Titel:
Abgrenzung von Lebensmitteln zu kosmetischen Mitteln – hier Öle mit CBD-Gehalt
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5
LFGB § 39 Abs. 7
BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 1 S. 1 lit. b
Lebensmittel-Basis-VO Art. 2 Abs. 1, Abs. 3 lit. e, Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a
Kosmetik-VO Art. 2 Abs. 1 lit. a
Novel-Food-VO Art. 3 Abs. 2 lit. a Ziff. iv, Art. 6 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zur Lebensmitteleigenschaft eines Öls mit einem CBD-Gehalt von 30 %. (Rn. 17, 34 und 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit eines Lebensmittels ist im Einzelfall eine Risikoanalyse (Art. 6 VO (EG) 178/2002) vorzunehmen, die unter Zugrundelegung des Kriterienkatalogs des Art. 14 IV VO (EG) 178/2002 erfolgen muss. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus dem lebensmittelrechtlichen Normgefüge ergibt sich nicht für jede Fallkonstellation, dass den betroffenen Rechtsgütern ein so hoher Rang zukäme, dass das besondere Sofortvollzug stets mit dem Erlassinteresse identisch wäre. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für die Frage, ob die sofortige Vollziehbarkeit nach § 39 Abs. 7 LFGB eintritt, kommt es nicht darauf an, ob die Anordnung der Behörde zu Recht von der Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen der dort genannten Normen ausgeht, sondern ob die Behörde eine Gesundheitsschädlichkeit angenommen hat und eine Anordnung erlassen hat, die dem Schutz der Gesundheit zu dienen bestimmt ist (Fortführung BeckRS 2020, 39895). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
5. Auch für die Abgrenzung eines kosmetischen Mittels zu Lebensmitteln ist die Zweckbestimmung des Produkts nach der allgemeinen Verkehrsauffassung, dh der Eindruck, den die beteiligten Verkehrskreise über die Verwendung des Erzeugnisses gewinnen, maßgeblich und nicht allein die, auf dem inneren Willen beruhende, subjektive Vorstellung desjenigen, der das Erzeugnis herstellt oder auf dem Markt bereitstellt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
6. Aus der Wertung des Gesetzgebers in § 39 Abs. 7 LFGB folgt gleichzeitig, dass der Verweis auf betroffene Verbraucherschutzinteressen nicht im Wege eines Quasi-Automatismus dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO für den Einzelfall genügt, wenn die Maßnahme gerade nicht auf konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit gestützt werden. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
CBD-Öl, Untersagung des Inverkehrbringens, Definition von Lebensmitteln in Abgrenzung zu kosmetischen Mitteln, Verwendungszweck, Gesundheitsschädlichkeit eines Lebensmittels nicht gegeben, Begründung des Sofortvollzugs nicht hinreichend, Untersagung, Inverkehrbringen, Hanf, Lebensmittel, Mundöl, Pflegeprodukte, Gesundheitsschädlichkeit, Risikoanalyse, Vollziehungsanordnung, Kosmetika, VO (EG) 178/2002, Verordnung über amtliche Kontrollen, VO (EG) 1223/2009, VO (EU) 2015/2283
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.02.2023 – 20 CS 22.2652, 20 CS 22.2654
Fundstellen:
LMuR 2023, 199
NVwZ-RR 2023, 491
LSK 2022, 38638
BeckRS 2022, 38638
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. November 2022 gegen Nr. 1, soweit der Sofortvollzug aus § 39 Nr. 7 LFGB resultiert, und Nr. 4 des Bescheids der Stadt W. vom 2. November 2022 wird angeordnet.
II. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung von Nr. 1, 2 und 3 des Bescheids der Stadt W. vom 2. November 2022 in dessen Nr. 5 wird aufgehoben.
III. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
IV. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
V. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin, die in der Rechtsform einer GmbH u.a. unterschiedliche Produkte mit Cannabinoid-Gehalt vertreibt, begehrt die Anordnung bzw. Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin, in welchem der Antragstellerin das Inverkehrbringen mehrerer Öle mit CBDGehalt untersagt, die Sicherstellung dieser Öle schriftlich bestätigt und ein Zwangsgeld angedroht wurde.
2
1. Am 30. August 2022 wurde durch die Lebensmittelüberwachung der Stadt W. eine Planprobe „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ im Ladengeschäft der Antragstellerin amtlich zur Untersuchung entnommen.
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In dem der Antragsgegnerin übermittelten Befund/Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 31. Oktober 2022 wird zu dem Produkt „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% Cannabidiol Vollspektrum Hanföl mit 24 Karat Gold“ unter anderem ausgeführt: Das Produkt trage auf der Schauseite den Hinweis „30% Cannabidiol Vollspektrum Hanföl“ sowie die Angabe „3000 mg“, welche sich offensichtlich auf die Gesamtmenge an CBD im Produkt beziehe. Auf einer Seitenfläche finde sich zudem die Angabe „30% CBD“, welche die gesamte Fläche fülle. Auf der Rückseite sei weiter ausgeführt: „Qualitatives, goldenes Hanföl mit dem vollen Spektrum an Cannabioniden, Flavonoiden und Terpenen. Ohne zusätzlich beigefügtes CBD“. Zudem finde sich auf einer weiteren Seitenfläche die empfohlene Tagesdosis von 9 Tropfen, welche ca. 84 mg Cannabidiol entspreche. Die Hinweise „3000 mg“ bzw. „30% CBD“ seien zudem auf dem Etikett des Fläschchens wiederholt. Gleichzeitig befinde sich auf der Umverpackung sowie auf dem Etikett des Fläschchens die Anwendungsempfehlung: „Das Mundöl unter die Zunge tröpfeln, mind. 1 Minute einwirken lassen und danach mit Wasser ausspülen. Bei Bedarf 1-3 Tropfen bis zu 3 Mal täglich.“ Laut Kennzeichnung solle es sich bei dem Präparat daher (angeblich) um ein kosmetisches Mittel zur Mundpflege handeln. Dem könne jedoch nicht gefolgt werden. Die Zweckbestimmung des Produktes zur Pflege des Mundraums stehe im unmittelbaren Widerspruch zur sonstigen Produktkennzeichnung und Bewerbung. Bereits die Bezeichnung als „30% Cannabidiol Vollspektrum Hanföl“ bzw. entsprechende quantitative Verweise auf das enthaltene CBD würden aus Verbrauchersicht vielmehr dahingehend verstanden, dass der Konsum des vorliegenden Produkts hauptsächlich der Zufuhr von CBD diene. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, welcher Art von „Bedarf“ im Rahmen des Anwendungshinweises angesprochen werde, sofern der Zweck der Anwendung des Produktes nicht die Einnahme und mithin die Aufnahme von CBD sei. Weiter werde das Produkt online zum Kauf angeboten. Hierbei fänden sich keinerlei Hinweise auf die Zweckbestimmung des Produkts zur Mundpflege. Auch ergebe sich aus dem online zu findenden Anwendungshinweis, „Bei Bedarf 1-3 Tropfen bis zu 3 x täglich verwenden. Die Dosis kann nach Bedarf und eigenem Ermessen erhöht werden.“, nicht, dass man den Mund nach der Anwendung mit Wasser spülen solle, stattdessen sei angeben, dass die angegebene Dosis sogar noch erhöht werden könne. Auf der Website fänden sich diverse Kundenbewertungen, welche zeigten, dass das Produkt auch von einem durchschnittlich informierten Verbraucher keinesfalls mit der Zweckbestimmung zur Mundpflege gekauft bzw. dafür angewendet werde. So führe eine Kundin an, das Öl helfe ihr gegen Arthrose, ein Kunde, das Öl habe super gegen seine Rückenschmerzen geholfen, und ein weiterer, es lindere seine Migräne sehr gut. Darüber hinaus betreibe der Produktverantwortliche auf der Website einen Blog, auf dem CBD diverse Eigenschaften zugeschrieben würden, welche über die Geeignetheit zur Mundpflege deutlich hinausgingen bzw. von denen kein Verbraucher erwarten dürfte, diese durch die Anwendung eines Mundkosmetikums zu erreichen. Es werde aufgeführt, die Anwendung von CBD wirke sich insbesondere auf die Bereiche Entspannung, Schlaf, Verdauung, Stressbewältigung aus. Hierbei heiße es explizit, dass das CBD-Öl eingenommen werden solle. Aufgrund der massiven Diskrepanz zwischen dem abgedruckten Hinweis zur Anwendung und der Produktaufmachung und - bewerbung sei nach vernünftigen Ermessen davon auszugehen, dass ein durchschnittlich informierter Verbraucher nach Ablauf der angegebenen Minute die Tropfen herunterschlucke, um das enthaltene CBD quantitativ aufzunehmen. In dem Anwendungshinweis sei auch nicht explizit aufgeführt, dass man das Öl ausspucken solle oder es nicht herunterschlucken dürfe. Ferner würden bereits weite Teile der Rechtsprechung von einer „gefestigten Verkehrserwartung“ hinsichtlich CBD-Ölen als „Lifestyle“- Produkte zur oralen Einnahme sowie von der Tatsache ausgehen, dass eine Listung derartiger Produkte als Aroma-Öl, Saatgut, Kosmetikum, Hanföl für Tiere oder dergleichen allein mit dem Zweck der Umgehung lebensmittelrechtlicher Vorschriften erfolge. Weiter sei zu berücksichtigen, dass das Produkt mit einer Nennfüllmenge von 10 ml über die Website der Antragstellerin zu einem Preis von 110,00 EUR vertrieben werde, was einem Literpreis von 11.000,00 EUR entspreche. Es sei davon auszugehen, dass ein durchschnittlich informierter Verbraucher ein derart teures Öl nach der angegebenen Verweildauer im Mund trotz gegenteiligem Hinweis in jedem Fall in der Erwartung, so den Teil des CBDs, welcher nicht bereits über die Mundschleimhaut resorbiert worden sei, aufzunehmen, herunterschlucken werde. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass offensichtlich widersinnige Anwendungsempfehlungen unbeachtlich seien. Das Produkt sei daher ein Lebensmittel i. S. v. Art. 2 VO (EG) 178/2002. Es könne sich bei dem Produkt auch nicht um ein kosmetisches Mittel handeln. In der Deklaration seien keine für die Mundpflege relevanten Inhaltsstoffe erkennbar und die Art der Anwendung, 1-3 Tropfen unter der Zunge einwirken lassen, sei für Mundwässer und ähnliche kosmetische Mittel zur Mundpflege nicht üblich. Ungeachtet dessen seien Stoffe, die dazu bestimmt seien eingenommen zu werden, grundsätzlich keine kosmetischen Mittel. In der vorliegenden Probe sei ein Gehalt von 282,7 g/kg CBD (= 28,3%) CBD nachgewiesen worden. Da verschiedene Cannabionide nachgewiesen worden seien, sei davon auszugehen, dass es sich bei der als „Cannabis Sativa Extract“ bezeichneten Zutat um einen cannabidiolreichen Extrakt aus der Hanfpflanze handele. Im Rahmen der toxikologischen Beurteilung des CBD-Gehalts der Probe wird zunächst ausgeführt, dass sich in Versuchen an menschlichen Probanden nach CBD-Gabe als kritischer Endpunkt der Toxizität von CBD die Schädigung der Leber erwiesen habe. Ausgehend von einer aktuellen Studie sei bzgl. CBD von einer Dosis von 4,3 mg/kg KG und Tag als niedrigsten Dosis mit beobachteter schädlicher Wirkung (Lowest Observed Adverse Effect Level - LOAEL) auszugehen. Unter Einrechnung eines Sicherheitsfaktors von 30 für die interindividuelle Variabilität sowie der Extraploration von einem LOAEL auf einen NOAEL (no adverse effect level), sei davon auszugehen, dass eine tägliche Aufnahmemenge von 0,143 mg/ pro Kilogramm Körpergewicht kurzfristig gesundheitlich duldbar sei. Die maximal empfohlene, tägliche Verzehrmenge von 9 Tropfen des streitgegenständlichen Öls mit 30% CBD entspreche einer Aufnahmemenge von 1,248 mg/ pro Kilogramm Körpergewicht. Da dieser festgestellte CBD-Gehalt die festgestellte tolerierbare Aufnahmemenge mit einen Faktor von 8,7 erheblich übersteige und die Grenze zum LOAEL für den Endpunkt Hepatotoxizität lediglich um den Faktor 3,4 unterschreite, sei davon auszugehen, dass schon wegen des Unterschreitens des auf Grund der pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Unterschiede innerhalb der menschlichen Bevölkerung notwendigen Sicherheitsfaktors von 10 gesundheitsschädliche Wirkungen bei einem Teil der Erwachsenen als wahrscheinlich anzusehen seien. Es sei somit davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Öl mit 30% CBD-Gehalt unter den normalen und vorhersehbaren Bedingungen seiner Verwendung durch den Verbraucher (Erwachsene) beim regelmäßigen Verzehr gesundheitsschädlich sei. Das streitgegenständliche Öl mit 30% CBD Gehalt sei daher insgesamt unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 3 und 4 VO (EG) 178/2002 als gesundheitsschädlich und damit als nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 zu beurteilen. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass es sich bei dem enthaltenen Hanfextrakt zudem um ein neuartiges Lebensmittel i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Ziffer iv) VO (EU) 2015/2283 handle, welches nicht Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 entspreche.
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Am 31. Oktober 2022 wurden in dem Räumen der Antragstellerin die dort vorgefundenen Produkte mit der Kennzeichnung „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% Cannabidiol Vollspektrum Hanföl mit 24 Karat Gold“ und weitere CBD-Öle in den Konzentrationsstufen 5%, 10% und 15% CBD, welche zum Verkauf vorrätig gehalten wurden, sichergestellt und amtlich versiegelt.
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In seiner Stellungnahme zur Lebensmitteleigenschaft der CBD-Öle in den Konzentrationsstufen 5% CBD, 10% CBD und 15% CBD vom 2. November 2022 auf Grundlage von Fotografien der Verpackungen dieser Produkte, führte das LGL aus, auch diese seien als Lebensmittel i. S. d. Art. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 einzuordnen und führte im Ergebnis die gleichen Gründe wie in seinem Gutachten vom 31. Oktober 2022 an. Unter Berücksichtigung der deklarierten Zusammensetzung (ca. 42 mg CBD / Tagesdosis) und der Verwendungshinweise sowie Erfahrungswerte für das Gewicht eines Tropfens derartiger Öle ergebe sich der begründete Verdacht, dass das vorgelegte CBD-Öl in der Konzentrationsstufe 15% CBD ein gesundheitsschädliches Lebensmittel im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der VO (EG) 178/2002 darstellen könnte. Es werde empfohlen, dies im Rahmen einer amtlichen Probenahme und nachfolgender Untersuchungen näher abzuklären. Bei allen drei Ölen mit 5, 10 und 15% CBD-Gehalt handle es sich, da sie CBDhaltige Hanfextrakte enthielten, um neuartige Lebensmittel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Ziffer iv) VO (EU) 2015/2283. Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 dürften nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Unionsliste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden. Eine solche Zulassung bzw. Listung sei nicht ersichtlich.
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Mit E-Mail vom 2. November 2022 wurde den vormaligen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin das Gutachten des LGL vom 31. Oktober 2022 weitergeleitet.
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Mit Bescheid vom 2. November 2022 untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin das Inverkehrbringen des Produktes „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“, das mit Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittel-Sicherheit (LGL) Oberschleißheim vom 31. Oktober 2022 als nicht sicher im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 beurteilt wurde (1.). Sie bestätigte die mündlich am 31. Oktober 2022 angeordnete Sicherstellung der vorgefundenen Produkte „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“, „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 15% mit 24 Karat Gold“, „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 10% mit 24 Karat Gold“, „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 5% mit 24 Karat Gold“ schriftlich (2.). Sie untersagte das Inverkehrbringen der weiteren auf der Verpackung als Mundöle deklarierten Produkte mit einem CBD-Gehalt von 5%, 10% und 15%, die laut Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 2. November 2022 zur Lebensmitteleigenschaft der CBD-Öle in den Konzentrationsstufen 5% CBD, 10% CBD und 15% CBD als ein neuartiges Lebensmittel im Sinne des Art. 3 der Verordnung (EU) 2015/2283 einzustufen sind (3.). Für den Fall, dass die Firma C. … den unter Ziffer 1 und Ziffer 3 getroffenen Untersagungsanordnungen zuwiderhandelt, werde ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 1.000,00 EUR zur Zahlung fällig (Nr.4). Sie ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 2 und 3 des Bescheides an (Nr. 5), legte der Firma C. … die Kosten des Verfahrens auf, setzte für den Bescheid eine Gebühr von 106,40 EUR fest und bezifferte die Auslagen mit 724,63 EUR (Nr.6).
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In den Gründen des Bescheids ist im Wesentlichen ausgeführt: Nachdem die Stadt das Gutachten des LGL erhalten habe, habe sie handeln müssen um zu unterbinden, dass nicht sichere Lebensmittel in den Verkehr gebracht würden. Sie habe daher die in den Räumlichkeiten der Antragstellerin vorgefundenen Produkte mit der Kennzeichnung „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ sichergestellt und amtlich versiegelt. Da hierbei festgestellt worden sei, dass weitere Produkte mit der Kennzeichnung „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze“ mit CBD-Gehalt 15, 10 und 5% zum Verkauf vorrätig gehalten worden seien, seien diese, da durch den Gutachter vorab mitgeteilt worden sei, dass diese Produkte ebenfalls nicht verkehrsfähig seien, ebenfalls sichergestellt worden, um ein weiteres Inverkehrbringen zu unterbinden. Es habe von einer Anhörung abgesehen werden können, da eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig erschienen sei. Die Anordnungen unter Ziffern 1 und 3 beruhten auf § 39 Abs. 1 LFGB i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) VO (EU) 2017/625. Stelle die zuständige Behörde einen Verstoß fest, so treffe sie geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beende und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindere. Die Antragstellerin sei als Lebensmittelunternehmerin i. S. d. Art. 3 Nr. 3 VO (EG) 178/2002 für die Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften verantwortlich. Gemäß dem Gutachten des LGL vom 31. Oktober 2022 handele es sich bei den vorliegenden Produkten um Lebensmittel i. S. d. Art. 2 VO (EG) 178/2002. Das CBD-Öl „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ sei unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 3 und Abs. 4 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 als nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 beurteilt worden, da die bestimmungsgemäße Einnahme des Produkts zu einer gesundheitsschädlichen CBD-Aufnahme führe. Lebensmittel, die nicht sicher seien, dürften gemäß Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 nicht in den Verkehr gebracht werden. Darüber hinaus seien sowohl das Öl mit der CBDKonzentration von 30% als auch die Öle mit der CBD-Konzentration 5%, 10% und 15% als neuartige Lebensmittel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Ziffer iv) VO (EU) 20-15/2283 einzustufen, da das enthaltene Hanfextrakt (Cannabis Sativa Extract) nicht vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat verwendet worden sei. Folglich werde für die Verwendung als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat eine Zulassung gemäß der VO (EU) 2015/2283 benötigt. Derzeit enthalte die Unionsliste für zugelassene neuartige Lebensmittel gemäß Art. 6 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 i.V.m. Art. 8 VO (EU) 2015/2283 keine Einträge bzgl. CBD. Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 dürften nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Unionsliste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden. Hiergegen habe die Antragstellerin verstoßen. Um weitere Verstöße zu verhindern, seien die unter Nr. 1 und 3 genannten Anordnungen getroffen worden. Die Sicherstellung der Produkte gemäß Nr. 2 stützte sich auf § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) VO (EU) 2017/625 i.V. m. § 94 Abs. 1 StPO. Die Produkte seien sichergestellt und in amtliche Verwahrung genommen worden, da ein begründeter Verdacht auf eine Straftat vorliege und die Produkte daher als Beweismittel von Bedeutung sein könnten. Die Anordnungen würden somit der Beseitigung der bei der Überprüfung festgestellten erheblichen lebensmittelrechtlichen Missstände und darüber hinaus der Verhütung weiterer Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften dienen. Die Anordnungen seien geeignet lebensmittelrechtliche einwandfreie Zustände zu schaffen, und erforderlich, da mildere Mittel nicht ersichtlich seien. Sie seien angemessen, da sie den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Vorbeugung gegen eine oder Abwehr einer Gefahr für die menschliche Gesundheit bzw. vor Täuschung sicherstellen sollen. Das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände überwiege vorliegend auch unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Gleichbehandlung das Interesse der Antragstellerin an der ungestörten Fortsetzung ihres bisherigen Betriebsablaufs. Die Androhung von Zwangsgeld unter Nr. 3 des Bescheids stützte sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG und solle die Antragstellerin mit Nachdruck dazu veranlassen, die angeordneten Maßnahmen zu erfüllen und künftig zu befolgen bzw. zu dulden. Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG komme bei der Androhung eines Zwangsgeldes eine Fristsetzung nur bei Handlungspflichten in Betracht, deren Erfüllung eine Tätigkeit des Verpflichteten voraussetzt. Daher entfalle dieses Erfordernis bei Unterlassungspflichten. Für die Untersagungsanordnungen in Nr. 1 und 3 des Bescheids sei deshalb keine Fristsetzung erforderlich. Die Androhung des Zwangsgeldes sei ein aufschiebend bedingter Leistungsbescheid im Sinne des Art. 23 Abs. 1 VwZVG. Werde die Verpflichtung nicht eingehalten, so werde die Zwangsgeldforderung fällig und könne durch Zwangsvollstreckung beigetrieben werden, ohne dass es eines neuen Verwaltungsaktes bedürfe. Die sofortige Vollziehung unter Ziffer 5 dieses Bescheides werde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse angeordnet, da nur durch die fristgerechte Erfüllung der unter Nummern 1, 2 und 3 des Bescheids erlassenen Anordnungen der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Vorbeugung gegen eine oder Abwehr einer Gefahr für die menschliche Gesundheit sichergestellt werden könne. Hier liege zudem eine besondere Eilbedürftigkeit vor. Das Gutachten des LGL vom 31. Oktober 2022 beurteile die Probe „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold CBD-ÖI“ als gesundheitsschädlich und damit als nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2022. Da die menschliche Gesundheit als höchstes Gut angesehen werden könne, sei es von herausragender Bedeutung, das Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichen Produkten unverzüglich zu unterbinden. Das Interesse der Allgemeinheit übersteige somit eindeutig das wirtschaftliche Interesse des Gewerbetreibenden an der ungehinderten Ausübung des Gewerbebetriebs. Dies gelte auch für das Inverkehrbringen von nicht zugelassenen neuartigen Lebensmitteln, da erst im Zulassungsverfahren geprüft werde, ob die Lebensmittel als solche bedenkenlos aufgenommen werden könnten. Aufgrund des hohen Stellenwertes der gefährdeten Rechtsgüter könne mit dem Vollzug der Anordnungen nicht bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides gewartet werden. Die Kostenentscheidung beruhe auf Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 5 und Art. 6 Abs. 1 Satz 2 KG i.V.m. mit Tarif-Stelle 7.1X.11/5.7 des Bayerischen Kostenverzeichnisses. Die angefallenen Auslagen würden gemäß Art. 10 KG erhoben.
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2. Am 10. November 2022 ließ die Antragstellerin unter dem Aktenzeichen W 8 K 22.1675 Klage gegen den Bescheid erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. November 2022 gegen den Bescheid vom 2. November 2022, Az. … … … wird wiederhergestellt.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei rechtswidrig und verletze die Rechte der Antragstellerin. Weder handele es sich um ein gesundheitsschädliches Lebensmittel, noch sei die Anordnung des Rückrufs rechtmäßig. Auch die Begründung des Sofortvollzugs entspreche nicht den Vorgaben der aktuellen Rechtsprechung. Der Bescheid sei bereits mangels Anhörung i. S. d. § 28 Abs. 1 VwVfG rechtswidrig. Darüber hinaus handele es sich bei den streitgegenständlichen Präparaten nicht um ein Lebensmittel, sondern um kosmetische Erzeugnisse. Auf den Produkten heiße es klar und deutlich: „Zur Pflege des Mundraumes. Anwendungsempfehlung: Das Mundöl unter die Zunge tröpfeln, mind. 1 Minute einwirken lassen und danach mit Wasser ausspülen. Bei Bedarf 1 - 3 Tropfen bis zu 3 Mal täglich.“ Ein Mundpflegeöl stelle aus Verbrauchersicht ein Kosmetikum dar. Die Produkte würden die Voraussetzungen der Legaldefinition des Kosmetikums des Art. 2 Buchst. a) VO (EG) 1223/2009 erfüllen. Es handle sich um „Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und äußere intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen.“ Es sei zu berücksichtigen, dass dies nicht der ausschließliche Zweck sein müsse, sondern dass bei einem Kosmetikum auch andere Zwecke untergeordnet verfolgt werden dürften. Die Zweckbestimmung des Produktes zur Mundpflege stehe auch nicht im Widerspruch zur sonstigen Produktkennzeichnung. Dass es als CBD-Öl bezeichnet werde und mithin der Wirkstoff CBD benannt werde, sei auch bei einem Kosmetikum nichts Ungewöhnliches. Bei CBD handele es sich um einen ambivalenten Wirkstoff, der in einer Vielzahl von Produktkategorien zu finden sei, eben auch als Wirkstoff in kosmetischen Erzeugnissen. Es werde auf die Einordnung von Zahnpflegekaugummis und Anti-Karies Bonbons als kosmetische Mittel verwiesen, und dass dabei die Tatsache, dass die Inhaltstoffe bzw. das Produkt beim Lutschen bzw. Kauen naturgemäß auch - durch den Speichelfluss - in den menschlichen Körper Aufnahme finde, nicht gegen die Einordnung als kosmetisches Mittel spreche, da nicht die Aufnahme, sondern aufgrund der Aufmachung - für den Verkehr erkennbar - der zahnpflegende und frischefördernde Zweck im Vordergrund stehe. Es sei nicht der Zweck dieser Produkte, den Magen zu erreichen, sondern nur seine zwangsläufige Folge. Notwendig sei, dass der Zweck zur Reinigung und Pflege überwiege. Bei den streitgegenständlichen CBD-Ölen ergebe sich aus ihrer Kennzeichnung unschwer die überwiegende Zweckbestimmung zur Mundpflege, welche eine klassische Zweckbestimmung eines kosmetischen Erzeugnisses gemäß Art. 2 Abs. 1a der VO 1223/2009/EG darstelle, da damit gleich mehrere kosmetische Zwecke erfüllt würden, wie die Pflege, der Schutz und die Erhaltung des guten Zustands. Auch die Gestaltung des Produktes im Übrigen, nämlich eine Ingredients-Liste sei klassisch für kosmetische Erzeugnisse. Lebensmittel würden hingegen eine Zutatenliste aufweisen und keine englischsprachigen Ingredients. Auch fehle eine für Lebensmittel typische Nährwerttabelle. Es schade nicht, dass im Rahmen der Gesamtaufmachung der Inhaltsstoff Cannabidiol genannt werde. Nach der Rechtsprechung komme es maßgeblich auf den Wirkort (Mundhöhle) und die Zweckbestimmung (Mundpflege) und nicht die Zusammensetzung der Stoffe an. Das Gesetz verlange vielmehr die Würdigung des Gesamtprodukts im Hinblick auf die Erwartungen eines durchschnittlich informierten Verbrauchers. Im Gesamteindruck der streitgegenständlichen CBD-Öle würden jedoch Pflege, Schutz und Erhaltung der Mundflora sowie die Produktbezeichnung als Kosmetikum die weit überwiegende Rolle spielen. Bei einem kosmetischen Mittel sei es nicht unzulässig, dass darüber hinaus auch untergeordnet entzündungsfördernde Mikroorganismen bei Hautwunden vorgebeugt werden könnten. Auch die Definition des Pflegebegriffs werde von der Kommentarliteratur so verstanden, dass damit gleichzeitig auch der Schutz vor krankhaften Zuständen gemeint sei. Die aus der Abgrenzung von Arzneimitteln zu kosmetischen Mitteln getroffenen Erwägungen, dass es auf die überwiegende Zweckbestimmung des Produkts ankomme, müssten auch für die Abgrenzung zwischen kosmetischen Mitteln und Lebensmitteln gelten. Die Antragstellerin bezwecke nicht die Umgehung des Lebensmittelrechts. Gegen eine solche Umgehung spreche bereits, dass sowohl die Cannabis sativa-Pflanze als auch Cannabidiol grundsätzlich in kosmetischen Erzeugnissen erlaubt seien, sofern die Vorgaben des Suchtübereinkommens eingehalten seien, also das Produkt keine berauschende Wirkung habe. Sowohl für die Pflanze Cannabis sativa als auch Cannabidiol gebe es sog. INCI-Bezeichnungen, die unter der Liste kosmetischer Bestandteile abgerufen werden könnten. Wäre eine Verwendung von Cannabis sativa-Pflanzenbestandteilen in kosmetischen Erzeugnissen nicht möglich, dürfte es auch keine entsprechende INCI-Bezeichnung geben. Dementsprechend seien Cannabis-Bestandteile nur dann in kosmetischen Erzeugnissen unzulässig, wenn sie mit z.B. Cannabis-Blüten oder -Fruchtständen eine rauschhafte Wirkung hätten, was hier unstreitig nicht der Fall sei. Dementsprechend sei die kosmetischen Wirkungen von Hanf (Cannabis sativa), aber auch von Cannabidiol allgemein in der Fachliteratur und bei interessierten Verbrauchern anerkannt. Dem Cannabidiol würden in kosmetischen Mitteln die Eigenschaften hautschützend, hautpflegend, antiseborrhoisch und als Antioxidant zugeschrieben. Entsprechend sei eine Vielzahl von kosmetischen Hanf- und CBD-Erzeugnissen auf dem Markt erhältlich. Vor diesem Hintergrund erwarte der aufmerksame, verständige Durchschnittsverbraucher bei Mundpflege-Kaugummi durchaus eine entsprechende kosmetische Wirkung von Cannabis bzw. Cannabidiol. Auch die Europäische Kommission führe den kosmetischen Inhaltsstoff Cannabidiol u. a. mit den kosmetischen Funktionen „antioxidativ, hautschützend“. Dies sei entsprechend nützlich für die Mundpflege. Ferner werde auf Rechtsprechung verwiesen, nach der für das Vorliegen eines Lebensmittels die Aufnahme durch den Magen-Darm-Trakt notwendig sei und eine Aufnahme über die Mundschleimhaut oder nur in marginalem Umfang über den Magen-Darm-Trakt nicht genüge. Auch hierbei sei auf den bestimmungs- bzw. erwartungsgemäßem Gebrauch des Produkts abzustellen. Überdies sei für die Feststellung der Verbrauchererwartung unerheblich, ob Lebensmittel mit CBD-Zusatz verkehrsfähig seien oder nicht. Es sei den Quellen unstreitig zu entnehmen, dass sich zahlreiche CBDhaltige Erzeugnisse auf dem Markt als Nahrungsergänzungsmittel und als kosmetische Erzeugnisse befänden und damit die Verkehrsauffassung prägten. Soweit darauf abgestellt werde, dass aus Kundenbewertungen eine andere Zweckbestimmung ersichtlich werde, wie z. B. die Anwendung gegen Schmerzen, seien diese dem Lebensmittelunternehmer nicht zuzurechnen und daher außer Betracht zu lassen. Da es sich somit bereits nicht um ein Lebensmittel, sondern um ein kosmetisches Erzeugnis handle, sei Art. 14 der VO (EG) 178/2002 von vornherein nicht anwendbar.
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Das CBD-Öl mit 30% CBD-Gehalt sei darüber hinaus nicht gesundheitsschädlich i. S. d. Art. 14 Abs. 2 a) der VO (EG) 178/2002. Zunächst sei festzustellen, dass das Produkt gerade keine orale Zweckbestimmung aufweise. In der Anwendungsempfehlung heiße es dagegen ausdrücklich „Das Mundöl unter die Zunge tröpfeln, mind. 1 Minute einwirken lassen und danach mit Wasser ausspülen.“ Diese sei auch für die Bewertung als gesundheitsschädlich ausschlaggebend, da sie die bestimmungsgemäße Anwendung darstelle. Für einen Missbrauch durch den Anwender hafte der Inverkehrbringer nicht. Da in der Bewertung als gesundheitsschädlich nicht berücksichtigt werde, dass die Verbraucher das Produkt gerade nicht in vollem Umfang herunterschlucken sollten, gehe die Beurteilung bereits von einem völlig falschen Sachverhalt und einer falschen Anwendung aus. Vor diesem Hintergrund seien entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse zum oralen Verzehr bestimmter Mengen nicht auf das Produkt übertragbar.
12
Die Anordnung des Sofortvollzugs sei rechtswidrig. Die Begründung des Sofortvollzugs beschränke sich auf Ausführungen zur angeblichen, abstrakten Gesundheitsschädlichkeit, ohne überhaupt auch nur Details anzugeben, um was für Risiken es gehen solle und welche Intensität diese aufweisen sollten. Diese genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO nicht, wonach die Notwendigkeit des Sofortvollzugs im konkreten Einzelfall begründet werden müsse. Es müsse gewährleistet sein, dass die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt würden. Formelhafte Begründungen genügten diesem Erfordernis nicht. Den erforderlichen Einzelfallbezug weise der Bescheid nicht auf. Die Begründung beschränke sich darauf, dass ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung ein Rechtsmittel aufschiebende Wirkung entfalten würde. Die bloße Wiederholung der Rechtsfolge der Anordnung der sofortigen Vollziehung könne nicht die Begründung der Notwendigkeit dieser Maßnahmen im Einzelfall ersetzen. Auch seien keine Gründe für den Sofortvollzug angeführt, die über die Gesichtspunkte hinausgingen, die den Erlass des Verwaltungsakts trügen. Die Begründung stütze sich im Wesentlichen auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Produktes. Das alleinige Abstellen, dass es im Interesse der Allgemeinheit und des Verbraucherschutzes sei, das Inverkehrbringen nicht zugelassener neuartiger Lebensmittel zu unterbinden, genüge nicht. Diese Interessenlage sei grundsätzlich immer gegeben. Hierdurch werde nicht auf den konkreten Einzelfall abgestellt. Dass das Inverkehrbringen nicht zugelassener neuartiger Lebensmittel verhindert werden solle, entspreche insoweit einer Verpflichtung, die sich ohnehin schon aus der Novel-Food-Verordnung ergebe. Darüber hinaus überwiege das öffentliche Sofortvollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin nicht. Es sprächen vielmehr gewichtige Gründe dafür, dass der Bescheid rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt werde, da es sich weder um ein Lebensmittel handle noch eine Gesundheitsschädlichkeit vorliege und daher das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege.
13
Die Anordnung der Sicherstellung sei rechtswidrig. Soweit dies im Zusammenhang mit §§ 94, 98 der StPO erfolge, müsste der Antragstellerin auch ein entsprechender Vorsatz nachgewiesen werden. Es liege schon kein bedingter Vorsatz vor. Selbst bei Unterstellung eines bedingten Vorsatzes würde es aber jedenfalls an der Schuld der Antragstellerin fehlen, da sie einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB unterlegen wäre.
14
Mit Schreiben vom 10. November 2022 erhob der Verfahrensbevollmächigte zeitlich nach der Klage für die Antragstellerin mit dem Antrag, die Sicherstellung und den Bescheid vom 2. November 2022 unverzüglich aufzuheben, Widerspruch.
15
Mit Beschluss vom 11. November 2022 ordnete das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Stadt W. vom 2. November 2022, bis das Gericht im vorliegenden Sofortverfahren über den Antrag der Antragstellerin vom 10. November 2022 entschieden hat, an (I.) und untersagte der Antragsgegnerin, bis zu dem vorgenannten Zeitpunkt vollendete Tatsachen zu schaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind (II.)
16
Mit Schreiben vom 23. November 2022 beantragte die Antragsgegnerin,
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 10. November 2022 (Az. W 8 S 22.1676) gegen den Bescheid der Stadt W. vom 02.11.2022, Az. … … …, wird abgelehnt.
17
Zur Begründung wird im Wesentlichen aufgeführt, der Antrag sei unbegründet. Von einer Anhörung vor Bescheidserlass habe gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG abgesehen werden können, da eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig erschien. Das Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichen Produkten sei unverzüglich zu unterbinden gewesen, da die Gesundheit der Menschen von herausragender Bedeutung sei. Im Übrigen könne die Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden, Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG. Bei den Produkten handle es sich um Lebensmittel. Es werde auf den entsprechenden Abschnitt in der Stellungnahme des LGL vom 21. November 2022 Bezug genommen, in dem dieses seine Ausführungen aus seinem Befund/Gutachten 31. Oktober 2022 wiederhole und weitergehend ausführe, dass ein durchschnittlich informierter Verbraucher vorliegend der Zweckbestimmung „Zur Pflege des Mundraums“ wenig Glaubwürdigkeit zuerkennen würde, da diese im Rahmen der Kennzeichnung nicht einmal ansatzweise mit weiteren, konkreten Zweckbestimmungen untermauert werde. Ein durchschnittlich informierter Verbraucher würde bei einem zur Mundpflege bestimmten kosmetischen Mittel weitere, konkrete Aussagen zu reinigenden oder parfümierenden Wirkungen („saubere Zähne“, „frischer Atem“, etc.) erwarten. Darüber hinaus würden durchschnittlich informierte Verbraucher CBD keinesfalls als einen Stoff zur Mundpflege sehen, sondern die physiologischen Wirkungen von CBD bei der jeweiligen Kaufentscheidung im Vordergrund stehen. Ihnen seien CBD-Öle durch den jahrelangen (obgleich unzulässigen) Vertrieb als Nahrungsergänzungsmittel als zur Einnahme bestimmte Produkte hinreichend bekannt. Dies ergäben auch mehrere Umfragen unter Verbrauchern. Ferner seien für CBD keinerlei mundpflegende Wirkungen bekannt. Das in Rede stehende Präparat wäre somit aufgrund seiner stofflichen Zusammensetzung schon vollkommen ungeeignet, um den angeblichen Zweck des Produktes zur Mundpflege zu erfüllen. Auch deshalb könne die Einstufung von „Zahnpflegekaugummis“ als kosmetische Mittel mangels Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht auf die Öle übertragen werden. Für die Einordnung von Kaugummis sei überdies immer eine Einzelfallprüfung notwendig. Dass das Produkt über eine englischsprachige Ingredients-Liste, aber über kein Nährwertkennzeichnung verfüge, führe nicht zu einer Einordnung als kosmetisches Mittel. Denn bei den Angaben auf den streitgegenständlichen Produkten handle es sich nicht um qualitative Angaben zum bloßen Vorhandensein von Stoffen, wie sie auch bei Kosmetika üblich wären, sondern um quantitative Angaben, die sogar auf die konkrete Tagesdosis bezogen seien. Derartige quantitative Angaben würden über die auch auf anderen kosmetischen Mitteln zu findenden rein qualitativen Angaben deutlich hinausgehen und seien eher für Nahrungsergänzungsmittel als für Kosmetika typisch. Daraus, dass eine INCI-Bezeichnung für CBD existiere, könnten keine Schlüsse über die Zulässigkeit und Verkehrsfähigkeit des entsprechenden Stoffes auf dem europäischen Markt abgeleitet werden, da es sich bei den INCIBezeichnungen um eine internationale Nomenklatur handele, welche aus den USA herausgeführt werde. Dass für den „Cannabis Sativa Extract“ ein entsprechender Eintrag im Glossar gemäß Art. 33 VO (EG) 1223/2009 existiere, führe zu keiner anderen Bewertung, da der Glossar gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 3 VO (EG) 1223/2009 keine Liste von Stoffen darstelle, deren Verwendung in kosmetischen Mitteln zulässig sei. Auch reiche eine bloß abweichende Bezeichnung nicht, um eine Lebensmitteleigenschaft des jeweiligen Erzeugnisses auszuschließen, noch dazu, wenn diese (wie vorliegend ebenfalls der Fall) aus Sicht eines durchschnittlich informierten Verbrauchers nicht plausibel sei. Dass aufgrund von Cremes mit CBD-Gehalt CBD von Verbrauchern nicht zwangsläufig mit einer oralen Anwendung assoziiert werde, führe ebenfalls zu keiner anderen Zweckbestimmung. Ein Öl sei aufgrund der abweichenden Darreichungsform im Gegensatz zu einer Creme nicht zweifelsfrei äußerlich abzuwenden. CBD-Öle seien den Verbrauchern vielmehr als Produkte zur Einnahme bekannt. Die Lebensmitteleigenschaft sei auch nicht ausgeschlossen, da das Öl nach Anwendungsempfehlung nach dem Einwirken ausgespült werden solle. Die Lebensmitteldefinition erfordere lediglich eine Aufnahme des Produkts durch den Menschen, welche auch über die Mundschleimhaut erfolgen könne. Vorliegend würde das Öl aber sowieso entsprechend seiner Zweckbestimmung über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen.
18
Die sichergestellte Ware „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ sei gesundheitsschädlich. Auch diesbezüglich werde auf den entsprechenden Abschnitt in der Stellungnahme des LGL 21. November 2022 Bezug genommen, in dem dieses seine Ausführungen aus seinem Befund/Gutachten 31. Oktober 2022 wiederhole und weitergehend zur Risikobewertung des Produktes anhand einer vollständigen Aufnahme von 9 Tropfen des Öls vortrage.
19
Ziffer 1 des Bescheides vom 2. November 2022 sei gemäß § 39 Abs. 7 Nr. 1 LFGB kraft Gesetzes sofort vollziehbar, da die Planprobe „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ als gesundheitsschädlich und damit als nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 beanstandet worden sei. Ebenso sei die Anordnung der Sicherstellung des vorgefundenen Produktes „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ unter Ziffer 2 des Bescheides kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der übrigen Anordnungen, bezogen auf die Produkte geringerer CBD-Konzentration, unter den Ziffern 2, 3 des Bescheides vom 2. November 2022 habe aufgrund der fehlenden Verkehrsfähigkeit erfolgen können. Denn erst im Zulassungsverfahren werde geprüft, ob die Lebensmittel als solche bedenkenlos aufgenommen werden könnten. In einer aktuellen Pressemitteilung des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2022 heiße es ebenfalls, dass derzeit angebotene CBDhaltige Erzeugnisse, ob als Nahrungsergänzungsmittel, CBD-Öl, Aromaöl oder Mundspray bezeichnet, als Lebensmittel dem Schutzgedanken der europäischen Verordnung für neuartige Lebensmittel unterlägen. Die erforderliche Zulassung liege bisher für kein einziges CBD-Produkt vor. Insoweit habe es geboten erschienen, die Produkte einstweilen aus dem Verkehr zu nehmen. Die Sicherstellung der Produkte stütze sich auf § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) VO (EU) 2017/625 i.V.m. § 94 Abs. 1 StPO. Da ein begründeter Verdacht auf eine Straftat vorliege und die Produkte daher als Beweismittel von Bedeutung sein könnten, seien sie sichergestellt und in amtliche Verwahrung genommen worden. Es käme eine Straftat gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 1 LFGB in Betracht. Außerdem werde mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer entgegen Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/2283 ein neuartiges Lebensmittel in Verkehr bringe oder in und auf einem Lebensmittel verwende. Eine etwaige strafrechtliche Beurteilung obliege den Strafverfolgungsbehörden. Vorliegend gehe es indes um Anordnungen in Vollzug des Gesundheitsschutzes durch die zuständige Kreisverwaltungsbehörde.
20
3. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich des Verfahrens W 8 K 22.1675) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
21
Der Antrag ist zulässig und - nur - im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen ist er unbegründet.
22
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der anwaltlich vertretenen Antragstellerin (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) ist ihr Antragsbegehren bezogen auf Nr.1 des streitgegenständlichen Bescheides, die Untersagung des Inverkehrbringens des Produktes „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“, das mit Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittel-Sicherheit (LGL) vom 31. Oktober 2022 als nicht sicher im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 beurteilt wurde, dahingehend auszulegen, dass sie auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hiergegen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO begehrt, da und soweit diese vorliegend bereits kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 39 Abs. 7 LFGB entfällt. Für die Frage, ob die sofortige Vollziehbarkeit nach § 39 Abs. 7 LFGB eintritt, kommt es nicht darauf an, ob die Anordnung der Behörde zu Recht von der Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen der dort genannten Normen ausgeht, beispielsweise von einer (möglichen) Gesundheitsschädlichkeit nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002. Vielmehr wird der Sofortvollzug schon dann ausgelöst, wenn die Behörde - wie hier - eine Gesundheitsschädlichkeit angenommen hat und eine Anordnung erlassen hat, die dem Schutz der Gesundheit zu dienen bestimmt ist (vgl. im Einzelnen m.w.N. VG Würzburg, B.v. 16.12.2020 - W 8 S 20.1841 - juris Rn. 20).
23
Da die Nrn. 4 und 6 des streitgegenständlichen Bescheides, die Androhung des Zwangsgeld sowie die Kosten und Gebührenfestsetzung ebenfalls kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 i.V.m. Art. 21a VwZVG) ist der Antrag der Antragstellerin bei verständiger Würdigung (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) ebenfalls dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gemäß § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO gegen die Nrn. 4 und 5 des Bescheids begehrt.
24
1. Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Untersagung des Inverkehrbringens des Produktes „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ (Nr. 1 des Bescheids vom 2. November 2022) ist begründet.
25
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3a VwGO ganz oder teilweise anordnen bzw. im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft eine eigene Abwägungsentscheidung. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
26
Eine summarische Prüfung, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geboten, aber auch ausreichend ist, ergibt, dass die Klage der Antragstellerin hinsichtlich Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids voraussichtlich Erfolg haben wird, soweit er sich auf die Gesundheitsschädlichkeit bezieht. Die getroffene Regelung ist insoweit voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
27
Der Bescheid vom 2. November 2022 ist formell rechtmäßig. Soweit die Antragstellerin einen Anhörungsmangel geltend macht, ist festzuhalten, dass eine Anhörung gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG noch bis zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und damit zum Abschluss des gegenwärtig noch anhängigen Hauptsacheverfahrens nachgeholt werden könnte. Sowohl im Sofortverfahren als auch im Klageverfahren besteht ausreichend Gelegenheit, die Belange des Antragstellers geltend zu machen (vgl. auch VGH BW, B.v. 5.7.2022 - 1 S 1224/22 - juris Rn. 7). Infolgedessen wäre ein schlichter Anhörungsmangel nicht geeignet, einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Erfolg zu verhelfen. Ein heilbarer Formmangel des Bescheides rechtfertigt allein nicht die Annahme, dass die betreffende Klage voraussichtlich erfolgreich sein werde. Eine Aussetzung der erforderlichen Vollziehung ist angesichts einer erfolgten bzw. noch zu erwartenden Heilung einer möglicherweise zu Unrecht unterbliebenen ausreichenden Anhörung nicht geboten (VG Würzburg, B.v. 10.2.2021 - W 8 S 21.117 - juris Rn. 27 m.w.N.). Vorliegend wurde die Anhörung aber jedenfalls bereits im Sinne des Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG nachgeholt, indem sich die Antragsgegnerseite in ihrer Antragserwiderung, auch unter Bezugnahme auf das LGL, mit dem ausführlichen Vortrag der Antragstellerin auseinandergesetzt hat.
28
Rechtsgrundlage der lebensmittelrechtlichen Inverkehrbringungsuntersagung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) VO (EU) 2017/625 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002. Dass sich die Antragsgegnerseite zudem auf § 39 LFGB stützen will, ist unbeachtlich, da die europarechtliche Vorschrift des Art. 138 VO (EU) 2017/625 in ihrem Anwendungsbereich Vorrang vor § 39 LFGB hat, der Regelungsgehalt der Untersagungsanordnung durch ein alleiniges Abstellen auf Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) VO (EU) 2017/625 unberührt bleibt und sich insbesondere wegen der inhaltlichen und strukturellen Parallelen der Vorschriften auch in Bezug auf die Ermessensbetätigung keine wesentlichen Änderungen ergeben (vgl. VGH BW, B.v. 17.9.2020 - 9 S 2343/20 - juris; zur Vorgängerregelung schon BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 3 C 7/14 - juris Rn. 15 und VG Würzburg, B.v. 27.7.2018 - W 8 S 18.904 - LMuR 2018, 261, m.w.N). Nach Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) VO (EU) 2017/625 ergreifen die zuständigen Behörden, wenn sie einen Verstoß gegen das Lebensmittelrecht festgestellt haben, geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert. Bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen berücksichtigen die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften, Art. 138 Abs. 1 Satz 2 VO (EU) 2017/625. Die zuständigen Behörden ergreifen alle ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen, um die Einhaltung der Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 2 VO (EU) 2017/625 zu gewährleisten, Art. 138 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VO (EU) 2017/625. Nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 dürfen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden. Dabei gelten nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 Lebensmittel als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich sind.
29
Das Gericht hat zunächst bei summarischer Prüfung keine Zweifel daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ um ein Lebensmittel handelt und daher die lebensmittelrechtlichen Vorschriften Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) i. V. m Art. 14 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 Anwendung finden. Nach überschlägiger Prüfung ist unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 3 und 4 VO (EG) 178/2002 jedoch nicht in ausreichendem Maße nachgewiesen, dass das streitgegenständliche Produkt gesundheitsschädlich ist und daher mangels lebensmittelrechtlicher Sicherheit gemäß Art. 14 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 nicht in Verkehr gebracht werden darf.
30
Bei dem streitgegenständlichen Öl mit 30% CBD-Gehalt handelt es sich nach der hier einzig möglichen und gebotenen summarischen Prüfung um ein Lebensmittel i. S. d. Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002.
31
Nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Damit sind zunächst alle Stoffe erfasst, die nach ihrer Zweckbestimmung von Menschen aufgenommen werden, auch wenn daneben noch ein anderer Verwendungszweck möglich ist. Der Begriff des Lebensmittels ist dem Schutzzweck der Verordnung entsprechend weit auszulegen (vgl. Rohnfelder/Freytag in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Werkstand 242. EL Juni 2022, § 2 LFBG Rn. 7 ff.; NdsOVG, B.v. 9.2.2021 - 13 ME 580/20 - juris Rn. 24). So stellt auch Art. 2 Abs. 2 VO (EG) 178/2002 klar, dass auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe (einschließlich Wasser), die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden, zu den Lebensmitteln zählen. Schließlich bestimmt Art. 2 Abs. 3 VO (EG) 178/2002, dass einzelne Erzeugnisse, wie u.a. kosmetische Mittel sowie Arznei- und Futtermittel, nicht zu den Lebensmitteln gehören. Damit werden diese Erzeugnisse aus dem umfassenden Tatbestand des Abs. 1 herausgenommen, obwohl sie zunächst unter den weit gefassten Lebensmittelbegriff fallen würden (vgl. Rathke in Sosnitza/Meisterernst, LebensmittelR, 183. EL März 2022, EG-Lebensmittel-Basisverordnung, Art. 2 Rn. 16 u. 33). Maßgeblich für die Einordnung als Lebensmittel ist nicht die Beschaffenheit oder Eignung des Produktes, sondern seine Zweckbestimmung. Darunter ist die vorgesehene Verwendung des Stoffes zu verstehen, wie sie im Verkehr bei natürlicher Betrachtungsweise für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen Verbraucher erkennbar ist (vgl. Rathke in Sosnitza/Meisterernst, LebensmittelR, 183. EL März 2022, EG-Lebensmittel-Basisverordnung, Art. 2 Rn. 23; BGH, U.v. 11. 7. 2002 - I ZR 273/99 - LMRR 2002, 70). Dabei wird die primär subjektive Zweckbestimmung durch den verantwortlichen Lebensmittelunternehmer durch die nach objektiver Auffassung zu bestimmende Frage, ob die Aufnahme des betroffenen Stoffes vernünftigerweise erwartet werden kann, korrigiert (vgl. Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl. 2019, § 4 Rn. 5).
32
Ausgehend hiervon handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Öl mit 30% CBD-Gehalt um ein Lebensmittel i. S. d. Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002.
33
Entsprechend der Definition des Lebensmittels ist davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Produkt nach vernünftigem Ermessen erwartungsgemäß von Menschen aufgenommen wird. Dies folgt schon daraus, dass das streitgegenständliche Öl mit 30% CBD-Gehalt nach der Anwendungsempfehlung unter die Zunge getröpfelt wird und dort mindestens eine Minute einwirken soll, bevor es mit Wasser ausgespült wird. Hierdurch wird es sowohl über die Mundschleimhaut als auch durch den Magen-Darm-Trakt aufgenommen, da jedenfalls ein gewisser Anteil des Öls bei bestimmungsgemäßem Gebrauch den Magen-Darm-Trakt durchläuft, da ein Teil des streitgegenständlichen CBD-Öls, wenn es entsprechend der Anwendungsempfehlung mindestens eine Minute unter der Zunge behalten wird, naturgemäß auch - durch den Speichelfluss - in den Magen abgeschluckt wird. Dies gilt insbesondere, da weder auf dem Öl selbst noch an anderer Stelle aufgeführt ist, dass es innerhalb seiner Einwirkzeit nicht heruntergeschluckt werden darf oder das Öl generell nicht zum Verzehr geeignet ist. Es kann daher dahinstehen, ob eine Aufnahme i. S. d. Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 in jedem Fall ein Gelangen in den Magen-Darm-Trakt erfordert.
34
Die Lebensmitteleigenschaft des streitgegenständlichen Öls mit 30% CBDGehalt i. S. d. Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 entfällt entgegen des Vortrags der Antragstellerin nicht gemäß Art. 2 Abs. 3 Buchst. e) VO (EG) 178/2002, da das Öl nicht als kosmetisches Mittel i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) Nr. 1223/2009 einzuordnen ist.
35
Unter kosmetischen Mitteln sind gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) 1223/2009 Stoffe oder Gemische zu verstehen, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und äußere intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen.
36
Auch für die Abgrenzung eines kosmetischen Mittels zu Lebensmitteln ist die Zweckbestimmung des Produkts maßgeblich. Für diese ist ebenso wie in Bezug auf die Lebensmitteleigenschaft, nicht allein die, auf dem inneren Willen beruhende, subjektive Vorstellung desjenigen, der das Erzeugnis herstellt oder auf dem Markt bereitstellt, ausschlaggebend, maßgebend ist vielmehr die allgemeine Verkehrsauffassung, also der Eindruck, den die beteiligten Verkehrskreise über die Verwendung des Erzeugnisses gewinnen. Insoweit kann der Eindruck des beteiligten Verkehrskreises unter anderem auf die Aufmachung und Darreichungsform des Produktes, seine stoffliche Zusammensetzung, aber auch auf die Art seines Vertriebs zurückzuführen sein (vgl. Rathke in Sosnitza/Meisterernst, LebensmittelR, 183. EL März 2022, VO (EG) 1223/2009 Art. 2 Rn. 8-13; LG Köln, U.v. 10. 7. 2007 - 33 O 466/06 - LMRR 2007, 76, beck-online).
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Nach der auch insoweit anzustellenden Gesamtbetrachtung dient das Produkt nicht ausschließlich oder zumindest überwiegend der Pflege des Mundraums.
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Obwohl das Öl nach der Anwendungsempfehlung der Antragstellerin mit den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung kommt, kann nicht angenommen werden, dass dies ausschließlich oder zumindest überwiegend zum Zweck, die Mundhöhle oder die Zähne zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen, geschieht. Entsprechend der Zweckbestimmung des Produktes steht insbesondere angesichts der beabsichtigten Einwirkdauer die Aufnahme der Bestandteile des Produktes in den menschlichen Körper ohne Zweifel im Vordergrund.
39
Zwar wird das streitgegenständliche Öl mit 30% CBD-Gehalt im Rahmen der Anwendungsempfehlung auf Umverpackung und Seite des Etiketts des Fläschchens als Mundöl bezeichnet und unterhalb dieser Anwendungsempfehlung „Zur Pflege des Mundraums“ aufgeführt. Hierin erschöpft sich jedoch jeglicher Bezug zu einem Verwendungszweck i. S. d. Artikel 2 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) 1223/2009. Auf der Vorderseite der Umverpackung als auch auf dem vorderseitigen Etikett des Fläschchens findet sich kein Hinweis darauf, dass es sich um ein Mundöl handeln soll. Das Öl wird auf der Vorderseite der Umverpackung einzig als „C. G., 30%, 10 ml, Cannabidiol Vollspektrum Hanföl“ und auf dem Etikett des Fläschchens als „C. G. - Das volle Spektrum der Hanfpflanze, 10 ml, 3000mg, 30% CBD“ bezeichnet. Auf der Rückseite der Umverpackung wird das Produkt als „Qualitatives, goldenes Hanföl mit dem vollen Spektrum an Cannabinoiden, Flavonoiden und Terpenen. Ohne zusätzlich beigefügtes CBD“ beschrieben. Eine Aufschrift, dass das Öl nicht verzehrt werden soll, findet sich weder auf dem Fläschchen noch auf seiner Umverpackung. Hinzu kommt, dass sich auf der Website der Antragstellerin (https://c. …), auf der das streitgegenständliche Produkt vertrieben wird, keinerlei Hinweis findet, dass es sich um ein kosmetisches Mittel, insbesondere ein „Mundöl“ handeln soll. Hier wird in der Produktbeschreibung aufgeführt, das Öl sei ein besonders hochwertiges, goldenes Hanföl mit dem vollen Spektrum an Cannabinoiden, Flavonoiden und Terpenen. Das Vollspektrum Hanföl werde in Bio-Qualität auf natürlichstem Weg hergestellt, sei vegan und enthalte 30% CBD. Als Anwendungsempfehlung wird aufgeführt, es solle bei Bedarf 1-3 Tropfen bis zu 3-mal täglich verwendet werden und dass die Dosis bei Bedarf und eigenem Ermessen erhöht werden könne. Dass es nur zur Pflege des Mundraums eingesetzt werden könne oder solle, ist hingegen nicht angeben. Und auch das Produktbild auf der Website zeigt lediglich die Vorderseite der Umverpackung sowie des Fläschchens, sodass die Bezeichnung als Mundöl im Rahmen der dortigen Anwendungsempfehlung und die Angabe „zur Pflege des Mundraums“ nicht sichtbar sind. Im Gegensatz dazu werden auf der Website der Antragstellerin in der Verkaufskategorie „Pflegeprodukte“ Produkte wie unter anderem ein CBD-Balsam vertrieben, in dessen Produktbeschreibung gerade aufgeführt wird, dass dieser trockene oder rissige Haut, kleine Verletzungen und beanspruchte Hände entlasten würde und diese sich dank der pflegenden Inhaltsstoffe regenerieren könnten. Bezüglich des streitgegenständlichen Öls mit 30% CBD-Gehalt werden keine solche Verwendungszwecke beschrieben, vielmehr finden sich auf der Website der Antragstellerin Artikel, in denen Verwendungszwecke für CBD-Öl aufgeführt werden, welche nicht denen eines kosmetischen Mittels entsprechen. So wird in dem Artikel „Stress abbauen mithilfe von CBD und Hanf“ vom 1. Dezember 2021 (https:/ …blogs/news/stress-abbauen-mit-cbd, zuletzt aufgerufen am 15.12.2022) u.a. die Einnahme von CBD-Öl zur Anwendung gegen Stress aufgeführt und weiter ausgeführt, dass durch die Einnahme von CBD-Tropfen am ehesten die schnelle Entspannung gelinge. In dem Artikel „Leben geniessen: CBD-Anwendung im Alter“ ebenfalls vom 1. Dezember 2021 (https:/ …blogs/news/cbd-anwendung-im-alter, zuletzt aufgerufen am 15.12.2022) wird als Darreichungsform für CBD im Alter die orale Einnahme von CBD-Öl genannt und aufgeführt, das CBD beeinflusse die ECS-Rezeptoren sehr gut und wirke daher im Bereich der Entspannung, des Schlafes, der Verdauung, der Stressbewältigung, der Beruhigung und der gesunden Stimulanz. Es trage im Alltag zu gesteigerter Vitalität und Wohlbefinden bei, womit es die Lebensqualität sehr deutlich erhöhe. Zwar wird in einem anderen Artikel, „CBD Gesichtspflege: Empfehlungen & Tests“ vom 1. Dezember 2021 (https://c* …blogs/news/cbd-gesichtspflege, zuletzt aufgerufen am 15.12.2022) von der Anwendung von CBD in der Gesichtspflege berichtet, Ausführungen zur kosmetischen Wirkungen von CBD für die Schleimhäute in der Mundhöhle oder Zähne finden sich jedoch weder in dem Artikel noch auf der Website. Hinzu kommt, dass das streitgegenständliche Öl mit 30% CBD-Gehalt nicht in der existierenden Verkaufskategorie „Pflegeprodukte“ sondern einzig in der Kategorie „CBD-Produkte“ vertrieben wird.
40
Bei einer Gesamtbetrachtung der Aufmachung und des Vertriebs des Öls mit 30% CBD-Gehalt wird der durchschnittlich informierte, aufmerksame Verbraucher bei natürlicher Betrachtungsweise daher nicht wegen der einzig im Rahmen der Anwendungsempfehlung auf Fläschchen und Umverpackung verwendeten Bezeichnung als Mundöl sowie der darunter befindlichen Aufschrift „Zur Pflege des Mundraums“, welche lediglich allgemein auf eine Pflegewirkung hindeutet, ohne dass irgendwo aufgeführt wird, inwiefern die Inhalte des Öls sich positiv auf Zähne oder Schleimhäute der Mundhöhle auswirken sollen oder worin die Pflegewirkung liegt, davon ausgehen, dass es sich um ein Produkt handelt, welches ausschließlich oder zumindest überwiegend mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung kommen soll, um diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen. Soweit die Antragstellerseite vorträgt, dass Verbraucher daraus, dass bekannt sei, dass CDB kosmetisch hautschützend und -pflegend, antiseborrhoisch und antioxidativ wirke, davon ausgehen würden, dass solche Wirkungen Zähne oder Schleimhäute der Mundhöhle positiv beeinflussen sollten, ist dies nicht nachvollziehbar. Insbesondere werden Stoffe, deren hautpflegende und -schützende Wirkung bekannt ist, nicht automatisch als pflegend für die Schleimhäute der Mundhöhle oder gar der Zähne angesehen.
41
Ergänzend wird noch angemerkt, dass es sich vorliegend nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein Lebensmittel handelt. Aus den vorliegenden Gutachten und auch aus dem Vorbringen der Antragstellerseite ergibt sich nicht, dass das streitgegenständliche Produkt pharmakologische Eigenschaften bzw. pharmakologische Wirkung hat. Ein Erzeugnis ist jedenfalls dann nicht als Arzneimittel einzustufen, wenn die durch die empfohlene oder wahrscheinliche Dosierung erzielten Wirkungen nicht über Wirkungen hinausgehen, die auch durch den normalen Verzehr eines Lebensmittels erzielt werden können. Eine Einstufung als Arzneimittel erfordert hingegen stets den positiven wissenschaftlichen Beleg einer darüberhinausgehenden Wirkung, einer pharmakologischen Wirkung (vgl. Hagenmeyer/Teufer in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Werkstand: 57. EL August 2022 C. IV. Lebensmittelrecht Rn. 103).
42
Das Gericht hat im Ergebnis jedoch durchgreifende rechtliche Bedenken, dass das streitgegenständliche Produkt „C. G. das volle Spektrum der Hanfpflanze 30% mit 24 Karat Gold“ gemäß Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a VO (EG) 178/2002 nicht in Verkehr gebracht werden darf, da erhebliche Zweifel am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002, mithin der Gesundheitsschädlichkeit des Produktes, bestehen.
43
Die Antragsgegnerin hat im Rahmen der von ihr zu treffenden Prognoseentscheidung nicht nachvollziehbar und insbesondere nicht anhand der Kriterien des Entscheidungskatalogs des Art. 14 Abs. 4 VO (EG) 178/2002, dargelegt, warum sie das streitgegenständliche Produkt als gesundheitsschädlich i. S. d. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 einstuft. Das zur Begründung allein herangezogene Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 31. Oktober 2022 trägt diese Einstufung nicht. Die durch die Antragsgegnerin verfügte Untersagung des Inverkehrbringens stellt sich deshalb insoweit als offensichtlich rechtswidrig dar.
44
Zur Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit des Lebensmittels ist im Einzelfall eine Risikoanalyse (Art. 6 VO (EG) 178/2002) vorzunehmen, die unter Zugrundelegung des Kriterienkatalogs des Art. 14 Abs. 4 VO (EG) 178/2002 erfolgen muss. Bei der Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit eines Lebensmittels i. S. d. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) Basis-VO sind gemäß Art. 14 Abs. 4 VO (EG) 178/2002 die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auch auf nachfolgende Generationen (Buchst. a)), die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen (Buchst. b)) und die besondere Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe, falls das Lebensmittel für diese Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist (Buchst. c)), zu berücksichtigen. Abzustellen ist bei der Risikobewertung auf die Wahrscheinlichkeit der Realisierung der Gefahr und der Schwere dieser Wirkung als Folge der Realisierung der festgestellten Gefahr (Meisterernst, in: Streinz/Meisterernst, Basis-VO, Stand 2021, Art. 14 Basis-VO Rn. 54 und Art. 3 Basis-VO Rn. 47). Von der Gesundheitsschädlichkeit eines Lebensmittels ist dann auszugehen, wenn sich diese aus der Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer gesundheitsschädigenden Wirkung oder wegen der Schwere der zu befürchtenden Gesundheitsschäden oder einer Kombination hieraus ergibt (vgl. zur Abgrenzung in den präventiven Gesundheitsschutz BVerwG, U. v. 14.10.2020 - 3 C 10/19 - ZLR 2021, 276-283, juris Rn. 25; und zu sonst unsicheren Lebensmitteln BVerwG, U.v. 30.1.2020 - 10 C 11/19 - BVerwGE 167, 311-319, juris Rn. 17; zur Risikobewertung im Rahmen des § 39 LFGB vgl. NdsOVG, B.v. 12.1.2019 - 13 ME 320/19 - juris Rn. 48). Bei Vorliegen einer potentiell schweren Wirkung ist auch bei geringer Wahrscheinlichkeit Handeln geboten, während bei geringfügigen Wirkungen unter Umständen eine höhere Wahrscheinlichkeit hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2021 - 20 CS 21.688 - juris Rn. 10 m.w.N.).
45
Dabei genügt es für die Bewertung eines Lebensmittels als gesundheitsschädlich, wenn dieses die Eignung zur Gesundheitsschädigung aufweist, wobei diese Eignung nicht aus abstrakten Erwägungen begründet werden darf, sondern sich aus feststellbaren Eigenschaften eines Stoffes ergeben muss. Grundsätzlich ist der Begriff „gesundheitsschädlich“ weit auszulegen, wobei für die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsschädigung eine nur theoretische Möglichkeit nicht ausreicht. Erforderlich ist insofern eine gewisse Eintrittswahrscheinlichkeit, die allerdings nicht zahlenmäßig festzustellen ist (VG München, B.v. 28.8.2014 - M 18 S 14.2801 - juris).
46
Für die Einstufung als gesundheitsschädlich ist nur auf die normalen Bedingungen der Verwendung abzustellen und nicht ein etwaiger unüblicher Gebrauch oder ein Verbrauch im Übermaß sowie ein Fehlgebrauch in Betracht zu ziehen, wobei bei den normalen Bedingungen allerdings von dem Schutzzweck der Vorschrift auszugehen ist. Dabei ist in Anlehnung an die Definition des Begriffs Lebensmittel (welches von der Antragstellerseite aber in Abrede gestellt wird) von einer Verwendung nach den normalen Bedingungen auszugehen, wie sie nach vernünftigen Ermessen erwartet werden kann (Rathke in Sosnitza/Meisterernst, LebensmittelR, Werkstand 183. EL März 2022, EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 14 Rn. 14 f.; Boch, LFGB, 8. Online-Auflage 2019, § 5 LFGB Rn. 12; VG Würzburg B.v. 16.12.2020 - W 8 S 20.1841 - juris Rn. 44).
47
Wie schon oben bei der Einstufung des streitgegenständlichen Produkts als Lebensmittel ausgeführt, geht das Gericht davon aus, dass eine Aufnahme des Produktes entsprechend der Anwendungsempfehlung durch den Verbraucher den normalen Bedingungen seiner Verwendung nach vernünftigen Ermessen entspricht. Es kann nicht unterstellt werden, dass Verbraucher die auf dem Etikett des Produkts angebrachte Anwendungsempfehlung aufgrund von generellen Verzehrempfehlungen bzgl. CBD-Öl im Internet vollständig missachten.
48
Davon ausgehend kann dem Gutachten des LGL vom 31. Oktober 2022 keine ordnungsgemäße Risikobewertung des streitgegenständlichen Öls mit 30% CBD-Gehalt entnommen werden. Da das LGL seiner Risikobewertung eine Verzehrmenge von 9 Tropfen des Öls, die - nach der Einwirkzeit - geschluckt würden, was einer aufgenommene CBD-Menge von 87,35 mg/Tag bzw. 1,248 mg/kg KG und Tag entspreche, und nicht, dass nur ein Teil des CBD-Öls, bevor es nach einer Minute ausgespült wird, aufgenommen wird, zu Grunde legte, basiert die Einschätzung als gesundheitsgefährdend bereits auf einer falschen Tatsachengrundlage. Ausführungen, dass in der Zeit vor dem Ausspülen trotz diesem der gesamte CBD-Gehalt der 9 Tropfen durch den Verbraucher aufgenommen werden, finden sich nicht. Bezüglich einer niedrigeren Verzehrmenge wurde keine Risikobewertung vorgenommen.
49
Mithin ist nach überschlägiger Prüfung nicht in ausreichendem Maße nachgewiesen, dass das streitgegenständliche Produkt gesundheitsschädlich ist und daher mangels lebensmittelrechtlicher Sicherheit gemäß Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 nicht in Verkehr gebracht werden darf. Die getroffene Regelung ist daher voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage überwiegt daher das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagung des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Öls mit 30% CBD-Gehalt. Daher war die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen.
50
2. Die Antragstellerin macht mit Erfolg geltend, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 5 des Bescheids bzgl. Nr. 1 bis 3 des Bescheides nicht den formellen Begründungsanforderungen genügt, sodass diese isoliert aufzuheben war.
51
Auch wenn, wie erläutert, die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf Nr. 1 des Bescheides bereits kraft Gesetz entfiel, ordnete die Stadt die sofortige Vollziehung gleichwohl in Nr. 5 nochmals ausdrücklich gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO an und begründete die Anordnung über die Gesundheitsgefahr hinausgehend damit, dass es sich bei dem Öl mit 30% CBD-Gehalt um ein nichtzugelassenes neuartiges Lebensmittel handle. Wenn - wie vorliegend - die aufschiebende Wirkung mangels Gesundheitsgefahr nach § 80 Abs. 5 Alt. 1 VwGO durch das Gericht anzuordnen ist, kann die sofortige Vollziehbarkeit weiterhin aus anderen Gründen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch die Behörde angeordnet sein/werden. Insoweit muss die Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO natürlich dessen Voraussetzungen entsprechen.
52
Bezüglich Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids entfällt die aufschiebende Wirkung der Klage nicht bereits gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO kraft Gesetzes, da es sich bei der (schriftlichen Bestätigung der) Sicherstellung der streitgegenständlichen Produkte nicht um unaufschiebbare Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten handelte, sondern vielmehr um eine Maßnahme einer allgemeinen Gefahrenabwehrbehörde, welche nicht von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO umfasst ist. Ebenso entfällt die aufschiebende Wirkung der Klage nicht bereits kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 39 Abs. 7 LFGB. Die Sicherstellung bzw. ihre schriftliche Bestätigung dient laut den Ausführungen der Stadt primär Beweissicherungszwecken für ein etwaiges Strafverfahren. Sie hat hiermit keine Anordnung erlassen, die dem Schutz der Gesundheit zu dienen bestimmt ist. Da die Stadt die sofortige Vollziehbarkeit bzgl. Nr. 2 des Bescheides jedoch in dessen Nr. 5 angeordnet hat, entfällt die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO.
53
In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat die Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO besonders zu begründen. Dabei rechtfertigt allein das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes regelmäßig nicht die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 1 VwGO ist der gesetzliche Regelfall, ungeachtet dessen, dass stets ein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines (rechtmäßigen) Verwaltungsaktes besteht. Da es sich bei der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach der Wertung des Gesetzgebers um einen Ausnahmefall handelt, muss neben das ohnehin bestehende öffentliche Interesse an der Umsetzung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes (Erlassinteresse) ein besonderes Vollzugsinteresse treten, das das Absehen vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung und die Befugnis der Behörde, einen Verwaltungsakt auch schon vor Eintritt der Bestandskraft mit Zwangsmitteln durchzusetzen (vgl. Art. 19 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 VwZVG, § 6 Abs. 1 VwVG), zu rechtfertigen vermag (zu den materiellen Anforderungen an das Dringlichkeitsinteresse vgl. BayVGH, B.v. 28.8.2020 - 12 CS 20.1750 - juris Rn. 42 ff.). Diesem Erfordernis trägt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Rechnung. Die Behörde muss sich der Ausnahmesituation bewusst werden und das besondere Vollzugsinteresse begründen, wenn sie vom Regelfall abweicht und die sofortige Vollziehung anordnet. Die Norm dient darüber hinaus dem Rechtsschutz des Betroffenen, der ausgehend von der Begründung die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs besser einschätzen können soll (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 54). Zwar kommt es zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht darauf an, ob die gegebene Begründung inhaltlich richtig und sachlich geeignet ist, ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Dieser materiell-rechtliche Aspekt fließt in die originäre Ermessensentscheidung des Gerichts im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ein und wird durch sie ersetzt. Nicht ausreichend für das formale Begründungserfordernis ist aber eine formelhafte, nicht auf den konkreten Einzelfall bezogene Begründung, aus der nicht erkenntlich wird, ob und aus welchen Gründen die Behörde vom Vorliegen eines Ausnahmefalls ausgegangen ist, der ein Abweichen vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO rechtfertigen kann (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55; BayVGH, B.v. 4.10.2021 - 20 CS 20.341 - juris Rn. 4; VGH München Beschluss vom 2.8.2022 - 20 CS 22.1540, BeckRS 2022, 27394 Rn. 4).
54
Den dargestellten Anforderungen genügt die Begründung der Nr. 5 des angefochtenen Bescheides nicht. Die Begründung lässt gerade nicht erkennen, dass sich die Antragsgegnerin besonderer Umstände des Einzelfalls bewusst war, die eine Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigen können. Vielmehr hat sie die Anordnung auf abstrakt-allgemeine, auf sämtliche lebensmittelrechtlichen Anordnungen übertragbare Gesichtspunkte gestützt, ohne diese aber in irgendeiner Weise auf den konkreten Einzelfall zu beziehen oder sie näher zu begründen.
55
Die Antragsgegnerin hat die Anordnung des Sofortvollzugs maßgeblich darauf gestützt (vgl. Nr. II.4. der Bescheidsgründe), dass nur die durch die fristgerechte Erfüllung der Untersagung des Inverkehrbringens der streitgegenständlichen der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Vorbeugung gegen eine oder Abwehr einer Gefahr für die menschliche Gesundheit sichergestellt werden kann, da bzgl. des Inverkehrbringens von nicht zugelassenen neuartigen Lebensmitteln erst im Zulassungsverfahren geprüft werde, ob diese Lebensmittel bedenkenlos aufgenommen werden könnten. Aufgrund des hohen Stellenwertes der gefährdeten Rechtsgüter könne mit dem Vollzug der Anordnungen nicht bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides gewartet werden. Es könne nicht abgewartet werden, bis die Rechtmäßigkeit der amtlichen Verfügung gerichtlich festgestellt werde. Insofern überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ein entgegenstehendes privates Interesse an der aufschiebenden Wirkung.
56
Diese Begründung wird den Anforderungen aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht gerecht. Zwar können sich die formalen Anforderungen an die Begründung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, insbesondere hinsichtlich der Darlegung des überwiegenden öffentlichen Interesses, im Einzelfall dann reduzieren, wenn der Gesetzeszweck ohne Anordnung des Sofortvollzugs überhaupt nicht erreichbar ist (z.B. bei der Fahrerlaubnisentziehung vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 46). Dafür ist in erster Linie der Rang der durch die Anordnung zu schützenden Rechtsgüter maßgeblich: Je höher diese einzustufen und je geringer die anderweitigen Einflussmöglichkeiten auf die Gefahrenquelle sind, desto niedrigere Anforderungen sind an eine Begründung für den konkreten Einzelfall zu stellen.
57
Aus dem lebensmittelrechtlichen Normgefüge ergibt sich jedoch gerade nicht für jede Fallkonstellation, dass den betroffenen Rechtsgütern ein so hoher Rang zukäme, dass das besondere Sofortvollzugs stets mit dem Erlassinteresse identisch wäre (so bereits BayVGH, B.v. 7.3.2022 - 20 CS 22.307 - juris Rn. 3; B.v. 6.9.2021 - 20 CS 20.2344 - juris Rn. 3; B.v. 6.9.2021 - 20 CS 21.1592 - juris Rn. 3). Das Lebensmittelrecht differenziert vielmehr: Eine gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit lebensmittelrechtlicher Anordnungen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO findet sich in § 39 Abs. 7 LFGB für dort abschließend aufgeführte Maßnahmen zur Durchsetzung von Verboten zum Schutz der Gesundheit (vgl. dazu Rathke in Sosnitza/Meisterernst LebensmittelR, 183. EL März 2022, § 39 LFGB Rn. 55 ff.; Boch, LFGB, 8. Online-Aufl. 2019, § 39 Rn. 24). Aus dieser Wertung des Gesetzgebers folgt gleichzeitig, dass der Verweis auf betroffene Verbraucherschutzinteressen nicht im Wege eines Quasi-Automatismus dem Begründungserfordernis für den Einzelfall genügt, wenn die Maßnahme - wie hier - gerade nicht auf konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit gestützt werden. Anderenfalls würde die Entscheidung des Gesetzgebers für den grundsätzlichen Eintritt der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen lebensmittelrechtliche Maßnahmen letztlich von der Exekutive regelhaft korrigiert bzw. umgangen (vgl. auch Hoppe in Eyermann, a.a.O., § 80 Rn. 46 a.E.). Zudem verlöre die gesetzliche Anordnung des Sofortvollzugs in den Fällen des § 39 Abs. 7 LFGB die ihr vom Gesetzgeber zugemessene gesteigerte Bedeutung (vgl. dazu BT-Drs. 15/4244 S. 115: „Bei Verboten zum unmittelbaren Schutz der Gesundheit des Menschen sind in aller Regel wegen des überragenden Schutzgutes ein sofortiges Handeln und ein unverzügliches Durchsetzen der Anordnung geboten.“) und die Beschränkung dieses Tatbestands auf bestimmte einzeln aufgeführte Anordnungen weitgehend ihren Sinn, wenn die Exekutive auch in allen anderen, nicht von § 39 Abs. 7 LFGB erfassten Fällen den Eintritt der aufschiebenden Wirkung in formeller Hinsicht bereits mit einem pauschalen Verweis auf das für lebensmittelrechtliche Anordnungen - denen schon von der gesetzlichen Zielsetzung her (vgl. § 1 LFGB) eine gesundheitsschützende Tendenz regelmäßig zu eigen ist - ohnehin erforderliche Erlassinteresse aufheben könnte (vgl. BayVGH B. v. 18.7.2022 - 20 CS 22.1069 - juris Rn. 6ff.).
58
In Bezug auf die sofortige Vollziehbarkeit von Nr. 1 und 3 des Bescheides, die Untersagung des Inverkehrbringens der CBD-Öle aufgrund ihrer Eigenschaft als neuartige Lebensmittel, lässt die Begründung der Stadt im Rahmen der Nr. II.4 des Bescheides nicht erkennen, dass sie sich der Ausnahmesituation ihres Verwaltungshandelns bewusst war. Die Behörde stützt sich in der Begründung der Vollziehungsanordnung im Wesentlichen pauschal auf die überragende Bedeutung des Gesundheitsschutzes, dem das Verbot des Inverkehrbringens neuartiger, nicht zugelassener Lebensmittel diene, und damit auf eine allgemeingültige, für alle nicht zugelassenen neuartigen Lebensmittel unterschiedslos zutreffende Einschätzung, ohne sich hierbei jedoch mit dem konkreten, von der Untersagungsverfügung betroffenen Produkt auseinanderzusetzen und gesundheitliche Risiken für die Verbraucher zu konkretisieren und zu plausibilisieren. Vielmehr erfolgt die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgrund des Status als neuartiges Lebensmittel nach der Begründung in Nr. II.4 des Bescheids ohne Berücksichtigung der Frage, ob von den streitgegenständlichen Produkten unerwünschte gesundheitliche Wirkungen ausgehen, es wird vielmehr darauf abgestellt, dass erst im Zulassungsverfahren geprüft werde, ob sie bedenkenlos aufgenommen werden können.
59
Auch bezogen auf die (schriftliche Bestätigung der) Sicherstellung (Nr. 2 des Bescheids) hat die Behörde die Notwendigkeit der sofortigen Vollziehbarkeit nicht ausreichend begründet. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs erschöpft sich auch diesbezüglich ebenso in den pauschalen Ausführungen zur überragenden Bedeutung des Gesundheitsschutzes, die sich jedoch offensichtlich auf die Untersagung des Inverkehrbringens der Produkte beziehen, da die Sicherstellung ausweislich der Begründung in Bescheid und Antragserwiderung zu Beweissicherungszwecken erfolgte. Eine Begründung, weshalb die sofortige Vollziehbarkeit der Sicherstellung zu Beweissicherungszwecken dem öffentlichen Interesse entspreche, enthält der Bescheid jedoch nicht.
60
Durch die isolierte Aufhebung der Vollziehungsanordnungen ist dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin Rechnung getragen. Denn die Aufhebung der Vollziehungsanordnung in Nr. 5 des Bescheides bewirkt, dass die von der Antragstellerin erhobenen (Anfechtungs-)Klage gegen Nrn. 1-3 des Bescheids vom 2. November 2022 nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO von Gesetzes wegen (wieder) aufschiebende Wirkung zukommt. Der vom Gericht getroffene Ausspruch bleibt auch nicht hinter der von der Antragstellerin begehrten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage zurück. Ihr Rechtsschutzziel hat sie hinsichtlich Nr. 1- 3 des Bescheids vollumfänglich erreicht. Die (bloße) Aufhebung der Vollziehungsanordnung im Fall eines Verstoßes gegen die formellen Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bringt lediglich (klarstellend) den - auf die Erfüllung der der Behörde obliegenden Begründungspflicht - begrenzten gerichtlichen Prüfungsumfang und die daher eingeschränkte Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung zum Ausdruck (so auch ThürOVG, B.v. 25.11.2011 - 2 EO 289/11 - juris Rn. 20; vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 9.3.2018 - 11 CS 18.300 - juris Rn. 6 ff.; OVG Hamburg, B.v. 23.12.1996 - Bs V 165/96 - juris Rn. 2).
61
Da bereits die formelle Rechtswidrigkeit der Vollziehungsanordnung der Antragsgegnerin zum Erfolg des hierauf bezogenen Antrags der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 VwGO führt, kommt es im vorliegenden Sofortverfahren nicht mehr auf die Frage an, ob die in Nrn. 1 - 3 des Bescheides getroffene Anordnung (voraussichtlich) rechtmäßig sind (vgl. OVG NRW, B.v. 23.8.2021 - 9 B 1002/21 - juris Rn. 29 - 31).
62
Das Gericht weist darauf hin, dass die isolierte Aufhebung der Vollziehungsanordnung wegen Begründungsmangels die Behörde nicht hindert, die sofortige Vollziehung unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und mit zureichender Begründung erneut anzuordnen (BayVGH, B.v. 6.9.2021 - 20 CS 20.2344 - juris Rn. 6).
63
Vorsorglich wird weiter darauf hingewiesen, dass mit dem Vorstehenden keine Aussage zu der zwischen den Beteiligten strittigen materiell-rechtlichen Frage getroffen wird, ob die streitgegenständlichen Produkte i. S. d. Art. 6 Abs. 2 VO (EU) Nr. 2015/2283 verkehrsfähig sind und ob die (schriftliche Anordnung der) Sicherstellung der Produkte rechtmäßig war.
64
3. Hinsichtlich Nr. 4 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 2. November 2022 (Androhung von Zwangsgeldern) ist die aufschiebende Wirkung der Klage ebenfalls anzuordnen, da es jedenfalls (nunmehr) an der sofortigen Vollziehbarkeit der in Nrn. 1 und 3 getroffenen Anordnungen, auf die sich Nr. 4 des Bescheides bezieht (vgl. Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG), fehlt und die Klage hiergegen Aussicht auf Erfolg hat.
65
4. Hinsichtlich der Kostenentscheidung und Gebührenfestsetzung bleibt der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ohne Erfolg. Die Antragsbegründung enthält zu der Kostenentscheidung und Gebührenfestsetzung bzw. dem insoweit begehrten vorläufigen Rechtsschutz bereits keine Ausführungen. Nach Aktenlage ist der auf die Gebührenfestsetzung bezogene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO im maßgeblichen Zeitpunkt der Stellung des Eilantrags beim Verwaltungsgericht nicht erfüllt waren. Aus dem Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin ergibt sich nicht, dass die Antragstellerin dort diesbezüglich einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat (vgl. OVG NRW, B.v. 23.8.2021 - 9 B 1002/21 - juris Rn. 40).
66
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da die Antragstellerin mit dem Antrag hinsichtlich Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids (Kostenentscheidung und Gebührenfestsetzung) im Verhältnis zum erfolgreichen Rest nur geringfügig unterlegen ist.
67
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs. Nach Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs richtet sich der Streitwert nach dem Auffangwert, wenn sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der streitgegenständlichen Anordnung wie hier nicht im Einzelnen beziffern lassen. Zum einen hat sich die Antragstellerin selbst nicht zu den möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen geäußert. Zum anderen fehlen weitergehende Informationen darüber, in welcher Größenordnung der mögliche Gewinn zu beziffern wäre, auf den abzustellen ist (vgl. VGH BW, B.v. 17.9.2020 - 9 S 2343/20 - juris). Mangels greifbarer Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts bleibt es damit beim Auffangwert. Der Auffangwert von 5.000,00 EUR war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren, so dass ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen war.