Titel:
zur Frage der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage
Normenketten:
BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 6, Art. 5a Abs. 1, Abs. 2, Abs. 7 S. 2, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b, lit. bb
BauBG § 125, § 133 Abs. 2
kommunale EBS § 9
Leitsätze:
1. Eine erschließungsbeitragsrechtlich abrechenbare Straße liegt erst in dem Zeitpunkt vor, in dem sie Erschließungsfunktion besitzt und für diesen Zweck endgültig hergestellt war, dh, die Straße muss in ihrer gesamten Ausdehnung und mit allen Teileinrichtungen den relevanten Vorgaben des satzungsmäßigen Einrichtungsprogramms und des dieses ergänzenden konkreten gemeindlichen Bauprogramms für die flächenmäßigen Teileinrichtungen entsprochen haben. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob ein Ausbau einer beitragsfähigen Erschließungsanlage den Endpunkt, nämlich die erstmalige endgültige Herstellung im Sinne von Art. 5a Abs. 2 KAG iVm § 133 Abs. 2 BauGB erreicht hat, ist nicht nach den jeweiligen subjektiven Vorstellungen der Gemeinde oder der Beitragspflichtigen, sondern vielmehr objektiv nach dem maßgeblichen Ortsrecht zu beurteilen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Verjährung, Umfang der Erschließungsanlage, Zeitpunkt der erstmaligen Herstellung, Bauprogramm, Anforderungen an den Nachweis der umgelegten Herstellungskosten, Erschließungsbeiträge, Erschließungsbeitragssatzung - EBS, Widmung, Einrichtungs- und Ausbauprogramms, selbständige Verkehrsanlage
Fundstelle:
BeckRS 2022, 37819
Tenor
I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten der Verfahren zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger ist Eigentümer der mit einer Tankstelle bebauten Grundstücke Fl.Nr. ... und Fl.Nr. ... Gemarkung, die mit ihrer jeweiligen Südseite an die Erschließungsanlage „...- …-Straße (Teilstück zwischen ...straße und Bahnlinie)“ anliegen. Das Grundstück Fl.Nr. ... grenzt mit seiner Ostseite auch an die ...straße an.
2
Die ...straße, die ...-Straße, die ...straße und die ...straße waren durch entsprechenden Stadtratsbeschluss vom 23. Juli 1970 zu einer Erschließungseinheit zusammenfasst worden. Anschließend erfolgten etwa im Jahr 1974 beendete Baumaßnahmen zur Herstellung der Straßen. Mit Beschluss des Stadtrats der Beklagten vom 16. Mai 1983 wurde der Beschluss über die Bildung einer Erschließungseinheit aus Rechtsgründen wieder aufgehoben. Für die getrennte Abrechnung der Anlagen wurde dabei der Verwaltung u.a. vorgegeben, dass die ...-Straße und die ...straße „erst endgültig hergestellt sind, wenn der im Bebauungsplan festgesetzte Gehweg entlang des Grundstücks Fl.Nr. ... mit Eckabrundung zur ...straße fertiggestellt und der Grunderwerb vollzogen wurde“ (Bl. 12 der Widerspruchsakte). Eine Abrechnung der streitgegenständlichen Erschließungsanlage unterblieb jedoch, da deren vollständige technische Herstellung nicht abgeschlossen und der erforderliche Grunderwerb nicht getätigt werden konnten.
3
Die streitgegenständliche Erschließungsanlage wurde dann 2017 durch den Bau des Gehwegabschnitts auf der Fl.Nr. ... vor dem Grundstück Fl.Nr.... mit einem Gesamtkostenaufwand von 249.267,68 EUR bautechnisch erstmalig endgültig hergestellt (Schlussrechnung der Fa. ... Nr. ... vom 25.8.2017). Vorher, d.h. in den 1970er Jahren bis 1989, waren Baumaßnahmen in Bezug auf Fahrbahn, Straßenentwässerung und Beleuchtung durchgeführt worden (vgl. Bl. 125 der Behördenakte).
4
Der am 9. Oktober 1969 in Kraft getretene Bebauungsplan Nr. ... „Östlich der ...-Straße“ in der Fassung der am 9. November 1971 in Kraft getretenen 1. Änderungssatzung vom 27. September 1971, in dessen Geltungsbereich sich die Erschließungsanlage und die anliegenden Grundstücke zunächst befunden hatten, wurde aufgrund festgestellter rechtlicher Mängel mit Beschluss des Stadtrats der Beklagten vom 30. Januar 2020 aufgehoben und der Aufhebungsbeschluss ortsüblich im Amtsblatt der Beklagten vom 4. März 2020 bekanntgemacht. Die Erschließungsanlage „...- …-Straße (Teilstück zwischen ...straße und Bahnlinie)“ und die streitgegenständlichen Grundstücke des Klägers befinden sich seither im unbeplanten Innenbereich im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB.
5
Am 12. März 2020 wurde in der Sitzung des Verwaltungs-, Finanz- und Wirtschaftsausschusses der Beklagten wegen des noch nicht abgeschlossenen Grunderwerbs die getrennte Abrechnung der technischen Ausbaukosten gemäß Art. 5a Abs. 5, Art. 5 Abs. 1 Satz 6 KAG i.V.m. § 6 EBS a.F. (Kostenspaltung) beschlossen (Bl. 22 bis 24 der Widerspruchsakte).
6
Der Planungs- und Umweltausschuss der Beklagten fasste am 20. Oktober 2020 für die Anlage „...- …-Straße (Teilstück zwischen ...straße und Bahnlinie)“ auf der Grundlage der im aufgehobenen Bebauungsplan Nr. ... enthaltenen bauleitplanerischen Vorstellungen und Festsetzungen einen Abwägungsbeschluss nach § 125 Abs. 2 BauGB (Bl. 20 u. 21 der Widerspruchsakte).
7
Die noch nicht in vollem Umfang gewidmete Erschließungsanlage wurde mit Beschluss des Planungs- und Umweltausschusses der Beklagten vom 17. Dezember 2020 vollständig zur O. straße gewidmet und die Widmungsänderung bzw. -ergänzung am 7. Januar 2021 im Amtsblatt der Beklagten öffentlich bekanntgemacht (Bl. 77 bis 80 des Behördenakts u. Bl. 30 bis 36 des Widerspruchsakts). Damit ist auch die sachliche Erschließungsbeitragspflicht entstanden.
8
Im Gemeindegebiet der Beklagten gilt die vom Stadtrat am 31. März 2020 beschlossene Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen (Erschließungsbeitragssatzung - EBS), die am 6. Mai 2020 im Amtsblatt der Beklagten öffentlich bekannt gemacht wurde und die nach § 17 Abs. 1 EBS eine Woche nach der amtlichen Bekanntmachung, d.h. am 13. Mai 2020, in Kraft getreten ist.
9
Mit am 4. März 2021 zugestellten Erschließungsbeitragsbescheiden der Beklagten vom 1. März 2021 wurde der Kläger als Eigentümer der Grundstücke Fl.Nr. ... und Fl.Nr. ... zur Zahlung von Erschließungsbeiträgen für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „...- …-Straße (Teilstück zwischen ...straße und Bahnlinie)“ in Höhe von 2.451,29 EUR (Fl.Nr. ...) und in Höhe von 3.256,90 EUR (Fl.Nr. ...) herangezogen. Die vom Kläger mit Schreiben vom 1. April 2021 hiergegen erhobenen Widersprüche wurden mit am 29. September 2021 zugestelltem Widerspruchsbescheid des Landratsamts ... vom 24. September 2021 zurückgewiesen.
10
Am 28. Oktober 2021 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klagen erheben, die unter den Aktenzeichen Au 2 K 21.2213 (Fl. Nr. ...) und Au 2 K 21.2214 (Fl.Nr. ...) geführt werden. Für den Kläger ist beantragt,
11
die Erschließungsbeitragsbescheide der Beklagten vom 1. März 2021 über 3.256,90 EUR und über 2.451,29 EUR sowie den Widerspruchsbescheid des Landratsamts ... vom 24. September 2021, zugestellt am 29. September 2021, aufzuheben.
12
Zur Begründung der Klagen wurde sinngemäß dargelegt, dass die Erschließungsbeitragsbescheide rechtswidrig seien, da die geltend gemachten Beitragsansprüche verjährt seien. Die Beklagte habe Anfang der 1970er Jahre mit der Herstellung der Erschließungsanlage ...straße und ...-Straße begonnen und diese auch abgeschlossen. Dies werde dokumentiert durch die vorliegenden Schlussrechnungen aus dem Jahr 1972 bzw. 1973. Die weiteren Rechnungen aus dem Jahr 1980 und 1988 seien nur Annexe zu diesen Schlussrechnungen und ließen den Zeitpunkt 1972/73 für die endgültige Herstellung der Anlage unberührt. Die Erschließungseinheit sei anschließend wieder aufgelöst worden. Dies ergebe sich zusammenfassend aus den Schreiben der Beklagten an den B. Kommunalen Prüfungsverband und aus der Aktennotiz vom 17. Dezember 2020. Die Beklagte begründe die Erschließungsbeitragspflicht für die klägerischen Grundstücke damit, dass die Herstellung der Erschließungsanlagen wegen offener Grunderwerbsangelegenheiten erst 2017 abgeschlossen worden sei. Die Beklagte berücksichtige nicht die vom Kläger erhobene Verjährungseinrede. Diese ergebe sich aus dem Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung. Der Zustand, der mit der Fertigstellung der Erschließungsanlage, der 1972 bzw. 1973 eingetreten sei, sei vom Kläger über einen Zeitraum von ca. 40 Jahren als Recht besessen worden. Dadurch sei für diesen ein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen worden, nach Ablauf von 40 Jahren nicht mehr mit Erschließungsbeiträgen belastet zu werden. Der Nachlass in Höhe von einem Drittel der Kosten sei kein ausreichender Ersatz für den Wegfall des bestehenden Vertrauenstatbestands.
13
Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10. November 2021 wandte sich die Beklagte gegen die Klagebegehren. Für sie ist beantragt,
14
die Klagen abzuweisen.
15
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2022 wurde für die Beklagte vorgetragen, dass die Verjährungseinrede nicht durchgreife. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass die Festsetzungsverjährungsfrist vier Jahre betrage und mit dem Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem der Erschließungsaufwand berechenbar sei sowie die sonstigen objektiven Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht und die Geltendmachung der Beitragsforderung vorlägen. Mit der Auffassung des Klägers, die Erschließungsanlage sei bereits in den Jahren 1972 bzw. 1973 entstanden, lasse er außen vor, dass das Entstehen der Beitragspflicht an verschiedene weitere Voraussetzungen geknüpft sei. Dazu gehöre die Erfüllung des technischen Ausbauprogramms. Die technische Herstellung der Erschließungsanlage sei mit dem Bau des letzten Gehwegteils von der...straße bis zur Bahnlinie, jetzt Fl.Nr., Ende 2017 abgeschlossen worden. Der notwendige Grunderwerb habe erst kurz vorher getätigt werden können. Die Schlussrechnung zur Herstellung des Gehwegs datiere vom 20. November 2017. Die fehlende Herstellung des Gehwegs habe dazu geführt, dass die Beitragspflicht vorher nicht habe entstehen können. Der Bebauungsplan Nr. ... in der ersten Änderungsfassung sehe entlang der ...-straße bis zur Bahnlinie beidseits einen Gehweg vor. Zwar sei der Bebauungsplan Nr. ... aufgehoben worden, jedoch habe die Beklagte einen den Bebauungsplan ersetzenden Abwägungsbeschluss nach § 125 Abs. 2 BauGB gefasst. Dieser nehme auf das maßgebliche Bauprogramm Bezug, so dass die endgültige Herstellung erst mit der Erstellung des Gehwegs Ende 2017 erfolgt sei. Der diesbezügliche Aufwand sei erst mit Vorlage der letzten Unternehmerrechnung berechenbar gewesen. Das Entstehen der Beitragspflicht setze zudem die Widmung der Anlage voraus, die mit den letzten Teilflächen der Fl.Nrn. 36/37, 97/18 und 97/19 am 7. Januar 2021 bekanntgemacht worden sei. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG, der bestimme, dass die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eingetreten sei, nicht mehr zulässig sei, stehe der Beitragserhebung nicht entgegen. Hier sei die Vorteilslage noch nicht eingetreten gewesen, da die Anlage noch nicht endgültig technisch hergestellt gewesen sei. Die bis Ende des Jahres 2017 fehlende Herstellung des Gehsteigs habe dem Eintritt der Vorteilslage entgegengestanden. Der maßgebliche Bebauungsplan Nr. ... bzw. der Abwägungsbeschluss nach § 125 Abs. 2 BauGB würden einen Gehweg in diesem Bereich vorsehen. Damit sei die Vorteilslage nicht bereits in den Jahren 1972 und 1973 entstanden, da in diesem Zeitpunkt in Folge des Fehlens des Gehwegs im Bereich der jetzigen Fl.Nr. ... eine planmäßige Herstellung entsprechend dem Bauprogramm und dem Planungswillen der Beklagten nicht vorgelegen habe. Nachdem die Beitragsabrechnung vor dem 1. April 2021 erfolgt sei, greife auch nicht die Fiktion der endgültigen Herstellung nach Art. 5a Abs. 8 KAG.
16
Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 13. April 2022 wurde ergänzend vorgetragen, die Auffassung der Beklagten, die unfertige Herstellung der Erschließungsanlage sei „für jeden unbefangenen Beobachter eindeutig erkennbar gewesen“, sei unzutreffend. Der Gehweg sei endgültig fertiggestellt gewesen. Die örtlichen Gegebenheiten der ...straße mit einer Länge von 290 m und der ...-straße mit einer Länge von ca. 720 m würden sich aus dem beigefügten Kartenausschnitt ergeben. Die Beklagte sei bei der Abrechnung in der Weise vorgegangen, dass sie zu der Erschließungsanlage „...straße“ die „...-Straße“ zusätzlich mit einer Länge von ca. 30 m Gehweg abrechnungsmäßig erfasst habe. Die Anlage „...straße“ sei 1972 jedoch längst fertiggestellt gewesen. Die Beklagte habe zudem von der Rechtsvorgängerin des Klägers mit Grundabtretungsvertrag vom 10. Februar 1964 Flächen an der ...-straße erworben. Mit Kaufvertrag vom 10. September 1969 habe die Beklagte Grundbesitz im Umfang von 5.000 m2 zwischen H.straße und bestehender ...-straße zum Bau der ...straße erlangt. Unmittelbar im Anschluss daran sei der vorhandene Fußweg auf der Westseite fertiggestellt und auch ausschließlich benutzt worden. Die Herstellung eines Fußweges auf der Ostseite im Bereich...straße sei verkehrstechnisch nicht erforderlich und sei deshalb von der Beklagten auch nicht ausgeführt worden. Der restliche Ausbau von ca. 30 m Fußweg im Bereich der ...-straße bzw. ...straße habe zu der bereits fertiggestellten ...straße keine Beziehung. Da dieser Gehweg nicht notwendig gewesen sei, sei die Erschließungsanlage vollständig fertiggestellt gewesen. Die Maßnahmen des Jahres 2017 sei nicht mehr in der Lage, eine Erschließungsbeitragspflicht für die Grundstücke des Klägers zu begründen. Die Erschließungsanlage sei bereits in den 1970er Jahren durch den Fußweg auf der Westseite fertiggestellt gewesen. Damit sei ein Vertrauenstatbestand, nicht mehr mit Erschließungsbeiträgen belastet zu werden, entstanden.
17
Die Beklagte legte hierzu mit Schriftsatz vom 20. Juni 2022 dar, dass die vom Kläger geschilderten Grunderwerbsvorgänge rechtlich ohne Bedeutung seien. Die technische Herstellung der Erschließungsanlage sei mit dem Bau des letzten Gehwegteils von der ...straße bis zur Bahnlinie Ende 2017 abgeschlossen worden. Sowohl der aufgehobene Bebauungsplan Nr. ... als auch der den Bebauungsplan ersetzende Abwägungsbeschluss nach § 125 Abs. 2 BauGB, der auf den Bebauungsplan Bezug nehme, sähen den Gehweg im Bereich der Fl.Nr. ... als erforderlich an und zählten diesen zur planmäßigen Herstellung der abgerechneten Erschließungsanlage. Die genannten Grundstücksgeschäfte beträfen eine Fläche, die dem Grundstück Fl.Nr. ... zugemessen worden sei, aber nicht die Fläche im Bereich des 2017 hergestellten Gehwegs. Im Übrigen könne allein der Grunderwerb nicht zur planmäßigen endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage führen. Hinsichtlich des genannten Kaufvertrags vom 10. September 1969 sei nicht ersichtlich, in welchem Bereich der Grunderwerb erfolgt sei. Dieser könne sich jedenfalls nicht auf die Fertigstellung der abgerechneten Erschließungsanlage im Bereich der Fl.Nr. ... auswirken. Der Grunderwerb für diese Fläche sei mit notariellem Kaufvertrag vom 16. Juli 2015 erfolgt. Aus diesem Kaufvertrag sei ersichtlich, dass der Gehweg im Bereich der Fl.Nr. ... erst nach diesem Zeitpunkt habe hergestellt werden können. Nicht maßgeblich sei die vom Kläger vertretene Auffassung, dass der Gehweg nicht erforderlich gewesen sei. Die Herstellung des Gehwegs entspreche dem Bauprogramm. Ohne diesen Gehwegteil sei auch die Vorteilslage nicht eingetreten.
18
Am 5. Juli 2022 hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einnahme eines Augenscheins. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug genommen. Die Parteien haben dabei zu Protokoll erklärt, dass sie auf die Durchführung mündlicher Verhandlungen verzichten.
19
Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 27. Juli 2022 wurde ergänzend dargelegt, dass im beiliegenden Schreiben der Beklagten vom 16. November 2016 an den B. Kommunalen Prüfungsverband ausgeführt sei, „aus unterschiedlichen Gründen kam es aber nie zur Abrechnung der Einzelanlagen (z.B. bis heute fehlende Fertigstellung eines Gehwegteilstücks, Verjährung etc.). Da eine Fertigstellung der noch vereinzelt fehlenden Anlagenteile in 2017 zu erwarten ist, wurde der gesamte Vorgang aufgegriffen und die Abrechnungsfähigkeit geprüft. Dabei habe sich herausgestellt, dass die überwiegend am Anfang der 1970er Jahre eingegangenen Rechnungen aufgrund häufig fehlender Masseangaben bzw. -aufteilung nicht mehr den einzelnen Anlagen zugerechnet werden können. Damit ist u.E. eine rechtssichere Abrechnung der Einzelanlagen nicht möglich. Es droht ein Einnahmeausfall von ca. 100.000,00 EUR bezogen auf alle Einrichtungen. Die Beklagte stelle damit selbst die rechtssichere Abrechnung unter Hinweis auf die Verjährung in Frage. Die Berechnung der geltend gemachten Erschließungsbeiträge durch die Beklagte werde nach Grund und Höhe bestritten. Die Forderungen seien verjährt. Der B. Kommunale Prüfungsverband habe der Beklagten mit Schreiben vom 30. November 2016 empfohlen, die Zuordnung der tatsächlich entstandenen Gesamtkosten mit Hilfe des Tiefbauamts oder eines externen Ingenieurbüros möglichst nach plausiblen und nachvollziehbaren Kriterien vorzunehmen. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Daher fehle ein nachvollziehbarer Nachweis der im Übrigen verjährten Forderungen.
20
Die Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18. August 2022 unter Vorlage von Unterlagen zur Aufteilung des Straßenherstellungsaufwands auf die einzelnen Erschließungsanlagen abschließend zur Sache. Es sei - wie vom Kommunalen Prüfungsverband empfohlen - das externe Ingenieurbüro Dr. ... mit der Aufteilung der Herstellungskosten beauftragt worden. Dieses habe mit Stellungnahme vom 16. September 2018 die Zuordnung der jeweiligen Kostenanteile vorgenommen. Durch die beiliegenden Rechnungen sei der umgelegte Aufwand für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „...- …-straße (Teilstück zwischen ...straße und Bahnlinie)“ nachgewiesen.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll über den Augenscheinstermin vom 5. Juli 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22
Über die Klagen konnte aufgrund des in dem Beweiserhebungstermin vom 5. Juli 2022 zu Protokoll erklärten Einverständnisses der Parteien hiermit ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
23
Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
24
Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 1. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts ... vom 24. September 2021, mit denen der Kläger als Eigentümer der Grundstücke Fl.Nr. ... und Fl.Nr. ... Gemarkung ... für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „...- …-straße (Teilstück zwischen ...straße und Bahnlinie)“ zu Erschließungsbeiträgen in Höhe von 2.451,29 EUR (Fl.Nr. ...) und 3.256,90 EUR (Fl.Nr. ...) herangezogen wurde, sind rechtmäßig. Der Kläger wird durch die angegriffenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
25
Rechtsgrundlage der Erschließungsbeitragsbescheide vom 1. März 2021 ist Art. 5a KAG i.V.m. §§ 128 ff. BauGB sowie die am 13. Mai 2020 in Kraft getretene Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 31. März 2020 (Erschließungsbeitragssatzung - EBS). Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit der Erschließungsbeitragssatzung sind vom Kläger weder vorgetragen worden, noch sind die Wirksamkeit der Satzung berührende Fragestellungen sonst ersichtlich, so dass von ihrer Gültigkeit ausgegangen werden kann (s. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 4.6.1997 - 6 ZS 97.1305 - juris).
26
Die sachliche Beitragspflicht ist nach der endgültigen technischen Herstellung der in die Abrechnung einbezogenen Teile der Erschließungsanlage „...- …-straße(Teilstück zwischen ...straße und Bahnlinie)“ erst mit der auch die Straßengrundstücke Fl.Nrn., ... und ... umfassenden vollständigen Widmung der ...-straße zur öffentlichen Verkehrsanlage im Sinn von Art. 6, Art. 46 Nr. 2 BayStrWG am 7. Januar 2021 entstanden (BVerwG, B.v. 29.10.1997 - 8 B 194.97 - NVwZ-RR 1998, 513 BayVGH, B.v. 2.3.2007 - 6 CS 06.2983 - NVwZ-RR 2007, 485).
27
Die Erschließungsanlage wurde nach Maßgabe von § 125 BauGB planungsrechtlich rechtmäßig hergestellt, da der hierfür kommunalverfassungsrechtlich zuständige Planungs- und Umweltausschuss der Beklagten (§ 3 Abs. 1 Nr. 7, § 7 Abs. 2 Nr. 3 der Geschäftsordnung für den Stadtrat ... vom 27.5.2020) in seiner Sitzung am 20. Oktober 2020 den nach der am 4. März 2020 öffentlich bekanntgemachten und damit wirksam gewordenen Aufhebung des Bebauungsplans Nr. 24 notwendigen und materiell-rechtlich nicht zu beanstandenden Abwägungsbeschluss nach § 125 Abs. 2 BauGB gefasst hat. Da die Erschließungsanlage entsprechend den Festsetzungen des im Herstellungszeitraum noch wirksamen Bebauungsplans Nr. 24 bautechnisch hergestellt worden war, konnte von der Beklagten bei der Prüfung, ob die Anlage den in § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB bezeichneten Anforderungen entspricht, ohne Rechtsfehler auf die seinerzeitige Abwägung der öffentlichen und privaten Belange Bezug genommen werden (s. hierzu Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 7 Rn. 9 ff. m.w.N.).
28
Die Abrechnung der an der streitgegenständlichen (rechtmäßig hergestellten) Erschließungsanlage durchführten Baumaßnahmen im Wege der Erhebung von Erschließungsbeiträgen setzt primär voraus, dass die Erschließungsanlage nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt erstmalig endgültig hergestellt war und die Erhebung von Erschließungsbeiträgen trotz des Zeitablaufs noch möglich ist. Der entsprechende klägerische Einwand, bei der abgerechneten Erschließungsanlage handle es sich um eine Straße, die bereits Anfang der 1970er Jahre endgültig hergestellt war und für die keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden können, hält jedoch einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
29
Aus dem Blickwinkel des Erschließungsbeitragsrechts liegt eine abrechenbare Straße in dem Zeitpunkt vor, in dem sie Erschließungsfunktion besitzt und für diesen Zweck endgültig hergestellt war. Voraussetzung hierfür ist, dass die Straße in ihrer gesamten Ausdehnung und mit allen Teileinrichtungen den relevanten Vorgaben des satzungsmäßigen Einrichtungsprogramms und des dieses ergänzenden konkreten gemeindlichen Bauprogramms für die flächenmäßigen Teileinrichtungen entsprochen hat (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.1995 - 8 C 13.94 - NVwZ 1996, 799; Schmitz, a.a.O., § 5 Rn. 15 ff. m.w.N.). Bei der abgerechneten Erschließungsanlage handelt es sich nicht um eine solche, die nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 die Vorgaben des von der Beklagten beschlossenen konkreten Bauprogramms für die Herstellung der funktionell zur Verkehrsanlage gehörenden Gehwege erfüllt hat. Bis zu der erst Ende 2017 abgeschlossenen Herstellung des Gehwegstücks im Bereich zwischen Bahnlinie und ...straße (jetziges Grundstück Fl.Nr. ...) war das von der Beklagten für die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage vorgegebene konkrete Bauprogramm, das im Bebauungsplan Nr. ... bzw. im Abwägungsbeschluss nach § 125 Abs. 2 BauGB zum Ausdruck kommt, noch nicht umgesetzt. Der Bebauungsplan Nr. ... enthielt verbindliche Festsetzungen für die öffentlichen Verkehrsflächen mit der Unterteilung in Stellflächen, Gehweg, Fahrbahn und Grünstreifen und sah ausweislich der Planzeichnung in dem fraglichen Bereich vor dem Grundstück Fl.Nr. ... - ebenso wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite - einen innerhalb der Straßenbegrenzungslinie liegenden durchgängigen Gehweg vor. Aufgrund des Vorliegens verbindlicher zeichnerischer Festsetzungen für die Unterteilung der öffentlichen Verkehrsflächen im Bebauungsplan sind diese rechtlichen Vorgaben - unabhängig davon, dass der Bebauungsplan nach der bautechnischen Herstellung des Gehwegs vor dem Grundstück Fl.Nr. ... mit Beschluss des Stadtrats der Beklagten vom 30. Januar 2020 aufgehoben wurde - als das maßgebliche Bauprogramm anzusehen (BVerwG, U.v. 18.1.1991 - 8 C 14.89 - BVerwGE 87, 298; Schmitz, a.a.O., § 5 Rn. 20). Da die Beklagte diesbezüglich auch keine Änderungen beschlossen hat, war das konkrete gemeindliche Bauprogramm bis zur vollständigen Errichtung aller festgesetzten Gehwegteilstrecken nicht erfüllt und die Erschließungsanlage noch nicht erstmalig hergestellt.
30
Erst mit der im Jahr 2017 abgeschlossenen Herstellung des Gehwegs vor dem Grundstück Fl.Nr. ... hat die Erschließungsanlage - mit Ausnahme der Bestimmung zum Grunderwerb in § 9 Abs. 4 EBS - in ihrer gesamten Ausdehnung und mit allen Teileinrichtungen den Vorgaben des in § 9 EBS geregelten satzungsmäßigen Einrichtungs- und Ausbauprogramms und des dieses ergänzenden konkreten gemeindlichen Bauprogramms für die flächenmäßigen Teileinrichtungen entsprochen. In § 9 EBS sind die Merkmale, die Voraussetzung für die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen sind, genannt. Demnach sind die öffentlichen, zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze sowie die Sammelstraßen und Parkflächen endgültig hergestellt, wenn sie mit einer den Verkehrserfordernissen entsprechenden neuzeitlichen Straßendecke, Entwässerung und Straßenbeleuchtung versehen und an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße angeschlossen sind. Bei der Prüfung, ob ein Ausbau einer beitragsfähigen Erschließungsanlage den Endpunkt, nämlich die erstmalige endgültige Herstellung im Sinne von Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 133 Abs. 2 BauGB erreicht hat, kommt es im Übrigen nicht auf die jeweiligen subjektiven Vorstellungen der Gemeinde oder der Beitragspflichtigen an. Vielmehr ist es objektiv nach dem maßgeblichen Ortsrecht zu beurteilen (BVerwG, U.v. 2.12.1977 - 4 C 55.75 - BauR 1978, 133; BayVGH, B.v. 25.3.2019 - 6 ZB 18.1416 - juris Rn. 11).
31
Die Regelung von Herstellungsmerkmalen soll es dem Beitragspflichtigen ermöglichen, sich durch einen Vergleich der satzungsmäßig festgelegten Kriterien für die Fertigstellung mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, einen Eindruck darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht. Hier waren die auf den entsprechenden früheren Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. ... zur Unterteilung der Verkehrsflächen beruhenden Vorgaben des konkreten gemeindlichen Bauprogramms und die in § 9 Abs. 1 bis 3 EBS enthaltenen satzungsmäßigen Voraussetzungen für eine endgültige erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage erst mit der endgültigen technischen Fertigstellung des Gehwegs im Bereich des jetzigen Grundstücks Fl.Nr. ... vollständig erfüllt und die Erschließungsanlage damit endgültig hergestellt.
32
Die damit dem Erschließungsbeitragsrecht unterfallende Anlage „...- …-straße (Teilstück zwischen ...straße und Bahnlinie)“ ist in ihrer Ausdehnung zwischen der Einmündung der ...straße in die H.straße im Bereich des klägerischen Grundstücks Fl.Nr. ... und der Querung der ...-straße durch die Bahnlinie ... (...) - ... bei den Grundstücken Fl.Nr. ... und Fl.Nr. ... als selbständige Verkehrsanlage im Sinn des § 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB zutreffend beurteilt worden. Die Entscheidung der Frage, welchen konkreten räumlichen Bereich eine einzelne Verkehrsanlage einnimmt und wo die nächste Anlage beginnt bestimmt sich nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist, inwieweit sich die zu beurteilende Straße als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen oder Grundstücksgrenzen auszurichten, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise, an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Straßenausstattung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 10.6.2009 - 8 C 2.08 - NVwZ 2009, 1369; BayVGH, B.v. 24.7.2013 - 6 BV 11.1818 - juris Rn. 13; Schmitz, a.a.O., § 6 Rn. 13 ff.; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Februar 2022, Rn. 701).
33
Ausgehend von diesem Maßstab und auf der Grundlage des Ergebnisses der gerichtlichen Beweisaufnahme durch Augenschein am 5. Juli 2022 (Bl. 83 bis 90 der Gerichtsakte) ist die von der Beklagten der Abrechnung konkret zugrunde gelegte Erschließungsanlage rechtlich nicht zu beanstanden. Die ...-straße unterscheidet sich bis zur Einmündung der ...straße auf der Höhe der Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... in Funktion und Zuschnitt (z.B. deutlich geringere Breite der Verkehrsflächen, keine über die Erschließung der anliegenden Grundstücke hinausgehende Funktion) deutlich von dem nach der Einmündung der ...straße bis zur Bahnlinie weiterführenden Straßenteilstück. Von der ...straße kommend, hat ein Verkehrsteilnehmer aufgrund des sich praktisch nicht verändernden Ausbauzustands der (vorfahrtsberechtigt bleibenden) Straße, insbesondere der sich nicht verschmälernden Straßenbreite von 16 m, den Eindruck, trotz der Richtung Süden abknickenden Verkehrsführung auf derselben Straße zu bleiben. Die Weiterführung der ...-straße weist durch die Kreuzung der Bahnlinie ... (...) - ... wegen der Breite, der technischen Ausstattung und der Ausgestaltung der Bepflanzungen des Bahnanlagenbereichs eine augenfällige - die hin- und die weiterführende Teilstrecke der ...-straße trennende - Zäsur auf, die zum einen das Ende der abgerechneten Erschließungsanlage markiert und zum anderen in Bezug auf die sich fortsetzende ...-straße den Beginn einer neuen Verkehrsanlage darstellt.
34
Dass die ...straße, die ...-Straße, die...straße und die ...straße mit Beschluss des Stadtrats der Beklagten vom 23. Juli 1970 gemäß § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB zu einer Erschließungseinheit zusammenfasst worden waren, spielt für die räumliche Abgrenzung der abzurechnenden Erschließungsanlage zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten keine Rolle mehr, da der damalige Beschluss über die Bildung dieser Erschließungseinheit mit Beschluss des Stadtrats der Beklagten vom 16. Mai 1983 wieder rückgängig gemacht und die Verwaltung mit der Einzelabrechnung der jeweiligen Erschließungsanlagen beauftragt worden war. Die Aufhebung der ursprünglich beschlossenen Erschließungseinheit war rechtlich auch möglich, da zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung für keine der betroffenen Straßen bereits die sachliche Beitragspflicht entstanden und die Beklagte damit nicht an die Entscheidung über die Bildung einer Erschließungseinheit gebunden war (BVerwG, U.v. 9.12.1983 - 8 C 112.82 - juris Rn. 26; OVG Berlin-Bbg, B.v. 21.8.2014 - 5 N 2.14 - juris Rn. 7; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 770).
35
Der Erhebung der festgesetzten Erschließungsbeiträge steht der am 1. April 2021 in Kraft getretene Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, der bestimmt, dass für vorhandene Erschließungsanlagen, bei denen seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung mindestens 25 Jahre vergangen sind, keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden können, nicht entgegen. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG findet im vorliegenden Fall keine Anwendung. Die sachlichen Beitragspflichten sind hier am 7. Januar 2021 und damit vor Inkrafttreten dieser Bestimmung entstanden. Da die Regelung, für die auch keine besonderen Übergangsbestimmungen erlassen wurden, beim Entstehen der sachlichen Beitragspflichten noch nicht anwendbar war und sich auch keine Rückwirkung beimisst, ist sie nicht in der Lage, die vorliegende Erhebung von Erschließungsbeiträgen in zeitlicher Hinsicht zu erfassen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 28.4.2022 - 6 ZB 21.2951 - Rn. 16; VG Augsburg, U.v. 14.4.2022 - Au 2 K 20.2123 - nicht veröffentlicht Rn. 41; VG Ansbach, B.v. 26.5.2021 - AN 3 S 21.00729 - Rn. 65 ff.).
36
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG, der die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, für nicht mehr zulässig erklärt, kommt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, da dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Die Vorteilslage ist hier erst mit Ablauf des Jahres 2017 durch die erst in diesem Jahr abgeschlossene Herstellung des Gehwegs vor dem Grundstück Fl.Nr. ... eingetreten. Zu einem früheren Zeitpunkt konnte die Vorteilslage nicht eintreten, da dies bei einer beitragsfähigen Erschließungsanlage nur angenommen werden kann, wenn sie nach den satzungsmäßigen Herstellungsmerkmalen und dem zugrundeliegenden Bauprogramm vollständig technisch endgültig fertiggestellt wurde, wenn also eine tatsächlich ungehinderte Nutzungsmöglichkeit einer nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen technisch endgültig fertiggestellten Anlage von den angrenzenden Grundstücken aus eröffnet ist (BayVGH, B.v. 28.4.2022 - 6 ZB 21.2951 - juris Rn. 15 m.w.N.). Das ist regelmäßig mit der tatsächlichen Verwirklichung der die erstmalige Herstellung der jeweiligen Anlage betreffenden rechtlichen Vorgaben der Fall. Dass die Anlage bereits vorher benutzbar war, ist unerheblich (BayVGH, B.v. 30.3.2016 - 6 ZB 15.2426 - BayVBl 2016, 558). Eine solche Vorteilslage liegt jedoch nicht vor, wenn nur eine Teillänge der Anbaustraße den Anforderungen des (technischen) Bauprogramms entspricht (VGH BW, U.v. 21.6.2017 - 2 S 1946/16 - juris). Damit konnte vor der Herstellung auch des ca. 30 m langen Gehwegstücks auf dem Grundstück Fl.Nr. ... die Vorteilslage nicht eintreten.
37
Die Einrede der Verjährung aufgrund des Ablaufs der vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG greift nicht durch. Die Festsetzungsfrist beginnt hier mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem die sachliche und persönliche Beitragspflicht entstanden ist. Da die Beitragspflicht erst mit der vollständigen Widmung der Anlage zur O. straße am 7. Januar 2021 entstehen konnte, war die Festsetzungsfrist bei Erlass der Erschließungsbeitragsbescheide vom 1. März 2021 nicht abgelaufen. Anhaltspunkte dafür, dass die Berechtigung der Beklagten zur Erhebung der Erschließungsbeiträge verwirkt sein könnte, sind nicht ersichtlich. Hierfür genügt es allein nicht, dass ein Großteil der Verkehrsanlage bereits in 1970er Jahren technisch hergestellt wurde. Im Übrigen war für einen unbefangenen Betrachter ohne weiteres erkennbar, dass vor dem Grundstück Fl.Nr. ... der im Bebauungsplan Nr. ... festgesetzte Gehweg fehlte, da dieses Privatgrundstück in die ...-straße förmlich „hineingeragt“ hat und auch der Gehweg der ...straße vor diesem Grundstück abrupt endete (s. hierzu die Fotoaufnahmen Bl. 54 bis 56 des Widerspruchsakts).
38
Der den hier zu stellenden formellen und materiellen Anforderungen (vgl. hierzu z.B. VG Ansbach, B.v. 26.5.2021 - AN 3 S 21.00729 - juris Rn. 55) entsprechende Kostenspaltungsbeschluss des Verwaltungs-, Finanz- und Wirtschaftsausschusses der Beklagten vom 12. März 2020 beruht auf Art. 5a Abs. 5, Art. 5 Abs. 1 Satz 6 KAG i.V.m. § 6 EBS a.F. bzw. § 8 EBS und ist rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Gemeinde, die - wie hier - eine die Kostenspaltung zulassende Regelung in ihre Erschließungsbeitragssatzung aufgenommen hat (BVerwG, U.v. 29.4.1988 - 8 C 24.87 - NVwZ 1988, 1134), kann im Wege der Kostenspaltung den Erschließungsbeitrag für den Grunderwerb, die Freilegung und für Teile der Erschließungsanlagen selbständig erheben, solange die Erschließungsanlage selbst insgesamt noch nicht endgültig hergestellt ist und die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine (Teil-)Beitragserhebung vorliegen (Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Aufl. 2022, § 20 Rn. 13 ff.). Ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht oder bis zum Entstehen der vollständigen - auch den Aufwand für den Grunderwerb umfassenden - sachlichen Beitragspflichten abwartet und dann den vollen Erschließungsbeitrag erhebt, steht in ihrem Ermessen. Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Grunderwerb, der Freilegung oder der Herstellung von Teilen der Erschließungsanlage und einer Kostenspaltung wird vom Gesetz nicht verlangt (BVerwG, U.v. 21.9.1973 - IV C 39.72 - KStZ 1974, 112). Die Gemeinde bestimmt vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen, wann und in welcher Reihenfolge sie Teilbeiträge im Wege der Kostenspaltung erheben will (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2012 - 6 ZB 10.2675 - juris Rn. 5).
39
Dass der umgelegte Erschließungsaufwand unzulässig hoch angesetzt wurde, da Kosten einbezogen sind, die nicht hätten umgelegt werden dürfen, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat durch die Vorlage von Übersichten zu den Zeitpunkten der jeweiligen Baumaßnahmen sowie der Aufstellung der jeweils angefallenen und vom Ingenieurbüro Dr. ... unter dem 16. September 2018 den jeweiligen Erschließungsanlagen zugewiesen Kosten (Kostenzusammenstellung vom 27.1.2021; Bl. 125 bis 129 des Behördenakts), die mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18. August 2022 durch die Vorlage der maßgeblichen Rechnungen und Kostenermittlungen auch belegt wurden, die Höhe des in die Abrechnung einbezogenen Erschließungsaufwands schlüssig dargelegt. Das mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 27. Juli 2022 unter Hinweis auf die im Schreiben des B. Kommunalen Prüfungsverbands vom 30. November 2016 an die Beklagte geäußerte Empfehlung, die tatsächlich entstandenen Gesamtkosten mit Hilfe des Tiefbauamts oder eines externen Ingenieurbüros möglichst nach plausiblen und nachvollziehbaren Kriterien zuordnen zu lassen bzw. ggf. zu schätzen, erfolgte lediglich pauschale Bestreiten der in die Abrechnung einbezogenen Kosten „dem Grunde und der Höhe nach“ stellt die Umlagefähigkeit des von der Beklagten ermittelten und nachgewiesenen anlagenbezogenen Herstellungsaufwands nicht durchgreifend in Frage und vermag auch keine dahingehende Amtsermittlungspflicht des Gerichts auszulösen (BayVGH, B.v. 9.3.2021 - 6 ZB 21.20 - juris Rn. 28 m.w.N.; Schmitz, a.a.O., § 8 Rn. 6 m.w.N.).
40
Da weitere Punkte, die die Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung nach sich ziehen könnten, weder konkret vorgetragen wurden noch sonst ersichtlich sind, konnten die Klagen keinen Erfolg haben. Im Übrigen wird zur weiteren Begründung der Entscheidung auf den Widerspruchsbescheid des Landratsamts ... vom 24. September 2021 (S. 4 ff.) Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
41
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
42
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
43
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO).