Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.10.2022 – 6 CS 22.1804
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Erschließungsbeitragsbescheid

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 4 S. 3, Abs. 5
BayKAG Art. 5a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4
BauGB § 34, § 35, § 133 Abs. 1
AO § 157 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Die Angabe der Erschließungsanlage, für die der Beitrag erhoben wird, gehört nicht zu den Mindesterfordernissen des § 157 Abs. 1 S. 2 AO. Fehlt im Beitragsbescheid die Bezeichnung der abgerechneten Erschließungsanlage oder wird die Anlage fehlerhaft bzw. ungenau angegeben, so kann darin allenfalls ein Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b BayKAG iVm § 121 Abs. 1 AO liegen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Selbständigkeit einer Verkehrsanlage kann sich abweichend vom Grundsatz der natürlichen Betrachtungsweise aus Rechtsgründen ergeben. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine endgültig hergestellte Anbaustraße, für die bereits sachliche Beitragspflichten entstanden sind, nachträglich verlängert oder fortgeführt wird. Eine solche Fallgestaltung liegt vor, wenn eine Teilstrecke bereits bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 vorhanden war und deshalb dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrecht entzogen ist. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Grundstück ist auch dann erschlossen, wenn es von der Fahrbahn durch einen zu der öffentlichen Straße gehörenden Gehweg und/oder Radweg getrennt ist, es sei denn, die Überwindung des dadurch bedingten Zwischenraums stellte sich im Einzelfall als unzumutbar dar. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Liegt ein Grundstück an mehreren Anbaustraßen, so ist es, wenn dem Grundstück die beitragsrechtlich relevante Nutzbarkeit durch jede dieser Straßen vermittelt wird, grundsätzlich durch jede dieser Straßen hinsichtlich seiner gesamten Fläche erschlossen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitrag, Buchgrundstück, Abgrenzung Innen- und Außenbereich, Bebauungszusammenhang, örtliche Besonderheiten (Straße mit trennender Wirkung), Ortsrandlage, Anbaustraße, Verlängerung einer bereits bestehenden Erschließungsanlage, Erschlossensein, Unbillige Härte (verneint)
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 18.07.2022 – AN 3 S 22.309, AN 3 S 22.347
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31607

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Juli 2022 - AN 3 S 22.309 u.a. - wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 27.383,56 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. November 2021, mit dem er als Eigentümer des am Ortsrand gelegenen, 2.840 qm großen, aus den Flurstücken FlNrn. .../1 und .../8 bestehenden (Buch-)Grundstücks für die erstmalige endgültige Herstellung der Verkehrsanlage „S. Straße zwischen R.weg und der westlichen Gebäudekante des Anwesens S1. Straße 22“ zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 109.534,22 € herangezogen wurde.
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Der schon seit langem angelegte Straßenzug S1. Straße führt von der Kreuzung S2. Straße/H.-gasse aus dem im Zusammenhang bebauten, unbeplanten Ortsteil B. nach Westen in den Außenbereich. Im Jahr 2020 führte die Antragsgegnerin Straßenbaumaßnahmen durch, mit denen ihrer Meinung nach die östliche, etwa 150 m lange Teilstrecke (bis zur westlichen Gebäudekante von Hausnummer 22) als bereits vorhandene Erschließungsanlage erneuert und die in Streit stehende, östliche, etwa 60 m lange Teilstrecke (von der westlichen Gebäudekante von Hausnummer 22 bis zum R.weg) erstmalig als Erschließungsanlage hergestellt wurde. Das Grundstück des Antragstellers grenzt an die S1. Straße, und zwar mit dem bebauten Flurstück .../1 im Wesentlichen an die östliche (alte) Teilstrecke, mit dem unbebauten Flurstück .../8 an die westliche (neue) Teilstrecke. Die auf der gegenüberliegenden Straßenseite angrenzenden Flächen gehören zum Außenbereich. Bei der Beitragsabrechnung auf der Grundlage von Art. 5a KAG i.V.m. §§ 127 ff BauGB und ihrer Erschließungsbeitragssatzung hat die Antragsgegnerin die westliche Teilstrecke als selbstständige, einseitig zum Anbau bestimmte Erschließungsanlage betrachtet und den darauf entfallenden umlagefähigen Aufwand allein dem Grundstück des Antragstellers zugeordnet. Gegen den Beitragsbescheid vom 17. November 2021 legte er Widerspruch ein, über den bislang nicht entschieden ist. Nachdem die Antragsgegnerin dem Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung nicht nachgekommen war, beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen.
3
Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2022 abgelehnt und zur Begründung unter anderem ausgeführt: Trotz einiger noch offener Fragen bestünden bei der angezeigten summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids. Der abgerechnete Straßenteil sei in Abweichung vom Grundsatz der natürlichen Betrachtungsweise aus rechtlichen Gründen (wohl) als eigenständige Erschließungsanlage zu werten. Nach Auswertung der in den Behördenakten befindlichen Lichtbilder bestünden auch keine beachtlichen Zweifel an der Einschätzung der Antragsgegnerin, das rund 60 m x 30 m große unbebaute Eckflurstück .../8 gehöre - inzwischen - zum Innenbereich und nicht mehr zum Außenbereich. Die für eine abschließende Beurteilung erforderliche Einnahme eines Augenscheins müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
4
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Beschluss.
II.
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Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet.
6
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Erschließungsbeitragsbescheid vom 17. November 2021 anzuordnen, zu Recht abgelehnt. Die fristgerecht zur Begründung der Beschwerde dargelegten Einwände, die den Prüfungsrahmen im Beschwerdeverfahren bilden (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zu keiner anderen Beurteilung.
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1. Der Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheids vom 17. November 2021 im Sinn von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (zum Prüfungsmaßstab etwa BayVGH, B.v. 26.11.2018 - 6 CS 18.1569 - juris Rn. 8). Dieser erweist sich vielmehr bei der das Eilverfahren kennzeichnenden summarischen Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, so dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache wohl abzuweisen sein wird.
8
a) Der Erschließungsbeitragsbescheid ist formell rechtmäßig. Nicht überzeugen kann die Beschwerde mit der Rüge, die abgerechnete Erschließungsanlage sei nicht ausreichend bestimmt worden, weil weder ein entsprechender Plan in Bezug genommen noch Einzelheiten zu verwendeten Materialien und damit zur genauen Art und Weise der Baumaßnahmen genannt worden seien, so dass unklar bleibe, was abgerechnet werden solle.
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Der Beitragsbescheid ist inhaltlich hinreichend bestimmt (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. § 119 Abs. 1 AO). Insbesondere erfüllt er die Mindesterfordernisse des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. aa KAG i.V.m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO. Danach müssen schriftliche Abgabebescheide die festgesetzte Abgabe nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die Abgabe schuldet. Diese Angaben enthält der angefochtene Bescheid. Er bezeichnet den Beitragsschuldner, die Art der Abgabe („Erschließungsbeitrag“) und schließlich die Höhe des festgesetzten Betrags.
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Es fehlt auch nicht deshalb an der erforderlichen Bestimmtheit, weil mit der Bezeichnung „Straßenbaumaßnahme S1. Straße zwischen R.weg und der westlichen Gebäudekante des Anwesens S1. Straße 22“ die Erschließungsmaßnahme nicht ausreichend klar bezeichnet worden wäre. Die Angabe der Erschließungsanlage, für die der Beitrag erhoben wird, gehört nicht zu den Mindesterfordernissen des § 157 Abs. 1 Satz 2 AO. Fehlt im Beitragsbescheid die Bezeichnung der abgerechneten Erschließungsanlage oder wird die Anlage fehlerhaft bzw. ungenau angegeben, so kann darin allenfalls ein Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. § 121 Abs. 1 AO liegen, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt schriftlich zu begründen ist, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist (vgl. VGH BW, B.v. 11.12.1990 - 2 S 354/90 - juris). Ein Verstoß gegen dieses formelle Begründungserfordernis könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn sich auch durch eine am Empfängerhorizont ausgerichtete Auslegung des Bescheids nicht feststellen ließe, wofür der Erschließungsbeitrag erhoben wird. Hiervon kann im vorliegenden Fall aber nicht die Rede sein, was letztlich jedoch offenbleiben kann. Denn da es sich bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen um rechtlich gebundene Entscheidungen handelt, führte ein Begründungsmangel des Bescheids nicht zu dessen Aufhebung (VGH BW, U.v. 20.8.2015 - 2 S 2301/14 - juris Rn. 27).
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Ein Plan muss einem schriftlichen Beitragsbescheid nur dann beigefügt werden, wenn lediglich auf diese Weise die notwendige Bestimmtheit der abgerechneten Anlage erreicht werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2010 - 6 CS 10.952 - juris Rn. 9; U.v. 17.5.1996 - 6 B 93.2355). Ein solcher Fall liegt nicht vor, weil die mit dem angefochtenen Beitragsbescheid abgerechnete Erschließungsanlage mit Worten hinreichend genau beschrieben wird.
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b) Der Erschließungsbeitragsbescheid begegnet auch in materieller Hinsicht keinen ernstlichen Zweifeln.
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Die Antragsgegnerin hat das abgerechnete etwa 60 m lange Teilstück der „S. Straße zwischen R.weg und der westlichen Gebäudekante des Anwesens S1. Straße 22“ zutreffend als selbständige Erschließungsanlage (Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) angesehen, für deren erstmalige endgültige Herstellung sie den Antragsteller als Eigentümer des aus den Flurstücken .../1 und .../8 bestehenden Anliegergrundstücks zu einem Erschließungsbeitrag heranziehen durfte.
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aa) Ohne Erfolg bleibt der Einwand, die Antragsgegnerin habe eine unzulässige Abrechnung nach Teillängen vorgenommen.
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Die Selbständigkeit einer Verkehrsanlage kann sich abweichend vom Grundsatz der natürlichen Betrachtungsweise aus Rechtsgründen ergeben. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine endgültig hergestellte Anbaustraße, für die bereits sachliche Beitragspflichten entstanden (nicht notwendigerweise auch erhoben) sind, nachträglich verlängert oder fortgeführt wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2016 - 6 ZB 15.2786 - juris Rn. 10). In einem solchen Fall ist die Verlängerungsstrecke unabhängig von ihrer optischen Zugehörigkeit zum weiteren Straßenzug erschließungsbeitragsrechtlich als eigene selbständige Anbaustraße und nicht als bloßer Abschnitt im Sinn von § 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB zu qualifizieren (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 18 m.w.N.), weil die Beurteilungszeitpunkte insoweit voneinander abweichen (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2011 - 6 B 08.1935 - juris Rn. 16 m.w.N.).
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Eine solche Fallgestaltung liegt hier (wohl) vor: Bei der jetzt erstmalig als Erschließungsanlage hergestellten und abgerechneten (zweiten) Teilstrecke der S1. Straße handelt es sich um die nachträgliche Verlängerung der „alten“ (ersten) Teilstrecke (von der westlichen Gebäudekante des Anwesens Haus Nr. 22 bis zur S2. Straße/Hasengasse), die als Erschließungsanlage bereits bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 vorhanden war und deshalb dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrecht entzogen ist (vgl. Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG).
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Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine vorhandene (historische) Straße im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG vor‚ wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck - nach den damaligen rechtlichen Anforderungen - endgültig hergestellt war (vgl. BayVGH‚ B.v. 18. 8.2017- 6 ZB 17.840 - juris 13; B.v. 3.7.2017 - 6 ZB 16.2272 - juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 19.1.2015 - 6 ZB 13.1548 - juris Rn. 6). Diese Voraussetzungen dürften bei der ersten Teilstrecke erfüllt sein. Sie verlief nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin bereits in den 1950er Jahren in ihrer der damaligen Widmung entsprechenden Ausdehnung (noch) innerhalb der geschlossenen Ortslage (und nicht im Außenbereich), hatte für die anliegenden Grundstücke Erschließungsfunktion und war für diesen Zweck nach den damaligen rechtlichen Anforderungen auch technisch endgültig fertiggestellt.
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Die Funktion der S1. Straße als Erschließungsanlage endete damals mit dem Gebäude Hausnummer 22 auf der nördlichen Straßenseite. Weiter in Richtung Westen schloss sich zu beiden Straßenseiten Außenbereich an. Hier kam der S1. Straße keine Erschließungsfunktion mehr zu. Sie diente allein als Gemeindeverbindungsstraße. Das ergibt sich aus den vorgelegten historischen Ansichten, den Katasterauszügen aus der damaligen Zeit und den Eintragungsverfügungen für das Bestandsverzeichnis vom 21. Februar 1962 (der ehemaligen Gemeinde B.) sowie vom 29. Januar 1992 (der Antragsgegnerin), wonach die Widmungsgrenze der S1. Straße als Orts straße im Westen 2,5 m westlich der Gebäudeflucht des Anwesens Haus-Nr. 22 verläuft und damit den Anfangspunkt der - im Außenbereich verlaufenden - Gemeindeverbindungsstraße nach Steinach markiert. Nach den Rechercheergebnissen der Antragsgegnerin wies die erste Teilstrecke der S1. Straße zudem bereits vor dem 30. Juni 1961 einen Ausbauzustand auf, der (wohl) den damaligen Anforderungen an eine Erschließungsstraße genügte. Sie bestand bereits vor 1961 aus einer geteerten Fahrbahn mit Unterbau und einem Gehweg auf der Südseite. Beleuchtung und Entwässerung waren vorhanden.
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bb) Die Rüge, das Grundstück des Antragstellers mit den Flurstücken .../1 und .../8 könne aus mehreren Gründen durch die abgerechnete Teilstrecke nicht im Sinn von § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen werden, begründet unter keinem Gesichtspunkt Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheids.
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(1) Soweit die Beschwerde meint, diese Teilstrecke habe keine Erschließungsfunktion, weil es sich um eine Gemeindeverbindungsstraße handele, ist dem entgegenzuhalten, dass grundsätzlich alle - rechtlich und tatsächlich für die Erschließung ausreichend - befahrbaren Verkehrsanlagen im innerörtlichen Bereich das Merkmal „zum Anbau bestimmt“ erfüllen (BVerwG, U.v. 4.6.1993 - 8 C 33.91 - juris). Dazu können auch Ortsdurchfahrten von klassifizierten (Bundes-, Staats- oder Kreis-) Straßen gehören. Ob eine Verkehrsanlage neben ihrer Erschließungsfunktion für die anliegenden Grundstücke eine wichtige (über-)örtliche Verbindungsfunktion hat, ist für ihre Einordnung als Anbaustraße unerheblich (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, § 6 Rn. 26).
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(2) Ebenso wenig kann der Einwand überzeugen, das Grundstück des Antragstellers nehme nicht (mehr) am Bebauungszusammenhang teil, weshalb es nicht nur an der Anbaufunktion der abgerechneten Teilstrecke, sondern insbesondere auch am Erschlossensein (§ 133 Abs. 1 BauGB) fehle. Nach Aktenlage spricht vielmehr Überwiegendes dafür, dass das Grundstück des Antragstellers im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten mit seiner gesamten Fläche nicht mehr zum Außenbereich (§ 35 BauGB), sondern zum unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) gehört, damit also bebaubar ist und von der abgerechneten Straße im Sinn von § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen wird.
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Für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich ist maßgeblich, wie weit sich das Grundstück noch in einem Bebauungszusammenhang befindet, der einem Ortsteil angehört (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Ein Bebauungszusammenhang i.S.v. § 34 Abs. 1 BauGB reicht so weit, wie die vorhandene Bebauung trotz etwaiger Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2000 - 4 B 15.00 - juris Rn. 4). Dabei kommt es für die Ausdehnung eines Bebauungszusammenhangs auf die Grundstücksgrenzen nicht entscheidend an. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Wertung und Bewertung der konkreten Gegebenheiten. Erforderlich ist, dass die zu beurteilende Fläche einen Bestandteil des Bebauungszusammenhangs bildet, also von ihm (noch) mitgeprägt wird. Zwar endet der im Zusammenhang bebaute Ortsteil am Ortsrand - unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen - regelmäßig mit der letzten Bebauung, so dass die sich anschließenden Freiflächen grundsätzlich zum Außenbereich gehören; örtliche Besonderheiten können es aber rechtfertigen, ihm noch bis zu einer natürlichen Grenze (Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - juris Rn. 6; B.v. 2.3.2000 - 4 B 15.00 - juris Rn. 4 m.w.N.). Auch eine Straße oder ein Weg kann je nach den Umständen des Einzelfalles einen Bebauungszusammenhang herstellen oder trennende Funktion zwischen Innen- und Außenbereich haben (vgl. BayVGH, B.v. 4.9.2009 - 1 ZB 08.967 - juris Rn. 11 m.w.N.). Insbesondere einseitig bebauten Straßen kommt in der Regel eine solche trennende Wirkung zu. Maßgeblich sind aber auch hier immer die konkreten Umstände des Einzelfalles. Eine unbebaute Fläche ist - als „Baulücke“ - Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 4.9.2009 - 1 ZB 08.967 - a.a.O.). Um zu beurteilen, ob ein Grundstück innerhalb des Bebauungszusammenhangs liegt, bedarf es einer „echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts“ durch den Tatrichter (BVerwG, U.v. 16.9.2010 - 4 C 7.10 - juris Rn. 12). Eine derartige Bewertung des konkreten Einzelfalls ist in einem auf summarische Prüfung angelegten Eilverfahren grundsätzlich nur nach Aktenlage möglich (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2021 - 6 CS 20.3153 - juris Rn. 12).
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Gemessen an diesen Grundsätzen dürfte das Grundstück des Antragstellers mit seiner gesamten Fläche noch innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils B. liegen und damit dem Innenbereich angehören. Es schließt sich unmittelbar westlich an die im Zusammenhang bebauten Grundstücke des Ortsteils B. an und reicht bis zum R.weg. Die Annahme der Antragsgegnerin, diese Straße stelle die Abgrenzung von Innenbereich (im Osten) und Außenbereich (im Westen) dar, lässt sich anhand der vorgelegten aktuellen Pläne und des Luftbildes gut nachvollziehen und begegnet keinen Zweifeln. Durch die im Bereich zwischen der H. Straße, dem R.weg und der S1. Straße erfolgten baulichen Entwicklungen hat sich der unbebaute Bereich nördlich der S1. Straße erheblich verkleinert, so dass - zumindest bei summarischer Prüfung - die prägende Wirkung der das Grundstück des Antragstellers umgebenden Bebauung dieses nunmehr als bloße Baulücke am Rande eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils - und damit noch als zum Bebauungszusammenhang gehörig - erscheinen lässt.
24
Verbleibende Unsicherheiten bei der Beurteilung dieser Frage können (und müssen) im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend aufgelöst werden. Das bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten und erfordert unter Umständen die Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 - 6 CS 18.1569 - juris Rn. 14).
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(3) Ohne Erfolg bleibt der Einwand, das Grundstück des Antragstellers sei durch die abgerechnete Anlage nicht erschlossen, weil der Gehsteig ohne Zufahrtsmöglichkeit am Befahren und Betreten des Grundstücks hindere.
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Erschlossen ist ein Grundstück, wenn ihm die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlicher Weise, d.h. in einer auf die bauliche oder vergleichbare Nutzbarkeit der Grundstücke gerichtete Funktion die Zugänglichkeit vermittelt (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2021 - 6 ZB 21.20 - juris Rn. 17 m.w.N.). Die Frage des Erschlossenseins eines Grundstücks hängt in erster Linie davon ab, welche Anforderungen an die Form der Erreichbarkeit zu stellen sind. Dies wird wesentlich vom Bebauungsrecht bestimmt. Fehlen besondere planerische Festsetzungen, richten sich die bebauungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen für Grundstücke in beplanten wie unbeplanten Gebieten im Grundsatz nach dem jeweiligen festgesetzten oder faktischen Gebietscharakter. Liegt das Grundstück - wie wohl hier - in einem faktischen allgemeinen Wohn- oder Mischgebiet, genügt das Heranfahren- und Betretenkönnen; ein Herauffahrenkönnen ist nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 9.2.2010 - 6 ZB 08.393 - juris Rn. 5; Schmitz, Erschließungsbeiträge, § 13 Rn. 56). Dafür ist es aber nicht erforderlich, dass „zentimetergenau“ die Grundstücksgrenze erreicht werden kann. Vielmehr ist insoweit eine Erreichbarkeit ausreichend, bei der mit Kraftwagen auf der Fahrbahn der öffentlichen Straße bis zur Höhe des jeweiligen Anliegergrundstücks gefahren und dieses von da aus ohne weiteres betreten werden kann. Dem ist in der Regel auch dann genügt, wenn zwischen der Fahrbahn und dem Grundstück noch ein zur öffentlichen Straße gehörender Streifen von ortsüblicher Breite liegt. Eine für das Bebauungs- und in der Folge das erschließungsbeitragsrechtliche Erschlossensein hinreichende Erreichbarkeit in Gestalt der Möglichkeit, an ein Anliegergrundstück heranzufahren, ist folglich auch dann gegeben, wenn dieses Grundstück von der Fahrbahn durch einen zu dieser öffentlichen Straße gehörenden Gehweg und/oder Radweg getrennt ist, es sei denn, die Überwindung des dadurch bedingten Zwischenraums stellte sich im Einzelfall als unzumutbar dar.
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Gemessen daran wird das Grundstück des Antragstellers durch die unmittelbar angrenzende Anlage - offenkundig - erschlossen und ist demnach gemäß § 133 Abs. 1 BauGB beitragspflichtig. Ein Heranfahren auf der Fahrbahn bis auf Höhe des Grundstücks ist möglich. Von der Fahrbahn aus kann dieses über den Gehweg in zumutbarer Weise betreten werden. Insbesondere besteht auch kein rechtliches Hindernis für das Betreten, da der Gehweg als Teil des Straßengrundstücks zur allgemeinen Nutzung öffentlich gewidmet ist.
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(4) Das Grundstück des Antragstellers wurde zu Recht mit seiner gesamten Fläche von 2.840 qm als erschlossen berücksichtigt.
29
Im Erschließungsbeitragsrecht ist im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit grundsätzlich vom bürgerlich-rechtlichen Begriff des Grundstücks im Sinn des Grundbuchrechts auszugehen (sog. formeller Grundstücksbegriff). Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt auch für mehrfach erschlossene Grundstücke. Liegt ein Grundstück an mehreren Anbaustraßen, so ist es, wenn dem Grundstück die beitragsrechtlich relevante Nutzbarkeit durch jede dieser Straßen vermittelt wird, grundsätzlich durch jede dieser Straßen hinsichtlich seiner gesamten Fläche erschlossen (vgl. BayVGH, B.v. 13.1.2021 - 6 CS 20.2489 - juris Rn. 13 m.w.N.). Das gilt nicht nur für den Fall eines „klassischen“ Eckgrundstücks, das an der Einmündung einer Anbaustraße in eine andere liegt, sondern auch dann, wenn ein Grundstück an zwei sich aneinander anschließende selbstständige Anbaustraßen grenzt und von beiden erschlossen wird (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, § 13 Rn. 88 m.w.N.). Eine Abweichung von dem formellen Grundstücksbegriff wäre nur dann gerechtfertigt, wenn ein Festhalten an ihm gröblich unangemessen wäre. Dafür ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.
30
Demnach ist das Grundstück des Antragstellers mit seiner gesamten Fläche als erschlossen anzusehen, auch wenn es an zwei weitere Anbaustraßen angrenzt (nämlich den R.weg im Westen und die „alte“ Teilstrecke der S1. Straße im Osten). Es bestand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten zwar aus zwei Flurstücken, war aber unter einer laufenden Nummer in das Grundbuch eingetragen und bildete daher, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein einziges Buchgrundstück. Dass für eine Teilfläche von ca. 1.850 qm eine Auflassungsvormerkung eingetragen war, ändert daran nichts. Es liegen auch keine stichhaltigen Gründe vor, die es rechtfertigen könnten, für das insgesamt 2.840 qm große, (wohl) vollständig im Innenbereich gelegene Grundstück eine nur auf Teilflächen begrenzte Erschließungswirkung der abgerechneten Teilstrecke anzunehmen. Im Übrigen würde sich eine solche Flächenbegrenzung auf die Höhe des zu zahlenden Erschließungsbeitrags nicht auswirken, weil die abgerechnete Verlängerungsstrecke allein das Grundstück des Antragstellers erschließt, weshalb dieses im Ergebnis (unabhängig von seiner Größe) stets den vollständigen umlagefähigen Erschließungsaufwand zu tragen hat.
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2. Eine Aussetzung der Vollziehung kommt auch nicht unter dem von der Beschwerde angesprochenen Gesichtspunkt einer unbilligen Härte i.S.v. § 80 Abs. 5, Abs. 4 Satz 3 VwGO in Betracht.
32
Eine unbillige, also nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die sofortige Vollziehung wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder kaum wiedergutzumachen sind, etwa wenn die Zahlung den Konkurs herbeiführt oder sonst zur Existenzvernichtung führen kann. An dieser Voraussetzung fehlt es. Denn weder nach dem Vorbringen des Antragstellers noch nach Aktenlage sind hinreichende Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass durch die sofortige Vollziehung des angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheids irreversible Zustände eintreten oder dem Antragsteller irreparable Nachteile entstehen könnten.
33
Geht es - wie hier - um die Durchsetzung der Verpflichtung zur Zahlung öffentlicher Abgaben, droht wegen deren Rückzahlbarkeit grundsätzlich nicht der Eintritt irreversibler Zustände oder schwerer, irreparabler Nachteile (vgl. SächsOVG, B.v. 18.11.2016 - 5 B 282/16 - und v. 28.12.2012 - 4 B 171/12 - jeweils juris). Hierauf beruht auch die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO generell den Sofortvollzug anzuordnen. Etwas Anderes kann bei Hinzutreten besonderer Umstände gelten, etwa wenn die Vollstreckung der Abgabenforderung eine wirtschaftliche Existenzgefährdung des Abgabenschuldners zur Folge hätte (vgl. VGH BW B.v. 26.9.2017 - 2 S 1916/17 - juris Rn. 7 f. m.w.N.).
34
Solche besonderen Umstände wurden aber weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren substantiiert dargetan noch ergeben sie sich ohne Weiteres allein aus der durchaus erheblichen Höhe der streitigen Beitragsforderung (109.534,22 €). Zwar trägt der Antragsteller vor, der verlangte Beitrag sei derart hoch, dass er nicht ohne Aufnahme eines Darlehens zu jetzt steigenden Kosten aufgebracht werden könne; bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens sei er eventuell pleite. Diese Behauptung hat er jedoch nicht einmal ansatzweise - etwa durch nähere Angaben zu seiner wirtschaftlichen Situation - begründet, obwohl hierzu Anlass bestanden hätte. Denn die Antragsgegnerin hatte ihn bereits in einem Begleitschreiben zum Beitragsbescheid unter Beifügung eines entsprechenden Antragsformulars über die verschiedenen Möglichkeiten zu einer ratenweisen Bezahlung des festgesetzten Erschließungsbeitrags informiert. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass einem Antrag entsprechende aussagekräftige Belege über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zur Darlegung einer unbilligen Härte beizufügen sind. Dies ist aber trotz mehrmaliger Anschreiben der Antragsgegnerin bis heute nicht geschehen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand bestehen - insbesondere in Ansehung des nicht unerheblichen Grundbesitzes des Antragstellers - keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Erfüllung der Beitragsforderung dem Antragsteller trotz deren erheblichen Höhe nicht zumutbar wäre oder zu seiner wirtschaftlichen Existenzgefährdung führen könnte.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG, wobei der Senat im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO in ständiger Rechtsprechung ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts ansetzt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).