Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 19.07.2022 – Au 2 K 21.1671
Titel:

Keine fiktive Terminsgebühr bei nur formeller Mitwirkung an Erledigung des Verfahrens

Normenketten:
RVG § 13
RVGVV Nr. 1002, Nr. 3104
VwGO § 162 Abs. 1
Leitsatz:
Für das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr wegen Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache genügt es nicht, dass die Beteiligten sich außergerichtlich ohne ihre Bevollmächtigten einigen und diese nach bereits eingetretener materieller Erledigung nur noch an der formellen Beendigung des gerichtlichen Verfahrens mitwirken, etwa durch die Abgabe einer Klagerücknahmeerklärung. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenfestsetzung, Terminsgebühr, Erledigung, Mitwirkung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31624

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Mai 2022 im Verfahren Au 2 K 21.1671 wird dahingehend geändert, dass der Betrag der der Antragstellerin entstandenen notwendigen Aufwendungen auf insgesamt 2.293,25 EUR festgesetzt wird.
II. Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Erinnerungsverfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Mai 2022.
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Im Verwaltungsstreitverfahren Au 2 K 21.1671 einigten sich die Beteiligten auf eine Beendigung des Verfahrens und vereinbarten, dass die Antragstellerin die Klage zurücknehmen solle. Auf die Klagerücknahme hin wurde das Verfahren mit Beschluss vom 12. April 2022 eingestellt. Die Kosten des Verfahrens hatte die Antragstellerin zu tragen.
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Mai 2022 setzte die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Augsburg die dem Antragsgegner von der Antragstellerin zu erstattenden Aufwendungen auf 4.388,13 EUR fest. Darin enthalten war auch eine von der Bevollmächtigten des Antragsgegners im Verfahren Au 2 K 21.1671 beantragte Terminsgebühr nach § 13 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG), Nr. 3104 VV RVG in Höhe von 2.094,88 EUR.
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Mit Schreiben vom 7. Juni 2022 beantragt die Antragstellerin,
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den Kostenfestsetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Mai 2022 in Ziff. I abzuändern und die dem Antragsgegner im Verfahren Au 2 K 21.1671 zu erstattenden Kosten auf 2.293,25 EUR festzusetzen.
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Die Parteien hätten sich ohne Beteiligung der Bevollmächtigten auf eine einvernehmliche Lösung geeinigt. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin habe danach telefonisch am 22. November 2021 bei der Bevollmächtigten des Antragsgegners angefragt, ob das Verfahren durch übereinstimmende Erledigterklärungen mit einer vorhergehenden Kosteneinigung beendet werden könne. Die Bevollmächtigte des Antragsgegners habe nach entsprechender Klärung in der KW 3 2022 mitgeteilt, dass dies nicht in Betracht komme, weil sich die Parteien im Rahmen der Einigung auf eine Klagerücknahme verständigt hätten. Der Ansatz einer Terminsgebühr sei somit zu Unrecht erfolgt, weil zum Zeitpunkt des Telefonats der Bevollmächtigten bereits eine Einigung bestanden habe. An der Erledigung des Verfahrens hätten die Bevollmächtigten nicht mitgewirkt, es sei nur noch um eine formelle Erledigung des Rechtsstreits gegangen.
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Die Urkundsbeamtin half dem Antrag nicht ab und legte ihn dem Gericht zur Entscheidung vor.
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Unter dem 30. Juni 2022 beantragt der Antragsgegner,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Zwar habe ein Telefonat am 22. November 2021 stattgefunden. Im Anschluss daran habe sich aber eine telefonische und schriftliche „Diskussionsphase“ entwickelt, deren Gegenstand die Frage war, ob das Verfahren mittels Erledigterklärung oder Klagerücknahme beendet werden könne. Ferner sei es um die Kosten des Rechtsstreits gegangen. Die einvernehmliche Lösung sei ohne Beteiligung der Bevollmächtigten zustande gekommen.
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Der Bevollmächtigte der Antragstellerin ergänzte sein Vorbringen dahingehend, dass zwar ein weiteres Telefonat stattgefunden habe, diese Frage sei jedoch für den Anfall einer Terminsgebühr nicht entscheidend. Die von der Bevollmächtigten des Antragsgegners ins Feld geführte Rechtsprechung setzte sich ausdrücklich in Widerspruch zu der überwiegenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte.
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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichtsakten verwiesen.
II.
13
Über den Antrag auf Entscheidung des Gerichts (Erinnerung) entscheidet gemäß § 165 VwGO i.V.m. § 151 VwGO im vorliegenden Fall die Einzelrichterin. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist ein von der Kostenlastentscheidung in der Hauptsache abhängiges Nebenverfahren; dabei entscheidet das Gericht in der Besetzung, in der die zugrundeliegende Kostengrundentscheidung getroffen wurde (Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 165 Rn. 7). Die zugrundeliegende Kostengrundentscheidung wurde durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin im Beschluss vom 12. April 2022 erlassen, sodass über den vorliegenden Antrag ebenfalls durch die Einzelrichterin zu entscheiden ist.
14
Im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 164 VwGO werden auf der Grundlage der Kostengrundentscheidung nach den §§ 154 ff. VwGO auf Antrag die zu erstattenden Kosten festgesetzt. Erstattungsfähig sind nach § 162 Abs. 1 VwGO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Beteiligten. Der Höhe nach sind gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Fall der Zuziehung eines Rechtsanwalts Aufwendungen im Umfang der gesetzlichen Gebühren und Auslagen notwendig. Maßstab für die Notwendigkeit der Aufwendungen sind die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
15
Die Voraussetzungen für das Entstehen der Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG (nebst hierauf entfallender Umsatzsteuer) für das Klageverfahren Au 2 K 21.1671 sind nicht erfüllt. Nach Nr. 3104 Nr. 1 VV RVG entsteht die Terminsgebühr auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307 oder § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nummer 1000 geschlossen wird oder eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nummer 1002 eingetreten ist.
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Ein Termin hat in diesem Klageverfahren nicht stattgefunden, auch ein Fall des 1002 VV RVG liegt nicht vor. Das Gericht hat im Klageverfahren nach der Klagerücknahme durch Beschluss 12. April 2022 nur noch über die Kosten entschieden.
17
Ein Fall, in dem auch ohne Terminswahrnehmung durch die Rechtsanwältin gleichwohl eine - fiktive - Terminsgebühr entsteht, liegt hier nicht vor. Ein Rechtsanwalt verdient die Terminsgebühr nach 3104 VV RVG gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG für die Mitwirkung an außergerichtlichen Besprechungen, die auf die Erledigung des Verfahrens gerichtet sind. Die Erledigungsgebühr entsteht nur dann, wenn der Rechtsanwalt bei der Erledigung der Rechtssache „mitgewirkt“ hat. In dem Erfordernis der Mitwirkung gelangt zum Ausdruck, dass es sich bei der Erledigungsgebühr nicht um eine Erfolgsgebühr, sondern um eine besondere Tätigkeitsgebühr handelt. Eine Mitwirkung in diesem Sinne erfordert besondere Bemühungen mit dem Ziel einer Erledigung der Rechtssache ohne Sachentscheidung des Gerichts, die über die bereits mit der Prozess- oder Verfahrensgebühr abgegoltene Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs hinausgehen. Aus diesem Grund genügt es für das Entstehen der Gebühr nicht, dass die Beteiligten sich außergerichtlich ohne ihre Bevollmächtigten einigen und diese nach bereits eingetretener materieller Erledigung nur noch an der formellen Beendigung des gerichtlichen Verfahrens mitwirken, etwa durch die Abgabe einer Klagerücknahmeerklärung (BVerwG, B.v. 28.11.2011 - 6 B 34.11 - juris Rn. 4; OVG NRW, B.v. 8.6.2022 - 9 E 290/22 - juris Rn. 11; OVG Saarl, B.v. 15.10.2013 - 1 E 383/13 - NJW 2014, 405; NdsOVG, B.v. 4.7.2008 - 2 OA 338/08 - NJW 2009, 460; BGH, B.v. 9.5.2017 - VIII ZB 55/16 - NJW-RR 2017, 1148, OLG Hamburg, B.v. 15.6.2016 - 8 W 60/16 - BeckRS 2016, 15032; VG Leipzig, B.v. 22.3.2018 - 2 K 2700/17 NC - juris Rn. 30 ff.; so auch Toussaint in Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, RVG VV 3103, 3104 Rn. 22; a.A. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Aufl. 2021, Vorb. 3 Rn. 170). In diesen Fällen bedarf es keines gebührenrechtlichen Anreizes zur Vermeidung einer mündlichen Verhandlung, weil die Beteiligten diese ohnehin nicht durchführen wollen (VG Leipzig, B.v. 22.3.2018 - 2 K 2700/17 NC - juris Rn. 32). Hinsichtlich der von der Bevollmächtigten des Antragsgegners ins Feld geführten Rechtsprechung (OVG NRW, B.v. 17.7.2014 - 8 E 376/14 - juris) ist anzumerken, dass diese wohl durch die neueste Entscheidung desselben Gerichts überholt sein dürfte (OVG NRW, B.v. 8.6.2022 - 9 E 290/22 - juris) oder jedenfalls im eindeutigen Widerspruch zur übrigen Rechtsprechung steht.
18
Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es an einer Mitwirkung der Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners an der Erledigung der Sache. Ihr Zutun erschöpft sich vorliegend in Telefonaten mit dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zur Frage der Art der Erledigterklärung sowie der daraus resultierenden Frage der Kostentragung. Denn die geführten Telefonate hatten keine inhaltlichen Fragen des Rechtsstreits zum Gegenstand - diese war unstreitig bereits durch die Parteien erfolgt -, sondern die Frage, welche prozessbeendende Erklärung abzugeben sei. Vorschläge zur Einigung zwecks Prüfung wurden indes nicht weitergeleitet. Somit waren die Gespräche zwischen den Bevollmächtigten nicht auf die Erledigung des Verfahrens gerichtet, wie Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG dies vorsieht.
19
Der Erinnerung war daher stattzugeben.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Für das Erinnerungsverfahren fallen zwar mangels Gebührentatbestands keine Gerichtsgebühren an; es sind jedoch die Auslagen des Gerichts und außergerichtliche Aufwendungen der Antragstellerin zu erstatten.