Titel:
Keine Ansprüche wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen aufgrund Verhaltensänderung des Herstellers
Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Grundsätzlich ist ein Verhalten sittenwidrig, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck und eine Gesamtschau zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Allerdings kann durch eine nachträgliche Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber das ursprüngliche Verhalten nicht mehr als sittenwidrig zu werten sein. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen dieser nachträglichen Verhaltensänderung in Gestalt einer entsprechenden Informationspolitik muss nicht jeder potentielle Käufer subjektiv verlässlich über den Verbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung informiert werden. Dass die Aufklärung trotz vorhandener Information und eindeutiger Anweisung im Einzelfall nicht erfolgt, begründet mangels Zurechnung des Handels und Wissen des Verkäufers keine Haftung des Herstellers, sondern unter bestimmten Umständen allenfalls eine Haftung des Verkäufers. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässige Abschalteinrichtung, Verhaltensänderung, Aufklärung, sittenwidriges Verhalten
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 06.12.2022 – 8 U 5012/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 39291
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 23.902,28 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nach Kauf eines Gebrauchtwagens.
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Die Klägerin erwarb am 27.12.2018 den streitgegenständlichen Pkw Audi mit 3-Liter-Dieselmotor der Abgasnorm Euro 6 zu einem Kaufpreis von 26.379,00 € vom Audi Zentrum Passau, wobei der Erwerb über die Audi Bank finanziert wurde.
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Das Fahrzeug ist von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten Rückruf in Bezug auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs betroffen, wobei das Kraftfahrt-Bundesamt von einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeht.
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Die Klägerin trägt vor, sie sei von der Beklagten vorsätzlich geschädigt worden.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 26.379,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Kaufdatum 27.12.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges der Marke Audi mit der Fahrgestellnummer …88 und Zug um Zug gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung für Nutzungen des Pkw in Höhe von 9.879,84 €.
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 € zu zahlen.
1. Die Beklagte wird verurteilt einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadenersatz in Höhe von mindestens 7.913,70 € an die Klagepartei zu bezahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.12.2018.
2. Soweit der Hauptantrag Ziffer 1. Erfolg hat: Es wird festgestellt, dass die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten Fahrzeugs in Verzug ist.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte bestreitet, den Kläger getäuscht und geschädigt zu haben.Sie trägt vor, sie habe vor dem streitgegenständlichen Kaufvertragsschluss ihre Vertragshändler darauf hingewiesen, dass Fahrzeuge des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ohne durchgeführtes Software-Update nur nach vorheriger Aufklärung der Kaufinteressenten verkauft werden dürfen. Dazu habe sie die internetbasierte Informationsplattform, das sog. Audi Partner Portal (“App“) benutzt (Anlage B13). Sie habe die Partner und Händler angewiesen, ein von der ihr vorgefasstes Musterschreiben (sog. Beipackzettel – Anlage B16) zu verwenden, um die Kunden aufzuklären. Auf einer von der Beklagten geschalteten Website sei zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer die Betroffenheit von Fahrzeugen überprüfbar gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat zur Sache mündlich verhandelt und die Klägerin informatorisch angehört. Zudem hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einvernahme des Zeugen E. Bezüglich des Inhalts wird auf die Sitzungsprotokolle vom 22.03.2021 und 25.04.2022 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Um Wiederholungen zu vermeiden wird vollumfänglich auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30.7.2020 – Aktenzeichen VI ZR 5/20 Bezug genommen. Das Gericht verkennt nicht, dass es in dieser Entscheidung um ein Fahrzeug mit dem Motortyp EA189 ging. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs sind jedoch auf den vorliegenden Fall übertragbar, da der Kauf im vorliegenden Fall – wie auch im vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall – zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als bereits bekannt war, dass in der Motorsteuerung des Fahrzeugs mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung implementiert ist.
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1. Es fehlt an dem Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 826 BGB. Das Verhalten der Beklagten war im Moment des Vertragsschlusses durch die Klagepartei jedenfalls nicht (mehr) sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB.
12
Grundsätzlich ist ein Verhalten sittenwidrig, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck und eine Gesamtschau zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. In seiner Entscheidung vom 30.07.2020 hat der Bundesgerichtshof deutlich gemacht, dass aufgrund der Tatsache, dass der Anspruch aus § 826 BGB den Schadenseintritt tatbestandlich voraussetzt, durch eine nachträgliche Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber das ursprüngliche Verhalten nicht mehr als sittenwidrig zu werten sein kann (BGH Urt. v. 30.7.2020 – VI ZR 5/20, BeckRS 2020, 19146 Rn. 31). Diese hinsichtlich des Motortyps EA 189 getroffene Grundsatzentscheidung enthält allgemeine Erwägungen, die das Gericht auf die insoweit vergleichbaren Sachverhalte mit Fahrzeugen des streitgegenständlichen Typs für übertragbar hält. Entscheidend ist allein, dass die Verhaltensänderung der Beklagten nach außen erkennbar wird.
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Beim Kaufvertragsschluss am 27.12.2018 als maßgeblichem Schadenszeitpunkt ist von einer nachträglichen Verhaltensänderung der Beklagten auszugehen, so dass sich eine Sittenwidrigkeit des Verhaltens in der Gesamtschau nicht mehr feststellen lässt. Der Umstand, dass die Beklagte ursprünglich eine Abschalteinrichtung mit Prüfstandsbezogenheit entwickelt und verbaut hat, tritt in der Gesamtwertung hinter den nachträglichen Maßnahmen zurück.
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Das Gericht ist aufgrund der Einvernahme des Zeugen E. davon überzeugt, dass die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klägerin eine Website geschaltet hatte, wo durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer die Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps überprüfbar war. Der Zeuge machte nachvollziehbare und überzeugende Angaben. Es bestehen deshalb keine Zweifel an den Angaben des Zeugen. Das Gericht ist weiter aufgrund der Vorlage der Anlagen B13, B15 und B16 davon überzeugt, dass die Beklagte bereits vor Kaufvertragsschluss ihre Vertragshändler informiert hatte. Das Bestreiten der Klägerin ist insoweit auch pauschal.
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Im Rahmen einer Gesamtschau ist deshalb nicht mehr von einer Sittenwidrigkeit des ursprünglichen Verhaltens der Beklagten auszugehen. Die begonnene Informationspolitik der Beklagten, zum einen in Gestalt interner Handlungsleitlinien für das Vertrags- und -servicepartnernetz, zum anderen durch die Erstellung des sog. Beipackzettel, belegt, dass diese ihre gleichgültige Gesinnung aufgegeben hat. Die Beklagte hat sogar mehr getan als der BGH in der Entscheidung vom 30.07.2020 gefordert hat. Dort hatte es das Gericht ausreichen lassen, dass die Beklagte unter grundsätzlicher Verteidigung ihrer Rechtsposition in der Adhoc – Mitteilung lediglich von Unregelmäßigkeiten gesprochen habe. Die hier getroffenen Maßnahmen waren vielfältig und nach außen gerichtet.
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Es ist indes nicht erforderlich, dass diese Informationen auch tatsächlich alle Kunden erreichen.
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Dies kann die Beklagte weder im Vertrags- und Servicepartnernetz lückenlos sicherstellen, schon gar nicht kann sie dies aber im Gebrauchtwagenmarkt unter Beteiligung Dritter gewährleisten. Die Anforderungen dürfen auch nicht überspannt werden, da andernfalls eine Endloshaftung der Beklagten droht. Der Bundesgerichtshof hat in einer neueren Entscheidung zur EA 189 – Fallkonstellation bei verschiedenen Konzernmarken (BGH Urt. v. 8.12.2020 – VI ZR 244/20, BeckRS 2020, 36326 Rn. 18) deutlich herausgestellt, dass nicht jeder potentielle Käufer subjektiv verlässlich über den Verbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung informiert werden muss. Dass die Aufklärung trotz vorhandener Information und eindeutiger Anweisung im Einzelfall nicht erfolgt, begründet mangels Zurechnung des Handels und Wissen des Verkäufers keine Haftung der Audi AG, sondern unter bestimmten Umständen allenfalls eine Haftung des Verkäufers selbst (aaO Rn. 19).
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Die Maßnahmen der Beklagten waren daher dazu geeignet, das Vertrauen potenzieller Käufer zu zerstören und belegen eine nach außen gerichtete Verhaltensänderung.
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In der Gesamtschau der Umstände kann demnach nicht von einer Sittenwidrigkeit des Verhaltens im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausgegangen werden.
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2. Deliktische Ansprüche, bei denen eine fahrlässige Begehungsweise ausreichend ist, sodass es auf den Vorsatz der Beklagten nicht ankommt, sind nicht ersichtlich. Insbesondere fehlt es bezüglich der Voraussetzungen von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV an der drittschützenden Wirkung der Normen der EG-FGV, da der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs weder im Aufgabenbereich der Vorschriften liegt, noch sich aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Richtlinie ergibt (vgl. dazu ausführlich OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juni 2022 – 24 U 115/22).
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Im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehlt es schon am Tatbestandsmerkmal der Stoffgleichheit.
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3. Mangels Bestehen eines Hauptanspruchs kann die Klägerin weder Zinsen noch den Ersatz vorgerichtlicher Kosten beanspruchen. Annahmeverzug war ebenfalls nicht festzustellen.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den § 709 ZPO.