Titel:
Verpflichtung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, 146 Abs. 4
BayStrWG Art. 29 Abs. 2 S. 1, Art. 66 Nr. 4
LStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Das Tatbestandsmerkmal der „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ in Art. 29 Abs. 2 S. 1 BayStrWG bedeutet, dass kein Verkehrsteilnehmer gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidlich behindert oder belästigt werden soll. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Tatbestandsmerkmal des „Anlegens“ in Art. 29 Abs. 2 S. 1 BayStrWG meint nicht nur die Neuanlage von Anpflanzungen nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung, sondern auch das Hineinwachsenlassen der Pflanzen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anordnung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG setzt kein Verschulden des Handelnden, also weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit voraus. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde (einstweiliger Rechtsschutz), Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs, Thujen-Hecke, Anordnung, Rückschnitt, konkrete Gefahr, Verkehrsteilnehmer, Verschulden, Verhältnismäßigkeit, Gleichbehandlungsgebot, Verwirkung, Beschwerde, vorläufiger Rechtsschutz
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 01.06.2022 – Au 6 S 22.459
Fundstelle:
BeckRS 2022, 36356
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Verpflichtung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs, deren sofortige Vollziehung angeordnet wurde.
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Der Antragsteller und seine Ehefrau sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …1 der Gemarkung K* … Das Grundstück liegt an der K* …straße (FlNr. …*) im Einmündungsbereich zur F* …straße im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin. Entlang der Grundstücksgrenze zum die K* …straße begleitenden Gehweg hin ist das Grundstück mit einem Gartenzaun und einer 30 m langen Thujen-Hecke eingefriedet. Zwischen Gehweg und Fahrbahn befindet sich ein zwischen ca. 1 m bis 6 m breiter Grünstreifen. Der Gehweg hat eine Breite von rund 1,10 m. Die Thujen-Hecke ragt auf der gesamten Länge zwischen 20 cm und 40 cm in den Gehweg hinein.
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Nach erfolglosen schriftlichen Aufforderungen vom 4. November 2019 an den Antragsteller und seine Ehefrau und Aufforderungen vom 20. September 2018, 25. August 2021 und 28. September 2021 nur an den Antragsteller wurde er mit Bescheid vom 18. Oktober 2021 zum Rückschnitt verpflichtet. Im nachfolgenden Klageverfahren hob die Antragsgegnerin den Bescheid in der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2022 auf, weil eine Duldungsverpflichtung gegenüber seiner Ehefrau fehlte. Das Verfahren wurde eingestellt.
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Mit gleichlautenden Bescheiden vom 9. Februar 2022 wurden der Antragsteller und seine Ehefrau verpflichtet, die aus dem Grundstück FlNr. …1 auf den Gehweg der K* …straße hineinragenden Pflanzen so auf die nördliche Grenze des Grundstücks zurückzuschneiden, dass der Gehweg in seiner ganzen Breite und über dem Gehweg in einer Höhe von mindestens 2,50 m frei von Pflanzenbewuchs ist (Nr. 1). Zudem ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Verpflichtung an (Nr. 2) und drohte, falls die Verpflichtung zum Rückschnitt nicht bis 28. Februar 2022 erfüllt werde, dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 250 EUR an (Nr. 3).
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Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, dass der am bezeichneten Grundstück entlangführende Gehweg durch die o.g. Bepflanzung auf einer Länge von ca. 30 m und in einer Breite von ca. 30-40 cm überwuchert und verengt werde. Es handele sich erstens um eine entgegen Art. 18 Abs. 1 BayStrWG unerlaubte Sondernutzung, welche den Gemeingebrauch am Gehweg beeinträchtige, da dieser nicht mehr in seiner gesamten Breite begehbar sei. Zweitens handele es sich um eine unerlaubte Anpflanzung gem. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und zugleich um eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 66 Nr. 4 BayStrWG, so dass die Antragsgegnerin auch nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG befugt sei, die o.g. Anordnung zu erlassen, um die rechtswidrige Tat, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirkliche, zu unterbinden und die dadurch verursachten Zustände zu beseitigen. Durch das Hineinwachsenlassen der Hecke werde der Gehweg so verengt, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vor allem im Begegnungsverkehr beeinträchtigt sei. Fußgänger müssten auf den Grünstreifen ausweichen. Die öffentlichen Belange an der Aufrechterhaltung des ungeschmälerten Gemeingebrauchs am Gehweg hätten im Rahmen der getroffenen Ermessenentscheidung Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragsteller auf ungeschmälerten Erhalt seiner Hecke für rein private Zwecke. Die Androhung des Zwangsgeldes sei nach Frist und Höhe des Zwangsgeldes angemessen.
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Gegen den an ihn gerichteten Bescheid ließ der Antragsteller am 26. Februar 2022 Klage erheben, über die noch nicht entschieden ist (Az. Au 6 K 22.458). Den zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 1. Juni 2022 abgelehnt.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller und verfolgt mit der Beschwerde sein Rechtsschutzbegehren weiter.
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A. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der sicherheitsrechtlichen Anordnung zum Rückschnitt des Pflanzenbewuchses überwiegt das gegenläufige Suspensivinteresse des Antragstellers, weil seine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 9. Februar 2022 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die angegriffene Anordnung zum Rückschnitt findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen unter anderem Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Die Zuwiderhandlung ist durch Art. 66 Nr. 4 BayStrWG zur Ordnungswidrigkeit erklärt. Für die erforderlichen Anordnungen zur Beseitigung verbotswidriger Behinderungen ist der Sicherheitsbehörde in Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG die entsprechende Befugnis eingeräumt worden. Ob der Senat an der Auffassung festhält, dass als öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage für die Beseitigung der in den Lichtraum einer angrenzenden Verkehrsfläche hineinragenden Anpflanzungen allein das Regime des Art. 29 BayStrWG heranzuziehen ist (BayVGH, B.v. 10.8.2017 - 8 ZB 15.1428 - BayVBl 2018, 385 = juris Leitsatz und Rn. 14 m.w.N.), kann offenbleiben. Die Heranziehung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG hat keinen Einfluss auf das Ergebnis (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2017 a.a.O. juris Rn. 14; B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 9). Ob daneben noch der Tatbestand der Sondernutzung nach Art. 18 BayStrWG erfüllt ist, war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich.
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a) Der Tatbestand des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG ist aller Voraussicht nach erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass im konkreten Einzelfall die entlang der Grundstücksgrenze des streitgegenständlichen Grundstücks auf einer Länge von 30 m in den Straßenraum (Gehweg) ragende Thujen-Hecke die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt.
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(1) Das Tatbestandsmerkmal der „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ in Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG bedeutet, dass kein Verkehrsteilnehmer (Kraftfahrer, Fußgänger usw.) gefährdet (Aspekt Sicherheit) oder mehr als nach den Umständen unvermeidlich behindert oder belästigt (Aspekt Leichtigkeit) werden soll. Die Sicherheit hat also die Abwendung von Gefahren für den Verkehr und von diesem, die Leichtigkeit den möglichst unbehinderten Verkehrsfluss im Blick („ungehinderter Verkehrsfluss und gefahrloser Verkehrsablauf“, vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2018 - 8 CE 18.1071 - juris Rn.13, 16 zu Art. 2 Nr. 3 BayStrWG; Wiget in Zeitler BayStrWG, Stand Sept. 2021, Art. 23 Rn. 83; Voigt in Spannowsky/Manssen, BeckOK BayBO, Stand Mai 2022, Art. 14 Rn. 12 zu Art. 14 BayBO). Art und Umfang dieser geschützten Interessen bestimmt sich je nach Regelungszusammenhang (BayVGH, B.v. 13.7.2018 - 8 CE 18.1071 - juris Rn.13).
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Nach dem Ergebnis des Augenscheins des Verwaltungsgerichts steht unstreitig fest, dass die Thujen-Hecke des Antragstellers und seiner Ehefrau von ca. 20 cm bis zu 40 cm in den Gehweg hineinragt, sodass der Gehweg auf eine Breite von ca. 75 cm bis zu 80 cm verengt wird. Es liegt auf der Hand, dass dadurch ein Begegnungsverkehr nicht mehr möglich ist und Fußgänger nicht mehr nebeneinander gehen können, ohne auf das Begleitgrün ausweichen oder sich in die Hecke drücken zu müssen. Dies gilt erst recht für Personen, die etwa einen Rollstuhl führen oder einen Kinderwagen schieben. Dadurch ist jedenfalls die Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs beeinträchtigt. Davon ist auch das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen (BA S. 11).
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Das Verwaltungsgericht hat weiter ausgeführt, dass durch den Bestand der Thujen-Hecke auch eine konkrete Gefahr für Fußgänger besteht, zu Schaden zu kommen.
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Die dagegen von der Beschwerde vorgebrachten Erwägungen greifen nicht durch.
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Soweit lediglich Einwände wortwörtlich aus dem erstinstanzlichen Schreiben vom 19. Mai 2022 wiederholt werden, sind bereits die Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht erfüllt, da sich die Beschwerde nicht mit den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt, sondern sich in weiten Teilen in der Darstellung der eigenen Rechtsauffassung erschöpft. Dem Vorbringen des Antragstellers, das Gericht habe sich mit dem Schreiben vom 19. Mai 2022 nicht auseinandergesetzt, sondern vielmehr eine persönliche Ansicht des Vorsitzenden der Kammer in Schriftform wiederholt, ist zu entgegnen, dass das Gericht gem. Art. 103 Abs. 1 GG zwar verpflichtet ist, aus seiner Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch dazu, sich deren Rechtsauffassung anzuschließen bzw. jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfG, B.v. 31.1.2020 - 2 BvR 2592/18 - juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 24.11.2011 - 8 C 13.11 u.a. - juris Rn. 2; B.v. 22.3.2016 - 9 A 7.16 - BeckRS 2016, 44245 Rn. 4; B.v. 8.6.2021 - 9 B 26.20 - juris Rn. 15). Im Übrigen hat sich das Gericht mit dem zentralen Vorbringen des Antragstellers auseinandergesetzt. Es hat auf der Grundlage der Ergebnisse des Augenscheins vom 28. April 2022 dargelegt, warum aus seiner Sicht auf Grund der Verkehrsbedürfnisse durch den Überwuchs eine Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vorliegt (BA S. 10-12). Inwiefern diese Ausführungen eine persönliche Ansicht des Vorsitzenden der Kammer darstellen sollten, kann der Senat nicht nachvollziehen, zumal es sich um einen Kammerbeschluss handelt.
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Der Einwand des Antragstellers, dass im Winter bzw. bei nasser Witterung keine konkrete Gefahr gegeben sei, weil Fußgänger mit festem Schuhwerk unterwegs seien und deshalb bei einem Ausweichen auf das Begleitgrün keine konkrete Gefahr des Ausrutschens gegeben sei, greift ebenfalls nicht durch. Das Begleitgrün stellt schon keinen „Ersatzgehweg“ dar, da es nicht als Gehweg vorgesehen ist. Zudem kommt es nicht auf das Schuhwerk und die Fitness der Fußgänger an. Der Antragsteller verkennt, dass im Winter der geräumte Schnee häufig den Zugang zum Begleitgrün verhindert, es sei denn, der Fußgänger „stapft“ durch Schneehügel. Soweit der Antragsteller anführt, ein Ausweichen auf das Begleitgrün sei viel „ungefährlicher“ als ein Ausweichen andernorts auf die Straße, mag dies richtig sein. Er lässt aber außer Acht, dass die Sicherheit des Fußgängerverkehrs sich nicht darin erschöpft, einen Verkehrsunfall mit einem Pkw zu verhindern, sondern auch Stürze oder Umknicken auf unebener Fläche einschließt. Gerade älteren und in der Mobilität eingeschränkten Verkehrsteilnehmern fällt es regelmäßig schwer, sicher auf unebener Fläche zu gehen und zwischen ebenen und unebenen Flächen zu wechseln. Gem. Art. 9 Abs. 1 Satz 4 und 5 BayStrWG ist der Träger der Straßenbaulast - hier die Antragsgegnerin - gehalten, die Belange von älteren Menschen, von Menschen mit Behinderung und von Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen besonders zu berücksichtigen.
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Mit dem Einwand „die umfangreichen Ausführungen des Gerichts zur Verkehrsbedeutung des Fußweges legten keine konkrete Gefahr dar“ verkennt der Antragsteller, dass das Verwaltungsgericht insoweit ausführt, dass es tatsächlich zu Begegnungsverkehr kommen kann (BA S. 11).
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Darüber hinaus ist fraglich, ob überhaupt eine „konkrete Gefahr“ erforderlich ist, sondern eine mögliche Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ausreicht. Angesichts des Wortlauts des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 („beeinträchtigen können“, vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2019 - 8 ZB 19.1855 - juris Rn. 10; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2019, Art. 29 Rn. 24) und seiner Entstehungsgeschichte (vgl. LT-Drs. III/2832 S. 33 zu Art. 31) spricht aus Sicht des Senats Einiges dafür, dass für in Straßenraum hineinragenden Pflanzenbewuchs eine mögliche Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ausreicht, soweit sich der Pflanzenwuchs nicht auf eigenem Grundstück befindet, sondern gleichsam als Überhang (vgl. § 910 BGB) in den in den Lichtraum einer angrenzenden Verkehrsfläche hineinragt (Einschränkung der Rechtsprechung des Senats Urteil vom 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - BayVBl 2005, 274 = juris Rn. 24 für den Rückschnitt von Überwuchs).
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(2) Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist es unerheblich, dass die Hecke auf dem Grundstück des Antragstellers gepflanzt worden ist und zum Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks bereits über die Grundstücksgrenze hinaus auf den Gehweg gewachsen war. Das Tatbestandsmerkmal des „Anlegens“ in Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG meint nicht nur die Neuanlage von Anpflanzungen nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung, sondern auch das Hineinwachsenlassen der Pflanzen (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 12; BayObLG, B.v. 4.4.1995 - 3 ObOWi 30/95 - BayVBl 1995, 541 = juris Rn. 5; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand Sept. 2021, Art. 29 Rn. 26). Unerheblich ist auch, ob mit der Anlage der Pflanzung die Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bezweckt war, denn entscheidend ist, dass die Hecke in den Gehweg hineinragt.
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(3) Die Anordnung verstößt entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht gegen § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG, da gem. § 39 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatschG eine Ausnahme für behördlich angeordnete Maßnahmen vorgesehen ist. Soweit der Antragsteller davon ausgeht, dass nur rechtmäßige Anordnungen eine Ausnahme rechtfertigen könnten, verkennt sie, dass bei einer rechtswidrigen Anordnung ohnehin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Raum stünde, sodass es auf den Verbotstatbestand des § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG nicht ankäme.
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b) Auch die weiteren Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG dürften erfüllt sein.
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(1) Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG können die Sicherheitsbehörden (Art. 6 LStVG) zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anordnungen für den Einzelfall auch ohne besondere gesetzliche Ermächtigung treffen, um rechtswidrige Taten zu verhüten oder zu unterbinden, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen. Dabei kommt es ausschließlich darauf an, ob die zu verhütende oder zu unterbindende Handlung in rechtswidriger Weise den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit erfüllt. Die Anordnung setzt kein Verschulden des Handelnden, also weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit voraus. Neben dem Zweck des Sicherheitsrechts, die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Abwehr von Gefahren und durch Unterbindung und Beseitigung von Störungen aufrechtzuerhalten (Art. 6 LStVG), ergibt sich dies auch daraus, dass ein schuldhaftes Verhalten bei einer zu verhütenden, also noch nicht begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit noch gar nicht feststehen kann (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2017 - 11 ZB 16.2376 - juris Rn. 9).
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Die Zuwiderhandlung gegen Art. 29 Abs. 2 Satz 1 stellt gem. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG eine Ordnungswidrigkeit dar.
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(2) Der von der Antragsgegnerin als Sicherheitsbehörde (Art. 6 LStVG) angeordnete Rückschnitt leidet aller Voraussicht nach auch nicht an Ermessensfehlern. Insbesondere dürfte die Beseitigungsanordnung verhältnismäßig sein (Art. 8 LStVG). Die dagegen angeführten Einwände der Beschwerde greifen nicht durch.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers dürfte sich die streitgegenständliche Anordnung auch mit Blick auf den in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2022 zugesagten Rückschnitt der Hecke bis zur Grundstücksgrenze bis zum 1. September 2023 (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2022 im Verfahren Au 6 K 21.2352 und Au 6 K 21.2438) als verhältnismäßig erweisen. Aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung geht schon nicht klar hervor, ob die Gegenseite mit dem Vorschlag einverstanden war und sich darauf einlassen wollte. Eine eindeutige Zustimmung ist dem Protokoll nicht zu entnehmen. Vielmehr dürfte aus dem Zusammenhang zu entnehmen sein, dass die Gegenseite mit dem Vorschlag nicht einverstanden gewesen ist. So heißt es auf Seite 3 des Protokolls, dass sich die Antragsgegnerin eine Frist bis Ende Februar 2022 vorstelle, und auf Seite 4 des Protokolls, dass sich die Antragsgegnerin den Erlass eines neuen Bescheides vorbehalte. Im Übrigen geht die Antragstellerseite inzwischen selbst davon aus, dass erst Ende 2024 der Überhang vollständig entfernt sein wird (Bl. 83 der GA), sodass sie ihre Zusage inzwischen modifiziert hat.
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Im Übrigen wäre die vom Antragsteller zugesagte Frist bis 1. September 2023 unter den von ihm weiter aufgestellten Prämissen (jährlicher Rückschnitt um insgesamt 15 cm (5 cm Zuwachs, 10 cm Rückschnitt) untauglich, um einen gänzlichen Rückschnitt bis zur Grundstücksgrenze zu erzielen. Der Antragsteller hat nicht bedacht, dass die Hecke stellenweise um bis zu 40 cm in den Gehweg ragt (Bl. 66 der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts), sodass ein Rückschnitt um insgesamt 20 cm bis 1. September 2023 nicht ausreicht. Zudem hat der Sachverständige ausgeführt, dass der jährliche Zuwachs 5 cm - 20 cm betragen könne (Protokoll über den nichtöffentlichen Augenschein vom 28. April 2022 im Verfahren Au 6 K 22.460, Au 6 S 22.461, S. 8), so dass auch insofern mit dem geplanten Rückschnitt von 15 cm jährlich keine Rückführung auf die Grundstücksgrenze erreicht werden kann.
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Dass der massive Rückschnitt der Hecke zu einer Verkahlung der Hecke führt, die Erholungsphase deutlich länger dauern würde und der Heckenmantel lückenhaft bliebe, hat das Verwaltungsgericht erkannt (BA S. 15f.). Es hat dem aber rechtsfehlerfrei entgegengehalten, dass angesichts des ohnehin schmalen Gehwegs das öffentliche Interesse „an der Erhaltung der vollen Funktionstüchtigkeit des Gehwegs in seiner ganzen Breite“ gegenüber den gärtnerischen Belangen des Antragstellers überwiegt, wobei auf der Grundstücksinnenseite die Begrünung der Hecke in vollem Umfang erhalten wird (BA S. 14 f.), sodass das Interesse des Antragstellers an Sicht- und Lärmschutz ausreichend gewährleistet ist.
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Der Hinweis des Antragstellers auf die Beeinträchtigung des Ortsbilds aufgrund massiver Sichtschutzanlagen aus Holz, Stein oder Kunststoff bei anderen Grundstückseigentümern trägt schon deshalb nicht, weil es im vorliegenden Fall nicht auf die Ästhetik oder ihren ökologischen Wert ankommt.
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Auch soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass an anderer Stelle im Gemeindegebiet Überwuchs geduldet werde, verfängt dies nicht, zumal die Antragsgegnerin im Jahr 2021 auch rund 70 andere Grundstückseigentümer zum Rückschnitt aufgefordert hat. Ohne Belang ist auch, dass im vorliegenden Fall - anders als bei anderen Fällen im Gemeindegebiet - der Fußweg durch einen Grünstreifen von der Fahrbahn getrennt ist. Aus dem Rechtstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt, dass aus einem rechtswidrigen Handeln des Staates gegenüber anderen Grundstückseigentümern kein Anspruch abgeleitet werden kann, ebenso rechtswidrig behandelt zu werden; der Gleichheitssatz kann sich insoweit nicht gegen die Gesetzesbindung der Verwaltung durchsetzen („Keine Gleichheit im Unrecht“, vgl. schon BVerfG, B.v. 17.3.1959 - 1 BvR 53/56 - BVerfGE 9, 213 = juris Rn. 31; BVerwG, B.v. 21.1.2010 - 5 B 63.09 - juris Rn. 9; B.v. 13.4.2005 - 6 C 5.04 - NVwZ-RR 2005, 592 = juris Rn. 26; siehe auch Wollenschläger in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 218).
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Ebenso wenig dürfte die Durchsetzung der Anordnung eines Rückschnitts verwirkt sein. Der Einwand der Verwirkung ist in der Rechtsprechung seit langem als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung anerkannt. Für die Annahme eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) reicht der bloße Zeitablauf indes nicht aus; hinzukommen muss vielmehr, dass der Schuldner dem Verhalten des Gläubigers, das zur verspäteten Geltendmachung des Anspruchs geführt hat, entnehmen musste, dass dieser den Anspruch nicht mehr geltend machen wollte, wenn sich also der Schuldner darauf einrichten durfte, dass er mit diesem Anspruch nicht mehr zu rechnen brauche, und sich darauf auch eingerichtet hat (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 29.8.2018 - 3 B 24.18 - VRS 134, 157 = juris Rn. 14; BVerfG, B.v. 26.1.1972 - 2 BvR 255/67 - BVerfGE 32, 305 = juris Rn. 18). Die Frage, ob eine Verwirkung vorliegt, ist im Einzelfall auf Grundlage einer Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände zu beantworten (BVerwG, B.v. 15.1.2020 - 2 B 38.19 - IÖD 2020, 103 = juris Rn. 12; U.v. 30.8.2018 - 2 C 10.17 - BVerwGE 163, 36 = juris Rn. 22). Diese Voraussetzungen dürften nicht vorliegen, da die Antragsgegnerin zumindest seit dem Jahr 2018 den Antragsteller und seine Ehefrau mehrfach schriftlich zum Rückschnitt aufgefordert hat.
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2. Gegen den in Nr. 2 des Bescheides vom 9. Februar 2022 angeordneten Sofortvollzug hat die Beschwerde nichts vorgetragen.
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3. Soweit die Beschwerde meint, dass die in Nr. 3 des Bescheides festgesetzte Frist „ermessensfehlerhaft“ bzw. „untunlich“ sei, weil sie innerhalb der einmonatigen Klagefrist liege, ist dem nicht zu folgen. Denn entscheidend kommt es darauf an, dass der Verwaltungsakt bei Fristablauf vollziehbar ist (Harrer/Kugele/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand März 2022, zu Art. 36 VwZVG, Anm. 4). Aufgrund der in Nr. 2 des Bescheides angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der Rückschnittsanordnung war dies gem. Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG bei Fristende am 28. Februar 2022 der Fall. Die Fristbestimmung ist auch nicht dadurch gegenstandslos geworden, weil das Verwaltungsgericht bei Ablauf der Erfüllungsfrist nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG noch nicht über den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung entschieden hat. Denn das Zwangsgeld wird mit Fristablauf kraft Gesetzes fällig (Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG) und die Rechte des Betroffenen können bei der Ausübung des durch Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG eingeräumten Anwendungsermessens berücksichtigt werden (BayVGH, B.v. 20.12.2001 - 1 ZE 01.2820 - juris Rn. 14 ff.; B.v. 6.10.2020 - 22 CS 20.1600 - BeckRS 2020, 26751 Rn. 57).
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4. Lassen sich mithin keinerlei konkrete Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Anordnung zum Rückschnitt der Thujen-Hecke entnehmen, ist auch die von den Erfolgsaussichten der Hauptsache losgelöste Interessenabwägung zugunsten der öffentlichen Verkehrsinteressen getroffene Interessenabwägung nicht zu beanstanden.
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Orientierung an Nr. 1.5 und Nr. 35.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).