Inhalt

OLG München, Endurteil v. 12.10.2022 – 7 U 570/21
Titel:

Kein Rücktritt vom Unternehmenskaufvertrag aufgrund von Corona-Maßnahmen

Normenkette:
BGB § 313
Leitsätze:
1. In einem Mietverhältnis trägt üblicherweise der Mieter das Verwendungsrisiko. Im Rahmen einer Pandemie wird der Vermieter über § 313 BGB jedoch an einem Risiko beteiligt, das weit über das gewöhnliche Verwendungsrisiko, das der Mieter vertraglich übernommen hat, hinausgeht. Die Verteilung von gewöhnlichem und außergewöhnlichem Verwendungsrisiko zwischen Vermieter und Mieter darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass letztlich Vermieter und Mieter auf derselben Seite des Risikos stehen, denn die betroffenen Räumlichkeiten sind nach der vertraglichen Vereinbarung zum Zweck einer bestimmten Nutzung vermietet, die durch die Pandemie beeinträchtigt ist. Dies ist beim Unternehmenskauf gerade nicht so. Es fehlt daher für eine Vergleichbarkeit nicht nur am Element des Dauerschuldverhältnisses, vielmehr teilen Verkäufer und Käufer auch nicht ein gemeinsames Risiko, sondern geht das Verwendungsrisiko am verkauften Objekt zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer Partei auf die andere über. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar können kaufrechtlich etwaige Beschaffenheitsvereinbarungen iSv § 434 Abs. 1 S. 1 BGB (idF bis zum 31.12.2021) auch die Beziehung der Sache zur Umwelt betreffen, wenn diese Auswirkungen auf die Wertschätzung des Kaufobjektes hat. Dieser Gedanke lässt sich auf die Eignung des Kaufobjektes für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB) übertragen. Jedenfalls außerhalb konkreter Vereinbarungen kann dies jedoch nur dann gelten, wenn der Ursprung der Verschlechterung in dem Unternehmen liegt und nicht allein in externen Faktoren mit gleichsam reflexartigen Auswirkungen auf das Unternehmen, wie dies bei der Pandemiebekämpfung der Fall ist. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pandemiebekämpfung, SARS-CoV-2, Unternehmenskauf, Rücktritt, Wegfall der Geschäftsgrundlage
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 14.12.2020 – 14 HK O 11438/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32021

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14.12.2020, Az. 14 HK O 11438/20, abgeändert und wird die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Parteien sind Parteien eines Unternehmenskaufvertrages (im Folgenden KV). Die verkaufende Klägerin begehrt von der Käuferin, der Beklagten zu 1), und ihrer Garantiegeberin, der Beklagten zu 2), Zahlung einer Kaufpreisrate von 7.020.000 €, die ausweislich der vertraglichen Bestimmungen im Wege des abgekürzten Zahlungswegs an einen Dritten (Herrn A. P.) zu zahlen ist, die die Klägerin jedoch nunmehr aus mehreren Gründen für sich beansprucht.
2
Noch vor Abschluss des streitgegenständlichen notariellen Kaufvertrages zwischen den hiesigen Parteien hatte die Klägerin am 19./20.09.2019 mit Herrn P. notariell eine Callsowie eine Put-Option vereinbart (im Folgenden als Optionsvertrag bezeichnet, Anlage K4a), bei deren Ausübung die Klägerin von Herrn P. die Anteile an der H. G. GmbH mit Franchise-Restaurants in I. und P. sowie am G.platz 2 und in der K. straße 172a in M. (im Optionsvertrag als Geschäftsbetriebe 1 bis 4 definiert) und an der G. M. GmbH mit einem weiteren Restaurant in M. (beide Gesellschaften werden im Folgenden als „P.-Gesellschaften“ bezeichnet) erwerben sollte. Im entsprechenden Kaufvertrag (Teil B der Urkunde über den Optionsvertrag) war unter § 4.8.3 Satz 1 Buchst. d) als Vollzugshindernis mit Rücktrittsrecht des Käufers, also der Klägerin, in § 4.8.4 definiert: „Einstellung des Geschäftsbetriebs 1, 2, 3 und/oder 4“. Außerdem war unter § 4.13.2, dort unter (ii), ein Rücktrittsrecht des Käufers bis zur Zahlung des vorläufigen Anteilskaufpreises für den Fall vorgesehen, dass „im Zeitraum zwischen Angebotsstichtag und im Vollzugsstichtag einer der Standorte G.platz, I., K.straße oder P. nach Eröffnung für eine Dauer von mehr als 3 Monaten gleich aus welchem Gründen durchgehend nicht für den Gastverkehr geöffnet war“. Zu näheren Einzelheiten, auch zu einer Abwendungsbefugnis der Verkäuferin im Falle des § 4.13.2, wird auf die genannten Bestimmungen Bezug genommen.
3
Mit notariellem Vertrag vom 17.01.2020 (UR-Nr. 68/2020 K, Anlage K1) verkaufte die Klägerin Geschäftsanteile an der Gastronomiekette „H.G.“, konkret sämtliche von ihr gehaltenen Anteile von 90% an der H. G. F. GmbH (im Folgenden: HiGF) und sämtliche Anteile an der H. G. G. GmbH nebst den im Vertrag aufgelisteten Beteiligungen (dort als Zielgesellschaften definiert, vergleiche § 1.1 und § 1.2 KV), an die Beklagte zu 1); die Pranjic-Gesellschaften sind nicht als Zielgesellschaften genannt. Die Beklagte zu 2) haftet gemäß § 12.5 aus einem selbstständigen Garantieversprechen für sämtliche Zahlungen und Freistellungsverpflichtungen der Beklagten zu 1) aus dem Vertrag neben dieser als Gesamtschuldnerin. Der Basiskaufpreis betrug 30 Mio €, unterlag allerdings noch Anpassungen. Als vorläufigen Kaufpreis vereinbarten die Parteien 25.971.436 € (§ 3.1 KV, insb. § 3.1.6). Von diesem waren (zunächst) nur 17.370,99 € an die Klägerin auszuzahlen (§ 3.2.1 (i) (A) KV). Weitere Kaufpreisteile sollten im abgekürzten Zahlungsweg an diverse Gläubiger ausbezahlt werden oder dienten als Sicherungseinbehalte (§ 3.2 KV). Ziel dieser von der Beklagten verlangten Regelung war - unstreitig jedenfalls auch - die Erhöhung der „Standsicherheit“ der Klägerin. Darunter verstanden die Parteien die Minimierung eines Insolvenzrisikos der Klägerin.
4
Hinsichtlich der streitgegenständlichen Kaufpreisrate enthielt der Vertrag folgende Bestimmungen:
„3.2. Zahlungen
3.2.1. Der Vorläufige Kaufpreis wird wie folgt fällig und ist auf hiermit erfolgende entsprechende Anweisung des Verkäufers zu zahlen:
… (ix) EUR 7.020.000,00 […] sind an dem 10. Werktag, der dem Tag folgt fällig, an dem der Käufer eine gemeinsame schriftliche Erklärung des Verkäufers und des Herrn A. P. erhalten hat, dass der vorläufige Kaufpreis in Höhe von EUR 7.000.000,00 zum Erwerb der Geschäftsanteile an der H.G. G. GmbH und der G. M. GmbH durch den Verkäufer gemäß dem Optionsvertrag vom 19./20. September 2019 […] in der Fassung der Änderungsvereinbarung vom 17. Januar 2020 (UR-Nr. …66/2020 K des amtierenden Notars) fällig geworden ist, nicht jedoch vor dem Tag der Fälligkeit des Vorläufigen Kaufpreises, und im Wege des verkürzten Zahlungsweges durch Überweisung eines Betrages von EUR 7.020.000,00 auf das Bankkonto von Herrn A. P. (§ 15.1.9) für Rechnung des Verkäufers zu überweisen.“
„5.2. Maßnahmen vor der Vertragsbeurkundung
5.2.1. Die Parteien haben vor der Vertragsbeurkundung die nachstehenden Handlungen Zug um Zug vorgenommen bzw. haben deren Vornahme veranlasst:
… (vii) Der Verkäufer hat dem Käufer eine Kopie der notariellen Änderungsvereinbarung zwischen dem Verkäufer, dem Garantiegeber 1, der H.G. G. GmbH, der G. M. GmbH und Herrn A. P. zum Optionsvertrag vom 19./20. September 2019 […] übergeben, wonach der den Optionen zugrunde gelegte Enterprise Value von EUR 8.500.000,00 auf EUR 7.550.000,00 und der danach zu zahlende vorläufige Kaufpreis von EUR 7.500.000,00 auf EUR 7.000.000,00 reduziert wurde, die Kopie ist diesem Vertrag als Anlage 5.2.1 (vii) zu Beweiszwecken beigefügt. Unmittelbar nach Vornahme der Closing-Handlung wird Herr A. P. seine Put Option unter dem Optionsvertrag ausüben. Der Verkäufer wird dem Käufer eine beglaubigte Abschrift der Ausübungsurkunde übermitteln. Der beurkundende Notar wird angewiesen, dem Käufer die beglaubigte Abschrift zu übersenden. Bis zum Zeitpunkt des Zugangs der beglaubigten Abschrift bei dem Käufer werden weder Beträge gemäß § 3.2.1 (ii) bis (viii), noch der Differenzbetrag (sofern an den Verkäufer zahlbar) noch ein Earn Out nach § 3.3 noch der Betrag gemäß § 3.2.1 (ix) fällig.“
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Unmittelbar vor Vertragsschluss, konkret um 3:52 Uhr des Tages der Beurkundung, verlangte die Beklagtenseite die Aufnahme von § 6.3 in den Kaufvertrag, was auch geschah. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
„6.3. Hinsichtlich der vom Verkäufer nach § 5.2.1 (vii) (mittelbar) erworbenen Standorte G.platz 2, M., L.straße 10, I., K.straße 172a, M., B.straße 1, P., (jeweils „Franchisestandort“) wird folgendes vereinbart:
6.3.1. Der Verkäufer trägt dafür Sorge und steht dafür ein, dass die HiGF in die Mietverträge, mit denen der jeweilige Franchisenehmer die Immobilie des Franchisestandortes mietet, zu gleichen Bedingungen als Mieterin eintreten kann. Wenn und soweit der Eintritt nicht bis zum 18. April 2020 vollständig erfolgt ist, ist pro Franchisestandort für jeden angefangenen Monat der Überschreitung der Frist (erstmalig vom 19. April 2020) ein Betrag von EUR 5.000,00 zuzüglich etwaig anfallender Umsatzsteuer auf das Käuferkonto zu entrichten und sofort fällig. Der Käufer wird veranlassen, dass die HiGF mit dem jeweiligen Franchisenehmer sodann einen Untermietvertrag zu den Konditionen ihres Mietvertrages, jedoch mit einer festen Laufzeit bis zum 31. Dezember 2020 (ohne Verlängerungsoption), abschließt.
6.3.2. Der Verkäufer trägt dafür Sorge und steht dafür ein, dass sämtliche Franchisenehmer der Franchisestandorte ihren jeweiligen Franchisevertrag zum 31. Dezember 2020 kündigen, und der Käufer wird veranlassen, dass die HiGF die Kündigung jeweils zu diesem Zeitpunkt annimmt. Der jeweilige Franchisevertrag wird nach Maßgabe seiner Bestimmungen für die Beendigung des Franchiseverhältnisses abgewickelt, insbesondere wird der Verkäufer dafür sorgen und steht dafür ein, dass der Franchisenehmer den Franchisestandort und Franchisebetrieb nach den Bestimmungen des jeweiligen Franchisevertrages gegen Zahlung des nach den Bestimmungen des Franchisevertrags über die Beendigung ermittelten Kaufpreises an den Franchisegeber oder einen von diesem benannten Dritten überträgt.“
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Die Eheleute H. als Gesellschafter der Verkäuferin garantierten gemäß § 11.3 KV im Wege eines selbstständigen Garantieversprechens (unter anderem) für die gegenwärtigen und zukünftigen Verpflichtungen von Gesellschaften, die P.-Franchisebetriebe halten, gegenüber einer Zielgesellschaft und stehen für den Ausgleich der gegenwärtigen Außenstände der genannten Gesellschaften ein.
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Der Verzugszinssatz sollte 4% betragen (§ 15.2 KV).
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Ebenfalls am 17.01.2020 wurde der Optionsvertrag der Klägerin mit dem angereisten Herrn P., wie im streitgegenständlichen Kaufvertrag vorgesehen, namentlich hinsichtlich des Kaufpreises, geändert; § 4.13.2. wurde ersatzlos gestrichen (UR-Nr. …66/2020 K, Anlage K4b). Die Option wurde durch Herrn P. noch am selben Tag ausgeübt (UR-Nr. …69/2020 K, Anlage K4c).
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Die Anteile an den Zielgesellschaften sind übertragen.
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Am 16.03.2020 teilten Herr H. für die Klägerin und Herr P. der Beklagten zu 1) schriftlich gemäß Ziffer 3.2.1 (ix) KV mit, dass der Kaufpreis aus dem Optionsvertrag fällig sei (Anlage B29). Am 20.03.2020 erließ das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege eine bis zum 03.04.2020 befristete Allgemeinverfügung (BayMBl. Nr. 152), nach der mit Wirkung ab dem 21.03.2020 der Gastronomiebereich mit Ausnahme des Außer-Haus-Verkaufs pandemiebedingt untersagt wurde. Von diesem Verbot waren auch die P.-Gesellschaften betroffen, die von der Möglichkeit des Außer-Haus-Verkaufes Gebrauch machten. Bereits am 18.03.2020 hatte ein Gespräch zwischen den Parteivertretern stattgefunden, dessen Umstände und Inhalt streitig ist, bei dem jedenfalls auch mögliche Vollzugshindernisse aus dem Optionsvertrag Erörterung fanden. Am 26.03.2020 (Anlage K5) erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kauf der P.-Gesellschaften unter Berufung auf ein Vollzugshindernis gemäß § 4.8.4 des entsprechenden Vertrages und auf § 313 Abs. 3 BGB. Mit Schreiben vom 27.03.2020 (Anlage B40, hinter Bl. 381 d.A.) und anwaltlicher E-Mail vom 01.04.2020 (Anlage K6) verlangte die Klägerin von der Beklagten zu 1) Zahlung der Kaufpreistranche von 7.020.000 € an sich bis zum 03.04.2020, weil infolge des Rücktritts die Fälligkeitsvoraussetzung des § 3.2.1 (ix) KV entfallen sei und deshalb die Zahlung nunmehr sofort und in voller Höhe an die Klägerin zu leisten sei. Herr P. widersprach dem Rücktritt. Im Nachgang verhandelten die Klägerin und Herr P. - ergebnislos - über eine Anpassung des Kaufpreises. Gerichtliche Schritte ergriff Herr P. bislang nicht. Wie der Beklagtenvertreter in der Verhandlung vor dem Senat unwidersprochen vortrug und der in der Verhandlung anwesende Herr P. und sein Rechtsanwalt bestätigten, betreibt Herr P. die P.-Gesellschaften weiter und ist zum Vollzug des Optionsvertrages bereit. Die Kaufpreisrate von 7.020.000 € ist bislang nicht, auch nicht an Herrn P. bezahlt.
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Die Klägerin meint, sie sei zu einem einseitigen Widerruf der Zahlungsbestimmung berechtigt, wie sich aus dem Fehlen des Wortes „unwiderruflich“ in § 3.2.1 (ix) - anders als in anderen Bestimmungen des § 3.2.1 - ergebe. Auch stehe die Klausel in § 6.3 KV unter der Bedingung, dass die Käuferin die P.-Gesellschaften tatsächlich erwerbe. Dies ergebe sich unter anderem daraus, dass die Klausel mit der Begründung aufgenommen worden sei, zu verhindern, dass Herr H. (außer mit seinen Franchise-Standorten in Singapur) weiterhin Franchisenehmer der HiGF und damit mittelbar der Beklagten bleibe. In keinem Fall stehe die Zahlung der Kaufpreisrate in einem Austauschverhältnis mit dem geschuldeten Kaufgegenstand, wie er durch die Bestimmung der Zielgesellschaften definiert werde.
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Jedenfalls könne die Klägerin deshalb Zahlung an sich verlangen, weil sie wirksam von den P.-Verträgen zurückgetreten sei. Ein vertragliches Rücktrittsrecht ergebe sich aus § 4.8.3 Satz 1 Buchst. d) i.V.m. § 4.8.4 des Optionsvertrags, da die Schließung der Gasträume der Pranjic-Gesellschaften eine Einstellung der Geschäftsbetriebe im Sinne der dortigen Bestimmungen begründe; zumindest zeige eine Gesamtschau der Vollzugshindernisse, dass auch im vorliegenden Fall ein Rücktrittsrecht begründet sei. Daneben bestehe ein Rücktrittsrecht aus § 313 Abs. 3 BGB. Die coronabedingte Schließung begründe einen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dies zeige nicht nur Art. 240 § 7 EGBGB (für Mietverhältnisse), sondern auch die Wertung des § 446 BGB, der die Gefahr der zufälligen Verschlechterung des Kaufgegenstandes bis zu einem Vollzug des Kaufs dem Verkäufer zuweise. Folge des Rücktritts sei, dass die Pflicht der Klägerin zur Zahlung des Kaufpreises aus dem Optionsvertrag an Herrn P. entfalle, damit § 3.2.1 (ix) KV in Wegfall gerate und die Klägerin die Zahlung der streitgegenständlichen Kaufpreistranche aus ihrem Vertrag mit der Beklagten zu 1) an sich selbst verlangen könne. Im Übrigen sei es die Beklagte gewesen, die die Idee aufgebracht habe, im Verhältnis zu Herrn P. ein Vollzugshindernis geltend zu machen. Das Verhalten der Beklagten sei daher treuwidrig. In Wahrheit gehe es ihr nicht darum, die P.-Gesellschaften zu erhalten; sie wolle vielmehr die Zahlung der 7 Mio. € vermeiden, wie sie auch weitere Raten des Kaufpreises nicht zahle.
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Die Klägerin beantragte in erster Instanz,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin EUR 7.020.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 4% p.a. seit dem 03.04.2020 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragten
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Klageabweisung.
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Die Beklagten widersetzen sich der Ansicht, die Klägerin könne Zahlung an sich verlangen. Ein einseitiges Änderungsrecht bestehe nicht. Zweck der Regelung in § 3.2.1 (ix) sei nicht nur gewesen, die Standsicherheit der Klägerin zu erhöhen, sondern auch die Verschaffungspflicht der Klägerin hinsichtlich der P.-Gesellschaften zu sichern. Es komme daher darauf an, ob die Klägerin wirksam vom Kaufvertrag über die Pranjic-Gesellschaften habe zurücktreten können. Dies sei nicht der Fall. Die vertraglichen Vollzugshindernisse griffen nicht, da es an einer dauerhaften Einstellung der Geschäftsbetriebe fehle; die Klausel § 4.13.2 sei ersatzlos gestrichen worden, wäre aber jedenfalls wegen der Aufhebung des Gastronomieverbotes bereits im Mai 2020 nicht einschlägig. Ein gesetzliches Rücktrittsrecht komme neben diesen ausdrücklichen vertraglichen Regelungen nicht in Betracht.
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Nähme man ein Rücktrittsrecht an, entfiele die Zahlungspflicht ebenfalls. Denn die Klägerin könne der Beklagten die P.-Gesellschaften nicht verschaffen. Damit entfalle die Pflicht der Beklagten zur Erbringung der Gegenleistung nach § 326 Abs. 1 BGB; für die Bemessung müsse sich die Klägerin an dem zwischen ihr und Herrn P. vereinbarten Kaufpreis festhalten lassen.
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Das Landgericht, auf dessen Urteil ergänzend gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage im wesentlichen (mit Ausnahme eines geringen Teils der begehrten Zinsen) zugesprochen. Zur Begründung führt es aus: Der detaillierte notarielle Kaufvertrag definiere als Kaufgegenstand diverse Zielgesellschaften, dazu zählten die Pranjic-Gesellschaften nicht. Nach den vertraglichen Bestimmungen sei die streitgegenständliche Summe im Wege des verkürzten Zahlungsweges für Rechnung des Verkäufers zu überweisen. Diese Regelung stelle klar, dass der Betrag von 7 Mio € Teil des Kaufpreises für den Kaufgegenstandes sei und damit dem Verkäufer zustehe. Dem Verkäufer stehe es frei, den Zahlungsweg abzuändern. Die Beklagte habe aus dieser „Zahlstellenklausel“ in § 3.2.1 (ix) keinerlei eigene Rechtsposition. Im Gegenseitigkeitsverhältnis des Kaufvertrages stünden Kaufgegenstand und Kaufpreis. In der Bestimmung der § 6.3 liege eine zusätzliche Verpflichtung der Verkäuferseite, die aber keine Rechtsposition in dem detailliert geregelten Vertrag zugunsten der Vertragsparteien schaffe, was die Leistung von Kaufgegenstand und Kaufpreis betreffe. Es mochte der Wunsch der Beklagten zu 1) gewesen sein, über sämtliche Franchise-Standorte zu verfügen; die Bestimmung des Kaufgegenstandes, in der die Gesellschaften des Herrn P. fehlten, zeige, dass dies im Rahmen des Kaufvertrages nicht durchzusetzen gewesen sei. Daher komme es auch nicht auf die Frage an, inwieweit der Klägerseite überhaupt ein Rücktritt von den Verträgen mit Herrn P. rechtlich möglich gewesen sei.
19
Das Urteil des Landgerichts wurde der Beklagten zu 1) am 29.12.2020, der Beklagten zu 2) am 05.01.2021 zugestellt. Hiergegen richten sich die Berufungen der Beklagten zu 1) vom 27.01.2021 und der Beklagten zu 2) vom 02.02.2020, letztere beim Oberlandesgericht eingegangen am 03.02.2021. Begründet wurden die Berufungen durch die Beklagte zu 1) mit Schriftsatz vom 26.02.2021 und diejenige der Beklagten zu 2) mit Schriftsatz vom 03.03.2021 (eingegangen am 04.03.2021).
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Die Beklagte zu 1) verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags den erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Beklagte zu 2) schließt sich dem an.
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Die Beklagte zu 1) beantragt,
Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14.12.2020 - Az. 14 HK O 11438/20 - abgeändert: die Klage wird abgewiesen.
22
Die Beklagte zu 2) beantragt,
auf die Berufung der Beklagten zu 2) das Urteil des Landgerichts München I vom 14.12.2020 (Az.: 14 HK O 11438/20) abzuändern und die Klage abzuweisen.
23
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung, außerdem die Zulassung der Revision.
24
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
25
Der Senat hat über die Berufung am 12.10.2022 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift sowie die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
B.
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Die zulässigen (dazu unter I.) Berufungen der Beklagten haben Erfolg und führen zur Abweisung der Klage (dazu unter II.).
I.
27
Entgegen der Ansicht der Klagepartei ist die Berufung der Beklagten zu 2) zulässig. Zwar trifft zu, dass die Beklagte zu 2) innerhalb der Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 03.03.2021 (Bl. 234 d.A.) sich lediglich dem Berufungsbegründungsschriftsatz der Beklagten zu 1) vom 26.02.2021 angeschlossen und sich diesen vollumfänglich zu eigen gemacht hat, ohne ausdrücklich einen eigenen Antrag zu stellen. Eine ausdrückliche Antragstellung erfolgte erst mit Schriftsatz vom 26.01.2022 (Bl. 317f. d.A.). Diese Vorgehensweise ist jedoch unschädlich, weil mit der Bezugnahme auf die Berufungsbegründung der Beklagten zu 1) bei verständiger Auslegung des Schriftsatzes der Beklagten zu 2) zugleich auf den dort gestellten Antrag, das Urteil des Landgerichts München I abzuändern und die Klage abzuweisen, Bezug genommen wird. Inhaltlich genügt vorliegend die Bezugnahme, da die Beklagte zu 2) als Garantiegeberin für Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) in Anspruch genommen wird, mithin ein Erfolg der Berufung der Beklagten zu 1) zugleich die Klage gegen die Beklagte zu 2) zu Fall bringt.
II.
28
Die Klage erweist sich als unbegründet.
29
Ausweislich der vertraglichen Bestimmung in § 3.2.1 (ix) war der streitgegenständliche Kaufpreisteil von 7.020.000 € in seiner Fälligkeit an bestimmte Voraussetzungen im Verhältnis der Klägerin zu Herrn P. geknüpft und diesem dann direkt im abgekürzten Zahlungsweg zu überweisen. Anders als die Klägerin meint und wie mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert, stand diese Bestimmung nicht unter einer Bedingung eines Erwerbs der P.-Standorte durch die Klägerin (dazu unter 1.) noch konnte diese einseitig die Bestimmung abändern (dazu unter 2.). Schließlich kann die Klägerin eine Zahlung der Kaufpreisrate an sich nicht mit der Begründung verlangen, sie sei wirksam vom Vertrag mit Herrn P. zurückgetreten. Ein Rücktrittsrecht bestand nicht (dazu unter 3.). Damit kann sie weder von der Beklagten zu 1) noch von der Beklagten zu 2) als deren Garantiegeberin die Zahlung von 7.020.000 € nebst Zinsen an sich verlangen.
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1. Der Vertrag, wie er schlussendlich abgeschlossen wurde, verpflichtete die Klägerin in § 6.3 hinsichtlich der „nach § 5.2.1 (vii) (mittelbar) erworbenen Standorte“ zum einen dafür Sorge zu tragen, dass die an die Beklagte zu 1) verkaufte HiGF in die Mietverträge als Hauptmieterin eintreten konnte (dies unter Vertragsstrafen-Bewehrung), zum anderen dafür, dass die Franchisenehmer die Franchiseverträge zum 31.12.2020 kündigten und den Franchisestandort und -betrieb nach den Bestimmungen des jeweiligen Franchisevertrages an den Franchisegeber, also die HiGF, oder einen von dieser benannten Dritten übertragen würden. Unter der Bedingung eines tatsächlichen Erwerbs der Pranjic-Gesellschaften durch die Klägerin steht diese Verpflichtung schon ihrem Wortlaut nach nicht; sie geht vielmehr als gleichsam sicher davon aus, dass die Klägerin die Standorte (mittelbar) erwirbt.
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Das kann sie auch, weil § 5.2.1 (vii), auf den § 6.3 ausdrücklich Bezug nimmt, dies sicherstellt: Die Änderungen des Optionsvertrages waren zwischen allen Beteiligten abgestimmt, der Vertragstext der Änderungsvereinbarung war als Anlage dem hiesigen Vertrag beigefügt; der Änderungsvertrag wurde, wie in § 5.2 („Maßnahmen vor der Vertragsbeurkundung“) vorgesehen und anhand der niedrigeren Urkundenrollennummer der Änderungsvereinbarung (66/2020) im Vergleich zur Urkundenrollennummer des streitgegenständlichen Vertrages (68/2020) ersichtlich, noch vor dem hiesigen Vertrag abgeschlossen. Ebenso hatte sich die Beklagtenseite rechtlich und tatsächlich abgesichert, dass Herr P. unmittelbar nach Vornahme der Closing-Handlung seine Put-Option unter dem Optionsvertrag ausüben würde. Anderenfalls sollten bestimmte Zahlungen, wie sie nach dem Vertrag geschuldet waren, darunter der hier im Streit stehende Betrag aus § 3.2.1 (ix), nicht fällig werden. Auch ein Rücktrittsrecht der Beklagten nach § 5.4 stand inmitten. In tatsächlicher Hinsicht war die Umsetzung der Option dadurch sichergestellt, dass Herr P. an den Verhandlungsort gebeten und anwesend war, die notwendigen Verhandlungen mit der Klägerin führte, offenkundig einverstanden war, sich in § 5 des Änderungsvertrages zur unverzüglichen Ausübung der Put-Option verbindlich verpflichtet hatte und dementsprechend im unmittelbaren zeitlichen Nachgang zum Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrages, noch am selben Tag vor demselben Notar, seine Put-Option ausübte (vgl. Anlage K4c, UR-Nr. …69/2020 K).
32
Die Klägerin meint, eine Bedingung in die Bestimmung des § 6.3 - die nach eigenem Vortrag nicht gemeinsam entwickelt und besprochen wurde (vgl. Replik vom 07.12.2020, S. 22, Bl. 120 d.A.) - hineinlesen zu können, weil die Beklagte als Motiv angegeben habe, man wolle Herrn H. nicht als Franchisenehmer der H.G. haben (mit Ausnahme der Standorte in Singapur). Die Beklagte zu 1) bestreitet diesen Vortrag; sie sei aufgrund der Entwicklung der Vertragsverhandlungen zu einem Erwerb der H.G. Gruppe überhaupt nur noch bereit gewesen, wenn ihr auch die P.-Gesellschaften verschafft würden. Der Kaufgegenstand sei erweitert worden. Die Aussage der Klägerin kann als wahr unterstellt werden: das angeblich genannte Motiv ändert am sachlichen Gehalt der Verschaffungspflicht, wie sie sich aus dem Vertrag unzweideutig ergibt, nichts. Ausweislich § 6.3 musste die Klägerin bei regulärem Verlauf der Transaktion die Franchise-Standorte der P.-Gesellschaften (streng genommen nur die wirtschaftlich für werthaltig erachteten vier Standorte der H.G. G. GmbH) an die HiGF und damit mittelbar an die Beklagte zu 1) übergeben. Es wurde ihr gerade nicht die Möglichkeit eröffnet, die Standorte auf eigene Rechnung an einen Dritten weiterzuverkaufen (auch so wäre Herr H. als Franchisenehmer verhindert worden). Vielmehr musste sie die Mietverträge sowie die Franchisestandorte und -betriebe an die HiGF und damit mittelbar an die Beklagte zu 1) übertragen. Hierfür musste die Klägerin - nicht die Beklagte zu 1) - den Kaufpreis von 7 Mio € aufwenden; ihrerseits hätte sie von der HiGF lediglich die Ablöse gemäß den Franchiseverträgen (vgl. § 6.3.2. KV aE) und damit, wie die Klägerin selbst vorträgt (Replik, Seite 8, Bl. 106 d.A.), nur einen Bruchteil der von ihr zu zahlenden 7 Mio € erlangt.
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2. Auch die Annahme einer einseitigen Abänderungsbefugnis des Zahlungsweges findet in den vertraglichen Bestimmungen keine Stütze.
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2.1. Es ist bereits auffällig, dass sich die Klägerin in ihren vorgerichtlichen Schreiben, in denen sie von der Beklagten zu 1) Zahlung der Kaufpreisrate an sich verlangte (Anlagen K6 und B40), zur Begründung auf ihren Rücktritt vom Kauf der Pranjic-Gesellschaften berief, nicht aber auf ein freies einseitiges Widerrufsrecht. Hätte ein solches aus Sicht der Klägerin bestanden, hätte sie es bereits damals geltend gemacht. Dies indiziert, dass die Klägerin selbst nicht von einer freien einseitigen Widerruflichkeit der Zahlungsbestimmung ausging.
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2.2. Auch in der Sache besteht kein einseitiges Widerrufsrecht. § 3.2.1 (ix) KV beschränkt sich nicht darauf anzuordnen, dass die Zahlung an Herrn P. zu erfolgen habe, sondern enthält darüber hinaus formelle wie materielle Fälligkeitsvoraussetzungen. Die Gleichstellung mit einer bloßen Zahlstellenangabe, wie das Landgericht meint, trägt bereits vor diesem Hintergrund nicht.
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2.2.1. Vertragliche Bestimmungen sind, eben weil sie von beiden Parteien übereinstimmend vereinbart wurden, einer einseitigen Änderung durch nur eine Partei entzogen (§ 311 Abs. 1 BGB). Etwas anderes könnte sich dann ergeben, wenn unmittelbar aus der konkret inmitten stehenden vertraglichen Bestimmung hergeleitet werden könnte, dass diese einer einseitigen Neuregelung zugänglich sein soll. Dies ist jedoch nicht der Fall (dazu unter 2.2.2). Auch aus dem Schutzzweck der Regelung ergibt sich nichts anderes (dazu unter 2.2.3 und 2.2.4):
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2.2.2. In der Klausel des § 3.2.1 (ix) KV selbst finden sich keine Anhaltspunkte für ein einseitiges Widerrufsrecht. Ginge es tatsächlich nur darum, auf welches von mehreren Konten der Klägerin die Zahlung zu erfolgen hat, mag man eine solche einseitige Dispositionsbefugnis annehmen (aber auch nur dann, wenn die Zahlung nicht mit der Ablösung von Verbindlichkeiten bei einer Bank verbunden ist). So liegt der Fall aber nicht. Es geht vielmehr darum, dass die Kaufpreisrate an einen Dritten zu zahlen ist, ferner auch darum, wann im Verhältnis zwischen den Parteien eine Zahlungspflicht ausgelöst wird (Fälligkeit). Das sind wesentliche Bestimmungen im Vertragsverhältnis zwischen den Parteien, die einer beliebigen nachträglichen einseitigen Änderung regelmäßig nicht zugänglich sein sollen.
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Der Umstand, dass in den Bestimmungen in den Abschnitten (i), (ii) und (iii) des § 3.2.1 KV eine Unwiderruflichkeit - allerdings in jeweils unterschiedlicher Ausgestaltung: „unwiderruflich wie folgt zu überweisen“, „unwiderruflich fällig und mit gleichtägiger Wertstellung […] zu überweisen“ sowie „fällig und unwiderruflich […] zu überweisen“ - verankert ist, genügt nicht für einen belastbaren Umkehrschluss, wonach die Zahlungsbestimmung im Abschnitt (ix) einseitig und voraussetzungslos widerruflich sein soll. Das Fehlen der Anordnung der Unwiderruflichkeit ist schon darin sachlich begründet, dass der tatsächliche Vollzug der Option aufgrund möglicher Vollzugshindernisse nicht unverrückbar feststand.
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2.2.3. Die Klausel ist auf Verlangen der Beklagten in den Vertrag aufgenommen worden. Diese wollte mit der vorgeschriebenen „Verwendung“ des Kaufpreises zur Tilgung von Verbindlichkeiten (oder auch Eventualverbindlichkeiten) unstreitig jedenfalls auch die Standsicherheit der Klägerin erhöhen, also verhindern, dass diese in Insolvenz fiel. Schon dieser Beweggrund steht einem einseitigen voraussetzungslosen Widerruf durch die Klägerin entgegen. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der streitgegenständliche Kaufvertrag noch am 17.01.2020 vollzogen wurde, indem die unmittelbar geschuldeten Geschäftsanteile an den Zielgesellschaften dinglich übertragen wurden. Auch im Nachgang zum Vollzug hätte die Klägerin (gerade wegen der Forderung des Herrn P. gegen sie) in Insolvenz fallen können mit der Folge, dass ein Insolvenzverwalter den (vollzogenen) Kaufvertrag nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung möglicherweise angefochten hätte. Selbst bei kongruenter Deckung besteht ein Anfechtungsrecht im Zeitraum von drei Monaten vor Stellung eines Insolvenzantrags (§ 130 InsO), bei behaupteter Vorsatzanfechtung besteht ein solches sogar über 10 Jahre (§ 133 InsO). Folgte man der Auslegung der Klageseite, hätte die Klägerin jedoch gleichwohl den Vertrag mit Herrn P. am Tag nach Vertragsschluss unberechtigt aufsagen und Zahlung an sich verlangen können. Schon der unstreitig vereinbarte Schutzzweck der Klausel steht einem voraussetzungslosen einseitigen Widerrufsrecht entgegen.
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2.2.4. Davon unabhängig berücksichtigt die Klägerin nicht ausreichend, dass sich die vertragliche Konzeption in den frühen Morgenstunden des 17.01.2020 wesentlich geändert hat.
41
Bis dahin, d.h. vor Einfügung von § 6.3 KV, war vereinbart, dass die Klägerin die von Herrn P. erworbenen Gesellschaften selbst weiter betreiben würde (folgerichtig waren diese nicht als Zielgesellschaften definiert, so auch Ziff. 3 Buchst. i) a.E. der Punktation vom Oktober 2019, K2). Danach handelte es sich beim Erwerb der P.-Gesellschaften um einen eigennützigen Kauf der Klägerin. Der abgekürzte Zahlungsweg stellte somit allein sicher, dass die Klägerin den Kaufpreis aus dem streitgegenständlichen Vertrag nicht anderweitig verwendete. Wäre aber die Klägerin zwischen allen Parteien unstreitig wirksam vom Vertrag mit Herrn P. zurückgetreten oder wäre dieser einvernehmlich aufgehoben worden, so hätte außer Frage gestanden, dass die 7.020.000 € nunmehr der Klägerin hätten zufließen müssen. Ausweislich des am Morgen des 17.01.2020 auf Verlangen der Beklagten in den Vertrag hinein verhandelten § 6.3 KV übernahm die Klägerin jedoch die zusätzliche Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass die Mietverträge an den (exakt: an vier von fünf) Gastronomie-Standorten der P.-Gesellschaften auf die HiGF als (Haupt-)Mieterin übertragen werden, vor allem aber auch dass die Franchisestandorte und -betriebe an diese (oder einen von ihr benannten Dritten) übergeben würden. Erhalten sollte sie dafür die in § 6.3.2 als Kaufpreis bezeichnete Ablöse (offenbar der Assets) gemäß den Franchiseverträgen, unstreitig nicht ansatzweise 7 Mio. Euro, die die Klägerin als Kaufpreis mit Herrn P. vereinbart hatte.
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Die Klausel in § 3.2.1 (ix) sichert nach Einfügung des § 6.3 auch diese Verschaffungspflicht. Dass dem so ist, wird an der Gesamtkonzeption des Vertrages deutlich. Die Beklagte war ersichtlich von Anfang an bestrebt, den Vollzug des Optionsvertrages sicherzustellen, wie gerade § 5.2.1 (vii) zeigt. Das muss erst recht nach Einfügung des § 6.3 gelten. Letztlich kommt es auf diese Regelungsintention des § 3.2.1 (ix) nicht einmal entscheidend an. Es genügt, dass die Klausel ihrem Regelungsmechanismus nach - unabhängig von der Intention der Vertragsparteien - als Schutz für die Beklagte wirkt. Die Klausel normiert Fälligkeitsvoraussetzungen für die streitgegenständliche Kaufpreisrate und ordnet daneben die Zahlung unmittelbar an Herrn P. an. (Jedenfalls) Solange der Vertrag zwischen der Klägerin und Herrn P. mit einer dort vereinbarten Kaufpreisforderung von 7 Mio € besteht, kann nach der vertraglichen Bestimmung zwischen den hiesigen Parteien die Klägerin schlicht nicht Zahlung an sich verlangen. Auf einen solchen vertraglichen Regelungsmechanismus kann sich die Beklagte berufen, erst recht wenn sie wie vorliegend ein eigenes Interesse an einer Zahlung des Kaufpreises unmittelbar an Herrn P. hat.
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2.2.5. Aus Vorstehendem wird zugleich deutlich, was die Klageseite wirtschaftlich zu erreichen versucht: Sie versucht einen Kaufpreisanteil von 7 Mio € zu vereinnahmen, der ihr nach der Vertragskonzeption, wie sie schlussendlich vereinbart worden ist - und nur diese Version ist maßgeblich, mag sie auch auf einer Änderung erst in letzter Minute beruhen -, so niemals zugestanden hätte, denn nach dieser Vertragskonzeption wären die streitgegenständlichen 7 Mio € direkt an Herrn P. geflossen, ohne dass die Klägerin die Pranjic-Standorte selbst erhalten hätte.
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3. Die Klägerin ist von dem Vertrag mit Herrn P. mangels Bestehens eines Rücktrittsgrundes auch nicht wirksam zurückgetreten. Es kann folglich dahinstehen, ob Rechtsfolge eines Rücktritts wäre, wie die Klägerin meint, dass die Kaufpreisrate von 7.020.000 € in diesem Falle in voller Höhe an sie zu zahlen wäre.
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3.1. Mangels Rücktrittsgrundes bedarf keiner Erörterung, ob die Klägerin nach dem Vertragsschluss mit der Beklagten, durch den sie faktisch die P.-Gesellschaften weiterverkauft hat, überhaupt noch befugt war, einseitig von Rücktrittsrechten Gebrauch zu machen oder ob (und ggf. unter welchen Voraussetzungen) die Geltendmachung der Abstimmung mit der Beklagten bedurft hätte und ob die Beklagte ihrerseits mit diesem Einwand abgeschnitten ist, wenn sie selbst auf die Geltendmachung eines Vollzugshindernisses gedrängt haben sollte, wie die Klageseite geltend macht (wobei sie einräumt, dass sich die Anwälte nicht festgelegt hätten, vgl. Replik vom 07.12.2020, S. 130, Bl. 130 d.A.).
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3.2. Ein vertragliches Rücktrittsrecht aus dem Optionsvertrag zwischen der Klägerin und Herrn P. besteht nicht, weil dessen vertraglich normierte Voraussetzungen nicht vorliegen.
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3.2.1. Der Optionsvertrag definiert Vollzugshindernisse - in der Literatur als „material adverse change clauses“ bezeichnet -, die zugleich ein Rücktrittsrecht der Käuferseite, hier also der Klägerin, begründen (§ 4.8.4). Darunter fällt die „Einstellung des Geschäftsbetriebs 1, 2, 3 und/oder 4“ (§ 4.8.3 Satz 1 Buchst. d)), dh des Geschäftsbetriebes eines oder mehrerer Restaurants der H.G. G. GmbH. Unter der Einstellung des Geschäftsbetriebs ist jedenfalls vorliegend nicht die nur vorübergehende, sondern die endgültige Schließung einer oder mehrerer der Gaststätten zu verstehen. Schon nach allgemeinem Sprachgebrauch neigt der Senat zu der Auslegung, dass der Begriff der „Einstellung“ eines Geschäftsbetriebs eine endgültige Aufgabe des Betriebs impliziert und nicht nur eine Unterbrechung auf Zeit. Vorliegend ergibt sich diese Auslegung aus einer Zusammenschau mit der Klausel § 4.13.2 Satz 1 (ii). Dort war ein spezielles Rücktrittsrecht für den Fall vorgesehen, dass eine der Gaststätten „für die Dauer von mehr als 3 Monaten gleich aus welchen Gründen durchgehend nicht für den Gastbetrieb geöffnet war“. Eines solchen speziellen (überdies unter Abwendungsbefugnis durch den Verkäufer Pranjic stehenden) Rücktrittsrechts hätte es nicht bedurft, wenn die Einstellung des Geschäftsbetriebs in § 4.8.3 Satz 1 Buchst. d) eine bloß vorübergehende Schließung umfasst hätte. Die ersatzlose Streichung von § 4.13.2. - nach Klägervortrag deshalb, weil man mit einem Vollzug des Geschäfts binnen drei Monaten rechnete und damit ein Anwendungsfall entfiel - im Änderungsvertrag vom 17.01.2020 (Anlage K4b, dort § 3.2.6) ändert nichts daran, welche Bedeutung dem Begriff der Einstellung in § 4.8.3 Buchst. d) beizulegen ist. Auch eine Gesamtschau mit den sonstigen Vollzugshindernissen in § 4.8.3 begründet keine andere Auslegung der Klausel in § 4.8.3 Buchst. d). Bei den meisten sonstigen Vollzugshindernissen handelt es sich um seitens des Verkäufers willentlich vorgenommene Änderungen am Kaufobjekt (wie Verschmelzungen, Veräußerung von Anlagevermögen von mindestens 100.000 €, Aufnahme von Verbindlichkeiten über mehr als 1.000.000 €). Aus diesen strukturell andersgearteten Vollzugshindernissen lässt sich kein Schluss herleiten, dass die Anforderungen an den Begriff der Einstellung des Geschäftsbetriebs herabzusetzen wären; erst recht indizieren die dort aufgeführten höchst unterschiedlichen Schwellenwerte keine taugliche Einschränkung des Begriffs der Einstellung der Geschäftsbetriebe. Am ehesten vergleichbar mit dem vorliegenden Fall ist noch die Liquidation der Gesellschaft oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die verkauften Gesellschaften; diese Vollzugshindernisse sprechen gerade für die vom Senat angenommene Auslegung des Begriffs der Einstellung des Geschäftsbetriebs als endgültige Aufgabe des Betriebs.
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Eine Aufweichung oder Ausweitung der enumerativ aufgezählten Vollzugshindernisse stünde nicht im Einklang mit dem Grundsatz, dass Ausnahmevorschriften, hier Vollzugshindernisse, grundsätzlich eng auszulegen sind. Dies gilt erst recht, wenn Regelungen zu Betriebsunterbrechungen vorgesehen waren, es somit an einer Regelungslücke fehlt, mögen die Regelungen zu Unterbrechungen auch später einvernehmlich aufgehoben worden sein.
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Zu einer dauerhaften Einstellung des Geschäftsbetriebs ist unstreitig zu keinem Zeitpunkt gekommen.
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3.2.2. Ohne dass dies für den Senat entscheidend wäre, sei der Vollständigkeit halber festgestellt, dass es schon an einer Einstellung des Geschäftsbetriebs fehlt. Denn die Pranjic-Gesellschaften haben selbst während des scharfen Lockdowns einen Außer-Haus-Verkauf (mit Lieferservice) angeboten. Dass dieser nur einen Bruchteil des sonst üblichen Umsatzes erbrachte (vgl. die mit Nichtwissen bestrittenen Angaben der Beklagten zu 1) auf Seite 33 der Klageerwiderung, Bl. 80 d.A.), ändert nichts daran, dass von einer vollständigen Einstellung des Betriebs keine Rede sein kann. Fehl geht die Klägerin, wenn sie auf einen Anteil des Außer-Haus-Betriebs vor der Pandemie von (nicht einmal) 3% abstellen will; die Situation vor der Pandemie ist nicht vergleichbar mit der Situation in der Pandemie, in der die komplette Gastronomie in Innen- und Außenbereichen untersagt ist.
51
3.2.3. Auf den aufgehobenen § 4.13.2 kann sich die Klägerin weder unmittelbar noch seiner Wertung nach berufen.
52
Dieser Rücktrittsgrund ist im Zuge der Vertragsänderung am 17.01.2020 (Anlage K4b) einvernehmlich aufgehoben worden, ohne dass es auf das Motiv entscheidend ankäme.
53
Im Übrigen würde § 4.13.2, selbst wenn er nicht aufgehoben worden wäre, keinen Rücktrittsgrund begründen. Maßgeblich ist, ob die Rücktrittsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung, d.h. am 26.03.2020, vorlagen. Zu diesem Zeitpunkt war der Lockdown jedoch gerade erst in Kraft gesetzt, so dass der in § 4.13.2 festgelegte 3-Monatszeitraum noch nicht erfüllt war.
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Im Übrigen ist es im Frühjahr 2020 überhaupt nicht zu einer dreimonatigen Unterbrechung gekommen, und zwar auch dann nicht, wenn man die Schließung der Innen- und Außenräume als „Schließung für den Gastverkehr“ im Sinne von § 4.13.2 ansehen wollte. In Bayern wurde, wie aus den veröffentlichten einschlägigen Bestimmungen für jedermann ersichtlich und damit offenkundig (§ 291 ZPO), die Gastronomie durch sofort vollziehbare Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 143, dort Ziff. 3 und 7) mit Wirkung zum 18.03.2020 ersten Beschränkungen unterworfen, die allerdings nur die Zeiten des Gastronomiebetriebs betrafen. Mit sofort vollziehbarer Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 152) wurde der Gastronomiebetrieb mit Ausnahme des Außer-Haus-Verkaufs mit Wirkung vom 21.03.2020 komplett untersagt. Die Verfügung war bis zum 03.04.2020 befristet. Eine erste Rechtsverordnung (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) mit identischer Regelung (§ 2 Abs. 2) wurde am 27.03.2020 und damit nach der Rücktrittserklärung erlassen. Schrittweise Lockerung traten ab dem 18.05. 2020 in Kraft: Durch § 13 Abs. 4 4. BayIfSMV wurde - bei Schutzvorkehrungen - das Verbot der Außengastronomie in der Zeit von 6 Uhr bis 20 Uhr mit Wirkung vom 18.05.2020 (ab 30.05.2020 bis 22 Uhr) aufgehoben, ab 25.05.2020 fiel mit § 13 Abs. 5 4. BayIfSMV das Verbot der Innengastronomie in der Zeit von 6 Uhr bis 22 Uhr. Mit Wirkung ab 22.06.2020 fiel die zeitliche Beschränkung vollständig weg (§ 13 6. BayIfSMV). Aus dieser Chronologie ergibt sich, dass die Schließung (bezogen auf Innenräume) maximal vom 21.03.2020 bis zum 24.05.2020 und damit gerade nicht, wie vom Vertrag gefordert, mindestens durchgehend drei Monate gedauert hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Rücktritt lagen daher zu keinem Zeitpunkt im potentiellen Vollzugszeitraum vor.
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3.2.4. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass bei Ausübung des Rücktritts nicht absehbar war, wie lange das Verbot der Innen- und Außengastronomie dauern würde. Das ist ebenso richtig wie irrelevant. Diese Unsicherheit führt nicht dazu, dass man zugunsten der Klägerin und zu Lasten des Herrn P. das für die Klägerin günstige Szenario unterstellen dürfte, nur weil es ein mögliches - ex post sogar widerlegtes - Szenario ist. Die Unsicherheit geht zu Lasten der Klägerin, da die tatbestandlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nicht vorlagen, letztendlich sogar zu keinem Zeitpunkt, bis zu dem der Vertrag regulär vollzogen worden wäre (selbst wenn man das gesamte Frühjahr 2020 berücksichtigen wollte, obwohl die Parteien von einem Vollzug bis Ende März 2020 ausgingen, weswegen sie § 4.13.2 gestrichen haben).
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Ergänzend sei angemerkt, dass eine durchgehende dreimonatige Schließung selbst unter Berücksichtigung des erneuten Lockdowns für die Gastronomie in Bayern mit Wirkung vom 02.11.2020 (§ 13 8. BayIfSMV) bis zur vertraglich geschuldeten Weiterreichung der Filialen an die HiGF zum 31.12.2020 nicht angeordnet war.
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3.3. Ein gesetzliches Rücktrittsrecht nach § 313 BGB scheidet ebenfalls aus.
58
3.3.1. Dabei kann dahinstehen, ob ein Rückgriff auf § 313 BGB schon deshalb ausgeschlossen ist, weil § 6.6.5 c. Satz 2 (iii) des Optionsvertrages § 313 BGB abbedingt. Insoweit mag man zugunsten der Klägerin unterstellen, dass eine Pandemielage und damit die Störung einer sog. großen Geschäftsgrundlage (vgl. Grüneberg in ders., BGB, 81. Aufl., § 313 Rn. 5) außerhalb der Vorstellung der Parteien und damit außerhalb der sachlichen Reichweite des Ausschlusses des § 313 BGB lag. Man mag zugunsten der Klägerin des Weiteren unterstellen, dass das behördliche Verbot des Verkaufs von Speisen und Getränken im Außen- (sofern vorhanden) und Innenbereich für einen nicht unerheblichen, möglicherweise noch gar nicht zu überblickenden Zeitraum infolge eines flächendeckenden Infektionsgeschehens in der Bevölkerung eine Abweichung von den vertraglich zwar nicht geregelten, aber vorausgesetzten wesentlichen Annahmen der Vertragsparteien darstellt (vgl. auch Art. 240 § 7 Abs. 1 EGBGB für Miet- und Pachtverträge), somit grundsätzlich einen Wegfall der Geschäftsgrundlage des Rechtsgeschäfts im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB begründen kann. Diese Annahmen genügen jedoch nicht für ein Rücktrittsrecht. Entscheidend ist, ob, wie § 313 Abs. 1 BGB ausdrücklich statuiert (vgl. BT-Drs. 19/25322 [zu Art. 240 § 7 EGBGB-E], S. 20 unten und S. 21 zweiter und dritter Absatz), unter Berücksichtigung des vertraglichen oder gesetzlichen Risikos ein unverändertes Festhalten am Vertrag unzumutbar ist und ob - beim Rücktritt - eine Anpassung des Vertrages nicht möglich erscheint (§ 313 Abs. 3 BGB). Daran fehlt es.
59
3.3.2. Die Parteien haben vorliegend eine Risikoverteilung vorgenommen, an der sich die Klägerin auch im Rahmen der Prüfung eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB festhalten lassen muss. Sie hat mit Herrn P. vereinbart, dass erst eine durchgehende Schließung einer der vier aufgezählten Gaststätten für mehr als drei Monate „gleich aus welchen Gründen“ zu einem Rücktrittsrecht - bei Abwendungsbefugnis der Verkäuferseite - führt. Diese Klausel eröffnet das Rücktrittsrecht unter der gegebenen Voraussetzung verschuldensunabhängig und (auch) für Fälle höherer Gewalt. Die Streichung der Klausel führt, wie gezeigt, nicht zu einer Abmilderung der Anforderungen. Die einschlägigen tatbestandlichen Voraussetzungen, nach denen Herr P. und nicht die Klägerin das Risiko aus dem Unternehmenskaufvertrag zu tragen hätte, sind vorliegend, wie ebenfalls bereits ausgeführt, gerade nicht erfüllt. An einer Vereinbarung, die ausdrücklich alle denkbaren Gründe erfassen will, der Klägerin aber ein Rücktrittsrecht nur bei einer durchgehenden Schließungszeit von mehr als drei Monaten gibt, muss sich die Klägerin auch unter den Bedingungen einer Pandemie festhalten lassen, auch wenn dieser Fall konkret nicht bedacht worden sein mag.
60
3.3.3. Dessen ungeachtet hält der Senat dafür, dass auch unabhängig von dieser vertraglichen Risikoverteilung, die durch dispositives Gesetzesrecht nicht überspielt werden darf, ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu verneinen wäre. Die gesetzlichen Regelungen zur Risikoverteilung sprechen nämlich gegen die Klägerin:
61
3.3.3.1. Auf die Regelung in Art. 240 § 7 EGBGB kann sich die Klägerin nicht berufen. Die Vorschrift betrifft allein Miet- und Pachtverträge und damit Dauerschuldverhältnisse. Bei einem Dauerschuldverhältnis wie einem Mietverhältnis steht eine Anpassung inmitten, die zeitlich begrenzt für die Dauer der Pandemie erfolgt. Schon daran fehlt es bei einem Unternehmenskaufvertrag, der einen einmaligen, gleichsam punktuellen Leistungsaustausch zum Gegenstand hat mit der Folge, dass eine Partei das Risiko der zufälligen Verschlechterung des Kaufobjekts bis zu einem bestimmten Zeitpunkt trägt und ab diesem Zeitpunkt die andere Partei.
62
Hinzu kommt: In einem Mietverhältnis trägt üblicherweise der Mieter das Verwendungsrisiko. Im Rahmen einer Pandemie wird der Vermieter über § 313 BGB jedoch an einem Risiko beteiligt, das weit über das gewöhnliche Verwendungsrisiko, das der Mieter vertraglich übernommen hat, hinausgeht (dazu grundlegend: BGH, Urteil vom 12.01.2022 - XII ZR 8/21, juris-Rn. 54f.). Die Verteilung von gewöhnlichem und außergewöhnlichem Verwendungsrisiko zwischen Vermieter und Mieter - ein Ansatz, den man grundsätzlich noch auf das Verhältnis von Verkäufer und Käufer übertragen könnte - darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass letztlich Vermieter und Mieter auf derselben Seite des Risikos stehen, denn die betroffenen Räumlichkeiten sind nach der vertraglichen Vereinbarung zum Zweck einer bestimmten Nutzung vermietet, die durch die Pandemie beeinträchtigt ist. Dieser Aspekt, dass die Parteien grundsätzlich auf derselben Seite des Risikos stehen, ist beim Unternehmenskauf nicht gegeben. Es fehlt also für eine Vergleichbarkeit nicht nur am Element des Dauerschuldverhältnisses, vielmehr teilen Verkäufer und Käufer auch nicht ein gemeinsames Risiko, sondern geht das Verwendungsrisiko am verkauften Objekt zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer Partei auf die andere über. Das Risiko ist zeitpunktbezogen scharf geschieden. Das besagt auch § 446 BGB, wonach der Verkäufer bis zum Vollzug des Kaufvertrages das Risiko einer zufälligen Verschlechterung des Kaufgegenstands trägt. Sähe man das anders, müssten auch Firmenkäufe, die vor Ausbruch der Pandemie in Deutschland bereits vollzogen worden waren, der Anpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage unterliegen.
63
3.3.3.2. Die Klägerin meint des Weiteren, jedenfalls die bereits angesprochene Regelung des Zeitpunkts in § 446 BGB stütze ihr Rücktrittsrecht. Der Senat lässt dahinstehen, ob § 446 BGB überhaupt im Rahmen der Prüfung eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage fruchtbar gemacht werden kann oder ob sich aus dieser Norm nicht mit Blick auf die Ausführungen oben eine dem Wegfall der Geschäftsgrundlage vorgelagerte Regelung der Gefahrtragung ergibt. Darauf kommt es vorliegend nicht an. Denn bei den pandemiebedingten Einschränkungen handelt es sich schon tatbestandlich nicht um eine (zufällige) Verschlechterung der P.-Gesellschaften (bei einem Verkauf von sämtlichen Anteilen an einem Unternehmen ist dieses Unternehmen in den Blick zu nehmen, nicht die Geschäftsanteile an ihm, vgl. BGH, Urteil vom 26.09.2018 - VIII ZR 187/17, juris-Rn. 23 für das Sachmängelrecht).
64
Zwar können kaufrechtlich etwaige Beschaffenheitsvereinbarungen im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. auch die Beziehung der Sache zur Umwelt betreffen, wenn diese Auswirkungen auf die Wertschätzung des Kaufobjektes hat. Dieser Gedanke lässt sich auf die Eignung des Kaufobjektes für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB) übertragen. Jedenfalls außerhalb konkreter Vereinbarungen (für Beschaffenheitsvereinbarungen offen gelassen in BGH, Urteil vom 15.06.2016 - VIII ZR 134/15, juris-Rn. 13) kann dies jedoch nur dann gelten, wenn der Ursprung der Verschlechterung in dem Unternehmen liegt und nicht allein in externen Faktoren mit gleichsam reflexartigen Auswirkungen auf das Unternehmen. Bei der Pandemiebekämpfung handelt es sich um solche externen Faktoren, auch wenn die behördlichen Allgemeinverfügungen und die legislativen Akte die Gastronomie konkret in den Blick genommen haben (vgl. Ziff. 2 der Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 und § 13 der zeitlich jeweils einschlägigen Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen). Die angeordneten Maßnahmen zielten auf eine Kontaktminimierung zwecks Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus und konkret auf eine Meidung von Menschenansammlungen auf engem Raum. Dies gilt nicht nur für die Schließung der (Innen- und Außen-)Gastronomie, sondern gleichermaßen für die Schließung anderer Einrichtungen wie Museen, sonstiger Freizeiteinrichtungen und von Geschäften zum Verkauf von Produkten außerhalb des täglichen Bedarfs sowie für Verbote von Veranstaltungen etwa im Sportbereich. Es handelt sich demnach gerade nicht um Maßnahmen, denen eine spezifische Stoßrichtung gegen die gastronomische Unternehmen innewohnt, mag die Gastronomie von den Maßnahmen wirtschaftlich auch besonders betroffen gewesen sein. Solche infektionsschutzbedingten Maßnahmen stellen keine Verschlechterung des konkreten Kaufobjektes, sondern ein allgemeines Lebens- bzw. ein allgemeines unternehmerisches Risiko dar, das der jeweilige Unternehmer zu tragen hat, der ein Unternehmen betreibt (oder sich zu betreiben entschlossen hat) und nun gleichsam zufällig von der Pandemie betroffen wird, wie umgekehrt der vorherige Inhaber von einer solchen Pandemie und den damit einhergehenden Verlusten verschont geblieben ist. Anders gewendet: Es handelt sich um das allgemeine Verwendungsrisiko des gekauften Unternehmens, das mit dem Vollzug des Kaufs übergeht, ohne dass aus etwaigen Einschränkungen Ansprüche des Käufers gegen den Verkäufer erwachsen.
65
3.3.4. Nicht von ausschlaggebender Relevanz ist, ob die Klägerin durch die Übernahme der Pranjic-Gesellschaften in wirtschaftliche Schieflage geraten wäre. Schon der Vortrag hierzu (die Folgen wären ein wirtschaftliches Desaster gewesen, Klageschrift, S. 13, Bl. 13 d.A., bzw. hätten zur Insolvenz geführt), bleibt pauschal und ohne jede Substanz, da er mit keinerlei Zahlen belegt ist und auch nicht die zahlreichen staatlichen Hilfsprogramme in den Blick nimmt. Im vorliegenden Fall hätte außerdem beleuchtet werden müssen, dass die Klägerin allenfalls das Risiko des Betriebs bis zum 31.12.2020 getroffen hätte, ferner wäre der Frage nachzugehen, ob und zu welchen Konditionen die Beklagte zu 1) angeboten hat, die P.-Gesellschaften unmittelbar zu übernehmen (vgl. die interne Mail auf Beklagtenseite vom 18.03.2020, B 30). Letztlich ist der Einwand aus Rechtsgründen nicht behelflich: Es geht auch insoweit um die Frage, wer das unternehmerische Risiko zu tragen hat. Wie ausgeführt, liegt das Pandemierisiko bei der Klägerin als Käuferin der P.-Gesellschaften, weil diese das Verwendungsrisiko trägt. Gleichermaßen trägt die Beklagte zu 1) im Verhältnis zur Klägerin das unternehmerische Risiko und etwaige pandemiebedingte Verluste der von ihr im Januar 2020 erworbenen H.-G.-Gruppe. Ein etwaiges Insolvenzrisiko ist unternehmerischer Tätigkeit immanent.
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3.3.5. Selbst wenn man - wie nicht - einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bejahen wollte, rechtfertigte dieser vorliegend keinen Rücktritt. Vorrangig ist eine Anpassung der Vertragsbestimmungen (§ 313 Abs. 1 BGB). Erst wenn eine Anpassung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, kommt ein Rücktritt in Betracht (§ 313 Abs. 3 BGB). Dass diese Voraussetzung gegeben ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Ein Rücktritt würde zu einer Rückverlagerung des gesamten Risikos an den Verkäufer führen. Die Klägerin möchte sich von dem Risiko mit dem Rücktritt komplett freizeichnen. Dieses Ergebnis aber erscheint, wenn es um die angemessene Verteilung eines von den Parteien nicht vorhergesehenen Risikos geht, wie es die Klägerin unter Berufung auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend macht, schwerlich angemessen (so auch die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Mietrecht in der Pandemie). Dass eine vorrangige Anpassung des Vertragsinhalts, insb. des Kaufpreises - hierauf läuft die Argumentation der Klägerin im Ergebnis hinaus -, nicht möglich oder genügend gewesen wäre, ist nicht im Ansatz dargelegt. Offenbar haben die Klägerin und Herr P. hierüber sogar verhandelt (vgl. Anlage B34). Sogar eine unterstellte Weigerung der Gegenseite, an einer Anpassung des Vertrags mitzuwirken, würde nicht ohne Weiteres ein Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 BGB auslösen (BGH, Urteil vom 30.09.2011 - V ZR 17/11, juris-Rn. 25).
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3.3.6. Da der Rücktritt nicht wirksam war, kann dahinstehen, welche Rechtsfolgen ein wirksamer Rücktritt für die streitgegenständliche Klausel des § 3.2.1 (ix) gehabt hätte. Insbesondere kann offenbleiben, ob (mit der Beklagten) zutrifft, dass selbst ein wirksamer Rücktritt die Gegenleistungspflicht in Höhe von 7.020.000 € gemäß § 326 Abs. 1 BGB hätte entfallen lassen, weil die Übertragungspflicht der (vier) Pranjic-Standorte (in § 6.3 KV) in einem synallagmatischen Verhältnis zum Kaufpreis stand, obwohl die P.-Gesellschaften nicht in den Katalog der Zielgesellschaften (§ 1 KV) aufgenommen wurden, und ob der Kaufpreisanteil für die P.-Gesellschaften im Verhältnis der hiesigen Parteien mit dem zwischen der Klägerin und Herrn P. vereinbarten Kaufpreis von 7 Mio € zu bemessen gewesen wäre, obwohl die Beklagte selbst einräumt, dass eine solche Summe im Verhältnis zum zwischen den hiesigen Parteien vereinbarten Kaufpreis (von ca. 25 Mio € zzgl. Earn-Out) für 81 Filialen, darunter 26 im Eigenbetrieb, überhöht erscheinen mag (Klageerwiderung der Beklagten zu 1), S. 45, Bl. 92 d.A.).
C.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Eine Zulassung der Revision war mangels Vorliegens von Zulassungsgründen (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht veranlasst. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die tragend - auch hinsichtlich der Frage der Auswirkungen der COVID-Pandemie auf Unternehmenskaufverträge - auf spezifische vertragliche Bestimmungen und die sich hieraus ergebende Risikoverteilung gestützt ist.