Titel:
Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen C und CE nebst eingeschlossener Klassen ohne theoretische und praktische Prüfung – Verpflichtungsklage
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, Abs. 5, Abs. 8
FeV § 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 20 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Zwar gilt das Erfordernis des Befähigungsnachweises bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis grundsätzlich nicht. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet jedoch im Wege einer gebundenen Entscheidung dann eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt; sie hat nicht mehr die Möglichkeit, nach Ermessen auf die Fahrerlaubnisprüfung zu verzichten. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der aufgrund einer umfassenden Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmenden Beurteilung ist auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis zu berücksichtigen und danach zu differenzieren, wie lange der erstmalige Nachweis der klassenspezifischen Befähigung für Omnibusse oder Lastkraftwagen schon zurückliegt, wie lange – und ob regelmäßig oder nur sporadisch – der Betroffene von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch gemacht hat und wie lange eine danach möglicherweise liegende Phase mangelnder Fahrpraxis angedauert hat. Eine Zeit von etwa acht Jahren ohne entsprechende Fahrerlaubnis bzw. berücksichtigungsfähige Fahrpraxis ist grundsätzlich eine geeignete Tatsache für die Annahme, dass der Bewerber die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt (vgl. VGH München BeckRS 2019, 27423 Rn. 21 f.; BeckRS 2015, 52037 Rn. 11). (Rn. 27 und 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Umstand, dass ein Bewerber (wieder) über eine Fahrerlaubnis der Klasse B verfügt, reicht nicht zum Nachweis dafür aus, dass er auch über die praktischen Kenntnisse für das Führen von Fahrzeugen der Klassen C, C1 und C1E verfügt (VGH München BeckRS 2012, 52695 Rn. 34) – zumal vor dem Hintergrund technischer Neuerungen bei Omnibussen und Lastkraftwagen und der an das Führen solcher Kraftfahrzeuge gegenüber dem Führen von Personenkraftwagen zu stellenden gesteigerten Anforderungen. (Rn. 27 und 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung bei Neuerteilung, gebundene Entscheidung, Verlust der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, umfassenden Gesamtwürdigung des Einzelfalls, Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis, Zeitdauer von etwa acht Jahren ohne entsprechende Fahrpraxis, Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse B
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.10.2022 – 11 ZB 22.1714
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31537
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen C und CE nebst eingeschlossener Klassen ohne theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung.
2
1. Dem am ... 1970 geborenen Kläger wurde am 14. Februar 1989 erstmals eine Fahrerlaubnis der damaligen Klasse 3 erteilt, die am 4. März 1991 um die damalige Klasse 2 erweitert wurde. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts B vom 11. März 1997 (Az. 1) wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) entzogen. Sodann wurde dem Kläger am 11. Juli 1997 durch das Landratsamt A (Landratsamt) eine Fahrerlaubnis der damaligen Klassen 2 und 3 erteilt; am 4. Juli 2006 wurde die Fahrerlaubnis um die damalige Klasse 1 erweitert.
3
Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts A vom 11. September 2014 (Az. 2) wurde der Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) zu einer Geldstrafe i.H.v. insgesamt EUR 1.350,- verurteilt. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Hinsichtlich einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis wurde eine Sperrfrist von zehn Monaten festgesetzt. Der Führerschein des Klägers war am Tag der Trunkenheitsfahrt (8.8.2014; BAK: 1,55 Promille) durch die Polizei gemäß § 94 StPO in Verwahrung genommen worden.
4
Ein Antrag des Klägers vom 7. Juli 2015 auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, BE, C, C1E, C, CE und T wurde mit Schreiben des Landratsamts vom 21. Juni 2016 als zurückgenommen behandelt, nachdem der Kläger ein angeordnetes medizinischpsychologisches Gutachten nicht vorgelegt hatte.
5
Einen bei der zwischenzeitlich örtlich zuständigen Stadt ... gestellten Antrag vom 3. Januar 2018 auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, BE, C1E, CE, L, AM und T nahm der Kläger mit Schreiben vom 24. April 2018 zurück, nachdem er ein angeordnetes medizinischpsychologisches Gutachten nicht vorgelegt hatte.
6
Mit Formblatt vom 4. Januar 2021 stellte der Kläger beim nunmehr wieder örtlich zuständigen Landratsamt einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, BE, C, C1, C1E, CE, L und T.
7
Nachdem der Kläger nach behördlicher Anforderung ein seine Fahreignung bejahendes medizinischpsychologisches Gutachten vom 10. Mai 2021 vorgelegt hatte, wurde ihm am 18. Mai 2021 durch das Landratsamt eine Fahrerlaubnis der Klassen A und BE (nebst eingeschlossener Klassen) erteilt.
8
Mit Schreiben vom 17. Mai 2021 ordnete das Landratsamt hinsichtlich der Klassen C1, C1E, C, CE und T die Fahrerlaubnisprüfung an (§ 20 Abs. 2 FeV). Beim Kläger lägen aufgrund der Zeitspanne von sechseinhalb Jahren, in denen er keine fahrerlaubnisrechtlichen Fahrzeuge habe führen dürfen, begründete Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigten, dass er die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zum Führen von Kraftfahrzeugen der genannten Klasse nicht mehr besitze. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass aus einer Weigerung, die Prüfungsnachweise rechtzeitig beizubringen, auf die Nichtbefähigung geschlossen und sodann dem Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis hinsichtlich der inmitten stehenden Klassen nicht stattgegeben werden könne.
9
Mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Mai 2021 wandte sich der Kläger gegen diese Anordnung. Mit Schreiben vom 2. Juni 2021 teilte das Landratsamt hierzu mit, dass es bei der Anordnung aus dem Schreiben vom 17. Mai 2021 verbleibe.
10
Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Juni 2021 teilte der Kläger mit, dass er nicht bereit sei, die Fahrerlaubnisprüfung durchzuführen. Er bat um Verbescheidung seines Antrags.
11
Mit Schreiben vom 17. Juni 2021 gab das Landratsamt der Klägerseite Gelegenheit, zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags bis zum 30. Juni 2021 abschließend Stellung zu nehmen. Hiervon machte der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 29. Juni 2021 Gebrauch.
12
2. Mit Bescheid des Landratsamts vom 5. Juli 2021 - zugestellt am 7. Juli 2021 - wurde der Antrag des Klägers auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klassen C und CE nebst eingeschlossener Klassen abgelehnt.
13
Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass aufgrund der zwangsläufigen Fahrpause des Klägers von sechseinhalb Jahren für die inmitten stehenden Klassen die Fahrerlaubnisprüfungen (ohne vorherige Pflichtausbildung) anzuordnen gewesen seien (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 StVG i.V.m. § 20 Abs. 2 FeV). Nachdem der Kläger die entsprechenden Nachweise nicht vorgelegt habe, sei von seiner mangelnden Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen der inmitten stehenden Klassen auszugehen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 27.10.2011 - 3 C 31.10).
14
3. Hiergegen hat der Kläger am 6. August 2021 Klage erhoben. Er beantragt (sinngemäß),
15
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts A vom 5. Juli 2021 zu verpflichten, ihm die beantragte Fahrerlaubnis der Klassen C1, C1E, C, CE und T ohne theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung zu erteilen.
16
Er habe Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im begehrten Umfang. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass er die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitze. Die früher vorgesehene Zwei-Jahres-Frist, nach deren Ablauf eine Fahrerlaubnisprüfung zwingend gewesen sei, sei zum 30. Oktober 2008 abgeschafft worden. Die Fahrbefähigung bestehe somit nach der Wertung des Gesetzgebers auch nach Ablauf von zwei Jahren in der Regel fort. Nur wenn im konkreten Einzelfall Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Bewerber die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr besitzt, könne die Behörde im Erteilungsverfahren eine Fahrerlaubnisprüfung anordnen. Hierbei komme der Zeitdauer fehlender oder eingeschränkter Fahrpraxis herausragende Bedeutung zu. Von Bedeutung könne auch sein, über welchen Zeitraum sich die Fahrpraxis des Bewerbers in der jeweiligen Fahrerlaubnisklasse erstreckt habe, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen worden sei. Er sei von 1991 bis zum Entzug der Fahrerlaubnis im Jahr 2014 als Berufskraftfahrer tätig gewesen und habe Fahrzeuge der beantragten Fahrerlaubnisklassen geführt. Ihm fehle somit tatsächlich nur die Fahrpraxis für etwa sechseinhalb Jahre. Es sei jedoch keine Rechtsprechung ersichtlich, bei der aufgrund einer fehlenden Fahrpraxis von weniger als acht Jahren ein Anlass zur Überprüfung der Befähigung des jeweiligen Bewerbers bejaht worden sei (siehe Hentschel/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 20 FeV Rn. 2a). Auch der behördlich zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 27.10.2011 - 3 C 31.10) liege eine fehlende Fahrpraxis des Bewerbers von etwa zehn Jahren sowie eine stark eingeschränkte Fahrpraxis mit Bussen zugrunde.
17
4. Das Landratsamt beantragt für den Beklagten, 18 die Klage abzuweisen.
18
Rechtsgrundlage für die Ablehnung des streitgegenständlichen Antrags auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis sei § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 StVG i.V.m. § 20 Abs. 2 FeV. Danach habe die Behörde eine Fahrerlaubnis nur (neu) zu erteilen, soweit keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht (mehr) befähigt sei. Dies gelte nach § 2 Abs. 8 StVG i.V.m. § 20 Abs. 2 FeV und den §§ 15 bis 17 FeV, wenn Tatsachen bekannt würden, die nach pflichtgemäßem Ermessen Bedenken hinsichtlich der Befähigung des Bewerbers begründeten. Nach der Rechtsprechung rechtfertige eine fehlende Fahrpraxis, welche aus einer zwangsläufigen Fahrpause resultiere, die Annahme, dass die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten bei einem Fahrerlaubnisbewerber verloren gingen. Insoweit sei gerade bei der Beurteilung der Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 mit Blick auf die besonderen Anforderungen an den Fahrer und der zusätzlichen Risiken im Straßenverkehr ein strenger Maßstab anzulegen (BVerwG, U.v. 27.10.2011 - 3 C 31.10 - juris; BayVGH, U.v. 19.7.2010 - 11 BV 10.712 - juris). Vorliegend habe der Kläger seit dem Entzug der Fahrerlaubnis über sechseinhalb Jahre kein entsprechendes Kraftfahrzeug der Gruppe 2 (Fahrzeuge und Fahrzugkombinationen über 3,5 t) auf öffentlichen Straßen mehr führen dürfen. In dieser langen Zeitspanne hätten sich erhebliche Änderungen in den Verkehrsvorschriften und erhebliche technische Entwicklungen bei der Herstellung der Kraftfahrzeuge ergeben. Generell sei auch eine Verkehrszunahme festzustellen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung wirke sich eine mangelnde Fahrpraxis in einem derart langen Zeitraum dahingehend aus, dass die zuvor verinnerlichten notwendigen Fertigkeiten nachließen und die Routine, um entstandene Kenntnisdefizite für die Bewältigung von problematischen Situationen im Straßenverkehr kompensieren zu können, sich nicht mehr in vollem Umfang abrufen lasse. Daher habe der Kläger die theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfungen für die Klassen C1, C1E, C, CE und T erfolgreich abzulegen. Ein bestimmter Umfang der Ausbildung sei nicht vorgeschrieben (keine sog. Pflichtstunden), der Ausbildungsumfang richte sich vielmehr nach dem tatsächlich erforderlichen Bedarf und werde von der Fahrschule in eigener Verantwortung festgelegt (§ 7 FahrschAusbO).
19
5. Auf Nachfrage des Gerichts teilte der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 23. März 2022 mit, dass er sich von 2002 bis 2003 in Haft befunden habe; im Rahmen des Freigangs ab Januar 2003 sei er als Lkw-Fahrer bei einem Unternehmen in A tätig gewesen. Zum Beleg hierfür sowie seines Vortrags, dass er von 1991 bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis im Jahr 2014 als Berufskraftfahrer tätig gewesen und tatsächlich Fahrzeuge der beantragten Fahrerlaubnisklassen geführt habe, legte der Kläger eine Bestätigung seiner geschiedenen Ehefrau vom 20. März 2022 vor, wonach er in der gesamten Zeit ihrer Freundschaft bzw. Ehe (1994-2017) als Lkw-Fahrer im In- und Ausland tätig gewesen sei, auch während der Zeit des Haftfreigangs ab Januar 2003. Der Kläger legte auch Bestätigungen von drei weiteren Personen jeweils vom 16. März 2022 vor, nach denen er von 1989 bis 2014 als LkwFahrer tätig gewesen sei. Der Kläger selbst bestätigte noch seine jeweiligen Arbeitgeber als Lkw-Fahrer im Zeitraum von 1991 bis 2002 und legte diverse Arbeitsverträge mit verschiedenen Speditionen aus den Jahren 2004 bis 2010 vor. Ferner legte er entsprechende Lohnabrechnungen aus dem Zeitraum von 2002 bis 2012 und zwei Bestätigungen über Fortbildungskurse als Lkw-Fahrer (aus 12/2003 und 12/2008) vor.
20
6. Bereits unter dem 30. September 2021 bzw. 17. November 2021 haben die Betei ligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
21
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22
Über die Klage konnte durch das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
23
Die Klage hat keinen Erfolg.
24
1. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keinen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen C und CE nebst eingeschlossener Klassen ohne theoretische und praktische Prüfung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25
a) Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) ist Vorausset zung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis insbesondere, dass der Fahrerlaubnisbewerber die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in einer theoretischen und praktischen Prüfung nachgewiesen haben muss. Befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer ausreichende Kenntnisse der für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften hat, mit den Gefahren des Straßenverkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen Verhaltensweisen vertraut ist, die zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs, gegebenenfalls mit Anhänger, erforderlichen technischen Kenntnisse besitzt und zu ihrer praktischen Anwendung in der Lage ist und über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung in der Lage ist (§ 2 Abs. 5 StVG). Diese Befähigung muss der Bewerber um eine Fahrerlaubnis in einer theoretischen und praktischen Prüfung nachweisen (§§ 15 bis 17 der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV). Zwar gilt das Erfordernis des Befähigungsnachweises bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht grundsätzlich nicht (§ 20 Abs. 1 Satz 2 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet jedoch dann eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt (§ 20 Abs. 2 FeV). Es handelt sich dabei um eine gebundene Entscheidung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat nicht mehr die Möglichkeit, im Wege einer Ermessensentscheidung auf die Fahrerlaubnisprüfung zu verzichten (so noch § 20 Abs. 2 FeV in der bis 15.1.2009 geltenden Fassung; siehe zum Ganzen: BayVGH, B.v. 18.8.2015 - 11 CE 15.1217 - juris Rn. 9).
26
Mit Tatsachen im Sinne von § 20 Abs. 2 FeV ist das Gesamtbild aller relevanten Tatsachen gemeint (BVerwG, U.v. 27.10.2011 - 3 C 31.10 - DAR 2012, 346 - juris Rn. 11). Die Beurteilung ist folglich aufgrund einer umfassenden Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzung sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis (BVerwG, U.v. 27.10.2011 - 3 C 31.10 - DAR 2012, 346 - juris Rn. 11/13; BayVGH, B.v. 23.10.2014 - 11 ZB 14.1725 - juris Rn. 7; U.v. 19.7.2010 - 11 BV 10.712 - DAR 2010, 716 - juris Rn. 34 f.; vgl. auch BayVGH, B.v. 18.8.2015 - 11 CE 15.1217 - juris Rn. 10 zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, C1E und CE nach Entziehung). Daran hat auch die Ersetzung der früher geltenden Zwei-Jahresfrist nach Ablauf der Fahrerlaubnis in § 24 Abs. 2 FeV (vgl. BR-Drs. 443/98, S. 37), bei deren Überschreiten nach altem Recht zwingend eine nochmalige Fahrprüfung abzulegen war (ebenso § 20 Abs. 2 FeV nach Entziehung oder Verzicht), durch eine Einzelfallprüfung nichts geändert. Der Verordnungsgeber geht zwar grundsätzlich davon aus, dass die Befähigung auch nach zwei Jahren fehlender Fahrpraxis zunächst fortbesteht (vgl. amtl. Begründung zur ÄndVO v. 18.7.2008, VkBl. 08, 568, abgedruckt in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 24 FeV Rn. 3). Es liegt jedoch auf der Hand, dass eine über einen längeren Zeitraum fehlende Fahrpraxis - zumal vor dem Hintergrund technischer Neuerungen bei Omnibussen und Lastkraftwagen und der an das Führen solcher Kraftfahrzeuge gegenüber dem Führen von Personenkraftwagen zu stellenden gesteigerten Anforderungen - im Sinne von § 20 Abs. 2 FeV Zweifel an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen dieser Fahrzeuge entstehen lassen kann. Hinzu kommt, dass die Dauer fehlender Fahrpraxis regelmäßig der einzige Anhaltspunkt für Zweifel an der Fahrbefähigung sein wird, nachdem der Betroffene im Straßenverkehr wegen Fehlens der einschlägigen Fahrerlaubnis weder negativ beim Führen von Omnibussen und Lastkraftwagen auffallen noch umgekehrt das Fortbestehen seiner Befähigung unter Beweis stellen konnte. Aus Gründen der Sicherheit des Verkehrs ist es sachlich geradezu geboten, danach zu differenzieren, wie lange der erstmalige Nachweis der klassenspezifischen Befähigung für Omnibusse oder Lastkraftwagen schon zurückliegt, wie lange - und ob regelmäßig oder nur sporadisch - der Betroffene von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch gemacht hat und wie lange eine danach möglicherweise liegende Phase mangelnder Fahrpraxis angedauert hat (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2011 - 3 C 31.10 - DAR 2012, 346 - juris Rn. 13 f.; BayVGH, B.v. 23.10.2014 - 11 ZB 14.1725 - juris Rn. 8). Der Verlust der Befähigung wird umso eher anzunehmen sein, je weiter die früher maßgebliche Zweijahresgrenze überschritten ist (Haus in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 20 FeV Rn. 29 zur Neuerteilung nach Entziehung oder Verzicht; siehe zum Ganzen:
BayVGH, B.v. 22.3.2021 - 11 ZB 20.3146 - juris Rn. 14; B.v. 18.8.2015 - 11 CE 15.1217 - juris Rn. 10).
27
Der Umstand, dass ein Bewerber (wieder) über eine Fahrerlaubnis der Klasse B verfügt, reicht nicht zum Nachweis dafür aus, dass er auch über die praktischen Kenntnisse für das Führen von Fahrzeugen der Klassen C, C1 und C1E verfügt (BayVGH, U.v. 17.4.2012 - 11 B 11.1873 - juris Rn. 34).
28
b) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze ist das Landratsamt vorliegend in recht lich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass er die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt (§ 20 Abs. 2 FeV).
29
Grund hierfür ist, dass - wie ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit in erster Linie auf die Zeitdauer der fehlenden Fahrpraxis hinsichtlich der begehrten Fahrerlaubnisklassen (hier: C, CE nebst eingeschlossener Klassen) abzustellen ist. Diesbezüglich ist jedoch festzustellen, dass im Fall des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (27.6.2022) der Zeitraum der fehlenden Fahrpraxis hinsichtlich der inmitten stehenden Fahrerlaubnisklassen mittlerweile fast acht Jahre beträgt (polizeiliche Sicherstellung des Führerscheins noch am Tattag des 8.8.2014; VA S. 27). Eine Zeit von etwa acht Jahren ohne entsprechende Fahrerlaubnis bzw. berücksichtigungsfähige Fahrpraxis ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichts grundsätzlich geeignet, eine Tatsache darzustellen, die die Annahme rechtfertigt, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt; denn sie überschreitet die frühere Zweijahresgrenze etwa um das Vierfache (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2019 - 11 CE 19.1480 - juris Rn. 21 f.; B.v. 18.8.2015 - 11 CE 15.127 - juris Rn. 11). So liegt der Fall auch hier.
30
Zwar ist im maßgeblichen Einzelfall des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser in der Zeit nach der erstmaligen Erteilung der damaligen Fahrerlaubnis der Klasse 2 im März 1991 bis zum August 2014 durch seine berufliche Tätigkeit als Lkw-Fahrer Fahrpraxis in erheblichem Umfang gewonnen hat. Abzüglich des Haftzeitraums (2002) und einiger Monate des Fahrerlaubnisentzugs im Jahr 1997 geht das Gericht insoweit von einem Zeitraum von etwa 22 Jahren aus. Auch ein solch langer Zeitraum vorheriger Fahrpraxis vermag jedoch aus Sicht des Gerichts den Umstand einer nunmehr etwa acht Jahre fehlenden Fahrpraxis im Ergebnis nicht aufzuwiegen. Zwar wird es dem Kläger aufgrund seiner früheren Fahrpraxis sicherlich leichter fallen als einem Fahranfänger, sich mit größeren Fahrzeugen, für die die Fahrerlaubnis der Klassen C und CE nebst eingeschlossener Klassen erforderlich ist, im Straßenverkehr zurechtzufinden. All dies rechtfertigt jedoch im Hinblick auf den langen Zeitraum seit der Entziehung der Fahrerlaubnis und vor dem Hintergrund des hohen Gefahrenpotentials, das von Fahrzeugen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3.500 kg ausgeht, nicht den Verzicht auf die Fahrerlaubnisprüfung zum Nachweis seiner Befähigung (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2015 - 11 CE 15.127 - juris Rn. 11). Insoweit ist auch zu bedenken, dass der Kläger über einen Zeitraum von fast sieben Jahren (08/2014-05/2021) bis zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis u.a. der Klasse BE überhaupt keine Praxis im Führen von Kraftfahrzeugen gehabt hat. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der erstmalige Nachweis der klassenspezifischen Befähigung für Lastkraftwagen (03/1991) im Fall des Klägers nunmehr bereits etwa 31 Jahre zurückliegt. Schlussendlich ist insoweit auf die seit 2014 erfolgten technischen Neuerungen und Entwicklungen bei Lastkraftwagen zu verweisen. Hier ist insbesondere an den verstärkten Einsatz von Abbiegeassistenzsystemen zu denken. Laut der EU-Verordnung 2019/2144 zur Typgenehmigung, die am 16. Dezember 2019 verkündet wurde, sind Abbiegeassistenten (dort: „TotwinkelAssistent“) ab 6. Juli 2022 für neue Fahrzeugtypen und ab 7. Juli 2024 für neue Fahrzeuge verpflichtend; die Aus- und Nachrüstung von Bestandsfahrzeugen wird staatlich gefördert (www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/StV/abbiegeassistent.html). Seit November 2018 sind zudem auch Notbremsassistenten (AEBS) EUweit für bestimmte Lastkraftwagen (Neufahrzeuge und neue Typen) verpflichtend vorgeschrieben (www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2022/011-wissinglkwnotbremsassistenten.html). Seit November 2015 müssen überdies in der EU - mit wenigen Ausnahmen - alle neuen Lastkraftwagen mit Spurhaltewarnsystemen (LDWS) ausgestattet sein; das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) ist bereits seit 2014 verpflichtend (www.vda.de/de/themen/automobilindustrie/nutzfahrzeuge/assistenzsystemeimnutzfahrzeug).
31
2. Nach alledem war die Klage abzuweisen.
32
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).