - 1 A 3174/13 - juris Rn. 31; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 32a). Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid in Nr. 1.1. Unter Beifügung des Lageplans ist der Verlauf der Abwasserleitung dort eindeutig bezeichnet.
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1.8 Schließlich sind gerichtlich nur eingeschränkt im Sinne des § 114 VwGO überprüfbare Ermessensfehler nicht ersichtlich. Insbesondere wurde die von den Klägern behauptete Beeinträchtigung ihrer Grundstücke vom Beklagten ausreichend gewürdigt und nicht zu gering eingeschätzt. Der Beklagte hat sich zurecht davon leiten lassen, dass das öffentliche Interesse an einem gesicherten, zweckmäßigen und kostengünstigen Verlauf der Abwasserleitung sowie das Interesse der Beigeladenen stärker ins Gewicht fallen, als das Interesse der Kläger an einer Vermeidung der weiteren Inanspruchnahme ihrer Grundstücke. Denn bei der Frage, wie die gesetzliche Pflichtaufgabe der Gemeinde aus Art. 34 Abs. 1 Bayerisches Wassergesetz (BayWG) zur Abwasserbeseitigung zu erfüllen ist, besitzen die Gemeinden einen weiten, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Planungs- und Gestaltungsspielraum (vgl. BayVGH, U.v. 29.6.2011 - 4 N 10.2009 u.a. - juris 14; U.v. 21.12.2009 - 4 B 08.2744 - juris; NdsOVG, B.v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 - juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 10.7.2013 - 4 N 12.2790 - juris Rn. 23 zu einer Trinkwasserversorgung; Zöllner in S/Z/D/K - a.a.O., § 93 WHG Rn. 58).
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2. Die unter den Nrn. 1.2 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 16. Juni 2021 angeordneten Duldungsmaßnahmen sind ebenso rechtmäßig, zumal sich als Rechtsfolge aus § 93 WHG nicht nur die Pflicht des Grundstückseigentümers bzw. Nutzungsberechtigten ergibt, ein Durchleiten von Abwasser zu dulden. Gegenstand der Verpflichtung ist auch, alle Handlungen zu unterlassen, die die zu duldenden Maßnahmen stören oder beeinträchtigen können (vgl. VG Würzburg, U.v. 27.11.2012 - W 4 K 12.800 - juris Rn. 35). Daneben begründet die Duldungsverpflichtung eine öffentliche Last am Grundstück, die auf den jeweiligen Rechtsnachfolger übergeht (vgl. Czychowski/Reinhard a.a.O. § 91 Rn. 10; Weber in Berendes/Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 91 Rn. 19). Die Duldungsverpflichtung schließt auch ein kurzfristig erforderlich werdendes Betretungsrecht der betroffenen Grundstücke ein (vgl. NdsOVG, B.v. 1.8.2017 - 13 LA 164/17 - Rn. 6; Zöllner in S/Z/D/K, § 93 WHG Rn. 29; Czychowski/Reinhardt, a.a.O., § 93 Rn. 5).
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3. Schließlich wurde auch die Gewährung einer Entschädigung an die Kläger zurecht abgelehnt. Als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sind die auf § 93 WHG gestützten Maßnahmen grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen (Czychowski/Reinhardt, a.a.O., § 93 Rn. 2). Lediglich wenn die Beschränkung sich als unzumutbar im Einzelfall erweist, gewährt § 95 WHG einen Entschädigungsanspruch nach näherer Maßgabe der §§ 96 bis 98 WHG. Diese Voraussetzungen wurden vorliegend rechtsfehlerfrei von Seiten des Beklagten abgelehnt.
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4. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 Satz 2 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen haben die Kläger die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie sich ohne Antragstellung keinem Prozesskostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.