Inhalt

AG Nürnberg, Endurteil v. 27.04.2022 – 35 C 5704/21
Titel:

Regulierungsvollmacht des Kfz-Haftpflichtversicherers

Normenketten:
PfVG § 3 Nr. 1
AKB A.1.1.4
Leitsätze:
1. Die dem Kfz-Haftpflichtversicherer eingeräumte Regulierungsvollmacht gibt ihm die Befugnis, die Schadensregulierung nach eigenem Ermessen unabhängig von Weisungen des Versicherungsnehmers vorzunehmen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Ermesensüberschreitung liegt erst vor, wenn der Versicherer eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung vornimmt, indem er die vom Unfallgegner geltend gemachten Ansprüche reguliert, obwohl sie nach den gegebenen Beurteilungsgrundlagen eindeutig und leicht nachweisbar unbegründet sind. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kfz-Haftpflichtversicherer, Regulierungsermessen, Regulierungsvollmacht, Ermessensmissbrauch
Fundstellen:
BeckRS 2022, 38153
DAR 2023, 576
LSK 2022, 38153

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, § 313a Abs. 1 ZPO.

Entscheidungsgründe

1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere ist das hiesige Amtsgericht gem. § 215 VVG örtlich und gemäß § 1 ZPO i.V.m.§ 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
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Die Klägerin als Versicherungsnehmerin hat ihren Wohnsitz in Nürnberg.
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II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den zwischen den Parteien bestehenden Pkw-Haftpflichtversicherungsvertrag dahingehend abzuändern, dass die Beklagte aufgrund des Schadensfalles vom 20.05.2020 höhere Versicherungsbeiträge geltend zu machen. Dies ergibt sich daraus, dass der Beklagten aufgrund von Punkt A.1.1.4 der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) eine Regulierungsvollmacht zusteht und die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts diese Vollmacht entsprechend ausgeübt hat.
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1. Grundsätzlich ergibt sich eine Regulierungsvollmacht aus A.1.1.4 AKB, wonach die Versicherung bevollmächtigt ist, im Namen [des Versicherungsnehmers] Schadenersatzansprüche zu erfüllen oder abzuwehren und alle dafür zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens abzugeben.
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Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB dar. Insoweit besteht grundsätzlich eine Produktgestaltungsfreiheit der Versicherer. Für das Verständnis und die Abgrenzung der Bedingungen gelten die allgemeinen Auslegungsgrundsätze. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGH, Urt. v. 23.06.1993 - IV ZR 135/92). In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen (BGH, Urt. v. 18.02.2009 - IV ZR 11/07). Insoweit ist der Sprachgebrauch des täglichen Lebens maßgeblich (BGH, Urt. v. 05.07.2017 - IV ZR 116/15). Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urt. v. 08.10.2014 - IV ZR 16/13). Abzustellen ist insoweit auf den typischen Adressaten- und Versichertenkreis der konkreten Bedingungen (BGH, Urt. v. 25.05.2011 - IV ZR 117/09).
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Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei „aus sich heraus“, also ohne Heranziehung anderer Texte, auszulegen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (st. Rspr. vgl. BGH, Urt. v. 22.01.2020 - Az. IV ZR 125/18; BGH, Urt. v. 06.03.2019 - Az. IV ZR 72/18; BGH, Urt. v. 18.11.2020 - IV ZR 217/19).
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Die streitgegenständliche Klausel A.1.1.4 AKB ist bereits aufgrund des Wortlautes für einen verständigen Versicherungsnehmer so zu verstehen, dass die Versicherung zur Regulierung bevollmächtigt wird. Hierbei ist grundsätzlich ergänzend zu berücksichtigen, dass die Vollmacht dem Versicherer im Innenverhältnis zu seinem Versicherungsnehmer die Befugnis gibt, die Schadensregulierung nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen und unabhängig von Weisungen des Versicherungsnehmers durchzuführen. Die Pflicht des Versicherers aus dem Versicherungsvertrag ist nach Eintritt des Versicherungsfalles darauf gerichtet, begründete Schadenersatzansprüche im Rahmen des übernommenen Risikos zu befriedigen und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Ob der Versicherer freiwillig zahlt oder ob er die Zahlung ablehnt und es darauf ankommen lässt, ob der Geschädigte seine Ansprüche gerichtlich geltend macht, entscheidet er grundsätzlich nach seinem eigenen Ermessen.
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Diesem Ermessen sind lediglich dort Grenzen gesetzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt werden und wo diese deshalb die Rücksichtnahme des Versicherers verlangen. Der Versicherer verletzt die sich aus dem Versicherungsvertrag ergebende Pflicht, auf die Interessen seines Versicherungsnehmers Rücksicht zu nehmen, wenn er eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung durchführt. Eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung liegt vor, wenn die vom Unfallgegner geltend gemachten Ansprüche nach den gegebenen Beurteilungsgrundlagen eindeutig und leicht nachweisbar unbegründet sind. Bei der Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Versicherers über die Frage der Schadensregulierung abzustellen (Stiefel/Maier/Maier, 19. Aufl. 2017, AKB 2015 Rn. 98). Die Beweislast für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Versicherer trägt nach den allgemeinen im Zivilprozess geltenden Grundsätzen der Versicherungsnehmer (siehe LG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2009 - 22 S 160/09, SP 03/10, 121 f.).
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Ergänzend ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen, dass aufgrund von § 3 Nr. 1 PflVG auch die Versicherung selbst einem Direktanspruch des Unfallgegners unterliegt. Aufgrund dessen muss die Versicherung selbst auch, im Rahmen des pflichtgemäß ausgeübten Interesse dazu berechtigt sein, selbständig darüber zu entscheiden, ob sie sich verklagen lassen will. Sie ist nicht gehalten, eine Regulierung zu verweigern, weil der Versicherungsnehmer eine Schadenersatzpflicht von vorneherein bestreitet. Einwendungen hat sie zwar zur Kenntnis zu nehmen, aber sodann im Rahmen ihres Ermessensspielraums selbständig über die Befriedigung der an sie gerichteten Ansprüche zu befinden (siehe AG Köln, Urteil vom 28.01.2009 - 269 C 293/08, SP 06/09, 252). Im Rahmen der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens ist der Versicherer jedoch gehalten, sich ein hinreichend genaues Bild über die Umstände zu verschaffen, aus denen die Schadenersatzansprüche hergeleitet werden. Es ist die Rechtslage sorgfältig zu prüfen, um die Aussichten für eine Abwehr der Ansprüche nach Grund und Höhe möglichst zuverlässig einschätzen zu können ((Stiefel/Maier/Maier, 19. Aufl. 2017, AKB 2015 Rn. 98).
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2. In Anwendung dieser Grundsätze lässt sich eine schuldhafte Pflichtverletzung des Versicherers in diesem Fall nicht feststellen.
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Zwar steht zwischen den Parteien im Streit, inwiefern es überhaupt zwischen den Fahrzeugen zu einer Kollision bei dem Einparkvorgang des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges gekommen ist.
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Hierzu gab der Zeuge R, welcher das klägerische Fahrzeug unstreitig gefahren ist an, dass sie zu zweit im Fahrzeug gesessen haben und auch nicht mitbekommen haben, dass er das Fahrzeug angestoßen habe. Auf Frage hinsichtlich der Vorschäden gab er an, dass das Kennzeichen bereits vorher eingedrückt gewesen sei, bevor es zu dieser Situation gekommen sei. Er habe den [Sachverhalt] bei der Versicherung telefonisch gemeldet. Danach habe er bis zum Ende des Jahres nichts mehr von der Versicherung gehört (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2022, Seite 2 f., Bl. 35 f. d.A.).
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Jedoch hat die Beklagte eine ausreichende Prüfung des Sachverhalts zur Überzeugung des Gerichts vorgenommen, weshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung seitens der Klagepartei zur Überzeugung des Gerichts nicht ausreichend nachgewiesen werden konnte.
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Die Beklagte trug zu dem genannten Sachverhalt vor, dass Einsicht in die Ermittlungsakte erfolgt sei. Hierzu legte sie ein Schreiben der Akte der Staatsanwaltschaft bei. Auch aus der vorgelegten Anlage K9 ergibt sich, dass die Beklagte die Ermittlungsakte bereits selbständig angefordert hatte (Seite 24 der Ermittlungsakte). In der Ermittlungsakte liegt ein Spurenbericht, Seite 5, vor, wonach aus polizeilicher Sicht korrespondierende Schäden aufgrund der Schadensbilder und der Anstoßhöhe sich ergeben. Des Weiteren liegt eine Stellungnahme (Seite 28) zu den Angaben des Betroffenen vor, wonach neben den Eindellungen im Kennzeichenbereich ebenso Kratzspuren vorhanden seien, die aus polizeilicher Sicht nicht mit 35 C 5704/21 - Seite 5 - der Anhängerkupplung in Verbindung gebracht werden können. Es sei ein passendes Schadensbild festgestellt worden. Zudem sind in der Ermittlungsakte mehrere Lichtbilder mit entsprechenden Feststellungen bzgl. der Höhe der Schäden vorhanden (Seite 7 ff. der Ermittlungsakte).
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Zudem trug die Beklagte vor, dass es eine interne Prüfung gegeben habe. Dies wurde seitens der Klagepartei erst in der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2022 bestritten. Aufgrund des Bestreitens legte der Beklagtenvertreter aus diesem Grund eine interne Mitteilung vom 15.07.2020 vor, welches von C GmbH ist. Hiernach erscheinen die Beschädigungen an der Heckverkleidung gemäß Höhenbemessung und Schadencharakteristik zu den Beschädigungen an der Frontverkleidung repräsentativ (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2022, Seite 3 f., Bl. 36 f.d.A.).
19
Aufgrund der vorgelegten Nachprüfungen konnte das Gericht zu der Überzeugung gelangen, dass die Beklagte ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat und entsprechend eine ausreichende Prüfung vorgenommen hat. Zum einen hat sie die Ermittlungsakte, samt Lichtbilder angefordert, aus denen sich entsprechende Nachweise ergeben und zum anderen hat sie sich aufgrund des Einschaltens eines eigenen Sachverständigen versichert, dass eine Kausalität der Schäden grundsätzlich möglich erscheint. Nicht erforderlich ist es, dass sie trotz Angabe des Zeugen R., es auf den entsprechenden Rechtsstreit ankommen ließ.
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Zudem ist in diesem Fall zu berücksichtigen, dass der Geschädigte lediglich eine Regulierung in Höhe von 1.269,32 € angemeldet hatte. Die Beklagte hat auch deshalb im Rahmen des ihr eingeräumten Regulierungsermessens gehandelt, weil die Kosten eines von dem Unfallgegener betriebenen Gerichtsverfahren - möglicherweise über zwei Instanzen hinweg - bei diesem Streitwert unverhältnismäßig hoch gewesen wäre (so auch LG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2009 - 22 S 160/09, SP 03/10, 121 f.). Eine Verpflichtung zur Eingehung des zu tragenden wirtschaftlichen Risikos besteht für die Versicherung im Rahmen der Ausübung des Regulierungsermessens nicht - trotz gegenläufiger Angabe des eigenen Versicherungsnehmers (so auch AG Dresden, Urteil vom 27.01.2008 - 111 C 6861/08, SP 06/09, 225 f.).
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Bei wertender Betrachtung aller besonderer Umstände, auch, dass die Beklagte laut Klägervortrag bisher der Klägerin keine Rückkaufoption angeboten habe, ist es dennoch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis gelangt ist, dass eine Zahlung an den Unfallgegner geboten ist. Eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung vermag das Gericht nicht zu erkennen, insbesondere dadurch dass die Beklagte durch Einsichtnahme in die Ermittlungsakte und der Auswertung der Stellungnahme sowie durch Einholung einer weiteren Meinung des angegebenen Sachverständigen den Sachverhalt ausreichend geprüft hat. Bezüglich der fehlenden angebotenen Rückkaufoption sei ergänzend zu erwähnen, dass auch die Klägerin sich selbst diesbezüglich an die Beklagte hätte wenden können. Auch wenn der Zeuge R., dass er nach dem Telefonat nichts mehr von der Versicherung gehört habe, hätte er bzw. die Klägerin sich entsprechend selbst informieren können. Aufgrund der erfolgten telefonischen Schadensmeldung hätte auch der Klägerin bzw. dem Zeugen R. offenkundig sein müssen, dass eine entsprechende Entscheidung der Versicherung bzgl. der Regulierung erfolgen wird.
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3. Mangels Hauptsacheanspruchs ergibt sich ebenso kein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren. Die Klage war mithin vollumfänglich abzuweisen.
23
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
24
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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Die Streitwertentscheidung beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 9 ZPO. Unstreitig erhöhte sich der Versicherungsbeitragssatz pro Jahr von 347,59 € auf 504,48 €, weshalb sich ein Unterschiedsbetrag von 156,89 € pro Jahr ergibt. Hiervon wird der 3,5-fache Betrag entsprechend gem. § 9 ZPO angesetzt, weshalb sich der festgesetzte Streitwert in Höhe von 549,12 € ergibt.