Titel:
Isolierte Anfechtung von Auflagen einer Baugenehmigung
Normenketten:
BayVwVfG Art. 36 Abs. 1
BayBO Art. 59
BayBO 1969 Art. 62 Abs. 6 S. 2, Art. 91 Abs. 4
Leitsätze:
1. Ob eine Nebenbestimmung isoliert aufgehoben werden kann, die Genehmigung also ohne die Nebenbestimmung in sinnvoller und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des mit der Anfechtungsklage verfolgten Aufhebungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vorneherein ausscheidet. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG regelt abschließend, unter welchen Voraussetzungen ein begünstigender Verwaltungsakt bei einer gebundenen Entscheidung mit einer Nebenbestimmung versehen werden darf. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zweck der Ermächtigung des Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG ist es allein, die rechts- und anspruchsbegründenden Voraussetzungen, deren Fehlen zur Versagung eines Verwaltungsakts führen muss, auszuräumen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Isolierte Anfechtung von Auflagen in einer Baugenehmigung, Nebenbestimmungen bei Verwaltungsakten, auf die ein Anspruch besteht, Bereithaltung von Stellplätzen für Fremdgrundstück, Nebenbestimmungen bei Verwaltungsakten auf die ein Anspruch besteht, Ausnahmen und Befreiungen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 30.07.2024 – 2 ZB 23.139
Fundstelle:
BeckRS 2022, 34308
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 27.08.2020 wird hinsichtlich der Auflage Ziff. 1 Absatz 2 „KfZ-Stellplätze“ („Für das Fremdgrundstück …platz 11, FlNr. 111 sind auf dem Baugrundstück 24 Pkw-Stellplätze nachzuweisen. Diese Forderung bedingt sich aus der Baugenehmigung vom 07.12.1971.“) und Absatz 3, soweit darin die baurechtliche Gesamtbelastung des Grundstücks über 25 Stellplätze gefordert wird, aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen Auflagen in einer Baugenehmigung, mit denen sie verpflichtet werden, zugunsten eines Nachbargrundstücks Stellplätze herzustellen und zu erhalten.
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Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 70 Gemarkung …, …platz 4 (im Folgenden: Fl.Nr. 70). Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. 111 Gemarkung … (im Folgenden: Fl.Nr. 111), das ca. 120 m von Fl.Nr. 70 entfernt liegt und auf dem ein mit Baugenehmigung der Beklagten vom 7. Dezember 1971 genehmigtes Hotel besteht. Nach Ziff. 5 der Auflagen zu dieser Baugenehmigung sind 28 Stellplätze zu schaffen. Nach dem den Bauantragsunterlagen beigegebenen Plan mit der Plan Nr. … sind davon 24 Stellplätze auf Fl.Nr. 70 nachgewiesen. An diesen Plan ist eine notarielle Urkunde angeheftet. In dieser Urkunde des Notars Dr. … … vom 9. September 1971 wird eine beschränktpersönliche Dienstbarkeit an Fl.Nr. 70 zugunsten der Beklagten zur Sicherstellung der Stellplatzpflicht für 24 Stellplätze bestellt. Diese Dienstbarkeit wurde jedoch nicht ins Grundbuch eingetragen.
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Mit Bauantrag vom 20. September 2019 (Plan Nr. …*) beantragten die Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung zur „Revitalisierung und Umnutzung eines ehemaligen Bauernhofes mit Neubau einer Tiefgarage“ auf Fl.Nr. 70. Ausweislich der Erläuterung des Bauvorhabens in den Bauantragsunterlagen vom 30. August 2019 seien nach der Stellplatzberechnung insgesamt 49 Stellplätze notwendig, es würden in der Tiefgarage 36 Stellplätze, im Hof 11 Stellplätze errichtet sowie 2 Stellplätze abgelöst, auf die gesonderte Stellplatzberechnung wird in der Erläuterung Bezug genommen. In dem Formular „Stellplatznachweis“ wird bei der Rubrik „Anzahl der erforderlichen Stellplätze“ unter „Baurechtlich erforderliche Stellplätze für das Vorhaben“ die Zahl 25 und unter „Für ein fremdes Grundstück übernommene Stellplätze“ die Zahl 24 angegeben.
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Mit Bescheid vom 27. August 2020 erhielten die Kläger die Baugenehmigung zum Bauantrag vom 20. September 2019 nach Plan Nr. … und weiteren Änderungen für die Revitalisierung und den Umbau eines ehemaligen Bauernhofs mit Neubau einer Tiefgarage für das Grundstück Fl.Nr. 70. Die Baugenehmigung enthält nach der Überschrift „Folgende Auflagen sind einzuhalten“ unter Ziff. 1 („Kfz-Stellplätze“) im zweiten Absatz folgende Auflage: „Für das Fremdgrundstück …platz 11, Fl.Nr. 111 sind auf dem Baugrundstück 24 Pkw-Stellplätze nachzuweisen. Diese Forderung bedingt sich aus der Baugenehmigung vom 07.12.1971.“ In Absatz 3 der Auflagen zu den Kfz-Stellplätzen wird ausgeführt: „Die baurechtliche Gesamtbelastung des Grundstücks beträgt damit 49 Pkw-Stellplätze.“ Eine Begründung dieser Auflagen enthält die Baugenehmigung nicht.
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Mit Schriftsatz vom 23. September 2020 haben die Kläger Klage erhoben. Sie beantragen,
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Der Bescheid der Beklagten vom 27.08.2020 wird hinsichtlich der Auflage Ziff. 1 Absatz 2 „Kfz Stellplätze“ („Für das Fremdgrundstück …platz 11, Fl.Nr. 111 sind auf dem Baugrundstück 24 Pkw-Stellplätze nachzuweisen. Diese Forderung bedingt sich aus der Baugenehmigung vom 07.12.1971.“) aufgehoben.
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Im Übrigen ist Absatz 3 der Auflage Ziff. 1 „Kfz Stellplätze“ insoweit aufzuheben, als darin die baurechtliche Gesamtbelastung des Grundstücks über 25 Pkw-Stellplätze gefordert wird.
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Die Nebenbestimmungen seien rechtswidrig, da keine Pflicht der Kläger bestehe, auf Fl.Nr. 70 24 Pkw-Stellplätze für das Fremdgrundstück …platz 11 nachzuweisen. Eine rechtliche Sicherung für die Benutzung des Baugrundstücks gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde nach Art. 47 Abs. 3 Nr. 2 BayBO bestehe nicht. Diese Sicherung habe durch eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit zu erfolgen. Eine solche sei nicht in das Grundbuch eingetragen.
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Die angefochtene Forderung bedinge sich aus der Baugenehmigung für das Anwesen …platz 11 vom 7. Dezember1971. Die damaligen Eigentümer der Anwesen …platz 4 und 11 hätten sich verpflichtet, auf Fl.Nr. 70 24 Kfz-Stellplätze herzustellen. Bei Erfolg der Klage würden 24 notwendige Stellplätze für das Anwesen …platz 11 wegfallen.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
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In der Sache führte sie mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 aus, dass die Klage möglicherweise schon wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis unzulässig sei, jedenfalls aber unbegründet. Es könnte schon am Rechtsschutzbedürfnis der Kläger fehlen, da die Auflage die Angabe der Kläger im Stellplatznachweis vom 30. August 2019 übernehme, wonach 24 Stellplätze für ein fremdes Grundstück übernommen würden. Die Kläger hätten in ihrem Stellplatznachweis selbst angegeben, dass für das Bauvorhaben insgesamt 49 Stellplätze erforderlich seien, also 24 Stellplätze mehr als die im Klageantrag aufgeführte baurechtliche Gesamtbelastung von 25 Pkw-Stellplätzen. Die Klage sei jedenfalls unbegründet, da die dem damaligen Bauherrn … … erteilte Baugenehmigung vom 7. Dezember 1971 für das Bauvorhaben auf der Fl.Nr. 111 bestandskräftig sei. Die Kläger hätten die Fl.Nr. 70 mit der für dieses Grundstück aufgrund der Baugenehmigung fortbestehenden Verpflichtung erhalten, 24 Stellplätze für die Bebauung des Grundstücks Fl.Nr. 111 vorzuhalten. Nach Art. 91 Abs. 4 BayBO 1969 gelte die Baugenehmigung für und gegen den Rechtsnachfolger des Bauherrn. Als heutige Eigentümer der Fl.Nr. 70 seien die Kläger Rechtsnachfolger des Bauherrn … … Die Rechtsnachfolge beinhalte auch belastende Nebenbestimmungen, die einer Baugenehmigung beigefügt worden seien, soweit diese grundstücks- und vorhabensbezogene Regelungen enthielten. Die Stellplatzverpflichtung aus der Baugenehmigung vom 7. Dezember 1971 auf der Fl.Nr. 70 sei deshalb auf die Kläger übergegangen.
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Zum weiteren Vorbringen der Parteien und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig (1.) und begründet (2.).
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1. Die auf die isolierte Aufhebung von Auflagen der Baugenehmigung vom 27. August 2020 gerichtete Klage ist zulässig.
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1.1 Die streitgegenständlichen Auflagen sind im angefochtenen Umfang selbstständig anfechtbar. Ob eine Nebenbestimmung isoliert aufgehoben werden kann, die Genehmigung also ohne die Nebenbestimmung in sinnvoller und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des mit der Anfechtungsklage verfolgten Aufhebungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vorneherein ausscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2012 - 4 C 5.11 - juris m.w.N.).
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Eine isolierte Aufhebbarkeit scheidet hier nicht von vorneherein aus. Vielmehr ist der angefochtene Auflagenteil eine Nebenbestimmung, die dazu dienen soll, die bauordnungsrechtliche Rechtmäßigkeit der Bestandsnutzung auf einem anderen als dem Baugrundstück Fl.Nr. 70 sicherzustellen und damit offenbar kein von vorneherein untrennbarer Bestandteil der Baugenehmigung für das Baugrundstück.
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1.2 Den Klägern fehlt auch nicht die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis.
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1.2.1 Die Kläger können trotz des Inhalts ihres Bauantrags geltend machen, durch die streitgegenständliche Auflage möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein.
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Mit der streitgegenständlichen Auflage wird nicht lediglich dem (Bau-)Antrag der Kläger entsprochen. Zwar werden die für die Fl.Nr. 111 erforderlichen Stellplätze in den Bauplänen dargestellt und im Stellplatznachweis erwähnt. Ausdrücklich wird im Stellplatznachweis - auf den auch die Erläuterung des Bauvorhabens vom 30. August 2019 verweist - dargelegt, dass 24 Pkw-Stellplätze für ein fremdes Grundstück übernommen werden. Damit erläutert der Stellplatznachweis lediglich, dass 24 Stellplätze nicht für den durch das Bauvorhaben ausgelösten Bedarf hergestellt werden. Eine freiwillige Übernahme einer Pflicht zur Herstellung und zum dauerhaften Erhalt der Stellplätze zugunsten des Fremdgrundstücks ist dem Bauantrag nicht zu entnehmen.
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Die streitgegenständliche Auflage zielt demgegenüber darauf ab, die Kläger nicht nur zur Herstellung, sondern auch zur dauerhaften Zurverfügungstellung der Stellplätze zugunsten Fl.Nr. 111 zu verpflichten. Dies ergibt sich sowohl aus der Formulierung in Auflage 1. „Kfz-Stellplätze“ Absatz 3 („Die baurechtliche Gesamtbelastung des Grundstücks beträgt damit 49 Pkw-Stellplätze.“), als auch der Anordnung in Auflage 1 “Kfz-Stellplätze“ Absatz 7. In letzterer wird ausdrücklich gefordert, dass die Stellplätze plangemäß herzustellen seien und bei Aufnahme der Nutzung funktionsfähig sowie dauerhaft zur Verfügung stehen müssten. Die Auflage dient dazu, eine vollstreckbare Grundlage für die Durchsetzung der Stellplatzanforderungen für die Nutzung des Grundstücks Fl.Nr. 111 zu schaffen. Die Beklagte wäre bei Bestandskraft der Auflage sowohl über Art. 54 Abs. 2 BayBO als auch Art. 76 BayBO berechtigt, die Einhaltung der Auflage durchzusetzen, ohne dass deren Rechtmäßigkeit hierfür Voraussetzung wäre (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2014 - 1 ZB 13.2643 - juris Rn. 4). Bereits mit der Auflage wird daher in das Eigentumsrecht der Kläger eingegriffen.
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1.2.2 Eine Rechtsverletzung der Kläger scheidet auch nicht deshalb aus, da die gleiche Verpflichtung für die Kläger schon aufgrund der Baugenehmigung vom 7.Dezember 1971 bestanden hätte. Es handelt sich bei den streitgegenständlichen Auflagen nicht lediglich um eine wiederholende Verfügung.
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Soweit die Bevollmächtigte der Beigeladenen vorträgt, die Kläger seien als Rechtsnachfolger des früheren Bauherrn des Vorhabens auf Fl.Nr. 111 unmittelbar aus der damaligen Baugenehmigung und der Wirkung des Art. 91 Abs. 4 BayBO in der Fassung 21.08.1969 (BayBO 1969) zur Schaffung und Beibehaltung der Stellplätze auf Fl.Nr. 70 verpflichtet, verkennt sie den Regelungsgehalt der Vorschrift. Es kann dahinstehen, ob im Rahmen der Klage für die Fortgeltung von Verpflichtungen aus der Baugenehmigung vom 7. Dezember 1969 auf Art. 54 Abs. 2 Satz 3 BayBO oder den im Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung geltenden Art. 91 Abs. 4 BayBO 1969 abzustellen ist, da beide Vorschriften im Ergebnis die dingliche Wirkung der Baugenehmigung gleich regeln. Beide Vorschriften bringen in gleicher Weise zum Ausdruck, dass es sich bei der Baugenehmigung um einen sachbezogenen Verwaltungsakt handelt, der die Personen bindet, die die Rechts- oder Sachherrschaft über das Bauvorhaben ausüben (vgl. zu Art. 91 Abs. 4 BayBO 1969: Koch/Molodovsky, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 1969, Art. 91 Nr. 2.5; zu Art. 54 BayBO: Dirnberger in: Busse/Kraus, BayBO Stand: August 2022, Art. 54 Rn. 116 ff.). Maßgeblich kommt es daher darauf an, wer in Bezug auf das jeweilige Bauvorhaben in die Rechtsstellung des Bauherrn eingetreten ist. Die in beiden Vorschriften beschriebene dingliche Wirkung der Baugenehmigung bezieht sich stets auf das „Baugrundstück“, sodass die mit der Baugenehmigung einhergehenden Verpflichtungen den Rechtsnachfolger im Eigentum oder Besitz am Baugrundstück treffen. Dies ist hier die Beigeladene als Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 111, auf dem das durch die Baugenehmigung vom 7. Dezember 1971 zugelassene Vorhaben errichtet wurde.
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Durch den in der Baugenehmigung vom 7. Dezember 1971 geführten Stellplatznachweis mit der planlichen Darstellung von 24 Stellplätzen auf dem Grundstück Fl.Nr. 70 wurde dieses nicht zum Baugrundstück im Verfahren zur Genehmigung des Vorhabens auf dem Grundstück Fl.Nr. 111. Die Nutzung von Fl.Nr. 111 für Stellplätze beruhte - vergleichbar mit der heutigen Rechtslage - im Zeitpunkt der damaligen Baugenehmigung auf Art. 62 Abs. 6 Satz 2 BayBO 1969. Danach konnte gestattet werden, die Stellplätze „in der Nähe des Baugrundstücks“ herzustellen, wenn ein geeignetes Grundstück zur Verfügung stand und seine Benutzung für diesen Zweck rechtlich gesichert war. Durch die Unterscheidung im Gesetzestext zwischen dem Baugrundstück und einem geeigneten Grundstück „in der Nähe des Baugrundstücks“ wird deutlich, dass bei Inanspruchnahme der Möglichkeit der Herstellung von Stellplätzen in der Nähe des Baugrundstücks das Stellplatzgrundstück nicht Teil des Baugrundstücks wird. Anderenfalls wäre auch die nach Art. 62 Abs. 6 Satz 2 BayBO 1969 als Voraussetzung für die Erfüllung der Stellplatzpflicht auf einem anderen Grundstück erforderliche rechtliche Sicherung nicht zu erklären. Die rechtliche Sicherung wäre gerade nicht vonnöten, wenn die für das Baugrundstück geltenden Anordnungen der Baugenehmigung schon aufgrund öffentlichen Rechts auch für das Stellplatzgrundstück wirken würden. Damit scheidet eine die Kläger bindende Pflicht zur Schaffung der Stellplätze aufgrund der Baugenehmigung vom 7. Dezember 1971 aus.
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2. Die Klage hat in der Sache Erfolg, da die Auflagen im tenorierten Umfang rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die die Kläger belastenden Auflagen fehlt es an einer tragfähigen Rechtsgrundlage.
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2.1 Eine Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Auflage hat die Beklagte weder in der Baugenehmigung noch im Klageverfahren benannt. In Betracht kommt allein Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG, da eine ausdrückliche Zulassung von Auflagen durch Rechtsvorschrift i.S.v. Art. 36 Abs. 1 Alt. 1 BayVwVfG fehlt.
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Nach Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Diese Vorschrift regelt abschließend, unter welchen Voraussetzungen ein begünstigender Verwaltungsakt bei einer gebundenen Entscheidung mit einer Nebenbestimmung versehen werden darf (VG München, U.v. 19.7.2021 - M 8 K 21.1170 - juris Rn. 17 ff.; BayVGH, B.v. 28.3.2022 - 2 ZB 21.2098 - BRS 2022, 9280 Rn. 3; vgl. zum gleichlautenden Art. 36 Abs. 1 VwVfG BW: BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 6 C 37.14 - juris Rn. 10).
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Bei der Baugenehmigung handelt es sich um einen solchen gebundenen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG, auf den ein Anspruch besteht (vgl. BVerwG, U.v. 21.12.2011 - 4 C 12.10 - juris Rn. 21; Lechner in: Busse/Kraus, BayBO, Stand: August 2022, Art. 68 Rn. 23). Dies gilt hier unbeschadet des Umstands, dass mit der Baugenehmigung zugleich Ausnahmen und Befreiungen erteilt wurden, über die die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu befinden hat. Die mit der Baugenehmigung erteilten Ausnahmen und Befreiungen beziehen sich auf andere baurechtliche Anforderungen, die nicht mit der durch die Auflagen angeordneten Pflicht zur Herstellung von Stellplätzen für das Grundstück Fl.Nr. 111 in Zusammenhang stehen.
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Zweck der Ermächtigung des Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG ist es allein, die rechts- und anspruchsbegründenden Voraussetzungen, deren Fehlen zur Versagung des Verwaltungsakts führen muss, auszuräumen. Die Behörde soll gemäß Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG eine Nebenbestimmung beifügen dürfen, die es ermöglicht, einen begünstigenden Verwaltungsakt zu erlassen, obwohl nicht sämtliche vom Fachrecht hierfür aufgestellten Voraussetzungen erfüllt oder nachgewiesen sind (BVerwG, U.v. 9.12.2015 - 6 C 37/14 - juris Rn. 18). Eine Auflage, die - wie im vorliegenden Fall - der Schaffung und Bereithaltung von Stellplätzen dient, setzt eine aus Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG, Art. 47 Abs. 1 BayBO resultierende Pflicht zur Herstellung der Stellplätze voraus (Vgl. BayVGH, U.v. 2.5.2018 - 2 B 18.458 - juris Rn. 23 f.). Die Auflage wäre dann geeignet, die mit der Stellplatzpflicht während der Dauer der Nutzung der baulichen Anlage bestehende Pflicht zur Bereithaltung der Stellplätze sicherzustellen.
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Demzufolge ist die Beifügung der Auflage zur Baugenehmigung nur möglich, wenn sie sicherstellt, dass der durch das beantragte Vorhaben ausgelöste Stellplatzbedarf gedeckt wird und damit die Genehmigungsvoraussetzung des Art. 47 BayBO sichergestellt bleibt. Der für ein anderes Vorhaben erforderliche Stellplatznachweis dient allein der Erfüllung der durch dieses Vorhaben ausgelösten Stellplatzpflicht, mithin der Nutzung und dem Erhalt der Genehmigungsvoraussetzungen jenes Vorhabens. Die Sicherstellung der Einhaltung der Stellplatzpflicht für ein von dem zur Genehmigung gestellten Vorhaben abweichendes Vorhaben kann somit keine Voraussetzung für die Herstellung der Genehmigungsfähigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens sein und nicht auf Grundlage von Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG erlassen werden.
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Im vorliegenden Fall dienen die nach der angefochtenen Auflage für das Grundstück Fl.Nr. 111 nachzuweisenden 24 Stellplätze schon ausweislich der Formulierung nicht der Sicherstellung des durch das Bauvorhaben ausgelösten Stellplatzbedarfs, sondern dem durch die bauliche Nutzung des Grundstücks Fl.Nr. 111 ausgelösten Stellplatzbedarf. Die Beklagte erkennt dies selbst, nachdem sie ausdrücklich im Bescheid bei den Auflagen unter Ziff. 1 „Kfz-Stellplätze“ Absatz 1 ausführt, dass für das Bauvorhaben lediglich 25 Pkw-Stellplätze erforderlich sind. In der streitgegenständlichen Auflage verweist sie hingegen auf die Baugenehmigung vom 7. Dezember 1971, die für das Vorhaben auf dem Grundstück Fl.Nr. 111 ergangen ist. Die Auflage dient damit nicht der Herstellung und Sicherung der Genehmigungsvoraussetzungen des Vorhabens auf dem Baugrundstück, sondern soll gegebenenfalls erforderliche bauaufsichtliche Maßnahmen im Fall des Wegfalls der Stellplätze für Fl.Nr. 111 vermeiden bzw. vorwegnehmen. Eine solche Vorgehensweise ist indes mit dem Gesetz nicht vereinbar (vgl. zum richtigen Vorgehen bei Verlust von notwendigen Stellplätzen eines Vorhabens: Würfel in: Busse/Kraus, BayBO, Stand: August 2022, Art. 47 Rn. 272 ff.).
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2.2 Die Baugenehmigung kann auch ohne die streitgegenständlichen Auflagen in sinnvoller und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben, weshalb diese im Rahmen der Anfechtungsklage isoliert aufgehoben werden können (vgl. zu dieser Voraussetzung für die isolierte Aufhebbarkeit von Nebenbestimmungen: BVerwG, B.v. 31.1.2019 - 8 B 10.18 - juris Rn. 5; U.v. 17.10.2012 - 4 C 5.11 - juris Rn. 5).Wie sich aus dem vorstehend Ausgeführten und dem Bescheid vom 27. August 2020 ergibt, löst das Vorhaben lediglich einen Bedarf von 25 PkW-Stellplätzen aus. Durch die mit der Aufhebung bewirkte Streichung der Nachweispflicht für 24 Stellplätze bleiben die Anforderungen des Art. 47 BayBO erfüllt, weshalb die Baugenehmigung auch ohne die Auflagen in rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Sachantrag gestellt und sich dadurch auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m §§ 708 ff. ZPO.