Titel:
Verfristeter Normenkontrollantrag gegen Ortsabrundungssatzung
Normenkette:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1, § 195 Abs. 7
Leitsatz:
Die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO gilt auch dann, wenn geltend gemacht wird, die Satzung sei nachträglich rechtswidrig geworden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle, Ortsabrundungssatzung, Jahresfrist, Funktionslosigkeit, Abrundungssatzung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38938
Tenor
I. Vom Normenkontrollverfahren Az. 15 N 22.1039 wird das Verfahren betreffend die Normenkontrolle gegen die Satzung „Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. Fl.-Nr. 2368 Gemk. W“, bekannt gemacht am 3. August 2021, abgetrennt und unter dem neuen Az. 15 N 22.2521 fortgeführt.
II. Der Normenkontrollantrag betreffend die Ortsabrundungssatzung „W.“, bekannt gemacht am 24. Februar 2006, wird abgelehnt.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Normenkontrollverfahrens.
IV. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
V. Der Streitwert wird bis zur Abtrennung auf 40.000 Euro, danach auf 20.000 Euro festgesetzt.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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Die Antragstellerin wendet sich gegen die Satzung über eine Ortsabrundung in W. der Antragsgegnerin vom 7. Februar 2006, bekannt gemacht am 24. Februar 2006 (ORS 3) sowie gegen die Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. der Antragsgegnerin vom 22. Juli 2021, bekannt gemacht am 3. August 2021 (ORS 4).
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In der Gemeinderatssitzung vom 25. Oktober 2005 beschloss die Antragsgegnerin die Aufstellung einer Ortsabrundungssatzung für eine nördliche Teilfläche des Grundstücks FlNr. 2368 der Gemarkung W. im Anschluss an die bisherige Bebauung des Grundstücks. Ziel der Planung war es, dem Grundstückseigentümer einen Hallenneubau zu gewerblicher Nutzung zu ermöglichen. Die Satzung über eine Ortsabrundung in W. wurde am 7. Februar 2006 beschlossen, am 20. Februar 2006 ausgefertigt und am 24. Februar 2006 bekannt gemacht. Mit Bescheid vom 13. April 2006 erteilte das Landratsamt Aichach-Friedberg die Baugenehmigung zur Errichtung einer Lagerhalle als Materiallager auf dem Grundstück FlNr. 2368 Gemarkung W..
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Mit Schreiben vom 3. Juli 2020 beantragte der Eigentümer des Grundstücks FlNr. 2368 Gemarkung W. eine Einbeziehungssatzung für einen weiteren Teilbereich in nördlicher Richtung. Die Antragsgegnerin beschloss am 21. Juli 2020 die Aufstellung einer Einbeziehungssatzung zur Schaffung von Baurecht einer 400 m2 privilegierten landwirtschaftlichen Nutzfläche mit 320 m2 Erweiterung vorhandenen örtlichen Gewerbebetriebs. Im Verfahren der Beteiligung öffentlicher Träger nahmen das Landratsamt Aichach-Friedberg, Sachgebiete Immissionsschutz und Bauleitplanung, Stellung und äußerte Bedenken hinsichtlich Lärm und Luftreinhaltung des Betriebsumfangs des Gesamtbetriebes sowie des Umfangs der Ortsabrundung. Die Antragstellerin, Eigentümerin des östlich angrenzenden Grundstücks FlNr. … Gemarkung W., erhob mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. November 2020 Einwendungen im Hinblick auf eine fehlende landwirtschaftliche Nutzung und fehlende städtebauliche Erforderlichkeit. Über die eingegangenen Stellungnahmen und Einwendungen wurde seitens der Antragsgegnerin am 25. Februar 2021 beschlossen.
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Nach erneuter öffentlicher Auslegung des überarbeiteten Planentwurfs, in der keine Einwendungen mehr seitens der Antragstellerin erhoben wurden, beschloss die Antragsgegnerin am 22. Juli 2021 über die eingegangenen Stellungnahmen und fasste den Satzungsbeschluss. Die Satzung „Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. Fl-Nr. 2368 Gmkg. W.“ wurde am 29. Juli 2021 ausgefertigt und am 3. August 2021 bekannt gemacht. Mit Bescheid vom 10. Februar 2022 erteilte das Landratsamt Aichach-Friedberg die Baugenehmigung zur Errichtung einer Maschinenhalle auf dem Grundstück FlNr. 2368 Gemarkung W., gegen die seitens der Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erhoben wurde, über die noch nicht entschieden ist (Az. Au 5 K 22.480).
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Gegen beide Satzungen erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 25. April 2022 Normenkontrollantrag. Mit gerichtlichem Schreiben vom 23. November 2022 wurden die Beteiligten zur Abtrennung der Normenkontrollverfahren und Entscheidung durch Beschluss über die Ortsabrundungssatzung „W.“, bekannt gemacht am 24. Februar 2006, angehört.
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Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Ortsabrundungssatzung vom 7. Februar 2006 funktionslos sei, weil die ursprünglichen Festsetzungen und die tatsächliche Entwicklung erheblich voneinander abwichen. Das bloße Abstellen von Oldtimern stelle keine zulässige gewerbliche Nutzung dar. Für die Feststellung der Funktionslosigkeit bedürfe es keiner Antragsfrist. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts missachte, dass bei Überschreiten der Jahresfrist die Vorschriften der Normenkontrolle keine direkte Anwendung mehr finden und im Hinblick auf eine weiterhin mögliche Inzidentkontrolle gerade keine Rechtssicherheit eintrete.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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die Ortsabrundungssatzung „W.“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 24. Februar 2006, betreffend eine Teilfläche des Grundstücks FlNr. 2368 der Gemarkung W., für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Normenkontrollantrag hinsichtlich der Ortsabrundungssatzung aus dem Jahr 2006 sei verfristet. Im Übrigen fehle der Antragstellerin die Antragsbefugnis. Die allgemein gehaltenen Ausführungen ließen eine Verletzung privater Rechte nicht erkennen.
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Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat sich nicht am Verfahren beteiligt.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Planaufstellungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.
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Der Verwaltungsgerichtshof kann durch Beschluss nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheiden, da der Senat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält und die Beteiligten dazu mit gerichtlichem Schreiben vom 23. November 2022 angehört worden sind. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK steht dem nicht entgegen, da der Normenkontrollantrag offensichtlich unzulässig ist (vgl. BVerwG, B.v. 2.6.2021 - 5 BN 1.21 - juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 10.8.2022 - 9 N 20.1772 - juris Rn. 14, B.v. 25.6.2020 - 15 N 19.1537 - juris Rn. 14).
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Der Normenkontrollantrag ist offensichtlich unzulässig, weil die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht gewahrt ist.
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1. Der angegriffene Bebauungsplan ist mit seiner Bekanntmachung am 24. Februar 2006 in Kraft getreten. Die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO i.V.m. der Übergangsregelung des § 195 Abs. 7 VwGO endete daher mit Ablauf des 25. Februar 2008 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1, 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Der Normenkontrollantrag der Antragstellerin ging jedoch erst am 25. April 2022 beim Verwaltungsgerichtshof ein.
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2. Die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gilt auch dann, wenn - wie hier - geltend gemacht wird, die Satzung sei nachträglich rechtswidrig geworden (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2016 - 4 CN 3.15 - juris Rn. 7; B.v. 9.9.2021 - 4 BN 9.21 - juris Rn. 3; BayVGH, U.v. 18.8.2014 - 15 N 13.1875 - juris Rn. 13; U.v. 23.6.2015 - 15 N 13.1553 - juris Rn. 14). Der Einwand der Antragstellerin, die Rechtsprechung missachte, dass bei Überschreitung der Jahresfrist dann keine direkte Anwendung der Normenkontrollvorschriften mehr in Betracht komme, übersieht, dass es der Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und der Wille des Gesetzgebers verbieten, die Antragsfrist mit dem Eintritt der Funktionslosigkeit beginnen zu lassen (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2016 a.a.O. Rn. 9). Zum Anderen bleibt ein den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügender Rechtsschutz im Rahmen einer Inzidentkontrolle über bestehende Klagemöglichkeiten zur Durchsetzung subjektiver Rechte möglich (vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2014 - 14 N 14.104 - juris Rn. 12).
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3. Eine Wiedereinsetzung in die Versäumung der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kommt - unabhängig davon, dass diese auch nicht geltend gemacht wurde - nicht in Betracht. Unabhängig davon, dass eine Wiedereinsetzung ausscheidet, weil die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO eine Ausschlussfrist ist, bei der eine Wiedereinsetzung nicht möglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.9.2021 - 6 BN 1.21 - juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 14.9.2018 - 14 N 17.664 - juris Rn. 34 ff.), wurden jedenfalls Wiedereinsetzungsgründe weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2008 - 15 N 08.30 - juris Rn. 4).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Die Festsetzung des Streitwerts stützt sich auf § 52 Abs. 1, Abs. 8 GKG und orientiert sich an Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (20.000 Euro je angefochtener Satzung).
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).