Titel:
Verbot der Führung der Dienstgeschäfte und vorläufige Dienstenthebung
Normenketten:
BBG § 66
BDG § 38
Leitsatz:
Entscheidet sich der Dienstherr dafür, den Beamten im Rahmen des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes zu entheben, wird ein zunächst auf der Grundlage des § 66 BBG ausgesprochenes Verbot der Führung der Dienstgeschäfte damit allerdings gegenstandslos. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bundesbeamtenrecht, Verbot der Führung der Dienstgeschäfte, Nachfolgende vorläufige Dienstenthebung, Gegenstandsloswerden der Verbotsverfügung, Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für die Beschwerde, vorläufige Dienstenthebung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 05.09.2022 – AN 16 S 22.1689
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38963
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. September 2022 - AN 16 S 22.1689 - wird verworfen.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Beteiligten streiten um die Fortgeltung eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte (§ 66 BBG), das das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) mit Bescheid vom 7. April 2022 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gegenüber der Antragstellerin wegen Zweifeln an der ordnungsgemäßen Führung der Dienstgeschäfte und der Eignung als Vorgesetzte ausgesprochen hat.
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Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 5. September 2022 die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2022 wiederhergestellt; seiner Ansicht nach hat das Bundesamt das ihm durch § 66 Satz 1 BBG eröffnete Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, der die Antragstellerin entgegentritt.
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Mit Bescheid vom 5. Oktober 2022 hat das Bundesamt die Antragstellerin im Rahmen des am 2. Juni 2022 gegen sie eingeleiteten Disziplinarverfahrens gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 BDG vorläufig des Dienstes enthoben. Ferner hat es unter dem 6. Oktober 2022 den ursprünglichen Widerspruchsbescheid aufgehoben und den Widerspruch der Antragstellerin gegen die Verbotsverfügung vom 7. April 2022 mit erweiterter Begründung erneut zurückgewiesen.
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Die Antragsgegnerin hält an ihrer Beschwerde fest und ist der Auffassung, die vorläufige Dienstenthebung habe nicht dazu geführt, dass das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte sich erledigt habe. Beide Maßnahmen stünden selbständig nebeneinander, auch soweit sie dieselben Rechtsfolgen auslösten. Die Antragstellerin ist demgegenüber der Ansicht, durch die vorläufige Dienstenthebung sei das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsgegnerin für die Beschwerde weggefallen.
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Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist unzulässig (geworden), weil das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist.
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Das in Streit stehende Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (§ 66 Satz 1 BBG) ist durch die nachträgliche Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung im Disziplinarverfahren (§ 38 Abs. 1 Satz 2 BDG) gegenstandslos geworden. Deshalb steht der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren kein rechtlich schützenswertes Interesse mehr zur Seite, um unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung wieder die sofortige Vollziehung der - gegenstandslos gewordenen - Verbotsverfügung herbeizuführen. Dem Einwand der Antragsgegnerin, sie sei durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts solange beschwert, bis unumstößlich feststehe, dass die vorläufige Dienstenthebung Bestand habe, folgt der Senat nicht.
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1. Rechtsgrundlage für die streitige Verfügung ist § 66 Satz 1 BBG. Danach kann einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden. Das Verbot erlischt nach Satz 2 dieser Vorschrift, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren oder ein sonstiges auf Rücknahme der Ernennung oder auf Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren eingeleitet worden ist (vgl. SächsOVG, B.v. 13.8.2012 - 2 B 61/11 - juris Rn. 6 m.w.N.). Mit einer vorläufigen Suspendierung nach § 66 Satz 1 BBG wird eine (strukturell zeitlich befristete) Zwischenlösung getroffen, um beamten- oder disziplinarrechtliche Schritte vorzubereiten, die zur Behebung der aufgetretenen dienstlichen Schwierigkeiten erforderlich sind. Der Vorgesetzte soll dadurch in der Lage sein, Gefahren abzuwehren, die in der Dienstleistung eines Beamten begründet sind oder sich aus ihr ergeben können. Maßnahmen nach § 66 BBG tragen dabei nur vorläufigen Charakter. Die endgültige Aufklärung ist den in § 66 Satz 2 BBG aufgeführten weiteren Verfahren vorbehalten (vgl. OVG LSA, B.v. 23.2.2011 - 1 M 16/11 - juris).
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Als Maßnahme von nur vorübergehender Dauer wird das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (als befristete Entbindung des Beamten von der Wahrnehmung seines Dienstpostens) gegenstandslos, wenn entweder der Erlass einer entsprechenden Verfügung zur Beendigung des Beamtenverhältnisses mangels Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen scheitert (vgl. hierzu SächsOVG, B.v. 27.10.2004 - 4 S 2097/04 - juris) oder wenn in einem der hierauf zielenden Verfahren eine entsprechende - wenn auch zunächst nur vorläufige - Entscheidung des Dienstherrn ergeht (vgl. OVG NW, B.v. 25.6.2020 - 8 B 238/20 - juris Rn. 9; SächsOVG, B.v. 13.8.2012 - 2 B 61/11 - juris Rn. 7; B.v. 8.6.2012 - 2 B 520/09 - juris Rn. 3; B.v. 6.9.2011 - 2 B 519/09 - juris; OVG MV, B.v. 31.5.2005 - 2 M 58/05 - juris Rn. 4 u. 5; anders für die Beendigung des Beamtenverhältnisses OVG Berlin-Bbg, B.v. 16.4.2013 - OVG 4 S 25.13 - juris Rn. 5).
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Letzteres ist der Fall, weil die Antragsgegnerin die Antragstellerin nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens mit Bescheid vom 5. Oktober 2022 gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 BDG vorläufig des Dienstes enthoben hat.
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Zwar stehen das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 66 Satz 1 BBG und die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG mangels einer gesetzlichen Ausschlussregel dem Grunde nach in einem gleichberechtigten Konkurrenzverhältnis. Trotz ihrer inhaltlichen Verwandtschaft sind sie jeweils eigenständige Instrumente zur Abwehr von Störungen, die der Verwaltung durch eine weitere Amtsausübung des Beamten drohen. Aus dem gleichberechtigten Nebeneinander folgt, dass eine zunächst wirksam erlassene Verbotsverfügung nach § 66 Satz 1 BBG nicht bereits mit der Einleitung des Disziplinarverfahrens erlischt. Sofern der Dienstherr im Anschluss an die Einleitung des Disziplinarverfahrens eine Dienstausübung durch den Beamten auch weiterhin verhindern möchte, hat er vielmehr die Wahl, entweder das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte beizubehalten oder auf der Grundlage des § 38 BDG eine vorläufige Dienstenthebung auszusprechen (vgl. Gansen in Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, Anm. 1.4.2 Rn. 9b).
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Von welchem der beiden Instrumente er Gebrauch macht, entscheidet der Dienstherr im Rahmen seiner Personal- und Organisationshoheit (vgl. OVG NW, B.v. 25.6.2020 - 6 B 238/20 - juris Rn. 11). Entscheidet sich der Dienstherr dafür, den Beamten im Rahmen des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes zu entheben, wird ein zunächst auf der Grundlage des § 66 BBG ausgesprochenes Verbot der Führung der Dienstgeschäfte damit allerdings gegenstandslos (vgl. HessVGH, B.v. 10.6.1988 - 1 TH 2568/87 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 27.11.1986 - 3 CS 86.2908 - juris; OVG MV, B.v. 31.5.2005 - 2 M 58/05 - juris Rn. 4 u. 5; VG Düsseldorf, U.v. 16.10.2012 - 2 K 5387/11 - juris Rn. 25; Schachel in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, § 39 BeamStG Rn. 25; Gansen in Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, Anm. 1.4.2 Rn. 10). Denn ungeachtet der Unterschiede beider Maßnahmen schließt die disziplinarrechtliche vorläufige Dienstenthebung das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte in ihren Rechtswirkungen mit ein und geht teilweise darüber hinaus, etwa hinsichtlich der möglichen Dauer der Maßnahme oder der Möglichkeit einer teilweisen Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 BDG. Deshalb kommt der allgemeine Grundsatz zum Tragen, dass eine weitergehende Maßnahme eine engere Maßnahme gegenstandslos macht (vgl. OVG MV, B.v.31.5.2005 - 2 M 58/05 - juris Rn. 5, 6; Gansen in Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, Anm. 1.4.2 Rn. 10; Günther, ZBR 1992, 321, 333)* Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte endet - in Übereinstimmung mit seinem Zweck als Überbrückungsmaßnahme von nur vorübergehender Dauer - durch die disziplinarrechtliche vorläufige Dienstenthebung, ohne dass es einer förmlichen Aufhebung bedarf (vgl. Zängl in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand Juni 2022, § 39 BeamtStG Rn. 51).
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2. Ist demnach das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte durch die vorläufige Dienstenthebung gegenstandslos geworden, ist das für das Beschwerdeverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Antragsgegnerin weggefallen.
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Dem steht nicht entgegen, dass die disziplinarrechtliche Maßnahme nach § 38 Abs. 1 BDG nur vorläufigen Charakter hat. Denn das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte lebt nicht etwa wieder auf, wenn die vorläufige Dienstenthebung später aufgrund einer nachträglichen Entscheidung durch den Dienstherrn gemäß § 38 Abs. 4 BDG oder vom Verwaltungsgericht aufgrund eines entsprechenden Antrags des Beamten nach § 63 BDG wieder aufgehoben wird (vgl. OVG MV, B.v. 31.5.2005 - 2 M 58/05 - juris Rn. 6; Gansen, in Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand August 2022, Anm. 1.4.2 Rn. 11). Hat der Dienstherr (bzw. die Einleitungsbehörde) sich dafür entschieden, das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte durch eine (disziplinarrechtliche) Dienstenthebung zu ersetzen, muss er sich vielmehr daran festhalten lassen. Hierfür sprechen letztlich auch Gesichtspunkte der Rechtssicherheit für den betroffenen Beamten. Ob der Beamte seinen Dienst antreten darf, beurteilt sich nach der Suspendierung daher ausschließlich nach dem dafür maßgeblichen Disziplinarrecht. Die auf ein Fernhalten des Beamten vom Dienst gerichteten öffentlichen Interessen können im Falle der Anfechtung der Maßnahme durch den Beamten im disziplinarrechtlichen Verfahren geltend gemacht und gewahrt werden.
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Auf eine nachträgliche Rechtmäßigkeitsprüfung ist ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO von vornherein nicht ausgerichtet. Auf die Frage, ob die Voraussetzungen des § 66 BBG für Verbotsverfügung damals vorgelegen haben oder heute noch vorliegen, kommt es nicht (mehr) an.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).