Inhalt

OLG München, Beschluss v. 08.08.2022 – 11 WF 780/22
Titel:

Vergütungsanspruch des Verfahrensbeistandes

Normenketten:
FamFG § 61 Abs. 1, § 158 Abs. 4 S. 3, Abs. 7 S. 3
RVG § 19 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
Zur Frage, wann die Tätigkeit eines Verfahrensbeistandes so unbedeutend ist, dass sie - auch unter Beachtung der Rechtsprechung des BGH - eine Vergütung nicht mehr rechtfertigt (die später den Eltern über KVFamGKG Nr. 2013 als Gerichtskosten in Rechnung zu stellen ist); wann genau beginnt die "Tätigkeit im Kindesinteresse? - vgl. zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 27.02.2019 - XII ZB 496/18 Tz 14 m.w.N..
1. Die gesetzliche Ausgestaltung der Vergütung des Verfahrensbeistandes beruht auf einer Mischkalkulation. Die Anforderungen an ein Tätigwerden sind gering; es genügt, dass er mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben begonnen hat, also in irgendeiner Weise im Kindesinteresse tätig geworden ist, wobei diese Tätigkeit nicht unbedingt dem erweiterten Aufgabenkreis im Sinne von § 158 Abs. 4 S. 3 aF FamFG entstammen muss und es auch nicht erforderlich ist, dass sie nach außen in Erscheinung tritt  (ebenso OLG München BeckRS 2022, 30472). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Vergütungsanspruch entsteht jedoch dann nicht, wenn es sich um eine völlig unbedeutende (oder in keiner Hinsicht notwendige) Tätigkeit - hier drei vergebliche Versuche, beim Jugendamt anzurufen - handelt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Versuch des Verfahrensbeistandes, die Kontaktdaten der Eltern in Erfahrung zu bringen, erreicht noch nicht das Stadium eines Tätigwerdens im Kindesinteresse, ist vielmehr noch als Vorstufe hierfür zu sehen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltsbestimmungsrecht, einstweilige Anordnung, berufsmäßiger Verfahrensbeistand, Vergütung, erweiterter Wirkungskreis, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, unbedeutende Tätigkeit
Vorinstanz:
AG Altötting, Beschluss vom 24.06.2022 – 003 F 501/21
Fundstellen:
JurBüro 2023, 47
RPfleger 2023, 91
AnwBl 2023, 111
FamRZ 2023, 376
BeckRS 2022, 30472
LSK 2022, 30472

Tenor

I. Die Beschwerde der Verfahrensbeiständin wird zurückgewiesen.
II. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 21.09.2021 eine einstweilige Anordnung hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die gemeinsamen Kinder beantragt.
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Mit Beschluss vom 23.09.2021 bestellte das Amtsgericht Rechtsanwältin H. zum berufsmäßigen Verfahrensbeistand (mit erweitertem Wirkungskreis, § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG). Mit Schriftsatz vom 27.09.2021, der am selben Tag bei Gericht einging, nahm die Antragsgegnerin ihren Antrag zurück. Aufgrund gerichtlicher Verfügung, ebenfalls vom 27.09.2021, teilte die Geschäftsstelle am 28.09.2021 (auch) der Verfahrensbeiständin die Rücknahme und die Abladung zu einem bereits bestimmten Termin mit.
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Letztere beantragte am 15.03.2022 eine Vergütung für ihre Tätigkeit in Höhe von € 1.100,00. Auf Nachfrage der Rechtspflegerin, welche Tätigkeit ausgeführt worden sei, erklärte sie, sie habe am 28.09.2021 gegen 10:30 Uhr versucht, das Jugendamt anzurufen, um dort die Kontaktdaten der Eltern zu erhalten. Sie habe dann noch zweimal dort angerufen, jedoch niemanden erreicht.
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 24.06.2022 wies die Rechtspflegerin den Festsetzungsantrag mit der Begründung zurück, die gescheiterten Versuche, beim Jugendamt die Kontaktdaten der Kindeseltern zu erfahren, würden als nicht ausreichend erachtet, um den Vergütungsanspruch entstehen zu lassen. Ein derartiger Versuch trage noch nicht dazu bei, das Interesse der Kinder festzustellen. Dagegen wendet sich die Verfahrensbeiständin mit ihrer Beschwerde, zu deren Begründung sie insbesondere auf die Rechtsprechung des BGH verweist, wonach es für die Anspruchsentstehung genüge, dass der Verfahrensbeistand in irgendeiner Weise im Kindesinteresse tätig geworden ist.
II.
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Die Beschwerde ist gem. §§ 158 Abs. 7 Satz 6 (a.F.), 168 Abs. 1, 58 ff., 61 Abs. 1 FamFG zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg; der Senat teilt die Auffassung der Rechtspflegerin.
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1. Richtig ist, dass die gesetzliche Ausgestaltung der Vergütung des Verfahrensbeistandes auf einer Mischkalkulation beruht und die Anforderungen an ein Tätigwerden gering sind; es genügt, dass er mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben begonnen hat, also in irgendeiner Weise im Kindesinteresse tätig geworden ist, wobei diese Tätigkeit nicht unbedingt dem erweiterten Aufgabenkreis im Sinne von § 158 Abs. 4 Satz 3 (a.F.) FamFG entstammen muss und es auch nicht erforderlich ist, dass sie außen in Erscheinung tritt (siehe zuletzt etwa Senat, Beschl. v. 30.06.2021 - 11 WF 415/21, unter II. 1. b; Beschl. v. 28.05.2019 - 11 WF 548/19, unter II. 1.; Beschl. v. 24.03.2014 - 11 WF 371/14; BGH, Beschl. v. 09.10.2013 - XII ZB 667/12 Tz. 18; BGH, Beschl. v. 19.01.2011 - XII ZB 400/10, jew. m.w.N.).
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2. Bei aller Bedeutung des Gesichtspunkts einer auskömmlichen Vergütung des Verfahrensbeistandes entsteht ein Anspruch hierauf nach ständiger Rechtsprechung des Senats (sowie anderer Oberlandesgerichte) jedoch dann nicht, wenn es sich um eine völlig unbedeutende (oder in keine Hinsicht notwendige) Tätigkeit handelt; vielmehr ist auch die Belastung der Parteien mit den, in der Praxis nahezu durchwegs gem. § 158 Abs. 7 Satz 3 (a.F.) FamFG erhöhten, Vergütungen wenigstens ansatzweise zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 28.05.2019, a.a.O., unter II 1.; Beschl. v. 16.02.2021 - 11 WF 96/21, unter II. 2. b); Beschl. v. 10.02.2014, a.a.O.; OLG Celle, Beschl. v. 07.08.2012 - 10 UF 158/12 Tz 11 ff.). Auch wenn das System des RVG grundsätzlich anders ausgestaltet ist als das der Vergütung eines Verfahrensbeistandes, so ist § 19 Abs. 1 Satz 1 RVG, wonach bestimmte Vorbereitungs-, Neben- oder Abwicklungstätigkeiten nicht gesondert vergütungsfähig sind, zumindest vom Rechtsgedanken her heranziehbar (siehe hierzu auch Senatsbeschluss v. 28.05.2019, a.a.O., unter II. 2. c).
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3. Nach diesen Grundsätzen teilt der Senat die Ansicht der Rechtspflegerin, wonach drei vergebliche Versuche, beim Jugendamt anzurufen - die Richtigkeit des diesbezüglichen Vortrages kann unterstellt werden - noch nicht genügen, um die Vergütung zur Entstehung zu bringen. Auch wenn die Hürden insoweit niedrig sind, handelt es sich, zumal Gespräche überhaupt nicht zustande kamen, um unbedeutende und insofern nicht ausreichende Tätigkeiten. Der Versuch, die Kontaktdaten der Eltern in Erfahrung zu bringen, erreicht noch nicht das Stadium eines Tätigwerdens im Kindesinteresse, ist vielmehr noch als Vorstufe hierfür zu sehen. § 19 RVG ist, auch wenn es dort um die Frage einer zusätzlichen Vergütung geht, während hier bereits deren Entstehung fraglich ist, von der Wertung her heranziehbar (siehe hierzu auch BGH, Beschl. v. 09.10.2013 - XII ZB 667/12 Tz. 9). Eine solche Einschätzung steht auch der vom Gesetzgeber beabsichtigten „unaufwändigen und unbürokratischen“ Handhabung im Rahmen der Behandlung von Vergütungsforderungen des Verfahrensbeistandes nicht im Wege (siehe etwa BGH, Beschl. v. 27.11.2013 - XII ZB 682/12 Tz 22). Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedenfalls wäre es auch den Eltern der Kinder, die letztlich zwingend für die Kosten des Verfahrensbeistandes aufkommen müssen, nicht vermittelbar, wenn sie für eine Tätigkeit von ca. einer Minute einen Betrag von € 1.100,- zu bezahlen hätten.
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4. Kosten: § 84 FamFG.