Titel:
Erfolgloser Eilantrag der Nachbarin gegen grenzständig errichtetes Mehrfamilienhaus
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1
BauNVO § 22 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Nachbarschutz bei Doppel- und Reihenhäusern ist in dem im Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebot verankert. Die grenzständige Bebauung setzt in der planungsrechtlich vorgegeben offenen Bauweise voraus, dass die aneinandergebauten Gebäude ein Doppelhaus oder eine Hausgruppe bilden. Wenn durch das Bauvorhaben kein Doppelhaus/keine Hausgruppe entsteht, kann dies gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der mit dem Rücksichtnahmegebot bezweckte Ausgleich der Interessen der Nachbarn ist in besonderer Weise im Bereich des gemeinsamen Grenzanbaus erforderlich, weshalb die bloße Verlängerung des Baukörpers außerhalb dieses Bereichs nicht die Qualität erreicht, die eine Nachbarverträglichkeit infrage stellen könnte. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Neubau eines grenzständigen Dreispänners an ein grenzständig errichtetes Mehrfamilienhaus, Rücksichtnahmegebot bei Doppelhausbebauung, offene Bauweise, Dachterrasse, Versatz
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.04.2023 – 2 CS 23.85
Fundstelle:
BeckRS 2022, 38084
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für das Grundstück … Straße 28, FlNr. …, Gem. … (im Folgenden: Baugrundstück) anzuordnen. Nordwestlich an das Baugrundstück grenzt das Grundstück … Straße 26, FlNr. …, Gem. … (im Folgenden: Nachbargrundstück) der Antragstellerin an, das mit einem Mehrfamilienhaus (E + 2) bebaut ist und an der gemeinsamen Grundstücksgrenze grenzständig errichtet wurde.
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Das auf dem Nachbargrundstück bestehende Gebäude wurde mit Baugenehmigung vom 15. Juli 1974 und Tektur vom 27. April 1976 genehmigt. Nach den am 27. April 1976 genehmigten Plänen hat das Nachbargebäude eine Höhe von + 8.65 m, eine Länge von 14 m und eine Tiefe von 12 m. Im zweiten Obergeschoss des Nachbargebäudes tritt der Baukörper im Vergleich zum Erdgeschoss und ersten Obergeschoss zurück, sodass sich eine Dachterrasse bildet. Im südwestlichen Bereich dieser Terrasse (an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zum Baugrundstück) besteht hier auf einer Länge von 4,39 m eine ca. 4 m tiefe Terrasse/ Freisitz. Aus den Bauplänen ergibt sich, dass damalige Nachbarn der … Str. 28 die Baupläne unterschrieben hatten. Aus den Bauplänen ist ferner ersichtlich, dass die Planung zunächst eine spiegelbildlich errichtete Doppelhaushälfte auf dem streitgegenständlichen Baugrundstück vorsah, die jedoch in den Bauplänen abgestrichen wurde und nicht realisiert worden ist. Auf dem streitgegenständlichen Baugrundstück bestand ein Wohnhaus (E + DG), das mit seitlichen Grenzabständen errichtet wurde, jedoch eine grenzständige Tiefgarage (mit Eingangsbereich) an der Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück aufwies.
3
Die Grundstücke liegen im Geviert …straße, … Straße, … Straße sowie … Straße. Die beiden Grundstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, durch übergeleiteten Baulinienplan sind jedoch eine vordere Baulinie und eine hintere Baugrenze festgesetzt.
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Vgl. zur Lage der Grundstücke und ihrer Bebauung anliegenden Lageplan im Maßstab 1 : 1000, der eine Darstellung des Vorhabens enthält (nach dem Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht):
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Die Beigeladene plant auf dem Baugrundstück die Errichtung eines Baukörpers, bestehend aus drei Reihenhaushäusern, mit zwei Unterflurstellplätzen und einem Einzelcarport, der an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück grenzständig errichtet werden soll. Mit Bauantrag vom 9. April 2021 nach PlanNr. … beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für das „Reihenhaus 3 Nord“. Das Vorhaben sieht die Errichtung eines Dreispänners (E + 2) vor. Das „Reihenhaus 3 Nord“ schließt unmittelbar an das Nachbargebäude an. Der geplante Gesamtbaukörper hat eine Länge von 15,422 bis 15,851 m, eine Tiefe von 12,365 m und eine Höhe von 8,8 m. Das zweite Obergeschoss rückt im Vergleich zum Erdgeschoss und ersten Obergeschoss östlich um 1,25 m und westlich um 2,00 m zurück. Hier ist eine Terrasse geplant.
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Mit Bescheid vom 29. Dezember 2021 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung des „Reihenhaus 3 Nord“ nach PlanNr. … mit handschriftlichen Ergänzungen des Entwurfsverfassers vom 21. Juli 2021 sowie Baumbestandsplan. Mit weiteren Bescheiden vom 29. Dezember 2021 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die Baugenehmigungen für die Errichtung des „Reihenhaus 1 Süd“ nach PlanNr. … und des „Reihenhaus 2 Mitte“ nach PlanNr. …
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 27. Januar 2022, am selben Tag per beA bei Gericht eingegangen, erhob die Antragstellerin Klage gegen die Baugenehmigung „Neubau dreier Reihenhäuser mit zwei Unterflurparker und einem Einzelcarport, hier: Reihenhaus 3 - Nord“. Über diese Klage ist bislang nicht entschieden (M 8 K 22.446).
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Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2022 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin zudem:
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Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin vom 27.01.2022 gegen den Baugenehmigungsbescheid der … vom 29.12.2021 (Az.: …) zur Errichtung dreier Reihenhäuser mit zwei Unterflurstellplätzen und einem Einzelcarport wird bezüglich Reihenhaus 3 - Nord angeordnet.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Errichtung des „Reihenhauses 3 Nord“ verletze das im Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verankerte Rücksichtnahmegebot in seiner besonderen Ausprägung der sogenannten Doppelhausrechtsprechung, die auch auf Reihenhäuser Anwendung finde. Vorliegend sei ausschließlich eine Bebauung in offener Bauweise zulässig. Das streitgegenständliche Vorhaben stelle sich jedoch als rücksichtslos gegenüber dem Nachbargebäude dar und bilde daher kein Doppelhaus mit diesem. Die bestehende Dachterrasse des Nachbargebäudes wäre entlang der Grundstücksgrenze in südlicher Richtung auf einer Länge von ca. 2,12 m durch eine ca. 3 m hohe Wand begrenzt. Dies stelle eine gravierende Beeinträchtigung, insbesondere aufgrund der hierdurch verursachten Verschattung und den Einbußen an Wohnqualität dar. Die Dachterrasse des Nachbargebäudes wäre sichtbar abgegrenzt. Es sei zudem davon auszugehen, dass auf der neu entstehenden Dachterrasse entlang der Grundstücksgrenze eine Sichtschutzwand aufgestellt werde, die zu einer weiteren Beeinträchtigung führe. Das Nachbargebäude nehme durch die zurückversetzte Außenwand Rücksicht, dies lasse das streitgegenständliche Reihenhaus vermissen. Da eine Grenzbebauung bauplanungsrechtlich nicht zulässig sei, verstoße die Grenzbebauung auch gegen nachbarschützende Vorschrift des Abstandsflächenrechts. Eine Berufung auf die Nichteinhaltung der Abstandsflächen sei der Antragstellerin auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, da der vorgenannte Vorbau nach obigen Ausführungen zu einem untragbaren Missstand führe. Die nachteiligen Auswirkungen des Bauvorhabens stellten sich deutlich gravierender dar.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Außenwand des streitgegenständlichen Gebäudes im Bereich der Dachterrasse, gegen die sich die Klage in erster Linie richte, sei nicht rücksichtslos. Die Antragstellerin könne sich zudem nach Treu und Glauben nicht auf eine etwaige Nichteinhaltung der Abstandsflächen berufen. Wenn das streitgegenständliche Bauvorhaben nicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO an die Grenze gebaut werden dürfe, stehe auch das Gebäude der Antragstellerin baurechtswidrig an der Grenze. Die wechselseitigen Belastungen durch die bauliche Situation an der Grundstücksgrenze wären vergleichbar. Die Wandfläche des Gebäudes der Antragstellerin betrage an der Grundstücksgrenze ca. 107 m², die des streitgegenständlichen Vorhabens ca. 112 m². Da eine wechselseitige Entsprechung keine zentimetergenaue Gleichwertigkeit der gegenseitigen Belastung voraussetze, sei bei wertender Betrachtung vorliegend von einer Gleichwertigkeit der gegenseitigen Belastung auszugehen. Die Realisierung führe auch nicht zu schlechthin untragbaren Missständen.
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Die Beigeladene beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Das Vorhaben füge sich nach allen Einfügenskriterien, insbesondere der Bauweise, in die nähere Umgebung ein. Soweit der streitgegenständliche Baukörper als grenzständig angesehen werde, stelle die … Str. 26 einen Bezugsfall dar. Sehe man ihn dagegen als Teil einer Hausgruppe, werde der Rahmen, der bisher durch die Hausgruppe gezogen werde, eingehalten. Die Grundsätze der Doppelhausrechtsprechung würden eingehalten, da das Bauvorhaben die Höhe, Geschossigkeit und Tiefe des Nachbargebäudes aufnehme. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege auch nicht aufgrund einer einmauernden oder erdrückenden Wirkung des Baukörpers oder einer unzumutbaren Verschlechterung der Belichtung und Besonnung vor. Lediglich in einem kleinen Bereich an der Nordseite rage der Baukörper der Beigeladenen über die Gebäudetiefe des Nachbargebäudes hinaus. Da die Antragstellerin hier einen Dachüberstand habe, rage die Kommunwand aber nur 1,08 m hervor. Eine unzumutbare Beeinträchtigung liege hierin nicht. Der Grenzanbau sei nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ohne Abstandsfläche zulässig, da nach planungsrechtlichen Vorschriften an die gemeinsame Grenze gebaut werden dürfe. Auch wenn man dies anders sehen würde, wäre der Antragstellerin eine Berufung auf einen Verstoß gegen Abstandsflächenrecht aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, da die Abstandsflächenüberschreitungen in etwa gleichwertig seien und nicht zu untragbaren Verhältnissen führten.
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Wegen der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten in diesem und im Hauptsacheverfahren (M 8 K 22.446) Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt bei summarischer Prüfung voraussichtlich keine nachbarschützenden Vorschriften (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach § 212 a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind - die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen.
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Die Rechtswidrigkeit der Genehmigung muss sich zudem aus einer Verletzung von Vorschriften ergeben, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20).
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1. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist eine grenzständige Bebauung zulässig, da das Bauvorhaben die Grundsätze der sog. Doppelhausrechtsprechung wahrt, die auch im vorliegenden Fall - in dem sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 BauGB richtet - Anwendung finden (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - BVerwGE 148, 290).
22
Der Nachbarschutz bei Doppel- und Reihenhäusern ist in dem im Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebot verankert. Die grenzständige Bebauung setzt in der planungsrechtlich vorgegeben offenen Bauweise voraus, dass die aneinandergebauten Gebäude ein Doppelhaus oder eine Hausgruppe bilden. Wenn durch das Bauvorhaben kein Doppelhaus/keine Hausgruppe entsteht, kann dies gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen.
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Ein Doppelhaus im Sinn des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbstständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus verlangt ferner, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden (BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris Rn. 13 m.w.N.). Demnach liegt eine bauliche Einheit vor, wenn die einzelnen Gebäude einen harmonischen Gesamtkörper bilden, der nicht den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt. Voraussetzung ist insoweit zwar nicht, dass die einzelnen Häuser gleichzeitig und deckungsgleich errichtet werden müssen. Ein einheitlicher Gesamtbaukörper kann auch noch vorliegen, wenn z.B. aus gestalterischen Gründen die gemeinsame vordere und/oder rückwärtige Außenwand des einheitlichen Baukörpers durch kleine Vor- und Rücksprünge aufgelockert wird (BayVGH, U.v. 11.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 27 m.w.N.). Zu fordern ist jedoch, dass die einzelnen Gebäude zu einem wesentlichen Teil (quantitativ) und in wechselseitig verträglicher und harmonischer Weise (qualitativ) aneinandergebaut sind (BayVGH, U.v. 11.12.2014 a.a.O. m.w.N.). In quantitativer Hinsicht können bei der Beurteilung der Verträglichkeit des Aneinanderbauens insbesondere die Geschoßzahl, die Gebäudehöhe, die Bebauungstiefe und -breite sowie das durch diese Maße im Wesentlichen bestimmte oberirdische Brutto-Raumvolumen zu berücksichtigen sein. In qualitativer Hinsicht kommt es u.a. auch auf die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur des Gebäudes an. Bei den quantitativen Kriterien ist eine mathematisch-prozentuale Festlegung nicht möglich, vielmehr ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls anzustellen. Es ist qualitativ insbesondere die wechselseitig verträgliche Gestaltung des Gebäudes entscheidend, auf die umgebende Bebauung kommt es insoweit nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 - 4 C 12.14 - juris Rn. 14 ff.). Die beiden „Haushälften“ können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein. Kein Doppelhaus entsteht danach, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst.
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Dies berücksichtigend, entsteht nach Verwirklichung des Bauvorhabens ein einheitlicher Baukörper, welcher als Doppel- bzw. als Hausgruppe erscheint. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der geplante Baukörper im Wesentlichen die Tiefe und Höhe des Nachbargebäudes sowie dessen Dachform aufnimmt. Sowohl das Erdgeschoss und als auch das erste Obergeschoss nehmen die Gebäudeflucht des Nachbargebäudes auf. Das Terrassengeschoss des Bauvorhabens sieht straßenseitig einen vergleichbaren Rücksprung des Hauptbaukörpers wie das Nachbargebäude vor. Der geringe Höhenunterschied zwischen dem Nachbargebäude und dem geplanten Bauvorhaben von ca. 0,25 cm kann das harmonische Erscheinungsbild der Gebäude nicht in Frage stellen. Auch der Umstand, dass die Außenwand des Bauvorhabens - wenn man zugunsten der Antragstellerin auch die hier nicht streitgegenständlichen übrigen zwei Reihenhäuser - betrachtet, länger ist und daher auch das Volumen des geplanten Gebäudes (unwesentlich) größer als der des Nachbargebäudes wird, ändert an dieser Beurteilung nichts, da die Überschreitung nicht erheblich ist, die Verlängerung in einer Gebäudeflucht erfolgt und die quantitative Abweichung nur auf der von der Grundstücksgrenze und der Gebäudehälfte der Antragstellerin abgewandten Seite des Gesamtbaukörpers stattfindet. Der mit dem Rücksichtnahmegebot bezweckte Ausgleich der Interessen der Nachbarn ist in besonderer Weise im Bereich des gemeinsamen Grenzanbaus erforderlich, weshalb die bloße Verlängerung des Baukörpers außerhalb dieses Bereichs nicht die Qualität erreicht, die eine Nachbarverträglichkeit infrage stellen könnte (vgl. VG München, U.v. 26.6.2017 - M 8 K 16.2634 - juris Rn. 36). Das Ziel, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus zu vermeiden, wird hierdurch nicht tangiert.
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Die geplante Dachterrasse an der südwestlichen Gebäudehälfte rückt zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze im Vergleich zum Nachbargebäude nach vorne, sodass hier ein Versatz entsteht. Zudem weist das Nachbargebäude Vor- und Rücksprünge, insbesondere im Terrassengeschoss und Balkone auf, die das Bauvorhaben nicht (durchgehend) aufnimmt. Auch dies führt jedoch nicht dazu, dass ein aufeinander abgestimmter Gesamtbaukörper nicht vorläge. Ein in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebautes Gebäude kann aber auch bei unterschiedlichen Gebäudehöhen und trotz Vor- und Rücksprüngen der Gebäudeaußenwände vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2019 - 1 CS 19.821 - juris Rn. 13 m.w.N.). In welchem Umfang ein Versatz möglich ist, ohne dass das nachbarliche Austauschverhältnis aus dem Gleichgewicht kommt oder die „harmonische Beziehung“, in der die einzelnen Gebäude zueinanderstehen müssen, infrage gestellt wird, beurteilt sich nach einer Gesamtwürdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 - 4 C 12.98 - juris Rn. 22; U.v. 19.3.2015 - 4 C 12.14 - juris Rn. 19 f.; BayVGH, U.v. 5.12.2014 - 2 BV 13.789 - juris Rn. 27). Hier ist zu berücksichtigen, dass der von der Antragstellerin als „Vorbau“ bemängelte Versatz im südwestlichen Bereich des Terrassengeschosses zum einen nur das Terrassengeschoss betrifft und zum anderen hinsichtlich seines Ausmaßes nicht geeignet ist, die bauliche Einheit zu beeinträchtigen. Durch die grenzständige Außenwand kommt es auf dem Grundstück der Antragstellerin nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Belichtung sowie zu einer Verschattung, die nicht im Rahmen des gegenseitigen Austauschverhältnisses hinzunehmen ist.
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Da die Forderung nach einem einheitlichen Gesamtbaukörper keine völlige Einheitlichkeit noch gleiche Fassadengestaltung erfordert (vgl. VG München, U.v. 26.6.2017 - M 8 K 16.2634 - juris), ist es im Hinblick auf die Wahrung des Doppelhauscharakters nicht von Bedeutung, dass die Fassadengestaltung des streitgegenständlichen Bauvorhabens abweichen soll. Den Charakter eines Doppelhauses verliert der Gesamtbaukörper auch nicht bei einer Gesamtbetrachtung der mit der Planung beabsichtigen baulichen Änderungen, da ein Mindestmaß an Übereinstimmung durch vergleichbare Gebäudetiefen- und höhen sichergestellt wird und ein in qualitativer und quantitativer Hinsicht harmonischer und einheitlicher Gesamtbaukörper entsteht.
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2. Da eine grenzständige Bauweise zum Nachbargrundstück zulässig ist (vgl. oben), hält der geplante Baukörper auch die Abstandsflächenvorschriften ein.
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3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge der § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Es entspricht billigem Ermessen i.S.v. § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, da diese einen Antrag gestellt hat und daher ein Kostenrisiko gem. § 154 Abs. 3 VwGO eingegangen ist.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.